Die Perspektiven Deutschlands und eine Strategie für eine nachhaltige Entwicklung wird im Folgenden dargestellt: Weltweit bekannt wurde das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung, als 1987 die Kommission für Umwelt und Entwicklung ihren Bericht über eine gemeinsame Zukunft vorlegte. Auf der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Jahre 1992 in Rio de Janeiro hat sich die internationale Staatengemeinschaft zum Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung bekannt und sich mit der Agenda 21 ein globales Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert gegeben. Darin werden die Unterzeichnerstaaten aufgefordert, eine Strategie zu entwickeln, die eine wirtschaftlich leistungsfähige, sozial gerechte und ökologisch verträgliche Entwicklung zum Ziel hat. Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden und ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Das ist der entscheidende Gedanke: Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung verknüpft die Bedürfnisse der heutigen Generationen mit den Lebenschancen zukünftiger Generationen und fordert in einer Art Generationenvertrag die langfristige Entwicklung so zu gestalten, dass sie beiden gerecht wird. Die Bundesregierung hat Nachhaltigkeit als Querschnittsaufgabe erkannt und macht sie zu einem Grundprinzip ihrer Politik. Die 1 wichtigsten Reformprojekte dieser Legislaturperiode orientieren sich daran. Grundlage ist die Konsolidierung des Bundeshaushalts. Mit dem Ziel, die Neuverschuldung bis zum Jahre 2011 auf Null zu senken, schaffen wir finanzpolitische Stabilität und geben den nachfolgenden Generationen ihre Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit zurück. Mit der Steuerreform und den beiden Gesetzen zur Familienförderung entlasten wir Familien und Arbeitnehmer und bieten den Unternehmen mehr Handlungsspielräume. Die ökologische Steuerreform gibt Impulse für die Steigerung der Energieeffizienz und reduziert die Lohnnebenkosten. Die Reform der Altersvorsorge gewichtet die Verantwortung zwischen den Generationen neu, indem sie mit der staatlich geförderten Zusatzvorsorge die Eigenverantwortung stärkt. Damit sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, die gesetzliche Rentenversicherung auch in Zukunft für die Beitragszahler finanzierbar zu halten. Auch die Neuorientierung auf eine nachhaltige Agrarpolitik mit dem Schwerpunkt auf Verbraucherschutz wurde bereits mit einer Reihe von Maßnahmen eingeleitet. So wurde die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz als zentrales Förderprogramm von Bund und Ländern an diesen Prinzipien ausgerichtet. Durch die Einführung des „Bio-Siegels“ bekommen Verbraucherinnen und Verbraucher Klarheit und Sicherheit beim Einkauf von 2 ökologisch hergestellten Lebensmitteln. Aber auch bei der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, insbesondere beim Klimaschutz und beim Einstieg in eine zukunftsfähige Energieversorgung, wurden die Weichen für eine nachhaltige Entwicklung gestellt. Zwischen 1998 und 2001 wurden durch eine gesetzliche Förderung der Anteil der Windkraft von 3000 Megawatt auf 8000 Megawatt gesteigert und in dieser Zukunftsbranche viele Arbeitsplätze geschaffen. In einer freiwilligen Vereinbarung mit der Wirtschaft hat die Bundesregierung im Jahr 2000 weiter gehende anspruchsvolle Ziele zur Verminderung von CO2 vereinbart. Große Potentiale zur Energieeinsparung liegen darüber hinaus in der Sanierung des vorhandenen Gebäudebestandes. Mit rund 1 Milliarde Euro Bundesmitteln werden auf diesem Gebiet Investitionen in Höhe von 5 Milliarden Euro veranlasst. Für die Bundesregierung ist der Auftrag von Rio Verpflichtung. Rechtzeitig zum Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung im September 2002 in Johannesburg legt sie mit diesem Dokument die Strategie für eine nachhaltige Entwicklung vor. Es versteht sich von selbst, dass eine solche Strategie nie abgeschlossen ist, sondern dem Wandel der Zeit und neuen Prioritäten angepasst werden muss. Wir brauchen einen intensiven gesellschaftlichen Dialog darüber, wie wir in Zukunft leben wollen, wie wir auf die Herausforderungen der globalisierten Welt in Wirtschaft und 3 Gesellschaft antworten wollen. Statt Zukunftsängste zu schüren, können wir mit einem solchen Dialog kreative Kräfte für neue Wege freisetzen. Jung und Alt bietet ein solcher Dialog die Chance, gemeinsam einen neuen Generationenvertrag zu entwickeln. Für die ganze Gesellschaft eröffnet er die Möglichkeit, einen möglichst breiten Konsens über die notwendigen Weichenstellungen herbeizuführen und das Wort Gemeinwohl neu zu buchstabieren. Deutschland ist untrennbar mit dem Rest der Welt verbunden. Daraus folgt, dass es auf Dauer keine lokalen oder nationalen Inseln des Wohlstands und der Sicherheit mehr geben kann. Vielmehr ist eine weltweite nachhaltige Entwicklung nur zu erreichen, wenn auch die Entwicklungsländer ihre Chancen wahrnehmen können und auch die Ärmsten an den Vorteilen wirtschaftlicher Entwicklung und internationaler Vernetzung teilhaben. Macht vor diesem Hintergrund eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie überhaupt noch Sinn? Diese Frage lässt sich mit einem klaren Ja beantworten. „Global denken und lokal handeln“ lautet zu Recht das Motto der in unserem Land sehr erfolgreichen Lokalen Agenda 21. So haben unsere Produktions- und Konsummuster unmittelbare Folgen für die globale Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen und die Entwicklungsmöglichkeiten anderer Länder. Umgekehrt können gerade die Industrieländer mit einer Strategie der 4 nachhaltigen Entwicklung beweisen, dass damit auch eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung möglich ist. Dies könnte auch den Entwicklungsländern Perspektiven bieten. Von einer in der Praxis erfolgreichen nationalen Strategie, welche die ökonomische, ökologische und soziale Dimension in einer integrierten Sicht zusammenführt, dürfte international eine große Anziehungskraft ausgehen. Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie wird für die nächsten Jahre Prioritäten setzen, Ziele und Maßnahmen aufzeigen und die Kerngedanken einer nachhaltigen Entwicklung umsetzen. Sie soll Grundlage sein für weitere politische Reformen wie auch für ein verändertes Verhalten von Unternehmen und Verbrauchern. Weit über die ökologische Herausforderung hinaus dient die Strategie als Handlungsanleitung für eine umfassende zukunftsfähige Politik, um der Generationen übergreifenden Verantwortung für eine ökonomisch, ökologisch und sozial tragfähige Entwicklung gerecht zu werden. Die Bundesregierung konnte sich bei der Erarbeitung der Strategie auf umfangreiche Vorarbeiten und begleitende Forschungsarbeiten stützen. Ein wichtiger Beitrag war insbesondere der Bericht der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ des Deutschen Bundestages. Was kann eine solche Strategie leisten, was kann sie nicht leisten? Sie soll die wichtigen Trends in Wirtschaft und Gesellschaft aufzeigen und 5 auf dieser Grundlage die für unser Land notwendigen Weichenstellungen deutlich machen, das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung entwerfen und Ziele festlegen. In einem zweiten Schritt geht es darum, die für die Umsetzung notwendigen konkreten und praktischen Schritte soweit wie möglich aufzuzeigen. Die Nachhaltigkeit darf nicht in theoretischen Grundsatzdiskussionen stehen bleiben. Deshalb hat sich die Bundesregierung von vornherein dafür entschieden, dass parallel zur Erarbeitung der Strategie mit Pilotprojekten praktische Erfahrungen darüber gesammelt werden, mit welchen konkreten Maßnahmen die nachhaltige Entwicklung in unserem Land vorangebracht werden kann. Für drei dringliche Handlungsfelder laufen solche Projekte oder sind in Vorbereitung. Dabei wurden vor allem solche Projekte ausgewählt, bei denen sich im hohen Maße die Optimierungsaufgabe zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Belangen stellt und von denen neben dem Schutz der Umwelt Impulse für Wirtschaft und Beschäftigung zu erwarten sind. Welche Weichenstellungen der heutigen Generation sind notwendig, damit auch zukünftige Generationen gute Voraussetzungen vorfinden, um ihr Leben gestalten zu können? Die Antwort auf diese Kernfrage einer nachhaltigen Entwicklung ist ein neuer Generationenvertrag. Der damit angesprochene Interessenausgleich 6 zwischen den Generationen steht im Mittelpunkt der Diskussion um die Staatsverschuldung, die Rentenreform, den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen oder auch um die Kosten des Gesundheitswesens. Der neue Generationenvertrag setzt einen tragenden Grundkonsens über Werte und anerkannte gesellschaftliche Leitbilder voraus: Der fundamentale ethische Grundsatz der Nachhaltigkeit stellt auf die Lebensperspektiven künftiger Generationen ab und lautet: Jede Generation muss ihre Aufgaben lösen und darf sie nicht den kommenden Generationen aufbürden. Dagegen verstößt, wer eine Wirtschafts- und Sozialpolitik auf Pump macht und die steigenden Staatsschulden den künftigen Generationen hinterlässt. Das gleiche gilt, wenn Investitionen für die wirtschaftliche Zukunft vernachlässigt und schneller und kurzfristiger Konsum in den Vordergrund gerückt werden. Aber auch für die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und die Reform der Altersversorgung gilt der Grundsatz in gleichem Maße. Die Generationengerechtigkeit gilt aber nicht nur zwischen den Generationen sondern auch innerhalb einer Generation. Alle Menschen in Nord und Süd müssen die Chance haben, nach ihren Vorstellungen ein menschenwürdiges Leben zu führen. Dazu gehört insbesondere die Teilhabe der Ärmsten an der wirtschaftlichen Entwicklung und der internationalen Vernetzung. Nicht für einzelne Länder, 7 Kulturkreise und Staatengruppen, sondern für die ganze Welt kann es eine tragfähige und nachhaltige Entwicklung geben. Insgesamt liegt der Nachhaltigkeit ein ethischer Ansatz zugrunde. Dass wir neben den berechtigten Anliegen der heute lebenden Menschen bei den notwendigen Weichenstellungen auch maßgeblich die Lebenschancen der Kinder und Enkelkinder in den Blick nehmen, ist der Grund, weshalb wir Klimaschutz treiben, die Energieeffizienz steigern und die erneuerbaren Energien ausbauen. Über den Ansatz der Generationenverantwortung hinaus brauchen wir für eine nachhaltige Entwicklung einen Grundkonsens über Werte und gesellschaftliche Leitbilder. Angesichts des schnellen Strukturwandels in Wirtschaft und Gesellschaft kann der soziale Zusammenhalt nur gewahrt bleiben, wenn jeder an seinem Platz dazu beiträgt, dass niemand ausgegrenzt und auch denjenigen geholfen wird, denen es schwer fällt, sich auf Veränderungen einzustellen. Kirchen und Wohlfahrtsverbände, Schulen und Vereine, Arbeitgeber und Gewerkschaften, letztlich die gesamte Zivilgesellschaft sind hier gefordert. Diese Aufgabe kann nicht allein an den Sozialstaat delegiert werden. Um solche Werte und Haltungen, die für unsere Kultur und das europäische Gesellschaftsmodell prägend sind, von einer Generation zur anderen weiterzugeben, brauchen Kinder und Jugendliche glaubwürdige Leitbilder und Erfahrungen. Vor allem in einer intakten 8 Familie werden diese Haltungen gelebt und die tragenden Werte vermittelt. Die Stärkung der Familien ist deshalb ein herausragendes Ziel einer nachhaltigen Entwicklung. Aber auch die Familien sind darauf angewiesen, dass Verwandte, Freunde und Nachbarn, das gesamte Umfeld junger Menschen im täglichen Leben Beispiele geben, Verständnis zeigen und anderen Menschen helfen. Es ist ein verbreiteter Irrtum zu glauben, Familien und Schulen allein wären in der Lage, die für das Leben prägenden Werte zu vermitteln. Erfahren die Jugendlichen, dass in der gesellschaftlichen Realität ganz andere Werte gelten, kann das nur schwer gelingen. Gerade die Kirchen weisen immer wieder mit Nachdruck auf die hier geschilderten Zusammenhänge hin. In der Seelsorge, der Sozialarbeit und im Religionsunterricht leisten sie einen wichtigen Beitrag, um auf der Grundlage des christlichen Glaubens Werte an die nächste Generation weiterzugeben. In einer pluralistischen Gesellschaft, in der auch andere Bekenntnisse und Einstellungen verbreitet sind, brauchen wir einen Dialog über Werte und gesellschaftliche Leitbilder. Dies gilt auch deshalb, weil im Zusammenhang mit einer stärkeren Individualisierung viele traditionelle Leitbilder für das Zusammenleben der Menschen nicht mehr allgemeine Gültigkeit beanspruchen können. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass es heute neben Ehe und Familie auch andere auf Dauer angelegte 9 Lebensgemeinschaften gibt. Gerade in einer offenen und pluralistischen Gesellschaft muss der Konsens über Werte und gesellschaftliche Leitbilder immer wieder neu bestimmt werden. Die Erarbeitung dieser Strategie wurde daher durch einen breit angelegten gesellschaftlichen Dialog begleitet, dessen Ergebnisse in dieses Dokument eingeflossen sind. Dieser Prozess ist mit der Vorlage der Strategie aber nicht beendet, vielmehr handelt es sich um eine kontinuierliche Entwicklung, da der wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel immer neu eine Kursbestimmung notwendig macht. Schließlich brauchen wir diesen Dialog auch, wenn es um die Umsetzung der hier festgelegten Ziele und Maßnahmen geht. Die in einem Generationenvertrag verankerte Verantwortung der heute lebenden Generationen für die Lebenschancen künftiger Generationen darf jedoch nicht nur auf dem Papier stehen, sie muss auch praktiziert werden. Nicht im Reden, sondern im Handeln wird sich die Generationenverantwortung beweisen. Jede Generation muss ihre Aufgaben lösen und darf sie nicht den kommenden Generationen aufbürden. Dabei geht es nicht um eine Ethik des Verzichts. Vielmehr lautet der Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung, dass die Bedürfnisse der heutigen Generation mit den Lebenschancen künftiger Generationen in einen Ausgleich zu bringen sind. Die Herausforderung für Politik und Gesellschaft besteht somit 10 darin, der Verantwortung für künftige Generationen gerecht zu werden, ohne die Bedürfnisse der heutigen Generationen zu vernachlässigen. Wir sind aufgefordert, mit Phantasie und Kreativität neue Wege zu finden, um dieses Ziel zu erreichen. Die Umweltpolitik der letzten 30 Jahre hat zu Erfolgen geführt, auf die unser Land stolz sein kann. Insbesondere durch Maßnahmen im technischen Umweltschutz, etwa bei der Abgasreinigung von Kraftwerken und Kraftfahrzeugen und bei der Abwasserreinigung wurde die Belastung der Umwelt mit Schadstoffen drastisch vermindert. Auch in den neuen Ländern hat sich durch massive Investitionen in den Umweltschutz die Luftqualität um Klassen verbessert und in den Flüssen und Seen zeugt die Rückkehr sensibler Fischarten vom neu erwachenden Leben. 11