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Grenzüberschreitungen: Der Komponist Josef Anton Riedl
Sein Geburtsort ist München, aber niemand weiß wirklich genau, wann Josef Anton Riedl
geboren wurde. Auch er selbst weiß es nicht, und es stört ihn nicht besonders. Von
Geburtstagsfeiern hält er nicht viel. Als seine jüdische Mutter vor den Nazis fliehen musste,
wurde Riedl, um ihn dem Zugriff der staatlichen Organe zu entziehen, in einer Klosterschule
angemeldet und dabei vermutlich zwei bis vier Jahre älter gemacht. Die offiziellen
Dokumente, die seinen Geburtstag mit 11. Juni 1927 angeben, sind mit Sicherheit gefälscht.
Das Ältermachen konnte nicht verhindern, dass Riedl noch kurz vor Kriegsende, von den
Nazis aufgegriffen wurde. Doch die Amerikaner brachten ihn nach Südfrankreich und
Algerien in Sicherheit. Von dort kehrte er erst 1947 wieder zurück, beendete die Schule und
schrieb sich an der Musikhochschule ein. Wichtig für seine musikalische Entwicklung waren
die häufigen Begegnungen mit Carl Orff. Beeinflusst von Orff wandte er sich dem
Schlagzeug zu, beeindruckt von Pierre Schaefers Symphonie pour un homme seul, die er 1951
in Aix en Provence hörte, den konkreten Klängen. Er begann konkrete, später zunehmend
auch elektronische Musik zu komponieren.
Wo ein Großteil des heutigen Kulturbetriebs – trotz bahnbrechenden Wirkens solch
universeller Geister wie Duchamp oder Schwitters, Cage oder Xenakis – noch immer in den
Kategorien der Spartenbildung denkt, der bequemeren Einordnung halber Abgrenzungen
lieber beibehält, wenn nicht gar erst errichtet, sind Grenzüberschreitungen aller Art bis heute
Josef Anton Riedl innerstes Anliegen. Damit gehört er zu den wenigen Komponisten, die an
einem experimentellen Kunst- und Musikbegriff festgehalten haben, die nicht dazu
übergegangen sind, auch noch mit Sinfonien und Streichquartetten beglücken zu wollen.
Als Komponist und Autor von akustischen, Zeichner von optischen Lautgedichten, als
Propagator offener Werkformen – Riedl: „Möglichst jede Uraufführung des gleichen Stücks
eine Art Uraufführung. Ich bin neugierig, will überrascht werden.“ – als Schöpfer und
Anreger von Multimedia-Ereignissen aller Art ließ Riedl sich auch nie abschrecken von
echten und vermeintlichen Barrieren zwischen der elektronischen Musik Kölnscher Prägung
und der Musique concrète Pierre Schaefers oder Pierre Henrys. Er überwand die
ideologischen Schranken zwischen seriellen und aleatorischen Prinzipien, zwischen
instrumental dargebotener und Lautsprechermusik, zwischen den Zirkeln der Kenner und der
großen Schar neugieriger Laien im Publikum.
Riedl verwendet in seinen Kompositionen die unterschiedlichsten Kunstmittel mit einer
inneren Freiheit und dabei einer Konsequenz, wie man sie in ähnlich umfassender
Ausprägung vielleicht tatsächlich nur noch bei John Cage antreffen konnte. Bei aller
Geistesverwandtschaft verzichtet Riedl im Gegensatz zu Cage jedoch fast gänzlich auf die
konventionellen Mittel des Musikmachens, wie sie sich (im längst durch das „global village“
abgelösten) Abendland etabliert haben. Kein Orchester- oder Chorwerk, kein Streichquartett,
keine Oper, selten nur einzelne Stimmen für traditionelle Musikinstrumente verließen in den
letzten Jahrzehnten seine Werkstatt. Stattdessen steht man vor einer eindrucksvollen Reihe
von Werken für verschiedene Schlagzeugbesetzungen, zahlreichen Stücken für Tonband mit
konkreten und/oder elektronischen Klängen, umfangreichen Zyklen für Lautgedichten für
Instrumentalisten und perkussiv den eigenen Körper mit einbeziehenden Sprechern und
spektakulären Multimedia-Events.
Der Komponist ist aber nur eine Seite des Musikmenschens Josef Anton Riedl. Noch als
Gymnasiast gründete er 1959 zusammen mit Herbert Barth, Eckart Rohlfs und Reiner
Bredemeyer die deutsche Sektion der Jeunesses Musicales und übernahm den Vorsitz der
Münchner Gruppe. Damals begann Riedl, Konzerte junger Komponisten zu organisieren. Im
Jahr 1960 rief er dann die bis heute bestehende Konzertreihe Neue Musik München-KlangAktionen ins Leben. Ob John Cage, Philip Glass, Mauricio Kagel, Bruno Maderna, Steve
Reich, Dieter Schnebel oder Karlheinz Stockhausen – Riedl war es, der sie und viele weitere
inzwischen bekannt und berühmt gewordene Komponisten zu seinen Klang-Aktionen
erstmals nach München holte.
Michael Zwenzner
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