Vorlesung: Allgemeine Psychologie II Grundlegende Begriffe & Theorien Skript zur Vorlesung SS 98 Prof. Dr. Gerd Bohner Universität Mannheim (in Vertretung für Prof. Dr. Fritz Strack) (basierend auf den Folien von Prof. Bohner) überarbeitetes Layout & “lerngerechtere Aufbereitung” Arvid Roloff Sitzung 1: Theorien der Motivationsforschung Überblick 1. Vorbemerkung 2. Motivation: Begriffe und Definitionen 2.1 2.2 2.3 3. Gegenstandsbereich der Motivationspsychologie und eine Definition Problemgebiete der Motivationspsychologie: Person, Situation und das "Wie" des Handelns Phasen des Motivationsgeschehens: Motivation und Volition Theorien der Motivation 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 Hedonismus Biologische Instinkttheorien Behavioristische Lerntheorien Kognitive Theorien Psychoanalyse Humanistische Ansätze 2 1. Vorbemerkung - Thema der Vorlesung: Motivation und Emotion - Psychologie: Wissenschaft von Denken, Fühlen und Verhalten Emotionspsychologie? -> Fühlen (Emotion, Stimmung, "affect") Motivationspsychologie? -> Verhalten Fragen: Kann man die Phänomene der Psychologie isoliert behandeln? Fühlen ohne Denken? Verhalten ohne Fühlen oder Denken? Bemerkung: angelsächsische Psychologie: - Fragen von Emotion und Motivation traditionell im Kontext der Sozialpsychologie - Gegenstand der Sozial-Psychologie: Denken, Fühlen und Verhalten im sozialen Kontext sinnvolle Integration Bsp: ... Vorlesung: überwiegend sozialpsychologische Perspektiven und Themen Allgemeine Bemerkungen zur 1. Sitzung: - Beginn des Themenblocks Motivation - jedoch: breitere Perspektive auf den gesamten Bereich der Motivationspsychologie - also: Aufgreifen von Einflüssen der Persönlichkeits-, Lern- und Klinischen Psychologie Literatur: Einführungskapitel jeweils von: GEEN (1995) HECKHAUSEN (1989) 3 2. Motivation: Begriffe und Definitionen 2.1 Gegenstandsbereich der Motivationspsychologie u. eine Definition - Menschliches Leben: fortwährender Strom von Aktivitäten - “Aktivität" (weit gefaßt): Handlungen, Mitteilungen auch geistige Aktivitäten: Gedanken, Gefühle, Vorstellungen etc. Fragen der Psychologie (u. Nachbardisziplinen): Wie lassen sich Teile dieses Aktivitätsstroms sinnvoll abgrenzen und beschreiben? Wie sind sie organisiert? Welche Prozesse spielen bei dieser Organisation eine Rolle? Motivationspsychologie: Betrachtung solcher Aktivitäten, die das Verfolgen eines angestrebten Zieles erkennen lassen und unter diesem Gesichtspunkt eine Einheit bilden Fragen nach dem "Wozu" des Verhaltens (GEEN: the why of behavior). Bsp: ... GEEN: Unterscheidung dreier grundlegender Aspekte der Motivation: Initiierung Intensität und Persistenz Definition: “Motivation” Motivation ist in der Psychologie eine Sammelbezeichnung für vielerlei Prozesse und Effekte, deren gemeinsamer Kern darin besteht, daß ein Lebewesen sein Verhalten um der erwarteten Folgen willen auswählt und hinsichtlich Richtung und Energieaufwand steuert. HECKHAUSEN (1989, S.10) 2.2 Problemgebiete der Motivationspsychologie: Person, Situation und das "Wie" des Handelns Fragen nach dem "Wozu" des Verhaltens: drängen sich dem intuitiven Urteil i.d.R. nicht auf mind. drei Anlässe (für den naiven Beobachter), solche Fragen zu stellen HECKHAUSEN identifiziert diese Anlässe mit Problemgebieten der Motivationspsychologie: 4 Drei Anlässe nach dem “Wozu” des Verhaltens zu fragen 1. Anlaß: Abweichendes Verhalten (eine Person handelt anders als die meisten anderen) - Erklärung der Motivationspsychologie (bei stabilem Auftreten über d. Zeit): interindividuell variierende Wertungsdispositionen oder Motive Motiv: bezieht sich auf eine Inhaltsklasse von sehr allgemeinen Handlungszielen z.B. Leistung, Macht, Hilfeleistung, Aggression, Gesellung, ... starke Unterschiede bei konkreten Zielen, die in eine solche Inhaltsklasse fallen ( historische und kulturelle Einflüsse) Inhaltsbereiche der Motivationsforschung: - analog hierzu - drei davon in eigenen Sitzungen behandelt: Prosoziales Verhalten, Aggression, Leistung Fragen zum Motivbegriff: (Beispiele) Wie viele Motive gibt es? (Extrempositionen? Wie viele sind sinnvoll?) Wie lassen sich Motive messen? Woher kommen Motive? (biol. determiniert? gelernt? ontogenetische Entwicklung?) Lassen Motive sich modifizieren? Wie? Aspekte derTheoriebildung: Wichtig!:Vermeidung von Zirkularität Wenig hilfreich, Motive aus dem Verhalten zu erschließen und dann eben dieses Verhalten mit Hilfe der erschlossenen Motive zu "erklären" "Motiv" hat nur dann den Status eines hypothetischen Konstrukts, wenn sich vom zu erklärenden Verhalten unabhängige Indikatoren des Motivs identifizieren und erfassen lassen Motive lassen sich abgrenzen von Bedürfnissen: Bedürfnisse: - physiologisch bedingt - für Aufrechterhaltung der Funktionen des Organismus entscheidend - Stärke wechselt zyklisch und wächst mit der Dauer ihrer Nichtbefriedigung (Bsp.:Hunger, Schlaf, Ausscheidung) Motive: - beziehen sich auf Wertungsdispositionen "höherer" Art - sind nicht angeboren und entwickeln sich im sozialen Kontext Aber: Sowohl Motive als auch Bedürfnisse bedingen zielgerichtetes Handeln Bemerkung: englischsprachige Literatur: weniger klare Abgrenzung zwischen "motive" und "need" 5 2. Anlaß: Macht der Situation (Situation scheint Handeln zu lenken) Bsp.: "Gelegenheit macht Diebe." "Ausnahmesituationen" (Prototypen: Klassische Tragödie, moderner Kriminalroman) Milgram-Experiment: - Vp wird dazu gebracht, andere mit Elektroschock zu strafen - Situation bestimmt Verhalten dennoch: möglicherweise intersituative individuelle Disposition: - ehemalige Milgram-Vp veranlaßte mit anderen die gerichtliche Verhandlung des Mylei-Massaker (Vietnam) Anreize (incentives) der Situation Situationen: bieten Gelegenheiten zur Realisierung von Zielen (d.h. zur Erfüllung von Wünschen oder zur Beseitigung von Befürchtungen) oder deuten das Eintreten bedrohlicher oder angenehmer Ereignisse an diese Aspekte der Situation werden als Anreize ("incentives") bezeichnet, die einen "Aufforderungscharakter" zum Handeln (oder Nichthandeln) in sich tragen Annahme vieler Motivationstheorien: eine Person handelt in einer Situation dann, wenn die Handlungsfolgen für sie von Wert sind und wenn die Erwartung hoch ausgeprägt ist, daß diese Folgen tatsächlich eintreten Motivationstendenz: abhängig von Erwartung und Wert Erwartung-mal-Wert Modelle: multiplikative Verknüpfung von Erwartung und Wert: Motivationstendenz = Erwartung x Wert vielfach herangezogen, um die Wahl zwischen Handlungsalternativen zu erklären auch als normative Modelle zweckrationalen Handelns Beispiel: ATKINSONS Theorie der Leistungsmotivation Verknüpfungen von Erwartungs- und Wertaspekt: nicht ausschließlich Produkte der Situation vielmehr kommen auch individuelle Wertungsdispositionen, d.h. Motive zum tragen Also: Wechselwirkung von Person und Situation (Person-Situation-Interaktion). HECKHAUSEN (1989, S. 3) "Unter 'Motivation' wird in der Interaktionsprodukt verstanden." neueren Motivationspsychologie stets ein solches 6 Bsp.: grundlegendes Motivationsmodell, das GEEN in seinem Lehrbuch vertritt (s. z.B. "Preface" und Kap. 1) 7 Ein allgemeines Motivationsmodell (nach GEEN, 1995) motive or need interacts with event in P's environment to create an social context incentive which determines goals strategy and intentional control 3. Anlaß: das "Wie" des Handelns Auch hier: vor allem auffällige Varianten (sowohl für naive Verhaltenserklärung als auch Wissenschaft von Interesse) Unter bestimmten Bedingungen: aufkommende Wünsche wandeln sich sehr schnell in Absichten, die bei nächster Gelegenheit realisiert werden manche Personen sind "gut organisiert"... ... andere unentschlossen in ihren Handlungsentscheidungen manchmal brauchen Personen lange, um ein als unerreichbar erkanntes Ziel aufzugeben. -> Begriffe des Willens oder der Willenskraft (Volition). Intention: gebildet, um ein als wünschbar u. realisierbar erkanntes Ziel durch Handeln zu erreichen erhält Zugang zum Handeln, sobald sich eine günstige Gelegenheit bietet steuert dann die Handlung bis zur Zielerreichung Zwei Arten von Intentionen: (laut neuerer Theoriebildung; z.B. GOLLWITZER, 1993) Zielintentionen ("Ich will Ziel X wirklich durch Handeln erreichen") und Vorsätze ("Wenn Gelegenheit Y eintritt, will ich Handlung X ausführen.") Alltag: Ausbildung von Intentionen nicht für alle zielgerichteten Handlungen notwendig: Gewohnheitshandlungen: - in früheren, ähnlichen Situationen schon als zweckmäßig erwiesen - bedürfen keiner erneuten Prüfung und Intentionsbildung - sondern: quasi automatisches Handeln Impuls- oder Affekthandlungen: 8 - starke Motivation bricht sich im Handeln Bahn - obwohl keine oder sogar entgegengesetzte Intentionen vorliegen 9 2.3 Phasen des Motivationsgeschehens: Motivation und Volition Drei Problembereiche: (im vorigen Abschnitt betrachtet) 1. Frage nach den Motiven: Unterscheidung individueller Wertungsdispositionen 2. Frage nach der Motivation: Determinanten einer Motivationstendenz als Zusammenspiel von Person Situation i.S. von individuellen Wert- und Erwartungsprodukten 3. und Frage nach der Volition: Prozesse der Intentionsbildung und Handlungssteuerung Aspekte Motivation und Volition lange Zeit nicht systematisch unterschieden bzw. Willensprozesse kaum als eigenständiger Gegenstand der Forschung betrachtet stattdessen: Versuch, auch die Intentionsbildung und Handlungssteuerung als Resultat von Wert- und Erwartungserwägungen aufzufassen. Probleme: Hinweise: verschiedene Stadien der Motivation, Intentionsbildung und Handlung unterliegen unterschiedlichen psychologischen Gesetzmäßigkeiten auch introspektiv leicht nachzuvollziehen: "Qual der Wahl" (bei schwerwiegenden Handlungsentscheidungen) vs. "heilsamer Ruck" (eines befreienden Entschlusses) zunächst: Unsicherheit des Abwägens zwischen potentiellen Handlungszielen nach Entschlußbildung: optimistische, ganz auf d. gewählte Ziel konzentrierte Sichtweise "Schwierigkeitsgesetz der Motivation" (HILLGRUBER) ein empirischer Beleg (für o. g. Unterschiede) Handlungsphase: Anstrengung nimmt zu, sobald unerwartete Schwierigkeiten auftreten kaum mit Erwartung-mal-Wert-Modellen vereinbar: E. x W. Terminologie: erhöhte Schwierigk. geringere Realisierungswhk. verminderten Motivationstendenz (unter sonst gleichen Bedingungen) daher: Rubikon-Modell “Rubikon-Modell der Handlungsphasen” (HECKHAUSEN & GOLLWITZER) 1. 2. 3. 4. prädezisionale Phase: vor der Bildung einer Zielintention präaktionale Phase: dient Planung und Handlungsvorbereitung aktionale Phase: dient der konkreten Handlungssteuerung postaktionale Phase: dient der Bewertung des Erreichten (abschließend) 10 nur erste und letzte Phase (1. & 4.) klassische motivationale Fragen der Abwägung u. Bewertung von Handlungsalternativen mittlere beiden Phasen (2. & 3.) Fragen der Volition im Vordergrund (mehr nächste Sitzung: "Kognition und Motivation") 11 3. Theorien der Motivation 3.1 Hedonismus Glück ist nur durch entsprechenden Kontrast empfindbar langanhaltendes Glück ist kein Glück Exp.: “Rollstuhl-Fahrer vs. Lottogewinner” - kurz nach Unfall / Lottogewinn: unterschiedliches Lebensglück - nach zwei Jahren: gleich empfundene Lebensqualität 3.2 Biologische Instinkttheorien engl. Sprichwort: “Mummy’s baby - Daddy’s may be” ... 3.3 Behavioristische Lerntheorien Klassische Konditionierung (PAWLOW ) 3.4 Kognitive Theorien Exp.: TOLMAN - zunächst: Ratten lernen ein Labyrinth - dann: Ratten lernen das entsprechend spiegelverkehrte Labyrinth schneller 3.5 Psychoanalyse ohne wesentliche Bedeutung (für psych. Theorien?) 3.6 Humanistische Ansätze MASLOW : Bedürfnis-Pyramide ROGERS: Begründer der Klient-Orintierten Therapie (Gesprächstherapie) 12 13 Sitzung 2: Denken und Handeln Kognition und Motivation Überblick 1. Kognitive Operationen bei der Auswahl von Zielen und Handlungsstrategien: Bewertung und Erwartung 2. Der zielorientierte Ansatz 2.1 Grundlagen und Definitionen 2.2 Effekte der Zielsetzung auf das zielorientierte Handeln 2.3 Empirische Befunde 3. Theorien der Handlungskontrolle 3.1 Diskrepanz 3.2 Wille 14 1. Bewertung und Erwartung Die Bedeutung kognitiver Prozesse: kognitive Prozesse: notwendig und wichtig zu Verständnis menschlichen Handels nicht hinreichend: einerseits biologische Bedürfnisse, andererseits Umweltbedingungen schon deutlich beim antiken Konzept des Hedonismus: Abwägen kurzfristiger versus langfristiger Belohnungen auch moderne Arbeiten Bsp.: Belohnungsaufschub (MISCHEL): Welche kognitiven Operationen sind notwendig, um auf die unmittelbare Belohnung zugunsten einer späteren Belohnung zu verzichten? Kontrollstrategien der selektiven Aufmerksamkeit, aber auch Bewertungen: Drei Aspekte der Bewertung 1. Nutzen der unmittelbaren Belohnung (individuelle Nutzenfunktion) 2. Kosten des Wartens (Konsumverzicht, Dauer) 3. Nutzen der späteren Belohnung Rationales Modell: Vorzug der späteren Belohnung, wenn: Nutzen der späteren Belohnung größer als Nutzen der unmittelbaren Belohnung plus Kosten des Wartens ("Einsatz" oder Investition) (negativer Nutzen) kleine (allerdings unvollständige) ökonomische Theorie des Konsumverzichts zu vervollständigen durch: Wahrscheinlichkeiten Bsp.: Lottospielen (Whkt. der späteren Belohnung) - 5 DM zur Verfügung (relativ geringer Nutzen) - Kauf eines Lottoscheins: Aussicht auf aufgeschobene Belohnung - aufgeschobene Belohnung übersteigt Einsatz um ein Vielfaches - Kosten des Wartens sind hier gering nach unserer Minitheorie: viel mehr Leute müßten Lotto spielen es fehlt: Erwartung, daß die aufgeschobene Belohnung tatsächlich eintritt (Gewinn: extrem unwahrscheinlich) 15 16 "Erwartung x Wert" - Modelle (Grundstruktur) Verwendung in der Ökonomie ("rational choice") utilitaristische Nutzen-Theorien Verhaltensvorhersage: allein aus Bewertungen und Erwartungen (subj. Whkt.) multiplikatives Verhältnis Nutzen = Erwartung x Wert Handlung mit maximalem Nutzen (d. h. größtes ExW-Produkt) wird ausgeführt entsprechende Modelle auch in der (Sozial)-Psychologie Bsp.: FISHBEIN und AJZENS "Theory of reasoned action" Einstellung als Erwartung-mal-Wert-Produkt definiert Frage: - Warum spielen dennoch so viele Leute Lotto? - Warum konsumieren so viele Leute einen Eisbecher, obwohl sie abnehmen wollen? Zwei Antworten: (mindestens) 1. (Irrationalität / Emotionalität) menschliches Handeln: nicht immer "rational" u. im Sinne der Nutzentheorie Schwierigkeit: realistische Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten ( Urteilsheuristiken) Bewertungen: betreffen nicht nur Urteilsbildung, sondern auch Gefühle und Emotionen ( 2. Teil d. Vorlesung) 2. (weitere Prozesse) Handeln von weiteren Prozessen beeinflußt, die nicht auf Bewertung und Erwartung reduzierbar sind Bsp.: - Mobilisierung von Anstrengung - Aufmerksamkeitslenkung - Planung - Handlungskontrolle heute dementsprechend: Zwei kognitiv orientierte Ansätze: Der zielorientierte Ansatz Theorien der Handlungskontrolle 17 2. Der zielorientierte Ansatz 2.1 Grundlagen und Definitionen Bedeutung von Zielen: Regulation von Verhalten Definition: “Ziel” Ein Ziel ist ein positiv bewerteter Endzustand, den eine Person für erreichbar hält und für dessen Erreichung sie bereit ist, Anstrengungen (Kosten) auf sich zu nehmen. Beispiel: Belohnungsaufschub (Ziel: größere Belohnung) Abgrenzung von "Wunsch": prinzipielle Erreichbarkeit, Anstrengung notwendig Bsp.: ... Anstrengung: Indikator f. Zielgerichtetheit u. "Motiviertheit" d. Verhaltens (Initiationsrituale) (auch im Alltagsverständnis) Fragen: Wie kommt die Person ans Ziel? - durch bestimmte instrumentelle Handlungen - Bsp.: im Belohnungsaufschub-Paradigma: indem man "einfach" wartet Warum ist das Ziel wirksam? - dient möglicherweise einem übergeordneten Ziel, das letztlich einem Bedürfnis ("need") oder Motiv untergeordnet ist Hierarchische Struktur von Zielen ganz oben: Bedürfnisse / Motive dann: Ziele unterschiedlichen Abstraktionsgrades ganz unten: Handlungen untergeordnete Elemente führen zur Erreichung übergeordneter Elemente Anreiz: Möglichkeit der Befriedigung eines Bedürfnisses oder Motivs durch die Verfolgung eines Ziels in einer entsprechend dienlichen Situation (Bedürfnis bzw. Motiv und situative Bedingungen müssen entsprechend zusammenpassen) (Immer wenn ein Bedürfnis oder Motiv und eine situative Bedingung in dem Sinne zusammenpassen, daß das Bedürfnis oder Motiv durch die Verfolgung eines Ziels befriedigt werden kann, sprechen wir von "Anreiz".) Beispiel: Belohnungsaufschub Möglichkeit, durch Anstreben ("striving") des langfristigen Ziels ein übergeordnetes Bedürfnis zu befriedigen das situative Angebot der größeren Belohnung ist somit ein Anreiz (in diesem Fall: zu warten) 18 Soziale Vermittlung von Zielen viele "höhere" Motive des Menschen: sozial vermittelt allgemeines Motiv nach sozialer Anerkennung Personen bestimmen nicht nur selbst, was gut und was schlecht ist, sondern ... Personen wollen auch: positive Bewertung durch andere (Handlungen, Person selbst) (-> Konzept der subjektiven Norm bei Fishbein & Ajzen). allg. Motiv nach sozialer Anerkennung: wirkt vermittelt über jeweilige Bezugspersonen und deren Wertesystem (soziale Anforderungen / "demands"). s. Tafel 2-1 (GEEN, S. 26) 2.2 Effekte der Zielsetzung auf das zielorientierte Handeln zielorientierte Motivationsforschung: konzentriert sich auf Intensität des zielorientierten Handelns ("goal striving") E x W -Ansatz Zielsetzung (“goal setting”): geht dem Zielstreben voraus Zielsetzung: vor allem mit Hilfe der Konzepte "Erwartung" und "Bewertung" erklärt worden auch Stärke des Zielstrebens: häufig als direkte Funktion d. Nutzens (als E x W-Produkt) angesehen E x W - Ansatz: nicht hinreichend zur Erklärung des Zielstrebens z.T. auch im Widerspruch mit empirischen Befunden: positive Auswirkungen von unerwarteten Schwierigkeiten! daher: ergänzende, differenziertere Annahmen im zielorientierten Ansatz und in Modellen der Handlungskontrolle Frage: Wie beeinflussen Ziele das Verhalten? Das Setzen eines Ziels führt zu weiteren, kontrollierten Prozessen: Folgen der Zielsetzung 1. Anstrengung 2. Bildung einer Strategie 3. Selbstverpflichtung oder "Zielbindung" ("commitment"). 19 2.3 Empirische Befunde (A) Leistung bei einer Aufgabe ist Funktion von - Aufgabenschwierigkeit (Höhe des gesetzten Ziels) Optimal: hoch, aber realistisch - Spezifität des Ziels Je spezifischer, desto besser (aber nur bei hoher Aufgabenschwierigkeit) Frage: Warum? Antwort: Schwierige und spezifische Ziele führen zu: mehr Anstrengung größerer Ausdauer Fokussierung der Aufmerksamkeit auf das Ziel Einsatz von Strategien (Locke et al., 1981) (B) Zusätzlich: größere Schwierigkeit kann Attraktivität eines Ziels erhöhen -> kognitive Dissonanz; Initiationsexperiment von ARONSON & MILLS (1959) nach ExW-Modellen ein scheinbar paradoxer Befund "Energetisierungstheorie" (BREHM) “potentielle Motivation”: schränkt den Einfluß der Aufgabenschwierigkeit auf die Zielattraktivität ein Schaubild 2-1 (GEEN S. 31) Bsp.: ... Fazit dieses Ansatzes: schwierige, aber realistische Ziele: attraktiver, führen zu mehr Anstrengung ... als sowohl einfache Ziele als auch unerreichbare Ziele Evidenz: Urteile, Verhalten, physiologische Indikatoren gilt sogar bei physiologischen Bedürfnissen (Voraussetzung: hohe potentielle Motivation) Beispiel: Nahrungsdeprivation nach Nahrungsdeprivation: hohe potentielle Motivation Erreichen von Nahrung durch schwierige Aufgabe: größeres subjektives Hungergefühl Erreichen von Nahrung durch leichtere Aufgabe: geringeres subjektives Hungergefühl ohne Nahrungsdeprivation: kein Unterschied (s. Wright, 1982, Basic and Applied Social Psychology) 20 (C) Komplexität eines Ziels moderiert die Einflüsse verschiedener Mechanismen des Zielstrebens: bei einfachen Aufgaben: erhöhte Anstrengung und Ausdauer mehr Einfluß bei komplexen Zielen: Strategiebildung kommt größeres Gewicht zu (D) "Commitment" je höher die Selbstverpflichtung, desto größer die Mobilisierung von Energie also: “commitment” moderiert a. Zusammenhang v. Aufgabenschwierigkeit und Leistung Aspekte von "commitment": - Öffentlichkeit - Wahlfreiheit - Akzeptieren eines (vorgegebenen) Ziels - Belohnungen - wahrgenommene Kontrolle Nähe zum Begriff der Intention bei HECKHAUSEN & GOLLWITZER (s.u.) Experiment: EREZ & ZIDON, 1984 Schaubid 2-4 (GEEN, S. 36) Kritik!: Zusammenfassung: Der motivationale Einflusses d. Zielsetzung Schaubild 2-5 (GEEN S. 37) Bemerkung: Annahme: idealisiertes Individuum, das immer genau auf ein Ziel hinarbeitet Alltag: viele Ziele gleichzeitig, z.T. inkompatible Ziele gleichzeitig Probleme: Zielkonflikt und Zielambivalenz Zielkonflikt: - Zwei oder mehr Ziele sind unvereinbar - Bsp.: guter Sportler vs. guter Pianist werden; Karriere vs. Familie Zielambivalenz: - sowohl anziehende als auch abstoßende Aspekte eines Ziels - Bsp.: "Auslandssemester machen oder in Würzburg bleiben?" "einerseits... andererseits" unangenehmer Zustand handlungshemmend mit negativen Emotionen und körperlichen Symptomen verbunden 21 Depression, Grübeln ("rumination") statt Handeln oft ausgelöst durch Wandel von Rollenerwartungen 3. Theorien der Handlungskontrolle Bisher: Intensität des Zielstrebens erklärt mit: Stärke der Motivation (Erwartung mal Wert) und Eigenschaften des gesetzten Ziels Theorien der Handlungskontrolle: befassen sich mit den psychologischen Prozessen ... die nach der Zielsetzung zur Zielerreichung beitragen und ... ein bestimmtes Ziel gegen andere potentielle Ziele abschirmen Lektüre: GEEN (Kap. 3) Abhandlung der zwei Aspekte: Diskrepanz und Wille 3.1 Diskrepanz Diskrepanz: zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit Vorhandensein eines Ziels impliziert Diskrepanz Die Vorstellung der Person: - geht über die vorgefundene Realität hinaus - beschreibt eine anstrebenswerte, noch nicht realisierte Welt Zwei Arten der Handlungssteuerung durch Diskrepanz: (a) durch Erregung und Emotion (b) durch Information zu (a): Erregung STAGNER: Metapher des biologischen Systems: - Diskrepanz führt zu autonomer Erregung - energetisiert dadurch Zielerreichung FESTINGER: - Diskrepanz führt zu Dissonanz HIGGINS: - "Selbst-Diskrepanz" führt zu spezifischen negativen Emotionen (1987, Psych. Review) zu (b): Information Metapher der Maschine kybernetisches Modell (Bsp.: Thermostat) TOTE (MILLER, GALANTER & PRIBRAM, 1960) - "Test": Vergleich zwischen Referenzwert und tatsächlichem Zustand der Umwelt - bei Diskrepanz ("error") "operate" (Regulation des Verhaltens) - Erneuter Test usw. (bis Diskrepanz gleich null) - dann: "end" (Exit) heutige Motivationspsychologie: 22 Aspekte (o.) sind Bestandteil komplexer Regulationsmodelle (z.B. CARVER & SCHEIER) andere Aspekte sind zusätzlich integriert: Bsp.: "commitment", Aufgabenschwierigkeit, frühere Lernerfahrungen etc. 23 3.2 Wille Altes Konzept in der Psychologie (Deutsche "Willenspsychologie": Anfang des 20. Jrhdt.) später: Versuch ohne willenspsychologische Konzepte auszukommen Neuerdings: Konzept des "Willens" (der Volition) gewinnt wieder an Bedeutung v.a. durch Arbeiten von HECKHAUSEN; GOLLWITZER; KUHL Prämissen: 1. Starke Motivation nicht hinreichend für die Erklärung von Handlung d.h.: Anreiz, Ziel und Selbstverpflichtung stellen nicht immer erfolgreiches Handeln zur Zielerreichung sicher 2. Volitionsprozesse setzen nach der Entscheidung ein, ein bestimmtes Ziel anzustreben 3. Bedeutung von Volitionsprozessen: nur, wenn Schwierigkeiten beim zielgerichteten Handeln zu erwarten sind: Volition dient der Initiierung und Aufrechterhaltung des Handelns 4. Volition beinhaltet Strategien Strategien: - halten die Intention aufrecht - schirmen gegen alternative Ziele ab, bis das Ziel erreicht ist Veranschaulichung: Modell der Handlungsphasen (HECKHAUSEN & GOLLWITZER) (früher: Rubikon-Modell) Vier Phasen Kennzeichen: - unterschiedliche kognitive Anforderungen - und entsprechende "Bewußtseinslagen" klare, psychologisch bedeutsame Trennlinien zwischen den Phasen theoretischer Kern: Unterscheidung von motivationalen versus volitionalen Phasen Schaubild nach HECKHAUSEN s.a. Schaubild 3-7 (GEEN S. 71) Prädezisionale Phase: Abwägen und Auswählen: Wünsche und Befürchtungen, die potentielle Ziele darstellen Bewußtseinslage des Abwägens Kognitive Inhalte: - Wünschbarkeit (Bewertung) - Machbarkeit (subjektive Wahrscheinlichkeit) (also der klassische Gegenstand der Erwartung-mal-Wert-Modelle) 1. Trennlinie: Erste Trennlinie zwischen Phasen: Bildung einer Zielintention (der "Rubikon") Rubikon-Metapher: Betonung des Übergangs zwischen 24 - motivationalen Prozessen (prädezisionalen Phase) und - volitionalen Prozessen (anschließende präaktionalen Phase) 25 Präaktionale Phase: Zielrealisierung im Vordergrund Kognitive Inhalte:- Initiierung - Durchführung - Beendigung (bei Zielerreichung) der Handlung es geht um günstige Gelegenheiten und alternative Handlungsstrategien Bewußtseinslage des Planens Denken: - selektiv und optimistisch auf das einmal gewählte Ziel gerichtet - erneutes Abwägen von Handlungsfolgen und deren Whkt. wird vermieden Bildung von Vorsätzen ("implementation intentions") 2. Trennlinie zweite Trennlinie: Handlungsinitiierung bei günstiger Gelegenheit: Person beginnt mit zielgerichteten Aktivitäten (unterstützt durch einen entsprechenden Vorsatz) Aktionale Phase: Konkretes Handeln auf das Ziel hin Reaktion auf Hindernisse: Mobilisierung von Anstrengung Fokus der Aufmerksamkeit: auf höhere oder niedrigere Ebenen der Zielrepräsentation (je nach Schwierigkeit und momentanem Fortschritt) Intensität und Ausdauer: Funktion der Volitionsstärke der Zielintention 3. Trennlinie dritte Trennlinie: Abschluß der Handlung Abschluß der Handlung: - bei Zielerreichung - bei Antreffen einer situativen Bedingung, die in einer präaktionalen Beendigungsintention antizipiert wurde (Deaktivierung der Zielintention) Übergang zu einer erneuten motivationalen Phase Postaktionale Phase: Bewertung des Erreichten: - Wurde das Ziel vollständig erreicht? - Besteht weiterhin Diskrepanz zwischen Ziel und Ist-Zustand? - Sind weitere oder alternative Handlungen wünschenswert? Evaluative Bewußtseinslage Attributionsprozesse 26 Vorhersagen und Befunde: - Vor allem die ersten beiden Phasen empirisch untersucht "Cognitive tuning" Unterschiedliche Bewußtseinslagen des Abwägens und Planens begünstigen kongruente Gedankeninhalte Experimente: GOLLWITZER, HECKHAUSEN & STELLER (1990, JPSP) Vpn werden in bezug auf eigene Handlungsprobleme in prädezisionale oder präaktionale Phase versetzt Exp. 1: - Vpn sollen anschließend ein unvollständiges Märchen zu Ende erzählen Ergebnis: - "prädezisionale" Vpn schreiben Protagonisten rel. mehr abwägendes Verhalten zu als "präaktionale" Vpn Schaubild 3-8 (GEEN S. 72) Exp. 2: - Vpn sollen die zuvor präsentierten Gedanken anderer Personen erinnern - je die Hälfte dieser Gedanken bezog sich auf Abwägen bzw. Planen Ergebnis: - "prädezisionale" Vpn erinnern mehr abwägende Gedanken - "präaktionale" Vpn erinnern mehr planende Gedanken Automatische Aufmerksamkeitslenkung durch Vorsätze Zielintentionen allein stellen Handlungsinitiierung nicht sicher (Zielintention:"Ich will Ziel X tatsächlich anstreben") Vorsätze erleichtern das Handeln ("Wenn Situation Y eintritt, will ich Handlung Z ausführen") Insbesondere wenn: günstige Gelegenheiten zum Handeln selten o. schwer zu erkennen Vorhersage: automatische Aufmerksamkeitslenkung auf das Ziel und die intendierte Handlung, wenn Situation X tatsächlich eintritt Experimente: Beleg für automatischen Effekt (s. GOLLWITZER, 1993, ERSP) Experiment: “Shadowing” Dichotisches Hören: Vp fokussiert auf einen Kanal (z.B. linkes Ohr) Vp spricht die dort präsentierten Wörter nach Zusätzlich: möglichst schnell auf ein Licht reagieren, das mehrmals erscheint auf anderem Kanal: Wörter präsentiert (in zwei von vier Phasen des Experiments) 27 Wörter stehen in Beziehung zu einem aktiven Vorsatz der Vp Kontroll-Vpn ohne Vorsatz bearbeiten dieselbe Aufgabe Ergebnis: Vorsatz-Vpn: - Verlangsamung der Reaktion auf das Licht - Aber: nur in den Phasen, in denen vorsatzbezogene Wörter auftauchen Indiz für automatische Aufmerksamkeitsreaktion Visuelle Stimuli: ähnliche Effekte Vorsätze erhöhen die Wahrnehmungsbereitschaft für "günstige Gelegenheiten" in komplexen Stimuluskonfigurationen Vpn erkennen schneller eine Figur im "embedded figures test", wenn sie zuvor einen Vorsatz im Zusammenhang mit dieser Figur ausgebildet hatten Experiment mit "Waben-Eck" und "Wurzel-Eck" Schaubilder Probleme / Kritikpunkte: - Die empirisch gezeigte Generalisierung von Bewußtseinslagen-Effekten scheint wenig funktional, wenn man annimmt, daß Personen i.d.R. an mehreren Zielen bzw. Entscheidungsproblemen arbeiten, die sich in verschiedenen Phasen befinden. - Eine Dichotomie zwischen "günstigen" und "ungünstigen" Gelegenheiten (wie z.B. in der Studie mit "Wurzeleck" und "Wabeneck" ist unrealistisch. Im Alltag variieren Gelegenheiten oft fließend in ihrer Günstigkeit und sind i.d.R. suboptimal. Überspezifikation eines Vorsatzes führt dann zur Untätigkeit, weil die optimale Gelegenheit nie eintritt. FAZIT: erhöhte Präzision der Beschreibung und Erklärung von Prozessen der Handlungskontrolle durch: - Hinzunahme volitionaler Konzepte - Unterscheidung distinkter Phasen und Bewußtseinslagen 28 HECKHAUSEN und GOLLWITZERS Theorie ist zumindest in Teilen empirisch gut gestützt Prosoziales Verhalten Sitzung 3: Überblick: 1. Begriffe und Problemstellung 2. Der "Fall Kitty Genovese" als Auslöser für ein sozialpsychologisches Forschungsprogramm zum Hilfeverhalten 3. Erklärungen für Hilfeverhalten 3.1 Genetische / biologische Faktoren 3.2 Soziale Normen 3.3 Emotionale Erregung und Kosten/Nutzen-Abwägung 3.4 Stimmung 3.5 Die Empathie-Altruismus-Hypothese 4. Wem wird geholfen? 5. Anwendung: Wie läßt sich prosoziales Verhalten in der Gesellschaft fördern? 29 1. Begriffe und Problemstellung Synonyme: Prosoziales Verhalten, altruistisches Verhalten, Hilfeverhalten Eine Definition (z.B. BIERHOFF, 1990): Prosoziales Verhalten ist definiert durch - die Absicht, einer anderen Person Gutes zu tun, und - Entscheidungsfreiheit (z.B. Fehlen beruflicher Verpflichtung). Motivation zu prosozialem Verhalten? Gibt es "echten" Altruismus? Oder: Dient prosoziales Verhalten letztlich dem Ziel des Helfenden, seinen persönlichen Nutzen zu erhöhen? COMTE (19. Jh.): "Egoistisches" versus "altruistisches" Helfen Kulturelle Normen: Gebot der Nächstenliebe GOETHE: "Edel sei der Mensch, hilfreich und gut." Gesellschaftliche Anerkennung für außergewöhnliche Hilfeleistungen(Orden, Auszeichn.) Gesetzliche Verpflichtung: "unterlassene Hilfeleistung" strafbar erklärungsbedürftiger Sachverhalt: trotz kultureller Normen: Hilfeverhalten seltener als notwendig Warum helfen Menschen häufig nicht ? Abb.: Zeitungsausschnitte 2. Der "Fall Kitty Genovese": Auslöser für ein sozialpsychologisches Forschungsprogramm zum Hilfeverhalten Der Fall Kitty Genovese: 1964 wird in New York eine Frau ermordet mehr als 30 Nachbarn verfolgen das Geschehen am Fenster 30 Minuten lang niemand ruft Hilfe herbei 30 LATANÉ & DARLEY: Determinanten der Situation Kognitives Modell der Hilfeleistung: Sequentieller Entscheidungsprozeß 1. Wird eine potentielle Notfallsituation bemerkt ? Nein: keine Hilfe Faktoren wie Überstimulation können das Bemerken einer ungewöhnlichen Situation verhindern negative Korrelation zwischen Bevölkerungsdichte und Hilfe (Levine et al., 1994) Ja: 2. Frage der Interpretation: "wirklich ein Notfall?" Nein: keine Hilfe Soziale Vergleichsprozesse: "Wie verhalten sich die anderen?" Experiment: Rauch aus Lüftung (LATANÉ & DARLEY, 1968) “soziale Hemmung" durch weitere Anwesende Ja: 3. Frage der Übernahme von Verantwortung: "Bin ich für Hilfeleistung verantwortlich?" Nein: keine Hilfe Experiment: Epileptischer Anfall (DARLEY & LATANÉ) "Verantwortungsdiffusion" (bystander-effect) Ja: (“Ich übernehme Verantwortung”) 4. Frage der Eigenen Kompetenz: "Bin ich zum Helfen in der Lage?" Nein: keine Hilfe oder indirekte Hilfe Experiment: SHOTLAND & HEINOLD (1985) Vpn, mit absolviertem Erste-Hilfe-Kurs halfen bei medizinischen Notfällen eher darüber hinaus: Reduktion des Bystander-Effekts (geringere Verantwortungsdiffusion) Ja: (Auch wenn Person eigene Kompetenz kogniziert, stellt sich noch...) 5. Frage der Handlungsinitiierung Motivationale und volitionale Aspekte helfendes Handeln unwahrscheinlicher durch: - konkurrierende Zielen (Studie zu Zeitdruck von DARLEY & BATSON, 1973) 31 helfendes Handeln wahrscheinlicher durch: - persönliche Bekanntschaft mit dem Opfer (LATANÉ & RODIN, 1969) - Erwartung zukünftiger Interaktion (GOTTLIEB & CARVER, 1980) Vorsätze zum Handeln bisher nicht untersucht Vorsätze i.S. GOLLWITZERS sollten Helfen wahrscheinlicher machen evtl. unter "Kurzschließung" der o.a. Sequenz: "Wenn Notfallsituation X eintritt, initiiere ich Handlung Y". 3. Erklärungen für Hilfeverhalten LATANÉ & DARLEYS Ansatz: erklärt, warum Personen nicht helfen Wie läßt sich erklären, warum Menschen Hilfeverhalten tatsächlich zeigen? 3.1 Genetische / biologische Faktoren Das egoistische Gen: Paradox des Altruismus? Beobachtung: Tiere und Menschen helfen anderen Angehörigen ihrer Spezies oft unter Gefahr für ihr eigenes Überleben Warum? "Kin selection": Hilfe wird vorrangig Verwandten gegeben je enger die Verwandtschaft, desto mehr Hilfe dient der Weitergabe von Kopien der eigenen Gene "Reziproker Altruismus": Wechselseitige Hilfe auch unter nichtverwandten Individuen Natürliche Selektion für reziproken Altruismus v.a. in Spezies, ... - die in sozialen Gruppen leben, - deren kollektives Überleben von Kooperation abhängt - die keine rigiden Hierarchien besitzen - Bsp.: Homo Sapiens Wichtig: Aufdecken von "Schummeln" “Schummeln”: Empfangen von Hilfe ohne Erbringen einer Gegenleistung Menschen: domain-spezifische kognitive Schemata, die "cheating detection" gewährleisten (LEDA COSMIDES,1989) [Test: Paradigma der "Wason selection task"]. 3.2 Soziale Normen Reziprozitätsnorm soziale Norm der Fairness zu reziprokem Helfen (neben biologischen Faktoren) 32 "Hilf denen, die dir helfen!" s. a. Vorlesung Sozialpsychologie: Equity in sozialen Beziehungen emotional aversiv: Empfangen von Hilfe ohne die Möglichkeit, Hilfe "zurückzugeben" 33 Soziale Verantwortung "Hilf denen, die Hilfe benötigen" ohne Ansehen der Empfängerin oder Erwartung, belohnt zu werden von den meisten anerkannt aber: führt nicht immer zum Handeln abhängig von: Interpretation der Situation, konkurrierende Ziele (s.o. LATANÉ & DARLEY) Soziale Gerechtigkeit "Hilf denen, die Hilfe verdienen" Motiv des "Glaubens an eine gerechte Welt" (LERNER, 1980) Hilfe verdient, wer "gut ist" oder "gut handelt" Experimente: Unbekannten Personen, die in Not geraten, wird im "Umkehrschluß" attestiert, daß sie dieses Schicksal (aufgrund ihres Charakters oder Verhaltens) verdient haben Kulturelle Unterschiede Reziprozitätsnorm scheint universell zu gelten Norm der sozialen Verantwortung: - in kollektivistischen Kulturen stärker ausgeprägt - in individualistischen Kulturen weniger Exp.: MILLER, BERSOFF & HARWOOD (1990) Amerikaner: wahrgenommene soziale Verpflichtung zu helfen variiert mit: - der Nähe zur hilfsbedürftigen Person - Ausmaß des Hilfebedürfnisses Hindus: wahrgenommene soziale Verpflichtung generell hoch Abb. Studie von MILLER et al. 3.3 Emotionale Erregung und Kosten-Nutzen-Abwägung "Arousal: Cost-Reward Model" (PILIAVIN et al., 1981) Erweiterung der Entscheidungssequenz von LATANÉ & DARLEY zwei zusätzliche Aspekte: Emotionale Erregung relative Kosten des Helfens (für einen selbst) versus Kosten des Nichthelfens (für die Person in Not) Annahmen: Notfall löst negative emotionale Spannung aus Kann auf verschiedene Weise reduziert werden: - Helfende Intervention - Ignorieren oder Uminterpretieren der Gefahrensignale - Flucht / aus dem Feld gehen Kosten-Nutzen-Analyse: bestimmt, welche Alternative gewählt wird 34 35 Mögliche Kosten des Helfens für den Beobachter: Zeit, Energie, Gesundheit, eigenes Leben, etc. soziale Mißbilligung, Scham, wenn Hilfe-Versuch scheitert Peinlichkeit, wenn Situation tatsächlich harmlos war Mögliche Kosten des Nichthelfens: Schädigung des ignorierten Opfers soziale Ächtung des Nicht-Helfenden drohende Strafe Selbstvorwürfe Selbstwertverlust Vorhersagen im einzelnen: Kosten für direkte Hilfe niedrig Kosten des Nichthelfens hoch niedrig Variabel (Handeln: Funktion der wahrgenommenen Normen in der Situation) Flucht Ignorieren Leugnung hoch Direkte Intervention Indirekte Intervention oder Umdefinition der Situation; Abwertung des Opfers (dadurch Reduktion der subjektiven Kosten des Nichthelfens) Exemplarische Studien: SHOTLAND & STRAW (1976) Streit zwischen Mann und Frau im Aufzug zwei Bedingungen: - Frau: "Get away from me! I don't know you!" Hilfe 65% - Frau: "Get away from me! I don't know why I ever married you!" 19% Hilfe Vermittelnder Prozeß: in der Ehepaar-Bedingung: - Wahrgenommene Kosten für Helfen höher - und für Nichthelfen geringer 36 37 PILIAVIN & PILIAVIN (1972): Mann bricht in U-Bahn zusammen zwei Bedingungen: - Blut im Mundwinkel 65% Hilfe kein Blut 95% Hilfe Vermittelnder Prozeß: Blut-Bedingung: Wahrgenommene Kosten für Helfen und für Nichthelfen höher Kritik! 3.4 Stimmung Piliavins Theorie: Emotionale Erregung ist Folge der wahrgenommenen Notfallsituation Aber: auch emotionale Zustände können Hilfeverhalten beeinflussen auch emot. Prozesse, die "zufällig" unabhängig von einer Notfallsituation bestehen Bsp.: gute Stimmung, schlechte Stimmung Gute Stimmung erhöht Hilfsbereitschaft in verschiedensten Kontexten Experimente von ALICE ISEN et al. Bsp.: ISEN (1970): Untersuchung an Studierenden, die einer “bücherbepackten” Frau helfen zwei Bedingungen: - zuvor Erhalt einer (fiktiven) positiven Rückmeldung mehr Hilfe Hilfe keine positive Rückmeldung weniger [Ethik: Andere Möglichkeiten der Stimmungsinduktion?] Verschiedene Erklärungen für diesen Effekt: Stimmungskongruente Urteile, Gedanken, Erwartungen: - In guter Stimmung nehmen wir andere positiver wahr - sehen eher positive Handlungsfolgen als negative Bedürfnis, die eigene Stimmung aufrechtzuerhalten (mood maintenance hypothesis): - Helfen bietet hierzu eine Gelegenheit Ausrichtung der Aufmerksamkeit eher nach außen: - Hilfebedürfnis anderer wird eher wahrgenommen Aber: diese Prozesse können je nach Situation auch zum Nichthelfen führen Abbildung "Effekte guter Stimmung" 38 erhöhte Hilfeleistung: auch durch schlechte Stimmung und negative Emotionen 39 Beispiel: Schuldgefühle (CUNNINGHAM, STEINBERG & GREV, 1980) Vpn glauben, sie hätten Kamera des Versuchsleiters beschädigt: 80% Hilfe für Frau, die einen Stapel Papiere fallenließ Vpn in Kontrollbedingung: 40% HARRIS, BENSON & HALL (1975) Feldstudie an Katholiken vor der Beichte: eher Spende für eine wohltätige Organisation als nach der Beichte Aber: Einfluß negativer Stimmung: eher gemischte Befunde "Negative state relief"-Theorie (CIALDINI & KENRICK, 1976) Entscheidend für Effekte negativer Stimmung: ob Helfen die Stimmung verbessern kann W EYANT (1978) kompatible Befunde zu CIALDINI & KENRICK (s.o.) Schlechtgestimmte: führen eher Kosten-Nutzen-Analyse durch, als Neutralgestimmte Schlechtgestimmte: - Kosten niedrig und Nutzen hoch: mehr Hilfe (sich neben Spendenkasse für Krebshilfe setzen) - Kosten hoch und Nutzen niedrig: weniger Hilfe (an der Wohnungstür für "Little League Baseball" sammeln) MANUCIA, BAUMANN & CIALDINI (1984): Direkter Test 3 x 2-Design: Stimmung (gut / schlecht / neutral) x Fixiertheit der Stimmung (labil / fixiert). angebliche "Gedächtnisstudie" (cover-story) Stimmungsinduktion: Vpn sollen angenehmes, unangenehmes oder neutrales Erlebnis erinnern Danach: Verabreichung einer "Gedächtnisdroge" (Placebo!) angebliche Nebenwirkungen: "trockener Mund" (Kontrollbedingung: Stimmung wie üblich "labil") oder "Einfrieren der Stimmung" (Stimmung fixiert) Beim Verlassen des Labors: jemand bittet um Hilfe 40 Vp soll für einen guten Zweck einige Telefonanrufe erledigen Abhängige Variable: Zu wievielen Anrufen ist die Vp bereit? 41 Zentrale Vorhersage: Falls Motiv d. Stimmungsverbesserung bei schlechter Stimmung zentrale Rolle spielt: - schlechtgestimmte Personen helfen nur, wenn dies die Stimmung verbessern kann - helfen jedoch nicht, wenn sie annehmen, daß ihre Stimmung "eingefroren" wurde Ergebnis: Gutgestimmte Vpn helfen generell mehr als Neutralgestimmte Glaube, daß Stimmung fixiert: Schlechtgestimmte helfen nicht mehr als Neutralgestimmte Glaube, daß Stimmung nicht fixiert: Schlechtgestimmte helfen mehr Folie MANUCIA et al. 3.5 Die Empathie-Altruismus-Hypothese Erklärungen bisher: Betonung egoistischer Motive: - Erhöhung der eigenen Reproduktionschancen - Nutzenmaximierung - Stimmungsverbesserung Alternative Erklärungen? Gibt es "wahren Altruismus"? Empathie-Altruismus-Hypothese (DANIEL BATSON) Zwei Reaktionen auf das Leiden anderer: "personal distress" - unangenehme Erregung - selbstbezogen Empathie - Mitgefühl - auf das Opfer fokussiert motivationale Effekte "personal distress" kann u.a. durch Flucht reduziert werden Person hilft nur wenn Flucht unmöglich s. Piliavins "Arousal:Cost-Reward Model" Empathie kann nicht durch Flucht reduziert werden je größer das Mitgefühl, desto eher wird geholfen 42 43 Experiment: BATSON et al. (1981) Vpn beobachten das Leiden einer "Mitversuchsperson" Mitversuchsperson werden angeblich Elektroschocks verabreicht Möglichkeit der Hilfe: Plätze tauschen 2x2-Design: - Flucht: leicht oder nur schwer möglich - eigene Erregung: interpretiert als "personal distress" oder als Empathie Interpretation erzeugt durch Fehlattribution (fiktive Droge) mehrere konzeptuelle Replikationen Ergebnisse: bei dominierender Empathie: Hilfe generell hoch (ca. 75%) bei dominierendem "personal distress" - keine leichte Fluchtmöglichkeit: viel Hilfe (79%) - leichte Fluchtmöglichkeit: wenig Hilfe (30%) Also doch Evidenz für echten Altruismus? Kontroversen Konfundierung von Empathie mit trauriger Stimmung? wenn beides kontrolliert: Traurigkeit und nicht Empathie entscheidend zumindest in einer Studie (CIALDINI et al., 1987) also doch egoistisch motiviertes "negative state relief" ? "Empathic joy hypothesis" (KYLE SMITH et al., 1989) Personen helfen, um mit dem geretteten Opfer "empathische Freude" zu empfinden Implikation: je mehr Empathie, desto größeres Interesse an Ergebnissen Personen, die mehr Empathie empfinden, wollen eher Ergebnisse ihres Helfens erfahren Hierfür keine empirische Bestätigung (eher umgekehrter Zusammenhang!) "Empathievermeidung": Personen sind sich der Wirkung von Empathie bewußt vermeiden daher oft Situationen, die Empathie auslösen könnten (wenn sie hohe Kosten des Helfens antizipieren) Fazit: Empathie-Altruismus-Hypothese: scheint insgesamt gut belegt Empathie: - eine mögliche motivationale Determinante prosozialen Verhaltens - aber nicht die einzige 44 4. Wem wird geholfen? Merkmale der hilfsbedürftigen Person mögliche Determinanten prosozialen Verhaltens einige Studien kursorische Übersicht über Befunde: Ähnlichkeit: Kleidung (als Symbol), Einstellungen, Werte Erklärung? Hautfarbe: wenig konsistente Befunde Bei Notwendigkeit direkter Interaktion mit der hilfebedürftigen Person: Menschen anderer Hautfarbe wird mehr geholfen als Menschen der eigenen Hautfarbe öffentliche "overcompliance" mit antirassistischen Normen? (CROSBY et al., 1980) wenn Nichthelfen auf andere Ursachen als die Hautfarbe attribuiert werden kann: weniger Hilfe für Opfer anderer Hautfarbe (z.B. durch Verantwortungsdiffusion) (GAERTNER & DOVIDIO, 1977). Geschlecht: Männer helfen eher Frauen als Männern Männer helfen eher attraktiven Frauen als unattraktiven Frauen zeigen keinen Geschlechts-Bias in ihrem Hilfeverhalten Erklärung? Verschulden: für “unschuldige” Opfer: mehr Hilfe für Personen, die ihre Notlage hätten vermeiden können: weniger Hilfe Prinzip des "Glaubens an eine gerechte Welt" (LERNER) 45 46 5. Anwendung: Wie läßt sich prosoziales Verhalten in der Gesellschaft fördern? aus Erklärungen für Hilfeverhalten (und vor allem für unterlassene Hilfeleistung): Ableitung von Maximen für die Anwendung Maximen für die Anwendung (nach SMITH & MACKIE, 1995) 1. Ambiguität reduzieren, Notwendigkeit der Hilfe klarmachen z.B. als Opfer: "Ich bin gestürzt. Ich brauche Hilfe." 2. Selbstkonzept der Hilfsbereitschaft in anderen stärken Studien von Batson: Attribution des eigenen Helfens - Ursachen wie Empathie oder das Hilfebedürfnis des anderen: häufiger Hilfe - externe Belohnungen: später seltener Hilfe 3. Identifikation mit denen stärken, die Hilfe benötigen Ähnlichkeit zwischen Hilfebedürftigem und Helferin hervorheben Religion: "Liebe Deinen Nächsten", "Wir alle sind Kinder Gottes" 4. Normen etablieren, die Hilfeverhalten unterstützen Erziehung, Modellernen 5. Normen in der Situation aktivieren Anweisungen können z.B. Norm der Verantwortung für Jüngere aktivieren Bsp.: "Dieses kleine Kind braucht Hilfe" dadurch: Norm wird verhaltenswirksam 6. Verantwortung fokussieren bestimmte Person gezielt und eindeutig ansprechen dadurch: Verantwortungsdiffusion vermeiden Statt "Hilfe!" besser: "Sie da im grünen Mantel. Rufen Sie einen Krankenwagen!" 47 Sitzung 4: Aggressives Verhalten Literatur: MUMMENDEY, A. (1996). Aggressives Verhalten. In Stroebe et al. (Hrsg.), Sozialpsychologie (2. Auflage; S. 421-452). Heidelberg: Springer. FRANZOI, S. L. (1996). Social Psychology (Chapter 11). Dubuque, IA: Brown & Benchmark. Historisch: Aggression schon früh Thema wissenschaftlicher Überlegungen (früher als Altruismus) das “Böse” im Menschen hat Wissenschaftler stärker fasziniert als das Gute Aggressives Verhalten: erklärungsbedürftig, warum es auftritt. Prosoziales Verhalten: erklärungsbedürftig, warum es nicht auftritt (> Kitty Genovese) Definition “Aggression” Absichtsvolle Handlung mit dem Ziel, eine andere Person, sich selbst oder einen Gegenstand zu schädigen Beispiele: Arzt schädigt Patienten: keine Absicht, keine Aggression Einbrecher schießt auf Bewohner: instrumentelle Aggression Diskussion: ... Unterscheidung: Instrumentelle vs. feindselige Aggression a) instrumentelle Aggression: absichtsvolle Schädigung zur Erreichung eines anderen Ziels Bsp.: Einbrecher basiert eher auf rationaler Abwägung von Kosten und Nutzen b) feindselige Aggression: 48 absichtsvolle Schädigung zur Erreichung d. Ziels d. Verletzung o. Tötung d. Opfers Bsp.: Basiert eher auf irrationalen Impulsen und Emotionen 49 A. Theoretische Perspektiven auch hier: Individuum, Situation, Person x Situation -Interaktion a) Aggression als angeborenes Verhalten (unvermeidlich!) MCDOUGALL (1908): Aggression als einer von 18 Instinkten Psychoanalyse (FREUD): Todestrieb produziert aggressives Verhalten Zunahme über Zeit hinweg Gefahr der Selbstschädigung Bewältigung durch Katharsis Energiemodell Verhaltensforschung (LORENZ): Aggressionsinstinkt Spannungszustand "Stau", "Überdruck" strebt nach Entladung funktional für das Überleben der Art (natürliche Selektion) Schlüsselreize: je stärker der Druck, desto schwächer können die Auslösereize sein Abbau: - durch kontrollierte Abfuhr kleinerer Energiemengen in sozial akzeptierten Formen der Aggression (Bsp.: sportlicher Wettkampf) Positive Auslese d. "gesündesten" Individuums zum "Leittier" ( ideologischer Aspekt ) Kritik: b) - Instinkttheorien zirkulär - außerdem: unscharfe Konzepte Aggression als situativ ausgelöstes Verhalten Bsp.: DOLLARD, MILLER, MOWRER & SEARS (1939): Frustration führt zu Aggression "Initialzündung" für experimentelle Aggressionsforschung Frustrations-Aggressions-Hypothese: zielgerichtetes Verhalten wird unterbrochen: Frustration Frustration Aggression gegen Urheber der Frustration (oder "Verschiebung"). (Ursprüngliche "starke" Formulierung) später: MILLER (1941): Einschränkung: Frustration produziert verschiedene Reaktionen eine davon ist Aggression 50 Neuere Version der Frustrations-Aggressions-Hypothese: Frustrierendes Ereignis Ärger Aggression Reduktion von Ärger und Aggression (Katharsis) Empirische Evidenz: 1. Frustration und Ärger auch andere Emotionen möglich (Angst, Schmerz, Resignation, Depression) Ärger eher durch andere Erfahrungen (Beleidigungen, Schmerz) ausgelöst. 2. Ärger und Aggression ja, wenn aggressive Gedankeninhalte durch situative Einflüsse aktiviert werden Erregung jedoch hinreichend 3. Katharsis keine eindeutige Evidenz Manchmal verstärkt aggressive Handlung Tendenz zu weiterer Aggression Kritische Bewertung: behauptete Zusammenhänge treten auf aber nicht in der behaupteten Zwangsläufigkeit c) Aggression als Reaktion auf aversive Ereignisse: Die Rolle negativer Emotionen Der kognitiv-neoassoziationistische Ansatz (BERKOWITZ) Abb. 1 Aversives Ereignis löst negative Emotion aus 2 Verhaltenstendenzen gleichzeitig ausgelöst: Aggression und Flucht (+ physiologische Reaktionen und Gedankeninhalte) Ob sich Verhalten manifestiert, hängt von kognitiven Prozessen höherer Ordnung ab Modell für das Zusammenwirken von kognitiven und emotionalen Prozessen in ihrem Einfluß auf aggressives Verhalten "aggressive Hinweisreize": Der Waffeneffekt (BERKOWITZ & LEPAGE, 1967) 51 d) Aggression als gelerntes Sozialverhalten Abb. 2 vor allem von BANDURA vertretener Ansatz Aggressives Verhalten nicht angeboren, sondern durch Erfahrung erworben Beobachtungslernen Drei Faktoren: - Lerngeschichte - gegenwärtige Belohnungssituation - situative Bedingungen B. Einige empirische Ergebnisse Exkurs: Wie kann Aggression im Labor gemessen werden? Ethisches Dilemma! BUSS’ Aggressionsmaschine oder: weißes Rauschen a) Hitze und Aggression (90° F = 32,2° C; 81° F = 24° C) BARON: "negative affect escape model" - Kurvilineare Beziehung mit Wendepunkt (BARON & RANSBERGER, 1978) CARLSMITH & ANDERSON (1979): - Kontrolle der Anzahl der Tage in verschiedenen Temperaturbereichen - Lineare Beziehung (schlechte Stimmung, Erregung, Frustration) Abb.3, Abb.4 b) Aggression in Interaktionen zentrale Determinante: Reziprozität Aber: Intentionszuschreibung wichtig (Attributionstheorie!) Exp.: "Mildernde Umstände" (JOHNSON & RULE,1986) Exp.: OHBUCHI & KAMBARA (1985) - nicht tatsächliche Höhe der Aggression bestimmt Vergeltung - sondern intendierte Höhe der Aggression 52 53 Weitere Moderatorvariablen: Augenfälligkeit der Schmerzen des Opfers ( Empathie) Deindividuierung (Zimbardo) vs. selbst-fokussierte Aufmerksamkeit (W ICKLUND, CARVER) persönliche Standards nicht salient vs. salient c) Die Beobachtung von Gewalt: Einfluß der Medien gesellschaftliches Problem Vielzahl von Untersuchungen, aber kein eindeutiges Ergebnis Problem: keine Kausalinterpretation auf der Grundlage von korrelativen Daten Insgesamt: verschiedene Forschungsprogramme lassen Schlußfolgerungen zu, daß Gewaltdarstellungen in Medien zu höherer Gewaltausübung führen Laborexperimente: BANDURA et al.: Kinder sehen Film mit einer Modellperson, die sich aggressiv verhält später (in Spielsituation): mehr aggressives Verhalten gegenüber Puppe und gegenüber anderen Kindern (vgl. LIEBERT & BARON, 1978) ähnliche Ergebnisse mit Erwachsenen Untersuchungen in natürlicher Situation: LEYENS et al. (1975): Untersuchung an belgischen Schülern Schüler: wurde über eine Woche hinweg 5 gewalttätige Filme gezeigt übten mehr Gewalthandlungen aus, als Schüler, die 5 nichtgewalttätige Filme sahen PHILIPS (1983): Untersuchung nach Fernsehsendungen über best. Boxkämpfe: Zahl der Gewaltverbrechen (Mord, Totschlag) nahm zu Problem: Methodik Korrelative Fragebogenstudien: ERON (1982): Zusammenhang: Konsum gewalttätiger Fernsehsendungen und Aggressivitätseinschätzungen durch Lehrer und Mitschüler Problem: Methodik 54 Mögliche Kausalfaktoren: Soziale Vergleichsprozesse Lernprozesse Aktivierung von aggressiven Kognitionen (vgl. HIGGINS et al.) Emotionale Adaptation Abb. 5 d) Die Bedeutung der autonomen Erregung Erregung energetisiert dominantes Verhalten nur sekundäre Bedeutung: Quelle der Erregung (Sportübung, erotische Stimuli, etc.) Erregung verstärkt aggressives Verhalten Theorie des Erregungstransfers (ZILLMANN) Abb. 6 Anwendung: Zusammenhang von Sex und Gewalt Evidenz: - Darstellung von Pornographie fördert Aggressionsbereitschaft - aggressive Handlungen erhöhen die sexuelle Erregung Literatur: D. ZILLMANN (1984). Connections between sex and aggression. Hillsdale, N.J.: Erlbaum C. Abbau von Aggression (nach FRANZOI, 1996, pp. 466-469) Katharsis ("Dampf ablassen"): funktioniert nicht Strafe und Rache ("Auge um Auge, Zahn um Zahn") Lerntheorie: Voraussetzung für wirksame Strafe: prompt, relativ stark, konsistent generelles Problem: kein Aufbau positiver Verhaltensalternativen Probleme bei Aggression: (a) extremer Ärger kann Furcht vor Strafe überlagern (b) Ärger kann verstärkt werden ( Gegenaggression) (c) Modellernen: Aggressor "kopiert" strafende Instanz 55 Induktion inkompatibler Reaktionen v.a. Humor (bei Kindern) Exp.: BARON (1976): bei humor-, empathie- oder sex-bezogenen Stimuli in der Situation: Autofahrer hupen weniger Abb. 7 Kognitive Interventionen Modellernen - bei Kindern: Erwachsene mißbilligen Gewalt (z.B. im Fernsehen) Integration von Antiaggressionsüberzeugungen in das Selbstkonzept - Bsp.: Kinder Gründe generieren lassen, warum Gewalt schlecht ist - generirerte Gründe werden so zu eigenen Überzeugungen Entschuldigung - "nicht absichtlich" Training sozialer Fertigkeiten - Bsp.: Verhandeln, Kompromisse schließen, kooperative Problemlösung 56 Sitzung 5 : Leistungsmotivation Literatur: GEEN, R. G. (1995). Human motivation: A social psychological approach (Chapters 5+6). Pacific Grove, CA: Brooks/Cole. HECKHAUSEN, H. (1989). Motivation und Handeln (2. Aufl.; Kap. 8). Berlin: Springer. W EINER, B. (1992). Human motivation (Chapter 5). Newbury Park, CA: Sage. Motiv nach eigener Leistung: am besten untersuchtes Motiv "need for Achievement" (nAch) Begriff geprägt von MURRAY (1938) eines von 20 "needs" (vgl. MCDOUGALLS "instincts") Definition: need for achievement (nAch) "Desire to accomplish something difficult. To master, manipulate or organize physical objects, human beings, or ideas. To do this as rapidly and as independently as possible. To overcome obstacles and attain a high standard. To excel one's self. To rival and surpass others. To increase self-regard by the successful exercise of talent." (MURRAY, 1938, p. 164) Später: MCCLELLAND: erste theoretische Überlegungen zur Leistungsmotivation Definition (MCCLELLAND): "Auseinandersetzung mit einem Tüchtigkeitsmaßstab" "Thematic Apperception Test" (TAT) erfunden von MURRAY zu einem Instrument der Messung des Leistungsmotivs weiterentwickelt Erwähnung eines Leistungsmotivs mit +1 kodiert Projektiver Test theoretischer Hintergrund: Projektion (FREUD) Vpn müssen Geschichten zu best. vieldeutigen Bildern schreiben diese werden danach ausgewertet, wie sehr sie "leistungsthematisch" sind 57 Abb 1 (HECKHAUSEN: Abb. 8.1.) 58 Frage: Wie allgemein, stabil und valide ist das Leistungsmotiv? zur Generalisierung über Lebensbereiche: kaum Daten zur Stabilität: einige Längsschnittstudien - Korrelationen im Bereich von rtt = 0.3 über mehrere Jahre Konstruktvalidität: positive Korrelation mit Schulnoten, Belohnungsaufschub Aspekte: Personen mit hoher Ausprägung von nAch: eher Ziele mittlerer Erfolgswahrscheinlichkeit (1) auch soziologische und anthropologische Studien zu nAch (2) weiterer Beitrag von MCCLELLAND: Untersuchung: Zusammenhänge zwischen Leistungsmotiv und wirtschaftlichem Wachstum (3) Entwicklungspsychologischer Befund: Jungen mit hoher Leistungsmotivation: von Müttern früh zur Selbständigkeit ("self-reliance") erzogen (4) Analogie zu MAX W EBERS Kapitalismustheorie: - Zusammenhang: protestant. Wertvorstellungen und kapitalistische Wirtschaftsentwicklung - Vermittelnde Variable: "Selbständigkeit" - Selbständigkeit: auch als Ziel der frühen Erziehung im Protestantismus stärker verankert Abb. 2 (W EINER: Diagramm 5.1) MCCLELLAND (1961): Archivarische Untersuchungen zu (4): Abb. 3 (W EINER: Tabelle 5.3) Studien zum Verbindungsglied (3): Beispiele Zusammenhang: nAch und Wirtschaftswachstum Analyse von Kinderbüchern des Jahres 1925 auf Leistungsthema (nAch) wirtschaftliches Wachstum (Stromverbrauch) 1929 bis 1950 in 22 Gesellschaften: r = 0.53 Zusammenhang: nAch und Patente nAch (in Kinderbüchern) Anzahl der Patente in USA 1800 bis 1960 Abb. 4 (W EINER: Abb. 5.3) Unterscheidung: 2 antagonistischen Motivationstendenzen: - Hoffnung auf Erfolg (HE) 59 - Furcht vor Mißerfolg (FM) war notwendig bei Auswertungen der TAT-Protokolle Zentrale Unterscheidung der 2 Tendenzen: ATKINSONS Motivationstheorie (mathematisiert) ATKINSON: - MCCLELLAND: enge Zusammenarbeit mit ATKINSON - gilt als der große Theoretiker der Leistungsmotivation 60 ATKINSONS Motivationstheorie Unterscheidung: 2 antagonistischer Motivationstendenzen - Hoffnung auf Erfolg (HE) - Furcht vor Mißerfolg (FM) Personen unterscheiden sich in der Ausprägung der beiden Motive beide wirken jedoch bei der Handlungssteuerung als Annäherungs- und Vermeidungstendenz zusammen: Wenn HE > FM Wenn FM > HE Person wird gewähltes Ziel anstreben Person wird Ziel anstreben, das Möglichkeit des Scheiterns minimiert (z.B. zweitbeste Möglichkeit auswählen) Weitere Formalisierung der Theorie: 1) Hoffnung auf Erfolg TS = MS x Ps x Is (3 Faktoren) TS = "Tendency to achieve success" MS = "Motive to achieve success" - (entspricht nAch; Persönlichkeitsmerkmal, affektive Disposition) - ATKINSON: "Fähigkeit, über Erfolg Stolz zu empfinden" - wird gemessen durch TAT Ps = "Perceived probability of success" - Schwierigkeit der Aufgabe, (Erfolgs-)Erwartung - Operationalisiert über: rückgemeldete Normen (" .... % vergleichbarer Personen lösen die Aufgabe") oder: tatsächliche Aufgabenschwierigkeit (z.B. Distanz zum Ziel bei Wurfspiel) Is = "Incentive value of success" - (entspricht 1 - Ps) - ATKINSON: "situativ ausgelöster Stolz bei Lösung der Aufgabe" Zusammenhang zwischen Is und Ps obwohl theoretisches Postulat, auch empirisch untersucht Bsp.: Geldgewinne beim Ringwurfspiel - je größer Distanz zum Ziel (1 - Ps), desto höhere Gewinne weisen Vpn einem Treffer zu 61 (Is?) - Geld = Stolz ? "Maximierung von positiver Emotion" 62 2) Furcht vor Mißerfolg TAF = MAF x Pf x If (auch 3 Faktoren) TAF = "Tendency to avoid failure" (Furcht vor Mißerfolg) MAF = "Motive to avoid failure" (Persönlichkeitsmerkmal) ATKINSON: "Tendenz, für einen Mißerfolg Scham zu empfinden" Wird gemessen durch Testangst-Fragebogen (Sarason) Pf = "Perceived probability of failure" (komplementär zu Ps, d.h. Ps + Pf = 1, daher: Pf = 1 - Ps) If = "Negative incentive value of failure" ATKINSON: "situativ ausgelöste Scham bei Lösung der Aufgabe" Postulat: If = Ps Grund: Je leichter die Aufgabe, desto größer die Scham bei Mißerfolg "Minimierung von negativer Emotion" 3. Resultierende Leistungsmotivation: TA = TS - TAF = (MS x Ps x Is) - ( MAF x Pf x If) TA: "Tendency to approach or avoid achievement-related situations" Starke Vereinfachung der Gleichung: möglich, da die 4 Erwartungs- und Anreizparameter wechselseitig mathematisch voneinander abhängig Da und und Is = 1 - Ps Pf = 1 - Ps If = Ps ergibt sich durch Einsetzen: TA = (Ms - MAF) [Ps x (1 - Ps)] 63 Inhaltliche Implikationen: Leistungsverhalten: bestimmt von zwei als unabhängig konzipierten Person-Variablen - Motiv, Erfolg anzustreben - Motiv, Mißerfolg zu vermeiden sowie einer situativen Variablen - subjektiven Erfolgserwartung in bezug auf die Aufgabe Wenn Ms > MAF : TA wird positiv (egal, wie hoch Ps) Die Person sollte Leistungssituationen eher aufsuchen Wenn Ms < MAF : TA wird negativ (egal, wie hoch Ps) Die Person sollte Leistungssituationen eher meiden Aber: Praktisch alle zeigen Leistungsverhalten irgendwelcher Art, auch wenn Ms < MAF Nach ATKINSONS Theorie sind dabei andere, extrinsiche Motive zu berücksichtigen (Bsp.:Macht, Affiliation, ...) Überdeterminiertheit von Leistungsverhalten: Leistungsverhalten = TA + extrinsische Motivation Klassifikation von Personen durch Kombination der beiden Motive: Abb. 6 (W EINER Tab. 5.5) Hohe, mittlere und niedrige resultierende Leistungsmotivation kombiniert mit unterschiedlichen Aufgabenschwierigkeiten: Abb. 7 (W EINER Tab. 5.6) Vorhersagen zur Aufgabenselektion: Personen mit hohem Erfolgsmotiv: wählen Aufgaben mittlerer Schwierigkeit Personen mit mittlerem Motiv: kein Unterschied Personen mit niedrigem Motiv: wählen sehr schwierige oder sehr leichte Aufgaben Aufgabenpräferenz 64 - wichtigstes Testparadigma für ATKINSONS Theorie - Beispielstudie: ATKINSON & LITWIN (1960): Ringwurfaufgabe ATKINSON & LITWIN (1960): Ringwurfaufgabe Vpn konnten Abstand zum Ziel (Schwierigkeit) selbst bestimmen Ergebnis: alle Gruppen präferieren Aufgaben mittlerer Schwierigkeit (Paradigma!) Unterschiede zwischen den Gruppen v.a. im mittleren Schwierigkeitsbereich bei extremen Schwierigkeiten kaum Unterschiede nur teilweise Bestätigung der Theorie Abb.9 (W EINER: Abb. 5.5) Fazit: insgesamt Vorhersagen recht gut belegt für hohes Erfolgsmotiv eher widerlegt für niedriges Erfolgsmotiv GEEN, S. 147 ff. Eine Alternativerklärung: Diagnostizität Zur Erinnerung: bei ATKINSON Maximierung positiver Emotion vs. Minimierung negativer Emotion (= hedonisches Prinzip) Alternatives Prinzip: unterschiedlicher Informationsgehalt (Diagnostizität) Aufgaben mittlerer Schwierigkeit sind diagnostischer Sehr schwere Aufgaben: löst fast keiner (eher externaler Mißerfolg) Sehr leichte Aufgaben: löst fast jeder (eher externaler Erfolg) Aufgaben mittlerer Schwierigkeit: am ehesten Feedback über persönliche Anstrengung und Fähigkeit (interne Faktoren) Exp.: TROPE & BRICKMAN (1975), TROPE (1975): Schwierigkeit und Diagnostizität getrennt variiert Variation der Information: Bedingung A: "90% der Personen mit hoher Fähigkeit sind erfolgreich, 60% der Personen niedriger Fähigkeit sind erfolgreich." Bedingung B: "52% der Personen mit hoher Fähigkeit sind erfolgreich 48% der Personen niedriger Fähigkeit sind erfolgreich." A ist diagnostischer als B (30% vs. 4% Differenz) aber: B weist eher durchschnittliche Erfolgswahrscheinlichkeit auf als A Ergebnis: ingesamt: es wird eher die diagnostische Aufgabe gewählt 65 v.a. aber von Personen mit hohem Leistungsmotiv Abb.10 (W EINER: Abb 5.6, Abb 5.7) 66 Weitere empirische Studien zu ATKINSONS Theorie: MOULTON: Veränderungen im Anspruchsniveau nach Erfolg versus Mißerfolg Anspruchsniveau: "aspiration level"(LEWIN) Studie MOULTON: Klassifikation von Personen nach Erfolgs- und Mißerfolgsmotiv Situationsvariation: Erfolg oder Mißerfolg vor neuer Aufgabenwahl Ergebnis: Erfolgsmotivierte: - wählen schwierigere Aufgaben nach Erfolg (veränderte Ps) - leichtere Aufgaben nach Mißerfolg Mißerfolgsmotivierte: - (zeigen "untypische" Aufgabenwahl:) - leichtere Aufgaben nach Erfolg - schwierigere Aufgaben nach Mißerfolg Abb.8 (W EINER: Tab. 5.7) FEATHER (1961): Ausdauer Vpn konnten bleliebig lange an einer (in Wirklicheit unlösbaren) Puzzle-Aufgabe arbeiten Ergebnis: Erfolgsmotivierte: höhere Ausdauer bei angeblich mäßig geringer Schwierigkeit (Ps = .70) Mißerfolgsmotivierte: höhere Ausdauer bei angeblich extrem hoher Schwierigkeit (Ps = .05) dieser Befund stützt ATKINSONS Theorie Zwei verwandte Ansätze zur Leistungsmotivation: Selbstwirksamkeit Gelernte Hilflosigkeit BANDURA: Selbst-Wirksamkeit (Self-Efficacy) Grundidee aus der Verhaltenstherapie Definition: Selbstwirksamkeit Erwartung, Ziele durch eigenes Handeln herbeiführen zu können. Vier Quellen: - eigene Handlungsergebnisse - Handlungsergebnisse von Vergleichspersonen (Beobachtungslernen) - verbale Überzeugung - physiologische Rückmeldung (z.B. Erregung) 67 Self-Efficacy nicht nur von Informationen bestimmt, sondern auch von Stimmungen 68 Konsequenzen hoher Self-Efficacy: “alles geht besser": Leistungsmotivation: höhere Leistung Karriere-Entscheidungen Gesundheitsbezogenes Verhalten (z.B. Reha-Sport nach Herzinfarkt; weniger Streß bei Überwindung von Phobien) Fazit: Auch Erwartungen variieren interindividuell und übersituativ (Bei Atkinson werden nur die Motive als Person-Variable gefaßt, als situativer Einfluß geht nur die Aufgabenschwierigkeit ein.) SELIGMAN (1975): Gelernte Hilflosigkeit Gegenteil von Self-Efficacy aus Beobachtungen in Lernexperimenten entstanden: - Hunde konnten Schock vermeiden, wenn sie auf Warnsignal eine best. Reaktion zeigten - wenn Schock nicht kontrollierbar war: anschließendes Kontingenzlernen erschwert (nicht kontrollierbar: unabhängig von Reaktion des Tieres nicht-kontingentes Feedback) SELIGMAN übertrug diesen Tierbefund auf menschliches Verhalten postulierte ein subjektives Gefühl der Hilflosigkeit, das als generalisierte Erwartung wirkt Exp.: HIROTO & SELIGMAN (1975) Abb. 11 (GEEN: Abb. 5.7) Konsequenzen gelernter Hilflosigkeit: motivational: Passivität und Apathie affektiv: emotionale Indifferenz, Depression, reduziertes Selbstwertgefühl kognitiv: adäquate Informationsverarbeitung beinträchtigt (v.a. Erkennen von vorhandenen Wenn-Dann-Beziehungen) Probleme: a) auch verstärkte Kontrollanstrengung als Konsequenz von EH beobachtet (W ORTMAN & BREHM: Reaktanz vs. Hilflosigkeit) b) Determinanten der Generalisierung? 69 Weiterentwicklungen der Theorie aufgrund der Probleme: ABRAMSON, SELIGMAN & TEASDALE (1978): Revidierte Theorie Non-Kontingenz als aversives Ereignis löst Attributionen aus (internal vs. external, stabil vs. variabel, global vs. spezifisch) generalisierte EH: wenn stabil und global attribuiert affektive Reaktionen und Erwartungen zukünftiger Kontrollierbarkeit sind Konsequenzen der Attribution 70 71 Sitzung 6: Dimensionen der Emotion Emotionspsychologie: Grundlagen, Fragestellungen, theoretische Orientierungen Überblick 1. Definitionen 2. Aspekte von Emotionen 2.1 Subjektives Erleben 2.2 Physiologie 2.3 Verhalten / Ausdruck 2.4 Kognition 3. Messung verschiedener Emotionsaspekte 3.1 Subjektive Maße (Fragebogen) 3.2 Physiologische Maße 3.3 Verhaltensmaße 4. Einige Fragestellungen der Emotionsforschung 4.1 Wie viele Emotionen gibt es? Gibt es "Basisemotionen"? 4.2 Welche Funktion(en) haben Emotionen? Sind Emotionen "gut oder schlecht"? 4.3 Zusammenspiel von Kognition, Physiologie und Verhalten als Quellen des subjektiven Erlebens von Emotionen 4.4 Einfluß von Emotionen auf kognitive Prozesse Literatur Carlson, J. G., & Hatfield, E. (1992). Psychology of emotion. Fort Worth, TX: Harcourt Brace Jovanovich. Kapitel 1 bis 7. Geen, R. G. (1995). Human motivation: A social psychological approach. Pacific Grove, CA: Brooks/Cole. Kapitel 8. Meyer, W.-U., Schützwohl, A., & Reisenzein, R. (1993). Einführung in die Emotionspsychologie (Bd. 1). Bern: Huber. Meyer, W.-U., Schützwohl, A., & Reisenzein, R. (1997). Einführung in die Emotionspsychologie (Bd. 2). Bern: Huber. Ortony, A., Clore, G. L. & Collins, A. (1988). The cognitive structure of emotions. Cambridge: Cambridge University Press. 72 1. Definitionen: Emotion, Gefühl, Stimmung, "affect" vs. Affekt a) Emotion Definition: Emotion "Eine genetische und erworbene motivationale Prädisposition, auf bestimmte interne und externe Zustände mit Gefühlen, physiologischen Veränderungen und Verhalten zu reagieren" (CARLSON & HATFIELD, 1992, S. 5, Übersetzung GB) Abb 1 (Definitionen aus CARLSON & HATFIELD; PARROTT) b) Stimmung Vergleich: Emotion - Stimmung: Emotion Stimmung ja nein hoch niedrig eher kurz eher lang Kriterium: Objekt-/Ereignisbezu g Erlebnisintensität Dauer c) Gefühl ("feeling") Aspekt der dem Bewußtsein zugänglichen subjektiven Erfahrung In englischsprachiger Literatur "feeling states" auch synonym zu "moods" PARROTT: nichtemotionale "cognitive feelings" (Bsp.: ... !) nicht-emotionale Gefühle: feeling of knowing something, Überraschung d) "affect" vs. Affekt "Affekt" (deutsch): meist eng begrenzt auf extreme Emotionen (z.B. "Tötung im Affekt") "affect" (englisch)hingegen allgemeiner, Oberbegriff für Stimmungen und Emotionen 73 e) "appraisal" Kognitive Interpretation und Beurteilung der Bedeutung einer Situation und ihrer Veränderbarkeit in bezug auf eigene Belange, Werte, Ziele 74 2. Aspekte von Emotionen 2.1 Subjektives Erleben Lust versus Unlust als bedeutsame Dimension emotionalen Erlebens (?) 2 Grundfragen: a) Was ist das Wesen emotionalen Erlebens im Kontrast zu anderen Erlebensmodalitäten? b) Was ist die spezifische Natur des Erlebens unterschiedlicher Emotionen ? 3 Erklärungsansätze zur Beantwortung dieser Fragen (FRIJDA): zentrale Theorien (z.B. CANNON): Aktivität des ZNS produziert emotionales Erleben, fügt dieses der bloßen Wahrnehmung hinzu das emotionale Erleben evoziert Handlungen: Wir laufen weg und zittern, weil wir uns fürchten. periphere Theorien (z.B. JAMES; LANGE): Emotionales Erleben: Epiphänomen v. Körperempfindungen u. körperlichen Reaktionen Wir fürchten uns, weil wir zittern und weglaufen. kognitive Theorien (z.B. SCHACHTER; BEM): Kognitive Interpretationen sind essentielle Bestandteile emotionalen Erlebens meist weitere notwendige Bestandteile: Bsp.:Rückmeldungen von der Peripherie, Erregung: Wir fürchten uns, weil wir körperliche Erregung fühlen und diese Erregung einer bedrohlichen Situation zuschreiben (SCHACHTER) Oder eigenes Verhalten: Wir fürchten uns, weil wir Erregung fühlen und wahrnehmen, daß wir uns furchtsam verhalten (BEM) 75 76 2.2 Physiologie Autonomes Nervensystem: Aktivierung des ANS: notwendiger Bestandteil v. Emotionen (Ansicht mancher Forscher) dafür wenig Evidenz Aber: Periphere physiologische Aktivierung scheint zur Intensität und Qualität emotionaler Erfahrung beizutragen ZNS: Evidenz, daß Aktivität bestimmter Gehirnregionen an emotionalem Erleben beteiligt ist: Limbisches System, Hypothalamus Effekte künstlicher Stimulation und Studien an Personen mit Gehirnschädigungen: Hinweis: daß Aktivität dieser Gehirnregionen unmittelbar zu emotionalem Erleben führt (ohne periphere Rückmeldung und ohne bewußte Kognition) 2.3 Verhalten / Ausdruck Gesichtsausdruck und Körperhaltung können über propriozeptive Rückmeldung das emotionale Erleben beeinflussen LAIRD: Aktivierung von Gesichtsmuskeln, die am Lächeln (Stirnrunzeln) beteiligt sind: Verstärkung positiver (negativer) Emotion STEPPER & STRACK aufrechte (vs. gebeugte) Sitzhaltung verstärkt Erleben der Emotion Stolz Verhaltensbereitschaft ("action readiness") als integraler Bestandteil des emotionalen Erlebens (z.B. FRIJDA) auch wenn entsprechende Handlungen nicht ausgeführt werden (z.B. Bereitschaft zum Angriff [Rückzug] als Bestandteil von Ärger [Furcht]) 77 78 2.4 Kognition Kognitionen können in unterschiedlicher Weise zum emotionalen Erleben beitragen: "Cognitive feelings" können das emotionale Erleben verstärken Bsp.:Gefühle der Sicherheit, der Verwirrung, des Wiedererkennens etc. "Cognitive appraisal": Kognitive Interpretationen der Situation definitorisch herangezogen, um spezifische Emotionen zu unterscheiden Bsp.: Furcht beinhaltet eine Kognition der Bedrohung können das emotionale Erleben verstärken oder abschwächen Kognitive Interpretationen zunächst unspezifischer körperlicher Erregung können emotionales Erleben beeinflussen oder produzieren (Fehlattribution; Erregungstransfer) Kontroverse: Wie erhalten die nicht-kognitiven Quellen / Aspekte der Emotion zum bewußten, subjektiven Erleben Zugang? 3 Positionen Bewußte Kognition unnötig Rückmeldungen über Körperempfindungen und Verhalten: - erzeugen direkt das emotionale Erleben - werden unmittelbar als emotional empfunden Evidenz: STEPPER & STRACK (1993, JPSP) Effekte subtiler, "unaufdringlicher" Variationen von Gesichtsausdruck / Körperhaltung Bewußte Kognition notwendig ohne bewußte semantische Interpretationen / Attributionen kein emotionales Empfinden heute eher überholte Position stattdessen: ... Implizite, unbewußte Inferenzen wahrgenommenes eigenes Verhalten (oder eigener Gesichtsausdruck): wird mit Aspekten der Situation "verrechnet" 79 das Ergebnis führt zu einer emotionalen Empfindung jedoch: ohne daß dieser Verarbeitungsprozeß dem Bewußtsein zugänglich ist analog zu Tiefenwahrnehmung oder Größenkonstanz 3. Messung verschiedener Emotionsaspekte 3.1 Subjektive Verfahren (Fragebogen) (a) Fokus auf bestimmte Emotion oder (b) Fragen zu mehreren theoretisch relevanten Emotionen Beispiel zu (a) Fokus auf bestimmte Emotion STAI: State-Trait-Anxiety Inventory (SPIELBERGER et al.) Unterscheidung: “state” und “trait” state: augenblicklicher Zustand trait: allgemeine Disposition Abb 2 STAI (CARLSON & HATFIELD, S. 233-234) Beispiele zu (b): Fragen zu mehreren theoretisch relevanten Emotionen EPI: Emotions Profile Index (PLUTCHIK & KELLERMAN) Erfaßt 8 "Basisemotionen" "Forced choice": P muß bei 43 Adjektivpaaren jeweils angeben, welches von zwei Adjektiven ihn/sie besser beschreibt (z.B. brooding - resentful; quarrelsome - shy) Adjektiv-Checklisten: MACL: Mood Adjective Checklist (NOWLIS) Adjektiv-Skalen zur Einschätzung der Stimmung: SES (HAMPEL) Faktoren der SES: - gehobene Stimmung (fröhlich, heiter, freudig...) 80 - gedrückte Stimmung (traurig, betrübt, enttäuscht ...) Mißstimmung (ärgerlich, gereizt, wütend...) ausgeglichene Stimmung (gesammelt, besonnen, ruhig...) Trägheit (gleichgültig, schlaff, teilnahmslos...) Müdigkeit (erschöpft, abgespannt, müde...) 81 3.2 Physiologische Maße Messung von Veränderungen bestimmter physiologischer Körperreaktionen meist auf der Hautoberfläche Gebräuchliche Verfahren: ZNS-Effekte: Messung der Muskelanspannung v.a. der Gesichtsmuskulatur Messung (elektr. Potentiale) durch Elektromyographen (EMG) Bsp.: Korrugator- vs. Zygomaticus-Aktivität Messung der elektrischen Aktivität von Neuronen im Gehirn durch Elektroenzephalographen (EEG) Bsp.: Hemisphärenasymmetrie bei Verarbeitung angenehmer vs. unangenehmer Stimuli ANS-Effekte: Herzfrequenz-Messung durch EKG Messung der Schweißdrüsenaktivität: Widerstandsmessung: galvanische Hautreaktion (GSR = Variationen d. elek Widerstand) Leitfähigkeitsmessung: "skin conductance response" (SCR = Leitfähigkeit) Messung der Hauttemperatur Polygraph: registriert simultan mehrere physiologische Reaktionen Einsatz als "Lügendetektor" zweifelhaft Hohe "Falsch-Positiv-Rate" bei der Identifiktion von "Lügnern" Beispiel: HOKANSON (1961) Untersuchung zur Frustrations-Aggressions-Hypothese laut Fragebogendaten: Hoch vs. niedrig "feindselige" Vpn werden geringfügig oder stark "frustriert" AVn: systolischer Blutdruck; Hautleitfähigkeit Ergebnisse: 82 3.3 Abb 3 (CARLSON & HATFIELD: Table 7.2 S. 249) Verhaltensmaße Gründe für den Einsatz: Notwendigkeit, wenn Probanden nicht über ihre Emotionen berichten können (Experimente mit Tieren oder Kindern) um Selbstberichte zu validieren bzw. davon unabhängige Evidenz zu erhalten (z.B. im klinischen Bereich) standardisierte Maße der Verhaltensbeobachtung am Menschen Beispiele: Gesichtsausdruck: gute interkulturelle Fähigkeiten im "Lesen von Emotion aus Gesichtern" standardisiert und verfeinert in der FAST FAST: "Facial Affect Scoring Technique" (EKMAN & FRIESEN) Abb 4 (CARLSON & HATFIELD: FIGURE 12.1 S. 451 Gesichtsausdruck) Verhalten von Kindern: IBR: "Infant Behavior Record" (Bailey) Experten beurteilen 30 Traits anhand des Verhaltens Valider Indikator von Fähigkeiten und Entwicklungsstand bei Kindern über 18 Monaten Abb 5 (CARLSON & HATFIELD: Table 7.3 S. 256 IBR Record) 4. Einige Fragestellungen der Emotionsforschung 4.1 Wie viele Emotionen gibt es? Gibt es "Basisemotionen"? einige Theorien: postulieren einige wenige "Basisemotionen" oder "Primäremotionen" Basisemotionen: bilden Grundlage für alle weiteren Emotionen 83 Beispiel: Psychoevolutionäre Theorie von PLUTCHIK 8 Basisemotionen, die 8 grundlegenden biologischen Funktionen zugeordnet sind Abb 6 Auslösende Ereignisse etc. (MEYER et al., Bd. II, S. 151) "Emotion wheel" analog zu Farbenkreis andere Emotionen sind entweder: - Variationen in der Intensität der Basisemotionen - oder Mischformen Abb 7 Emotionskreis und "Emotionskörper" (MEYER et al., Bd. II, S. 152) Annahme der Basisemotionen: auf den ersten Blick plausibel (Analogien zur Chemie) und sparsam Problem des Kriteriums Frage: Was ist das Kriterium? Kandidaten: - Universalität - Nichtreduzierbarkeit - Auftreten in frühen Entwicklungsstadien (phylo- oder ontogenetisch) - biologisch-adaptive Funktionalität - ... Alle genannten Kriterien sind problematisch verschiedene Theoretiker: verwenden unterschiedliche Kriterien gelangen zu unterschiedlichen Listen von Basisemotionen: Abb 8 Primäre Emotionen (MEYER et al., Bd. II, S. 159) Abb 9 Basisemotionen und Kriterien (ORTONY et al.,1988, S. 27) Begriff der "Palettentheorien" (SCHERER) Alternative: ORTONY et al.: Modell zur Klassifikation nach theoretischen Kriterien Einige Emotionen sind grundlegender als andere 84 Grund: weniger komplexe Spezifikationen und auslösende Bedingungen bei best. E. Bsp.: "Hoffnung" ist grundlegender als "Enttäuschung" Aber: es werden keine Basisemotionen in einem absoluten Sinn postuliert Abb 9 Kognitive Struktur von Emotionen (ORTONY et al., 1988, S. 19) 85 4.2 Sind Emotionen "gut oder schlecht"? Welche Funktion(en) haben Emotionen? Im hedonischen Sinne: die meisten Emotionen können als für das Individuum "gut" oder "schlecht" eingestuft werden: Ekstase, Stolz, Schadenfreude demnach "gut" Ärger, Traurigkeit, Mitleid sind demnach "schlecht" hedonische Dimension bei einigen Emotionstheorien: (z.B. ORTONY et al.) notwendiges Merkmal von Emotionen in anderen Theorien: (z.B. PLUTCHIK) auch hedonisch neutrale bzw. ambivalente Zustände als Emotionen (Erwartung, Überraschung) Im funktionalen Sinne Bewertung ist schwieriger viele Theorien: nehmen an, daß Emotionen bestimmte Funktionen erfüllen schon gesehen: Adaptive Funktion im biologischen Sinne bei PLUTCHIK Funktionale Argumente auch in anderen Theorien. TOMKINS sieht Emotionen sogar als primären Motivator menschlichen Verhaltens: "Without emotion, nothing else matters." Problem: Biologisch adaptive Verhaltensmuster, die unseren Vorfahren einst das Überleben sicherten, können in der heutigen Kultur dysfunktional sein also eher Frage: Unter welchen situativen Bedingungen ist welche Emotion für wen funktional oder dysfunktional? 4.3 Zusammenspiel von Kognition, Physiologie und Verhalten als Quellen des subjektiven Erlebens von Emotionen nächste Sitzung ausführlich! 86 4.4 Einfluß von Emotionen auf kognitive Prozesse (Gedächtnis, Wahrnehmung, Informationsverarbeitung, Urteilsbildung etc.) übernächste Sitzung ausführlich! Sitzung 7: Kognition und Emotion Kognition und Physiologie als Quellen des subjektiven Erlebens von Emotionen Überblick 1. Kognitionen über die Ursachen physiologischer Erregung 1.1 Die Position von JAMES und die Kritik von CANNON 1.2 Zwei-Faktoren-Theorie von STANLEY SCHACHTER 1.3 Experiment von SCHACHTER & SINGER (1962), Folgestudien 2. Kognitionen über die Situation: Appraisal-Theorien 2.1 Attributionale Theorien der Emotion 2.2 Appraisal als notwendige Bedingung für die Auslösung von Emotionen: RICHARD LAZARUS 2.3 Umfassende kognitive Taxonomien: ROSEMAN; ORTONY et al. Literatur CARLSON, J. G., & HATFIELD, E. (1992). Psychology of emotion. Fort Worth, TX: Harcourt Brace Jovanovich. CLORE, G. L., SCHWARZ, N., & CONWAY, M. (1994). Affective causes and consequences of social information processing. In R. S. Wyer & T. K. Srull (Eds.), Handbook of social cognition (2nd ed., Vol. 1, pp. 323-417). Hillsdale, NJ: Erlbaum. MEYER, W.-U., SCHÜTZWOHL, A. & REISENZEIN, R. (1993). Einführung in die Emotionspsychologie (Bd. 1). Bern: Huber. REISENZEIN, R. (1983). The Schachter theory of emotion: Two decades later. Psychological Bulletin, 94, 239-264. 87 SCHACHTER, S., & SINGER, J. E. (1962). Cognitive, social, and physiological determinants of emotional state. Psychological Review, 69, 379-399. [Deutsch in W. Stroebe (Hg.) (1978). Sozialpsychologie I (S. 114-156). Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.] 88 1. Kognitionen über die Ursachen physiologischer Erregung Arbeiten von STANLEY SCHACHTER - Klassisches Beipiel für kognitiv-sozialpsychologischen Ansatz - Zwei-Faktoren-Theorie der Emotion - Stand der Diskussion in der Emotionsforschung, wie er sich für Schachter dargestellt hat: 1.1 Die Position von JAMES und die Kritik von CANNON WILLIAM JAMES (1884) wichtigste Emotionstheorie bis zu diesem Zeitpunkt provokative These, die dem Alltagsverständnis von Emotionen diametral zuwiderläuft Zusammenhang von Emotionserleben und körperlicher Veränderung Alltagsverständnis: zuerst das Erleben, dann der Ausdruck JAMES: umgekehrt! (erst der Ausdruck, dann das Erleben) "JAMES-LANGE-Theorie" dänischer Physiologe LANGE: vertrat eine ähnliche These wie JAMES Behauptung, daß Aktivität "innerer Organe" (Eingeweide oder "Viszera", vom autonomen NS gesteuert), "autonome Reaktion" für Entstehen einer Emotion verantwortlich Also: "Wir fürchten uns vor dem Bären, weil wir zittern und davonlaufen" Emotion = Empfindung körperlicher Veränderung Drei Elemente: 1) Wahrnehmung (und Bewertung) einer erregenden Tatsache ist hinreichende Bedingung für körperliche Veränderung 2) Veränderungen sind emotionsspezifisch und können bewußt erlebt werden 3) Das bewußte Erleben der körperlichen Veränderung ist die Emotion JAMES: Es gibt keine "körperlosen" Emotionen Abb. 1 MEYER et al.: Abb. 3.1 ( Bd. 1, S. 95 ) 89 90 Erste Kritik an der ursprünglichen Fassung in 2 Punkten: nicht Wahrnehmung, sondern Bewertung der Situation relevant (Jäger sieht Bären im Wald Freude) Gleichbehandlung viszeraler Veränderungen und willkürlicher Handlungen (Furcht vor Regen = Kauf eines Regenschirms ?) Reaktion von JAMES: nicht mehr Wahrnehmung der Situation, sondern von ihr ausgelöste "Idee" des lebenswichtigsten Elements entscheidend (also doch Bewertung und Interpretation?) Betonung der viszeralen Veränderungen zu Lasten der willkürlichen Reaktionen Abstufung in der Intensität (Furcht vor Regen ungleich Furcht vor Bären) Grundlegendere Kritik des Physiologen CANNON (1927) Fünf Einwände: 1. Autonome Reaktionen zu unspezifisch 2. Autonome Reaktionen zu langsam 3. Innere Organe relativ unempfindlich 4. Abtrennung der viszeralen Rückmeldungen vom ZNS: führt nicht zum Ende emotionalen Erlebens 5. Künstliche Herbeiführung typischer viszeraler Veränderungen: führt nicht zum Erleben einer entsprechenden Emotion Neuere Untersuchungen: Kritik überzogen zu 1 u. 2: EKMAN & LEVENSON: doch unterschiedliche Muster autonomer Reaktion bei unterschiedlichen Emotionen auch schnelle Reaktionen möglich zu 4: Tierversuche Berichte von querschnittgelähmten Personen (Aber: Methodenprobleme!) 91 1.2 Zwei-Faktoren-Theorie von STANLEY SCHACHTER SCHACHTER hat Teile der Kritik CANNONS aufgegriffen (s.o. Punkte 1 und 5) von JAMES übernommene Annahme: körperliche Empfindung bilden notwendigen Bestandteil von Emotionen allerdings keinen hinreichenden deshalb: 2 Faktoren: physiologische Erregung (Intensität der Emotion) Kognition (Qualität der Emotion) Frage: Worin besteht die kognitive Komponente? - Spezielle Kausalattribution: Zuschreibung der Erregung auf emotionale Ursache - Keine Emotion, wenn nicht-emotionale Ursache identifiziert wird (z.B. Medikament) - Emotion ist somit ein "postkognitives" Phänomen natürliche Situationen: beide Faktoren "vollständig miteinander verwoben" Erklärung wird "automatisch" ausgelöst kein bewußtes Erklärungsbedürfnis ähnlich wie bei Wahrnehmungsvorgängen, z.B. Größenkonstanz Zur Überprüfung der postulierten Dynamik: "natürliche Verwobenheit" muß aufgebrochen und eine Situation hergestellt werden, in der ein Erklärungsbedürfnis existiert 1.3 Experiment von SCHACHTER & SINGER (1962), Folgestudien Realisierung dreier Faktoren (UV): (1) Erregung: Injektion von Adrenalin vs. Placebo (Kochsalz) Experimenteller Kontext: Angeblich soll Einfluß eines Vitamins (Suproxin) auf Sehfähigkeit getestet werden (2) Erklärungsbedürfnis: Vpn werden über "Nebenwirkungen von Suproxin" richtig informiert, falsch informiert, oder nicht informiert (3) Emotionale Kognition: 92 Angebliche "Mitversuchsperson" verhält sich während "Wartezeit" entweder euphorisch (bastelt Papierflugzeuge, benutzt Hoola-Hoop-Reifen) oder verärgert (zerreißt beleidigenden Fragebogen) 93 Abhängige Variablen (AV) - Verhalten - Selbstratings der Emotion Hypothesen: ? Versuchsplan und Ergebnisse: Abb. 2 & 3 MEYER et al.: Tab. 3.1. (Bd.1, S. 124) Fazit: Nur teilweise Bestätigung deutlicher beim Verhalten als bei den Selbstberichten Werte in Placebo-Gruppe überraschend hoch Aber: Viel Nachfolgeforschung ausgelöst; Überblicksartikel von REISENZEIN (1983, Psychological Bulletin) Abb. 4 MEYER et al.: Tab. 3.2 (Bd. 1, S.127) Beispiel: ROSS, RODIN & ZIMBARDO (1969): Beeinflussung von Furcht Schockerwartung Lärm als Quelle für Fehlattribution: zwei Angaben über "Nebenwirkung" des Lärms: entweder - Furchtsymptome (Lärmattribution) oder - irrelevante Symptome (Schockattribution) Verhaltensmaß für Furcht: Wahl einer von zwei Puzzle-Aufgaben (Geld verdienen oder Schock vermeiden) Ergebnis: bei Fehlattribution der Erregung auf Lärm: weniger lange an Puzzles gearbeitet, mit denen man den Schock vermeiden konnte Alternativinterpretation (CALVERT-BOYANOWSKI & LEVENTHAL, 1975) Konfundierung von Fehlattribution und korrekter Information über Symptome Hypothese der "vorbereitenden Information" (z.B. beim Zahnarztbesuch) Wissen um Symptome allein furcht-mindernd 94 Komplementäre Erklärungen 95 Modifikation der Zwei-Faktoren-Theorie durch VALINS (1966) nicht tatsächliche Erregung von Bedeutung es genügt der Glaube, erregt zu sein Also: rein kognitive Theorie "Wahrnehmung" im weitesten Sinne Experiment: Bilder aus "Playboy" Rückmeldung der "Herzrate" AVn: Attraktivitätsrating, Bilder mitnehmen (Emotion?) Vermittelnder Prozeß: Selbstpersuasion Suche nach Aspekten der Bilder, die mit der Rückmeldung konsistent sind Ergebnis: Effekte sind zeitstabil (VALINS, 1966) änderungsresistent (Aufklärung zwecklos; VALINS, 1974) kapazitätsabhängig (nur bei langer Betrachtungsdauer; BAREFOOT & STRAUB, 1971) MARSHALL & ZIMBARDO (1979): Replikationsversuch Kritischste Studie zu SCHACHTER & SINGER nur Euphorie-Bedingungen Placebo vs. Adrenalin (2 Dosierungen) alle Vpn "fehlinformiert" über Nebenwirkungen Ergebnis: dem von Schachter & Singer genau entgegengesetzt durch Adrenalin ausgelöste Erregung eher mit negativen Gefühlen verbunden nicht so "kognitiv ausformbar", wie sich das SCHACHTER & SINGER vorstellten Personen lernen, daß Adrenalinausschüttung natürlicherweise eher mit negativen Emotionen verbunden ( Signalwirkung, Funktionalität) 2. Kognitive (Appraisal-)Theorien der Emotion Evidenz spricht gegen physiologische Erregung als notwendige Bedingung emotionalen Erlebens (Tierversuche; Befunde bei Querschnittgelähmten; Beta-Blocker; Arbeiten von VALINS) 96 entsprechend: mehrere Emotionstheorien fokussieren allein auf die kognitive Interpretation der Situation 2.1 Attributionale Theorien der Emotion Attribution ist Voraussetzung für Emotion Schon bei SCHACHTER: Attribution der eigenen Erregung Bei Attributionstheoretikern der Emotion (z.B. W EINER): Attribution von emotionsrelevanten Ereignissen Keine Annahmen über autonome Erregung. Primat der Kognition BERNARD W EINER: größte Systematisierung 3 Dimensionen: - Personabhängigkeit oder Lokation (internal/external) - Stabilität - Kontrollierbarkeit dadurch: differenzierte Aussagen möglich, welche kognitive Interpretation welche spezifische Emotion auslöst (im Gegensatz zu JAMES, SCHACHTER, VALINS u.a.). Aber: es werden nicht immer Ursachenzuschreibungen vorgenommen hängt von Charakteristika des Ereignisses ab: unerwartet, negativ, persönlich wichtig Beispiele: ... Sequentieller Prozeß der Emotionsentstehung: Abb. 5 MEYER et al.: Abb. 4.2 (Bd. 1, S. 170) Sequenz: - nicht empirisch belegt - nicht immer plausibel Ziel W EINERS nicht vollständige Systematisierung aller Emotionen, sondern Schwerpunkt auf "dimensionsabhängigen" Emotionen: Schuld, Stolz, Mitleid, Ärger Abb. 6 MEYER et al.: Tab. 4.1 (Bd. 1, S. 174) 97 Kontrollierbarkeit: - zentrale Rolle - Implikationen für Verantwortlichkeit u. soz. Interaktionen (Hilfeverhalten!) W EINER, PERRY & MAGNUSSON (1988): Studien zu sozialen Stigmata Abb. 7 MEYER et al.: Tab. 4.2 (Bd. 1, S. 178) Wahrgenommene Verantwortlichkeit: kovariiert positiv mit Ärger kovariiert negativ mit Mitleid Verhaltenskonsequenzen (Helfen) Empirische Arbeiten Arbeiten von W EINER und von REISENZEIN Hilfeverhalten: über die spezifischen Emotionen Ärger und Mitleid vermittelt Exp.: Person stürzt in der U-Bahn: "körperbehindert" vs. "betrunken" Analogstudie zu einem Experiment von PILIAVIN et al., 1969) Weitere empirische Arbeiten zur attributionalen Interpretation der Emotionen anderer W EINER, GRAHAM, STERN & LAWSON (1982) Inwieweit lassen sich aus emotionalen Reaktionen anderer Personen deren Ursachenzuschreibungen erschließen? Bsp.: Lehrer ärgert sich über Schülerleistung: Welche Ursache nimmt der Lehrer wahr?: - mangelnde Anstrengung - mangelnde Fähigkeit - eigenes Versagen - oder Zufall? Abb.8 MEYER et al.: Abb. 4.4 (Bd. 1, S. 181) Kritikpunkte zu WEINERS Theorie: • • • Gut gestützt durch Vielzahl empirischer Arbeiten Kognition, Emotion und Verhaltenskonsequenzen wurden untersucht Aber: ausschließlich verbale Maße, Simulationsstudien 98 • • Zu starke Betonung bewußter Kognitionen? Angenommene Sequenz z.T. unplausibel insbes. Abfolge: "erst Ursachenfaktor identifizieren, dann auf Dimension einordnen" • Erster Bewertungsschritt: Nicht immer Zielerreichung im Vordergrund (Bsp.: Mitleid) Oder: Ziel nur in sehr weitem Sinne (Standards, Normen, s. ORTONY et al., 1988) Attributionale Emotionstheorien im klinischen Bereich Attributionsstil chronische Depression BECK: "kognitive Triade" SELIGMAN, später ALLOY & ABRAMSON: internal, global, stabiler Attributionsstil sogenannte Diathese-Stress-Theorien (zwei Faktoren) 2.2 Appraisal als notwendige Bedingung für die Auslösung von Emotionen: Der Ansatz von RICHARD LAZARUS LAZARUS betont Notwendigkeit der Situationseinschätzung für Entstehen von Emotionen keine spezifisch attributionstheoretischen Annahmen Motivationaler Kontext: d.h. Erreichen von Zielen Bewältigung von Streß (klinische Relevanz) umfassendere Perspektive als W EINER in seiner Theorie: nur Grundemotionen vertreten best. Einordnungen nicht möglich: (Bsp.: Mitleid, Schadenfreude) Unterscheidung: primäres Appraisal, sekundäres Appraisal und Reappraisal Primäres Appraisal: Einschätzung der Situation im Hinblick auf eigenes Wohlergehen: - günstig/positiv, irrelevant oder "stressful"? später ausdifferenziert: Abb.9 (OATLEY: Abb. S. 101) Sekundäres Appraisal: Einschätzung eigener Reaktionsmöglichkeiten in Situation (Coping): 99 - Kontrolle? - relevante Fertigkeiten? - kann ich die Belastung aushalten? etc. Reappraisal: Neubewertung der Situation (nachdem sie durch eigene Reaktion verändert wurde) 100 Coping-Prozesse - wesentlicher Bestandteil des Emotionsgeschehens 2 generelle Strategien: Linderung: - intrapsychisch (z.B. durch Verdrängung) - somatisch (z.B. durch Betäubungsmittel) direktes Handeln (z.B. Planung, Aufschieben, Flucht, Wahl geeigneter Umwelten) Dimensionen des Appraisal Verschiedene Autoren: unterschiedliche Vorschläge zu Dimensionen des Appraisal Abb.10 CLORE et al.: Tabelle 7.2 (1994) 2.3 Umfassende kognitive Taxonomien: ROSEMAN; ORTONY, CLORE & COLLINS Eine dimensionale Theorie: ROSEMAN (1992) wie fünffaktorieller varianzanalytischer Plan mit fehlenden Zellen d.h. einige Variablen spielen nur unter bestimmten Umständen eine Rolle Beispiel: (?) Abb.11 CLORE et al.: Table 7.2 (S. 344) Evidenz im wesentlichen aus "Simulationsstudien" und Selbstbericht-Daten Interessant: - Unterscheidung: appetitive Motivation versus aversiven Motivation zur Unterscheidung von z.B. Freude - Erleichterung bzw. Schuld - Scham Interindividuelle Unterschiede in der Motivation werden einbezogen - auch bei identischen Kognitionen über Situation: unterschiedliche Motive können zu unterschiedlichen Emotionen führen - auch Intensitätsunterschiede durch Motivausprägungen erklärbar Kritischer Aspekt: Überraschung vollständig erklärbar als Reaktion auf Unerwartetheit keine weitere Appraisal-Dimension beteiligt ( überhaupt eine Emotion?) 101 Eine hierarchische Theorie: ORTONY, CLORE & COLLINS (1988) Grundannahmen: Alle Emotionen setzen bewertende Reaktion voraus sind also positiv oder negativ (= einzige notwendige Bedingung für Emotion) bewertende Reaktionen: können auf 3 Aspekte o. Umweltveränderungen fokussiert sein: Ereignisse, Agenten, Objekte Abb. 12 (?) ORTONY et al.: Figure 2.1 (S. 19) Ereignisbasierte Emotionen sind die größte Gruppe hier weitere Unterscheidungen nach: - Konsequenzen für andere vs. Selbst - Relevanz vs. Irrelevanz der Zukunftserwartungen - Bestätigung vs. Nichtbestätigung dieser Erwartungen Bei handlungsbasierten Emotionen weitere Unterteilung nach Selbst vs. anderer handelnd Bei objektbezogenen Emotionen keine weitere Unterteilung Schließlich gibt es eine Verbindung ("compound") zwischen handlungsbezogenen und ereignisbezogenen Emotionen "synthetischer" kognitiver Ansatz: - es ergeben sich Emotionen, für die in einer natürlichen Sprache keine Wörter existieren müssen - (z.B. "happy for"; "fears-confirmed") Empirische Evidenz für ORTONY, CLORE & COLLINS: ebenfalls aus verbalen Selbstberichtdaten aber in Reaktion auf reale Ereignisse Bsp.: Fans beim Basketball: Reaktionen vor, während, nach dem Spiel Theorie wird durch die berichteten Emotionen weitgehend gestützt 102 Sitzung 8: Emotion und Kognition Einfluß von Emotionen und Stimmungen auf kognitive Prozesse Überblick 1. Emotion Gedächtnis 2. Stimmung Urteil 3. Emotion/Stimmung Prozesse der Informationsverarbeitung 4. Stimmung Aufmerksamkeitslenkung, Kategorisierung Literatur CLORE, G. L., SCHWARZ, N., & CONWAY, M. (1994). Affective causes and consequences of social information processing. In R. S. Wyer & T. K. Srull (Eds.), Handbook of social cognition (2nd ed., Vol. 1, pp. 323-417). Hillsdale, NJ: Erlbaum. 103 Gute Stimmung: Vielzahl von Urteilen und Handlungen wird positiver Stimmung beeinflußt Urteile und Handlungen: gute versus schlechte Stimmung Beispiele: WM-Sieg Frankreichs und politisches "Klima" für Einwanderer: FR: "WM-Sieg macht Franzosen großzügiger..." Wetter und Aktienindex: Abb.1 SAUNDERS: Weather and the Stock Market; (1993) unterschiedliche, z.T. konkurrierende Erklärungen: 1. Emotion Gedächtnis Ausgehend von Stimmungseinflüssen auf Hilfeverhalten: ALICE ISEN: erste Hypothesen über Stimmung und Gedächtnis "Cognitive loop" Bsp.: ISEN, SHALKER, CLARK, & KARP (1978): Untersuchung in Einkaufszentrum Geschenk beeinflußt Stimmung und Zufriedenheit mit Konsumgütern Annahme: Vermittelt über selektive Erinnerung GORDON BOWERS Netzwerkmodell Systematischerer Ansatz Emotionen als Knoten in einem semantischen Netzwerk Abb.2 & 3 Netzwerkmodell nach BOwer Emotionsknoten aktiviert Erregungsausbreitung auf verknüpfte Inhalte verknüpfte Inhalte bei entsprechender Emotion leichter abrufbar 104 "mood congruent memory" (Viele Untersuchungen, z.T. mit Hypnose) Experiment von BARON (1987) angeblich: "2 Vpn" in Interviewsituation tatsächlich: - Rolle des Befragten: Mitarbeiter des Vl - Rolle des Interviewers: echte Vp Stimmungsinduktion: - echte Vp löst Aufgaben, schneidet angeblich gut, schlecht oder durchschnittlich ab - (während Mitarbeiter Interviewfragen studiert) dann Interview: Befragter soll u.a. Eigenschaften der eigenen Person angeben nennt drei positive und drei negative Eigenschaften (immer pos. und neg. Info) Vp soll sich später u.a. erinnern, was der Befragte gesagt hat Ergebnis: Erinnerung hing von induzierter Stimmung ab: Abb.5 Ergebnisse von Baron (1987) (aus OATLEY, S. 275) Unklar: Stimmungseinfluß bei Enkodierung oder Abruf der Info? Andere Untersuchungen: Effekt auch, wenn Stimmung erst bei Abruf induziert "mood-state dependent memory" - Zweite Überlegung aus Gedächtnisforschung: Kontext der Enkodierung wirkt als Cue bei der Abrufung Auf Stimmungen angewandt: Person bei Enkodierung in gleich. Stimmung wie bei Abrufung: Gedächtnisverbesserung Untersuchungen von BOWER et al.: keine eindeutige Evidenz v.a. variable Befunde bei negativer Stimmung deutlichste Effekte bei Selbstbezug und relativ unstrukturiertem Material insgesamt eher schwacher Effekt Aber: Stimmungseinflüsse auf Urteile sehr stabil nachweisbar! 105 daher: andere Erklärung 106 2. Stimmung Urteil Stimmung als Information: Vereinfachung der Urteilsbildung Wann ist Stimmung informativ? Wenn Ursache der Stimmung repräsentativ für Urteil ansonsten Korrektur Beispiel: SCHWARZ & CLORE (1983): Wetter-Experiment Wetter: hat nichts mit Lebenszufriedenheit zu tun Zurückführung d. Stimmung auf Ursache die nichts mit Lebenszufriedenheit zu tun hat: ... führt zu: "discounting" - (Abwertung) des Einflusses der Stimmung für Beurteilung der eigenen Lebensqualität ( Attributionstheorie) andere Studie: andere Variation des Info-Gehalt der Stimmung: nämlich: über die abhängigen Variablen: allgemeine versus spezifische Urteile SCHWARZ, STRACK et al.: WM-Studie Abb.5 Ergebnisse von SCHWARZ et al. (1987), WM-Studie SCHWARZ, STRACK et al.: Zimmerexperiment Abb.6 (BOHNER als HiWi) Ergebnisse von SCHWARZ, STRACK et al (1987), Zimmer-Experiment KELTNER, LOCKE & AUDRAIN (1993) Wenn Frage "welche Emotion fühlen Sie", verschwinden Effekte auf Zufriedenheit wirkt wie Mißattribution Frage: Warum findet man Effekt eher bei Stimmungen als bei Emotionen? Aber: Spezifische Emotionen haben spezifischen Informationsgehalt 107 GALLAGHER & CLORE (1985) Furcht Urteile über Risiko Ärger Urteile über Verantwortlichkeit SCHWARZ , SERVAY & KUMPF (1985) Furchtinduzierender Film über Folgen des Rauchens angeblich “beruhigende” versus “erregende” Pille (Placebo!) AV: Rauchverhalten in der folgenden Woche Ergebnis: Vpn mit “beruhigender” Pille erhalten hatten, rauchten weniger Vpn mit “erregender” Pille: rauchten mehr (im Vergleich) 3. Emotion/Stimmung Informationsverarbeitungsprozesse Stimmungen informieren in allgemeinerem Sinn über die Situation: gutes Gefühl schlechtes Gefühl daraus folgt: “Welt in Ordnung” Situation problematisch Personen präferieren einen Verarbeitungsstil, welcher der “Lage” angemessen ist gut gestimmte Personen: Bevorzugung einfacher Urteilsstrategien vor schlecht gestimmte Pers.: Bevorzugung systematischer, detailbezogene Verarbeitung dazu Experimente: u.a. im Bereich der Einstellungsänderung durch persuasive Kommunikation Zweiprozeßtheorien der Persuasion (ELM, HSM) a) systematische Verarbeitung - erkennbar an der unterschiedlichen Wirkung starker und schwacher Argumente (Detailinformation, hoher Verarbeitungsaufwand) b) heuristische Verarbeitung - erkennbar an der Verwendung einfacher Entscheidungsregeln (z.B. “Expertenmeinungen sind zutreffend.”) - Wirkung heuristischer Hinweisreize 108 109 Experimente: W ORTH & MACKIE (1987); BLESS, BOHNER, SCHWARZ & STRACK (1990) Stimmungsinduktion: Geschenk, Gewinn, Vorstellung von Lebensereignissen Dann persuasive Botschaft: z.B. Erhöhung des Semesterbeitrags an das Studentenwerk gutes Argument: Verbesserung der Essensqualität schlechtes Argument: Porzellan- statt Kunststoffgeschirr Bei W ORTH & MACKIE: auch Variation eines heuristischen Hinweisreizes: (Botschaft von Experten oder nicht) AV: Einstellungsänderung Abb.7 Ergebnisse W ORTH & MAckie (OATLEY S. 279) oft repliziertes Ergebnis gibt Aufschluß über Funktion der Stimmung im Prinzip hohe Flexibilität der Informationsverarbeitung Aber: kognitive Kapazität ist begrenzt, knappes Gut Ökonomieprinzip Zwei Arten der Informationsverarbeitung: - automatisch (wenig Aufmerksamkeit, Autopilot eingeschaltet) - kontrolliert (viel Aufmerksamkeit) Stimmung hat Signalfunktion: - gute Stimmung: alles okay, Autopilot kann eingeschaltet bleiben - schlechte Stimmung: Alarm, Gefahr Handlungsbedarf Volle Aufmerksamkeit auf Situation richten auch diese Art von Stimmungseffekten läßt sich durch Attribution auf eine irrelevante Ursache eliminieren: Feldexperiment SINCLAIR, MARK & CLORE (1995): Schönes / schlechtes Wetter und Persuasion Ohne Aufmerksamkeitslenkung auf das Wetter: systematischere Verarbeitung bei schlechtem als bei schönem Wetter (Replikation der Befunde von W ORTH & MACKIE,1987) bei Aufmerksamkeitslenkung auf das Wetter: 110 keine wetterbedingten Unterschiede mehr im Ausmaß der Verarbeitung 111 4. Stimmung Aufmerksamkeitslenkung, Kategorisierung Persuasionsstudien zeigen: negative Stimmung erhöht Aufmerksamkeit für Detailinformation Außerdem: Bei Mißerfolg: Handlungen auf niedrigerer Abstraktionsebene repräsentiert als bei Erfolg (Action-identification Theory von W EGNER & VALLACHER, 1986) Bsp.: “Ball nehmen - Arm strecken - Handgelenk abknicken” statt “einen Freiwurf ausführen” HERBERT BLESS (1997): Breitere Kategorien implizieren automatische Verarbeitung auf unterer Hierarchieebene positive Stimmung: mehr Nutzung von Schemata / Stereotyen (Arbeiten von GALEN BODENHAUSEN) Breite der Kategorisierung Erste Befunde von ISEN & DAUBMAN (1984): Gut gestimmte Personen: - bilden breitere Kategorien als neutral gestimmte Personen - kategorisieren auch untypische Exemplare eher als Mitglieder einer Kategorie Bsp.: - “Kamel” als Mitglied der Kategorie “Transportmittel” - “Spazierstock” als “Kleidungsstück” Neuere Arbeiten: Einschränkung Gut gestimmte Personen bilden nicht immer breitere Kategorien als schlecht gestimmte MURRAY, SUJAN, HIRT & SUJAN (1990) Vpn in guter versus schlechter Stimmung entweder Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zwischen Fernsehsendungen auflisten Ergebnis: Gut gestimmte finden sowohl mehr Gemeinsamkeiten als auch mehr Unterschiede d.h.: gute Stimmung höhere Flexibilität ISEN et al.: Befunde auch für kreatives Problemlösen Gut gestimmte Personen besser bei: - DUNCKERS Kerzenaufgabe 112 - Generieren ungewöhnlicher Assoziationen 113 Fazit: Befunde zu Stimmungs- und Emotionseinflüssen auf kognitive Prozesse: gut vereinbar mit Annahme einer informativen Funktion dieser Zustände Wenn gute Stimmung signalisiert, daß Situation sicher und unproblematisch: - Person kann geringeren kognitiven Aufwand einsetzen (auf “Autopilot schalten”), - aber auch spielerisch Neues ausprobieren, wenn es um die Generierung von Lösungsalternativen geht (Flexibilität, Kreativität) Wenn schlechte Stimmung signalisiert, daß Situation unsicher und problematisch - Person sollte höheren Aufwand in Analyse der Situation investieren - mehr auf Details achten (systematische Verarbeitung, enger Aufmerksamkeitsfokus) Förderliche / hemm. Wirkung von guter / schlechter Stimmung auf d. Aufg.-Bearbeitung: hängt also von der Art der Aufgabe ab bidirektionaler Zusammenhang zwischen Emotion und Kognition 114