SprachlicheVorsprachlicheKomm

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Pädagogische Hochschule Heidelberg
Sommersemester 2003
HS: Frühpädagogische Aufgabenfelder
Dozentin: Prof. Dr. Horsch
Ausarbeitung der ergänzenden Literatur
(zum nicht gehaltenen Referat vom 17.07.03)
zum Thema:
Entwicklung sprachlicher
und vorsprachlicher
Kommunikationsformen
Studentinnen:
Carolin Jurke
Kristin Lütkenhaus
Marcella Müller
11
E-Mail: [email protected]
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E-Mail: [email protected]
Inhaltsverzeichnis
0.
Vorwort
2
1.
Einführung
1.1 Was Neugeborene wissen
1.2 Was Kinder über Sprache lernen
2
2
3
2.
Forschungsvorhaben von Papoušek et al.
2.1 Ziele
2.2 Versuchsgruppe
2.3 Methoden
2.4 Untersuchungsergebnisse von Papoušek et al.:
Struktur der mütterlichen Sprache vom 2. bis zum 15.
Lebensmonat des Kindes
7
7
7
7
3.
4.
1
Bedeutung der natürlichen Sprachumgebung für die
Entwicklung von Sprachwahrnehmung und Sprachverständnis
3.1 Pränatale „Sensibilisierung“ der Aufmerksamkeit für die
Muttersprache
3.2 Entdeckung von strukturellen Einheiten in der
sprachlichen Umwelt
3.3 Entdecken von Bedeutung in Grundeinheiten der
sprachlichen Umwelt: Vorläufer des Sprachverständnisses
3.4 Vorsprachliche Bearbeitung linguistischer Informationen
Bedeutung von sprachlicher Umwelt und Interaktionsrahmen
für die frühe expressive Sprachentwicklung
4.1 Stil oder Strategie
4.2 Beginn und Tempo
4.3 Elterliche Sprachanpassung
4.4 Untersuchungsergebnisse:
Zusammenhänge zwischen mütterlicher Sprachanpassung
und Wortschatzentwicklung
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13
15
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18
19
20
5.
Entwicklung der stimmlichen Kommunikationsfähigkeit
5.1 Vorsprachliche Vokalisation
5.2 Vorläufer der intentionalen Kommunikation
5.3 Sogenannte intentionale Kommunikation
5.4 Gebrauch der ersten Wörter und Protowörter
5.5 Verknüpfen mehrerer Wörter
23
23
26
26
27
29
6.
Resümee
31
7.
Literatur
31
0. Vorwort
Mit der vorliegenden Arbeit versuchen wir einen Überblick über den Bereich der Entwicklung
sprachlicher und vorsprachlicher Kommunikationsformen von Neugeborenen und Säuglingen zu
geben. Dazu stützen wir uns auf die ergänzende Literatur von Papoušek und Gopnik et al., die
wir versucht haben zusammenzufassen und in Ergänzung zueinander darzustellen. Dies erklärt
auch den Wechsel zwischen deutsch- und englischsprachigen Beispielen aus den verschiedenen
Studien der Autoren.
Zunächst möchten wir mit einer allgemeinen Einführung in das Thema beginnen.
Im Anschluss daran werden vorangestellte Aussagen theoretisch fundiert dargestellt und zum
Teil ausführlicher durch Studien belegt. Die empirisch eindeutig belegten Ergebnisse haben wir
im Resümee noch einmal verkürzt zusammengestellt.
1. Einführung
(Marcella Müller)
1.1 Was Neugeborene wissen (vgl. Gopnik et al., S.102-106)
Im Allgemeinen wird immer wieder vermutet, dass Sprache dann beginnt, wenn Babies ihre
ersten Wörter sagen. Diese Annahme ist nicht korrekt, denn Babies kennen wichtige Dinge über
die Sprache bereits von Geburt an. Das meiste, was sie lernen, wird ihnen über das
Lautsprachsystem vermittelt. Sie entschlüsseln folglich das Laute-Kryptogramm bevor sie
überhaupt sprechen lernen.
Dabei hilft den Babies die sogenannte „Kategoriale Wahrnehmung“. Laute, die in ihrer Art
variieren, erscheinen uns als gleicher Laut, oder ein Laut wird unterschiedlich von anderen
wahrgenommen, obwohl er eigentlich ähnlich oder sogar gleich ist. Ein gutes Beispiel dafür ist
folgendes: Im Englischen gibt es eine kategoriale Wahrnehmung in der Unterscheidung
zwischen r- und l- Lauten, im Japanischen gibt es diese nicht.
Die Schlüsselfrage ist doch, warum Sprecher verschiedener Sprachen Laute so unterschiedlich
hören und demzufolge auch anders produzieren. Unsere Ohren und der Mund sind durchaus
gleich, aber das Gehirn arbeitet ganz unterschiedlich. Die spezifische Sprache verändert das
Gehirn und wir nehmen Laute differenziert wahr.
Babies können aber nicht nur Laute ihrer eigenen Sprache diskriminieren, sondern auch Laute
jeder anderen Sprache, einschließlich der Sprachen, die sie noch nie zuvor gehört haben. Babies
machen solche Untersuchungen, egal wer spricht, ob Mann oder Frau, ob Person mit hoher oder
tiefer Stimme etc.
2
Babies wissen also viel mehr über Sprache als wir dachten. Sie gehen weit über die eigentlichen
physikalischen Laute hinaus und teilen sie in abstrakte Kategorien ein. Folglich werden sie auch
als citizens of the world, d.h. Weltbürger bezeichnet, da sie alle Diskriminierungen machen
können, die in jeder Weltsprache benutzt werden. Erwachsene hingegen sind viel mehr
eingeschränkt und werden den culture- bound parents, d.h. sprach- und kulturgebundene
Bürger, zugeordnet.
1.2 Was Kinder über Sprache lernen (vgl. Gopnik et al., S. 93-102, 120-130)
Um Sprache erst einmal entwickeln zu können, muss ein kontinuierlicher Fluss an Lauten in
einzelne Teile zerlegt und jeder Laut genau identifiziert werden. Schon sehr kleine Unterschiede
in Lauten können einen enormen Unterschied in der Bedeutung bewirken. Wenn beispielsweise
you know gesagt wird, dann bedeutet dies etwas anderes als you go oder who knows. Laute
müssen anschließend zu Wörtern zusammengesetzt werden. Die Wörter, die dem Kind bekannt
sind, können erst dann zu einem Satz zusammengefügt werden. Hierbei ist allerdings zu
beachten, dass kleinste Unterschiede in der Wortanordnung ebenfalls die Bedeutung eines
Wortes verändern können. Nehmen wir das Beispiel John loves Mary! und Mary loves John!,
welches diese Aussage deutlich bekräftigt. Nun müssen abschließend noch die verschiedenen
Bedeutungen, die ein Wort haben kann, gelernt und verstanden werden. Nun hat das Kind das
Grundprinzip der Muttersprache erworben.
Für Babies ist oftmals nicht nur die Bedeutung der Wörter unbekannt, sondern sie wissen nicht
einmal, was Wörter und Laute überhaupt sind oder wo ein Laut endet und der nächste Laut
beginnt.
Wenn ein Kind mit Sprache konfrontiert wird, muss es zunächst erst einmal einen
verschlüsselten Code knacken. Dies geschieht relativ mühelos und bereits im frühen Alter und
wird im Erwachsenenalter mühelos genutzt.
Kein Computer konnte bisher das Sprachproblem lösen, denn kein Computer kann das, was
Babies können, nämlich eine Konversation verstehen.
Der Kern des Problems ist dabei, dass eine rätselhafte Lücke zwischen den Schallwellen, die
eigentlich unser Ohr erreichen und den Lauten und Wörtern, die wir in unserem Kopf bilden,
liegt. Dies kann man sehr gut mit Hilfe eines Spektogrammes verdeutlichen. Es zeigt die
eigentlichen beweglichen Merkmale von Schallwellen, d.h. also wie laut sie sind, welche
Tonhöhe sie haben und wie sie sich verändern. Nun liegt es an uns, die Serie von Lauten in die
Sprache zu übersetzen.
3
Auch hier muss man sich einigen möglichen Problemen stellen.
 Zwischen den Lauten der menschlichen Sprache gibt es weder Lücken noch Pausen, wie das
Spektogramm verdeutlicht. Laute verlaufen immer kontinuierlich und müssen erst in
Einzelteile zerlegt werden.
 Jede Stimme ist verschieden. Münder haben unterschiedliche Größen und Formen. Es gibt
auch Unterschiede im Sprechtempo. Diese Unterschiede lassen die Schallwellen ständig
verändern.
 Immer wenn ein konstanter Laut vor einem anderen Vokal platziert wird, ändert sich dieser
Laut. Zum Beispiel: d vor dem Wort dude ist anders als d vor dem Wort deed.
 Außerdem hören Menschen, die verschiedene Sprachen sprechen, Laute völlig
unterschiedlich. Japaner, zum Beispiel, hören r- und l- Laute anders als Amerikaner.
3-jährige Kinder haben diese Probleme bereits alle gelöst. Die meisten Englisch sprechenden
Kinder kennen mehr als 75.000 Wörter. Eine richtige Unterhaltung könnte auch nicht mit nur 10
oder selbst mit nur 1000 Wörtern stattfinden.
Das Durchbrechen des Codes ist demnach notwendig, um die Wörter aus den Lauten, die wir
hören, herauszufinden.
Es scheint nahezu so, als gäbe es eine magische Verbindung zwischen den Wörtern, die wir
nutzen, und der Außenwelt, d.h. also man sagt ein Wort und schon berührt man den Gegenstand,
zu dem das Wort gehört, egal wie weit entfernt oder wie fremd es auch ist. Wörter können uns
zu anderen Welten befördern und uns auch eigene Welten bilden lassen.
Nach Chomsky haben Kinder im Kindergarten fast alle Komplexitäten ihrer Sprache bewältigt,
und zwar mühelos und ohne Anleitung.
Die Frage ist nun: Wie tun sie das?
Beim Erwerb von Sprache sind drei Komponenten sehr wichtig:
1. Babies werden mit sehr viel Sprachwissen geboren. Es ist also teilweise genetisch
bedingt, dass Menschen fähig sind, Sprache zu erwerben. Genetische Störungen
erschweren natürlich das Verstehen unserer Gedanken, unserer Welt und auch unserer
Sprache. Es ist die angeborene Begabung, die uns verstehen und sprechen lässt. Alle
Kinder ohne Sprachentwicklungsstörungen präsentieren Laute ohne Anstrengungen. Es
gibt aber auch Kinder, die perfekt hören können und durchaus durchschnittlich
intelligent sind, aber sich trotzdem mit dem Erwerb der Sprache an sich schwer tun.
Diese Kinder zeigen Sprachstörungen.
4
2. Babies vollziehen bestimmte Lernprozeduren bzw. Lernstrategien, um ihr Wissen zu
erweitern und mehr Einzelheiten zu erlernen. Wir wissen viel zu wenig über die
Lernstrategien der Kinder, können aber dennoch Vermutungen anstellen. Kinder müssen
Fähigkeit besitzen, bestimmte Muster zu abstrahieren und Regelmäßigkeiten in der
Sprache zu entdecken.
Babies, die in unterschiedlicher Sprachumgebung aufwachsen, hören automatisch
unterschiedliche Laute in der Sprache. Eine Studie hat gezeigt, dass amerikanische, 6
Monate alte Babies 100.000 der Instanzen des Vokals ee (wie: baby, daddy, mommy,
cookie,...) hörten, aber kaum Beispiele für nasale Laute am Ende des französischen
Wortes non. Sie finden also unbewusst heraus, wie das Ideal ee sein soll. Das
Abstrahieren solcher mentalen Prototypen hat enorme Wirkungen darauf, wie Babies die
Sprache hören und auf welche Weise sie gurren und babbeln. Babies vergleichen ganz
unbewusst andere hinzukommende Laute mit den Prototypen. Wenn diese Laute dem
Prototypen ähneln, dann ignorieren sie die Unterschiede und vermuten einfach den
prototypischen Laut.
Andere Strategien, die beim Lernen des Lautsprachsystems verwendet werden, sind: das
Imitieren eines Lautes und das Lippenlesen.
Das Imitieren eines Lautes geschieht im Alter von 1 bis 1 ½ Jahren und ist weitaus
komplizierter als es scheint. Wenn man nur den Laut hört, dann weiß man noch nicht,
wie man den Mund bewegen muss, um den Laut zu produzieren. Wie also verbinden
Babies die Laute, die sie hören, mit den Bewegungen, die sie machen müssen, um
dieselben Laute zu erzeugen?
-
Babies entwickeln eine Art mouth- to- sound- map (Mund-zu-Laut-Karte). Sie
vergleichen die Bewegungen ihrer Sprechartikulatoren- Lippen, Kiefer, Mund,
Zunge - mit den Lauten, die sie produzieren. Babies spielen mit den Armen und
Beinen, vorwärts und rückwärts, und schauen faszinierend zu. Sie spielen mit dem
Mund und hören den Lauten zu, die sie selbst machen können, d.h. sie spielen selbst
mit Lauten, kreischen vergnügt und erzeugen dabei ee’s, aa’s, ba’s und ga’s. Sie
lernen dadurch, wie Laute gemacht werden, die sie von Erwachsenen hören.
-
Babies sind sehr motiviert, Erwachsene nachzuahmen.
In diesem Alter verwenden Babies auch eine Art Lippenlesen. Sie bevorzugen es, auf die
Person zu schauen, die einen Vokal spricht, der mit dem zusammenpasst, was sie hören.
Sie verbinden die Laute, die sie hören, mit den entsprechenden Mundbewegungen.
Das Brechen eines Laut- Codes erfolgt nur in Kombination von Abstrahieren der
Prototypen, Spielen mit Lauten und Imitieren der Laute.
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3. Erwachsene, insbesondere die Eltern, spielen im Sprachlernprozess eine große und
bedeutsame Rolle. Sie nutzen Motherese, wenn sie mit ihren Kindern sprechen. Wenn
Mütter erst zu einem Erwachsenen sprechen und anschließend mit ihrem Baby, dann
wird ein eigenartiger Stimmwechsel hörbar. Die Stimme der erwachsenen Person ist
verspielter, lebendiger, warmherziger und übermütiger. Babies lieben es sehr. Das hat
nichts mit den eigentlichen Wörtern der Mütter zu tun, sondern mit dem, wie es klingt.
Motherese ist eine behagliche und beruhigende Sprache, die auch Erwachsene mögen.
Die Stimme der Mutter ist dabei eine Art Aufhänger für das Baby. Sie fängt die
Aufmerksamkeit des Babys auf und richtet sie auf ihre Person. Nicht nur Mütter
verwenden Motherese, sondern alle benutzen sie: Väter, Großeltern, Freunde, 4-jährige
Geschwisterkinder etc.
Hauptmerkmale der Motherese:
(1) Die Betonung des Gesagten erfolgt sehr melodisch. Es ist mehr ein Singsang als ein
Sprechen.
(2) Die Sprache ist verlangsamt, zeigt zahlreiche Übertreibungen auf und die Vokale werden
verlängert.
(3) Sätze sind allgemein viel kürzer und einfacher als Sätze, die an Erwachsene gerichtet
sind.
(4) Gleiche Dinge werden gleich oder mit leichten Veränderungen häufiger wiederholt.
z. B.: You are a pretty girl, aren’t you? Aren’t you a pretty girl? Pretty, pretty girl.
Motherese ist eine Weltsprache. Menschen in allen Teilen der Welt nutzen diese, wenn sie
mit ihren Babies sprechen und sind sich dessen aber nicht oder nur selten bewusst. Sie
gebrauchen Motherese eher intuitiv.
Kinder können somit herausfinden, wie Laute, Wörter und Grammatik der Sprache
funktionieren.
Unterschiedliche Gemeinschaften sprechen auch unterschiedliche Sprachen. Babies können
nicht wissen, welche Sprache sie lernen werden. Sie müssen daher jede der vielfältigen
Sprachen bewältigen können. Erst mit 4 bis 5 Jahren haben Kinder die Sprache herausgefunden,
die in ihrer Gemeinschaft gesprochen wird. Ziel der Kinder ist es, die Sprache der Erwachsenen
herauszufinden und diese zu ihrer eigenen werden zu lassen.
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2. Forschungsvorhaben von Papoušek et al. (vgl. Papoušek, S. 41ff)
(Kristin Lütkenhaus)
2.1 Ziele
Mechthild Papoušek richtet mit folgender Studie ihre Aufmerksamkeit auf die audiovokale
Kommunikation des Säuglings im vorsprachlichen Alter. Sie möchte dabei die spezifischen
strukturellen Erscheinungsformen der vorsprachlichen Kommunikation beschreiben, ihre
Grundlagen und Determinanten analysieren und ihre Funktion in Bezug auf die beginnende
sprachliche Entwicklung hin untersuchen.
Ihr Ziel ist es, ein methodisches Inventar systematisch zu erarbeiten, „das erlaubt,
1. strukturelle und funktionelle Wechselbeziehungen zwischen Säuglingslauten und
elterlichem Sprachangebot zu erfassen,
2. Säuglingslaute und elterliches Sprachangebot in Beziehung zu anderen
Verhaltensformen und zum unmittelbaren Kontakt der Interaktion zu untersuchen,
3. die Entwicklungsprozesse der vorsprachlichen Kommunikation zwischen dem 2.
und 15. Monat zu analysieren“ (vgl. Papoušek, S. 41).
2.2 Versuchsgruppe
Die Versuchsgruppe wurde sehr pragmatisch zusammengestellt. Familien wurden einfach durch
das Geburtenregister der Lokalzeitung kontaktiert und schriftlich über das Forschungsvorhaben
informiert. Es fanden sich 18 Eltern mit ihren gesunden, termingerecht und nach weitgehend
komplikationsfreier Schwangerschaft geborenen Säuglingen bereit, am Forschungsvorhaben
teilzunehmen. Die Bildung der Eltern war sehr unterschiedlich, wobei jedoch Eltern mit
Hochschulausbildung und Fachhochschulausbildung überwogen. Alle Mütter waren zur Zeit der
Untersuchung nicht berufstätig.
2.3 Methode
Die Mütter kamen mit ihren Säuglingen einmal im Monat in einen wohnlich eingerichteten
Beobachtungsraum, in dem sie sich entspannt, ungestört und wie zu hause mit ihrem Baby
unterhalten und mit ihm spielen sollten. Die Kinder sollten sich möglichst in einem gesättigten,
ausgeschlafenen und aktiven Wachzustand befinden. Als Anregung gab es vier verschiedene
Stofftiere und zwei Bilderbücher in diesem Raum, der durch eine Glasscheibe vom Nebenraum
aus einsichtig war. Außerdem wurde das Geschehen im Beobachtungsraum noch durch
Videokameras und spezielle Mikrophone festgehalten.
7
Für die zeitaufwendige Auswertung wurden die Aufzeichnungen von acht verschiedenen
Untersuchungszeitpunkten ausgewählt: 2., 3., 5., 7., 9., 11., 13. und 15. Monat.
2.4 Untersuchungsergebnisse von Papoušek et al.: (vgl. Papoušek, 136ff)
Struktur der mütterlichen Sprache vom 2. bis zum 15. Lebensmonat des Kindes
Die nachfolgende Tabelle (Seite 10) zeigt übersichtlich die Ergebnisse der Studie von Papoušek
et al. Dabei lassen sich einige stabile Merkmale der mütterlichen Sprechweise feststellen, die
sich über die Beobachtungsmonate 2 bis 15 konstant zeigten. Andere Merkmale der
mütterlichen Sprechweise variierten in ihrer Ausprägung und in ihrer Art. Dies hing vom
jeweiligen Entwicklungsstand und vom Interesse des Kindes ab. Das Alter der Kinder wird von
Papoušek et al. in das Vorsilbenalter (0-5 Monate), in das Silbenalter (ca. 5-13 Monate) und in
das Alter des ersten Auftretens von Wörtern (ca. 13-15 Monate) eingeteilt. Besonders
herausgestellt werden die Aspekte des Sprachinhalts, der linguistischen und der prosodischen
Merkmale der mütterlichen Sprechweise.
Die Abbildungen 40 und 42 aus Papoušek (S. 137, 139) verdeutlichen einige wichtige
Beobachtungen in ihrer Häufigkeit und Ergänzung zueinander.
Abbildung 40 zeigt, dass die gesprächsfördernden Äußerungen bis zum 11.
Monat konstant abnehmen, während die
spiel- und nachahmungsfördernden
Äußerungen stark zunehmen. Zu Anfang
dominieren die gesprächsfördernden
Äußerungen der Mutter. Es geht hier
primär um Beziehungnahme zwischen
Mutter und Kind. Das Verhalten und
Befinden des Kindes steht im Zentrum
der Interaktion.
Um den 11. Monat herum lässt die
Mutter ihrem Kind die Zeit und die
Möglichkeit zum Spiel, zum Monolog
oder zur Exploration der Umwelt,
während sie die Möglichkeit hat, ihr
Kind bei seinen Tätigkeiten zu
beobachten.
8
Ab dem 13. Monat nehmen die gesprächsfördernden Äußerungen der Mutter wieder zu, damit
das Kind in der Interaktion die ersten Begriffe kennen lernen und selbst mit den ersten
Wörtern in den verbalen Dialog eintreten kann.
Abbildung 42 verdeutlicht die Wichtigkeit der Prosodie in der vorsprachlichen Kommunikation. Melodische Gesten zum Anregen des
Blickkontaktes, der Aufmerksamkeit, der
Vokalisation oder anderen Beiträgen zum
Dialog, zum Belohnen oder Ablehnen,
zum Beruhigen oder zum Verschieben des
Fokus der Aufmerksamkeit sind weit
häufiger zu beobachten als melodische
Wiederholungen oder Wortlautwiederholungen. Sie sind im Vorsilbenalter am
ausgeprägtesten, werden zwischen dem 5.
und 7. Monat weniger und nehmen
zwischen dem 9. und 15. Monat wieder
zu. Jetzt wird besonders auch durch
deiktische Gesten deutlich gemacht, um
welche Dinge es gerade in der Interaktion
geht. Nur so kann das Kind begreifen, welche Wörter welchen Gegenständen zugeordnet
werden. Melodische Wiederholungen wie zum Beispiel bei „Was MACHST du denn da? Die
FÜSSchen nach oben!“ sind aber noch weit häufiger festzustellen als Wortlautwiederholungen. Nur sinntragende Wörter werden (hier wieder mittels der Prosodie) hervorgehoben
und wiederholt.
Der mütterliche Input ist also melodisch sehr vielfältig. Die Prosodie spielt in der
mütterlichen Sprechweise in den Lebensmonaten 2-15 ihres Säuglings eine sehr große Rolle.
Die Ergebnisse zeigen und bestätigen, dass sich die Mutter in ihrem Sprachverhalten intuitiv
an den jeweiligen Entwicklungsstand ihres Säuglings anpasst.
Man kann von einer didaktischen Feinabstimmung der Mutter sprechen, die von dem
kindlichen Entwicklungsstand und der Lernbereitschaft des Kindes bestimmt wird.
Die vorsprachliche Kommunikation wird somit zu einem natürlichen Sprachkontext gestaltet,
der durch seine komplementären, kompensatorische, erleichternden und motivierenden
Eigenschaften und Funktionen gekennzeichnet ist.
9
Vergleich der mütterlichen Sprachanpassung im Vorsilben-, Silben- und beginnendem Sprechalter
Variable Merkmale (je nach Entwicklungsstand u. Interesse des Kindes)
Sprachinhalt
Linguistische
Merkmale
Prosodische
Merkmale
10
Mütterliche Sprechweise
Mütterliche Sprechweise im
Mütterliche Sprechweise beim
im Vorsilbenalter
Silbenalter
Auftreten d. ersten Wörter
40,6% gesprächsfördernde
Äußerungen;
inhaltliche Ausrichtung der
Sprache auf das Befinden
und Verhalten des Kindes
Weniger gesprächsfördernd; viele
spiel- u. nachahmungs-fördernde
Äußerungen: exploratives Spiel
mit Gegenständen, musikal.rhythm. Anregungen,
selbsterfundene oder traditionelle
Spielchen, musikalische
Anregungsformen;
27,4 Äußerungen /Min.;
Äußerungsrate halbiert sich;
viele explizite Fragen
Pausen verlängern sich – Mutter
 Gesprächsförderung
beobachtet Kind beim Spiel oder
komplexere Syntax;
beim Monologisieren
5,7% aller Äußerungen deutlich
wenig deutliche Artikulation artikuliert;
im 7.+9. Monat viele eigene
Wiederholungen d. Mutter
5. Monat: stärkere
melodische Konturen:
verlangsamt, rhythmisiert
mit niedrigem Artikulationstempo und besonders
gedehnten Silben
3. Monat: 3,5 Silben/Sek.;
starke Silbendehnung;
auffallend viele melodische
Gesten
 Gesprächsförderung
Viel weniger melodische
Konturen;
7. Monat: mehr Silben/Sek.
weniger melodische Gesten;
Stabile Merkmale
gesprächsfördernde Äußerungen
nehmen wieder zu
Meistens frei von linguistisch
relevanter Information;
inhaltliche Ausrichtung der
Mutter auf kindliche Vokalisation u. Dinge, die die Mutter in
den Fokus der Aufmerksamkeit
rückt;
Äußerungsdichte nimmt mit
vereinfachter Syntax wieder zu;
noch mehr explizite Fragen
 Wortschatzbildung;
Vokabular der Kindersprache
 Einüben des Benennens
Vollständige Satzstrukturen
kommen eher selten vor;
vereinfachte Syntax (max. 5
Wörter);
wenig Aufforderungen; deutliche
Artikulation eher selten
– auf durch Intonation hervorgehobenes, sinntragendes Wort
beschränkt
bis 13. Monat Wiederholung der
sinntragenden Wörter in versch.
linguistischen Kontexten
15. Monat: stärkere melodische
Konturen;
15. Monat: 4,6 Silben/Sek.;
mehr melodische Gesten und
deiktische Gesten
 Einüben der Benennungen
Stimmumfang auf 2 Oktaven
ausgedehnt;
erhöhte Stimmlage;
viele melodische Wiederholungen
3. Bedeutung der natürlichen Sprachumwelt für die Entwicklung von
Sprachwahrnehmung und Sprachverständnis
3.1 Pränatale „Sensibilisierung“ der Aufmerksamkeit für die Muttersprache
(vgl. Papoušek, S. 145ff)
Durch verschiedenste Untersuchungen konnte bestätigt werden, dass der menschliche Fetus
schon ab der 32. Schwangerschaftswoche hört. Er nimmt im Mutterleib niederfrequente
Komponenten der mütterlichen Sprache und die Herz- und Gefäßgeräusche der Mutter wahr
(Querleu et al., 1988).
Studien, bei denen die Saugaktivität Neugeborener beim Abspielen der mütterlichen Stimme
und beim Abspielen einer fremden weiblichen Stimme gemessen wurde, ergaben, dass die
Neugeborenen schon direkt nach ihrer Geburt ihre Mutter an der Stimme wiedererkennen
(DeCaspar & Fifer, 1980). Die mütterliche Stimme wird also einer fremden Frauenstimme
vorgezogen. Vorlieben der väterlichen Stimme oder einer anderen männlichen Stimme sind
nicht nachgewiesen.
Andere Untersuchungen aber zeigen, dass die mütterliche Stimme nur präferiert wird, wenn
die Mutter intoniert spricht. Bei monotoner Sprechweise der Mutter, wendet sich das Kind
einer fremden weiblichen Stimme zu, die intoniert spricht (Mehler, et al., 1978). Der Aspekt
der intonierten Sprache scheint dementsprechend aufmerksamkeitssichernder zu sein, als
allein der der mütterlichen Sprache.
Der Fetus bearbeitet aber auch stimmspezifische Merkmale der Sprache an sich.
Zwei Wochen alte Säuglinge bevorzugen von zwei Kindergeschichten die, die ihre Mutter
ihnen 6 Wochen vor der Geburt täglich vorgelesen hat - auch dann, wenn sie von einer
fremden Frau vorgelesen wird (DeCaspar & Spence, 1986). Die bekannte Sprachmelodie
zieht also stärker die Aufmerksamkeit des Säuglings auf sich als die mütterliche Stimme.
Neugeborene und zwei Monate alte Säuglinge können sogar schon Äußerungen der
Muttersprache von solchen einer Fremdsprache unterscheiden. Zwei Fremdsprachen können
sie jedoch nicht voneinander unterscheiden. Diese Fähigkeit geht verloren, wenn die
Sprachproben rückwärts gespielt werden (Mehler et al., 1988). Die Melodie der Sprache ist
entscheidend.
Unklar ist heute noch, ob die Sensibilität des Säuglings, seine Aufmerksamkeit auf die
Stimme und Sprache der Mutter und besonders auf die Prosodie der Sprache zu richten,
genetisch bedingt ist oder auf pränatale Erfahrungen zurückzubeziehen ist.
Trehub & Trainor (1993) gehen von angeborener Präferenz für die hohe Stimmlage der
weiblichen Stimme aus. Andere Autoren gehen wiederum von einer angeborenen Eigenschaft
11
zur Wahrnehmung und Bearbeitung prosodischer Konturen aus, die die Aufmerksamkeit der
Kinder auf die Melodik der Sprache lenkt.
Die mütterliche Sprache kommt dieser kindlichen Sensibilisierung auf die prosodischen
Merkmale der mütterlichen Sprache entgegen, indem sie die prosodischen Merkmale in
besonders auffälliger, vereinfachter, verdeutlichter Form und in unzähligen Wiederholungen
anbietet (siehe Motherese). Das Kind beantwortet eine solche Sprechweise mit Lächeln und
Vokalisation.
3.2 Entdecken von strukturellen Einheiten in der sprachlichen Umwelt
(vgl. Papoušek, S. 147ff)
Die sprachliche Umwelt eines Säuglings ist zunächst einmal die Mutter oder eine andere
Bezugsperson. Es gilt also erst zu untersuchen, wie diese primäre sprachliche Umwelt des
Säuglings auf dieses einwirkt:
Vier bis fünf Monate alte Säuglinge, die Videoaufnahmen betrachten, auf denen eine Mutter
zu einem Säugling spricht, werden glücklicher, aufmerksamer und interaktionsbereiter
eingeschätzt, als wenn sie ein Video betrachten, auf dem zwei Erwachsenen zueinander
sprechen (Werker & McLeod, 1989). Die „Ammensprache“ (entspr. Motherese) wirkt sich
emotional auf die Säuglinge aus.
Die Kinder ziehen auch durch eigene Kopfbewegung zum Playback einer Ammensprache
diese der Erwachsenensprache vor (Fernald, 1985). Dies wiederholt sich, wenn man dem
Säugling nur die prosodische Struktur der Ammensprache anbietet – aber nicht, wenn nur die
Intensitäts- oder Zeitstruktur der Ammensprache vorgespielt wird (Fernald & Kuhl, 1987).
Einmonatige Säuglinge zeigen eine deutlich längere Aufmerksamkeitsdauer für visuelle
Stimulation, wenn sie dabei Ammensprache hören (Cooper & Aslin, 1989).
Die Attraktivität der Ammensprache wird auf die erhöhte Stimmlage zurückgeführt, die den
relativ niedrigen Hörschwellen für höhere Frequenzen der Säuglinge entgegenkommt
(Sinnott, Pisoni & Aslin, 1983).
Die Ammensprache erleichtert dem Kind, strukturelle Einheiten der sprachlichen Umwelt zu
entdecken. Der Säugling bearbeitet nämlich melodische Konturen als globale Muster, als
Gestalt. Ein globales Muster lässt sich am Figur-Hintergrund-Kontrast, an der Kohärenz und
an der Prototypikalität erkennen. „In der auditiven Wahrnehmung wird die zeitliche Kohärenz
einer Tonfolge verbessert durch die Einfachheit der Kontur (Divenyi & Hirsh, 1974),
gleitende Übergänge, gemeinsame Klangfarbe und einfache harmonische Beziehung der
Elemente (Bregman & Dannenbring, 1973). Die Differenzierung und Kategorisierung von
12
auditiven Mustern wird durch prototypische Beispiele erleichtert, die die kritischen Merkmale
besonders gut und deutlich repräsentieren (Grieser & Kuhl, 1989)“ (vgl. Papoušek, S. 148).
Die prototypischen Melodien der mütterlichen Sprechweise erfüllen die Bedingungen der
Gestaltwahrnehmung als natürliche auditive Umwelt des Säuglings (Papoušek et al., 1985).
Langsames Tempo, häufige Wiederholungen mit aufmerksamkeitssichernden Variationen und
der Rückgriff der Mütter auf wenige kontrastreiche, prototypische Konturen sind die basalen
Voraussetzungen dazu, dass Säuglinge Sprache integrativ bearbeiten und sie erfolgreich
erlernen können (Papoušek, 1969; 1977).
Die melodischen Konturen unterteilen den Sprachfluss. Hierdurch ist es dem Säugling
möglich, globale Grundeinheiten der Sprache aufzuspüren, wahrzunehmen und zu
kategorisieren (Fernald, 1984; Papoušek et al., 1985; Stern et al., 1982). Außerdem wird so
dem Säugling ein Modell angeboten, mit dem es die Stimmgebung, die melodische
Modulation und die vokalartigen Resonanzen der Muttersprache erkennen lernen und
erproben kann (Papoušek & Papoušek, 1989c).
Die Entwicklung der auditiven Aufmerksamkeit des Säuglings im vorsprachlichen Alter
scheint schrittweise wie folgt vor sich zu gehen (nach Trehub & Trainor, 1993):
(1) Säuglinge richten ihren Kopf zu Schallquelle aus;
(2) Sie wenden ihre Aufmerksamkeit selektiv auf die Stimme der Mutter und auf die
Muttersprache;
(3) Sie wenden ihre Aufmerksamkeit auf die melodischen Konturen der mütterlichen
Sprechweise und auf melodische Konturen von nicht-sprachlichen Sequenzen;
(4) Sie integrieren prototypische Konturen global und nehmen immer mehr Unterschiede
und Details wahr;
(5) Sie gehen vom globalen zum lokalen Bearbeiten der in den Konturen enthaltenden
Lautsequenzen über.
3.3 Entdecken von Bedeutung in Grundeinheiten der sprachlichen Umwelt:
Vorläufer des Sprachverständnisses (vgl. Papoušek, S. 149ff)
Mütter benutzten in der Kommunikation mit ihrem Säugling gut unterscheidbare Prototypen,
die jeweils im engen Zusammenhang mit der aktuellen Interaktionssituation stehen. Dies
geschieht vor allem bezüglich der basalen Dimensionen der intuitiven elterlichen
Früherziehung (wie etwa Anregen, Beruhigen, Belohnen, Ablehnen des Kindes und Öffnen
oder Abschließen eines Sprecherwechsels im Dialog) (Papoušek et al., 1991) und bezüglich
intuitiver Verhaltensformen der mütterlichen Fürsorge für das Kind (wie der Beeinflussung
der Befindlichkeit und der Aufmerksamkeit des Kindes, des Einforderns von kindlichen
13
Dialogbeiträgen, der Regulation von Erregung und Aufmerksamkeit, des Einübens von
Blickverhalten, der Mimik, der Vokalisation, des Nachahmens und des Spiels) (Fernald,
1992; Papoušek, 1991). Zum Beruhigen des schreienden Säuglings spricht die Mutter eher tief
mit langsam fallenden Melodien. Zum Anregen der Aktivität des Kindes hingegen nutzt sie
hohe Frequenzen und steigende Melodien.
Die prototypischen Sprachmelodien der Mutter, die alltäglich wiederholt werden, verdeutlichen also in der Interaktion mit ihrem Kind die Bedeutung und die Intention des Gesagten.
Man könnte die melodischen Konturen im jeweiligen Interaktionskontext als Träger von
basalen Botschaften bezeichnen. Diese kontextspezifischen melodischen Konturen werden so
zu integralen Komponenten der jeweiligen Interaktionsrahmen. Das Kind lernt sie schon
innerhalb seiner ersten Lebensmonate zu differenzieren, zu konzeptualisieren und zu
antizipieren.
Die melodischen Konturen, die von der Mutter angeboten werden, tragen „keine referentielle
Information im linguistischen Sinne, erfüllen jedoch die Voraussetzungen der PräRepräsentation im Sinne von Marler und Mitarbeitern“ (vgl. Papoušek, S. 150). Sie richten
lediglich die Aufmerksamkeit und die Integrationsbereitschaft des Säuglings auf die
Handlungen und Gegenstände im Kontext. Das Kind kann so in der jeweiligen
Interaktionssituation angemessen reagieren.
a) multimodale Stimulation und transmodale Integration
Das Kind wird von seinen Eltern in der Interaktion vielfältig stimuliert. Die melodische
Stimulation, wie schon zuvor erläutert, beschreibt die hörbare Komponente von multimodalen
Anregungsformen. Daneben regen die Eltern ihren Säugling aber auch nonverbal durch ihren
Gesichtsausdruck und durch taktil-kinästhetische Formen an (Sullivan & Horowitz, 1983b).
Diese multimodalen Stimulationen, die dem Kind angeboten werden, werden von diesem
transmodal integriert. Das heißt, dass das Kind schon sehr früh lernt, die taktilen und
visuellen Erfahrungen (Meltzhoff & Borton, 1979; Spelke, 1979), die es macht, mit der
visuellen und auditiven Wahrnehmung von Sprachlauten zu integrieren (Kuhl & Meltzhoff,
1984). Weiterhin lernt das Kind, die prosodischen Einheiten der Sprache, die ihm angeboten
werden, auf sein eigenes Verhalten zu beziehen (Papoušek, 1969; Watson, 1972).
b) prosodisch in den Kontext eingeführte Wörter
Der Zusammenhang zwischen multimodaler Stimulation und transmodaler Integration spielt
vor allem ab dem sechsten Lebensmonat des Kindes eine große Rolle. Die Eltern nehmen
gemeinsam mit ihrem Kind Bezug auf Gegenstände, Handlungen und Personen. Dies
14
geschieht durch Ko-Orientierung und Kooperation und stellt die unersetzbare Grundlage für
die Entwicklung des sprachlichen Bezugnehmens dar (Bruner, 1975; Collis & Schaffer, 1975;
Tomasello & Todd, 1983). Das Kind muss dabei in der Interaktion feststellen, welche
Einheiten der gehörten Sprache sich auf welchen Gegenstand beziehen.
Um die Aufmerksamkeit des Kindes auf einen Gegenstand oder auf ein Ereignis zu lenken,
benutzt die Mutter multimodale nicht-sprachliche Gesten (Blickrichtung, Zeigen, Anbieten,
aufmerksamkeitslenkende Melodik) und füllt diese Gesten mit Benennungen. Die bedeutungstragenden Wörter hebt sie durch Intonation deutlich hervor (West & Rheingold, 1978).
„Der Prosodik der Sprechweise kommt wohlmöglich eine sehr viel weitreichendere und
früher wirksame Vermittlungsfunktion zwischen Sprache und Kontext zu, als früher
angenommen“ (vgl. Papoušek, Seite 152).
Papoušeks Analysen deuten auf vier einander ergänzende Strategien hin, mit denen die Mütter
durch kontextspezifische Prosodik gewisse Wörter in bestimmte Erfahrungskontexte des
Kindes integrieren:
(1) Vorsilbenalter: Rufkonturen, zum Anregen des Blickkontaktes (hallo, guckguck,
schau mal, Name des Kindes); steigende Melodien zum Anregen einer Antwort (hm,
gell, ja, was denn); steigend-fallende Lobmelodien (ja, fein, ei, prima, gut, schön, toll);
kurze ablehnende Melodien (nein, nicht); aufmerksamkeitslenkende steigend-fallende
Melodien (da, wo ist..., zeig mal..., schau mal...)
(2) Aktionsbeschreibende oder –begleitende Wörter werden in Zeitstruktur, Intensität,
Melodie und Stimmqualität mit der Dynamik der Aktion synchronisiert und
abgestimmt (hoppa hoppa, hau ruck, ja feste, weg, plumps, zack)
(3) Prosodische Struktur bestimmter Wörter vermitteln interaktive Spielchen und
Routinen (guckguck – da!, so groß bist du!, mach bittebitte, da – danke)
(4) Prosodisches Markieren von Gegenstandsnamen in Kontexten der gemeinsamen
Aufmerksamkeit oder von Verben in verhaltensbezogenen Interaktionsrahmen
(strampelst du, erzähl was, ja lach doch mal), bedeutungstragende Wörter werden mit
stärkster melodischer Kontur versehen und wird verlangsamt gesprochen.
3.4 Vorsprachliche Bearbeitung linguistischer Information
(vgl. Papoušek, S. 153ff)
Man könnte den menschlichen Säugling ein „Sprachentalent“ nennen, denn er kann zunächst
alle Vokale und Konsonanten der verschiedensten Sprachen der Welt hören und bilden.
Außerdem ist er in der Lage, die auditive Information mit der visuellen Information der
entsprechenden Artikulationsbewegung zu verknüpfen (Eimas, 1974; Eimas & Miller, 1980;
15
Kuhl & Meltzhoff, 1984). Erst mit der Zeit differenziert der Säugling so weit, dass er nur
noch die Vokale und Konsonanten der Muttersprache übt.
Neuere Untersuchungen zeigen, dass Säuglinge als Grundeinheit der Sprache nicht die
einzelnen phonetischen Segmente, sondern Silben wahrnehmen und speichern (Bertoncini et
al., 1988). Nach Jusczyk (1991) spielt die Silbe bei der Strukturierung von segmentalen und
supra-segmentalen Aspekten der Sprache eine große Rolle.
Die spezifische Sprechweise der Mutter zu ihrem Säugling umgrenzt durch die prosodischen
Konturen die ganz basalen strukturellen Einheiten der Sprache, wie Sätze, Phrasen und
Wörter und erfüllt so eine einfache syntaktische Funktion. Das Kind kann dadurch zwischen
Kommentaren, Fragen oder Aufforderungen unterscheiden lernen. Prosodische und
grammatische Einheiten der mütterliche Sprechweise entsprechen hier viel stärker einander
als in der Erwachsenensprache und werden deutlicher markiert (Stern et al., 1982; Ratner,
1985). Man könnte sagen, dass dem Kind Sprache modellhaft angeboten wird.
Im Vorsilbenalter besteht der linguistische Inhalt der prosodischen Einheiten der Mutter
meistens zwischen ein bis drei Silben (Papoušek et al., 1987). Anschließend werden vor allem
die bedeutungstragenden Wörter durch prosodische Mittel (starkes Anheben der Stimme,
Verlangsamung, Betonung) oder durch Endstellung hervorgehoben (Fernald & Mazzie, 1991;
Papoušek, 1981; Woodward & Aslin, 1990). Dies findet vor allem bei neun bis vierzehn
Monate alten Kindern in solchen Rahmenhandlungen wie Bilderbuchanschauen oder
spielerischen Interaktionen statt (Woodward & Aslin, 1990; Fernald & Mazzie, 1991;
Papoušek, 1981).
Die gerichtete Aufmerksamkeit der Säuglinge auf die prosodischen Konturen der Sprache
beschreibt Jusczyk (1991) als wichtigsten Schritt für das Entdecken der linguistischen
Strukturmerkmale der Muttersprache. Die Intonation bei 1- bis 4-monatigen Kindern
(Vorsilbenalter) ist entscheidend wichtig, damit sie die Einzelsilben bei mehrsilbigen Wörtern
voneinander unterscheiden können (Karzon, 1985). Nur wenn die Zielsilbe durch Steigerung
der Tonhöhe, Intensität und Dauer hervorgehoben wird, kann das Kind Silbenfolgen
beispielsweise bei Minimalpaaren (malana / marana) voneinander unterscheiden lernen.
„Die Daten weisen darauf hin, dass der Säugling primär universelle Segmentierungsmerkmale aufnimmt, womöglich zufolge einer angeborenen perzeptuellen Disposition, dass er
zwischen 4 und 6 Monaten seine Aufmerksamkeit auf die prosodischen Satz-Einheiten der
Muttersprache ausrichtet und ab 9 Monaten bereits die akustischen Korrelate von
untergeordneten Einheiten bearbeitet“ (vgl. Papoušek, S. 155).
16
4. Bedeutung von sprachlicher Umwelt und Interaktionsrahmen für die frühe
expressive Sprachentwicklung (vgl. Papoušek, S. 168ff)
(Carolin Jurke)
Es gibt individuelle Unterschiede im frühen Spracherwerb. Diese Unterschiede wurden in
zahlreichen Studien übereinstimmend beschrieben:
-
Stil oder Strategie
-
Beginn und Tempo
(Bates et al., 1988; Goldfield & Snow, 1985; Nelson, 1981)
4.1 Stil oder Strategie
Nelson (1973) führte bei 18 Kindern eine Analyse der ersten 50 Wörter durch. Dabei fiel ihm
auf, dass sich Kinder mit gleich großem Wortschatz „in der Zusammensetzung und im
Gebrauch ihres Wortschatzes unterscheiden“ (vgl. Papoušek, S. 168).
Er beschrieb daraufhin zwei Spracherwerbsstrategien:
Referentieller Stil
Objektbezogenes Vokabular und
gelegentliche telegraphische Zwei-WortVerbindungen
Wortschatz:
- hoher Anteil an Objekt/PersonNamen und Einwortäußerungen im
Wortschatz der ersten 50 Wörter
- selektive Nachahmung von
Objektnamen
- größere Flexibilität im Gebrauch
einzelner Wörter
Phonologie:
- deutliches Artikulieren
- konsistente Aussprache einzelner
Wörter
- viele gut differenzierte
Konsonantentypen
Pragmatische Ebene:
- Orientierung auf Objekte
Expressiver Stil
Persönlich-sozial ausgerichtetes Vokabular
und formelhafte Phrasen
Wortschatz:
- niedriger Anteil von Namen
- handlungsbezogene, sozialregulative
Wörtern überwiegen
- früh auftauchende grammatisch
komplette formelhafte Phrasen
- Nachahmung aller Arten von Wörter
Phonologie:
- undeutliche Artikulation
- variable Aussprache
- wenige Konsonanten
- ausgeprägte prosodische Modulation
(Jargon)
Pragmatische Ebene:
- Ausrichtung auf Personen und auf die
Regulation der sozialen Interaktionen
(vgl. Papoušek, S. 168)
Nelson betonte aber auch, dass die Mehrzahl der Kinder Elemente aus beiden Stilen benutzen.
Die Existenz unterschiedlicher Spracherwerbsstrategien wird heute nicht mehr bezweifelt
(Pine & Lieven, 1990).
17
„Eine wichtige Einflussgröße scheint das sprachliche Entwicklungsalter bzw. die Größe des
Wortschatzes zu sein“ (vgl. Papoušek, S. 169).
Die Interpretationen und die Grundlage der stilistischen Unterschiede werden jedoch
kontrovers diskutiert (Bates et al., 1987):
-
„Unterschiede im Lernstil und kognitiven Stil des Kindes (analytisch versus
holistisch) (Bretherton et al., 1983; Ferguson, 1979; Peters, 1977)
Diese Unterschiede werden mit Unterschieden in der Reifungsrate zwischen
rechter und linker Hemisphäre in Verbindung gesetzt.
-
Unterschiede im mütterlichen Stil (objektorientiert versus aktionsorientiert)
(Della Corte, Benedict & Klein, 1983; Furrow & Nelson, 1984)
-
Unterschiede im kindlichen Temperament (introvertiert versus extrovertiert)
-
Unterschiede in der Vorliebe für die eine oder andere Sprachmodalität
(Sprachverständnis versus Sprachproduktion) (Bates et al., 1987)“
(aus: Papoušek, S. 169).
Es fehlen jedoch noch empirische Untersuchungen „über die Grundlagen der individuellen
Variabilität. Künftige Untersuchungen sollten in besonderem Maße die individuellen
Erfahrungen des Kindes in der vorsprachlichen Kommunikation einbeziehen“ (vgl. Papoušek,
S. 169).
4.2 Beginn und Tempo
Man nimmt an, dass Beginn und Tempo der Wortschatzentwicklung hauptsächlich von
genetischen Faktoren bestimmt werden. Diese Annahme wird jedoch durch keine eindeutige
empirische Untersuchung bestätigt (Huttenlocher et al., 1991).
„Versteht man die Wortschatzentwicklung als Funktion der kindlichen Fähigkeit, aus dem
Sprachangebot der Umwelt zu lernen“, dann kann dieser Lernprozess beeinflusst werden
(vgl. Papoušek, S. 170).
Die Wortschatzentwicklung wird durch den Umfang des Sprachangebots beeinflusst.
Mütter, die z.B. in Spielsituationen mehr mit ihrem Säugling sprechen, haben Kinder mit
einem größeren Vokabular (Smolak & Weinraub, 1983). Dies wurde auch in ethnografischen
Vergleichsstudien nachgewiesen (Schachter, 1979).
Auch die Qualität des Sprachangebots wirkt sich auf die Wortschatzentwicklung aus.
Das Kind erwirbt seinen Wortschatz normalerweise langsam. Der Erwerb zieht sich über
mehrere Monate hin. Zwischen dem 16. und 20. Monat kommt es zu einem sogenannten
Wortschatzspurt (Goldfield & Reznick, 1990). „Der Spurt beginnt, sobald die Kinder einen
18
Wortschatz von 30 bis 50 Wörtern erprobt haben (Benedict, 1979; Nelson, 1973)“ (vgl.
Papoušek, S. 171).
Neuere Untersuchungen zeigten jedoch, dass nur ca. 72% der Kinder dem Wortschatzspurt
folgen. Die restlichen Kinder (28%) erweitern ihren Wortschatz langsam und stetig (Goldfield
& Reznick, 1990). Sie gehören der Gruppe der Zweitgeborenen an. Die Unterschiede im
Wortschatzerwerb lassen sich dadurch erklären, dass Zweitgeborene durch eine andere
Sprachumwelt, im Gegensatz zu Erstgeborenen, geprägt werden. Die Sprachumwelt der
Zweitgeborenen weist qualitative Unterschiede zur Sprachumwelt der Erstgeborenen auf.
Außerdem hat „die mütterliche Unterstützung der kindlichen Aufmerksamkeit für Objekte der
Umwelt“ einen positiven Einfluss auf den Spracherwerb (vgl. Papoušek, S. 171).
Diese positive Wirkung kann jedoch nur dann entstehen, wenn die Mutter der spontanen
Ausrichtung des kindlichen Interesses folgt. Sie sollte nicht versuchen, die kindliche
Aufmerksamkeit auf einen anderen Bezugspunkt zu lenken. Das Umlenken der
Aufmerksamkeit wirkt sich eher negativ auf den Spracherwerb aus (Akhtar, Dunham &
Dunham, 1991).
4.3 Elterliche Sprachanpassung
Zusätzlich spielt auch die Qualität der elterlichen Sprachanpassung im vorsprachlichen Alter
eine Rolle. Es wird angenommen, dass sich die elterliche Sprachanpassung auf das
Sprachverständnis und die Wortschatzentwicklung auswirkt. Diese Annahme wurde jedoch
kaum empirisch überprüft.
„Auf der Grundlage neuerer Analysen von Prosodik und Sprachstruktur der elterlichen
Sprechweise lässt sich die „Motherese – Hypothese“ derzeit differenzierter formulieren:
1. Die Anpassungen der mütterlichen Sprechweise sind primär auf die Ebene der
Sprachwahrnehmung des Kindes abgestimmt und ermöglichen und fördern dadurch
die Entwicklung des Sprachverständnisses.
2. Da die Entwicklung der Sprachwahrnehmung im Säuglingsalter der expressiven
Sprachentwicklung vorausgeht, resultiert daraus, dass das mütterliche Sprachangebot
tendenziell den produktiven Fähigkeiten des Kindes einen Schritt voraus ist (nach
Vygotsky (1978) in der „Zone der proximalen Entwicklung“) und dass es damit dem
Kind Gerüst, Anreiz und Modell zu Lernen neuer Strukturen gibt.
3. Das Profil der mütterlichen Sprechweise wird sukzessive dem individuellen
Entwicklungsstand in Sprachwahrnehmung und Sprachverständnis angepasst. Jedes
Entwicklungsalter bedarf daher eines spezifischen Profils für eine optimale Förderung
von Sprachverständnis und expressiver Sprachentwicklung“
19
(aus: Papoušek, S. 172).
Es gibt von Murray, Johnson & Peters (1990) eine erste exemplarische Studie, die die
Hypothese, „dass eine syntaktische Feinabstimmung der mütterlichen Sprache auf den Beginn
des Wortverständnisses und der intentionalen Kommunikation mit 9 Monaten das
Sprachverständnis mit 18 Monaten positiv beeinflusst“, überprüft
(vgl. Papoušek, S. 172/173).
Bei dieser Studie wurde die syntaktische Komplexität und die Menge der mütterlichen
Äußerungen in Spielsituationen mit ihren 3, 6 und 9 Monate alten Säuglingen bestimmt.
Zusätzlich wurde die Qualität des häuslichen Milieus (mit der HOME- Skala) bestimmt, „die
eine Einschätzung des mütterlichen Engagements und der allgemeinen sprachlichen
Responsivität einschließt“ (vgl. Papoušek, S. 173).
Die Ergebnisse der Studie waren:
-
Mütter mit positivem HOME - Score reduzieren die syntaktische Komplexität im
9. Monat von 3,8 auf 2,8 Morpheme.
-
Die Menge des Sprachangebots mit 3,6 und 9 Monaten und die syntaktische
Vereinfachung der Sprache mit 9 Monaten trug positiv zum Sprachverständnis mit
18 Monaten bei.
-
Ein Einfluss auf die Sprachproduktion mit 18 Monaten konnte nicht nachgewiesen
werden.
(vgl. Papoušek, S. 173)
Diese Studie weist jedoch auch Schwächen auf. Vor allem die Beschränkung auf das
syntaktische Merkmal der Sprache ist problematisch. Es wurde nicht geklärt, wie die anderen
Faktoren der Sprache (prosodische, phonologische und lexikalische) das Sprachverständnis
unterstützen.
4.4 Untersuchungsergebnisse: Zusammenhänge zwischen mütterlichem Sprachangebot
und Wortschatzentwicklung (vgl. Papoušek, S.173ff)
Die Kinder (15 Monate) wurden in zwei Gruppen aufgeteilt:
1. Gruppe mit dem größten interaktiven Wortschatz
2. Gruppe mit dem geringsten Wortschatz
Sie wurden „in Bezug auf Merkmale der vorsprachlichen Kommunikation im 1. Halbjahr (2,
3, 5 Monate), 2. Halbjahr (7, 9, 11 Monate) und zu Beginn des 3. Halbjahres (13, 15 Monate)“
verglichen (vgl. Papoušek, S. 173).
20
Die Kinder mit dem größeren Wortschatz „machten in der vorsprachlichen Kommunikation
mit ihren Müttern von Anfang an Erfahrungen mit einer sprachlichen Umwelt, die sich in
prosodischen und linguistischen Aspekten des Sprachangebotes, Responsivität,
Nachahmungsbereitschaft, Gestaltung der Interaktionskontexte und Interaktionsstil signifikant
von der anderen Gruppe unterschied“ (vgl. Papoušek, S. 173).
In der folgenden Tabelle werden diese Unterschiede dargestellt. Es wird aufgezeigt, wie sich
die Mütter aus der ersten Gruppe im Vergleich zu den Müttern aus der zweiten Gruppe
verhalten.
„Besonders markante Unterschiede zeigten sich im mütterlichen Nachahmungs- und
Modellverhalten und in der wechselseitigen Angleichung von Artikulationsmerkmalen“
(Papoušek, S. 175).
21
Aspekte
Prosodik
3. Halbjahr
ausgedehntere Silbendauer /
verlangsamtere Artikulation
langsameres Sprechtempo
ausgeprägtere Intonation;
dynamisch angepasste Variation der Melodik wurde häufiger verwendet;
besser ausgeprägte melodische Gesten (nur im 2. Halbjahr signifikant)
stärker vereinfachte Syntax
häufigerer Gebrauch von
Linguistik
Wörtern aus
Kindersprachenlexikon
mehr Wortlaufwiederholungen
häufigere deutliche Artikulation
häufigeres Lob
mehr kontingente Antworten
Erhöhte Responsivität
(sie manifestiert sich durch)
ausgeprägteres dialogartiges Abwechseln;
Bereitschaft, kindliche Vokalisation als Wort zu interpretieren
höherer Anteil der kindlichen Vokalisation in
mütterliche Nachahmung
Nachahmung
artikulatorische Nachahmungsprozesse als
insgesamt sowie
Teil von Mutter – Kind – Sequenzen, Kind –
Wortnachahmungen und
Mutter – Sequenzen oder längere reziproke
syntaktisch expansive
Sequenzen eingebunden;
Nachahmungen häufiger
Mütter regten verstärkt zur stimmlichen
Nachahmung an;
nahmen häufiger an explorativen
Nachahmungsspielen teil
Nachahmen von artikulatorisch relevanten Merkmalen:
Vokalen, stimml. Rhythmus, Sprachlauten
Vokale, stimml. Rhythmus, Silben, Wörter
boten häufiger Modelle von korrekt
Modellverhalten
artikulierten Sprachlauten und spielerischexplorativen Lauten an
stimulierten mit vokalen Modellen;
gaben signifikant häufiger Wortmodelle
frühere und deutlichere Ausrichtung auf
häufiger sozial-konventionelle
Interaktionsrahmen
Gegenstände
Routinen
spielbereiter
Interaktionsstil
wurden konsistent als geringgradig, aber signifikant einfühlsam-wärmer und lehrbereiter beschrieben
(vgl. Papoušek, S. 174/175)
22
1. Halbjahr
2. Halbjahr
größerer Stimmumfang;
höherer Stimmlage
Aus den Ergebnissen der Studie kann man vermuten, dass die intuitive Verhaltens- und
Sprachanpassungen zu der positiven Entwicklung der Kinder mit dem frühen Spracherwerb
beigetragen haben.
Neben den Unterschieden im mütterlichen Sprachangebot unterscheiden sich beide Gruppen
auch „schon sehr viel früher als mit 15 Monaten in Merkmalen der kindlichen
Vokalisationsentwicklung“ voneinander (vgl. Papoušek, S. 176).
Aspekte
Früherer Wortschatz
Späterer Wortschatz
Vokalisationsrepertoire Kaum Unterschiede im interaktiven Vokalisationsrepertoire,
jedoch höhere Rate von ausgedehnten melodischen Konturen bei
Kindern (5 Monate) mit frühem Sprachbeginn
Mit 7 Monaten markanter
Im 9. und 11. Monat wird der
Entwicklung
Entwicklungsschub
Vorsprung aufgeholt
- mit 7 Monaten sind sie in
- Grundlaute und einfach
Artikulatorische
mehreren
Merkmalen
ihrer
melodisch modulierte Laute
Entwicklung
Entwicklung den anderen
und zentrale Vokanten
Kindern voraus:
blieben verstärkt erhalten
- produzierten mehr Vokaltypen
- mehr hohe, tiefe vordere und
hohe hintere Vokanten
- höherer Anteil von Vokalisation mit konsonantenartigen
(v.a. mittleren) Elementen
- mehr mittlere und hintere
Plosive und Laterallaute
- mit 13 Monaten machten die
Kinder noch mal einen Schritt
nach vorne:
- produzierten häufiger tiefe
hintere Vokale
- mehr Laute mit
konsonantenartigen (v.a.
vorderen) Elementen
- mehr vordere und (mit 15
Monaten) mehr hintere
Plosive
- mehr vordere Frikative und
Laterallaute
Wortschatzentwicklung Bereits mit 9 Monaten begannen sich die Gruppen in der
Wortschatzentwicklung zu differenzieren.
Die Differenzen nahmen bis zum 15. Monat zu.
Mit 13 Monaten zeigten sich auch erste Differenzen im
Kommunikativer
Wortschatzgebrauch kommunikativen Wortschatzgebrauch.
Sie nahmen bis zum 15. Monat zu.
(vgl. Papoušek, S. 176)
23
Die vorliegende Untersuchung kommt zu folgendem Ergebnis:
Säuglinge mit einer frühen Vokalisations- und Wortschatzentwicklung wachsen sehr
wahrscheinlich in einer sprachlichen Umwelt auf, die ihnen günstige Voraussetzungen für den
Spracherwerb bietet. Umgekehrt wachsen Kinder mit einer verspäteten Entwicklung in einer
weniger optimalen Umwelt auf. Es können jedoch keine allgemein gültigen Aussagen
getroffen werden, da die Stichprobe zu klein ist.
5. Entwicklung der stimmlichen Kommunikationsfähigkeit (vgl. Papoušek, S. 156ff)
Die Fähigkeit des Säuglings zur stimmlichen Kommunikation entwickelt sich aus zwei
Wurzeln:
-
dem spontanen vokalen Ausdruck der Befindlichkeit
-
den früheren Kontingenzerfahrungen in Bezug auf seine Vokalisation
Die Entwicklung der stimmlichen Kommunikationsfähigkeit verläuft etappenweise:
vorsprachl.
Vokalisation
Vorläufer der
intentionalen
Kommunikation
sog. intentionale
Kommunikation
Protowörter und
Wörter
Verknüpfung von
mehreren Wörtern
5.1 Vorsprachliche Vokalisation
Die vorsprachliche Vokalisation besitzt eine Doppelfunktion:
-
artikulatorische Aspekte
-
kommunikative Funktion
In früheren Studien wurde bei der „Erforschung des affektiven Ausdrucks im vorsprachlichen
Alter“ hauptsächlich die Mimik berücksichtigt (vgl. Papoušek, S. 156). Mangels
entsprechender Methoden fehlen „vergleichbare Untersuchungen über die stimmlichen
Äußerungen.“ (vgl. Papoušek, S. 156). Daher ist es bis jetzt noch nicht gelungen, die
vorsprachlichen Vokalisationen diskreten Emotionen zuzuordnen (Scherer, 1986). Man
beschränkt sich daher auf eine einfache Einteilung in positive und negative Vokalisationen
(Lewis, 1936).
24
Neuere Studien untersuchten meist nur den artikulatorischen Aspekt der Säuglingslaute. Die
kommunikative Funktion wurde dabei immer vernachlässigt oder getrennt davon untersucht
(Malatesta, 1981; Scherer, 1986).
Es gab jedoch auch vereinzelt Untersuchungen, die beide Aspekte berücksichtigten (Stark,
1990; Stark, Bernstein & Demorest, 1983; Trevarthen & Marvick, 1986). Dabei stießen Stark
und seine Mitarbeiter auf „vier Stadien der kommunikativen Lautentwicklung:
-
reflexives Stadium
-
reaktives Stadium
-
aktives Stadium
-
kommunikatives Stadium“
(aus: Papoušek, S. 156)
Erst im letzten Stadium kann von einer kommunikativen Funktion der Säuglingslaute
gesprochen werden.
„Artikulatorische und kommunikative Vokalisationsentwicklung werden als zwei
interagierende Subsysteme betrachtet (Stark 1990), deren Fortschritte meist nicht parallel
verlaufen“ (vgl. Papoušek, S. 156).
Als nächstes kann man sich die Frage stellen, wodurch ein kindlicher Laut zum Mittel der
Kommunikation wird. Es reicht auf jeden Fall nicht aus, nur bestimmte Merkmale eines
Lautes zu analysieren. Eine wichtige Rolle spielt auch der Interaktionspartner. Von seiner
Wahrnehmung, Interpretation und Antwort hängt es ab, „ob ein Laut zu einem
Informationsträger wird (Smith, 1977; Papoušek, 1992)“(vgl. Papoušek, S. 157).
Das Schreien eines Säuglings löst z.B. „auf Seiten der Bezugsperson messbare psychophysiologische Erregungen“ (Boukydis & Burgess, 1982) aus (vgl. Papoušek, S. 157). Diese
Erregungen führen dazu, dass die Bezugsperson versucht, die Ursachen des Schreiens zu
beheben.
Diese Annahme wurde durch Playbackstudien (Papoušek, 1989; 1992; 1994) und Analysen
der Kommunikation im natürlichen Kontext bestätigt.
Daher geben bereits die ersten zufälligen Laute der Säuglinge Auskunft über ihre momentane
Befindlichkeit. D. h. ihre Vokalisation ist in einen Interaktionsrahmen eingebettet, bevor sie
in der Lage sind ihre Absichten gezielt mitzuteilen. Der Säugling erfährt dadurch, dass er
seine Vokalisation als Kommunikationsmittel einsetzen kann.
Der Säugling kann z. B. mit Hilfe bestimmter Laute das Verhalten der Eltern beeinflussen.
Auch die Eltern helfen bei der Gestaltung des Interaktionsrahmens mit, indem sie auf die
kindlichen Laute antworten.
25
Auf der einen Seite können Eltern das Kind durch belohnende und/oder nachahmende
Antworten dazu motivieren einen Laut zu wiederholen. Auch das Kind verfolgt dabei ein Ziel.
Es möchte durch die Wiederholung die vertraute Antwort der Eltern auslösen.
Reagieren Eltern auf der anderen Seite nur auf das Schreien des Kindes, lernt das Kind
schnell, das Schreien als Mittel zur Befriedigung seiner Wünsche einzusetzen (Papoušek,
1984)
Weichen die Antworten der Eltern jedoch von der gewohnten Form ab, ist das Kind irritiert
und versucht durch sein Verhalten, die üblichen Antworten bei den Eltern auszulösen.
Der Säugling kann auch mit Hilfe seiner Vokalisation Gefühle und Bedürfnisse ausdrücken.
Die Eltern können nicht nur an der Struktur der Einzellaute, sondern auch am Rhythmus der
Lautkette die Befindlichkeit des Säuglings erkennen.
Die Laute klingen ähnlich wie beim Erwachsenen, je nach Zustand der Befindlichkeit,
unterschiedlich.
Die vokalartigen Laute klingen „entspannter, offener und melodischer im Zustand von
Wohlbehagen oder angespannter, gepresster und geräuschhafter im Zustand von Missbehagen
(Papoušek et al., 1986)“ (vgl. Papoušek, S. 159).
Die Eltern reagieren während einer Interaktion auf die unterschiedliche Vokalisation und
benutzen sie als „Rückkoppelungssignal über den momentanen Zustand“ des Kindes (vgl.
Papoušek, S. 161).
Elterliche Reaktion auf:
Wohlbehagenslaute
stimmliche Äußerungen (Keller &
Schölmerich, 1987)
Sprechweise:
pausieren
anregende steigende und
belohnende steigend-fallende
Melodie in erhöhter Stimmlage
(Papoušek et al., 1986)
(vgl. Papoušek, S. 160)
Missbehagenslaute
taktile und vestibuläre Stimulation (Keller
& Schölmerich, 1987)
Sprechweise:
-
langsam fallende Melodien in
tieferer Stimmlage
(Papoušek et al., 1986)
Außerdem können die Eltern durch die Prosodik ihrer Sprache die Stimulationsintensität
steigern und abschwächen. Diese Steigerung und Abschwächung erreichen sie durch
„Veränderungen von Tonhöhe, Stimmumfang, Dauer, Lautstärke und Zeitmaß“
(vgl. Papoušek, S. 160).
Das Verhältnis zwischen Steigerung und Abschwächung ist ausgewogen.
26
Eltern reagieren auch auf die Laute des Säuglings, wenn sie sich im Nebenzimmer aufhalten
und ihr Kind nicht sehen. Sie können trotzdem seinen momentanen Befindlichkeitszustand
beschreiben.
Dies wurde auch durch gezielte Playbackstudien bestätigt (Papoušek, 1989;1992;1994).
5.2 Vorläufer der intentionalen Kommunikation
Der Säugling wächst in einen Interaktionsrahmen hinein, in dem er erfährt, dass sein
Verhalten zur Erfüllung bestimmter Ziele führt, bevor er zu geplanten Handlungen fähig ist.
Die Mutter verlässt sich nicht mehr nur auf die Vokalisation, sondern auch auf zusätzliche
Schlüsselinformationen, die Aufschluss über die Befindlichkeit des Kindes geben (Scoville,
1984).
„Die Wurzeln der kindlichen Intentionalität sind in den frühen Kontingenzerfahrungen des
Säuglings zu suchen (Bruner, 1975; Papoušek & Papoušek, 1977)“ (vgl. Papoušek, S. 162).
In einer Längsschnittstudie mit Säuglingen im Alter von 6 bis 11 Monaten, „beschrieb
Harding die Entwicklung des kommunikativen Verhaltens als Folge von fünf Stadien, die
durch kindliche kognitive Entwicklungsfortschritte und durch z.T. vorausgreifende
mütterliche Antwortbereitschaften bestimmt werden:
1. prozedurales Verhalten (als Teil globaler Körperbewegungen);
2. objektgerichtetes instrumentelles Verhalten;
3. intentionale Gesten ;
4. intentionale Vokalisationen;
5. und koordinierte kommunikative Verhaltensmuster von Vokalisation, Geste
Blickverhalten“
(aus: Papoušek, S. 162).
Die Mütter bezeichnen schon das prozedurale und instrumentelle Verhalten der Kinder als
kommunikativ. Sie helfen dem Kind damit, „sein Verhalten zunächst als Mittel zum Erreichen
eines Zieles zu identifizieren, bevor es erlernt, das Verhalten als Mittel zur Kommunikation
einzusetzen (Harding, 1983; 1984)“ (vgl. Papoušek, S. 162).
5.3 Sogenannte „intentionale Kommunikation“
Die intentionale Kommunikation wird durch verschiedene Kriterien definiert:
-
regelmäßiges Benutzen von konventionellen referentiellen Gesten wie Zeigen, Anbieten
oder Bitten (Bates et al., 1975; Scoville, 1984)
-
Fähigkeit zur sog. triangulären Aufmerksamkeit, die sich in unmittelbarem Wechsel auf
die Mutter und auf einen Gegenstand ausrichtet (Bates et al., 1975; Scoville, 1984)
27
-
bei ausbleibender Antwort der Mutter wiederholt das Kind seine Bitte in gesteigerter
Form (Marcos, 1987; Galligan, 1987)
-
sie ist eine Fortentwicklung des früheren kommunikativen wirksamen Verhaltens in
komplexeren sozialen Kontexten (Scoville, 1984)
(aus: Papoušek, S. 162/163)
Die intentionale stimmliche Kommunikation wird normalerweise „in spezifischen, Objekte
einschließenden Interaktionstexten analysiert, in denen das Kind eine mütterliche Handlung
als Mittel zum Erlangen eines Objektes erbittet („Proto-Aufforderung“) oder ein Objekt als
Mittel zum Wecken der mütterlichen Aufmerksamkeit benutzt („Proto-Erklärung“, Bates,
Camaioni & Volterra, 1975; Dore, 1975; Greenfield & Smith, 1976; Harding & Golinkoff,
1979)“ (vgl. Papoušek, S. 162/163).
Säuglinge benutzen auch unterschiedliche melodische Konturen. Es kommt darauf an, ob sie
etwas erbitten, fordern, ablehnen usw. (Halliday, 1975; 1979). Daher wird angenommen,
„dass die Säuglinge noch vor den ersten Wörtern die Intonationsstruktur der Muttersprache
erlernen (Crystal, 1986; Papoušek & Papoušek, 1981; Tonkova-Yampols’kaya, 1973)“ (vgl.
Papoušek, S. 163).
Außerdem ist der Gebrauch von Intonationskonturen und die Zuordnungen von prosodischen
Merkmalen und kommunikativen Funktionen individuell und variabel (Dore, 1983). Einige
Kinder neigen vom praeverbalen Alter bis zum Einwortalter zum „differenzierten Gebrauch
von Intonationskonturen (Flax et al., 1990)“ (vgl. Papoušek, s. 164). Diese Beobachtungen
können durch Unterschiede im mütterlichen Verhalten (Gesten) erklärt werden. Dies wurde
bereits durch eine Untersuchung bestätigt (Löffler, 1994).
5.4 Gebrauch der ersten Wörter und Protowörter
(Gopnik et al., S. Marcella Müller)
Gegen Ende des 1. Lebensjahres produzieren die Kinder ihre ersten Protowörter bzw. Wörter.
Die „Babywörter“ für Mutter und Vater ähneln sich sehr in den verschiedenen Sprachen.
Babies verwenden dazu Laute, die sie beim Babbeln spontan produzieren. Unter den ersten
Wörtern, die Babies sagen, befinden sich auch viel andere Wörter, die Erwachsene gar nicht
sofort realisieren, wie gone, there, uh-oh, more oder what’s that?. Kinder versuchen der
Sprache einen Sinn zu geben, indem sie Konzepte anwenden. Sie nutzen die Wörter also so,
wie es für sie selbst Sinn macht. Wenn Kinder anfangen zu sprechen, benennen sie plötzlich
alles und fragen nach dem Namen von dem, was sie sehen. Kinder entdecken, dass alles einen
Namen hat und lernen viele neue Wörter hinzu. Sie entwickeln dabei neue Vorgehensweisen,
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um die Wörter zu erschließen. Diesen Prozess nennt man „Fast-Mapping“ (Das Erstellen
einer Karte). Wenn man dem Kind nun ein neues, sinnloses Wort nennt, wird dieses in den
Wortschatz aufgenommen und bleibt haftender Bestandteil seines Vokabulars.
Sprache wird genauso viel erfunden wie auch gelernt, denn Kinder strukturieren die Sprache
aktiv so um, dass sie ihren eigenen Zwecken angepasst wird.
(vgl. Papoušek, S. 164ff; Carolin Jurke)
Diese Phase wird „durch die Eroberung von drei wichtigen Kompetenzbereichen angekündigt,
die unmittelbar zuvor im vorsprachlichen Alter eingeübt werden:
1. die intentionale Kommunikation mit manuellen und stimmlichen Gesten;
2. das Bezugnehmen mit manuellen und stimmlichen Gesten (referentielle Kommunikation);
3. und die Kommunikation mit Hilfe von konventioneller manueller und stimmlicher Geste,
die ihrerseits die Fähigkeit zur gestischen und stimmlichen Nachahmung voraussetzt“
(aus: Papoušek, S. 164).
Es gibt noch weitere Fähigkeiten, die in der vorsprachlichen Kommunikation vorbereitet
wurden, die zum ersten Gebrauch von Wörtern beitragen:
1. „die artikulatorische Entwicklung von konsistenten, sprachlich akzeptablen
Lautstrukturen, die Mutter und Kind als gemeinsamen Kode entdecken;
2. die Integration der Erfahrungen in den Bezugsrahmen der Interaktion;
3. die Entwicklung der Sprachwahrnehmung, die dem Kind Wahrnehmung und Verständnis
von relevanten linguistischen Einheiten in Bezug auf den Kontext erlaubt;
4. die Entwicklung der Fähigkeiten zur unmittelbaren und verzögerten stimmlichen
Nachahmung“
(aus: Papoušek, S. 165).
Auch die Mutter unterstützt diese Phase in vielfältiger Weise:
1. „durch die Gestaltung geeigneter Interaktionsrahmen in Form von besonderen
ritualisierten Spielchen und Routinen;
2. durch Einführen von Wörtern in die interaktiven Bezugsrahmen mit Hilfe prosodischer
und linguistischer Mittel;
3. durch ihre Bereitschaft, im kindlichen Lautrepertoire auftauchende Lautstrukturen als
Wortkerne aufzugreifen und als Wörter nachzuahmen;
4. und diese in Bezug auf den Kontext in ihren kommunikativen Funktionen zu verstehen
und adäquat zu beantworten“ (aus: Papoušek, S. 165).
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In Studien wurden die ersten Protowörter und Wörter „auf die semantische Struktur des
Interaktionskontextes, auf die pragmatische Funktion, auf den kognitiven Entwicklungsstand
des Kindes und auf die gerüstgebenden unterstützenden Funktionen der Mutter untersucht“
(vgl. Papoušek, S. 165). Dabei wurden quasi-standardisierte Kontexte, alltagstypische Rituale,
Routinen oder Formate (z. B. Erbitten , Geben und Nehmen, Zeigen und Benennen usw.)
ausgewählt.
Es gibt nun ein wichtiges Merkmal, dass bei allen alltagstypischen Ritualen übereinstimmt:
Während der Interaktion richten die Eltern und das Kind ihre Aufmerksamkeit auf
gemeinsame Handlungen oder Gegenstände. Die konsistenten Wörter der Kinder sind an
einen bestimmten Kontext gebunden und können innerhalb dieses Bezugsrahmens verstanden
werden.
Von Greenfield und Smith (1976) wurde eine Methode zur Beschreibung und Klassifikation
der frühen Einwortäußerungen entwickelt:
1. „als Komponente einer Handlung oder Routine („performatives“: /da/, /ei/, /hoppe
hoppe/, /winke winke/);
2. als Ausdruck einer Absicht („volition“: /mama/, /nein/);
3. als Bezeichnung eines Gegenstandes im Fokus der Aufmerksamkeit („indicative
object“: /Teddy/, /Löffel/);
4. als Bezeichnung eines begehrten Gegenstandes („volitional object“: /Ball/);
5. als Bezeichnung eines agierenden Subjektes („agent“: /Papa/, /Hund/);
6. oder als Bezeichnung von Zustand oder Handlung eines agierenden Subjektes („state
or action of agent“: /wauwau/) oder Objektes (/heiß/)“
(aus: Papoušek, S. 166).
Diese Kategorien entsprechen den Wörtern des frühen Wortschatzes, die „die Mütter
typischerweise um einige Zeit früher in die verschiedenen Interaktionskontexte einführen“
(vgl. Papoušek, S. 166).
Die Einwortäußerungen werden konsistent benutzt, um ihnen eine kommunikative Funktion
zu geben (Nelson, 1973). Außerdem stellen die Kinder durch die Einwortäußerungen ganze
Sätze dar. Diese Funktion wird durch eine variierende melodische Kontur unterstützt.
5.5 Verknüpfen von mehreren Wörtern (Gopnik et al., S, 117ff)
(Marcella Müller)
Bereits vor dem dritten Lebensjahr können Kinder neue Sätze bilden, um komplexere
Bedeutungen zu erfahren. In einer Studie wurden amerikanische Kinder untersucht und dabei
festgestellt, dass sie bereits Zwei-Wort-Sätze bilden (z.B. Mommy gone!) können. Kinder
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haben in diesem Alter schon eine gewisse Ahnung von Grammatik. Sie wissen, dass nur
einige bestimmte Wortanordnungen in ihrer Sprache möglich sind (falsch wäre zu sagen:
gone Mommy!). Sie benutzen unterschiedliche Wortanordnungen, um unterschiedliche
Bedeutungen auszudrücken (z.B. Kiss Teddy! meint etwas anderes als Teddy Kiss!). ZweiWort-Sätze verfolgen bestimmte Regeln. Sobald Babies die Bedeutung der Wörter „erfinden“,
„erfinden“ sie auch die grammatischen Regeln. Je älter die Kinder werden, desto längere und
kompliziertere Sätze bilden sie. Dennoch unterscheiden sich diese Sätze noch von denen der
Erwachsenen. 2- bis 3-jährige Kinder haben eine Art eigene „Cookie Monster“ Sprache, die
sehr systematisch aufgebaut ist. Sie lassen oft Wortendungen aus (z.B. Plural s oder
Vergangenheitsform ed) oder vergessen grammatikalisch wichtige Wörter wie the oder of.
Selbst wenn ein Erwachsener etwas vorspricht, und das Kind dies wiederholen soll, kommt es
zu Veränderungen (z.B. I don’t want the broccoli, I want the cookies!  No want bwocwi,
want cookie!).
Kinder erfahren ihre eigene Sprache mit eigenen Regeln und Grammatik, und entscheiden
somit selbst, was die Wörter bedeuten. Dennoch sind es Regeln und Grammatik. Kinder
lernen und kreieren systematische Regeln, um mit Variationen umzugehen
(z.B. Pluralformen: boxes = iz sound, rods = z sound, women, children, sheep etc.). Wenn sie
Fehler machen, bedeutet das, dass sie auf intelligente Weise lernen. Vorschulkinder erfinden
oft Wörter wie womans oder childs. Der Fehler zeigt aber, dass sie die allgemeinere Regel des
Plurals verstanden haben.
Mit 18 Monaten lernen die Kinder viel über die Art und Weise, wie Objekte erscheinen und
wieder verschwinden. Sie lernen, wie sie ihre Werkzeuge benutzen können und Objekte in
Kategorien hineinpassen. Sie beginnen, die gemischten Objektgruppen in einzelne
unterschiedliche Stapel zu sortieren, neue Wortlisten zu erstellen und viele neue Namen zu
gebrauchen. Somit erscheinen auch die ersten frühen Wörter und das Kind beginnt zu
sprechen.
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6. Resümee (Papoušek, S. 178ff)
(Jurke, Lütkenhaus, Müller)
Trotz der neuen Ergebnisse über die vorsprachliche Kommunikation sind die Rätsel des
Spracherwerbs noch nicht gelöst.
Zusammenfassend lassen sich jedoch folgende Aspekte als nachgewiesen festhalten:
1. Der Spracherwerb beginnt bereits weit vor der Geburt und setzt sich unmittelbar
danach fort. Er steht in enger Beziehung zur Entwicklung von Wahrnehmung,
integrativen Prozessen, Intentionalität und kommunikativen Fähigkeiten. Angeborene
Prädispositionen stehen in enger Wechselbeziehung zu sprachlichen Anreizen aus der
Umwelt.
2. Das menschliche Neugeborene ist motiviert, Sprache zu erlernen und ist sprachlich
kompetent. Seine optimale sprachliche Entwicklung hängt von seinen spezifischen
Voraussetzungen und von seiner primären Umwelt (Eltern etc.) ab.
3. Die intuitiven didaktischen Verhaltensanpassungen der Mutter führt dazu, dass der
Säugling sich in den Bereichen der artikulatorischen und kommunikativen
Lautentwicklung und der basalen integrativen Fähigkeiten optimal entwickeln kann.
4. Die didaktische elterliche Feinabstimmung auf die Sprachentwicklung des Kindes ist
unbewusst und intuitiv. Bei beiden Geschlechtern, in allen Altersgruppen, in allen
Kulturen und Traditionen lässt sich diese Verhaltensanpassung beobachten.
5. Trotz unterschiedlicher Strategien der Eltern und Kinder und verschiedener
Umwelterfahrungen, erwerben alle Kinder ihre Muttersprache.
6. „Für frühpädagogische oder frühtherapeutische Interventionen für die Hörerziehung
oder für die Anbahnung und den Aufbau der Sprache bei Kindern mit
unterschiedlichen Behinderungen“ bietet die intuitive frühe Sprachförderung ein
geeignetes Modell (vgl. Papoušek, S. 179ff).
7. Literatur:
 Gopnik, A; Melzoff, Ph. D.; Kuhl, P. (2000): The scientist in the crib. New York.
 Papoušek, M. (1997): Vom ersten Schrei zum ersten Wort. Bern.
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