Prof. Dr. Hermann Knoflacher Die Entwicklung der klassischen Naturwissenschaften und in ihrem Gefolge der technischen Disziplinen erfolgte offensichtlich viel rascher als der verantwortliche Umgang mit den neuen Errungenschaften. Die Ethik, ein zentraler Faktor im friedlichen Zusammenleben menschlicher Gemeinschaften, konnte mit der sich immer mehr bescheunigenden künstlichen Veränderung der Umwelt nicht Schritt halten. Sie wird zwar zunehmend, wenn auch meist vergeblich, beschworen, es scheinen jedoch Kräfte am Werke zu sein, die man unterschätzt oder nicht wahrgenommen hat. Die technische Umwelt hat viele unserer Organe erweitert und damit unseren evolutionären Erfahrungsbereiche überschritten. Die Rückwirkung dieser Veränderungen und die daraus ausgelösten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, ökologischen und politischen Folgen sind nicht bedacht und oft überraschend. Das seinerzeitige Staunen über die möglichen Leistungen, die Naturwissenschaft und Technik ausgelöst haben, ist vielfach einem Staunen über die unerwarteten und unerwünschten Folgen manchen Handelns gewichen. Der Boden auf dem wir in den vergangenen beiden Jahrhunderten so selbstbewusst dahingeschritten sind, ist nicht nur holpriger geworden, es zeigen sich auch immer mehr Risse in ihm, die darauf schließen lassen, dass dieser Weg nicht tragfähig für die Zukunft sein wird. Die Probleme, die heute die Menschheit treffen, sind keine naturgesetzlichen, sondern wurden gemacht. Ihre Erscheinungsformen sind vielfältig, ihre Ursachen so verdeckt, dass man sie nicht leicht erkennt. Eines ist ihnen meist gemeinsam: sie tauchen „zwischen den Disziplinen“ auf. Es ist deshalb naheliegend, dass Begriffe wie „interdisziplinäre Zusammenarbeit“, „Transdisziplinarität“ immer häufiger in diesem Zusammenhang auftauchen. So wichtig diese auch wären, so schwierig sind sie in der Praxis zu realisieren, weil nicht nur manche Barrieren, innere und äußere zu überwinden sind, sondern auch ein gemeinsames Werkzeug fehlt. Konrad Lorenz, Bertalanffy und Rupert Riedl haben durch die Weiterentwicklung und Erweiterung der Evolutionstheorie und der evolutionären Erkenntnistheorie eine Grundlage für die erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit geschaffen, die auf dem gegenseitigen Verständnis und dem Respekt der anderen Disziplinen aufbauen kann. „Systeme haben die Eigenschaft, dass es gleichgültig ist, wo man beginnt, es ist immer gleich falsch“ (Rupert Riedl). Abgesehen von diesem unschätzbaren Vorteil, der relativen eigenen Bedeutung hat dieser Ansatz aber - wenn man ihn für die Forschung und die Praxis anwendet - den großen Vorteil, dass man nun über ein Instrument verfügt, dass viele Phänomene, die man meist nur in den Symptomen beschrieb, nun viel weiter auf ihre Entstehung zurückgeführt werden können. Für Erscheinungsformen, insbesondere der neuen technischen, künstlichen Welt, in der sich die Menschen eingerichtet haben – und sich vielfach auch verfangen und gefesselt zu haben scheinen, können nun Wirkungsmechanismen aufgedeckt werden, die zu erfolgreichen Auswegen aus dieser (selbstverschuldeten) Krise führen. Der „Club of Rome“ beschäftigte sich zunächst mit den Grenzen des Wachstums und später mit der Frage, wie man dieses „Wachstum“ auf andere Weise fortsetzen könne, indem man vor allem die Effizienz des technischen Systems verbessert. Hier sind verschiedene Faktoren seit einiger Zeit im Gespräch. Die Mitglieder des Club of Vienna haben begonnen sich mit den „Ursachen des Wachstums“ zu beschäftigen, da nur eine ursachenbezogene Behandlung der Probleme nachhaltigen Erfolg erzielen kann. Die dabei unvermeidlich auftretenden Spannungen zwischen Erkenntnissen der Forschung und „Machbarkeit“ - was man darunter in der Wirtschaft oder Politik auch versteht, sind nicht nur auf die Bereiche Wissenschaft und Praxis beschränkt, sondern treten in und zwischen den Wissenschaften auf. Erkenntnisse, die zum Umdenken oder gar zu Umstellungen führen, sind immer unangenehm. Sie sind aber auch unvermeidlich, um einen tragfähigeren Weg in die Zukunft zu finden, für den - aufgrund der ausgelösten Eigendynamik in der Umwelt - nicht unbegrenzt Zeit zur Verfügung steht. Solide, auf theoretischen Kenntnissen und empirischen Befunden erarbeitete Grundlagen, erfordern, wenn sie wirksam werden sollen, der praktischen Umsetzung. Diese kann aber nur dann erfolgen, wenn es gelingt die Arbeiten so verständlich zu machen, dass sie von den Praktikern auch übernommen werden (können). Die Umsetzung in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik ist daher entscheidend. Dies ist aber nur langfristig zu messen.