Monika Frank Ein neuer Generationenvertrag. Das ganze Leben in

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Monika Frank
Ein neuer Generationenvertrag.
Das ganze Leben in gesellschaftlicher Verantwortung!
Beitrag zur 2. Seniorenpolitische Konferenz
der DGB-Region Osnabrück-Emsland am 01.10.2009 in Osnabrück
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen,
es freut mich sehr, dass Ihr Euch heute das Thema Generationenverhältnis bzw.
Frage der Generationengerechtigkeit vorgenommen haben - vor allem, weil Ihr auf
einer Seniorenpolitischen Konferenz hören wollt, was ich aus Sicht der Kinder- und
Jugendpolitik dazu zu sagen habe.
Ihr werdet einen parteilicher Beitrag hören, denn ich betrachte meinen Auftrag in der
öffentlichen Jugendhilfe auch und nicht zuletzt als Interessenvertretung von für und
mit jungen Menschen und streite seit vielen Jahren für die Verwirklichung dessen,
was der heutige Leiter des Deutschen Jugendinstitutes Prof. Dr. Thomas Rauschenbach erstmals 1998 als „Vision eines pädagogischen Generationenvertrags“
beschrieben hat: In der Sachverständigenkommission für den Elften Kinder und Jugendbericht der Bundesregierung, haben wir dies unter dem Slogan „Aufwachsen in
öffentlicher Verantwortung“ gebündelt und beschrieben.
Ich werde mich allerdings keineswegs der dramatischen Überzeichnung von Generationenkonflikten in den öffentlichen und politischen Debatten anschließen und
mich auch nicht einseitig auf Seiten der jungen Menschen positionieren. Manche
Fragen sind nämlich so falsch gestellt, dass sie gar nicht richtig beantwortet werden
können!
Damit komme ich zu meiner ersten von zehn Thesen:
1.
Der Wandel der Altersstruktur schafft unbestritten neue Herausforderungen für die
Gestaltung von Generationenbeziehungen, Konflikte zwischen Jung und Alt werden
vor allen hinsichtlich der Verteilung der gesellschaftlichen Ressourcen und der Teilhabe an wohlfahrtsstaatlichen Leistungen geortet. Die demografische Entwicklung
ist jedoch mitnichten ein unausweichliches Horrorszenario, sondern ein in höchstem
Maße politisch gestaltbarer Prozess, in dem das Solidaritätsprinzip im Dialog der
Generationen in neue Strukturen mit veränderten Geldströmen gegossen werden
muss: „Es kommt nicht darauf an, die Zukunft vorauszusagen, sondern auf sie vorbereitet zu sein.“ (Perikles)
2.
Momentan besteht die Vorbereitung der Zukunft in einer alternden Gesellschaft vor
allem darin, Jung und Alt gegeneinander auszuspielen - mit der Folge, dass Generationengerechtigkeit zum Kampfbegriff verkommt: Die (künftig) Älteren werden als
finanziellen Belastung und für die jüngeren dargestellt, die jüngeren wechselweise
mit Anreizen, Diffamierung oder der Androhung von „Bestrafung“ zum Kinderkriegen
„animiert“, Kindergeld steht gegen Rentenerhöhung. Der Balanceakt, Gesetze für
–2–
heute und morgen auszuhandeln und zu formulieren, um heutigen und künftigen
Generationen gerecht zu werden, wird nicht gewagt, obwohl sich Politik in den Dilemma bewegt, den Ansprüchen der (wahlentscheidend) wachsenden Zahl von Älteren nur gerecht werden zu können, wenn sie gleichzeitig die Chancen für ein Leben
mit Kindern bzw. Chancen für Kinder und Jugendliche verbessert.
3.
Dies wirft die Frage auf, wer ein Interesse an der Aushöhlung der Generationensolidarität hat und wem sie nützt. Prof Dr. Christoph Butterwegge von der Universität
Köln weist seit Jahren darauf hin, dass das verkrampfte Bemühen um mehr Generationengerechtigkeit in erster Linie von der dramatisch wachsenden sozialen Ungleichheit innerhalb sämtlicher Generationen ablenkt. Nicht zwischen den Generationen sind Reichtum und Wohlstand also falsch verteilt, sondern innerhalb einer jeden Generation gibt es auf der einen Seite wachsenden Reichtum, auf der anderen
Seite zunehmende Armut. Das Problem ist nicht, dass die Gesellschaft altert, sondern dass eine Gesellschaft, die insgesamt immer reicher wird, Geld, Besitz, Macht
und Einfluss immer ungerechter verteilt.
4.
Soziale Ungleichheit in ihrem Zustandekommen ist komplex und daher eben nicht
auf die formale Zugehörigkeit zu einer Altersgruppe zurückzuführen. Sie wird vielmehr durch Generationentransfers reproduziert – in Form von Schenkungen und
Erbschaften sowie durch das soziale und kulturelle Kapital in den Familien, in der
Wohnumgebung und in der gesellschaftlichen Schicht. Die Koppelung von Bildungserfolg und sozialer Lage zeigt diesen Matthäus-Effekt („Wer hat, dem wird
gegeben“) ebenso eindrucksvoll, wie die Bedeutung von Beziehungen bei der Integration in Arbeit und Ausbildung oder die Stigmatisierung bestimmter Wohnadressen.
Personen mit geringen Bildungserfolgen haben häufiger Probleme am Arbeitsmarkt
und damit in der materiellen Existenzsicherung, soziale Risiken können sie gleichzeitig deutlich seltener durch Erbschaften oder Verfügbarkeit von Wohneigentum
der Elterngeneration abfedern. In Schichten mit höherem ökonomischen, sozialen
oder kulturellen Kapital besteht hingegen zumindest die Möglichkeit der lebenslangen materiellen und immateriellen Unterstützung.
5.
Innovative Generationenpolitik wird also nur dann greifen können, wenn gleichzeitig
die soziale Ungleichheit durch politische Maßnahmen abgemildert wird. Dabei muss
unter gerechtigkeitstheoretischen Gesichtspunkten auch über eine stärkere Belastung sozioökonomisch gut ausgestatteter Bevölkerungsgruppen nachgedacht werden. Die Höhe der Rente ist nicht eben nur eine Frage der Demografie, sondern
eine Frage der Politik. Diese entscheidet darüber, wer sich in welcher Höhe an den
Kosten für Rente und Pflege beteiligt; sie entscheidet darüber, ob ein Leben mit
Kindern angesichts moderner Erwerbsbedingungen und sozialer Risiken attraktiv
und bewältigbar ist; sie entscheidet darüber, welche Chancen die heute Jungen
überhaupt haben, zu einer Produktivität beizutragen, die auch den Alten nützt.
6.
Nicht „Vergreisung“ im Sinne einer Armut an Kindern ist das Hauptproblem, sondern
die (Ressourcen)Armut vieler Lebensgemeinschaften mit Kindern. Mehr Kinder bedeuten nur dann mehr Wohlstand, wenn die nachwachsende Generation auch so
gefördert wird, dass sie unter den Bedingungen der modernen Ökonomie produktiv
sein kann. „Made in Germany“ als von den vorherigen Generationen erarbeiteter
Standard basiert heute mehr denn je auf der Konkurrenzfähigkeit hochwertiger Pro-
–3–
dukte, die von qualifizierten Fachkräften hergestellt werden. Langfristig gesehen
darf hierfür schon jetzt kein einziger junger Mensch mehr verloren gehen, tatsächlich hängen Bildungssystem und Arbeitsmarkt seit mehr als einem Jahrzehnt einen
erheblichen Anteil von ihnen chancenlos ab. Dies wird spätestens dann empfindlich
spürbar sein, wenn die geburtenstarken Jahrgänge – also die heutige „Entscheider“Generation - aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden.
7.
Es ist (höchste) Zeit zum Umdenken: Politik für die nachwachsende Generation, die
auch den (künftig) Alten nützt, setzt nicht nur auf Anreize zum Kinderkriegen und
beschränkt sich auch nicht darauf, Eltern gegenüber Kinderlosen durch finanzielle
Anreize besser zu stellen (bei gutsituierten Eltern wäre dies auch eine Verteilung
von unten nach oben). Sie zielt auch und nicht zuletzt darauf, Kinder und Jugendliche gezielt zu fördern, die keine wohlsituierten Eltern haben, in ihren Familien oder
im sozialen Nahraum weniger Ressourcen vorfinden, vernachlässigt werden oder
gar vor Gefährdungen und Entwicklungsbeeinträchtigungen geschützt werden müssen. Dies gelingt nur durch die Bereitstellung einer kompensatorischen Infrastruktur
sozialer Dienstleitungen in öffentlicher Verantwortung – die heutigen Risiken des
Aufwachsens lassen sich mit finanziellen Transfers allein nicht ausräumen. Allein
auf familiale, also private Lösungen zu setzen bedeutet, herkunftsbedingte soziale
Ungleichheit zu verschärfen oder zumindest in Kauf zu nehmen, dass sie sich in der
Generationenfolge vererben. („Dienste vor Geld“)
8.
Erziehung und Bildung sind Investitionen in die Zukunft unserer Gesellschaft, die
nicht zum Nulltarif zu haben sind. Die gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung, infolge derer die Beiträge der Familien hierzu erodieren (Erwerbstätigkeit beider Geschlechter, Eineltern- und Patchwork-Familien, Auflösung der Mehrgenerationenfamilie, berufliche Flexibilität und Mobilität, soziale Spaltung etc.) ist eher nicht
bzw. nicht kurzfristig umkehrbar. Innovationen im Bildungssystem werden allenfalls
langfristig wirken und sind derzeit überwiegend nicht auf den Ausgleich sozialer Benachteiligungen gerichtet. Insofern besteht (mindestens) gegenwärtig keine Alternative zu einem „pädagogischen Generationenvertrag“, in dem private und öffentliche
Erziehung bzw. Sorge für junge Menschen sich ergänzen bzw. integriert sind. Bildung und Lebenskompetenz sind die wichtigsten Ressourcen nicht nur für die Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen, sondern auch für die Sicherung und Mehrung des Humanvermögens der Gesellschaft. Die Bundesrepublik als rohstoffarmes
Land ist darauf unabhängig vom Ziel der Entwicklung junger Menschen zu eigenständigen und gesellschaftfähigen Persönlichkeiten elementar auch ökonomisch
angewiesen.
9.
Strategien zur langfristigen und nachhaltigen Bekämpfung von Armut und komplexer
Unterversorgung bzw. zur Minderung ihrer Folgen für Erziehungskompetenz und
kindliche Entwicklungsperspektiven werden grundsätzlich von der allgemeinen gesellschaftlichen und sozialen Entwicklung beeinflusst und müssen daher gleichermaßen auf Armutsbekämpfung wie auf die Unterstützung und Förderung betroffener
junger Menschen sowie ihrer Familien setzen. Bezogen auf letzteres wird insbesondere der Ausbau von Angeboten zur Erziehung, Bildung und Betreuung als wirkungsvoll erachtet. Dieser ist für die Reduzierung von Armut sowie der daraus resultierenden Folgen für Kinder in mehrfacher Hinsicht von immenser Bedeutung: Zum
einen wird die Erwerbstätigkeit beider Elternteile ermöglicht, was zur Erhöhung des
Familieneinkommens sowie zur Abfederung arbeitsmarktbedingter Risiken beiträgt.
Zum anderen werden stark belastete Familien im Alltag entlastet. Vor allem jedoch
–4–
bieten diese Angebote Kinder aus bildungsfernen und ressourcenarmen Familien
Möglichkeiten der Teilhabe an einem ausgleichenden, zum Lernen anregenden und
sozial integrierenden Milieu. Gleichzeitig sind eine stärkere und frühzeitigere Förderung der elterlichen Versorgungs- und Erziehungskompetenz durch niedrigschwellige und aufsuchende Angebote in der Lebenswelt, der Aufbau lebensweltorientierter
sozialer Netzwerke im Wohnumfeld sowie gezielte Angebote für Risikogruppen erforderlich.
10.
Ich würde mir wünschen, dass Ihr dieser Einladung zu einem anderen Generationendiskurs folgt, wohl wissend, dass er mir qua beruflicher Funktion und Lebensalter näher liegt, als vorangehenden Generationen. Wir alle erfahren tagtäglich, dass
in einer schnelllebigen Gesellschaft mit vielfachen Informations- und Sozialisationsquellen der „natürliche Vorsprung“ der Älteren schwindet; wir wissen, dass wir die
junge Generation vor Widersprüche und Anforderungen stellen, die das Gelingen
der eigenen Biografie zu einem riskanten Unterfangen werden lassen; wir wissen,
dass es die nachfolgenden Generationen eher nicht besser haben werden, als wir
selbst. Wir wissen auch, das wir Zukunft „verbrauchen“, weil junge Menschen im
Interessenausgleich zwischen den Generationen über geringere Durchsetzungschancen verfügen – sie würden bei Bildung / Ausbildung, Ökologie und
Abbau der Staatsverschuldung ihre Prioritäten setzen. Dabei sehen sie nicht immer,
dass ein Teil des für viele von ihnen immer noch vorhandenen Wohlstandes auf der
Aufbauleistung der heute Älteren basieren.
Lasst uns diese Sichtweisen miteinander verhandeln, nicht gegeneinander, denn
das nützt nur jenen, die die Rente oder die Leistungen für junge Menschen einfrieren wollen. Die aussichtslose Forderung „Reiche Eltern für alle“ darf nicht die einzige Perspektive der jungen Generation bleiben!
Bremen, den 27.09.2009
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