Erklärungen Folienset SAMW Erhebung, Analyse und Veröffentlichung von Daten über die medizinische Behandlungsqualität Einleitung Seit dem Jahre 2007 gibt es ein verstärktes Bestreben, Daten zur medizinischen Behandlungsqualität im Schweizer Gesundheitswesen zu veröffentlichen. Die Einführung von Swiss DRG ist ein weiterer Faktor, der dieses Bestreben beschleunigt. Inzwischen veröffentlicht das BAG entsprechende Zahlen, aber auch immer mehr Spitäler verfassen Qualitätsberichte. Grundsätzlich hat die Öffentlichkeit das Recht, über die Qualität der medizinischen Leistungen informiert zu werden, denn die Bürgerinnen und Bürger zahlen relativ viel Geld für diese Leistung. Die durchaus berechtigten Fragen der Patienten wie «Wie ist die Qualität in diesem Spital?» oder «Welches Spital eignet sich für einen bestimmten Eingriff?» ist aber schwierig zu beantworten, denn Spitäler kann man nicht einfach wie Restaurants nach der Anzahl Sterne in Ranglisten einteilen. Dazu ist das Messen der medizinischen Behandlungsqualität zu komplex. Diese Tatsache darf aber nicht als Vorwand benutzt werden, um die Veröffentlichung von Daten zu verhindern. Die SAMW begrüsst, dass die Diskussion in den vergangenen Jahren in Gang gekommen ist. Qualitätsvergleiche im Gesundheitswesen stehen hierzulande erst am Anfang. Nun ist entscheidend, dass gewisse Standards eingehalten werden, dass die Qualitätsberichte fair sind und kein Wildwuchs entsteht: Es macht keinen Sinn, wenn jedes Spital seine eigenen Daten erhebt und publiziert, und auf diese Weise versucht, sich gegenüber der Konkurrenz abzuheben. Die Daten sollen möglichst einheitlich erfasst werden, damit sie vergleichbar sind. Dies ist auch das Ziel dieses Foliensets: Einheitliche Standards bei Erhebung, Analyse und Veröffentlichung der Daten zu fördern. Diese Empfehlungen sind ein Anstoss, dieses wichtige Anliegen mit der nötigen Sorgfalt umzusetzen. Folie 2 Drei Schlagzeilen zum Thema aus der NZZ (Jahr 2009) und aus dem Blick als Einstieg. Fazit: Es ist wichtig, die erhobenen Daten verständlich zu präsentieren – auch den Medien. Andernfalls ist die Gefahr unliebsamer Schlagzeilen hoch, was wiederum demotivierend wirkt. Folie 3 Warum Qualität messen? Patient/Angehörige: Wer heute in ein Spital geht oder einen Arzt aufsucht, für den ist es schwierig zu beurteilen, ob die Qualität in diesem Spital oder bei jenem Arzt stimmt. Wie soll er das beurteilen? Grundsätzlich gehen die Patienten davon aus, dass die Qualität im Schweizer Gesundheitswesen stimmt – zu Recht. Trotzdem gibt es Qualitätsunterschiede, die zum Beispiel auf der Häufigkeit eines bestimmten Eingriffs in einem bestimmten Spital basieren. Die Patienten dürfte zum Beispiel interessieren, wie oft an einem Ort ein bestimmter Eingriff durchgeführt wird, denn im Allgemeinen gilt: Je häufiger, umso besser die Resultate. Die Publikation von Qualitätsdaten erleichtert die Entscheidfindung der Patienten und erhöht das Vertrauen. Ärzte/Spitäler: Auch Ärzte und Spitäler haben grundsätzlich ein Interesse an der Veröffentlichung der Daten. Sie bestätigen entweder gute Arbeit oder können bei mangelhafter Qualität zu Verbesserungen führen. Erst mit Hilfe guter Daten können künftig gute Leistungen auch belohnt werden. Das Erheben der Daten ist kein Leerlauf für die Angestellten. Und für Ärzte gilt: Die Anzahl Publikationen in renommierten Journalen ist ein Qualitätsfaktor, aber Qualität ist mehr als die Anzahl Publikationen. Zudem ist es auch ein Gebot der Transparenz: Ein Qualitätsbericht zeigt, dass sich Spitäler um beste Qualität bemühen, er zeigt aber auch, dass Fehler passieren. Politik/Behörden: Das Gesundheitssystem in der Schweiz steht vor grossen Herausforderungen. Die Daten sollen mithelfen, damit Politikerinnen und Politker und auch Behörden in Zukunft fundierte Entscheide fällen können. Versicherungen: Auch die Versicherungen profitieren von den Daten: Die Bezahlung kann dann besser in Abhängigkeit von der Behandlungsqualität erfolgen. Die Versicherer setzen sich daher für den korrekten Umgang der Daten ein. Die Transparenz und die medizinische Behandlungsqualität wird erhöht. Die gemessene Qualität wird vergleichbar. Folie 4 Warum diese Empfehlungen? Die Gefahr besteht, dass in der Schweiz nun eine Vielfalt an Daten erhoben und veröffentlicht wird. Dass jedes Spital seine eigenen Daten publiziert, dass ein Wildwuchs entsteht, der dem Ziel der erhöhten Transparenz entgegenläuft. Eine Gefahr ist zudem die Publikation irreführender oder gar falscher Daten sowie die Risikoselektion: Patienten mit einem erhöhtem Risiko werden zum Beispiel rasch an andere Kliniken weitergewiesen, um nicht die eigenen Zahlen zu belasten. Eine möglichst einheitliche Herangehensweise, die faire und korrekte Daten produziert, die auch auf nationaler Ebene vergleichbar sind, ist daher entscheidend und das Ziel dieser Empfehlungen. Zudem soll die Skepsis, die bei einem Teil der medizinischen Fachleuten gegenüber dem Erheben von Qualitätsdaten herrscht, reduziert werden. Ein Qualitätsbericht soll bei den Fakten bleiben: Nichts weglassen, nur weil es nicht ins Bild passt. Nichts verschönern. Folie 5 Rechtliche Grundlagen Es gibt einen rechtlichen Auftrag, die Daten zur medizinischen Behandlungsqualität zu erfassen – und es gibt kein Zurück. Die rechtlichen Grundlagen liefert vor allem das Krankenversicherungsgesetz: Dort ist die Sicherung der medizinischen Behandlungsqualität seit dem Jahre 1996 gesetzlich verankert: Leistungserbringer oder deren Verbände müssen entsprechende Konzepte und Programme erarbeiten (KVG, Art 58 Qualtitätssicherung sowie KVV, Art 77, Qualitätssicherung). Seit dem 1. Januar 2009 ist zudem KVG Art. 22a in Kraft, der die Leistungserbringer «verpflichtet, den zuständigen Bundesbehörden die Daten zu geben, die benötigt werden, um die Anwendung der Bestimmungen dieses Gesetzes über die (...) Qualität der Leistungen zu überwachen.» Zudem gilt das Gesetz gegen unlauteren Wettbwerb (UWG): «Jedes täuschende oder in anderer Weise gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossende Verhalten ist unlauter». Unlauter ist damit die Veröffentlichung von «unrichtigen» Qualitätsdaten. Die Datenerhebung ist auch eine Bundesaufgabe (jährliche Publikation durch das BAG), allerdings gibt es beim Bund keine Verpflichtung für einen einheitlichen Publikationsstandard (Erklärung des Bundesrates vom 2.9.2009). Für Projekte der Qualitätssicherung braucht es die Zustimmung durch eine Ethikkommission. Folie 6 Wie kann man die Qualität der Behandlung messen? Medizinische Behandlungsqualität zu definieren und zu messen ist eine äusserst komplexe Aufgabe. Denn kein Spital ist wie das andere. Das Durchschnittsalter der Patienten zum Beispiel kann von Spital zu Spital stark variieren. Das Phänomen wird als Patientenmix bezeichnet: Nicht jeder Patienten hat die gleiche Prognose. Patienten mit schlechter Prognose werden meist in hochspezialisierten Spitälern behandelt und nicht in Allgemeinspitälern. Dadurch werden Vergleiche heikel. Universitätsspitäler kann man untereinander besser vergleichen als ein Universitätsspital mit einem Regionalspital. Besonders schwierig zu erfassen ist der Einfluss einer Behandlung auf die Lebensqualität, da diese schwierig zu definieren ist. Einfacher ist es hingegen bei den Sterberaten. Wichtig sind daher klar definierte und akzeptierte Indikatoren. Qualität kann in mehreren Dimensionen gemessen werden: Strukturqualität: Personen (Anzahl Ärzte und Pflegefachpersonen, Ausbildungsstand), Mittel, Ressourcen. Strukturqualität ist eine Grundlage für gute Behandlungsqualität, aber kein Garant dafür. Prozessqualität: Wird die Behandlung einer Krankheit nach dem heutigen Wissensstand durchgeführt? Halten sich die verantwortlichen Personen an internationale Richtlinien, die eine optimale Behandlung garantieren? Zum Beispiel Hygiene-Richtlinien? Wie lange ist die Wartezeit auf eine bestimmte Massnahme? Outcomequalität: Hier wird das gemessen, was den Patienten am meisten interessiert: das Resultat der Behandlung. Indikatoren sind Lebensqualität, Morbiditäts- und Mortalitätsraten, aber auch Länge des Spitalaufenthalts, die Kosten oder die Anzahl ungeplanter Reoperationen. Die Outcomequalität steht in Relation zum Risikoprofil des Patienten. Folie 7 Worauf ist beim Erfassen der Daten zu achten? Grundsätzlich gelten für die Erhebung der Daten zur medizinischen Behandlungsqualität die gleichen Massstäbe wie bei klinischen Studien. Fehlerhafte oder falsch interpretierte Daten vermindern das Vertrauen der Bevölkerung in das Gesundheitssystem, können den Patienten Nachteile bringen und sind ethisch nicht vertretbar. Um mit den erhobenen Daten einen maximalen Effekt erzielen zu können, müssen in erster Linie drei Kriterien erfüllt sein: Die Zahlen müssen korrekt, relevant und für den Leser verständlich sein. Dieses Vorgehen schafft Transparenz über die Art und Weise, wie die Daten erhoben bzw. interpretiert wurden. Um dies zu erreichen, soll das Erfassen der Daten möglichst einfach, vollständig und überprüfbar sein. Zudem ist wichtig, dass man beim Erheben der Daten frühzeitig daran denkt, alle beteiligten Akteure in den Prozess einzubeziehen. Folie 8 ((Checkliste kann verteilt werden, Checkliste wurde im Mai 2011 revidiert)) Die Checkliste konzentriert sich auf Fragen zur Relevanz, zur Korrektheit und zur Verständlichkeit der veröffentlichten Daten. Grundsätzlich enthält die Checkliste eine Art Priorisierung Top-Down: Die Punkte, die oben erwähnt werden, sind tendenziell auch etwas wichtiger als die Punkte weiter unten. Wichtige Punkte auf der Checkliste sind aber auch 2 J und 2 K. Folie 9 Sind die Daten relevant? A. Gibt es einen konzeptionellen Rahmen für die Qualitätsmessung? Hier kann angegeben werden, ob sich die Datenerhebung auf ein bestimmtes Verfahren bezieht, zum Beispiel den PDCA-Zyklus. B. Ist eine Begründung angegeben, warum die gewählten Indikatoren die medizinische Behandlungsqualität repräsentieren? In der Einleitung eines Qualitätsberichtes sollte stehen und plausibel begründet werden, warum und inwieweit die gemessenen Indikatoren die Qualität der medizinischen Behandlung repräsentieren. C. Gibt es Indikatoren zur Prozessqualität? Im Qualitätsbericht sollte zu jedem Indikator stehen, auf was er sich bezieht. Ein Prozessindikator soll ausgewählt werden, weil er insgesamt auch den Outcome verbessert. D. Gibt es Indikatoren zur Outcome-Qualität? E. Ist angegeben, an welches Zielpublikum sich der Qualitätsbericht richtet? Die Verfasser sollen sich frühzeitig überlegen, an wen sich der Bericht richtet und den Bericht entsprechend aufbauen. Folie 10 Sind die Daten korrekt? (1) A. Sind die Indikatoren präzise definiert? Wichtig ist, dass der Indikator genau definiert und unmissverständlich beschrieben wird, insbesondere, wenn mehrere Leistungserbringer miteinander verglichen werden. Zum Beispiel: Wie wurde eine Infektion definiert? Als Rötung der Wundränder inklusive Eiter und Schmerz im Bereich der Wunde? Oder mittels Abklärung durch CT? Die zwei Messarten können ganz unterschiedliche Ergebnisse liefern. B. Ist die Gesamtheit der Patienten, bei welchen vorgesehen war, die Indikatoren zu messen, klar beschrieben? Wurden bei einem Indikator die Daten aller Patienten erfasst oder nur teilweise? Falls nur ein Teil der Patienten erfasst wurde: Wie wurde ausgewählt? Wer hat ausgewählt? Die Auswahlkriterien müssen klar und eindeutig beschrieben werden. C. Gibt es konkrete Angaben über die Anzahl der Patienten, bei denen der Indikator tatsächlich erhoben wurde? Bei wie vielen Patienten wurde der Indikator erhoben (Patientenzahl)? Das ist eine wichtige Kennzahl, denn zu kleine Patientenzahlen verhindern einen Vergleich. D. Gibt es, wenn es sich um eine Befragung handelt, Angaben über die Rücklaufquote? Umfragen, bei denen nur ein kleiner Teil der Befragten auch tatsächlich mitmacht, ergeben unsichere, zufällige Resultate. Je höher die Rücklaufquote, umso besser. Wie wurde mit fehlenden Antworten umgegangen? Wurde ein Reminder geschickt? Folie 11 Sind die Daten korrekt? (2) E. Sind Instrumente zur Messung der Indikatoren gültig (valide) und verlässlich (reliabel)? Prinzipiell sollte man nur anerkannte und bewährte Fragebögen verwenden (und angeben, welcher Fragebogen verwendet wurde). F. Sind Angaben zum Personal, das die Daten erhoben hat, im Bericht erwähnt? Für die Erhebung gewisser Daten braucht es Ärztinnen und Ärzte, für andere braucht es Pflegefachpersonen. Daher ist wichtig, anzugeben, wer die Daten erhoben hat. G. Wurde die Datenquelle beschrieben? Datenquellen können sein: klinikinterne Datenbanken, schriftliche Krankenakten, Patientenbefragungen usw. H. Ist die Dauer der Messung bzw. der Zeitintervalle angegeben? Wie lange wurde der Indikator gemessen? Ein Tag, eine Woche, ein Jahr? I. Wurden die für eine eventuell notwendige Korrektur für den Patientenmix erforderlichen Daten erhoben? Dies ist wichtig, um Outcomeparameter miteinander vergleichen zu können. Daher sollte man im Bericht angeben, welche Daten (Schweregrad der Erkrankung, Dauer der Erkrankung, andere Erkrankungen usw.) dazu notwendig sind (inkl. Literaturzitate über Relevanz und Richtigkeit der Daten). J. Ist angegeben, ob die Qualität der erhobenen Daten kontrolliert wurde? Sind die Daten vollständig und korrekt? Wer hat diese kontrolliert? Wie wurde kontrolliert? Zum Beispiel mittels Stichproben. K. Ist angegeben, wie mit fehlenden Daten verfahren wurde? L. Ist die Darstellung der Resultat für das Zielpublikum verständlich? Üblich sind zum Beispiel Angaben in Prozent, wenig verständlich sind Angaben wie Odds ratio. M. Ist die Durchführung des Vergleichs mit anderen Leistungserbringern beschrieben? Können die Zahlen mit anderen Institutionen verglichen werden? Besteht ein Benchmark? ((Allenfalls können noch folgende Punkte erwähnt werden)) N. Allgemeine Punkte: a. Ist angegeben, wer für die Korrektheit der Daten garantiert? Der Spitaldirektor? Die Abteilungsleiterin? Die Chefärztin? b. Werden Angaben über die Finanzierung des Projekts gemacht? c. Ist angegeben, ob die erhobenen Daten in begründeten Fällen eingesehen werden können? d. Wurde ein unabhängiges, externes Audit der erhobenen Daten durchgeführt? Die Daten können, müssen aber nicht, durch eine externe Stelle überprüft werden. Folie 12 Sind die Daten verständlich? Die Verständlichkeit von Qualitätsberichten ist ein wichtiger Punkt. Qualitätsberichte sind nicht nur für Fachleute bestimmt, sondern auch für Patienten, für Journalisten, für Politiker. Eventuell kann es daher sinnvoll sein, fundiertere Informationen für Fachleute von den allgemeinen Informationen zu trennen und allenfalls in einem Anhang aufzubereiten. Je komplizierter die Daten präsentiert werden, umso grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Daten falsch interpretiert werden. Verwirrend sind auch zu viele Fachbegriffe: Wichtig ist eine Begrenzung auf die wirklich wichtigen Fachbegriffe, die zudem in einem Glossar erläutert werden können. Verständliche Qualitätsberichte sind die Grundlage für die mit diesen Berichten angestrebte Transparenz. Hilfreich ist hier ein Begleitkommentar, in dem wichtige Fragen zur Verständlichkeit und Interpretation erörtert werden, zum Beispiel: - Wie sind diese Daten zu bewerten? - Sind die Daten vollständig? - Warum wurden die Daten auf diese Weise interpretiert? Sinnvoll kann zudem sein, den Qualitätsbericht vor der Publikation mit Personen, die den Bericht nicht kennen und mit dem Thema wenig vertraut sind, anzuschauen, um zu erkennen, wo Fehlinterpretationen auftauchen könnten. Folie 13 Weiterführende Informationen/Links www.samw.ch www.anq.ch www.vereinoutcome.ch www.hplusqualite.ch www.bag.admin.ch (Qualitätssicherung – Qualitätsstrategie im Schweizerischen Gesundheitswesen)