Tutorium Recht I J. Craney BVerfGE Band 7, 377 Ein angestellter Apotheker aus Traunstein (Bayern) stellte in den fünfziger Jahren den Antrag, im benachbarten Traunreut eine eigene Apotheke zu errichten. Dieser Antrag wurde von der zuständigen bayerischen Behörde mit der Begründung abgelehnt, es fehle das nach Art 3 Abs.1 des bayerischen Apothekengesetzes erforderliche "öffentliche Interesse" zur Sicherung der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Die Errichtung einer Apotheke sei erst bei einem Einzugsbereich von 7000 bis 8000 Einwohnern erforderlich. der Einzugsbereich der geplanten Apotheke betrage allenfalls 6000 Personen. Eine Apotheke reiche völlig aus. Zudem sei die nach dem Gesetz geforderte ausreichende wirtschaftliche Grundlage der neuen Apotheke nicht gesichert, andererseits würde die wirtschaftliche Gundlage der bestehenden Apotheke gefährdet. Wirtschaftlich gefährdete Apotheken seien eher bereit, Medikamente ohne Rezept abzugeben. Der Apotheker legte Verfassungsbeschwerde ein. Wie würden Sie die entsprechende Bestimmung im bayerischen Apothekengesetz im Hinblick auf Art. 12 GG bewerten ? Lösungsvorschlag: Die Regelung könnte gegen Art. 12 Abs.1 GG. verstoßen. I. Schutzbereich des Art. 12 GG Art. 12 GG gewährleistet die Freiheit der Berusausübung. Wahl und Ausübung eines Berufes lassen sich jedoch nicht hinreichend scharf voneinander trennen. Die fortlaufende Ausübung ist zugleich eine kontinuierliche Bestätigung der Berufswahl. Aus diesem Grund wird angenommen, dass Art. 12 Abs.1 ein einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit darstellt. Beruf wird definiert als " jede auf Dauer angelegte Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage, die nicht schlechthin gemeinschädlich ist" (Beruf "Dieb" (-)). Entscheidend ist das Merkmal Tätigkeit zur Schaffung oder Erhaltung einer Lebensgrundlage. Die Tätigkeit eines Apothekers entspricht dieser Definition. II. Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 GG Jede Reglementierung der beruflichen Betätigung, aber auch Einwirkungen auf das Umfeld der Berufstätigkeit können in die Berufsfreiheit des Einzelnen eingreifen. Ein Eingriff in Art. 12 I GG liegt vor, wenn die grundrechtlich geschützte Tätigkeit auf Grund einer staatlichen Maßnahme nicht mehr in der gewünschten Weise ausgeübt werden kann. Durch die Beschränkug der Zulassung durch Art. 3 I des bayerischen Apothekengesetz wird die Möglichkeit des A als Apotheker arbeiten zu können, begrenzt. Ein Eingriff ist daher zu bejahen, Art. 12 GG umfasst auch das Recht, eine berufliche Tätigkeit an jedem gewünschten Ort aufzunehmen. III. Rechtfertigung des Eingriffs Der Eingriff muss verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Nach Art. 12 Abs.1 Satz 2 kann die Berufsfreiheit durch Gesetz eingeschränkt werden ( "einfacher Gesetzesvorbehalt"). Das Gesetz muss jedoch verfassungsmäßig, insbesondere verhältnismäßig sein. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 12 GG prüft das BVerfG mit Hilfe der "Drei-Stufen-Theorie". Entscheidend ist die Schwere des Grundrechtseingriffs. Die Befugnis des Gesetzgebers ist umso freier, je mehr eine reine Ausübungsregelung getroffen wird, umso enger, je mehr auch die Berufswahl betroffen wird. 1) Berufsausübungsregelungen haben das "Wie", die Art und Weise der beruflichen Tätigkeit zum Gegenstand (1.Stufe). Der Kern der beruflichen Tätigkeit bleibt unangetastet. 2) subjektive Zulassungvoraussetzungen (z.B. persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten, Leistungen, Zeugnisse) = 2. Stufe 3) objektive Zulassungsvoraussetzungen,; sie werden durch Berufszugangsbedingungen geschaffen, die von persönlichen Eigenschaften und Verhältnissen des Bewerbers unabhängig sind. Sie stehen außerhalb seiner Einflußsphäre. (3. Stufe) Der Zugang zum Beruf des selbständigen Apothekers in einem bestimmten Ort wird von einer Bedürfnisprüfung abhängig gemacht. Der einzelne Bewerber kann auf diese Prüfung keinen Einfluss nehmen. Diese Beschränkung dieses Berufszugangs wird zudem umso schwerer empfunden, je länger und spezialisierter die Ausbildung war, je eindeutiger die Berufswahl also war. Es handelt sich also bei Art. 3 Abs.1 des BayApG um eine objektive Zulassungsbeschränkung (3.Stufe der Berufsfreiheit). Objektive Zulassungsbeschränkungen dürfen im Gegensatz z.B. zu reinen Berufsausübunsregelungen nur ausnahmsweise zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut geschaffen werden. Ein solches Gut könnte im vorliegenden Fall die angeblich bedrohte Sicherheit der Medikamentenversorgung sein. Die objektive Zulassungsbeschränkung darf daneben gemessen an der Eingriffsstufe nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widersprechen. Sie muß geeignet, erforderlich und für die Betroffenen zumutbar sein. Die Regelung müßte für das vermeintliche Ziel geeignet sein. Im vorliegenden Fall erscheint schon dies fraglich, denn es bestehen berechtigte Zweifel an der Auffassung des bayerischen Gesetzgebers. Es erscheint weit hergeholt, dass die Sicherheit der Medikamentenausgabe gefährdet erscheint, sofern eine Apotheke mehr am Ort errichtet wird. Der Konkurrentenschutz darf hier keinesfalls als Grund angeführt werden, was hier jedoch offensichtlich der Fall ist. Im Gegenteil könnte man auch mit einer drohenden Unterversorgung mit Apotheken argumentieren. Der Staat muss auch bestimmten Berufen kein Mindesteinkommen gewähren. Der einzelne Apothker kann selbst seine Entscheidung am besten einschätzen. Die Geeignetheit ist somit fraglich, da der Kausalzusammenhang zwischen Niederlasssungsfreiheit und Gefährdung der Volksgesundheit nicht eindeutig ist. Daneben müsste auch die Erforderlichkeit des Gesetzes gegeben sein. Das heißt, es darf kein milderes Mittel zur Wahl stehen, was genauso effektiv wäre. Hier wäre an schon bestehende Vorschriften des Apothekengesetzes zu denken, welche die Ausübung des Berufes regeln. Ob eine Einschränkung der Niederlassungsfreiheit die genannten Gefahren senkt bzw, vermehrter wirtschaftlicher Konkurrenzdruck entscheidend dazu beiträgt, müßte nachweisbar sein. Für das BVerfGG war dies im vorliegenden Fall nicht klar nachgewiesen. Dagegen sprechen z.B. die hohe Berufsmoral, das Standesrecht und die bestehende Niderlassungsfreiheit für Apotheker in anderen Staaten, ohne das dort nachweisbar die Berufspflichten stärker verletzt würden. Auch die Erforderlichkeit kann man verneinen. (Nur unter der Voraussetzung, dass man Geeignetheit und Erforderlichkeit bejaht, käme es auf die Zumutbarkeit der Regelung für die Betroffenen an. Sofern man erstere bejaht, ist jedoch fast immer auch die Zumutbarkeit für den Einzelnen zu bejahen.) Letztlich war das BVerfG der Auffassung, dass der bayerische Gesetzgeber bei Art.3 Abs.1 des Apothekengesetzes im Kern von sachfremden Erwägungen ausgegangen ist und vor allem der Schutz der schon bestehenden Apotheken im Vordergund steht. Die Regelung wurde somit für verfassungswidrig erklärt.