Skript Teil 1 - Uni

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Skript zur Vorlesung
Leistungspflichten des Unternehmers
Teil 1
Die Bauleistung und ihr Preis
Prof. Stefan Leupertz
Schiedsrichter, Schlichter, Adjudikator
Richter am Bundesgerichtshof a.D.
Teil 1
Das bauvertragliche
Preis- Leistungsgefüge
1 Der Bauvertrag
1.1 Zustandekommen
Der Bauvertrag kommt – vorbehaltlich der Bauvergabe durch öffentliche
Auftraggeber im Rahmen der speziellen Vergabebestimmungen der VOB/A – nach
Maßgabe der §§ 145ff. BGB durch zwei inhaltlich übereinstimmende
rechtsgeschäftliche Willenerklärungen, also durch Angebot und Annahme
zustande. Er unterliegt in der Regel keiner Form und kann von den Parteien in den
durch §§ 134f. BGB gezogenen Grenzen inhaltlich frei gestaltet werden. In der Praxis
wird die Ausübung dieses Gestaltungsrechtes durch eine kaum noch zu
überblickende Vielzahl von Allgemeinen Geschäftsbedingungen dominiert, die
dann allerdings einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle nach Maßgabe der §§ 307ff.
BGB standhalten müssen. Auch die Bestimmungen der VOB/B sind nach ganz h. M.1
Allgemeine Geschäftsbedingungen, die einer isolierten Inhaltskontrolle nur dann
nicht unterliegen, wenn die VOB/B als Ganzes, d. h. ohne Änderungen vereinbart ist.
Das ist in der Praxis kaum je der Fall.
Die Initiative für den Abschluss eines Bauvertrages geht regelmäßig vom
Auftraggeber aus, der es naturgemäß in der Hand hat, den gewünschten Bauerfolg
näher fest zu legen. Das wieder rum geschieht zumeist durch die Erstellung eines
Leistungsverzeichnisses, in dem die hierfür erforderlichen Arbeiten nach
Leistungspositionen aufgeschlüsselt erfasst sind. Auf dieser Grundlage gibt der
Auftragnehmer sein Vertragsangebot ab, indem er das Leistungsverzeichnis mit
seinen Angebotspreisen versieht und dem Auftraggeber zurückreicht. Der
Auftraggeber entscheidet dann darüber, ob er dieses Angebot annimmt, was er dem
Auftragnehmer gegenüber zumindest konkludent – etwa durch die
unmissverständliche Aufforderung, mit den angebotenen Arbeiten zu beginnen –
mitteilen muss (§ 130 Abs.1 BGB). Die Vertragskonstellation ist die gleiche, wenn der
1
a. A: Leupertz, Jahrbuch Baurecht 2004, 43
2
mit Spezialkenntnissen ausgestattet Auftragnehmer das Leistungsverzeichnis zu
Erreichung des vom Auftraggeber nur funktional vorgegebenen Bauerfolges
erstellt. Allerdings trägt er dann abweichend vom Normalfall das Leistungs- und
Preisrisiko für Unzulänglichkeiten der von ihm verfassten Leistungsbeschreibung.
Oft wird der Auftraggeber bei der Erstellung des Leistungsverzeichnisses die Hilfe
eines Architekten in Anspruch nehmen. Daraus folgt nicht, dass der Architekt den
Auftraggeber bei der Vergabe von Bauaufträgen wirksam rechtsgeschäftlich vertreten
kann. Zwar wird er Bauleistungen in aller Regel nicht im eigenen Namen, sondern im
Namen seines Auftraggebers, oft des Bauherrn vergeben; das weiß auch der
Auftragnehmer, wenn er vertragliche Verabredungen mit dem Architekten trifft2 - §
164 Abs. 1 S: 2 BGB. Wirksam verpflichtet wird der Auftraggeber durch solche
Erklärungen seines Architekten indes nur, wenn er ihn dementsprechend
rechtsgeschäftlich bevollmächtigt hat (§ 167 Abs. 1 BGB).
Dafür genügt es nicht, dass der Architekt für den Auftraggeber im Zusammenhang
mit einem konkreten Bauvorhaben tätig wird, und zwar selbst dann nicht, wenn zu
dieser Tätigkeit vereinbarungsgemäß die Einholung und Bewertung von
Unternehmerangeboten gehört. Denn auch dann besteht seine durch Abschluss des
Architektenvertrages begründete Aufgabe lediglich in der technischen und
planerischen Betreuung des Bauvorhabens, nicht in der Schaffung der hierfür
erforderlichen vertraglichen Grundlagen3. Anders nur, wenn der Architektenvertrag
eine entsprechende Vollmachtklausel enthält oder sich aus den sonstigen
Umständen des Einzelfalles zweifelsfrei ergibt, dass der Auftraggeber dem
Architekten eine umfassende Vertretungsbefugnis eingeräumt hat4. Lässt sich eine
solche Bevollmächtigung nicht feststellen, so kann sich eine wirksame Stellvertretung
gleichwohl immer noch nach den allgemein gültigen Grundsätzen von Anscheinsund Duldungsvollmacht ergeben, für die diejenige Vertragpartei darlegungs- und
beweispflichtig ist, die sich auf die Wirksamkeit des Vertretergeschäftes beruft.
Beispiel: Der Auftraggeber überlässt dem Architekten die Vertragsverhandlungen,
2
OLG Brandenburg BauR 2002, 476; OLG Köln NJW-RR 1996, 212
OLG Düsseldorf BauR 2000, 891; OLG Saabrücken NJW-RR 1999, 668; OLG Düsseldorf NJW-RR
1996, 1485
4 vgl.: BGH BauR 1978,139
3
3
obwohl er selbst teilweise an den Vertragsgesprächen teilnimmt. Wenn der
tatsächlich vollmachtlose Architekt dann den Bauvertrag im Namen des
abwesenden Auftraggebers unterzeichnet, muss dieser sich u. U. entgegenhalten
lassen, den Anschein einer wirksamen Bevollmächtigung gesetzt zu haben5.
Erst wenn sich auch dazu keine ausreichenden Feststellungen treffen lassen, ist der
vollmachtlos geschlossene Bauvertrag unwirksam und der Architekt haftet ggfls.
gemäß § 179 BGB persönlich6. Diese Grundsätze gelten im Wesentlichen auch für
den noch stärker mit der technischen Umsetzung des Bauvorhabens befassten
Bauleiter7.
1.2 Unternehmereinsatzformen / Beteiligte
Außer Architekten und Sonderfachleuten (Tragwerksplaner, Lüftungs- und
Klimatechniker, Bodengutachter, Vermessungsingenieure) werden auf
Auftraggeberseite bei großen Bauvorhaben oft Projektsteuerer bzw.
Projektmanager eingeschaltet, die den Bauherrn von Planungs- und
Koordinierungsaufgaben entlasten sollen8. Auf Auftragnehmerseite haben sich
verschiedene Unternehmereinsatzformen herausgebildet. Die wichtigsten sind:

Der vom Bauherrn mit einem oder mehreren Gewerken beauftragte
Hauptunternehmer überlässt die Ausführung eines Teils der Leistungen kraft
eigenständiger vertraglicher Vereinbarung nachgeordneten
Subunternehmern, die ihrerseits in keiner vertraglichen Beziehung zum
Bauherrn stehen.

Der Generalunternehmer unterscheidet sich vom Hauptunternehmer
dadurch, dass er sämtliche zur Durchführung des Bauvorhabens erforderlichen
Bauleistungen übernommen hat, diese selbst aber nur z. T. ausführt und im
Übrigen Subunternehmern überlässt.
5
vgl.: BGH BauR 1983, 165
Nach obigen Grundsätzen ist der nicht mit besonderer Vollmacht ausgestattete Architekt
grundsätzlich auch nicht befugt, Zusatz- oder Änderungsaufträge zu erteilen (OLG Düsseldorf
BauR1198). Etwas anderes soll nach Auffassung des BGH nur bei im Verhältnis zu Gesamtleistung
geringfügigen Zusatzaufträgen gelten (BGH BauR 1978314, 316; a. A.: OLG Saabrücken NJW-RR
1999, 668)
7 OLG Düsseldorf BauR 2000, 891
8 im Einzelnen zu den Aufgaben des Projektsteuerers: Eschenbruch; Recht der Projektsteuerung, Rn
5ff.
6
4

Auch der Generalübernehmer hat sich gegenüber dem Bauherrn zur
Herstellung des gesamten Bauwerks verpflichtet, lässt aber sämtliche
Bauleistungen von Subunternehmern ausführen. In der Praxis treten
insbesondere Wohnungsunternehmen und Anlagegesellschaften als
Generalübernehmer auf.

Von Totalunternehmer und Totalübernehmer spricht man, wenn zu den
Bauleistungen auch noch die für die Realisierung des Bauvorhabens
erforderlichen Planungsleistungen übernommen werden.

Vor allem für große Bauvorhaben mit unterschiedlichen
Spezialisierungsanforderungen an die ausführenden Unternehmen ist es
üblich, dass sich mehrere Unternehmen zu einer Arbeitsgemeinschaft (ARGE)
zusammenschließen. Das geschieht meistens in der Rechtsform einer BGBGesellschaft, die nach der neueren Rechtssprechung des BGH teilrechts- und
parteifähig ist9. Die ARGE schließt den Bauvertrag mit dem Auftraggeber und
regelt im Innenverhältnis die Modalitäten der Auftragsausführung.

Der Baubetreuer verpflichtet sich, auf dem Grundstück des Bauherrn für
dessen Rechnung ein Bauvorhaben auszuführen. Davon zu unterscheiden ist

der Bauträger, der es übernimmt, auf einem eigenen oder von ihm noch zu
erwerbenden Grundstück ein Bauwerk für fremde Rechnung zu errichten. Der
Bauträger schließt die Bauverträge mit den ausführenden Bauhandwerkern in
der Regel im eigenen Namen und verpflichtet sich, das Eigentum an dem fertig
bebauten Grundstück auf den Erwerber zu übertragen. Auf den
Bauträgervertrag findet nach ganz h. M. Werkvertragsrecht Anwendung10.
Darüber hinaus sind die Bestimmungen der Makler- und
Bauträgerverordnung (MaBV) zu beachten.
1.3 Inhalt
9
BGH NJW 2001, 1056; BGH NJW 2002, 1207
BGH NJW 1991, 342
10
5
1.3.1 Allgemeines
Der Bauerfolg hängt ganz entscheidend davon ab, wie sorgfältig und kooperativ die
Beteiligten bei der Erarbeitung und Gestaltung des Bauvertrages zusammenarbeiten.
Das betrifft im Gegensatz zu den meisten anderen Vertragstypen nicht in erster Linie
die rechtliche Ausarbeitung des Vertragsverhältnisses, sondern - viel tiefgreifender schon die Bestimmung der wechselseitigen vertraglichen Leistungspflichten. Denn
es liegt aus den bereits genannten Gründen in der Natur des Bauens, dass in der
Regel schon die Konkretisierung des Bauzieles eine detaillierte Planung voraussetzt
und sich zudem bei Vertragsschluss nur schwer festlegen lässt, welche
Bauleistungen im Einzelnen erforderlich sein werden, um den Bauplan umzusetzen.
Die Parteien müssen sich also nicht nur darauf einigen, was nach ihrer Auffassung
ein fairer Preis für die verlangte Ware ist, sondern überhaupt erst definieren und
festlegen, wofür genau der Auftragnehmer die vertragliche Vergütung bekommen
soll. Darin liegt die größte und wichtigste Herausforderung für die Vertragsparteien,
der sie sich in der Praxis allzu oft nicht gewachsen zeigen.
1.3.2 Das Bausoll
1.3.2.1 Grundlagen
Beim Bauvertrag legen also die Parteien Art und Umfang des herzustellenden
Werkes fest, indem sie individuell bestimmen was und ggfls. wie zu bauen ist, um
den vertraglich geschuldeten Werkerfolg zu erreichen. Das Ergebnis dieser
Bemühungen wird gemeinhin als Bausoll11 bezeichnet. Das Bausoll entspricht also
dem verpreisten Leistungsumfang. Der Auftragnehmer verpflichtet sich, die als
Bausoll vertraglich festgelegten Leistungen mangelfrei und entsprechend den Regeln
der Technik zu erbringen; dafür erhält er die vereinbarte, hilfsweise die übliche
Vergütung.
Das Bausoll ist keine statische Größe. Es kann im Verlauf des Baugeschehens
einvernehmlich, unter den Voraussetzungen der §§ 1 Abs. 3, Abs. 4 VOB/B auch
einseitig durch Anordnungen des Auftraggebers verändert werden. Für diese, in der
Praxis häufigen Fälle einer Störung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses
muss die benachteiligte Partei einen angemessenen finanziellen Ausgleich durch
11
zum Begriff im Einzelnen: Kapellmann/Schiffers, Band 1, Rn 4, 100, 700, 720
6
Anpassung des Vertragspreises erhalten. Dem tragen die Bestimmungen in §§ 2
Abs. 5, Abs. 6 und Abs. 7 VOB/B Rechnung.
Hinweis: Vom Bausoll zu unterscheiden ist das Erfolgssoll, das die technisch
einwandfreie, den vertraglichen Vorgaben des Auftraggebers entsprechende
Herstellung des bestellten Bauerfolges betrifft12. Der Bauerfolg kann auch bei
vollständiger Umsetzung des Bausolls verfehlt werden, beispielsweise dann, wenn
die Parteien die geschuldeten Leistungen in Bezug auf das Bauziel falsch oder
unvollkommen geplant und beschrieben haben. Dann ist das Gewerk mangelhaft
und der Auftragnehmer hat hierfür einzustehen, wenn er den Auftraggeber nicht
rechtzeitig auf die erkennbaren Unzulänglichkeiten der Ausschreibung hinweist (vgl.
§ 13 Abs. 3 VOB/B) 13. Erhält der Auftraggeber einen solchen Hinweis, muss er
eventuell erforderliche, vom bisherigen Bausoll nicht umfasste Zusatzleistungen
anordnen, die der Auftragnehmer dann unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 5,
6 VOB/B vergütet erhält.
Für die mitunter schwierige Ermittlung des Bausolls ist auf alle zum
Vertraggegenstand erhobenen Unterlagen abzustellen, die nach dem so genannten
Totalitätsprinzip gleichrangig heranzuziehen sind14. Erst wenn sich
Abweichungen beispielsweise zwischen textlicher Leistungsbeschreibung und den
Bauplänen ergeben, ist im Rahmen der dann gebotenen Auslegung (§§ 133, 157
BGB) zu ermitteln, welcher Vertragsbestandteil gegenüber dem anderen vorrangig ist
(dazu unten unter B. III. 2.)15.
Kernstück des klassischen Bauvertrages und wichtigster Anknüpfungspunkt für die
Festlegung des Bausolls ist die Leistungsbeschreibung. Regelungen hierzu finden
sich in § 7VOB/A. Danach ist – entsprechend auch für den privaten Bauvertrag zwischen Leistungsbeschreibungen mit Leistungsverzeichnis (§ 7 Abs. 9 - 12 VOB/A)
und solchen mit Leistungsprogramm (§ 7 Abs. 13 - 15 VOB/A) zu unterscheiden.
12
hierzu eingehend: Motzke, NZBau 2002, 641ff.
BGH NJW 1984, 1676; OLG Düsseldorf BauR 1994, 762
14 Kapellmann/Messerschmidt/Kapellmann, Teil B, § 2, Rn 64
15 Kapellmann/Messerschmidt/Kapellmann, Teil B, § 2, Rn 65, 66
13
7
1.3.2.2 Vertragsformen: Einheitspreisvertrag / Pauschalpreisvertrag
Das Leistungsverzeichnis enthält eine Aufgliederung des Bauvorhabens nach
Teilleistungen, den so genannten Leistungspositionen, denen die für die Ausführung
kalkulierten Mengenansätze (Massen) zugeordnet sind. In der Regel erstellt der
Auftraggeber – entweder selbst oder durch einen Architekten – das
Leistungsverzeichnis, das der Auftragnehmer dann zur Grundlage seines Angebots
macht, indem er die Preise für die einzelnen Leistungspositionen einsetzt und das so
ausgefüllte Leistungsverzeichnis an den Auftraggeber zurückreicht. Bleibt es bei dem
durch Addition der Positionspreise ermittelten Angebotspreis und nimmt der
Auftraggeber das Vertragsangebot an, haben die Parteien einen
Einheitspreisvertrag geschlossen, zu dem u. U. allerdings auch noch eine
einleitende Baubeschreibung und ggfls. Zeichnungen gehören (vgl. § 7 Abs. 10 - 12
VOB/A). Zumindest beim Einheitspreisvertrag ist das (ausgefüllte)
Leistungsverzeichnis also eine Art „Preisliste“16. Vereinbaren die Vertragparteien
hingegen auf der Grundlage des durch das Leistungsverzeichnis detaillierten
Angebots – meist durch einen prozentualen Abschlag auf den Angebotspreis – einen
Pauschalpreis, dann kommt ein Detail-Pauschalvertrag zustande, der sich vom
Einheitspreisvertrag in erster Linie dadurch unterscheidet, dass sich
Mengenmehrungen und Mengenminderungen in den durch § 2 Abs. 7 Nr. 1 S. 1, 2
VOB/B weit gezogenen Grenzen grundsätzlich nicht auf den insoweit eben
pauschalierten Vertragspreis auswirken.
Hinweis: In zahlreichen Detail-Pauschalverträgen finden sich so genannte
Komplettheitsklauseln, durch die der Auftragnehmer unabhängig von der
vorgegebenen Leistungsbeschreibung verpflichtet werden soll, eine voll
funktionsfähige Leistung ohne zusätzliche Vergütung zu erbringen. Damit wird dem
Auftragnehmer faktisch das Risiko für Fehler in der vom Auftragnehmer gefertigten
Planung aufgebürdet (Anders beim Global-Pauschalvertrag, bei dem die
Bauplanung regelmäßig ohnehin zu den vertraglichen Leistungspflichten des
Auftragnehmers gehört. Eine solche Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen
des Auftraggebers ist unwirksam17, wenn nicht ausnahmsweise der Auftragnehmer
das Leistungsverzeichnis erstellt hat18.
16
so treffend: Kapellmann/Messerschmidt/Kapellmann, Teil B, § 2, Rn 65
OLG München BauR 1990, 776; Werner/Pastor, Rn 1196 m.w.N.
18 OLG Düsseldorf BauR 2004, 506
17
8
Oft verzichtet der Auftraggeber auf eine detaillierte Leistungsbeschreibung und die
Erstellung eines Leistungsverzeichnisses. An seine Stelle tritt dann zumeist ein
Leistungsprogramm (vgl. § 7 Abs. 13 - 15 VOB/A) in Form einer funktionalen
Ausschreibung, mit der unter Verzicht auf konkrete Leistungsvorgaben nur der
Bauerfolg und die an ihn gestellten technischen, wirtschaftlichen, gestalterischen und
funktionsbedingten Anforderungen vorgegeben werden19. Es ist dann üblicherweise
(nicht zwingend) Aufgabe des Auftragnehmers, auf dieser Grundlage das Objekt zu
planen und zu bauen20. Das typische Ergebnis einer solchen Vertragsgestaltung ist
der Global-Pauschalvertrag, bei dem die Bauplanung zum Bausoll des
Auftragnehmers gehört. Er trägt deshalb grundsätzlich auch das (Preis-) Risiko, dass
der angestrebte Bauerfolg mit seiner Planung nicht erreicht werden kann und
zusätzliche, nicht kalkulierte Leistungen erforderlich werden 21. Ein Sonderfall des
Global-Pauschalvertrages ist der Schlüsselfertigbau, bei dem nicht nur der Preis,
sondern auch die geschuldeten Bauleistungen pauschaliert sind. Der Auftragnehmer
schuldet dann alle Arbeiten, die nach den Regeln der Technik für die Erreichung des
verabredeten Bauerfolges erforderlich und vorhersehbar sind22.
Andere Vertragstypen sind der Stundenlohnvertrag und der
Selbstkostenerstattungsvertrag.
2 Der verpreiste Leistungsumfang und der geschuldete
Werkerfolg
2.1 Vorab: Die Struktur des Bauvertrages
Welche Leistungen schuldet der Unternehmer?
Und welchen Preis muss der Besteller für diese Leistungen bezahlen?
Das sind die zentralen Fragen des Bauvertragsrechts. Ihre Beantwortung geht fehl,
wo sie ausschließlich aus den Besonderheiten des Bauvertragsrechts abgeleitet oder
19
Kapellmann/Messerschmidt/Kapellmann, Teil B, § 2 Rn 65
vgl. OLG Düsseldorf BauR 2002, 1103
21 Werner/Pastor, Rn 1189
22 OLG Düsseldorf BauR 1996, 396; für die gleich gelagerte Problematik beim Detail-Pauschalvertrag
mit Komplettheitsklausel: OLG Düsseldorf BauR 2004, 506; eingehend hierzu:
Kapellmann/Messerschmidt/Kapellmann, Teil B, § 2 Rn 250, 263, 267ff.
20
9
gar mit baubetrieblichen Erwägungen zur Preiskalkulation begründet wird.
Maßgebend sind vielmehr die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien, deren
Ermittlung und Festlegung in erster Linie nach den allgemein gültigen Grundsätzen
der Rechtsgeschäftslehre zu erfolgen hat.
Der typische Bauvertrag ist auf die Herbeiführung eines Werkerfolges gerichtet und
deshalb „Werkvertrag“ i. S. d. §§ 631ff.BGB23. Die werkvertraglichen Bestimmungen
des BGB werden der durch das Zustandekommen eines Bauvertrages geschaffenen
Interessenlage zwischen den Baubeteiligten allerdings nur in sehr beschränktem
Umfang gerecht. Die Gründe hierfür sind vielschichtig, lassen sich im Kern aber
darauf zurückführen, dass es sich bei einem Bauwerk in aller Regel um ein aus
zahlreichen Einzelleistungen bestehendes „Unikat“ handelt, dessen Herstellung im
Rahmen eines oft sehr komplexen Baugeschehens in weit höherem Maße eine
Koordination der Vertragsleistungen und die Kooperation der Vertragsparteien
erfordert, als dies bei andersartigen Werkverträgen der Fall ist. Deshalb entspringt
auch die mittlerweile gefestigte Kooperationsrechtssprechung des BGH24 bei näherer
Betrachtung der zutreffenden Erkenntnis, dass die interessengerechte Abwicklung
eines Bauvertrages Verhaltensmaßregeln erfordert, die über den Regelungsgehalt
der hierfür maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen hinausgehen.
Der Bauerfolg hängt also ganz entscheidend davon ab, wie sorgfältig und kooperativ
die Beteiligten bei der Erarbeitung und Gestaltung des Bauvertrages
zusammenarbeiten. Das betrifft im Gegensatz zu den meisten anderen
Vertragstypen nicht in erster Linie die rechtliche Ausarbeitung des
Vertragsverhältnisses, sondern - viel tiefgreifender - die Bestimmung der
wechselseitigen vertraglichen Leistungspflichten. Denn es liegt aus den bereits
genannten Gründen in der Natur des Bauens, dass in der Regel schon die
Konkretisierung des Bauzieles eine detaillierte Planung voraussetzt und sich zudem
bei Vertragsschluss nur schwer festlegen lässt, welche Bauleistungen im Einzelnen
erforderlich sein werden, um den Bauplan umzusetzen. Die Parteien müssen sich
also nicht nur darauf einigen, was nach ihrer Auffassung ein fairer Preis für die
verlangte Ware ist, sondern überhaupt erst definieren und festschreiben, welche
Leistungen der Auftragnehmer erbringen und wofür genau er die vertragliche
23
24
BGH NJW 1983, 261
grundlegend: BGH BauR 2000, 409; vgl. auch BGH, BauR 02, 409
10
Vergütung bekommen soll. Darin liegt die größte und wichtigste Herausforderung für
die Vertragsparteien, der sie sich in der Praxis allzu oft nicht gewachsen zeigen25.
Die sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten und Risiken lassen sich nicht mit
außerhalb der Rechtsgeschäftslehre angesiedelten Erwägungen zur Risikoverteilung
beseitigen oder abmildern.
These
Die Beantwortung der Frage, wer welche Vertragsrisiken zu tragen hat, hängt auch
beim Bauvertrag entscheidend ab vom Inhalt der rechtsgeschäftlichen
Vereinbarungen der Vertragsparteien. Es gibt – jedenfalls im Grundsatz - keine
bauvertragsspezifische Risikoverteilung.
These
Bauvertragstypisch im Vertrag verankerte Risikobereiche sind:
 die Sachmangelhaftung des Unternehmers;
 die Verpflichtung des Bestellers, erforderliche Mehraufwand bezahlen zu
müssen (Nachtragsproblematik);
 beide Risikobereiche sind miteinander verknüpft durch die
Bedenkenhinweispflicht des Unternehmers
2.2
Die Ermittlung des geschuldeten und „verpreisten“ Leistungsumfangs
durch Auslegung
2.2.1 Das Rechtsgeschäft „Bauvertrag“ als Bezugspunkt der Auslegung
Der werkvertragliche Erfolg ist bei richtigem Verständnis des § 633 Abs. 2 BGB erst
und nur dann verwirklicht, wenn die Werkleistungen des Unternehmers die
25
Das wiederum hat nach Auffassung des Verfassers entscheidend damit zu tun, dass Bauleistungen
viel zu oft in einem Zeitpunkt ausgeschrieben werden, in dem noch keine detaillierten
Ausführungspläne vorliegen. Notwendige Folge dieser weit verbreiteten Praxis sind Bauverträge mit
schlechten bis unbrauchbaren Leistungsbeschreibungen, die den Keim streitiger
Auseinadersetzungen über den verpreisten Leistungsumfang in sich tragen. Das hiergegen oft
vorgebrachte Argument, der Kosten- und Zeitdruck erzwinge eine solche Vorgehensweise, ist ein
gutes Beispiel für die eingangs dargestellte Fehlvorstellung, das Vertragsrecht habe sich nach den
Usancen des Baugeschäfts zu richten.
11
vereinbarten Beschaffenheiten aufweisen und den vertraglich vorausgesetzten, sonst
den üblichen Verwendungszweck funktionsgerecht erfüllen26. Das ist das Bauziel,
über das sich die Vertragsparteien nach allgemeinen Grundsätzen der
Rechtsgeschäftslehre (essentialia negotii) einigen müssen.
Worin dieses Bauziel konkret besteht, ergibt sich naturgemäß nicht aus dem Gesetz.
Vielmehr bestimmen die Vertragsparteien mit Vertragsschluss, welche Leistungen
der Unternehmer zu welchem Preis erbringen soll. Dafür stehen im Grundsatz zwei
Ausschreibungsmethoden zur Verfügung (die in der Praxis allerdings in einer Vielzahl
von Mischformen auftreten): Der Besteller kann es dabei belassen, den gewünschten
Bauerfolg durch eine funktionale Ausschreibung (mit Leistungsprogramm - § 7
Abs. 13-15 VOB/A) allein über die Beschreibung des Bauziels zu bestimmen. Das
Gegenstück dazu ist die detaillierte Ausschreibung (mit Leistungsverzeichnis - § 7
Abs. 9-12 VOB/A), die konkrete Vorgaben des Bestellers für die Ausführung der
Bauleistung enthält. Beide Vertragskonstruktionen bergen Sprengstoff.
2.2.1.1
Funktionale Ausschreibung
Kennzeichnend für die funktionale Ausschreibung ist es, dass es dem Unternehmer
überlassen bleibt, wie er den über Funktionalitäts- und Qualitätsanforderungen des
Bestellers definierten Bauerfolg verwirklicht. Er muss die hierfür erforderlichen
Leistungen planen und ausführen und er erhält als Gegenleistung die vertragliche
vereinbarte Pauschalvergütung. Daran ändert sich nichts, wenn sich seine
Vorstellungen bei Vertragsschluss zum voraussichtlichen Leistungsaufwand
nachträglich als unzutreffend erweisen und er zur Verwirklichung des Bauziels
anderen oder höheren Aufwand betreiben muss, als er kalkuliert hat. Es ist sein
wirtschaftliches Risiko, mit welchen Mitteln er seine Leistungsverpflichtung erfüllt,
weil er dieses Risiko rechtsgeschäftlich durch sein im Vertragsschluss manifestiertes
Einverständnis übernommen hat, eine nicht durch konkrete Leistungsvorgaben
spezifizierte Funktionalität als Bauerfolg zu gewährleisten.
Gegen eine solche Risikoübernahme ist rechtlich grundsätzlich selbst dann nichts
einzuwenden, wenn der Unternehmer den erforderlichen Leistungsaufwand bei
26
Zum Regelungsgehalt des § 633 Abs. 2 BGB im Einzelnen: PWW/Leupertz, BGB, 9. Aufl., § 633,
Rn. 20f.; iE ebenso der BGH, der die Funktionalitätserwartung allerdings den
Beschaffenheitsvereinbarungen zuordnet: BGH BauR 2008, 344, 346f. - Blockheizkraftwerk
12
Vertragsschluss nicht verlässlich absehen und kalkulieren konnte. Denn den
Vertragsparteien steht es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im
Rahmen ihrer privatautonomen Entscheidung über die Vereinbarung wechselseitiger
Vertragspflichten frei, selbst ungewöhnliche, einer belastbaren Kalkulation
entgegenstehende Wagnisse zu übernehmen27. Ist das geschehen, steht auch die
Vorschrift des § 7 Abs. 1 VOB/A nicht entgegen, deren Regelungsgehalt allenfalls im
Rahmen der Auslegung für die Ermittlung des rechtsgeschäftlichen Willens der
Vertragsparteien Bedeutung erlangen kann.
Der Ermittlung des geschuldeten Leistungsumfangs durch Auslegung betrifft bei
einem Vertrag mit streng funktionaler Ausschreibung grundsätzlich also (nur) die
Beantwortung der Frage, worin der funktionale Bauerfolg besteht. Sie muss immer
dann gestellt werden, wenn die Parteien über den Inhalt des Bauziels als
Gegenstand der vertraglichen Leistungsverpflichtung des Unternehmers streiten.
2.2.1.2
Detaillierte Ausschreibung
Bei Abschluss eines Bauvertrages mit detaillierter Ausschreibung liegen die Dinge
anders. Dann greift die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur
Funktionalitätsverpflichtung des Unternehmers, wonach sein Werk selbst dann die
vereinbarte oder nach dem Vertrag vorausgesetzte Funktion erfüllen muss, wenn
diese durch die (fehlerfreie) Abarbeitung der Leistungsvorgaben des Bestellers nicht
zu erreichen ist.28 Er muss also auch nicht verpreiste Leistungen erbringen, wenn
sie zur Verwirklichung des so verstandenen Bauerfolgs erforderlich sind. An dieser
Stelle soll auf eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung und ihren
vielfältigen Folgewirkungen verzichtet werden. Sie bedarf gleichwohl der Erwähnung,
weil sie die Grundlage für die Erkenntnis ist, dass sich bei (Mehrvergütungs-)
Ansprüchen, die an das Auseinanderfallen von erforderlichem und verpreistem
Leistungsumfang geknüpft sind, zwei Bezugspunkte für eine Vertragsauslegung
bestehen, die nicht miteinander vermengt werden dürfen: Zum einen ist zu ermitteln,
worin der (funktionale) Bauerfolg besteht und welche Leistungen hierfür erforderlich
sind; zum anderen muss ggf. ebenso durch Auslegung geklärt werden, welche
Leistungen mit dem vereinbarten Vertragspreis abgegolten sind.
27
28
BGH BauR 1997, 126 - Kammerschleuse
Grundlegend zum neuen Schuldrecht: BGH BauR 2008, 344, 346f. - Blockheizkraftwerk
13
2.2.2 Auslegungsmethodik und Allgemeine Auslegungsregeln - Grundsätze
Auslegung ist juristisches Handwerk; anspruchsvoll zwar, aber eben Handwerk.
Dafür gibt es Regeln, die zunächst bei der Methodik der Auslegung ansetzen. Sie
beginnt beim Wortlaut der Erklärung mit der grammatischen und systematischen
Auslegung, die den Wortsinn und den Kontext des einzelnen Wortes im Rahmen der
Erklärung in Blick nimmt. Außerhalb der Erklärung liegende Umstände fließen im
Wege der historischen Auslegung ein. Schließlich fragt die teleologische Auslegung
– grob ausgedrückt – nach dem Zweck des Rechtsgeschäfts und gelangt hierüber zu
Rückschlüssen auf den Inhalt der zu beurteilenden Willenserklärung.
Das Gesetz nennt in §§ 133, 157 BGB vier Kriterien für die Auslegung von Verträgen:
Maßgebend ist zunächst der Wortlaut,29 der allerdings hinter dem
übereinstimmenden wirklichen Willen der Vertragsparteien zurücktritt, wenn er
diesem nicht entspricht.30 Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen ist der
Erklärungsgehalt anhand des objektiven Empfängerhorizonts zu bestimmen, wobei
entscheidend ist, wie der Empfänger die Erklärung nach Treu und Glauben mit
Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen durfte (§ 157 BGB).31 Damit sind auch die
beiden letzten, für die Auslegung der Vereinbarungen zum geschuldeten
Leistungsumfang in einem Bauvertrag besonders wichtigen Kriterien genannt.
Die Beachtung von Treu und Glauben soll einen gerechten Interessenausgleich
gewährleisten.32 Maßstab hierfür sind die im Vertrag zum Ausdruck kommenden
Interessen- und Risikobewertungen der Parteien, die umfassend abgewogen werden
müssen.33 Führt dieser Prozess zu keinem eindeutigen Ergebnis, kommt es auf die in
der gesamten Rechtsordnung verankerten Wertungen an.34 Die verständige
Anwendung dieser Grundsätze ist keine einfache Aufgabe. Sie erfordert die
Berücksichtigung und Bewertung aller für die Beurteilung der Interessenlage
maßgeblichen vertraglichen Absprachen und der sie begleitenden feststellbaren
Umstände des Einzelfalles, was den Gerichten zuweilen nicht oder nur
unvollkommen gelingt. Geht allerdings die Interessenabwägung fehl, kommt auch die
29
BGHZ 124, 39, 45; BGH NJW 1998, 2966; NJW-RR 2006, 1139, 1141
BGHZ 86, 41, 47; BGH NJW 2002, 1260
31 BGHZ 47, 75, 78; 103, 275, 280; BGH NJW 2006, 3777, 3778
32 BGHZ 115, 1, 5; 152, 153, 156; BGH NJW 2009, 741, 743;
33 NK-BGB/Looschelders, 2. Aufl. 2012, § 133 Rn. 56
34 MüKoBGB/Busche, 5. Aufl., § 157 Rn. 12
30
14
Auslegung zumeist zu falschen Ergebnissen. Die Auswirkungen sind enorm, wenn es
in der Sache um die Bestimmung der Leistungsverpflichtung des Unternehmers als
Ausgangspunkt für die Beurteilung von Sachmangel- bzw.
Mehrvergütungsansprüchen geht.
Kein normatives Auslegungskriterium im soeben erörterten Sinne ist hingegen die
Verkehrssitte, mit der eine tatsächliche Übung bezeichnet wird, die in den
einschlägigen Verkehrskreisen anerkannt und über längere Zeit beachtet worden
ist.35 Handelsbräuche (§ 346 HGB), die freilich im Baurecht nur eine geringe Rolle
spielen, stellen eine solche Übung dar.36 Das Bestehen einer Verkehrssitte
beeinflusst die Auslegung, wenn beide Vertragsparteien diesen Verkehrskreisen
angehören, weil in Ermangelung gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen ist,
dass der wirkliche bzw. mutmaßliche Wille des Erklärenden den sich nach der
Verkehrssitte ergebenden Usancen entspricht und der Empfänger die Erklärung
deshalb in eben diesem Sinne verstehen darf. Gleiches kann gelten, wenn der
Empfänger zwar nicht den einschlägigen Verkehrskreisen angehört, er die dort
geltende Verkehrssitte jedoch kannte oder zumindest kennen musste.37 Auch dann
darf er der (empfangsbedürftigen) Erklärung grundsätzlich die Bedeutung beimessen,
die der Verkehrssitte entspricht.38
2.2.3 Bauvertragsspezifische Auslegungsregeln
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf der Grundlage dieser allgemeinen
Grundsätze der Vertragsauslegung bauvertragsspezifische Auslegungsregeln
entwickelt, die sich, auch wenn ihre Anwendung keinen ganz geradlinigen Verlauf
genommen hat, wie folgt zusammenfassen lassen:
 Die Auslegung setzt beim Wortlaut der vertraglichen Abreden an, zu denen
auch die Beschreibung der Bauleistung im Vertrag gehört.39 Maßgebend ist
35
BGH NJW 1990, 1723, 1724
BGH NJW 1993, 1798
37 NK-BGB/Looschelders, 2. Aufl. 2012, § 133 Rn. 63 mwN
38 BGH NJW 1966, 502, 503
39 BGH BauR 2004, 1438
36
15
die objektive Bietersicht, also die Sichtweise und Verständnismöglichkeit des
Unternehmers.40
 Zur Ermittlung des vertraglich vereinbarten Leistungsumfangs ist das gesamte
Vertragswerk einschließlich der dort in Bezug genommenen Pläne
heranzuziehen.41
 Auslegungsrelevant in diesem Sinne sind auch die dem Vertrag beigegebenen
Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Dazu gehören beim VOB-Bauvertrag
entgegen den Aussagen in einer zumindest missverständlichen Entscheidung
des BGH vom 28. Februar 200242 auch die VOB/C und die dort
niedergelegten Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen (ATV).43
 Der Unternehmer darf grundsätzlich auf die Vollständigkeit und Richtigkeit
der vom Besteller gefertigten und ihm zur Verfügung gestellten Planunterlagen
vertrauen44.
 Der Bieter in einem Verfahren über die öffentliche Vergabe einer Bauleistung
darf grundsätzlich eine mit den Ausschreibungsgrundsätzen der öffentlichen
Hand konforme Ausschreibung erwarten. Er darf deshalb die
Leistungsbeschreibung in einer öffentlichen Ausschreibung im Zweifel so
verstehen, dass der Auftraggeber den Anforderungen der VOB/A an die
Ausschreibung entsprechen will.45 Zu diesen Anforderungen gehört auch die
Beachtung der „Hinweise für das Aufstellen der Leistungsbeschreibung“ in
Abschnitt 0 der Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für
Bauleistungen, DIN 18299ff. (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 7 VOB/A).46
40
BGH BauR 1993, 595, 596f.; BauR 1994, 236 - Wasserhaltung II; BauR 2002, 935 Konsoltraggerüst
41 BGH BauR 2012, 490 Rn. 14
42 BGH BauR 2002, 935
43 BGHZ 168, 368; BGH BauR 1997, 466 – Bodenpositionen
44 St. Rspr.: BGH BauR 1984, 395; zuletzt: BGH BauR 2008, 1134 – Bistro; eingehend:
Kapellmann/Messerschmidt/Kapellmann, VOB, 4. Aufl., Teil B, § 2 Rn 105ff., mit
zahlreichen weiteren Nachweisen
45 BGHZ 124, 64, 67
46 BGH BauR 2012, 490 Rn. 15
16
 § 7 Abs. 1 VOB/A ist jedenfalls für öffentliche Ausschreibungen zu entnehmen,
dass der Auftraggeber dem Auftragnehmer im Zweifel kein ungewöhnliches
Wagnis auferlegen will47. Dieser Grundsatz lässt sich als Auslegungshilfe
auch auf private Bauverträge anwenden48. Daraus folgt indes nicht, dass die
Parteien keinen Vertrag schließen dürfen, der für den Unternehmer ein
erhebliches Wagnis darstellt, etwa weil er die versprochenen Leistungen nicht
hat kalkulieren können.49
 Ergeben sich nach gebotener Auslegung des Vertrage und der dort in Bezug
genommenen Unterlagen Widersprüche, gilt beim VOB/B-Vertrag
vorbehaltlich anderweitiger vertraglicher Vereinbarungen die
Prioritätenregelung in § 1 Abs. 2 VOB/B. Ansonsten greift die allgemeine
Regel: „Speziell vor Allgemein“50.
 Erst wenn die Auslegung auch dann noch zu keinem klaren Ergebnis führt,
sind der geschuldete und verpreiste Leistungsumfang nach der
Unklarheitenregel zu Lasten derjenigen Vertragspartei zu bestimmen, welche
die Leistungsbeschreibung erstellt hat.51
2.2.4 Die Funktionalitätsverpflichtung des Unternehmers als Gegenstand der
Vertragsauslegung
Fast alle wichtigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Auslegung von
Bauverträgen beschäftigen sich mit der Frage, welche Leistungen der Unternehmer
nach dem Vertrag zu welchem Preis erbringen muss. Dabei ist erst in jüngerer Zeit in
den Blick geraten, dass die Verpflichtung des Unternehmers, ein funktionstaugliches
Werk herzustellen, beschränkt sein kann durch die rechtsgeschäftlichen Abreden der
Vertragspartner. Anders ausgedrückt: Ein undichtes Dach erfüllt zwar nicht die ihm
üblicherweise zugewiesenen Funktionen. Es ist entgegen weit verbreiteter
Auffassung dennoch vertragsgerecht, wenn der Auftraggeber ein undichtes Dach
bestellt hat. Dass ein solcher Vertrag wirksam geschlossen werden kann, steht nicht
47
BGH BauR 1994, 236 - Wasserhaltung II
Kapellmann/Messerschmidt/Kapellmann, VOB, 4. Aufl., Teil B, § 2 Rn. 122 mwN;
49 BGH BauR 1997, 126 - Kammerschleuse
50 Zum Ganzen: Kapellmann/Messerschmidt/Kapellmann, VOB, 4. Aufl., Teil B, § 2 Rn. 101
51 BGH NZBau 2001, 132; Kapellmann/Voit/Leupertz, Privates Baurecht, 2. Aufl., K Rn. 11;
Kapellmann/Messerschmidt/Kapellmann, Teil B, § 2 Rn 123; Markus Jahrbuch Baurecht 2004, 1, 17f.
48
17
ernsthaft in Zweifel. Ob er eine solche funktionalitätsbeschränkende Abrede enthält,
muss ggf. durch Auslegung geklärt werden.
Der Bundesgerichtshof hat sich in jüngerer Zeit mehrfach mit derartigen Fällen
befasst.
2.2.4.1 BGH, Urt. v. 13. März 2088 – VII ZR 194/0652
Der BH schreibt Bauleistungen aus, die unter Punkt „075 Lüftung“ folgende
Regelung enthalten: „....Planung, Lieferung und Einbau einer mechanischen
Lüftungsanlage je nach Erfordernis für Bistro und Bistro-Küche...“. Er
beauftragt den AG, der dem AN das Leistungsverzeichnis des BH und die
ebenfalls von diesem erstellten Pläne zuleitet. Auf dieser Grundlage bietet der
AN seine Leistungen zum Pauschalpreis an. Im Vertrag heißt es hierzu:
„Bistro- und Bürobereich komplett, incl. Hygieneausstattung.“ Nachträglich
werden der Grundriss sowie die Vorgaben für die Nutzung des Bistros und die
Bistroküche geändert. Der AG verlangt vom AN den Einbau einer für die
geänderte Planung tauglichen Lüftung. Weil der AN sich weigert, die
erforderlichen Leistungen ohne Mehrvergütung auszuführen, kündigt der AG
den Vertrag gemäß § 8 Abs. 3 VOB/B.
Der Bundesgerichtshof gibt dem AN Recht, weil er die vom AG verlangte Herstellung
einer für die geänderte Raumnutzung tauglichen Lüftung nicht schuldete. Die diese
Sichtweise tragenden Erwägungen verdienen es, wörtlich wiedergegeben zu werden:
Das Berufungsgericht verkennt dabei die für funktionale Ausschreibungen
geltenden Grundsätze der Vertragsauslegung. Für die Abgrenzung, welche
Arbeiten von der vertraglich vereinbarten Leistung erfasst sind und welche
Leistungen zusätzlich zu vergüten sind, kommt es auf den Inhalt der
Leistungsbeschreibung an. Welche Leistungen durch die
Leistungsbeschreibung erfasst sind, ist durch Auslegung der vertraglichen
Vereinbarung der Parteien zu ermitteln, §§ 133, 157 BGB. ........
Fordert der Auftraggeber ein funktionales Angebot des Auftragnehmers zur
Erstellung einer technischen Anlage für ein Bauwerk unter Vorlage der von
52
BGHZ 176, 23 - Bistro
18
ihm bis zu diesem Zeitpunkt erstellten Bauwerksplanung, so wird diese
grundsätzlich Gegenstand des Angebots des Auftragnehmers. Das bedeutet,
dass die Bauwerksplanung die für die Technik zu erbringenden Leistungen
bestimmt.
Soweit nach Vertragsschluss vom Auftraggeber angeordnete Änderungen der
Bauwerksplanung Änderungen der technischen Leistungen zur Folge haben,
ist das als Änderung des Bauentwurfs anzusehen, § 1 Nr. 3 VOB/B, und kann
zu einem geänderten Vergütungsanspruch des Auftragnehmers führen, § 2
Nr. 5 VOB/B (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juli 2007 - VII ZR 42/05, BGHZ 173,
314).
......Den Parteien steht allerdings frei, eine andere Regelung zu treffen. Sie
können vereinbaren, dass der Auftragnehmer auch solche Mehrleistungen
ohne Anspruch auf Mehrvergütung zu erbringen hat, die dadurch entstehen,
dass der Auftraggeber nach Vertragsschluss die dem Vertrag zugrunde
liegende Planung ändert.......... Wegen der damit übernommenen Risiken sind,
ähnlich wie an einen Verzicht auf Rechte (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 1995 VII ZR 118/94, BauR 1995, 701, 702 = ZfBR 1995, 264), strenge
Anforderungen an die Annahme einer derartigen Vereinbarung zu stellen. Sie
kann nicht schon deshalb bejaht werden, weil die von dem Auftraggeber zur
Verfügung gestellte Leistungsbeschreibung eine Regelung enthält, wonach
der Auftragnehmer Planung, Lieferung und Einbau einer technischen Anlage
"je nach Erfordernis" vorzunehmen hat. Mit der bei einer Ausschreibung
technischer Leistungen üblichen Formulierung "nach Erfordernis" wird
regelmäßig zum Ausdruck gebracht, dass es Sache des Auftragnehmers ist,
auf der Grundlage der dem Vertrag zugrunde liegenden Planung die für eine
funktionierende und zweckentsprechende Technik notwendigen Einzelheiten
zu ermitteln. Damit, wie auch mit der von der Klägerin verwendeten
Formulierung "komplett", wird der funktionale Charakter der
Leistungsbeschreibung zum Ausdruck gebracht.......
Soweit der Auffassung des Berufungsgerichts zu folgen wäre, wonach die
Formulierung unter "075 Lüftung" die Verpflichtung des Auftragnehmers
erfassen sollte, der Lüftung auch eine geänderte Planung zugrunde zu legen,
kann sie nicht dahin verstanden werden, dass der Auftragnehmer dazu ohne
19
einen Anspruch auf Mehrvergütung verpflichtet sei. Nahe läge vielmehr ein
Verständnis, nach dem ohne Bezug auf vergütungsrechtliche Folgen lediglich
verdeutlicht würde, dass die Lüftungsanlage eine dem jeweiligen
Vertragsinhalt, der sich gegebenenfalls durch eine Anordnung nach § 1
Nr. 3 VOB/B geändert hat, angepasste Funktion erfüllen muss. Denn ein
Auftraggeber kann grundsätzlich nicht erwarten, dass ein Auftragnehmer
bereit ist, einen Vertrag zu schließen, der es dem Auftraggeber erlaubt, die
Vertragsgrundlagen beliebig zu ändern, ohne dass damit ein
Preisanpassungsanspruch verbunden wäre. Es verbietet sich nach Treu und
Glauben, aus einer mehrdeutigen, die technischen Anforderungen
betreffenden Passage der Leistungsbeschreibung derart weitgehende
vergütungsrechtliche Folgen für den Auftragnehmer abzuleiten, § 157 BGB
(vgl. BGH, Urteil vom 26. Juli 2007 - VII ZR 42/05, BGHZ 173, 314).
Aus alledem lassen sich weitere Erkenntnisse und Auslegungsgrundsätze ableiten:

Der Unternehmer ist nur in den durch die vertraglichen Vereinbarungen mit dem
Besteller gezogenen Grenzen verpflichtet, ein funktionstaugliches Werk
herzustellen.

Die Grenzen der Funktionalitätsverpflichtung des Unternehmers sind im Zweifel
durch Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen der Parteien zu ermitteln.
Bezugspunkt für die Auslegung ist nach allgemeinen Grundsätzen das gesamte
Vertragswerk einschließlich der in Bezug genommenen Pläne.

Gegenstand der Auslegung ist auch die Frage, ob solche Pläne
Vertragsgegenstand sind und ob durch sie auf diese Weise festlegt wird, welche
Funktion die Werkleistungen des Unternehmers erfüllen sollen, insbesondere, für
welchen Zweck sie geeignet sein müssen.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Unternehmer auch solche Leistungen zum
vereinbarten Pauschalpreis verspricht, die eine bei Vertragsschluss nicht
vereinbarte Funktionalität gewährleisten. Allerdings sind wegen der für ihn damit
20
verbundenen unkalkulierbaren Risiken hohe Anforderungen an das
Zustandekommen einer dahingehenden Vereinbarung zu stellen. Ob sie getroffen
wurde, ist abermals eine Frage der Vertragsauslegung.

Die Ausführungen im oben zuletzt zitierten Absatz der Bistro-Entscheidung sind
möglicherweise missverständlich. Soweit ihnen entnommen werden soll, dass die
Auslegung zu einem Ergebnis führen kann, wonach die infolge der Planänderung
erforderlichen (Mehr-) Leistungen zwar geschuldet, dann aber gesondert zu
vergüten seien, begegnen sie in dieser Allgemeinheit Bedenken. Denn es liegt in
der Natur eines Bauvertrages mit funktionaler Ausschreibung, dass der
Unternehmer alle Leistungen zum vereinbarten Preis erbringen muss, die für die
Verwirklichung des funktional beschriebenen Bauziels erforderlich sind. Die
Erwägung, kein vernünftiger Unternehmer werde unkalkulierbare Mehrleistungen
ohne die Aussicht auf eine entsprechende Mehrvergütung zusagen, betrifft also
die Frage, ob die Parteien eine über die durch die Leistungsvorgaben des
Bestellers definierte Funktionalität hinausgehende Leistungsverpflichtung des
Unternehmers begründet haben. Das ist auch und gerade mit Rücksicht auf den
Umstand, dass der Unternehmer für solche (Mehr-) Leistungen grundsätzlich
keine zusätzliche Vergütung beanspruchen könnte, regelmäßig zu verneinen.
Davon zu unterscheiden ist die Frage nach einem Anspruch auf Anpassung der
Vergütung nach den Grundsätzen einer Störung der Geschäftsgrundlage, der
auch bei einer funktionalen Ausschreibung in Betracht kommen kann (dazu
sogleich).

Der Bistro-Fall hätte nicht anders entschieden werden dürfen, wenn der Besteller
(AG) die vom Unternehmer (AN) zu erbringenden Leistungen (richtig und
vollständig) detailliert ausgeschrieben hätte. Denn die geschuldet Funktionalität
wäre aus den unter II. 2. dargelegten Gründen die selbe gewesen, wie sie dem
Vertrag mit funktionaler Ausschreibung zugrunde lag.
2.2.4.2 BGH, Urt. v. 30. Juni 2011 – VII ZR 13/1053
Der Besteller (AG) beauftragt den Unternehmer (AN) mit Abbrucharbeiten. In
einer Zulageposition für „Abbruch, Estrich mit Trittschalldämmung“ war die
53
BGHZ 190, 212 - Estrich
21
Estrichstärke mit 3cm (geschätzt) angegeben. Tatsächlich war der Estrich, wie
der AN während der Ausführung der Arbeiten feststellt, über 4 cm dicker als
angegeben. Er macht eine Mehrvergütung für Mehraufwand geltend, den der
AG nicht bezahlen will. Schließlich kündigt der AG den Vertrag, nachdem der
AN die Arbeiten eingestellt hatte.
Der Fall führt in ähnliche Regionen wie die Bistro-Entscheidung. Der BGH geht von
einer funktional auf den Abbruch der Klinik bezogenen Leistungsverpflichtung des
AN aus und beschäftigt sich sodann mit der Frage, ob sich aus den Angaben zur
Stärke des Estrichs eine Begrenzung der mit der funktionalen Ausschreibung
einhergehenden Pauschalierung der Vergütung ergeben kann. Dazu führt er
folgendes aus:
„.......Der Abschluss eines Vertrages über eine komplett funktional
beschriebene Bauleistung zu einem Pauschalpreis schließt es nicht aus, dass
die Parteien zu einzelnen Leistungen besondere Vereinbarungen treffen
(sogenannte Detaillierung). So können sie etwa vereinbaren, dass einzelne
Leistungen überhaupt nicht vom Auftragnehmer erbracht werden (BGH, Urteil
vom 22. März 1984 - VII ZR 50/82, BGHZ 90, 344, 346), oder sie können eine
Leistungsbeschreibung zum Gegenstand ihrer Vereinbarung machen, aus der
sich ergibt, dass die Pauschalpreisvereinbarung bestimmte, für die
Funktionalität erforderliche Leistungen nicht oder nicht vollständig erfasst (vgl.
BGH, Urteil vom 13. März 2008 - VII ZR 194/06, BGHZ 176, 23, 29 ff.). Liegen
solche Vereinbarungen vor, so können von der Leistungsbeschreibung
abweichende Leistungen des Auftragnehmers gemäß § 2 Nr. 7 Abs. 1
Satz 4 VOB/B unter den Voraussetzungen des § 2 Nr. 5 oder Nr. 6 VOB/B
einen Vergütungsanspruch für geänderte oder zusätzliche Leistungen oder
unter den Voraussetzungen des § 2 Nr. 8 Abs. 2 und 3 VOB/B einen sonstigen
Zahlungsanspruch auslösen (BGH, aaO; Urteil vom 15. Dezember 1994 - VII
ZR 140/93, BauR 1995, 237, 238 = ZfBR 1995, 129). Ein solcher Fall kann
z.B. vorliegen, wenn in einem Vertrag über eine funktional beschriebene
Gründung durch Bezugnahme auf ein Bodengutachten bestimmte
Bodenverhältnisse zum Leistungsinhalt erhoben werden und sich herausstellt,
dass die tatsächlichen Bodenverhältnisse abweichen. Ordnet der Auftraggeber
an, dass die Gründung auch in den tatsächlich vorgefundenen
22
Bodenverhältnissen stattfinden soll, liegt darin eine Änderung des
Bauentwurfs, die zu einem Anspruch auf eine veränderte Vergütung gemäß
§ 2 Nr. 5 VOB/B führen kann (BGH, Urteil vom 20. August 2009 VII ZR
205/07, BGHZ 182, 158, 182). Gleiches kann gelten, wenn der Vertrag über
Betonsanierungsarbeiten eine vorhandene Betongüte von B 25 ausweist, die
tatsächliche Betongüte mit B 5 jedoch deutlich schlechter ist, so dass ein
Mehrleistungsaufwand entsteht (BGH, Urteil vom 27. Juni 1996 - VII ZR 59/95,
BauR 1997, 126, 128 = ZfBR 1997, 29).
...........
Inwieweit eine detaillierte Angabe im Leistungsverzeichnis dazu führt, dass sie
die Pauschalierung der Vergütung begrenzt, ergibt die Auslegung des
Vertrages. Die Erwähnung von detaillierten Bauumständen in einer
Leistungsbeschreibung bedeutet nicht zwangsläufig, dass die
Vergütungsvereinbarung insoweit tangiert ist. Vielmehr ist es auch möglich,
dass die Erwähnung von detaillierten Bauumständen lediglich zum Ausdruck
bringen soll, wovon der Auftraggeber ausgeht, ohne dass er dies zum
Vertragsinhalt erheben will. Die notwendige Abgrenzung muss der Tatrichter
unter Berücksichtigung des Vertragsinhalts, der sonstigen Umstände und des
mit dem Vertrag verfolgten Zwecks treffen. Es geht insoweit im Wesentlichen
nicht um die Begrenzung der nach dem Vertrag geschuldeten Leistung,
sondern der dafür vereinbarten Vergütung. Die vom Tatrichter vorzunehmende
Auslegung muss auch im Blick haben, dass die Erwähnung von
Bauumständen dazu führen kann, diese als Geschäftsgrundlage des
Vertrages anzusehen, wenn sie nicht Gegenstand der Entgeltvereinbarung
geworden sind.“
Die Entscheidung, die m. E. zum richtigen Ergebnis kommt und im Übrigen wichtige
Aussagen zur Anwendbarkeit der Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage
in derartigen Fällen enthält, wirft grundsätzliche Fragen zum Bezugspunkt für die
Auslegung auf, die stellen zu sollen mir erst in unzähligen Diskussionen um den
Aussagegehalt der von mir seinerzeit voll mitgetragenen und später öffentlich stets
verteidigten Entscheidung bewusst geworden ist. Es geht um Folgendes:
23
Der BGH bezieht die Auslegung bei näherer Betrachtung auf eine Begrenzung der
mit der funktionalen Ausschreibung einhergehenden Pauschalierung der Vergütung,
die er allerdings ablehnt. Gegen Letzteres ist nicht einzuwenden. Nur die
Blickrichtung stört. Es ist zwar auch bei einer streng funktionalen Ausschreibung
grundsätzlich denkbar, ergänzenden Angaben des Bestellers zum Leistungsumfang
im Wege der Auslegung eine rechtsgeschäftliche Abrede zu entnehmen, wonach der
Unternehmer die volle Funktionalität gewährleisten muss, die notwendig
pauschalierte Vergütung indes nur einen Teil der hierfür erforderlichen Leistungen
abdecken soll. Nahe liegender ist es m. E. indes, die leistungsbeschränkenden
Detailvorgaben (hier zur Estrichstärke) auf den Umfang der Leistungsverpflichtung zu
beziehen und mit den Mitteln der Auslegung zu klären, ob sich aus solchen
Leistungsvorgaben eine Funktionalitätsbeschränkung ergibt. Dazu ein Fallbeispiel:
Der Rohbauunternehmer (AN) schuldet im Rahmen eines BGB-Bauvertrages
die Herstellung eines Gebäudes zum Pauschalpreis mit einer vom Besteller
(AG) funktional ausgeschriebenen Gründung. Der AG hat ein fachgerecht
erstelltes Boden- und Gründungsgutachten eingeholt, welches zu dem
Ergebnis kommt, dass die ermittelten Bodenverhältnisse eine Flachgründung
zulassen, die ausdrücklich empfohlen wird. Das Gutachten ist im Vertrag in
Bezug genommen und die Parteien haben dort vereinbart, dass es
Gegenstand des Vertrages sein soll. Nach Beginn der Arbeiten stellt sich beim
Aushub der Baugrube heraus, dass der Boden unvorhergesehen teilweise
nicht die im Gutachten angegebenen Beschaffenheiten besitzt; um die
Standsicherheit des Gebäudes zu gewährleisten, muss eine aufwändige
Pfahlgründung erstellt werden, die der AG auch verlangt.
Unterstellen wir, der AN will die Pfahlgründung wegen des damit verbundenen
zeitlichen Aufwandes nicht, jedenfalls nicht zu den für die Flachgründung
vereinbarten Preisen ausführen, weil er dann einen lukrativen Anschlussauftrag
verlieren würde. Und unterstellen wir mit der h. M. in der Literatur weiter, der
Besteller sei im Rahmen eines BGB-Bauvertrages nicht berechtigt, einseitig eine
Änderung oder Erweiterung des vertraglich vereinbarten Leistungsumfangs
anzuordnen. Dann ist die alles entscheidende, durch Auslegung zu klärende Frage:
Schuldet der Unternehmer nach dem Vertrag die tatsächlich erforderliche
24
Pfahlgründung? Wird sie verneint, kann der AG die Pfahlgründung nur kraft
rechtsgeschäftlicher Einigung mit dem AN verlangen, die auch die Preisvorstellungen
des AN umfasst. Wird sie hingegen bejaht, lautet die rechtsgeschäftliche Abrede
nach gebotener Auslegung: Herstellung eines Gebäudes mit Pfahlgründung zum
vereinbarten Pauschalpreis. Welche Auslegung die richtige ist, mag im Einzelfall
entschieden werden.
Der Bundesgerichtshof spricht die soeben diskutierte Fallkonstellation in den oben
wiedergegebenen Passagen der Estrich-Entscheidung ausdrücklich an und stellt
hierzu – allerdings bezogen auf einen VOB/B-Vertrag – fest, dass eine Anordnung
des Bestellers, die nach den tatsächlichen Bodenverhältnissen erforderliche
Gründung auszuführen, eine Änderung des Bauentwurfs darstelle, die zu einem
Anspruch auf eine veränderte Vergütung führen könne. Das entspricht jedenfalls im
Ergebnis der hier vertretenen Sichtweise, weil eine Änderung des Bauentwurfs iSd §
1 Abs. 3 VOB/B sich nur aus einer Veränderung der funktionalen Leistungsvorgaben
ergeben kann. Das wiederum setzt voraus, dass der Unternehmer die aufgrund der
unvorhergesehenen Bodenbeschaffenheiten erforderliche Gründung nicht von
Anfang an schuldete.
Gleichwohl knüpft der Bundesgerichtshof die Auslegung des Vertrages über die
Estricharbeiten im Folgenden an die Beantwortung der Frage, ob die Pauschalierung
der Vergütung durch die Schätzangaben zur Stärke des Estrichs im Vertrag begrenzt
worden ist. Dieser Auslegungsansatz erscheint mit Rücksicht auf die vorstehenden
Erwägungen nicht unbedenklich, weil die damit in Betracht genommene Möglichkeit
einer (nur) vergütungsbeschränkend wirkenden Abrede schwer in Einklang zu
bringen ist mit der Struktur eines Bauvertrages mit funktionaler Ausschreibung, der
gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass der Unternehmer das volle Planungsrisiko
trägt und deshalb ohne Anspruch auf Mehrvergütung alle Leistungen erbringen
muss, die zur Verwirklichung des funktionalen Bauerfolgs erforderlich sind. Würde
man die Auslegung des Vertrages mit dem Ziel betreiben, den Abgeltungsbereich der
vertraglichen Vergütung trotz unverändertem Bauziel zu begrenzen, so würde
dadurch die dem Bauvertrag mit funktionaler Ausschreibung innewohnende
Risikoverteilung aufgelöst. Ein dahingehender rechtsgeschäftlicher Wille der
Vertragsparteien wird sich m. E. nur in ganz besonders gelagerten Einzelfällen
25
ergeben. Er wäre – ebenso wie der im Bistro-Urteil behandelte gegenteilige Fall einer
„funktionalitätserweiternden Komplettheitsklausel“ ohne Mehrvergütungsanspruch an hohe Anforderungen zu knüpfen und ließe sich jedenfalls nicht allein mit der
Erwägung begründen, der Unternehmer habe nach dem Vertrag nicht mit dem Risiko
belastet werden sollen, unvorhergesehenen und deshalb nicht in seine Preise
einkalkulierten Mehraufwand ohne Anspruch auf Preisanpassung erbringen zu
müssen. Das Gegenteil ist der Fall. Eine Preiskorrektur kommt mithin nur nach den
Grundsätzen einer Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 2 BGB in
Betracht, weil dem Unternehmer, der seinen Preis für die Estricharbeiten ersichtlich
nach den Schätzangaben des Bestellers zur Estrichdicke kalkuliert hat, ein
Festhalten am Vertragspreis nicht zugemutet werden kann. Auf weitere
Ausführungen zu den in diesem Punkt wegweisenden Erwägungen des
Bundesgerichtshofs soll hier verzichtet werden.
2.2.4.3 BGH, Urt. v. 22. Dezember 2011 – VII ZR 67/1154
Der Unternehmer (AN) wird vom öffentlichen Auftraggeber (AG) im Rahmen
einer öffentlichen Ausschreibung unter Einbeziehung der VOB/B damit
beauftragt, die teerhaltige Asphaltschicht einer Ortsdurchfahrt und den
darunter liegenden Boden zum Pauschalpreis zu entfernen. Das vom AG
erstellte Leistungsverzeichnis sieht vor, dass der Boden gelöst und von der
Klägerin weiterverwendet wird. Angaben zur Bodenbeschaffenheit fehlen.
Tatsächlich ist der gelöste Boden geringfügig schadstoffbelastet (LAGA Z 1.1).
Der AN beansprucht eine Mehrvergütung für die Beseitigung des Bodens.
Kaum eine andere Entscheidung des VII. Zivilsenats ist in den vergangenen Jahren
insbesondere in Praktikerkreisen auf so massives Unverständnis gestoßen. Es könne
doch nicht sein, dass der Unternehmer nun auch noch für die Folgen einer
unvollständigen Ausschreibung der Bauleistung durch den Besteller einstehen
müsse. Dem liegt ein tiefgehendes Fehlverständnis zugrunde. Der
Bundesgerichtshof kommt auf dem Wege einer geradezu klassischen Auslegung des
Bauvertrages zu dem Ergebnis, dass der Unternehmer den gelösten Bodens trotz
Schadstoffbelastung zum vereinbarten Pauschalpreis beseitigen muss. Er hebt
ausdrücklich hervor, dass der Unternehmer auf eine VOB/A-konforme Ausschreibung
54
BGHZ 192, 172
26
ohne Überbürdung eines ungewöhnlichen Wagnisses vertrauen durfte.
Darüberhinaus sei der öffentliche Auftraggeber gemäß § 9 Nr. 1 bis 3 VOB/A
verpflichtet, die für die Ausführung der Leistung wesentlichen Verhältnisse der
Baustelle, z. B. die Boden- und Wasserverhältnisse, so zu beschreiben habe, dass
der Bewerber ihre Auswirkungen auf die bauliche Anlage und die Bauausführung
hinreichend beurteilen könne. Dabei seien die „Hinweise für das Aufstellen der
Leistungsbeschreibung“ in Abschnitt 0 der ATV (DIN 18299 ff.) zu beachten. Dort ist
zu lesen, dass Schadstoffbelastungen „nach den Erfordernissen des Einzelfalles“
angegeben werden müssen (DIN 18299, Abschnitt 0.1.20 und DIN 18300 Abschnitt
0.2.3). Der Unternehmer verliert nur deshalb, weil nach den für den
Bundesgerichtshof in Ermangelung eines tauglichen Revisionsangriffs bindenden
Feststellungen des Berufungsgerichts feststand, dass der Boden geringfügig
schadstoffbelastet war und ein verständiger und fachkundiger Bieter dies auch
wusste bzw. wissen musste. Dann aber hätten „nach den Erfordernissen des
Einzelfalles“ keine Schadstoffbelastungen angegeben werden müssen und es habe
kein Verstoß gegen die Ausschreibungsregeln in DIN 18299, 18300 vorgelegen, der
dem Bieter Anlass für die Annahme hätte bieten können, schadstofffreien Boden
vorzufinden.
Der Bundesgerichtshof hat am 21. März 2013 einen fast gleich gelagerten Fall mit
entgegengesetztem Ergebnis entschieden.55 Hintergrund hierfür war bei gleichem
Gang der Auslegung wie in der Entscheidung vom 22. November 2011 allein der
Umstand, dass der Unternehmer anders als dort bei Vertragsschluss nicht davon
ausgehen musste, die tatsächlich vorhandenen Bodenverunreinigungen vorzufinden.
Die zuletzt genannten Entscheidungen bieten Anlass für einige abschließende
Anmerkungen. In beiden Fällen lag dem Vertrag eine detaillierte Ausschreibung des
Bestellers zugrunde. Weil dieser Umstand indes keinen Einfluss darauf hat, dass der
Unternehmer ein funktionstaugliches Werk herstellen muss, kann auch die
Auslegung eines Bauvertrages mit detaillierter Ausschreibung des Bestellers zu dem
Ergebnis gelangen, dass die Parteien funktionalitätsbeschränkende Abreden
getroffen haben. Besteht diese Beschränkung darin, dass der Unternehmer wie im
Fallbespiel, nur eine Gründung für solche Bodenverhältnisse versprochen hat, die
55
BGH BauR 2013, 1126
27
dem zum Vertragsinhalt erhobenen Bodengutachten entnommen werden konnten,
schuldet er nicht die Herstellung einer Pfahlgründung, die er bei Einbeziehung der
VOB/B gemäß §§ 1 Abs. 3, 2 Abs. 5 VOB/B folglich nur kraft Anordnung des
Bestellers gegen Zahlung einer Mehrvergütung erbringen muss. Gelangt die
Auslegung der Regelungen zum Leistungsinhalt hingegen zum gegenteiligen
Ergebnis, schuldete der Unternehmer also von Anfang eine Pfahlgründung, ist
wiederum im Wege der Auslegung zu prüfen, ob die hierfür erforderlichen Leistungen
vom vertraglich vereinbarten Preis umfasst sind. Dazu wird man im Fallbespiel kaum
gelangen können, weil beide Parteien von der Möglichkeit einer Flachgründung
ausgingen und der Besteller jedenfalls keinen Anlass für die Annahme haben konnte,
dass der für die Herstellung einer funktionstauglichen Gründung tatsächlich
erforderliche Mehraufwand vom Vertragspreis umfasst sei. Vielmehr handelt es sich
um eine sich aus der Divergenz zwischen geschuldetem und verpreisten Umfang
ergebende Äquivalenzstörung, die beim BGB-Bauvertrag gemäß § 313 Abs. 2 BGB
ausgeglichen werden kann und im Rahmen eines VOB/B-Vertrages eine
Preisanpassung nach Maßgabe der Vorschriften in §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 5 VOB/B bzw.
1 Abs. 4, 2 Abs. 6 VOB/B rechtfertigt.
3.
Vertragliche Leistungsverpflichtung: Risikobereich Sachmangel
3.1
Die Erfüllung der Beschaffenheitsvereinbarungen iSd § 633 Abs. 2 BGB
führt nicht notwendig zur Verwirklichung des funktionalen
Werkerfolges
Ob der Unternehmer mangelfrei, d.h. vertragsgerecht geleistet hat, hängt also in
erster Linie davon ab, welchen Leistungsumfang die Parteien im Bauvertrag
vereinbart haben. Das wiederum ist regelmäßig durch Auslegung nach den obigen
Grundsätzen zu ermitteln.
Die gesetzliche Definition des werkvertraglichen Sachmangels findet sich in § 633
Abs. 2 BGB. Allerdfings sind die soeben erörterten, an die Funktionalität
anknüpfenden Zusammenhänge im Wortlaut des § 633 Abs. 2 BGB in
reparaturbedürftiger Verkennung der sich hieraus ergebenden Konsequenzen
unterrepräsentiert. Danach würde nämlich gelten: Soweit der Unternehmer die
regelmäßig in den Ausführungsvorgaben des Bestellers enthaltenen
Beschaffenheitsvereinbarungen umsetzt, ist sein Gewerk mangelfrei. Das wäre völlig
28
unzureichend, weil mit dem Grundsatz der Erfolgsbezogenheit der
Werkleistungsverpflichtung nicht in Einklang zu bringen. So entspricht es – zu Recht
– der ständigen Rechtsprechung des BGH, dass der Unternehmer auch dann nicht
vertragsgerecht gearbeitet hat, wenn er zwar die Ausführungsvorgaben des
Bestellers (Beschaffenheitsvereinbarungen) beanstandungsfrei umgesetzt,
gleichwohl aber den funktionalen Erfolg seiner Werkleistung verfehlt hat56. Dabei
geht der BGH davon aus, dass die Funktionalität regelmäßig zur
Beschaffenheitsvereinbarung gehört57. Das führt zu richtigen Ergebnissen, ist aber in
der dogmatischen Herleitung nicht unproblematisch. Denn die
Funktionalitätserwartung reicht iaR nicht weiter, als die rechtsgeschäftlichen
Abreden, denen sie innewohnt. Sie betrifft zunächst also nur die
Beschaffenheitsvereinbarungen selbst, das Gesamtergebnis der Werkleistungen,
dessen Funktionalität der Unternehmer zu gewährleisten hat, hingegen nur dann,
wenn diese durch die Einhaltung der Beschaffenheitsvereinbarungen überhaupt
erreicht werden kann58. Das ist keineswegs selbstverständlich, wie folgendes
Beispiel verdeutlichen mag:
Beispiel:
Der Unternehmer soll einen Industrieestrich in einer Werkhalle des Bestellers
verlegen, die – zu seiner Kenntnis - mit schwerem Gerät befahren wird. Im
Leistungsverzeichnis sind Hersteller und Typ des Estrichmaterials sowie dessen
Verarbeitung konkret vorgegeben. Obwohl der Unternehmer sich exakt an diese
Vorgaben hält, zeigen sich im Estrich alsbald Risse, weil dieser den Belastungen
durch die nach dem Vertrag vorausgesetzte Benutzung mit schwerem Gerät nicht
standhält.
Dann ist das Gewerk nach obigen Grundsätzen trotz der beanstandungsfreien
Abarbeitung aller Ausführungsvorgaben mangelhaft, weil der Estrich zwar den an ihn
zu stellenden Funktionsanforderungen genügt, gleichwohl aber der funktionale
Werkerfolg nicht erreicht ist. Der Grund hierfür liegt indes nicht in der fehlerhaften
Umsetzung der Beschaffenheitsvereinbarungen, sondern in der fehlerhaften
56
BGH NJW-RR 02, 1533; BauR 01, 823; NJW 98, 3707f; BauR 84, 510, 512f; BGHZ 90, 344, 346f
BGH, BauR 2008, 344
58 iE ebenso: MüKo/Busche § 633 Rn 14
57
29
Ausschreibung, die einen Estrich vorgegeben hat, der den Anforderungen an den
vertraglich vorausgesetzten Verwendungszweck nicht genügt. Rechtlicher
Anknüpfungspunkt für den Mangelvorwurf ist dann aber nicht die Nichteinhaltung von
Beschaffenheitsvereinbarungen nach § 633 Abs. 2 S. 1 BGB (1. Stufe des
Mangelbegriffs), sondern die Verfehlung der nach dem Vertrage vorausgesetzten
Verwendungseignung nach § 633 Abs. 2 S. 2 BGB (2. Stufe des Mangelbegriffs), wo
sich das Kriterium der Funktionalität wieder findet. Es ist nicht dafür ersichtlich, dass
der Gesetzgeber diese nach altem Recht weit gehend unumstrittenen Grundsätze mit
der Einführung des neuen § 633 Abs. 2 BGB hat in Frage stellen wollen. Er hat sie
nach dem Wortlaut der Vorschrift durch die Schaffung einer Alternativität zwischen
den einzelnen Stufen des Mangelbegriffs gleichwohl teilweise außer Kraft gesetzt.
Diese Unzulänglichkeit ist durch eine richtlinienkonforme Auslegung des § 633 Abs. 2
BGB dahin zu korrigieren, dass die dort tatbestandlich genannten Voraussetzungen
kumulativ, also nebeneinander, erfüllt sein müssen, um die Mangelfreiheit des
Werkes konstatieren zu können59. Die Werkleistungen müssen also auch bei
getroffenen Beschaffenheitsvereinbarungen dem vertraglich vorausgesetzten, sonst
dem gewöhnlichen Verwendungsweck entsprechen, soweit dieser nicht bereits in
den in jedem Fall zu berücksichtigenden Beschaffenheitsvereinbarungen
repräsentiert ist. Darüber hinaus kommt es in Ermangelung konkreter
Beschaffenheitsvereinbarungen auch dann auf die übliche Beschaffenheit (3. Stufe § 633 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BGB) an, wenn sich aus dem von den Parteien
übereinstimmend vorausgesetzte Verwendungszweck (2. Stufe - § 633 Abs. 2 S. 2
Nr. 1 BGB) nicht oder nicht vollständig ergibt, welche Beschaffenheitskriterien das
Werk erfüllen muss. Diese Erwägungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Baurechtsspezifischer Mangelbegriff
Das Gewerk muss
1. Alternative
a) die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit haben (Bausoll)
und
b) für die vertraglich vorausgesetzte, sonst für die übliche
59
iE ebenso: Werner/Pastor Rn 1457; Vorwerk BauR 03, 1, 4
30
Verwendung geeignet sein (Erfolgssoll, funktionaler Mangelbegriff);
2. Alternative (Beschaffenheitsvereinbarung fehlt)
a) sich für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung, sonst für
die übliche Verwendung eignen
und
b) die übliche Beschaffenheit haben.
3.2
Sachmangel - Rechtswirkungen
Aus alledem folgt: Sind vereinbarte Beschaffenheiten nicht eingehalten, ist das
Gewerk auch ohne eine Einschränkung der Gerbrauchs- und Funktionstauglichkeit
mangelhaft; erst recht kommt es nicht auf die Entstehung eines Schadens an60.
Andererseits ist der Unternehmer selbst dann zur Herstellung eines voll
funktionstauglichen Gewerkes verpflichtet, wenn der solcherart geschuldete
Werkerfolg durch die vertraglichen Vorgaben zur Ausführung der Werkleistungen
nicht erreicht werden kann61.
These
Der Unternehmer hat – über den Wortlaut des § 633 Abs. 2 BGB hinaus mangelhaft gearbeitet, wenn er trotz beanstandungsfreier Umsetzung der
Ausführungsvorgaben des Bestellers den funktional definierten Werkerfolg verfehlt.
Zwischenergebnis Sachmängelhaftung:
Den Unternehmer trifft ein erhebliches Haftungsrisiko bei unzureichender
Beschreibung der ihm abverlangten Leistungen durch den Besteller.
OLG Düsseldorf, NJW-RR 96, 146; OLG Köln NJW-RR 05, 1042 – unzureichende
Architektenplanung einer Abdichtung gegen drückendes Wasser
61 BGH BauR 00, 411 - dichtes Dach; NJW-RR 02, 1533; BauR 01, 823; NJW 98, 3707f; BauR 84,
510, 512f; BGHZ 90, 344, 346f; Rostock BauR 05, 441 - dichter Keller
60
31
3.3 Mitverantwortung und Sowiesokosten
Bei fahrlässigen Verstößen gegen die Prüfungs- und Hinweispflicht trifft den Besteller
mit Rücksicht auf die in seine Verantwortung fallenden Fehler in den
Leistungsvorgaben je nach den Umständen des Einzelfalles eine Mitverantwortung
für die Entstehung des Mangels, so dass er gemäß § 254 BGB (bei Planungsfehlern
des von ihm beauftragten Architekten über § 278 BGB) die
Mangelbeseitigungskosten mit einem quotal seinem Verursachungsbetrag
entsprechenden Betrag bezuschussen muss62. Gleiches gilt aus dem Gesichtspunkt
der Vorteilsausgleichung für eventuelle mangelbeseitigungsbedingte
„Sowiesokosten“63.
4 Die Bedeutung der Bedenkenhinweispflicht
4.1
Grundlagen
Hat der Besteller die Art der Ausführung (fehler- oder lückenhaft) vorgegeben, so
haftet der Unternehmer gleichwohl dann nicht, wenn er die Unzulänglichkeiten der
Leistungsbeschreibung unter Berücksichtigung seiner gewerbebezogenen
Fachkenntnisse nicht erkennen konnte oder wenn er nach gebotener Prüfung bei
Kenntnis den Besteller auf diese Unzulänglichkeiten ausreichend hingewiesen hat.
Eine derartige Prüfungs- und Hinweispflicht folgt für den VOB/B-Vertrag mit den sich
aus § 13 Abs. 3 VOB/B für die Mängelhaftung ergebenden Konsequenzen
unmittelbar aus § 4 Abs. 3 VOB/B. Sie gilt in Ausprägung der Kooperationspflicht
auch für den BGB-Werkvertrag und spielt solcherart für das Baugeschäft wegen der
unter 3 aufgezeigten Zusammenhänge eine zentrale Rolle64.
BGH NJW 99, 416; s auch Leitzke NZBau 01, 672 – zu Hamm NZBau 01, 502; vorprozessual: nur
Sicherheitsleistung in entsprechender Höhe – BGH BauR 84, 395; Nürnberg BauR 00, 273; Raiser –
NZBau 01, 598, 599 – und Preussner – BauR 02, 231, 241 – sind der Auffassung, dass sich
ungeachtet der Erkennbarkeit aus der Verweisung auf § 442 I 1 in § 651 S 2 eine Beschränkung der
Haftung für Hinweispflichtverstöße des Unternehmers bei fehlerhaften Stofflieferungen des Bestellers
ergebe; dagegen mit Recht: Kniffka, ibr-online-Kommentar Bauvertragsrecht, § 633 Rn 13
63 BGH BauR 02, 86; NJW-RR 00, 465; OLG Karlsruhe NJW-RR 99, 1694
64 Grundsätzlich zur Prüfungs- und Hinweispflicht: BGH, Urteil vom 08.11.2007 - VII ZR 183/05, BauR
2008, 344; ausführlich mit zahlreichen Beispielen: Werner/Pastor, Der Bauprozess, Rn 1519ff, 1533
62
32
4.2
4.2.1
Fallkonstellationen
Der Bedenkenhinweis wird erteilt; der Besteller weist den Unternehmer
an, wie geplant zu bauen.
Soweit der Unternehmer sich an seine Prüfungs- und Hinweispflichten hält und die
gemäß § 4 Abs. 3 VOB/B gebotene Mitteilung macht, muss der Besteller seinerseits
reagieren und eine Entscheidung treffen. Für den VOB/B-Vertrag gilt: Teilt er die
(objektiv berechtigten) Bedenken nicht und weist er den Unternehmer deshalb an,
nach den bisherigen Ausführungsvorgaben weiter zu bauen, muss der Unternehmer
diese Anweisung grundsätzlich befolgen. Bei Lichte betrachtet dürfte es sich dann
häufig um eine Teilkündigung des Vertrages hinsichtlich derjenigen Leistungen
handeln, die zusätzlich für Erreichung des funktionalen Erfolges erbracht werden
müssten. Für die aus der Abänderung des vertraglich vereinbarten Leistungsumfangs
resultierenden Folgen ist der Besteller verantwortlich (vgl. § 4 Abs. 3 HS 2 VOB/B)
und der Unternehmer wird jedenfalls gemäß § 13 Abs. 3 VOB/B von der
Mängelhaftung frei. Er darf die weitere Ausführung der Arbeiten indes verweigern,
wenn andernfalls gesetzliche oder behördliche Bestimmungen verletzt (vgl. § 4 Abs.
1, Abs. 4 S. 1 aE VOB/B), Gefahren für Leib und Leben geschaffen65 oder derart
schwerwiegende Mängel des Gesamtbauvorhabens drohen würden, dass dem
Unternehmer die Fortsetzung der Arbeiten nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht
zugemutet werden kann66. Beharrt der Besteller trotz solcher Bedenken auf der
Durchführung des Bauvorhabens nach seinen (fehlerhaften) Vorgaben, muss der
Unternehmer im Einzelfall zudem das Recht haben, den Vertrag aus wichtigem
Grund zu kündigen67, weil er sich sonst am Ende uU den Vorwurf gefallen lassen
müsste, vorsätzlich einen Mangel produziert oder – noch schlimmer – Leib und
Leben Dritter gefährdet zu haben.
Für den BGB-Bauvertrag liegen die Dinge zumindest im Ausgangspunkt anders, weil
das BGB-Werkvertragsrecht ein einseitiges Anordnungsrecht des Bestellers nicht
kennt. Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass der Unternehmer sich
in einem Dilemma befindet, wenn der geschuldete Bauerfolg durch die Umsetzung
der konkreten Ausführungsvorgaben des Bestellers nicht verwirklicht werden kann.
65
OLG Karlsruhe, BauR 2005, 729
iE zum Leistungsverweigerungsrecht des Unternehmers in diesen Fällen:
Kapellmann/Messerschmidt/Merkens, VOB-Kom., 2. Aufl., Teil B, § 4 Rdn. 108 mwN;
Ingenstau/Korbion/Oppler, VOB-Kom., 16. Aufl., Teil B, § 4 Nr. 3 Rdn. 79 mwN
67 Ingenstau/Korbion/Oppler, VOB-Kom., 16. Aufl., Teil B, § 4 Nr. 1 Rdn. 98
66
33
Hält er sich an die (fehlerhafte) Leistungsbeschreibung, produziert er einen Mangel;
wählt er die Sicherstellung des Bauerfolges unter eigenmächtiger Abweichung von
jenen Ausführungsvorgaben, begeht er in aller Regel ebenfalls einen
Vertragsverstoß, weil er vertraglich vereinbarte Beschaffenheiten übergeht. Deshalb
ist es auch für den BGB-Bauvertrag richtig, dass der Unternehmer in dieser Lage
eine rechtsgeschäftliche Erklärung des Bestellers herbeiführen muss, die er durch
den nach obigen Grundsätzen gebotenen Bedenkenhinweis veranlasst. Verlangt der
Besteller daraufhin die Umsetzung seiner ursprünglichen Ausführungsvorgaben und
geht der Unternehmer trotz seiner Bedenken hierauf ein, so haben sich die
Vertragsparteien nach allgemeinen Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre im
Ergebnis vertraglich darauf geeinigt, dass der geschuldete Werkerfolg ungeachtet
etwaiger ursächlich auf die mit Bedenken belegten Ausführungsvorgaben
zurückzuführender Funktionsmängel des Werkergebnisses dem entspricht, was
durch die Umsetzung der Ausführungsvorgaben erreicht werden kann. Auf § 13 Abs.
3 VOB/B kommt es in diesen Fällen deshalb nicht an.
Aber wie steht es mit dem Verlangen des Bestellers, nach seinen
Ausführungsvorgaben zu bauen, wenn der Unternehmer dem wegen seiner
Bedenken nicht nachkommen will? Ein gesetzliches Anordnungsrecht des Bestellers
besteht nicht; es lässt sich für den BGB-Werkvertrag allenfalls aus dem
Gesichtspunkt der ergänzenden Vertragsauslegung oder mit der Erwägung
rechtfertigen, dass der Unternehmer nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verpflichtet
ist, den auf die Herstellung einer sach- und zweckgerechten Bauleistung gerichteten
Willen des Bestellers im Rahmen seiner vertraglichen Erfolgsverpflichtung
umzusetzen68. Was in diesem Sinne als sach- und zweckentsprechend zu gelten hat,
bestimmt in erster Linie der Besteller, der allerdings abweichend von § 1 Abs. 3
VOB/B nicht befugt ist, den Bauentwurf und damit das vertraglich vereinbarte
Leistungsziel, den geschuldeten Erfolg zu ändern. Darüber hinaus ist der
Unternehmer ebenso wie beim VOB/B-Vertrag nicht verpflichtet,
Ausführungsvorgaben des Bestellers zu beachten, deren Umsetzung zu einem
Verstoß gegen gesetzliche oder behördliche Bestimmungen, zu Sicherheitsrisiken
oder zu schwerwiegenden Baumängeln führen würde. In allen anderen Fällen wird
der Unternehmer die Ausführungsvorgaben des Bestellers umsetzen müssen, wenn
dieser es trotz der ihm mitgeteilten Bedenken verlangt. Der Unternehmer haftet dann
68
Ingenstau/Korbion/Oppler, VOB-Kom., 16. Aufl., Teil B, § 4 Nr. 1 Rdn. 75
34
allerdings in Anwendung des sich aus § 13 Abs. 3 VOB/B ergebenden
Rechtsgedankens nicht für die hierdurch bedingte Verfehlung des (funktionalen)
Erfolges. Im Ergebnis gilt für den BGB-Bauvertrag also nichts anderes, als für den
VOB/B-Vertrag.
4.2.2 Der Bedenkenhinweis unterbleibt
Setzt der Unternehmer eine fehler- oder lückenhafte Leistungsbeschreibung des
Bestellers mit dem Ergebnis um, dass die Funktionalität des Bauergebnisses verfehlt
wird, ist seine Werkleistung mangelhaft - § 633 Abs. 2 BGB. Ob er bei
unterbliebenem Bedenkenhinweis haftet, hängt davon ab, ob er die
Unzulänglichkeiten der Ausschreibung hätte erkennen können. Er wird von der
Mangelhaftung frei, wenn er nach gebotener Prüfung keine Bedenken gegen die
Ausführungsvorgaben haben musste69. Das ergibt sich nicht unmittelbar aus § 13
Abs. 3 VOB/B, ist aber gerechtfertigt, weil die zu Prüfung und Hinweis Anlass
gebenden Vorgaben und Vorleistungen aus der Risikosphäre des Bestellers
stammen. Sind sie unvollständig oder fehlerhaft, trägt er deshalb im Ergebnis das
Risiko einer durch ihre Umsetzung bedingten Verfehlung des funktionalen
Werkerfolges, wenn der Unternehmer die Unzulänglichkeiten der Leistungsvorgaben
nicht erkennen konnte.
Probleme entstehen im umgekehrten Fall, wenn der Unternehmer ohne einen – dann
gebotenen - Bedenkenhinweis die Leistungsvorgaben des Bestellers ignoriert und
die Bauleistung ohne Rücksprache mit dem Besteller so ausführt, dass der
funktionale Werkerfolg erreicht wird. Zwar waren die dann regelmäßig zusätzlich oder
in anderer Weise als geplant angefallenen Leistungen objektiv erforderlich.
Gleichwohl hat der Unternehmer vertragliche Leistungspflichten verletzt. Denn es ist
aus den bereits dargelegten Gründen allein dem Besteller vorbehalten, die
rechtsgeschäftliche Entscheidung darüber zu treffen, ob er – ggfls. gegen Zahlung
einer Mehrvergütung – den funktionalen Bauerfolg verwirklicht wissen oder es bei
seinen verbindlichen Leistungsvorgaben belassen und die Leistungsverpflichtung
des Unternehmers dementsprechend beschränken will70. Das gilt erst recht, wenn
die vom Unternehmer übergangenen Leistungsvorgaben – wie oft 69
Ebenso: Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 3. Aufl., Teil 6, Rdn. 24, 48; aA Fuchs, BauR
2009, 404, 409
70 § 1 Abs. 4 Satz 1 VOB/B sieht ein entsprechendes einseitiges Anordnungsrecht vor. Für den BGBBauvertrag ist das nicht geregelt. Dort kann nach derzeitiger Rechtslage nur eine ergänzende
Auslegung des Vertrages helfen.
35
Beschaffenheitsvereinbarungen darstellen, an deren Einhaltung der Unternehmer
gebunden ist (vgl. § 633 Abs. 2 Satz 1 BGB) und die er nur kraft rechtsgeschäftlicher
Anordnung des Bestellers unbeachtet lassen darf. Jedenfalls im letztgenannten Fall
hat der Unternehmer nicht vertragsgerecht gearbeitet, wenn er die
Beschaffenheitsabreden missachtet. Eine ganz andere Frage ist es freilich, ob und
ggfls. welche Ansprüche der Besteller hieraus herleiten kann. Dem soll hier nicht
weiter nachgegangen werden. In der widerspruchslosen Abnahme des unter
Abweichung von seinen Vorgaben erstellten Bauwerks dürfte allerdings eine
nachträgliche Billigung jener Abweichung zu sehen sein.
4.2.3 Der Bedenkenhinweis wird erteilt; der Besteller reagiert nicht
Es wird vertreten, dass der Unternehmer sich in einem solchen Fall darauf
beschränken darf, die Bauleistung entsprechend den unzureichenden
Leistungsvorgaben ausführen71, er also von der Mängelhaftung für die Verfehlung
des funktionalen Erfolges frei wird. Dafür spricht der Wortlaut des § 13 Abs. 3 VOB/B,
der die Enthaftung des Unternehmers allein an die Erteilung des
Bedenkenhinweises, nicht hingegen an die Reaktion des Bestellers hierauf knüpft.
Unproblematisch ist das nicht. Der Bedenkenhinweis soll den Besteller in die Lage
versetzen, nach obigen Grundsätzen über die Art der Bauausführung zu
entscheiden. Insoweit trifft ihn – ähnlich wie bei einer erforderlichen Bemusterung eine Mitwirkungsobliegenheit72. Die Sanktion wegen eines Verstoßes gegen diese
Obliegenheit besteht nicht darin, den Unternehmer aus der Sachmängelhaftung zu
entlassen. Vielmehr greift § 642 BGB, wonach der Unternehmer bezogen auf die
Dauer des Annahmeverzuges eine Entschädigung beanspruchen und gemäß §§
643, 645 BGB den Vertrag kündigen und abrechnen kann. Darüber hinaus dürfte er
berechtigt sein, die Arbeiten bis zu einer Entscheidung des Bestellers einzustellen.
Soweit in der unterbliebenen Mitwirkung des Bestellers ausnahmsweise ein Verstoß
gegen eine vertragliche Nebenpflicht gesehen werden kann73, erhält er gemäß §§
280 Abs. 1, 280 Abs. 2, 286 BGB zudem seinen weitergehenden Schaden ersetzt.
Trotz alledem wird man den Wortlaut des § 13 Abs. 3 VOB/B hinnehmen müssen. Ob
es gerechtfertigt ist, die dort niedergelegten Rechtsgedanken auch in diesem Punkt
71
Fuchs, aaO. 410
Kapellmann/Messerschmidt/Merkens, VOB-Kom., 2. Aufl., Teil B, § 4 Rdn. 106 - Mitwirkungspflicht
73 Eingehend hierzu: Kniffka, Jahrbuch Baurecht 2001, 1, 6ff.
72
36
gemäß § 242 BGB auf den BGB-Bauvertrag anzuwenden, erscheint allerdings
fraglich.
Wenn der Unternehmer ohne eine rechtsgeschäftliche Anordnung des Bestellers für
die Verwirklichung der Funktionalität zusätzlich erforderliche Leistungen ausführt,
erhält er hierfür keine vertragliche Vergütung, weil sie insoweit nicht vereinbart ist.
Auch ein Aufwendungsersatzanspruch aus dem Gesichtspunkt der GoA kommt nicht
in Betracht, weil die zusätzlich erforderlichen Leistungen als zum vertraglichen
Leistungsumfang gehörend geschuldet sind und er diese deshalb nicht ohne Auftrag
erbracht hat74. Allerdings liegt eine Äquivalenzstörung vor75, so dass allenfalls eine
Anpassung der Vergütung nach den Grundsätzen des Wegfalls der
Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 2 BGB ist zu erwägen ist (dazu sogleich).
4.2.4 Der Bedenkenhinweis wird erteilt; der Besteller weist den Unternehmer
an, die danach für die Verwirklichung des Bauerfolges erforderlichen
Leistungen auszuführen.
Trägt der Besteller dem (berechtigten) Bedenkenhinweis des Unternehmers
Rechnung, indem er von seinen fehlerhaften Ausführungsvorgaben Abstand nimmt
und die zusätzlich für die Verwirklichung des Bauerfolges erforderlichen Leistungen
verlangt, so stellt sich die Mangelfrage nicht, wenn der Unternehmer diesem
Verlangen nachkommt. Allerdings muss er erneut prüfen, ob die nunmehr
geänderten Ausführungsvorgaben des Bestellers zu einem funktionstauglichen
Gewerk führen. Hat er Bedenken, muss er diese nach obigen Grundsätzen abermals
anmelden76. Darüber hinaus ist in diesem Fällen regelmäßig das Äquivalenzgefüge
gestört, weil der Unternehmer zusätzliche Leistungen erbringen muss, die nicht
Gegenstand der vertraglichen Vergütungsvereinbarung mit dem Besteller waren.
5 Preisanpassung
5.1 Grundlagen
Es entspricht dem Wesen eines vertraglichen Austauschgeschäfts, dass die
rechtsgeschäftlich vereinbarten Leistungen und Gegenleistungen nach der
Vorstellung der Vertragsparteien grundsätzlich gleichwertig sein sollen. Gegenstand
74
Im einzelnen hierzu: Leupertz, BauR 2005, 775, 785ff.
Leupertz aaO., 787f.
76 BGH, Urt. v. 29.11.1973 – VII ZR 179/71, BauR 1974, 128
75
37
des Bauvertrages ist dementsprechend die von ihrem gemeinsamen Geschäftswillen
getragene Abrede der Vertragsparteien, der Besteller möge für den konkret
ausgeschriebenen Leistungsumfang eine entsprechende Gegenleistung in Form der
vertraglich vereinbarten Vergütung erbringen. Darin, nämlich in der durch ihre
rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen manifestierten Äquivalenzerwartung,
besteht die beiderseits gebilligte Geschäftsgrundlage77. Sie wird verfehlt, wenn sich
die Leistungsverpflichtung des Unternehmers entgegen den Vorstellungen der
Parteien bei Vertragsschluss nicht im vergütungspflichtigen Leistungsumfang
erschöpft, sondern er zur Erreichung des Bauerfolges darüber hinaus Leistungen
erbringen muss, für die er weder nach dem Vertrage eine Vergütung erhält, noch
sonst einen Ausgleich verlangen kann78.
Die der Erfolgshaftung des Unternehmers zugeordneten Leistungsanforderungen
decken sich also nicht notwendig mit dem vergütungspflichtigen Leistungsumfang.
Gleichwohl gehen die Vertragsparteien im Rahmen ihrer zur Geschäftsgrundlage zu
rechnenden Äquivalenzerwartung regelmäßig davon aus, dass bereits die
Erbringung der nach der Leistungsbeschreibung vorgesehenen Leistungen zur
Erreichung des Bauerfolges führen wird und dass die hierfür vereinbarte Vergütung
eine adäquate Gegenleistung (nur) für diese Leistungen darstellt79. Der solcherart
definierte vergütungspflichtige Leistungsumfang ist indes streng zu trennen von den
für die Erreichung des geschuldeten Bauerfolgs erforderlichen
Leistungsanforderungen80. Zusätzliche, nicht in der Leistungsbeschreibung
enthaltene Leistungen sind vom verpreisten Leistungsumfang nicht umfasst, und
zwar auch dann nicht, wenn sie für die Verwirklichung des Bauerfolgs erbracht
werden müssen und somit vertraglich geschuldet sind. Sie sind demnach gesondert
77
BGH, Urteil vom 2. 11. 1961 - II ZR 126/59, NJW 1962, 250, 251; Urteil vom 14. 10. 1959 - V ZR
9/58, NJW 1959, 2203; Palandt/Grüneberg, BGB, 68. Aufl., § 313, Rdn. 25; DaunerLieb/Heidel/Ring/Krebs, Anwaltkommentar BGB, Schuldrecht Teilband 1, § 313, Rdn. 60
78 vgl. zu ähnlichen Fallkonstellationen: BGH, Urt. v. 15.11.2000 – VIII ZR 324/99, NJW 2001, 1204 –
irrtümlich Berücksichtigung eines an die BRep zu zahlenden Ausgleichsanspruchs für die Bemessung
des Kaufpreises für einen Rückübertragungsanspruch; BGH, Urt. v. 01.02.1990 – VII ZR 176/88,
NJW-RR 1990, 601, 602 – öffentliche Förderung eines Bauvorhabens;
79 Vgl.: Leupertz, BauR 2005, 775, 788
80 So zutreffend insbesondere: Motzke, NZBau 2002, 641ff; vgl. hierzu auch: Leupertz, BauR 2005,
775, 785f
38
zu vergüten, was beim BGB-Werkvertrag nach herrschender Meinung allerdings eine
entsprechende rechtsgeschäftliche Vereinbarung voraussetzt81.
Dieses, auf den Grundprinzipien der Rechtsgeschäftslehre beruhende Verständnis
führt zwanglos zu der Erkenntnis, dass hinsichtlich eventueller
Mehrvergütungsansprüche des Bestellers zwischen zusätzlich für die Verwirklichung
des unveränderten Bauerfolgs erforderlichen Leistungen und solchem Mehraufwand
zu unterscheiden ist, der außerhalb des vertraglichen Äquivalenzgefüges durch eine
(einseitige) Veränderung des Bauerfolges, des Bauziels, entsteht. Die VOB/B geht
einen völlig anderen Weg, der im Folgenden nachgezeichnet werden soll.
5.2 Verträge mit funktionaler Ausschreibung
Bei Bauverträgen mit funktionaler Ausschreibung erhält der Unternehmer die
vertraglich vereinbarte Vergütung für alle Leistungen, die er für die Verwirklichung
des funktional definierten Bauziels (Bauerfolg) erbringen muss. Ein Anspruch auf
Preisanpassung kann sich demnach nur ergeben, wenn das Bauziel verändert wird.
Dann gelten die Grundsätze, die im Folgenden für den Bauvertrag mit detaillierter
Ausschreibung erörtert werden.
5.3 Verträge mit detaillierter Ausschreibung
5.3.1 Mehraufwand durch eine Veränderung des Bauziels (geänderte
Leistungen)
5.3.1.1 BGB-Bauvertrag
Nach h. M. ist der Besteller im Rahmen eines BGB-Bauvertrages nicht berechtigt,
Leistungsänderungen einseitig anzuordnen82. Wenn er gleichwohl geänderte
Leistungen verlangt und der Unternehmer diesem Verlangen nachkommt, dürfte die
gebotene Auslegung der Gesamtumstände in der Regel ergeben, dass die
Vertragsparteien sich rechtsgeschäftlich über die Erbringung auch dieser Leistungen
geeinigt haben. Dann richtet sich die Vergütung für die geänderten Leistungen
81
Zur Behandlung der Problemfälle, in denen der Unternehmer ohne eine rechtsgeschäftlich wirksame
Abrede mit dem Besteller Mehraufwand betreibt, um den Bauerfolg zu verwirklichen: Leupertz, BauR
2005, 775.
82 aA: MünchKomm-Busche, BGB, 5. Aufl., § 631 Rdn. 123 – Leistungsbestimmungsrecht aus der
Natur des Bauvertrages mit der Vergütungsfolge des § 632 Abs. 2 BGB; Staudinger – Peters/Jacoby,
BGB, Neubearb. 2008, § 633 Rdn. 12 – Verpflichtung des Unternehmers nach Treu und Glauben, auf
zumutbare Änderungswünsche des Bestellers einzugehen; BaRoth-Voit, BGB, 2. Aufl., § 631 Rdn. 37
– Leistungsänderungsrecht des Bestellers mit Verpflichtung zur Fortschreibung der Vertragspreise
39
grundsätzlich nach § 632 Abs. 1, 2 BGB und der Unternehmer erhält hierfür die
übliche Vergütung. Allerdings kann die Auslegung im Einzelfall ergeben, dass der
Unternehmer gleichartige Leistungen nach den hierfür im Vertrag vorgesehenen
Preisen abrechnen muss.
5.3.1.2 VOB/B-Vertrag
Ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Bestellers ergibt sich für den VOB/BVertrag aus § 1 Abs. 3 VOB/B durch die Gestattung, den Bauentwurf zu ändern. Wie
weit dieses Leistungsbestimmungsrecht reicht, ist umstritten. Darauf soll hier nicht
näher eingegangen werden.
§ 1 Abs. 4 Satz 1 VOB/B erfasst die Fälle geänderter Leistungen seinem Wortlaut
nach nicht. Denn die infolge einer Änderung des vertraglichen Leistungsumfangs
anfallenden Leistungen werden nicht „zur Ausführung der vertraglichen Leistung
erforderlich“. Die vertragliche Leistung ist der nach dem Ausgangsvertrag
vorgesehene funktionale Bauerfolg. Gerade der soll verändert werden. Erst die
(wirksame) Änderung führt dazu, dass die geänderten Leistungen nunmehr
erforderlich sind. Jedes andere Verständnis der Regelung würde darauf
hinauslaufen, dass das Anordnungsrecht zugleich Ursache und Folge der
Leistungsänderung wäre. Das kann schlechterdings nicht gemeint sein.
Der Mehrvergütungsanspruch des Unternehmers für infolge einer
Bauentwurfsänderung des Bestellers anfallenden Mehraufwand wird gemeinhin aus
§ 2 Abs. 5 VOB/B hergeleitet. Der Wortlaut der Vorschrift gibt das nicht ohne
weiteres her. Denn die hier in Rede stehenden (Mehr-) Leistungen, die erst infolge
einer Veränderung des vertraglich vereinbarten Bauerfolgs erforderlich werden, sind
nicht „im Vertrag vorgesehen“. Sie werden dem vertraglichen Leistungsumfang
hinzugefügt. Der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 5 VOB/B ist deshalb nur dann
eröffnet, wenn man den fort verwendeten Begriff der „Leistung“ in dem Sinne
versteht, dass damit die in der Detaillausschreibung enthaltenen Teilleistungen
gemeint sind. Wiederholen sich diese Teilleistungen bei der Erbringung des
änderungsbedingten Mehraufwandes, waren sie nach ihrer Art bereits im Vertrag
vorgesehen. Das wäre die Grundlage für die Vereinbarung eines neuen Preises
unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten. Ein solches Verständnis
40
erscheint möglich, ist aber schon deshalb nicht unproblematisch, weil die VOB/B den
Begriff der „Leistung“ auch als Synonym für den geschuldeten Bauerfolg verwendet,
wie sich bspw. aus § 1 Abs. 4 VOB/B ergibt („…der vertraglichen Leistung
erforderlich werden,..“). Das ist nicht ohne weiteres mit dem jüngst vom BGH in
anderem Zusammenhang bestätigten, allgemeinen Auslegungsgrundsatz in Einklang
zu bringen, dass ein Begriff, der innerhalb eines AGB-Klauselwerks mehrfach
verwendet wird, grundsätzlich für alle Klauseln einheitlich auszulegen ist, weil ein
verständiger und redlicher Vertragspartner in der Regel davon ausgehen wird, dass
einem identischen Wortlaut auch eine identische Bedeutung beizumessen ist83.
§ 2 Abs. 6 VOB/B betrifft „im Vertrag nicht vorgesehene Leistungen“ und damit
seinem Wortlaut nach gerade diejenigen, um die es hier geht. Gemeint sind freilich
aus den soeben dargelegten Gründen abermals die in der Detaillausschreibung
enthaltenen Teilleistungen.
5.3.2 Zusätzlich für die Verwirklichung des unveränderten Bauerfolgs
erforderliche Leistungen (zusätzlich erforderliche Leistungen)
5.3.2.1 BGB-Bauvertrag
Der Unternehmer schuldet alle Leistungen, die zur Verwirklichung des funktionalen
Bauerfolges erforderlich sind. Solche Leistungen sind mithin auch dann vertraglich
„vereinbart“, wenn sie nicht von den Leistungsvorgaben des Bestellers umfasst sind.
Sie sind dann allerdings nicht gesondert verpreist. Weil die in diesem Sinne
zusätzlich erforderlichen Leistungen zum vertraglichen Leistungsumfang gehören,
sind sie jedenfalls beim Pauschalvertrag von der vertraglichen Vergütung umfasst.
Deshalb kommt eine zusätzliche Vergütung gemäß § 632 Abs. 1, 2 BGB insoweit
nicht in Betracht. Gleiches gilt für Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag84.
Gleichwohl geht der Aufwand, den der Unternehmer zur Verwirklichung des
Bauerfolgs betreiben muss, über die Leistungen hinaus, für die er die Vergütung
erhält. Das führt zu einer Störung des Äquivalenzgefüges und damit zu einer Störung
der Geschäftsgrundlage, die eine Preisanpassung nach Maßgabe der Vorschriften in
§ 313 Abs. 1, 2 BGB nach sich ziehen kann. Allerdings sind die Anforderungen an
die Anpassung des Vertrages für die hier interessierenden Fälle angesichts des
Kriteriums der Unzumutbarkeit zu hoch.
83
84
BGH, Urteil vom 20.8.2009 – VII ZR 212/07, BauR 2009, 1736, 1738 Tz 19
Im einzelnen hierzu: Leupertz, BauR 2005, 775, 785ff.
41
5.3.2.2 VOB/B-Vertrag
Für VOB/B-Vertrag ergibt sich ein Mehrvergütungsanspruch des Unternehmers für
notwendige Zusatzleistungen nach allgemeiner Auffassung aus §§ 1 Abs. 4, 2 Abs. 6
VOB/B. Allerdings passt schon § 1 Abs. 4 VOB/B, der das Anordnungsrecht des
Bestellers betrifft, seinem Wortlaut nach nicht auf die Fälle zusätzlich erforderlicher
Leistungen. Denn nach obigen Grundsätzen kann es keine „nicht vereinbarten“
Leistungen geben, die zur Ausführung der vertraglichen Leistung erforderlich
„werden“. Sind sie erforderlich, sind sie unabhängig von den Leistungsvorgaben des
Bestellers auch geschuldet und damit rechtgeschäftlich vereinbart. Sie sind eben nur
nicht verpreist. Im Übrigen ergibt die Regelung nur dann einen Sinn, wenn man den
dort zweimal verwendeten Begriff der „Leistung“ unterschiedlich auslegt. Mit „nicht
vereinbarte Leistungen“ sind offenkundig wiederum die Teilleistungen der
Ausschreibung gemeint, wohin gegen Bezugspunkt für „die Ausführung der
vertraglichen Leistung“ nur der funktionale Bauerfolg sein kann.
§ 2 Abs. 6 VOB/B wirft ähnliche Probleme auf, weil keine Leistungen gefordert
werden, die im Vertrag nicht vorgesehen sind. Das Gegenteil ist der Fall. Die
zusätzlichen Leistungen sind lediglich nicht verpreist. § 2 Abs. 5 VOB/B ist
offenkundig nicht anwendbar, weil die zusätzlich erforderlichen Leistungen weder
durch eine Änderung des Bauentwurfs (§ 1 Abs. 3 VOB/B) noch durch „andere
Anordnungen“ des Bestellers veranlasst sind. Sie waren von Anfang an geschuldet.
42
Teil 2
Grundlagen der Preisanpassung nach
derzeitigem Stand der Rechtsprechung
1 Anspruchsgrundlagen für eine Anpassung der Vertragspreise
Das BGB-Werkvertragsrecht kennt keine Vorschriften, nach denen eine Anpassung
der Vertragspreise an einen veränderten Leistungsumfang zu erfolgen hat. Eine
Preisanpassung findet dort allenfalls nach den Grundsätzen der Störung der
Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB statt.
Demgegenüber hält die VOB/B ein detailliertes Regelungssystem für
Preisanpassungen bereit. Folgende Klauseln sind in diesem Zusammenhang
relevant:

Mengenmehrungen/Mengenminderungen
Einheitspreisvertrag: § 2 Abs. 3 VOB/B
Pauschalpreisvertrag: § 2 Abs. 7 Nr. 1 S. 2 VOB/B i. V. m. § 242 BGB

Selbsteintritt des Auftraggebers
Einheitspreisvertrag : § 2 Abs. 4 VOB/B
Pauschalpreisvertrag: §§ 2 Abs. 7 Nr. 1 S. 4, 2 Abs. 4 VOB/B

Änderungen des Bauentwurfs durch den Auftraggeber
Einheitspreisvertrag: § 2 Abs. 5 VOB/B i. V. m. § 1 Abs. 3 VOB/B
Pauschalpreisvertrag: §§ 2 Abs. 7 Nr. 1 S. 4, 2 Nr. 5 VOB/B i. V. m. § 1 Abs. 3
VOB/B

Zusatzleistungen durch einseitige Anordnung des Auftraggebers
Einheitspreisvertrag: § 2 Abs. 6 VOB/B i. V. m. § 1 Abs. 4 VOB/B
Pauschalpreisvertrag: §§ 2 Abs. 7 Nr. 1 S. 4, 2 Nr. 6 VOB/B i. V. m. § 1 Abs. 4
VOB/B
43

Erbringung nicht bestellter Leistungen: § 2 Abs. 8 VOB/B
2 Überblick
2.1 Mengenmehrungen / Mengenminderungen
2.1.1 BGB – Werkvertrag
Beim BGB-Werkvertrag sind die Parteien grundsätzlich an ihre vertraglichen
Vereinbarungen gebunden. Will der Auftragnehmer einen Nachtrag geltend machen,
muss er sich hierüber mit dem Auftraggeber einigen und einen neuen Vertrag i. S. d.
§ 631 BGB schließen. Eine einseitig durchsetzbare Preisanpassung wegen
Mengenmehrungen oder Mengenminderungen kommt sowohl für den
Einheitspreisvertrag als auch für den Pauschalpreisvertrag nur unter den
Voraussetzungen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) in Betracht.
Weil es sich dabei um einen Anwendungsfall des § 242 BGB handelt, der einen
schwerwiegenden Verstoß gegen Treu und Glauben voraussetzt, sind die
Anforderungen an eine so begründete Preisänderung äußerst hoch. Es muss ein
objektiv festzustellendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung
bestehen, das sich unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles85 für die
eine Vertragspartei als unerträglich erweist und von ihr bei Vertragsschluss auch
nicht vorherzusehen war86. Eine Kostensteigerung von 20 % auf den Vertragspreis
reicht hierfür u. U. noch nicht aus87.
Als Rechtsfolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist die vertraglich vereinbarte
Vergütung den veränderten Verhältnissen anzupassen88, worauf die benachteiligte
Partei einen Anspruch hat. Wie diese Anpassung vorzunehmen ist, ergibt sich aus §
313 BGB nicht. Sie wird je nach den Umständen des Einzelfalles in der Regel zu
einer Anhebung bzw. Absenkung des Vertragspreise um (einen Teil) der
erhöhten/verminderten Kosten führen89 und kann in besonders gelagerten Fällen
auch den Rücktritt vom Vertrage rechtfertigen - § 313 Abs. 3 S. 1 BGB. Weigert sich
die bevorteilte Vertragspartei, der verlangten und gebotenen Anpassung
zuzustimmen, so kann die andere Vertragspartei den Vertrag aus wichtigem Grund
85
BGH BauR 1996, 250
Ingestau/Korbion/Keldungs, Teil B, § 2 Abs. 7 Rn 24ff.; Kapellmann/Messerschmidt/Kapellmann,
Teil B, § 2 Rn 279ff.; Vygen, Bauvertragsrecht, Rn 841
87 BGH Schäfer/Finnern Z 2.311 Bl. 5; vgl. aber auch BGH VersR 1965, 803 für eine überproportionale
Verteuerung einer Einzelposition mit einer Steigerung des Gesamtpreises um nur 10 %.
88 Kapellmann/Messerschmidt/Kapellmann, Teil B, § 2 Rn 288
89 kritisch hierzu: Kapellmann/Messerschmidt/Kapellmann, Teil B, § 2 Rn 289
86
44
kündigen90. Darlegungs- und beweispflichtig für die Umstände, aus denen sich der
Wegfall der Geschäftsgrundlage ergibt, ist derjenige, der sich darauf beruft91.
2.1.2 VOB-Einheitspreisvertrag - § 2 Abs. 3 VOB/B
Die Besonderheit des Einheitspreisvertrages besteht darin, dass er die durch das
Baugeschehen typischerweise bedingten Leistungsschwankungen bereits strukturell
berücksichtigt, indem der betragsmäßig nicht festgelegte Preis aus der Summe der
Einzelpositionspreise gebildet wird, die sich wieder rum aus dem Produkt der
Vordersätze mit den vereinbarten Einzelpreisen (EP) ergeben. Ändern sich die
Vordersätze einzelner Positionen, weil sich während der Bauausführung nicht
einkalkulierte Mengenmehrungen oder Mengenminderungen ergeben, so wirkt sich
das gleichwohl auf das von den Parteien verabredeten Preisgefüge aus, weil der
Auftragnehmer die für das Bauvorhaben insgesamt anfallenden
Baustelleneinrichtungskosten, Baustellengemeinkosten und sonstigen
Allgemeinkosten, dazu Wagnis und Gewinn, üblicherweise auf die einzelnen
Leistungspositionen verteilt und so in die Einheitspreise einrechnet. Bei veränderten
Mengenansätzen bedeutet das für den Vertragspreis, dass sich der Aufragnehmer
bei Mehrmengen besser steht, wohingegen er bei kleineren Mengen einen
Preisnachteil hinnehmen muss. Dafür gewährt § 2 Abs. 3 VOB/B einen Ausgleich.
Grundlage für eine Preisänderung bei Mehrmengen ist § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B.
Danach kann die benachteiligte Partei (i.d.R. der Auftraggeber) eine Anpassung der
Einheitspreise verlangen, wenn sich ohne Eingriff des Auftraggebers eine
Mengenmehrung von mehr als 10 % gegenüber den vertraglich angenommenen
Vordersätzen ergeben hat. Dann ist nur (!) für die über 110 % hinausgehenden
Mengen auf Verlangen einer Partei ein neuer Preis zu vereinbaren. Kommt
hierüber keine Einigung zu Stande, muss der neue Preis gerichtlich festgesetzt
werden. Maßgebend sind auch dann die für den bisherigen Einheitspreis
maßgeblichen Preisermittlungsgrundlagen92, nur der Umlagemaßstab für die
fixen Baustellenkosten ändert sich.
90
BGH NJW 1969, 233; zu § 2 Nr. 7 VOB/B: OLG Düsseldorf NJW 1995, 3323
Kapellmann/Messerschmidt/Kapellmann, Teil B, § 2 Rn 290
92 Vygen, Bauvertragsrecht, Rn 767
91
45
Bei feststellbaren Mindermengen gilt § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B. Übersteigen diese 10
% der vertraglich kalkulierten Mengen, so ist auf Verlangen des Auftragnehmers für
die betroffene Position ein völlig neuer Einheitspreis nach Maßgabe der Regelung
in § 2 Abs. 3 Nr. 3 S. 2 VOB/B zu bilden93. Das gilt nicht, wenn er schon durch die
Erhöhung der Mengen bei anderen Positionen einen angemessenen Ausgleich erhält
- § 2 Abs. 3 Nr. 3 S. 1 VOB/B.
Praxishinweis: Wenn sich der Auftragnehmer im Vergütungsprozess auf
Mengenunterschreitung beruft und daraus eine Anspruch auf Anpassung der
Einheitspreise ableitet, muss er nicht nur die Unterschreitung der Vordersatzmenge,
sondern auch die Grundlagen für die Berechnung des neuen Preises darlegen und
ggfls. beweisen94. Das führt dazu, dass er seine Ursprungskalkulation offen
legen muss95. Die Gerichtspraxis zeigt, dass eine solche Kalkulation im Zeitpunkt
des Abrechnungsstreites oft nicht mehr existiert oder überhaupt nie existiert hat.
Dann darf und muss der Auftragnehmer die Kalkulation nachfertigen und plausibel
machen96.
Verlangt hingegen der Auftraggeber wegen einer Mengenmehrung eine Anpassung
des Einheitspreises, muss er die Mengenmehrungen und die
Berechnungsgrundlagen beweisen. Das kann er nur, wenn er die
Ursprungskalkulation des Auftragnehmers kennt. Ist das nicht der Fall, muss der
Auftragnehmer sie im Prozess offen legen97.
2.1.3 VOB-Pauschalpreisvertrag - § 2 Abs. 7 Nr. 1 S. 2 i. V. m. § 242 BGB
Für den Pauschalpreisvertrag gilt der Grundsatz des § 2 Abs. 7 Nr. 1 S. 1 VOB/B: Er
bleibt unverändert. Eine Preisanpassung für Mengenabweichungen findet nur unter
den Voraussetzungen des § 2 Abs. 7 Nr. 1 S. 2 VOB/B, mithin nur bei einer
schwerwiegenden Störung der Geschäftsgrundlage statt. Insoweit kann im
Wesentlichen auf die obigen Ausführungen zum BGB-Werkvertrag verwiesen
werden. Allerdings ist in § 2 Abs. 7 Nr. 1 S. 2, 3 VOB/B ausdrücklich bestimmt, dass
93
hierzu im Einzelnen: Kapellmann/Messeschmidt/Kapellmann, Teil B, § 2 Rn 152f.
OLG München BauR 1993, 726
95 OLG Schleswig BauR 1996, 265
96 Kapellmann/Messerschmidt/Kapellmann, Teil B, § 2 Rn 168
97 Kapellmann/Messerschmidt/Kapellmann, Teil B, § 2 Rn 168
94
46
für die Bildung des neuen Pauschalpreises unter Berücksichtigung der Mehr- oder
Mindermengen von den Grundlagen der Preisermittlung auszugehen ist, die sich
üblicherweise aus der Ursprungskalkulation des Auftragnehmers ergeben. Im
Ergebnis entspricht der Preisunterschied also regelmäßig der Differenz zwischen den
ursprünglich veranschlagten (kalkulierten) und den tatsächlich angefallenen Kosten,
die allerdings ebenfalls auf der Grundlage der ursprünglichen Kalkulation zu ermitteln
und nur in dem adäquat kausal auf die Äquivalenzstörung zurückzuführenden
Umfang zu korrigieren sind 98.
2.2 Änderung des Bauentwurfs / Zusatzleistungen
2.2.1 BGB-Werkvertrag
Die Vorschriften zum BGB-Vertrag sehen die Möglichkeit einer einseitigen
Leistungsänderung nicht vor. Nach dem Ausgangsvertrag nicht geschuldete
Leistungen sind also grundsätzlich nur kraft besonderer rechtsgeschäftlicher
Vereinbarung i. S. d. §§ 631f. BGB zu erbringen und zu vergüten. Von den Parteien
einvernehmlich ohne entsprechende Preisabsprachen vorgenommene
Leistungsänderungen können allerdings nach Treu und Glauben zur Anpassung
eines dadurch zum Leistungsumfang in einem groben Missverhältnis stehenden
Pauschalpreises zwingen99.
2.2.2 VOB-Vertrag - § 2 Abs. 5, Abs. 6 VOB/B i. V. m. §§ 1 Abs. 3, Abs. 4 VOB/B
§ 1 Abs. 3 VOB/B trägt dem durch die Unwägbarkeiten eines oft hochkomplexen
Baugeschehens begründeten Bedürfnis des Auftraggebers Rechnung, die für den
Bauerfolg maßgebenden Planvorgaben nach Vertragsschluss einseitig ändern zu
dürfen. Noch weiter geht § 1 Abs. 4 VOB/B, wonach der Auftragnehmer auf
Verlangen des Auftraggebers verpflichtet ist, nicht vereinbarte Leistungen, die zur
Ausführung der vertraglichen Leistung erforderlich werden, mit auszuführen, wenn
sein Betrieb darauf eingerichtet ist. Notwendiges Korrektiv für diese einseitigen
Abänderungsrechte100, die in den gesetzlichen Bestimmungen des allgemeinen
Schuldrechts keine Parallele finden, ist die Pflicht, die Preisabsprachen mit dem
Auftraggeber dem veränderten Bausoll anpassen zu müssen. Diese Pflicht ergibt
sich für den Einheitspreisvertrag aus den Bestimmungen in §§ 2 Abs. 5, Abs. 6
98
vgl.: Ingenstau/Korbion/Keldungs, Teil B, § 2 Abs. 7 Rn 29
BGH BauR 1974, 416, 417
100 zuletzt: BGH IBR 2004, 122, 123, 124
99
47
VOB/B, die über § 2 Abs. 7 Nr. 1 S. 4 VOB/B auch auf den Pauschalpreisvertrag
Anwendung finden.
Die für die Berechnung des neuen Preises maßgeblichen Grundsätze lassen sich
wie folgt zusammenfassen101:
Wenn die Voraussetzungen des § 2 Nr. 5 VOB/B erfüllt sind, so ist ein neuer Preis für
die verändert auszuführende Leistung unter Berücksichtigung der Mehr- oder
Minderkosten zu vereinbaren. Dadurch ist der Bezug zur ursprünglichen
Preiskalkulation (Auftragskalkulation) hergestellt, die für die Preisanpassung
fortgeschrieben wird102. Für die Ermittlung des neuen Preises sind nur die Mehr –
oder Minderkosten zu berücksichtigen, die adäquat kausal auf die
Änderungsanordnung zurückzuführen sind. Dabei kommt es nicht auf die
tatsächliche Kostenentwicklung an, sondern es sind die voraussichtlichen Mehroder Minderkosten in Ansatz zu bringen, wie sie auf der Grundlage der
Auftragkalkulation hätten errechnet werden müssen103. Ob vertraglich vereinbarte
Nachlässe in die Nachtragsforderung einfließen, ist nach Auffassung des BGH104
eine Frage des Einzelfalles und im Wege der Auslegung des Ursprungsvertrages zu
ermitteln. Ist im Vertrag ein Nachlass „auf alle EP“ gewährt, so gilt das in
Ermangelung anderweitiger Absprachen auch für den Nachtrag105.
Weil eine Änderung des Planenturfs nicht selten mit Bauzeitverschiebungen
einhergeht, muss der Auftragnehmer im Nachtragsfall darauf achten, dass er auch
die hierdurch bedingten, zeitabhängigen Mehrkosten in seine Nachtragsforderung
einrechnet. Auch das darf er allerdings nur in dem Umfang, in dem er sie in Kenntnis
des veränderten Bauablaufs schon in seine Auftragskalkulation einbezogen hätte 106.
Aus alledem wird deutlich, dass der Auftragnehmer zu schlüssigen Darlegung einer
Nachtragsforderung im Prozess in aller Regel seine Urkalkulation offen legen muss.
101
ausführlich zu den Grundsätzen der Preisermittlung: Kapellmann/Messerschmidt/Kapellmann, Teil
B, § 2 Rn 219ff.
102 BGH BauR 1999, 897; BGH BauR 1996, 378
103 Kapellmann/Messerschmidt/Kapellmann, Teil B, § 2, Rn 213; Vygen, Bauvertragsrecht, Rn 808
104 BGH, IBR 2003, 591
105 BGH IBR 2003, 591; im Ergebnis ebenso: OLG Hamm NJW-RR 1995, 593; OLG Düsseldorf BauR
1993, 479, 480; kritisch unter Hinweis auf die Akquisitionswirkung des Nachlasses:
Ingenstau/Korbion/Keldungs, Teil B, § 2 Abs. 6, Rn 23; Kapellmann, NZBau 2000, 57
106 Vygen, Bauvertragsrecht, Rn 804
48
Denn nur daraus ergeben sich die Grundlagen der Preisermittlung107. Hatte er bei
Angebotsabgabe keine detaillierte Kalkulation erstellt, muss er das jetzt im Prozess
nachholen. Darüber hinaus obliegt es ihm, die Berechnung der neuen Preise
nachvollziehbar aus der Urkalkulation zu entwickeln und deren Richtigkeit im
Bestreitensfall zu beweisen. Die hierfür maßgeblichen Parameter sind der
richterlichen Schätzung gemäß § 287 ZPO zugänglich108.
Die obigen Grundsätze gelten entsprechend für die Berechnung von Nachträgen für
zusätzliche Leistungen im Sinne des § 2 Abs. 6 VOB/B. Die Anknüpfung an die
ursprüngliche Preiskalkulation folgt unmittelbar aus § 2 Abs. 6 Nr. 2 S. 1 VOB/B,
wonach die Berechnung des neuen Preises auf „den Grundlagen der Preisermittlung
für die vertragliche Leistung“ zu erfolgen hat109. Das kann im Einzelfall
Schwierigkeiten bereiten, wenn die zusätzlich verlangten Leistungen keine
Entsprechung im vertraglichen Leistungsbild finden. Dann handelt sich um gleichwohl
mehrvergütungspflichtige „besondere Kosten der geforderten Leistung“ i. S. d. § 2
Abs. 6 Abs. 2 VOB/B, für deren Ermittlung das ursprüngliche Preisgefüge allerdings
nur eine schwache oder gar keine Stütze bietet.
Der Nachtragsanspruch gemäß § 2 Abs. 6 besteht nur für solche zusätzlichen
Leistungen, die der Auftragnehmer auf einseitiges Verlangen des Auftraggebers
gemäß § 1 Abs. 4 S. 1 VOB/B ausführen muss, weil sie für die Ausführung des
vertraglichen Leistungserfolges erforderlich sind110. Andere zusätzliche
Leistungen, die nicht der Verwirklichung des nach dem Vertrag vorgesehenen
Bauerfolgs dienen und die dem Auftragnehmer gemäß § 1 Abs. 4 S. 2 VOB/B
deshalb nur mit seiner Zustimmung übergeben werden können, werden von der
Vergütungspflicht nach § 2 Abs. 6 nicht umfasst. Insoweit handelt es sich um
Anschlussaufträge, für die nach allgemeinen Grundsätzen eine gesonderte
Vergütung zu vereinbaren ist.
107
Kapellmann/Messerschmidt/Kapellmann, Teil B, § 2, Rn 137
BGH BauR 1993, 600; ebenso für die Schätzung der Berechnung der Vergütung nach Kündigung
aus wichtigen Grund: BGH BauR 2003, 880
109 Ingenstau/Korbion/Keldungs, Teil B, § 2 Nr. 6 Rn 23, 25
110 Vygen, Bauvertragsrecht, Rn 816
108
49
3 Die Regelungen der VOB/B im Einzelnen
3.1 Mengenabweichungen gemäß § 2 Nr. 3 VOB/B
3.1.1 Der Einheitspreisvertrag
§ 2 Abs. 3 VOB/B befasst sich mit dem vertraglichen Einheitspreis, gilt deshalb
auch nur für den Einheitspreisvertrag.111 Ausgangspunkt für die Bewertung von
Mengenänderungen ist § 2 Abs. 2 VOB/B, der für den Einheitspreisvertrag die
Vergütung definiert.
Vordersatz x Einheitspreis (EP) = Vergütung
Bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit Abrechnungen auf der Grundlage von
Einheitspreisverträgen kann der berechtigte Einheitspreis (EP) in aller Regel durch
den Anwalt/das Gericht ermittelt werden, da dieser Einheitspreis vereinbart wird. In
der Praxis werden Leistungsverzeichnisse von dem Auftraggeber versandt, in denen
die Auftragnehmer bei Abgabe ihrer Angebote die Einheitspreise (zumeist rechts)
eintragen. Der so genannte Vordersatz bezeichnet die Menge oder Masse112. Vor
Beginn eines Bauvorhabens ist die Menge der auszuführenden Leistung kaum exakt
zu bestimmen, so dass in Ausschreibungen und entsprechenden Angeboten
vorläufige Annahmen enthalten sind.
Diese Annahmen sind für die Berechnung der Vergütung nicht maßgeblich. Der
Auftragnehmer kann also nicht einfach die Mengen seiner Abrechnung zugrunde
legen, die beim Einheitspreis Gegenstand der Ausschreibung/des Angebotes waren,
weil sich nach § 2 Abs. 2 VOB/B die Vergütung (auch) nach den tatsächlich
ausgeführten Leistungen berechnet. Der Umfang der tatsächlich ausgeführten
Leistung kann in aller Regel von dem Anwalt/dem Gericht nicht ermittelt werden. Es
handelt sich dabei um eine Frage, die durch Sachverständigengutachten (§ 402 ff.
ZPO) zu klären ist.
Da sich die Vergütung so berechnet, muss der Auftragnehmer die Kosten, die nicht
gesondert vergütet werden, in den Einheitspreis einkalkulieren, seine allgemeinen
Kosten also auf den Einheitspreis umlegen. Diese sind z.B. die Kosten der
Baustelleneinrichtung, der Vorhaltung von Gerät, Kosten der Bevorratung etc. Es
liegt auf der Hand, dass dann, wenn sich die Mengen ändern, dies Auswirkungen auf
die Vergütung haben muss. Muss beispielsweise der Auftragnehmer bei einem
Auftrag 1.000 € allgemeine Kosten einkalkulieren und verteilt er diese Kosten auf
111
112
Kapellmann/Schiffers, Band I Rn 502; Ingenstau/Korbion/Keldungs, VOB/B § 2 Abs. 3 Rn 6.
Der Begriff "Masse" wird in der Praxis häufig verwandt. In der VOB/B ist von "Menge" die Rede.
50
eine Menge von 100 m², entfallen auf jeden m² 10 €. Kommen dann nur 50 m² zur
Ausführung, erhält er - anteilig - lediglich 500 € dieser Kosten zurück, so dass sich
die Vergütung entsprechend (deutlich) mindert. Den Ausgleich soll § 2 Abs. 3 VOB/B
schaffen.
3.1.1.1 Grundsatz, § 2 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B
Weicht die ausgeführte Menge der unter einem Einheitspreis erfassten Leistung oder
Teilleistung um nicht mehr als 10 % von dem im Vertrag vorgesehenen Umfang ab,
so "gilt" der vertragliche Einheitspreis. Das bedeutet, dass der vertragliche
Einheitspreis bei Abweichungen von +/- 10 % (einschließlich!) unverändert bleibt.
Weder Auftraggeber noch Auftragnehmer können eine Preisanpassung verlangen.
Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass es sich um regelmäßig geringfügige
Schwankungen handelt, die sich gegebenenfalls in anderen Bereichen ausgleichen
und jedenfalls beiden Vertragspartnern zuzumuten sind. Darin liegen für
Auftragnehmer und Auftraggeber Chancen und Risiken, so dass es gerechtfertigt ist,
die damit einhergehenden Vor-/Nachteile dem einen oder anderen zu belassen113.
Zu beachten ist, dass diese Abweichungen nur dazu führen, dass der vertragliche
Einheitspreis unverändert bleibt, sich also nichts daran ändert, dass sich die
Vergütung auch nach den tatsächlich ausgeführten Leistungen berechnet. Wenn also
der Vordersatz überschritten wird, erhält der Auftragnehmer in Höhe der
Überschreitung auch die Vergütung auf der Grundlage des vertraglichen
Einheitspreises.
3.1.1.2 Mengenüberschreitung, § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B
Für die über 10 % hinausgehende Überschreitung des Mengenansatzes ist zu
verlangen, ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu
vereinbaren.
Entgegen dem Wortlaut gilt § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B nicht für jede Überschreitung des
Mengenansatzes von über 10 %. Ungeschriebene Voraussetzung ist, dass die
Überschreitung darauf beruht, dass der Vordersatz falsch war. Ursache dafür können
nur eine falsche Berechnung oder andere Verhältnisse als angenommen sein. Beruht
die Abweichung auf einer Anordnung des Auftraggebers, liegt ein Fall des § 2 Abs.
3 Nr. 2 VOB/B nicht vor. Dann gilt § 2 Abs. 5 VOB/B114.
113
BGH BauR 1987, 217
OLG Düsseldorf BauR 1991, 219; Kapellmann/Messerschmidt, VOB/B § 2 Rn 144;
Heiermann/Riedl, VOB/B 2 Rn 77.
114
51
Meistens beruhen Mengenüberschreitungen auf ungenauen Angaben im
Leistungsverzeichnis/Angebot. So werden beispielsweise Aushubarbeiten in der
Regel mit grob geschätzten Mengen ausgeschrieben und beauftragt. Es stellt sich
bei Ausführung der Arbeiten dann heraus, dass diese Ansätze unzureichend sind.
Dies ist ein typischer Fall der Mengenüberschreitung gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B.
Voraussetzung ist selbstverständlich, dass überhaupt ein Vordersatz genannt wurde,
wobei die in der Praxis häufig anzutreffenden "Ca.-Angaben" ausreichend sind. Ist
eine Menge von Anfang an ersichtlich unbestimmt (der Höhe nach) bezeichnet und
beauftragt, ändert dies nichts daran, dass diese unbestimmte Menge für die
Bewertung nach § 2 Nr. 3 VOB/B zugrunde zu legen ist115.
Ein neuer Preis ist auf Verlangen zu vereinbaren. Die - missglückte - Formulierung
bedeutet nicht, dass im Streitfalle dieses Verlangen zunächst (gerichtlich)
durchgesetzt werden muss, der Empfänger des Verlangens also auf Abgabe einer
entsprechenden Erklärung in Anspruch genommen werden muss. Notfalls kann der
neue Preis durch das Gericht gemäß den §§ 315 ff. BGB festgesetzt werden 116.
Das Verlangen muss allerdings auch gestellt werden. Andernfalls verbleibt es auch
bei den Mehrmengen bei dem vertraglichen Einheitspreis. Das Verlangen kann
sowohl vom Auftraggeber als auch vom Auftragnehmer gestellt werden, wobei
derjenige das Verlangen stellen wird, der sich von der Überschreitung einen
(Vergütungs-)Vorteil verspricht.
Zu beachten ist, dass das Verlangen eines neuen Preises nur die Mehrmenge
betrifft, in dem Fall der Mengenüberschreitung also zwei Einheitspreise für die
Vergütung maßgeblich sind. Für die 100 % ausgeführte Menge verbleibt es bei dem
vertraglichen Einheitspreis. Dies gilt auch für die "ersten" 10 % der Mengenmehrung.
Für 110 % Menge gilt also der vertragliche Einheitspreis, für die darüber
hinausgehende Menge der neu zu vereinbarende Preis.
Wenn sich der Auftragnehmer von der Mengenerhöhung eine höhere Vergütung
verspricht, wird es für ihn leicht sein, unter Berücksichtigung der Mehr- oder
Minderkosten das entsprechende Verlangen beziffert auszubringen. Für den
Auftraggeber gilt dies nur dann, wenn er diese Grundlagen kennt, also die
Urkalkulation der jeweiligen Position. Wenn der Auftragnehmer sich weigert, diese
Grundlagen offen zu legen, ist der Auftraggeber nicht in der Lage, die aus seiner
Sicht bestehende Preisreduzierung schlüssig darzulegen. In diesen Fällen dürfte es
richtig sein, dem Auftraggeber hinsichtlich der Vergütung der über 110 % liegenden
115
116
BGH BauR 1991, 210; Kapellmann/Schiffers, Band I, Rn 508.
OLG München BauR 1993, 726; OLG Celle BauR 1982, 381
52
Menge zumindest ein Zurückbehaltungsrecht zuzugestehen, wobei auch daran
gedacht werden kann, die Abrechnung insoweit als nicht prüfbar zurückzuweisen,
vgl. § 14 Abs. 1 VOB/B.
Mehr- oder Minderkosten können sein117:
-
unmittelbare Kosten (Lohnkosten, Material).
-
Baustellengemeinkosten (Baukran, Baustellencontainer, Geräte).
-
allgemeine Geschäftskosten (AGK); dies sind Kosten, die in der
Regel unmittelbar mit der Baustelle nichts zu tun haben, also Kosten
des "allgemeinen Betriebs" des Auftragnehmers.
-
Wagnis und Gewinn; dies ist der kalkulatorisch vorgesehene Ansatz
für den Gewinn auf die jeweilige Position.
3.1.1.3 Unterschreitung der Mengenansätze, § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B
Gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 S. 1 VOB/B ist bei einer über 10 % hinausgehenden
Unterschreitung des Mengenansatzes auf Verlangen der Einheitspreis für die
tatsächlich ausgeführte Menge der Leistung oder Teilleistung zu erhöhen, soweit der
Auftragnehmer nicht durch Erhöhung der Mengen bei anderen Ordnungszahlen
(Positionen) oder in anderer Weise einen Ausgleich erhält. Für die grundsätzliche
Anwendung gilt das, was für die Mengenüberschreitung gilt. Die Abweichung muss
ausschließlich auf einer Änderung der vorgefundenen Verhältnisse beruhe. Ordnet
der Auftraggeber eine Mengenminderung an, die sich auch daraus ergeben kann,
dass er Leistungen selber ausführt (§ 2 Abs. 4 VOB/B) ist § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B
nicht einschlägig118.
Berechnungsbasis ist auch hier die vorhandene Mengenangabe, also eine genaue
Mengenangabe bei dem Vordersatz oder auch geschätzte Angaben ("ca.")119.
Anders, als bei § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B gilt die Anpassung des Einheitspreises nicht
nur für die über 10 % hinausgehende Unterschreitung, sondern für die tatsächlich
ausgeführte Menge der Leistung. Ist die 10 %-Grenze also überschritten, wird ein
neuer Einheitspreis für die gesamte Leistung auf Verlangen neu bestimmt120.
117
vgl. Kapellmann/Messerschmidt, VOB/B § 2 Rn 146 ff.
Kapellmann/Schiffers, Band I, Rn 514
119 Kapellmann/Messerschmidt, VOB/B § 2 Rn 151.
120 BGH BauR 1987, 217; Heiermann/Riedl, VOB/B § 2 Rn 89.
118
53
Die Preisanpassung ist auch hier "auf Verlangen" vorzunehmen. Allerdings lässt § 2,
Abs. 3 Nr. 3 S. 1 VOB/B ausschließlich eine Erhöhung des Einheitspreises zu. Eine
Reduzierung kommt also in keinem Fall in Betracht121, so dass die Frage, ob auch
der Auftraggeber das "Verlangen" ausbringen kann, eher theoretischer Natur ist.
Zweck der Regelung ist, dass grundsätzlich bei einer gravierenden
Mengenminderung die Grundlagen der Kalkulation eine auskömmliche Vergütung
nicht mehr sicherstellen, es dem Auftragnehmer deshalb nicht zuzumuten ist, an dem
ursprünglich vereinbarten Einheitspreis festgehalten zu werden. Die Erhöhung des
Einheitspreises erfolgt - kurz gesagt - dadurch, dass die tatsächlichen Kosten
festgestellt und den kalkulierten Kosten gegenüber gestellt werden122. Ziel der
Berechnung ist es, dem Auftragnehmer den vorauskalkulierten Gewinnsatz für die
tatsächlich ausgeführten Mengen zu erhalten123. Danach müssen die in den
weggefallenen Mengen enthaltenen allgemeinen Kosten (Fixkosten)
herausgerechnet werden. Diese Menge ist dann voll auf die tatsächlich ausgeführten
Mengen anteilig einzustellen124.
Die Erhöhung kann der Auftragnehmer nicht verlangen, soweit er durch die
Erhöhung der Mengen bei anderen Ordnungszahlen (Positionen) oder in anderer
Weise einen Ausgleich erhält. Diese Einschränkung trägt wiederum dem Grundsatz
Rechnung, dass der Auftragnehmer bei größeren Mengenminderungen dann nicht
(insoweit) an den vertraglich vereinbarten Einheitspreis festgehalten werden kann,
wenn dies zu ihm unzumutbaren Nachteilen führt. Wie schon dargelegt, betreffen
diese Nachteile in aller Regel die Fixkosten, die über die Erhöhung des
Einheitspreises wieder ausgeglichen werden sollen. Wenn aber durch
Mengenerhöhungen bei anderen Positionen mit entsprechend höheren Anteilen auf
Fixkosten der Auftragnehmer Vorteile erhält, sind die Nachteile/Vorteile gegen zu
rechnen, was ergeben kann, dass im Ergebnis bei dem Auftragnehmer kein nennenswerter - Nachteil verbleibt. Es muss also zunächst ermittelt werden, welche
Kostennachteile der Auftragnehmer aufgrund der Mindermenge erleidet. Dem ist
gegenüberzustellen, welche zusätzlichen Deckungsbeträge der Auftragnehmer bei
Mehrmengen der anderen Positionen erzielt. Der Saldo ergibt dann, ob noch ein
Ausgleich vorgenommen werden muss.
Bei dieser Berechnung kommen Mengenmehrungen auch erst dann in Betracht,
wenn diese über 10 % liegen (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B). Dies leuchtet nicht ganz ein,
121
Kapellmann/Schiffers, Band I, Rn 525 mit dem Nachweis, dass auch bei Mengenminderung
Ersparnisse des Auftragnehmers denkbar sind; Heiermann/Riedl, VOB/B § 2 Rn 90.
122 OLG Schleswig BauR 1996, 265; Ingenstau/Korbion/Keldungs, VOB/B § 2 Nr. 3 Rn 20 ff.
123 Ingenstau/Korbion/Keldungs, VOB/B § 2 Nr. 3 Rn 18f.
124 Beck´scher VOB/Kommentar/Jagenburg VOB/B § 2 Nr. 3 Rn 49; Heiermann/Riedl, VOB/B § 2 Rn
90.
54
weil auch die ersten 10 % Mengenmehrung einen "Ausgleich" für den Auftragnehmer
darstellen können, entspricht aber der Rechtsprechung des BGH125.
Entsprechendes gilt, wenn der Auftragnehmer den Ausgleich in anderer Weise
erhält. Hier kommt es also auf Mengenmehrungen bei anderen Positionen nicht an.
Bei der Frage, ob ein Ausgleich auf "andere Weise" erfolgt, ist immer zu prüfen, ob
aufgrund der "anderen Weise" Umlagenanteile dem Auftragnehmer zufließen
(vergleichbar also zu den Vorteilen aufgrund von Mengenmehrungen bei anderen
Positionen). Dies kann bei der Beauftragung zusätzlicher Leistungen der Fall sein126,
kann sich auch aus Leistungsänderungen (§ 2 Abs. 5 VOB/B) ergeben127. Der
Ausgleich in "anderer Weise" bedingt immer, dass der Ausgleich in Zusammenhang
mit ein und demselben Vertragsverhältnis steht. Als Ausgleich können andere
Vertragsverhältnisse also nicht herangezogen werden128.
Streitig ist die Anwendung von § 2 Abs. 3 Nr. 3 S. 1 VOB/B, wenn eine Position
vollständig entfällt, die tatsächlich ausgeführte Menge also "Null" beträgt. Nach
richtiger Auffassung 129 verbleibt es bei der Anwendung von § 2 Abs. 3 Nr. 3 S. 1
VOB/B, der für Unterschreitungen des Mengenansatzes eine spezielle Regelung
darstellt. Nach dem Wortlaut kann die "tatsächlich ausgeführte Menge" auch "Null"
sein. In diesen Fällen ist durch Berechnung der Fixkosten die Erhöhung der
Gesamtposition zu berechnen und mit dem kalkulierten Gewinnanteil zu
beaufschlagen130.
3.1.2 Pauschalvertrag, § 2 Abs. 7 VOB/B
3.1.2.1 Überblick
Wenn als Vergütung der Leistung eine Pauschalsumme vereinbart ist, so bleibt die
Vergütung unverändert. Dies gilt nicht, wenn die ausgeführte Leistung von der
vertraglich vorgesehenen Leistung so erheblich abweicht, dass ein Festhalten an der
pauschalen Summe nicht zumutbar ist (§ 242 BGB). Dann ist auf Verlangen ein
Ausgleich unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu gewähren, § 2
Abs. 7 Nr. 1 VOB/B. Pauschalvereinbarungen sind bedeutsam. Auftraggeber sehen
darin den - vermeintlichen - Vorteil einer "Preissicherheit", Auftragnehmer höhere
Chancen für eine höhere Vergütung. Die Erwartungen erfüllen sich selten.
Auftraggeber sehen sich Nachforderungen ausgesetzt, vertreten bei
125
BGH BauR 1987, 217; Kapellmann/Schiffers, Band I, Rn 546.
Ingenstau/Korbion/Keldungs, VOB/B § 2 Abs. 3 Rn 37.
127 Dazu eingehend: Kapellmann/Schiffers, Band I, Rn 548.
128 Beck´scher VOB-Kommentar/Jagenburg, VOB/B § 2 Nr. 3 Rn 48; Ingenstau/Korbion/Keldungs,
VOB/B § 2 Abs. 3 Rn 38.
129 Vgl. Kapellmann/Schiffers, Band I, Rn 540.
130 Kapellmann/Schiffers, Band I, Rn 540; a.A. Heiermann/Riedl, VOB/B § 2 Rn 92.
126
55
"Minderleistungen" die Auffassung, die Pauschalsumme sei zu reduzieren.
Auftragnehmer bereuen - aus unterschiedlichen Gründen - die Festlegung auf eine
Pauschale. Dabei ist der Grundsatz klar: "Ist als Vergütung der Leistung einer
Pauschalsumme vereinbart, so bleibt die Vergütung unverändert."
Die Problematik liegt zum einen darin, dass Unklarheit darüber besteht, was eine
"Pauschalsumme" ist und in welchen Fällen von dem Grundsatz der
Unveränderlichkeit der Pauschalsumme abgewichen werden kann.
3.1.2.2 Grundsatz: Keine Änderung der Vergütung
Die Problematik liegt auf der Hand: Immer dann, wenn die Leistungen nicht
erschöpfend beschrieben sind, wird eine Partei bei Beendigung der Leistung
feststellen, dass sie benachteiligt ist. Entweder hat der Auftragnehmer festgestellt,
dass er zur Erfüllung des Vertrages mehr leisten musste, als er kalkuliert hatte, oder
der Auftraggeber meint, dass der Leistungsumfang doch deutlich geringer
ausgefallen ist und deshalb eine Reduzierung der Pauschale angemessen sei.
Ausgehend von dem Grundsatz, dass die Vergütung unverändert bleibt (§ 2 Abs. 7
Nr. 1 VOB/B) ist immer Zurückhaltung geboten. Nur dann, wenn einer Partei das
Festhalten an der Pauschalsumme nicht zumutbar ist, und zwar in den Grenzen von
Treu und Glauben (§ 242 BGB), kann ein Anspruch auf Ausgleich unter
Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten bestehen. Ausgangspunkt dieser
Prüfung ist vorrangig, festzustellen, was vertraglich vorgesehene Leistung war. Dies
bedeutet nicht, dass es z.B. auf die Kalkulationsgrundlagen des Auftragnehmers
ankommt.
Häufig sind die Fälle, in denen der Auftragnehmer nach Beauftragung zu einer
Pauschale feststellt, dass die geschuldete Leistung wesentlich umfangreicher ist oder
nur mit Erschwernissen ausgeführt werden kann. Wenn diese Umstände bei
Auftragserteilung bewusst offen gelassen wurden, gehören die notwendigen
Leistungen zur vertraglich vorgesehenen Leistung131. Danach ist die ausgeführte
Leistung zu ermitteln und der vertraglich vorgesehenen Leistung gegenüber zu
stellen. Liegt eine Abweichung vor, ist zu prüfen, ob unter Berücksichtigung dessen
einer Partei das Festhalten an der Pauschalsumme nicht mehr zumutbar ist.
Es wird deshalb zumeist um Massenänderungen gehen, weil andere Leistungen bei
fehlender Beschreibung entweder schon nicht zu vertraglich geschuldeter Leistung
gehören (Detail-Pauschalvertrag) oder aufgrund unvollständiger/lückenhafter
Beschreibung von dem Auftragnehmer geschuldet sind (wie beim Global-
131
BGH BauR 1997, 126 = NJW 1997, 61; BGH BauR 1981, 388 = ZfBR 1981, 171.
56
Pauschalvertrag). Dabei sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.
Vorrangig kommt es darauf an, ob ein Vertragsteil die Ursachen für die falschen
Annahmen gesetzt hat (beispielsweise falsche auftraggeberseitig gestellte Planung;
falsches Leistungsverzeichnis). Starre Grenzen gibt es nicht. Folgende Fallgruppen
sind bislang herausgearbeitet:
Häufig findet sich ein Ansatz von 20 % Mehrkosten. Diese Grenze gilt aber nur dann,
wenn die 20 % Kostenerhöhung die gesamte Vergütung betreffen, also nicht etwa im
Fall einer einzelnen Position132. Ob bei Abweichungen innerhalb einer oder weniger
Positionen bezogen auf die Gesamtabweichung andere Maßstäbe zugrunde zu
legen sind, ist umstritten. Nach einer Auffassung soll eine Abweichung bei einer
Einzelposition jedenfalls dann zu berücksichtigen sein, wenn sich diese Abweichung
in einer Größenordnung von 10 % auf die Gesamtvergütung auswirkt133. Nach der
Rechtsprechung 134 sollen selbst krasse Mengenüberschreitungen bedeutungslos
sein, und zwar auch dann, wenn diese mehr als das zehnfache ausmachen, so lange
eine Toleranzschwelle von ca. 20 % bezogen auf die Gesamtvergütung nicht
überschritten wird. Diese Unterschiede zeigen, dass starre Grenzen nicht gegeben
sind, im Einzelfall alle Umstände abgewogen werden müssen.
3.1.2.3 Ausgleich (Anpassung der Vergütung)
Der Ausgleich ist auf Verlangen unter Berücksichtigung der "Mehr- oder
Minderkosten" zu gewähren. Für die Bemessung des Ausgleichs ist von den
Grundlagen der Preisermittlung auszugehen, § 2 Abs. 7 Nr. 1 S. 1, 2 VOB/B. Diese
Einschränkungen sind in § 313 BGB nicht vorgesehen, weshalb die Auffassung
vertreten wird, die engere Fassung in § 2 Abs. 7 Nr. 1 VOB/B verstoße gegen § 307
BGB und sei deshalb unwirksam135. In Ausnahmefällen kommt dies durchaus in
Betracht, vor allem dann, wenn schon der ursprüngliche Preis für den Auftragnehmer
verlustbringend war und sich dieser Verlust aufgrund der Änderung vervielfacht.
Andererseits ist immer zu bedenken, dass gerade bei der Vereinbarung einer
Pauschale auch der Auftragnehmer bewusst Risiken eingeht. Deshalb ist es nicht
ohne weiteres für den Auftragnehmer unzumutbar, wenn solche Risiken bei einer
Leistungsänderung fortwirken. Dies gilt auch für Fehler seiner Kalkulation136. Letztlich
wird die Anpassung immer nur geschätzt werden können (vgl. § 287 ZPO), wobei
132
OLG Düsseldorf BauR 2001, 801; OLG Stuttgart IBR 2000, 593; OLG München NJW-RR 1987,
598; Werner/Pastor, Rn 1203; nach OLG Schleswig BauR 2000, 1201 soll eine Mengendifferenz von
10 % ausreichend sein.
133 Kapellmann/Messerschmidt, VOB/B § 2 Rn 279.
134 OLG Stuttgart IBR 2000, 593.
135 Kapellmann/Messerschmidt, VOB/B § 2 Rn 288.
136 Beck´scher VOB-Kommentar/Jagenburg, VOB/B § 2 Rn 77; Heiermann/Riedl, VOB/B § 2 Rn 153
a.
57
von den Mehr- oder Minderkosten auszugehen ist und die Grundlagen der
Preisermittlung grundsätzlich von Bedeutung sind.
Andere Abweichungen, so die Selbstübernahme des Auftraggebers (§ 2 Abs. 4
VOB/B) sowie die Leistungsänderungen auf Anordnung des Auftraggebers (§ 2 Abs.
5, 6 VOB/B) bleiben unberührt. Das bedeutet, dass auch bei Vereinbarung einer
Pauschalsumme in diesen Fällen sich die Ansprüche des Auftragnehmers nach den
§ 2 Abs. 4, 5 und 6 VOB/B richten.
3.2 Eigenvornahme durch den Auftraggeber, § 2 Abs. 4 VOB/B
Werden im Vertrag ausbedungene Leistungen des Auftragnehmers vom
Auftraggeber selbst übernommen (z.B. Lieferung von Bau, Bauhilfs- und
Betriebsstoffen), so gilt, wenn nicht anderes vereinbart wird, § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B
entsprechend, § 2 Abs. 4 VOB/B. Daraus ergibt sich zunächst die Befugnis des
Auftraggebers, vereinbarte Leistungen ohne weiteres selbst zu übernehmen137. Die
Regelung ist aufgrund des Verweises auf § 8 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B (Kündigung)
überflüssig. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B kann der Auftraggeber bis zur Vollendung
der Leistung den Vertrag jederzeit (insgesamt) kündigen. Dies gilt erst recht für
Teilleistungen, wobei sich für beide Kündigungsmöglichkeiten die Ansprüche des
Auftragnehmers aus § 8 VOB/B ergeben138. Die Diskussion, ob es sich bei der
Wahrnehmung der Befugnis zur Selbstübernahme um eine Kündigung oder
Teilkündigung des Vertrages handelt139, ist damit nur theoretisch. Dies gilt auch für
die Frage, ob der Auftraggeber die Leistungen selbst oder durch Dritte erbringen
kann/muss140. Ebenso wenig ist im Ergebnis von Bedeutung, ob es einer vorherigen
ausdrücklichen Ankündigung bedarf141. Die Rechtsfolgen sind nach allen Ansichten
gleich: Der Auftragnehmer behält seinen Vergütungsanspruch und muss sich nur die
ersparten Aufwendungen abziehen lassen. Es ist einerlei, ob dieser Anspruch aus §
8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B oder § 326 Abs. 2 BGB resultiert142.
3.3 Mehrleistungen / Veränderung des Bauzieles
3.3.1 Überblick
137
Kapellmann/Messerschmidt, VOB/B § 2 Rn 170; Heiermann/Riedl, VOB/B § 2 Rn 95.
Vgl. Kapellmann/Messerschmidt, VOB/B § 2 Rd 172 mit dem Vorschlag, bei der nächsten
Überarbeitung § 2 Nr. 4 VOB/B ersatzlos zu streichen.
139 Leinemann/Schoofs, VOB/B § 2 Rn 81; Nicklisch/Weick, VOB/B § 2 Rn 54; Heiermann/Riedl,
VOB/B § 2 Rn 95.
140 Heiermann/Riedl, VOB/B § 2 Rn 96 c.
141 Ingenstau/Korbion/Keldungs, VOB/B § 2 Rn 7.
142 vgl. Heiermann/Riedl, VOB/B § 2 Rn 96 a.
138
58
Es liegt auf der Hand, dass der Auftragnehmer „angeordnete“ Leistungsänderungen
nicht ohne Ausgleich hinnehmen muss. Einen allgemeinen Rechtssatz zur Lösung
dieser Frage gibt es nicht. Im Einzelfall ist genau zu prüfen, welcher Tatbestand
tatsächlich eingreift, zumal die Voraussetzungen dafür unterschiedlich sind. Die
folgende Übersicht verdeutlicht die wichtigsten "Anordnungen" des Auftraggebers.
Anordnungen des Auftraggebers
Änderung des Bauentwurfs,
§§ 1 Nr. 3, 2 Nr. 5 Abs. 1
"andere" Anordnungen
§ 2 Nr. 5 Abs. 2
Forderung nicht
vorgesehener Leistung
§§ 1 Nr. 4, 2 Nr. 6
Änderung der Preisgrundlage
Ankündung durch AN
Anspruch auf Vereinbarung
Anspruch auf besondere
Vergütung
Daraus ergeben sich Unterschiede vor allem auch für die Vorgehensweise des
Auftragnehmers. Der Auftraggeber kann im Rahmen seiner Befugnisse aus den § 1
Abs. 3, Abs. 4 VOB/B in weiten Grenzen Änderungen vornehmen und auch
Erweiterungen ("nicht vereinbarte Leistungen") fordern, soweit der Betrieb des
Auftragnehmers auf die Erbringung auch dieser Leistungen eingerichtet ist. Der
Auftragnehmer muss dann tätig werden. Handelt es sich um zusätzliche
Leistungen, hat der Auftragnehmer grundsätzlich nur dann einen Anspruch auf
zusätzliche Vergütung, wenn er diesen Anspruch zuvor, also vor der Ausführung
auch ankündigt. Wird demgegenüber nur die Preisgrundlage verändert, also eine
vertragliche Leistung geändert, bestehen keine Ankündigungspflichten des
Auftragnehmers, es "soll" dann lediglich eine Vereinbarung vor der Ausführung
getroffen werden.
3.3.2 Anordnung/Forderung durch den Auftraggeber
§ 2 Abs. 5 S. 1 VOB/B setzt eine Bauentwurfsänderung oder eine "andere
Anordnung" des Auftraggebers, § 2 Abs. 6 Nr. 1 VOB/B eine Forderung voraus. In
59
all diesen Fällen ist also eine rechtsgeschäftliche „Weisung“ des Auftraggebers
erforderlich, die der Auftragnehmer als verpflichtende Vertragserklärungen auffassen
muss143.
Nicht erforderlich ist, dass es sich allein um eine einseitige Erklärung des
Auftraggebers handelt. Ausreichend kann auch sein, wenn die Weisung die Folge
gemeinsamer Beratungen ist, sofern sich der Auftraggeber deren Ergebnis für den
Auftragnehmer erkennbar zu Eigen macht144. Aus dem Gesamtverhalten des
Auftraggebers muss für den Auftragnehmer nur deutlich werden, dass die
vertragliche Leistungspflicht sich verändern soll145. Darauf, ob der Auftraggeber eine
Änderung oder Zusatzleistung verlangen will, kommt es nicht an. Selbst wenn er bei
der Erklärung gegenteiliges zum Ausdruck bringt, aber deutlich wird, dass die
Änderung/Leistung verlangt wird, treten die Rechtsfolgen der §§ 2 Abs. 5, 6 VOB/B
ein146.
Liegen diese Voraussetzungen vor, stellt sich aber später heraus, dass durch die
Erklärung des Auftraggebers tatsächlich der Vertragsinhalt nicht berührt wurde, die
andere Leistung also schon vom ursprünglichen Vertrag umfasst war, entsteht keine
Vergütungsverpflichtung147. Etwas anderes gilt, wenn Unklarheit darüber besteht, ob
eine Abweichung vorliegt. Wenn die Parteien sich dann auf eine Vergütung einigen,
besteht die Vergütungsverpflichtung, weil durch diese Einigung die Unstimmigkeiten
einvernehmlich ausgeräumt werden148. Nach einer Auffassung149 soll dies auch dann
gelten, wenn bei tatsächlicher Beurteilung eine Leistungsänderung nicht vorliegt.
Eine Form für die Erklärung ist nicht vorgeschrieben. Die Änderung/Anordnung kann
ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Sonderfall ist die stillschweigende
Anordnung. Findet der Auftragnehmer beispielsweise vor Ort eine andere Situation
vor, als vertraglich vereinbart und beginnt mit anderen/zusätzlichen Leistungen, ist
eine Anordnung/Forderung des Auftraggebers (nur) dann anzunehmen, wenn auch
der Auftraggeber diese Umstände kennt und nicht eingreift, obwohl er die tatsächlich
geänderte oder Zusatzleistung nicht wünscht 150.
143
BGH BauR 1992, 759; Heiermann/Riedl, VOB/B § 2 Rn 110 b.
Kapellmann/Messerschmidt, VOB/B § 2 Rn 190.
145 Kapellmann/Schiffers, Band I, Rn 845
146 Kapellmann/Schiffers, Band I, Rn 845.
147 OLG Dresden BauR 1999, 1454.
148 BGH BauR 1995, 237; Kapellmann/Messerschmidt, VOB/B § 2 Rn 191.
149 Kapellmann/Schiffers, Band II, Rn 1089 unter Hinweis auf BGH BauR 1994 237, 238.
150 Beck´scher VOB/Kommentar/Jagenburg, VOB/B § 2 Nr. 5 Rn 62; Kapellmann/Schiffers, Band I Rn
872.
144
60
Die Erklärung muss durch den Auftraggeber abgegeben werden. § 2 Abs. 5 S. 1
VOB/B sieht dies ausdrücklich vor. Entsprechendes gilt für § 2 Abs. 6 Nr. 1 VOB/B151.
Der Architekt ist in aller Regel nicht berechtigt, Anordnungen zu treffen, die für den
Auftraggeber Vergütungsfolgen auslösen. Etwas anderes gilt für geringfügige
Zusatzarbeiten und Notmaßnahmen, solange vergleichbar geringfügige Kosten
entstehen152.
Unrichtig ist die Auffassung, die originäre Vollmacht berechtige den Architekten
bereits uneingeschränkt dazu, Zusatzaufträge in kleinerem Umfang zu erteilen, wobei
die Grenze bei 5 % der Auftragssumme je Auftrag und bei 10 % für alle
Zusatzaufträge liegen soll153. Eine rechtsgeschäftliche Vollmacht wird dem
Architekten allgemein nicht erteilt. Es kann deshalb nur in Ausnahmefällen und bei
geringfügigen Leistungen auf eine Vollmacht des Architekten abgestellt werden154.
3.3.3 Die Ankündigung, § 2 Abs. 6 Nr. 1 S. 2 VOB/B
Bei der Forderung von nicht im Vertrag vorgesehenen Leistungen muss der
Auftragnehmer den Anspruch dem Auftraggeber ankündigen, bevor er mit der
Ausführung der Leistung beginnt, § 2 Abs. 6 Nr. 1 S. 2 VOB/B.
3.3.3.1 Ankündigung als Anspruchsvoraussetzung?
Ob die vorherige Ankündigung Anspruchsvoraussetzung ist, ist trotz des klaren
Wortlauts streitig. Nach einer Auffassung soll es sich nur um eine vertragliche
Nebenpflicht handeln. Zur Begründung wird darauf abgestellt, dass schon § 2 Abs. 6
Nr. 1 VOB/B vorsieht, dass der Auftragnehmer einen Anspruch hat. Wenn er den
Anspruch aber schon hat, kann die Ankündigungspflicht keine Voraussetzung für das
Entstehen des Anspruchs ein. Bei schuldhafter Verletzung der Ankündigungspflicht
bestehe deshalb nur ein Schadensersatzanspruch des Auftraggebers aus § 280
BGB155.
Die Rechtsprechung und Gegenauffassung in der Literatur hat schon bei den
Vorfassungen der VOB/B die Auffassung vertreten, dass sich aus dem Wortlaut
hinreichend klar die Ankündigung als Anspruchsvoraussetzung ergäbe156. Da in
Kenntnis des Meinungsstreits der Wortlaut bei der Neufassung der VOB/B nicht
151
Ingenstau/Korbion/Keldungs, VOB/B § 2 Abs. 6 Rn 5.
BGH BauR 1978, 314 ("Zusatzarbeiten für 272,12 DM"); OLG Düsseldorf BauR 2000, 891; OLG
Stuttgart BauR 1994, 789.
153 OLG Hamburg IBR 2001, 491 mit Anmerkung von Keldungs.
154 Dazu eingehend: Ingenstau/Korbion/Keldungs, VOB/B § 2 Abs. 6 Rn 6.
155 OLG Celle BauR 1982, 381; Beck´scher VOB/Kommentar/Jagenburg, VOB/B § 2 Nr. 6 Rn 67 f.;
Nicklisch/Weick, VOB/B § 2 Rn 71.
156 BGH BauR 1996, 542; BauR 1991, 210; Kapellmann/Messerschmidt, VOB/B § 2 Rn 198;
Heiermann/Riedl, VOB/B § 2 Rn 130.
152
61
geändert wurde, ist zukünftig davon auszugehen, dass der Meinungsstreit sich
erledigt hat. Die vorherige Ankündigung ist also Anspruchsvoraussetzung157.
3.3.3.2 Form und Zeitpunkt der Ankündigung
Eine Form ist für die Ankündigung nicht vorgesehen, so dass diese auch mündlich
erfolgen kann. Für den Auftraggeber muss zweifelsfrei erkennbar sein, dass die
Zusatzleistung nicht mit der bisher vereinbarten Vergütung abgegolten ist, wobei es
ausreicht, wenn der Auftragnehmer zum Ausdruck bringt, dass die Leistung nicht im
Angebot/Vertrag enthalten ist158.
Die Ankündigung muss vor Beginn der Leistung ausgebracht werden. Dies bedeutet
nicht, dass die Ankündigung zwangsläufig erst nach der Forderung der nicht
vorgesehenen Leistung erfolgen kann. Legt der Auftragnehmer beispielsweise über
eine solche Leistung dem Auftraggeber ein Angebot vor und fordert dieser danach
die Leistung ab, bedarf es einer weiteren Ankündigung des Vergütungsanspruchs
nicht159, wenn nicht ohnehin aufgrund der Abforderung der vorher angebotenen
Leistung bereits eine Vereinbarung zu sehen ist.
3.3.3.3 Ausnahmen von dem Ankündigungserfordernis
Der BGH hat in einer Reihe von Ausnahmefällen die fehlende Ankündigung als im
Ergebnis unschädlich behandelt. Dabei hat er auf die Frage abgestellt, ob und
gegebenenfalls inwieweit der Auftraggeber schutzbedürftig ist. Diese Frage ist dann
zu verneinen, wenn der Auftraggeber von der Entgeltlichkeit der Leistung zumindest
ausgehen musste. Entbehrlich ist die Ankündigung auch dann, wenn dem
Auftragnehmer nichts übrig blieb, als die Leistung sofort auszuführen. Wenn der
Auftragnehmer die Ankündigung ohne Verschulden versäumt hat, soll dies dem
Anspruch ebenfalls nicht entgegenstehen160.
3.3.4 Folgen für die Vergütung
3.3.4.1 Vergütungsvereinbarung
Bei Änderungen des Bauentwurfs oder anderen Anordnungen des Auftraggebers, die
die Grundlagen des Preises für eine vom Vertrag vorgesehene Leistung ändern, ist
ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu
vereinbaren. Die Vereinbarung soll vor der Ausführung getroffen werden. Aus
157
Kritisch zu dieser Sanktion: Kapellmann/Messerschmidt, VOB/B § 2 Rn 198 f.
OLG Düsseldorf BauR 1991, 797; Heiermann/Riedl, VOB/B § 2 Rn 130 a.
159 Kapellmann/Schiffers, Band I, Rn 910.
160 BGH BauR 1996, 542; BauR 1991, 210; Heiermann/Riedl, VOB/B § 2 Rn 131.
158
62
dieser Formulierung ist klar, dass die Vereinbarung jederzeit, also auch nach
Beendigung der Leistung getroffen werden kann.
Bei der Forderung von im Vertrag nicht vorgesehenen Leistungen ist die besondere
Vergütung möglichst vor Beginn der Ausführung zu vereinbaren. Auch daraus ergibt
sich die Berechtigung, die Vereinbarung erst später zu treffen.
3.3.4.2
Leistungsverweigerungsrecht des Auftragnehmers bei Weigerung
des Auftraggebers?
Es stellt sich die Frage, ob dem Auftragnehmer ein Leistungsverweigerungsrecht
zusteht, wenn die Vereinbarung nicht vor Beginn der Ausführung zustande kommt,
was gleichermaßen für § 2 Abs. 5 und § 2 Abs. 6 VOB/B gilt. Der Auftraggeber ist
sicher verpflichtet, an dem Zustandekommen der Vereinbarung mitzuwirken.
Aufgrund der Formulierungen "Soll-" bzw. "ist möglichst" vor Beginn der Ausführung
ergibt sich, dass keine Verpflichtung des Auftraggebers bestehet, in jedem Falle dazu
beizutragen, dass in diesem Stadium, also vor Beginn der Ausführung die
Vereinbarung auch zustande kommen. Häufig werden Verlangen nach den § 2 Abs.
5 und 6 VOB/B Anlass für Streitfälle sei.
Hier gilt im Grundsatz, dass Streitfälle den Auftragnehmer nicht berechtigen, die
Arbeiten einzustellen, § 18 Abs. 4 VOB/B. Es ist deshalb nicht richtig, anzunehmen,
der Auftragnehmer stehe grundsätzlich ein Leistungsverweigerungsrecht zu, wenn
der Auftraggeber sich weigert, vor Beginn der Ausführung der Arbeiten eine
Vereinbarung zu treffen161. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Auftraggeber das
Vorliegen einer Leistungsänderung überhaupt bestreitet und eine Preisänderung
grundsätzlich ablehnt. Dann ist es dem Auftragnehmer nicht zuzumuten (§ 242 BGB)
die Werkleistung in Kenntnis der Tatsache, dass er seinen Vergütungsanspruch nur
mit gerichtlicher Hilfe wird durchsetzen können, als Vorleistung zu erbringen 162.
161
So aber Kapellmann/Schiffers, Band I, Rn 973 ff.
OLG Düsseldorf NZBau 2002, 276, vgl. BGH BauR 2000, 409; Heiermann/Riedl, VOB/B § 2 Rn
139 b; Werner/Pastor, Rn 1151.
162
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