Procap Magazin für Menschen mit Handicap 2/2014 Vorgeburtliche Diagnostik - Umstrittene Frühdiagnostik - Umdenken im öffentlichen Verkehr - Barbara und Laurin Camenzind: «Laurin lebt fürs Leben gern» Inhalt - In Kürze Vorgeburtliche Diagnostik Umstrittene Frühdiagnostik Rendez-vous: Barbara und Laurin Camenzind - Am Arbeitsplatz: «Es ist an mir, das Eis zu brechen» Zehn Jahre BehiG: Umdenken im öffentlichen Verkehr Reisen: Ferien für alle – mit Reisebegleitung Service: Sektionen, Agenda, Juristischer Ratgeber, Ratgeber Procap bewegt Schlusswort: Reto Meienberg Editorial Franziska Stocker, Redaktionsleitung Gesellschaftliche Folgen der Selektion Die Präimplantationsdiagnostik (PID) und die pränatale Diagnostik (PND) entwickeln sich rasant. Durch diese Tests ist es immer früher und einfacher möglich, beim Embryo oder Fötus eine Behinderung festzustellen – und dieses werdende menschliche Leben allenfalls zu verhindern. Welche gesellschaftlichen Auswirkungen haben diese Selektionsmöglichkeiten? Könnten sie die Solidarität gegenüber Menschen mit einer Behinderung und ihren Familien negativ beeinflussen? Oder sind diese Befürchtungen unberechtigt? Wir haben im aktuellen Magazin bei acht Fachpersonen nachgefragt und mit einer Mutter gesprochen, die sich nach einem pränatalen Befund auf Trisomie 21 für ihr Kind entschieden hat. Sie lesen zudem über die berufliche Integration von Menschen mit Handicap bei der Bundesverwaltung. Und Sie erfahren, wo im öffentlichen Verkehr zehn Jahre nach Einführung des Behindertengleichstellungsgesetzes noch Lücken bestehen. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. In Kürze Für ein Daheim ohne Hindernisse Zu kleine Lifte, enge Korridore, Stufen am Eingang oder Schwellen zum Balkon: Für Menschen mit Mobilitätsbehinderungen ist es schwierig, eine bezahlbare hindernisfreie Wohnung zu finden. Auf der Website der ProcapSensibilisierungskampagne «Für ein Daheim ohne Hindernisse» finden Sie jetzt neue Videobeiträge. Unter dem Motto «Procap vor Ort» haben wir mit der Kamera dokumentiert, welche Anforderungen eine barrierefreie Wohnung erfüllen muss. www.hindernisfrei-wohnen.ch Nationale Behindertenpolitik Kürzlich hat der Nationalrat ein Postulat von Christian Lohr (CVP/TG) angenommen, welches vom Bundesrat eine kohärente nationale Behindertenpolitik verlangt. Menschen mit einer Behinderung würden in der Schweiz nach wie vor in erster Linie als Kostenfaktor wahrgenommen, kritisierte Lohr im Vorstoss. Es fehle eine Strategie, welche die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung ins Zentrum stelle. Bund, Kantone, Sozialversicherer und weitere Beteiligte koordinierten sich zu wenig. Ein Bericht des Bundesrates soll aufzeigen, wie ausgehend vom Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) und von der UNO-Behindertenrechtskonvention (UNO-BRK) eine kohärente Behindertenpolitik zu erreichen ist. In seiner Antwort auf das Postulat verweist der -Bundesrat auf die Ergebnisse einer umfassenden Evaluation des BehiG, die 2015 vorliegen sollen. Es biete sich an, im Anschluss -daran eine bereichsübergreifende Standortbestimmung vorzunehmen. Gegen den Einsatz von Hirnscans Die IV-Stelle Luzern wurde in den letzten Monaten wegen des Einsatzes von Hirnscans bei IV-Abklärungen stark kritisiert. Fachärzte bemängelten, die Methode sei wissenschaftlich nicht anerkannt, um für diesen Zweck angewendet zu werden. Behindertenorganisationen befürchteten, dass Menschen mit psychischen Krankheiten künftig noch stärker stigmatisiert und als Simulanten/-innen angesehen werden könnten. Nationalrätin Silvia Schenker (SP/BS) hat nun in der Frühlingssession im Parlament einen Vorstoss eingereicht. Dieser beauftragt den Bundesrat abzuklären, ob IV-Stellen bei Menschen mit psychischen Krankheiten Hirnscans durchführen dürfen. Kinder mit seltenen Krankheiten Im Februar wurde der Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten gegründet. Der Verein unterstützt Projekte und Aktivitäten zugunsten von Betroffenen. Er gewährt finanzielle und fachliche Unterstützung und vernetzt Familien, Patientenorganisationen, gemeinnützige Institutionen, Spitäler, Ärzte und Wissenschaftler. Der Verein möchte zudem die Thematik in der Öffentlichkeit bekannter machen. In der Schweiz leiden eine halbe Million Menschen an einer seltenen Krankheit. Hauptsächlich betroffen sind Kinder und Jugendliche. Oft dauert es Jahre, bis die Krankheit diagnostiziert werden kann, und über den Krankheitsverlauf ist meist wenig bekannt. Mehr Infos: www.kinder-mit-seltenen-krankheiten.ch Sprachleitfaden Die Fachstelle Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen der Stadt Bern hat einen kurzen «Sprachleitfaden Behinderung» erarbeitet. Die Fachstelle hat in den drei Jahren ihres Bestehens regelmässig Anfragen aus der Stadtverwaltung, von Medienschaffenden oder aus der Bevölkerung erhalten, wie respektvoll und ohne Vorurteile über Menschen mit Behinderungen berichtet werden kann. Als Reaktion auf diese Unsicherheiten entstand der Sprachleitfaden. Der Sprachleitfaden kann bei der Fachstelle Gleichstellung von Menschen mit Behinderung bestellt oder unter www.bern.ch/behinderung (Merkblätter und Leitfäden) heruntergeladen werden. Erwerbsintegration von psychisch Kranken Der kürzlich erschienene OECD-Bericht zum Thema Psychische Gesundheit und Arbeit forderte von der Schweiz, mehr zu tun, um Menschen mit psychischen Erkrankungen einen Eintritt ins Berufsleben zu ermöglichen bzw. sie im Erwerbsleben zu halten. Die Zahl der Neurenten bei Personen mit psychischen Erkrankungen geht in der Schweiz nicht zurück, diejenige der jungen Erwachsenen nimmt sogar stark zu. Nationalrätin Maja Ingold (EVP/ZH) hat in der Frühlingssession im Parlament einen Vorstoss zum Thema eingebracht. In diesem beauftragt sie den Bundesrat, darzulegen, mit welchen Massnahmen er die Integration von psychisch kranken IVBeziehenden in den Arbeitsmarkt künftig wirkungsvoller angehen will. Verspätung bei der Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr Eine Umfrage von Agile.ch zeigt: Nur die Hälfte der Schweizer Transportunternehmen hält das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) ein und erfüllt per Ende 2013 grundlegende Anforderungen für einen seh- und hörbehindertengerechten öffentlichen Verkehr (ÖV). Insgesamt wurden 112 Schweizer Transportunternehmen angeschrieben, 77 haben geantwortet. Das BehiG und die entsprechende Verordnung enthalten explizite Vorgaben, damit der Zugang zum ÖV für alle möglich ist. Um dieses Ziel zu erreichen, sieht das BehiG zwei Fristen vor. Die erste betrifft die Anpassung der Kundeninformationssysteme und der Billettausgabe und ist am 31. Dezember 2013 abgelaufen, zehn Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes. Die zweite Frist bis Ende 2023 betrifft Bauten, Anlagen und Fahrzeuge. Für Agile.ch ist klar: Vor allem die Bahnen müssen bei der Barrierefreiheit bis 2023 kräftig aufholen. Weitere Informationen zur Umfrage finden Sie unter www.agile.ch. Vorgeburtliche Diagnostik Umstrittene Frühdiagnostik Die Präimplantationsdiagnostik (PID) und die Pränataldiagnostik (PND) entwickeln sich rasant. Über die gesellschaftlichen Folgen dieser Entwicklung besteht Uneinigkeit. Wir haben acht Fachpersonen befragt. Franziska Stocker Die Einführung der Präimplantationsdiagnostik (PID) in der Schweiz wurde im Frühling im Ständerat debattiert. Als Nächstes kommt das Geschäft in den Nationalrat, und vermutlich Ende 2015 wird das Volk darüber abstimmen. Gegner und Befürworter einer Liberalisierung der PID sind sich nicht einig, welche Folgen die Einführung dieses Verfahrens auf unsere Gesellschaft haben könnte. Die pränatale Diagnostik (PND) ist vor allem im Zusammenhang mit den neuen molekular-genetischen Bluttests, wie dem Praenatest, im Gespräch. Beide Themen lösen Befürchtungen aus, die Solidarität gegenüber Menschen mit Behinderung könnte sich verringern, wenn behinderte Kinder künftig vermehrt «verhindert» werden. Viele Menschen haben auch grundsätzliche ethische Bedenken gegenüber einer Selektion von wertem und unwertem Leben. Unter dem Motto «Es ist normal, verschieden zu sein» wird zudem kritisiert, dass Behinderung und Krankheit nicht mehr als natürlicher Teil des Lebens angesehen werden. Unterschiedliche Meinungen Wir haben bei acht Fachpersonen aus Ethik, Politik, Medizin und von Beratungsstellen nachgefragt, wie sie die vorgeburtlichen Tests einschätzen. Auf den folgenden Seiten präsentieren wir Ihnen verschiedene Stimmen zur PID und PND sowie ein Glossar zum Thema. Zahlen und Fakten: Laut Schätzungen – genaue Statistiken gibt es nicht – kommen in der Schweiz jährlich ca. 1900 Kinder mit einer Behinderung zur Welt. Eine Vielzahl von -Gründen kann zu Behinderungen beim Neugeborenen führen. Nur ein Teil davon ist mittels PND erkennbar. Trotzdem verzichten nur wenige Eltern vollständig auf diese Testverfahren. Mindestens 90 Prozent der Frauen, deren Kind auf Trisomie 21 positiv getestet wurde, brechen die Schwangerschaft ab. Jedes sechste Paar in der Schweiz ist ungewollt kinderlos. Letzte Hoffnung ist für viele die Zeugung eines Kindes mittels In-vitro-Fertilisation (IVF). Heute werden auf diese Weise in der Schweiz jedes Jahr rund 2000 Kinder geboren. Die PID könnten je nach Ausgestaltung jährlich zwischen 50 bis 100 bzw. rund 6000 Paare nutzen. Procap hat zum Thema PND ein Positionspapier erarbeitet, das Sie auf www.procap.ch herunterladen können. In Kürze wird zudem ein Positionspapier zur PID erscheinen. Stimmen zur Präimplantationsdiagnostik Ruth Baumann-Hölzle, Leiterin des Instituts Dialog Ethik, ehemaliges Mitglied der Nationalen Ethikkommission (NEK): Für mich ist die moralisch-ethische Kernfrage: Was ist der Wert des werdenden Lebens? Dürfen wir die Menschenwürde relativieren und den Embryo instrumentalisieren? Ihn zum Verbrauchsmaterial erklären? Ich möchte es nicht beschönigen, bei der PID geht es um eugenische Selektion. Es geht um eine Einteilung in lebenswertes und unwertes Leben. Diese Tendenzen kennen wir aus der Geschichte, nicht nur aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Der Embryo wird bei der PID zum Zweck, zum Forschungsmaterial oder soll den Eltern einen Wunsch erfüllen – er wird als Nutzwert ohne Eigenwert behandelt. Im Gegensatz zur Pränatalen Diagnostik, wo die Lebenserhaltung des Embryos mit dem Abwehrrecht der Schwangeren kollidiert, geht es bei der PID um die künstliche Erzeugung menschlichen Lebens im Labor für fremde Zwecke. Es ist eine Zuchtwahl, bei der die Frau nicht körperlich betroffen ist. Durch die künstliche Befruchtung mit PID kann der Mensch viel mehr ins menschliche Leben eingreifen als bei der Pränatalen Diagnostik und kann gar künftige Generationen beeinflussen. Wir befinden uns auf einem «slippery slope» (engl., schlüpfriger Abhang). Lassen wir jetzt diese neuen Selektionsmöglichkeiten zu, kann dies eine unkontrollierbare Kettenreaktion auslösen. Die Angst vor einem Designerbaby ist berechtigt: In den USA und in Spanien ist bereits heute die Auswahl eines Profils des künftigen Kindes möglich. Mittels genetischer Untersuchungen können Haarfarbe, Geschlecht, zukünftige Krankheiten etc. bestimmt werden. Das Eis der Humanität ist dünn. Wird sich die Solidarität in der Gesellschaft gegenüber Menschen mit einer Behinderung verändern? Zudem sind die finanziellen Interessen, die mit der PID verbunden sind, besorgniserregend. In Spanien kostet der Zyklus einer künstlichen Befruchtung mit PID 13?000 Euro und mehr. Es geht in der Reproduktionsindustrie um sehr viel Geld. Entsprechend hoch ist das Interesse der Reproduktionstechniker, der Forschung und der Pharmaindustrie an einer möglichst weitreichenden Zulassung der PID. Ich bin froh, hat der Ständerat vorderhand die strengere Variante der PID übernommen. Bertrand Kiefer, Mitglied der Nationalen Ethikkommission (NEK): Zwischen 2005 und 2013 hat sich die Position der Nationalen Ethikkommission aufgrund von personellen Wechseln in Richtung Ja zur PID entwickelt. Ich persönlich stimme der PID zu, wenn das Paar einer Risikofamilie angehört. Ich bin aber gegen das Aneuploidie-Screening, das bezweckt, ein möglichst perfektes Kind zur Welt zu bringen. Wenn wir grosses Leiden für das Kind oder die Familie verhindern können, soll einem Paar bei der künstlichen Befruchtung nicht verwehrt sein, was bei einer Schwangerschaft erlaubt ist. Aber wir müssen gegen den immer stärker werdenden Wunsch der Eltern nach einem perfekten Kind ankämpfen. Dies um so mehr, als die Technologie diesen Bestrebungen entgegenkommt. Die Gesellschaft hat eine industrielle und kompetitive Vision des Lebens. Es besteht die Tendenz, Kinder als Produkte anzusehen, die perfekt und rentabel zu sein haben. Vor dieser Welt Angst zu haben, ist gesund. Was ist denn ein menschliches Wesen? Wo liegt seine Grösse? Sicherlich nicht in einer Leistung um jeden Preis oder einer Uniformisierung. Das Menschsein zeigt sich in der Fähigkeit, Schwierigkeiten zu überwinden, einen Sinn im Leben zu finden. Die Technologie vermag weder Antworten auf diese Fragen zu geben noch auf das Glücklichsein. Die Faszination für den technischen Fortschritt blendet das Leiden, die Krankheit und den Tod aus. Und das Streben nach Perfektion führt zu einer Verarmung der Existenz, deren Qualität damit verbunden ist, dass wir mit unterschiedlichen Menschen in Berührung kommen. Führen wir diese Debatte! Lassen wir den Eltern die freie Wahl und sichern wir ihnen die Unterstützung der Gesellschaft zu, egal, wie sie sich entscheiden. Es ist wichtig, dass keinerlei Druck auf sie ausgeübt wird, um Kosten zu sparen. Die Unterschiedlichkeit zu akzeptieren, in sich die Kraft zu finden, Schwierigkeiten zu überwinden, gibt dem Individuum einen Lebenssinn und lässt die Gesellschaft wachsen. Dies zeigt sich in den gemeinsamen Anstrengungen, die sie unternimmt, um das Leben von Menschen mit Behinderung menschlich zu gestalten. Brigitte Häberli, Ständerätin (CVP/TG), Mitglied der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK-S): Ich habe mich im Ständerat dafür eingesetzt, dass die PID in der Schweiz nicht eingeführt wird. Die Mehrheit des Ständerats hat sich jedoch dafür entschieden, die PID unter relativ strengen Voraussetzungen einzuführen. Erleichtert bin ich, sind die verschiedenen Liberalisierungsvorschläge der WBK-S wie das Aneuploidie-Screening und das Retterbaby vorerst nicht durchgekommen. Weshalb ich mich gegen die PID ausgesprochen habe? Ich finde die Instrumentalisierung des werdenden menschlichen Lebens für die Erfüllung von Forschungszielen oder eines Kinderwunsches bedenklich. Mir machen die gesellschaftlichen Auswirkungen einer Selektion von menschlichem Leben Sorgen. Wir können heute nicht abschätzen, was dies für längerfristige Auswirkungen haben wird. Ich frage mich, wie die Einführung der PID die Solidarität gegenüber Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft beeinflussen wird. Werden sich Eltern künftig rechtfertigen müssen, wenn sie sich für ein Kind mit Behinderung entscheiden? Werden Versicherer sich weigern, für die Kosten aufzukommen? Wir wissen nicht, wo dies hinführen wird. Für mich gehört jeder Mensch, ob er nun behindert, krank oder gesund ist, zu unserer Gesellschaft. Liliane Maury Pasquier, Ständerätin (SP/GE), Hebamme: Bei der Debatte des Ständerates über die PID habe ich die liberalere Position vertreten, die sich für eine Ausweitung der Diagnostik am Embryo ausspricht und es ermöglicht, Behinderungen wie Trisomie 21 zu entdecken (Aneuploidie-Screening). Es scheint mir unsinnig, Tests am Embryo zu verbieten, wenn es gleichzeitig erlaubt ist, pränatale Tests am Fötus vorzunehmen. Ein Verbot würde heissen, das Leiden der Eltern nicht ernst zu nehmen. Diese investieren bei einer künstlichen Befruchtung viel Energie und Emotionen in die Schwangerschaft und müssen befürchten, später vor einem sehr schwierigen Entscheid zu stehen. Die Respektierung des Embryos im Frühstadium einzufordern, scheint mir nicht kohärent: Je mehr Zeit verstreicht, desto mehr ist doch die Würde des werdenden Kindes betroffen. Zu den pränatalen Tests möchte ich noch sagen, dass die Beratung zum Teil ungenügend ist. Ich plädiere deshalb für die Einführung eines Beratungsgesprächs, das von der Krankenkasse übernommen wird. Die Paare müssen wissen, dass bei diesen Tests auch Anomalien gefunden werden können. Das Wichtigste aber ist die Unterstützung, welche die Gesellschaft werdenden Eltern bieten muss, egal, wie sie sich entscheiden. In-vitro-Fertilisation (IVF): (lateinisch für «Befruchtung im Glas») ist eine Methode zur künstlichen Befruchtung. Der Frau werden herangereifte Eizellen entnommen und in einem Reagenzgefäss mit den Spermien des Mannes zusammengebracht. Nach der Befruchtung wird der Embryo in die Gebärmutter der Frau eingepflanzt. Präimplantationsdiagnostik (PID): Untersuchung am erst wenige Zellen grossen menschlichen Embryo auf genetisch bedingte Krankheiten und Chromosomenstörungen. Wird ein Defekt gefunden, wird der Embryo vernichtet, wenn nicht, wird er in die Gebärmutter eingepflanzt. Aneuploidie-Screening: Bei fortgeschrittenem Alter der schwangeren Frau besteht ein erhöhtes Risiko, Kinder mit einer chromosomalen Störung – insbesondere Trisomie 21 – zu bekommen. Durch das Aneuploidie-Screening soll erreicht werden, dass bei der künstlichen Befruchtung einer Frau nur Embryonen mit 46 Chromosomen eingesetzt werden. Würde das Aneuploidie-Screening in der Schweiz ein-geführt, könnten es ca. 6000 Paare jährlich nutzen. Retterbaby: Embryo, der im Rahmen einer künstlichen Befruchtung mittels PID als Gewebespender für ein krankes Geschwister ausgesucht wurde. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von HLA-Typisierung. Designerbaby: Auswertung von Erbinformationen und Selektion von Eizelle und Sperma nach erwünschten Eigenschaften (z.B. Intelligenz, Geschlecht, Augen- und Haarfarbe). Diese Selektion ist in der Schweiz verboten. In den USA und in Spanien werden jedoch schon heute massgeschneiderte Kinder im Reagenzglas gezeugt. Stimmen zur Pränataldiagnostik Franziska Maurer, Leiterin der Fachstelle Fehlgeburt und perinataler Kindstod: Heute besteht bei werdenden Eltern und involvierten Fachleuten ein hohes Bedürfnis nach Kontrolle und Sicherheit. Von den pränatalen Tests erhoffen sie sich die Bestätigung, dass das Kind gesund ist. Dies ist jedoch eine trügerische Sicherheit, denn die PND gibt Einblick in einen begrenzten Teil möglicher Krankheitsbilder oder Beeinträchtigungen. Krankheiten oder Behinderungen beispielsweise als Folge einer zu frühen Geburt werden selten in die Überlegungen zur Anwendung der PND miteinbezogen. Die Chance der pränatalen Tests sehe ich darin, dass sie gewisse frühe Behandlungsmöglichkeiten für ein krankes Kind ermöglichen. Sie können den werdenden Eltern auch Zeit geben, sich – soweit dies möglich ist – vorzubereiten, wenn ihr Kind nicht lebensfähig ist oder mit einer Behinderung zur Welt kommen wird. Die pränatalen Tests fordern von den Eltern verantwortungsvolle und sehr herausfordernde Entscheide – insbesondere, wenn die Diagnose auf eine schwere Erkrankung ihres Kindes hinweist. Die Frage, ob sie das Leben mit ihrem kranken Kind bewältigen können oder ob ein Abbruch der Schwangerschaft und der frühe Tod ihres kranken Kindes der für sie gangbare Weg ist, fordert die Eltern in hohem Mass. Wenn die Eltern an die Fachstelle gelangen, sind sie oft in grosser Not. Sie haben beispielsweise am nächsten Tag den Termin für den Schwangerschaftsabbruch, sind sich aber nicht mehr sicher, ob sie dies überhaupt wollen. Im Zustand des Schocks und unter Zeitdruck ist kein verantwortungsvoller Entscheid möglich. Nach unserer Erfahrung brauchen Eltern Zeit und Begleitung, die im Entscheidungsprozess Raum gibt. Wir empfehlen den Betroffenen deshalb, nochmals in Ruhe mit einer Fachperson, ihrer Ärztin, ihrem Arzt oder der Hebamme zu sprechen. Was bedeutet ein Abbruch? Was heisst es, mit einem Kind schwanger zu sein, das krank ist oder vielleicht stirbt? Wer im persönlichen Umfeld könnte sie jetzt unterstützen? Welche professionellen Angebote gibt es zur Begleitung der Familie? Wir vermitteln auch Kontakte zu betroffenen Eltern, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden oder ihr krankes Kind ausgetragen haben. Franziska Wirz, Leiterin der Beratungsstelle appella: Wir beraten als unabhängige Beratungsstelle Frauen und Paare zur Pränatalen Diagnostik – telefonisch oder per E-Mail. Oft gelangen die Frauen an uns, nachdem ein pränataler Test ein auffälliges Resultat ergeben hat. Dies löst viele Ängste und Unsicherheiten aus. Die Frauen wollen sich informieren, was diese Zahlen bedeuten. Oftmals ist ihnen nicht bewusst, dass es beim Erst-Trimester-Test um eine Risikoeinschätzung für eine Behinderung beim Kind geht, nicht um einen konkreten Befund. Unsere Aufgabe ist es, aufzuklären und zu beruhigen. Bei unserer Beratung geht es auch oft darum, falsche Vorstellungen über ein Kind mit Behinderung zu entkräften, wie zum Beispiel die Annahme, dass ein Kind mit Trisomie 21 das ganze Leben lang eine Belastung darstellen wird oder kein erfülltes Leben führen kann. Uns ist wichtig, Schwangere mit allen nötigen Informationen zu versorgen, damit sie sich für oder gegen einen Abbruch entscheiden können. Die Ärzte sind gesetzlich verpflichtet, die schwangere Frau vor dem ersten pränatalen Test auf neutrale Weise über dessen Bedeutung zu informieren. Leider geschieht dies aber oft nur rudimentär. Viele Frauen glauben, dass es bei der ersten Ultraschalluntersuchung nur darum gehe, ihr Kind zum ersten Mal zu sehen. Sie sind sich der Tragweite dieser Tests nicht bewusst und wissen nicht, dass sie die se auch ablehnen können. Sie haben ein Recht auf Nichtwissen. Leider werden Frauen, die keine Tests machen wollen, teilweise unter Druck gesetzt. Mir fällt immer wieder auf, wie viele Ängste im Zusammenhang mit der Schwangerschaft geschürt werden. In der Schweiz werden 80 Prozent aller Schwangerschaften als Risikoschwangerschaften eingestuft. Für die Ärzte sind diese lukrativ, denn bei Risikoschwangerschaften bezahlen die Krankenkassen mehrere Tests. Auf www.appella.ch können Sie kostenlos die Broschüre «Schwangerschaftsvorsorge – wie gehen wir damit um?» bestellen. www.fpk.ch Christophe Mattenberger, Chefarzt der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe, Spital Morges: Das Erst-Trimester-Screening ermöglicht eine Einschätzung des Risikos. Falls es unter Berücksichtigung mehrerer Kriterien wie beispielsweise des Alters der Mutter erhöht ist (höher als 1/380), werden die Kosten der Fruchtwasseruntersuchung von der Krankenkasse übernommen. Meiner Meinung nach ist das Alterskriterium jedoch überholt. Ich nutze auch die diagnostischen Blutuntersuchungen (z.B. Praenatest, Red.), die für die Mutter und das ungeborene Kind weniger invasiv sind. Stellen Sie sich eine 42-jährige Frau vor, die nach langen Jahren des Wartens endlich schwanger geworden ist. Die Blutuntersuchung ermöglicht es, Gewissheit zu bekommen, ob eine Chromosomenanomalie vorliegt oder nicht, und zwar ohne das Leben des Kindes zu gefährden. Einige werdende Eltern möchten es lieber nicht erfahren. Ich ermutige sie jedoch dazu, schliesslich kann man so auch andere Probleme wie Herzfehlbildungen feststellen und die Geburt anders planen. Die Aussagefähigkeit dieser Tests geht nicht über diejenige der Fruchtwasseruntersuchung hinaus. Das Risiko ist jedoch geringer. Diese Tests müssten meiner Meinung nach von den Krankenkassen übernommen werden. Am wichtigsten ist es, sich Zeit zu nehmen, um den Eltern gut zu erklären, wonach man sucht und welchen Bereich diese Tests abdecken. Melanie Baran, diplomierte Sozialarbeiterin FH am Kinderspital Zürich: Wird ein Neugeborenes mit einer Behinderung zu uns ins Kinderspital Zürich verlegt, kümmert sich ein -interdisziplinäres Team um die Familie. Wir von der Sozialberatung sind für die psychosoziale Begleitung der Eltern und Fragen rund um den sozialen Alltag der Familie zuständig. Bei Neueintritten ist viel zu organisieren, so beispielsweise Übernachtungsmöglichkeiten für die Eltern im Kinderspital, die Betreuung weiterer Geschwister oder das Informieren der Arbeitgeber über einen möglichen Arbeitsausfall der Eltern. -Anschliessend folgen Fragen zu Sozialversicherungen oder zu Entlastungsmöglichkeiten für die Betreuung zu Hause. Durch die schwierige Situation können finanzielle Notlagen und Engpässe entstehen – auch da bieten wir Beratung und Unterstützung. Wenn nötig vermitteln wir relevante Adressen und vernetzen zu externen Fach- und Beratungsstellen. Während ihres Aufenthaltes im Kinderspital begegnen wir den Eltern oft auch zufällig in Korridoren oder im Spitalrestaurant, wobei spontan viele Gespräche entstehen. Die oftmals unter Schock stehenden Eltern benötigen während dieser schwierigen Zeit dringend Unterstützung. Pränataldiagnostik (PND): Zur PND gehören verschiedene Untersuchungen während der Schwangerschaft, die Diagnosen zum Gesundheitszustand des Kindes erlauben. Zu den nichtinvasiven (äusserlichen) Untersuchungen zählen die Nackenfaltenmessung im Rahmen des Erst-Trimester-Screenings (12. bis 14. Schwangerschaftswoche) – eine der am häufigsten durchgeführten Ultraschalluntersuchungen am Ungeborenen – und die neuen molekular-genetischen Bluttests. Zu den invasiven Untersuchungen gehören die Fruchtwasserpunktion, die Punktion des Mutterkuchens sowie die Nabelschnurpunktion. Sie sind mit gewissen Risiken für das Kind verbunden. Praenatest: Mit dem Test, der auf einer einfachen Blutentnahme bei der schwangeren Frau beruht, lässt sich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit bestimmen, ob bei einem Fötus die Trisomien 13, 18 oder 21 (Down-Syndrom) vorhanden sind. Der Test, der seit August 2012 auf dem Markt ist, ist ab der 9. Schwangerschaftswoche möglich, also noch vor dem Erst-Trimester-Screening. Zwar ist der Praenatest gemäss der Herstellerfirma Lifecodexx für schwangere Frauen gedacht, die ein erhöhtes -Risiko für chromosomale Veränderungen beim ungeborenen Kind tragen, doch ist die Nachfrage generell gestiegen. Rund 2200 Blutproben aus der Schweiz hat das Unternehmen bislang analysiert. Laut einer aktuellen Studie des Universitätsspitals Basel hat seit der Einführung des Praenatests die Zahl der invasiven pränatalen Diagnoseverfahren um knapp 70 Prozent abgenommen. Der Praenatest kostet heute um die 1000 Franken und wird nicht von der obligatorischen Krankenversicherung vergütet. Allerdings hat Lifecodexx beim BAG die Aufnahme in die Grundversicherung beantragt. Die Chancen stehen gut. Rendez-vous «Laurin lebt fürs Leben gern» Der heute 9-jährige Laurin wurde mit Down-Syndrom geboren. Konfrontiert mit einem positiven pränatalen Testresultat, entschied sich seine Mutter Barbara Camenzind für ihr Kind. Franziska Stocker Als Barbara Camenzind in der 14. Woche schwanger war, machte sie, wie die meisten werdenden Mütter, den Erst-Trimester-Test. «Ich wollte mich absichern, dass alles gut ist.» Das Resultat des pränatalen Tests war jedoch beunruhigend. Die Ärztin teilte Camenzind mit, es bestehe ein Risiko von 1:96, dass ihr Kind ein Down-Syndrom habe. Tage der Ungewissheit folgten, bis das Labor den Befund schliesslich bestätigte. «Als ich die Gewissheit hatte, dass mein Kind behindert sein würde, war ich im ersten Moment wie gelähmt. Ich fühlte keinen Kontakt mehr zu meinem Kind. Ich wusste nur, ich muss mich für oder gegen dieses Kind entscheiden. Das war ein immenser Druck.» Camenzind hatte Glück mit ihrer Ärztin. Diese riet ihr, sich für die Entscheidung Zeit zu lassen, und erklärte ihr genau, wie ein allfälliger Abbruch ablaufen würde. Sie gab ihr zudem Informationsmaterial und Adressen von Familien, die in der selben Situation gewesen waren. Zu Hause verfasste Camenzind eine Liste mit Pro- und ContraArgumenten. Sie kontaktierte eine Beratungsstelle, um herauszufinden, welche Unterstützung ein behindertes Kind erhalten und wie sein Leben aussehen würde. «Es sprachen schliesslich sehr viele Dinge für das Kind. Die meisten meiner Contra-Argumente entpup pten sich als Vorurteile.» Camenzind entschied sich daraufhin gemeinsam mit ihrem damaligen Partner, ihr Kind zu behalten. «In dieser Zeit spürte ich auch wieder eine Verbindung zu meinem Kind. Die Diagnose rückte in den Hintergrund.» Der Entscheid war eine Erleichterung. Das Paar suchte daraufhin Kontakt zu Eltern, die ein Kind mit Down-Sydrom hatten, und las viele Bücher. Das persönliche Umfeld reagierte positiv und unterstützte ihren Entscheid. Laurin kam im Oktober 2004 zur Welt. Er ist ein lebendiger Junge, ein Bewegungsmensch, der es gerne mag, mit seinen Geschwistern zu spielen, draussen zu sein, Trottinett zu fahren. «Ich kann nur sagen, er geniesst sein Leben», sagt seine Mutter. Dass er lebt, ist nicht selbstverständlich. Barbara Camenzind über … Zeit: Ist immer zu knapp und sehr kostbar. Arbeit: Mir war immer wichtig, berufstätig zu sein – auch mit einem Kind mit Down-Syndrom. Luxus: Zeit zu haben, insbesondere Ferienzeit. Freundschaft: Dank Laurin habe ich wunderbare Freundschaften geknüpft. Liebe: Ohne Liebe wäre das Leben trist. Ferien: Wir geniessen Ferien an Orten, wo Laurin so sein kann, wie er ist. Am Arbeitsplatz «Es ist an mir, das Eis zu brechen»Die von Geburt an gehörlose Selina LusserLutz arbeitet seit vier Jahren bei der Bundesverwaltung. Die Sensibilisierung ihrer Arbeitskollegen/-innen für eine stärkere Integration von Menschen mit Behinderung ist ihr wichtig. Marie-Christine Pasche «Bitte schalten Sie das Licht mehrmals an, um mich zu rufen, danke», besagt das kleine Schild, das auf ihrer Tür angebracht ist. Selina Lusser-Lutz ist gehörlos. Da ihr Schreibtisch nicht in Richtung der Tür orientiert ist, ist sie früher jedes Mal erschrocken, wenn jemand ihr Büro betreten hat. Um auch mit der Aussenwelt direkt kommunizieren zu können, benutzt sie nicht ein Telefon, sondern ein Notebook mit Skype-Video-Zugang. Seit einem Jahr ist Selina als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Abteilung Übertragbare Krankheiten des Bundesamts für Gesundheit (BAG) tätig. Zuvor absolvierte sie ein 12-monatiges Praktikum und hatte mehrere Mandate beim Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (EBGB) inne. «Ich bin dem Bund für diese Arbeitsstelle dankbar. Nach meinem Studium» – Lusser-Lutz hat Sportwissenschaften und Germanistik studiert – «hatte ich Schwierigkeiten, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden», erklärt die junge Frau. Die potenziellen Arbeitgeber taten sich schwer damit, zu verstehen, dass Selina, obwohl gehörlos, mehrere Sprachen spricht. Sie beherrscht die Gebärdensprache, aber auch die «ergänzte Lautsprache» (ELS), bei der man die Laute der gesprochenen Sprache im Gesicht erkennbar macht und das Lippenlesen vervollständigt wird. Damit ist es für schwerhörige Personen möglich, Verwechslungen mit nahezu identischen Mundbildabläufen für unterschiedliche, aber lautlich ähnliche Wörter zu umgehen. Erklären und nochmals erklären Die junge Mitarbeiterin der Sektion Prävention und Promotion arbeitet derzeit an einem Projekt, bei dem es um Sensibilisierungsfilme in Gebärdensprache geht. Zudem kümmert sie sich um die Übersetzung von Dokumenten. «Mit meinen Kolleginnen und Kollegen ist es immer noch nicht ganz einfach. Sie sind oft unsicher, wie sie mit mir in Kontakt treten sollen. Es ist an mir, auf sie zuzugehen und das Eis zu brechen. Es ist auch schon vorgekommen, dass die Leute nicht glaubten, dass ich gehörlos bin. Schliesslich kann ich sprechen. Ich muss ihnen dann erklären, wie ich das Sprechen erlernt habe.» Lusser-Lutz löst dieses Problem oftmals, indem sie eine DVD verteilt, an der sie mitgearbeitet hat. Der Dokumentarfilm «... und sie sprechen doch» erklärt unter anderem die ELS-Methode. Als Kommunikationsexpertin ist Lusser-Lutz überzeugt, dass Sensibilisierung auch hier entscheidend ist. Sie engagiert sich deshalb gerne bei Mitarbeiterschulungen, die von der Bundesverwaltung organisiert werden, um die Integration von Menschen mit Behinderung zu verbessern. «Schliesslich sind wir noch nicht sehr zahlreich.» Eine leichte Verbesserung: Zwischen 2009 und 2013 ist der Anteil von Personen mit Behinderung, die beim Bund angestellt sind, leicht von 0,7% auf 1,4% angestiegen. Die Human-Resources-Konferenz des Bundes (HRK) hat anerkannt, dass noch einiges getan werden muss. Im Januar 2013 nahm sie ein neues Programm zur beruflichen Integration auf, das die Entwicklung und die Harmonisierung mehrerer Instrumente vorsieht mit dem Ziel der höheren Effizienz. Zudem sollen Führungskräfte des Bundes in Kursen für die Problematik sensibilisiert werden. Zehn Jahre BehiG Umdenken im öffentlichen Verkehr Vor zehn Jahren trat das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) in Kraft. Es fordert einen hindernisfreien Zugang zum öffentlichen Verkehr (ÖV). Ein Rückund Ausblick mit der Fachstelle Barrierefreier öffentlicher Verkehr (BöV). Anita Huber Eltern mit Kinderwagen, Reisende mit Gepäck, ältere Menschen mit Rollator und Rollstuhlfahrende profitieren immer öfter vom niveaugleichen Einstieg in Bahn und Bus. Das war nicht immer so. Erst als vor zehn Jahren das BehiG in Kraft trat, wurden die Transportunternehmen in die Pflicht genommen. Nun müssen sie ermöglichen, dass Menschen mit Behinderung ohne Benachteiligung Einrichtungen und Fahrzeuge des öffentlichen Verkehrs nutzen können. Seit 26 Jahren setzt sich die Schweizerische Fachstelle Barrierefreier öffentlicher Verkehr (BöV) für den diskriminierungsfreien Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln ein. Die Fachstelle hat viel technische und planerische Pionierund Grundlagenarbeit geleistet. Als die ersten Massnahmen eingeführt wurden, hat die BöV deren Umsetzung fachlich begleitet und kritisch überprüft. Zwiespältige Bilanz Werner Hostetter, der seit 1999 für die Fachstelle tätig ist, zieht in den BöVNachrichten 1/14 eine zwiespältige Bilanz: Die Mehrheit der Transportunternehmen hätten aufgrund von fehlendem technischem Know-how, knappen finanziellen oder personellen Ressourcen, Alleingängen statt Kooperationen, beratungsresistentem Verhalten oder verspätetem Planen bei der Umsetzung Fehler gemacht. Doch als Rollstuhlfahrer stellt er fest: «Trotz dieser Widrigkeiten haben wir in den vergangenen zehn Jahren eine kleine Revolution im öffentlichen Verkehr erlebt.» Positives sieht auch Fachstellenleiter Markus Koller: «Wir haben bereits heute sehr viele niveaugleiche Einstiege oder solche mit kleinen Höhendifferenzen.» In vielen wichtigen Bahnhöfen wurden die Perrons bereits angehoben. Heute sind mehr als 50 Prozent der Bahnhöfe barrierefrei zugänglich. Geplant ist, bis 2023 die restlichen umzubauen. Allerdings kennt auch Markus Koller verpasste Chancen, beispielsweise bei den Billettschaltern: «Noch vor wenigen Jahren wurden Schalteranlagen gebaut, die nicht BehiG-konform sind. Man hat dies bei der Planung schlicht vergessen.» Verspätung haben die Transportunternehmen im Bereich der Kundeninformation, insbesondere für Seh- und Hörbehinderte. Bis Ende 2013 hätten sie die entsprechenden Anforderungen erfüllen sollen. Eine Umfrage von Agile.ch zeigte, dass erst die Hälfte der antwortenden Transportunternehmen diese Vorgaben umsetzt. Ziele fürs nächste Jahrzehnt In den nächsten zehn Jahren wird die BöV weitere technische Grundlagen erarbeiten sowie Projekte von Fahrzeugherstellern und Transportunternehmen begleiten. Sie ist eine wichtige Wissensplattform für konkrete Umsetzungslösungen. Die Fachstelle vernetzt Unternehmen in der ganzen Schweiz, welche dieselben Probleme lösen müssen. So können zum Beispiel Busbetriebe Erfahrungen austauschen und gute Umsetzungsbeispiele kennenlernen. Eine wichtige Aufgabe der BöV ist gemäss Markus Koller zudem, zwischen den Behindertenorganisationen und den Transportunternehmen zu vermitteln. «Um Lösungen zu finden, müssen beide Seiten Kompromisse eingehen.» Die Schweizerische Fachstelle Barrierefreier öffentlicher Verkehr existiert seit 1988. Sie wird von -verschiedenen Behindertenorganisationen getragen, darunter auch von Procap. Infos unter www.boev.ch. Reisen Ferien für alle – mit Reisebegleitung Den Alltag hinter sich lassen, in die Ferien reisen tut allen gut. Für viele Menschen mit Handicap ist dies nur möglich, wenn sie unterwegs optimal betreut werden. Procap Reisen ist dafür die Spezialistin. Susi Mauderli Es ist heiss. Die Procap-Reisegruppe ist spät dran – ein Teilnehmer wollte nicht nach Hause zurückfliegen, es brauchte lange, bis er reisefertig war. Der Busfahrer bringt die Gruppe vom Hotel in der Türkei an den Flughafen, ans – falsche – Terminal und fährt sogleich wieder weg. Das richtige Terminal liegt zwei Kilometer weiter. Die Reisegruppe: Menschen mit Behinderungen, darunter viele Rollstuhlfahrer/-innen. In solchen Situationen, so Reiseleiterin Dunja Zazar, sei rasches Handeln und Gelassenheit gefragt, «aber auch das tiefe Wissen, dass es einen Weg gibt, wo ein Wille ist». Die gelernte Sozialpädagogin und Ernährungsberaterin leitet seit fünf Jahren Reisen von Procap ins In- und Ausland. Die Faszination für fremde Länder prägt sie ebenso wie die Freude an der Arbeit mit Menschen mit Behinderung. Das Schöne dieser Erde zeigen Die oben beschriebene Reisegruppe kam vollzählig und pünktlich nach Hause, und Dunja Zazar hat seither viele weitere Reisen geleitet. So war sie letztes Jahr die Richtige, um einen leicht lern- und körperbehinderten Mann auf eine sechswöchige Reise durch Indien zu begleiten – auf Wegen, die auch für die meisten nicht behinderten Menschen eine Herausforderung darstellen. Nach ihrer Motivation gefragt, erzählt sie von der Freude, die sie empfindet, wenn sie glückliche Menschen sieht, die zum ersten Mal das Meer, eine Stadt oder einfach ihre Wunschdestination sehen. Aber es gehe auch um ganz banale Dinge: «Viele Menschen mit Handicap wollen in den Ferien endlich einmal in den Ausgang. Bis morgens um eins in einer Bar zu sitzen, ist ein Luxus, den betreute Menschen im Alltag meistens nicht haben.» Sich auf Menschen einlassen Vor der Abreise erhalten Reiseleiter/-innen wie Dunja Zazar Informationen über die Teilnehmenden. Dabei geht es um weit mehr als die Art der Behinderung. Welche Medikamente muss jemand einnehmen, wer braucht Hilfe bei der Körperpflege, wer darf vor Ort auch allein losziehen – diese und viele weitere Fragen werden von Procap Reisen im Voraus abgeklärt. «Abzuwägen zwischen notwendiger Beaufsichtigung und Selbstständigkeit, ist manchmal eine Gratwanderung.» Deshalb sei es sehr wichtig, dass begleitende Menschen offen und flexibel seien und die Fähigkeit hätten, sich mit Wertschätzung und Respekt auf verschiedenste Menschen einzulassen. Dunja Zazar erlebt immer wieder, dass Menschen, die sie begleitet, sich öffnen, weil sie sich Zeit nimmt, ihnen zuzuhören. Auch das fehle vielen im Alltag. «Ich lerne so viel von Menschen mit Behinderung. Oft fällt mir auf, dass sie ganz in der Gegenwart leben, dass sie näher am eigentlichen Sein sind als andere Menschen.» Einsätze in betreuten Ferien Für die Realisierung der rund 60 betreuten Ferienangebote für Menschen mit Handicap suchen wir regelmässig Reiseleiter/innen und freiwillige Ferienbegleiter/-innen. Verfügen Sie über Erfahrungen in der Betreuung von Menschen mit einer Behinderung? Oder sind Sie daran interessiert? Wir bieten Ihnen spannende Aufgaben im Reise- oder Freizeitbereich. Weitere Informationen finden Sie auf www.freiwilligenarbeit.procap.ch. Sektionen Procap Aarau Generalversammlung Am 8. März konnte der Vorstand von Procap Aarau trotz herrlichem Frühlingswetter 57 Personen an ihrer GV im reformierten Kirchgemeindesaal in Oberentfelden begrüssen. Alle Geschäfte wurden einstimmig angenommen. Verena Erb, Präsidentin der Sektion Procap Fricktal, las einen Brief der abtretenden Präsidentin Cornelia Lüthy vor, in welchem sie sich aus dem Vorstand verabschiedete. Procap Aarau dankt Conny Lüthy im Namen des Vorstandes und der Mitglieder herzlich für die geleistete Arbeit! Vizepräsidentin Renate Läderach gab bekannt, dass der Vorstand im Moment noch keine neue Präsidentin oder neuen Präsidenten bekannt geben und zur Wahl vorschlagen könne. Der Vorstand wird die Geschäfte in der bekannten Konstellation weiter führen: Regula Zehnder als Kassierin, Thomas Brunner für besondere Aufgaben und Renate Läderach als Vizepräsidentin. Procap Oberwallis Generalversammlung An der 70. Generalversammlung von Procap Oberwallis in der Simplonhalle in Brig zeigte sich Verbandspräsident Valentin Pfammatter (Bild) erfreut, dass Procap Oberwallis mit heute rund 1000 Mitgliedern auch nach 70 Jahren auf einem soliden Fundament steht. 2013 nahmen 2600 Personen die Beratungen der Kontaktstelle in Anspruch oder nahmen an Anlässen und Kursen teil, erklärte Geschäftsführer Christophe Müller in seinem Jahresbericht. Nach dem stürmischen Vorjahr (Zweitwohnungsinitiative und Abstimmung über das Raumplanungsgesetz) kehrte bei der Bauberatung wieder mehr Ruhe ein. Bei den Ergänzungswahlen wurde neu Pia Schwery-Zurbriggen aus Naters in den Vorstand gewählt. Staatsrätin Esther Waeber Kalbermatten ging in ihrem Gastreferat auf die Politik für Menschen mit einer Behinderung im Wallis ein. Procap March-Höfe Generalversammlung Procap March-Höfe lud unlängst zur 55. Generalversammlung im Pfarreiheim Gerbi in Lachen ein. Vizepräsident Heribert Trachsel begrüsste die geladenen Gäste sowie die Mitglieder von Procap. Höhepunkt der Versammlung waren zahlreiche Ehrungen von langjährigen Mitgliedern. Nach der Annahme der Jahresrechnungen und Revisionsberichte standen die Wahlen auf der Traktandenliste. Der gesamte Vorstand stellte sich zur Wiederwahl. Auch das Jahresprogramm wurde vorgestellt. Dieses hält im Juni einen grossen Anlass für Sportbegeisterte in Tenero bereit. Auch die traditionelle Höfli-Chilbi und die Adventsfeier werden nicht fehlen. Die Gäste wurden im Anschluss an die GV vom Samariterverein bei einem späten Mittagessen herzlich bewirtet. Procap Kanton Solothurn Generalversammlung Präsident Peter Schafer begrüsste die Anwesenden zur vierten Generalversammlung von Procap Kanton Solothurn in der Eta-Kantine in Grenchen. Er hiess Anita Burau und Susanne Haeder von Procap Nordwestschweiz, Franz Müller, Leiter Fachstelle Behinderung, Amt für soziale Sicherheit, Solothurn und Sandra Näf, Präsidentin Verein Insieme, Olten, als Gäste herzlich willkommen. Der Präsident informierte über einige Eckpunkte in seinem Jahresbericht. Die Jahresrechnung wurde von der Versammlung einstimmig genehmigt und der Kassierin Décharge erteilt. Das diesjährige Tätigkeitsprogramm ist vielseitig. Es gibt gemeinsame Anlässe und solche in den Regionen. Die Vereinsreise und die GV werden jeweils gemeinsam durchgeführt. Zwei Mitglieder konnten für ihre 50-jährige Mitgliedschaft und elf Mitglieder für ihre 25-jährige Zugehörigkeit geehrt werden. Den Anwesenden wurde ein Geschenk überreicht. Die Sektion Procap Kanton Solothurn sucht immer wieder Helfer/-innen für ihre Standaktionen: Schoggiherzliverkauf und Losverkauf an der Kilbi. Interessierte melden sich bitte bei Procap Kanton Solothurn. Agenda Montreux Jazz Festival barrierefrei Zum zweiten Mal in Folge berät und begleitet Procap Schweiz dieses Jahr das Team des Montreux Jazz Festivals (4.–19. Juli 2014) zu allen Fragen rund um die Zugänglichkeit der verschiedenen Veranstaltungen. Dank dieser Zusammenarbeit wird in Montreux erstmals ein Konzert in Gebärdensprache übersetzt werden können. Das Gratiskonzert von Ella Ronen im Rahmen von «Music in the Park» findet am 19. Juli statt. Ronen wird auf der Bühne von einer Gebärdensprachübersetzerin begleitet. Zudem werden für Interessierte ein Workshop über Techniken zur Übersetzung von Tönen und geführte Besuche des Backstagebereiches des Festivals in Gebärdensprache angeboten. »Weitere Informationen: www.zugangsmonitor.ch. Auf unserer Facebookseite werden wir Gratiseintritte verlosen. 6. Jungfrau-Pararace Am 12. September findet im Rahmen des 22. Jungfrau-Marathons zum sechsten Mal der Behindertensportanlass Jungfrau-Pararace statt (Kategorien Handbike, Sprint, Meile und offen). In der offenen Kategorie über 200 m können alle mitmachen, unabhängig von Art und Grad der Behinderung. Alle Teilnehmenden erhalten eine Medaille. Die Strecke in der offenen Kategorie verläuft auf dem Höheweg im Zentrum von Interlaken (Start: 16.30 Uhr). »Anmeldung bis 10. August. Weitere Informationen: www.jungfrau-marathon.ch > Pararace Zürcher Theater Spektakel Unter dem Motto «Zürcher Theater Spektakel – ein inklusiver Anlass» baut das internationale Theater- und Tanz-Festival, das vom 14. bis 31. August auf der Landiwiese in Zürich stattfindet, das Programmangebot für Menschen mit Sinnesbehinderungen aus: Vorstellungen mit Live-Audiodeskription ermöglichen sehbehinderten Menschen den Besuch. Für Hörbehinderte sind neu ausgewählte deutschsprachige Stücke untertitelt und vier der Spielorte mit Induktionsschleifen ausgerüstet. Bei der Infrastruktur sind mit einem barrierefreien Kassenbereich sowie einer zusätzlichen Behindertentoilette Verbesserungen zu verzeichnen. Und dank einem taktil fassbaren Plan im Eingangsbereich können sich auch blinde Menschen besser auf dem Festivalgelände orientieren. Programminfos ab Ende Mai: www.theaterspektakel.ch Barrierefreie Dokumentation: www.zugangsmonitor.ch Vorverkauf: ab 9. Juli 2014 Buchtipp: Lehrmittel zu Sport und Behinderung Das neue Lehrmittel «Sport, erst recht» von PluSport vermittelt Basiswissen, um mit Menschen mit einer Behinderung bedürfnisgerecht und erfolgreich Sport treiben zu können. Was muss man zum Beispiel wissen, wenn man Menschen mit einer Sehbehinderung oder mit Epilepsie im Sport begleitet? Das Buch beschreibt 17 verschiedene Behinderungsbilder und deren Auswirkungen auf Bewegung und Sport und liefert interessierten Sportleitern/-innen geeignete Instrumente zu Planung, Durchführung und Auswertung von Bewegungs- und Sportlektionen. Stefan Häusermann, Chantal Bläuenstein, Isabelle Zibung: Sport, erst recht, 2014, Ingold Verlag. Buchtipp: Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik Ein Kind mit einer Behinderung verhindern, ein Kind zur Rettung eines Geschwisters auswählen, ein Knabe statt ein Mädchen – was spricht dagegen? Pränataldiagnostik und Präimplantationsdiagnostik konfrontieren Gesellschaft und Individuum mit schwierigen ethischen Fragen. Fachpersonen aus verschiedenen Bereichen, Menschen mit einer Behinderung und ihre Angehörigen nehmen Stellung. Das Buch wurde initiiert von insieme Schweiz, der Dachorganisation der Elternorganisationen für Menschen mit geistiger Behinderung. Christian Kind, Suzanne Braga, Annina Studer (Hg.): Auswählen oder annehmen? Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik – Testverfahren an werdendem Leben, 2010, Chronos. Juristischer Ratgeber Muss die Krankenkasse den Gentest zahlen? Unser 6-jähriger Sohn wurde mit einer Mehrfachbehinderung geboren. Die Ärzte empfehlen eine genetische Untersuchung, um eine allfällige Chromosomenstörung nachzuweisen. Muss unsere Krankenkasse den ärztlich empfohlenen Gentest bei unserem Sohn bezahlen? Was müssen wir beachten? Gabriela Grob Hügli, Rechtsanwältin Gemäss dem Bundesgesetz über die Krankenversicherung müssen Leistungen immer die Kriterien von Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit erfüllen. Zudem haben sie sich auf das Mass zu beschränken, das im Interesse der versicherten Person liegt und das für den Behandlungszweck erforderlich ist. In diesem Sinn übernimmt die obligatorische Krankenpflegeversicherung unter anderem Kosten für Leistungen, die der Diagnose oder der Behandlung einer Krankheit und ihrer Folgen dienen. Dazu gehören ärztlich verordnete Analysen. Analysen, die als Pflichtleistung im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vergütet werden, sind in der sogenannten Analysenliste aufgeführt. Dabei handelt es sich um eine Positivliste mit verbindlichem und abschliessendem Charakter. Bei ihrem Sohn Andreas liegen unter anderem eine Epilepsie, eine mentale Retardierung und eine Mikrozephalie vor. Die vom Arzt empfohlene Reihenhybridisierung (Gentest zum Nachweis von Chromosomenanomalien) ist in der Analysenliste aufgeführt. Sie ist somit grundsätzlich eine Pflichtleistung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung. Trotzdem wehren sich Krankenkassen immer wieder dagegen, Genuntersuchungen als Pflichtleistungen anzuerkennen und entsprechend zu vergüten. Oft wird die Wirksamkeit in Frage gestellt. Es wird argumentiert, dass bei vergleichbaren Patienten trotz Gentest die Diagnose unklar bleibe und Kleinstmutationen der Chromosomen auch mit hochauflösenden Genuntersuchungen nicht zu erkennen seien. Ebenfalls seien von solchen Untersuchungen keine medizinischen Massnahmen zu erwarten. In der Praxis stellen sich tatsächlich schwierige Abgrenzungsfragen; allgemeingültige Ratschläge und Erklärungen sind deshalb nicht möglich. Die Rechtsprechung stellt denn auch jeweils auf den konkreten Einzelfall ab. Immerhin kann aber gesagt werden, dass bestimmte Kriterien erfüllt sein müssen, um eine Kostenübernahme für genetische Untersuchungen bei bereits vorliegender Erkrankung oder konkretem Krankheitsverdacht zu erwirken. Die Analyse muss immer der Diagnose oder der Behandlung einer Krankheit und ihrer Folgen dienen. Und sie muss mit einer hohen Wahrscheinlichkeit die Konsequenz haben, dass sie • einen Entscheid über Notwendigkeit und Art einer medizinischen Behandlung oder • eine richtungsgebende Änderung der bisher angewendeten Behandlung oder • eine richtungsgebende Änderung der notwendigen Untersuchung oder • einen Verzicht auf weitere Untersuchungen von typischerweise zu erwartenden Krankheitssymptomen, Folgeerkrankungen oder Beschwerden zur Folge hat. Damit die Kosten von Genuntersuchungen allenfalls von Ihrer Krankenkasse übernommen werden, ist eine enge Zusammenarbeit mit einem Facharzt für Humangenetik unabdingbar. Er muss die oben erwähnten Kriterien auf die Erkrankung Ihres Sohnes anwenden und die Notwendigkeit der empfohlenen Reihenhybridisierung anhand dieser Voraussetzungen konkret darlegen. Für eine weiterführende Beratung wenden Sie sich bitte an die für Sie zuständige Beratungsstelle von Procap. Procap-Ratgeber «Was steht meinem Kind zu? Ein sozialversicherungsrechtlicher Ratgeber für Eltern von Kindern mit Behinderung», 4., aktualisierte und überarbeitete Auflage, CHF 34.– (CHF 29.– für Mitglieder) plus Porto. Bestellungen an [email protected]. Ratgeber Procap bewegt Haben Sie Ernährungstipps für Wohngruppen? Als Betreuer/-innen einer Wohngruppe für Erwachsene mit unterschiedlichen Behinderungen möchten wir uns mit dem Thema Ernährung beschäftigen. Isabel Zihlmann, Ernährungsexpertin Zu Beginn ist es wichtig, die Ess- und Trinkgewohnheiten jeder einzelnen Person innerhalb der Wohngruppe kennenzulernen. Am besten halten sie diese gemeinsam mit den Bewohnern/-innen in einem persönlichen Tagebuch fest. Notieren Sie individuelle Voraussetzungen und Lebensgewohnheiten: Wann und was isst und trinkt die Person? Was mag sie am liebsten, was nicht? Auf diese Weise werden eigene Bedürfnisse bewusst gemacht, und es entstehen Ideen für Zielsetzungen und Aktivitäten. Ein Ziel könnte beispielsweise sein, dass die Bewohner/-innen regelmässig Wünsche für den Speiseplan einbringen können. Spannend ist für viele auch, eigene Schöpfmengen nachzuwiegen oder herauszufinden, wie viel Zucker in den Getränken enthalten ist. Muss es so süss sein, oder ginge es auch anders? Für ein Fest können Sie gemeinsam mit den Bewohnern/-innen der Wohngruppe bunte kulinarische Beiträge gestalten, die sich unter ein bestimmtes Motto (z.B. Essen aus aller Welt für die Fussball-WM) stellen lassen. Einige weitere Tipps: Gemeinsam Rezepte entwickeln und kochen oder Ateliers zu Geruch und Geschmack, um die Sinne anzusprechen und die Neugier auf andere sensorische Erfahrungen zu wecken. Für ein gutes Körperbewusstsein gehört auch die Auseinandersetzung mit Bewegung und körperlichem Empfinden dazu. Wichtig ist bei der Durchführung aller Aktivitäten: Schaffen Sie Strukturen und Gelegenheiten, sich während einer längeren Zeit mit der Thematik zu befassen, beispielsweise in Form von regelmässigen gemeinsamen Aktivitäten und als festen Input bei Sitzungen der Wohngruppe. Auf diese Weise lassen sich Fortschritte verfolgen und auch nach aussen kommunizieren. Hilfsmittel für das Notieren von Ess-, Trink- und Bewegungsgewohnheiten: Gesundheitspass Essen, Trinken und Bewegen». Download auf www.procap-bewegt.ch. Tipps für Aktivitäten: Broschüre «Gesund leben mit Behinderung». Bestellung: [email protected]. Übung mit Ball Übung: Gerader Rücken, einen weichen Ball in die Hand nehmen. Zudrücken, den Druck 2 bis 5 Sekunden beibehalten, dann wieder loslassen. 5 bis 10 Wiederholungen. Ziel: Stärkung der Finger und Unterarme. Empfehlungen von Procap für ein erfolgreiches Training - Passen Sie die Anstrengung -immer Ihren Möglichkeiten an. - Achten Sie auf Ihre Atmung. - Sie sollten während der Übung immer in der Lage sein zu sprechen. » Trinken Sie genügend – am besten Wasser. Fragen zu den Themen Ernährung und Bewegung schicken Sie bitte per Post an Procap bewegt, Frohburgstrasse 4, Postfach, 4601 Olten, E-Mail [email protected]. Schlusswort Frühdiagnostik Wenn es die Präimplantationsdiagnostik (PID) bereits 1957 gegeben hätte, und dabei festgestellt worden wäre, dass ich möglicherweise MS bekommen würde, wäre ich wahrscheinlich abgetrieben worden. Mein Vater war ein überaus vorsichtiger Mensch und tat sich sehr schwer, mit Unsicherheiten zu leben. Und das wäre sehr schade gewesen. Immerhin lebe ich seit 57 Jahren recht gut, auch wenn bei mir im Alter von 19 Jahren MS diagnostiziert wurde und ich seit 20 Jahren im Rollstuhl sitze. Aber was hätte ich nicht alles verpasst. Meinen ersten Kuss mit Astrid am Rand vom Büschiwald bei Köniz im Kanton Bern. Meinen besten Freund Riccardo, den ich seit bald 50 Jahren kenne. Meine Reise nach Mallorca, wo ich im Speisesaal unseres Hotels das schönste Mädchen sah, das ich je gesehen hatte. Seit vielen Jahren ist sie meine Frau. Die zwei Bücher, die ich veröffentlichen konnte. Multiple Sklerose ist etwas anderes als Trisomie. Aber hart ist es so oder so. Trotzdem bin ich glücklich, dass ich lebe. Reto Meienberg Reto Meienberg ist freischaffender Werbetexter und hat Texte zu BehindertenCartoons verfasst. Der heute 57-Jährige hat mit 19 die Diagnose Multiple Sklerose erhalten. Schwerpunkt 3/2014: Hindernisfrei wohnen Nächster Schwerpunkt Mehr als 170 000 Menschen in der Schweiz benötigen aufgrund einer Gehbehinderung rollstuhlgängige Wohnungen. Aber hindernisfreie Wohnungen sind Mangelware und oft teuer. Im nächsten Magazin lesen Sie mehr zum Thema und über die Sensibilisierungskampagne von Procap, die sich an Verantwortliche der Immobilien- und Baubranche richtet. Kleinanzeigen Die Gratiskleinanzeigen für Mitglieder finden Sie auf der Website von Procap www.procap.ch. Sie können unter den Rubriken Partnerschaft/Freundschaft, Hilfsmittel, Assistenz oder Wohnung Anzeigen aufgeben. Falls Sie Fragen haben oder Hilfe beim Ausfüllen des Onlineformulars benötigen, kontaktieren Sie Susi Mauderli, Tel. 062 206 88 96. Impressum Herausgeberin Procap Auflage WEMF 21 968 (total), 17 396 (deutsch); erscheint vierteljährlich Verlag und Redaktion Procap-Magazin, Frohburgstrasse 4, Postfach, 4601 Olten, Tel. 062 206 88 88, [email protected], www.procap.ch Spendenkonto IBAN CH86 0900 0000 4600 1809 1 Leitung Redaktion Franziska Stocker Mitarbeit in dieser Nummer Gabriela Grob Hügli, Anita Huber, Susi Mauderli, Reto Meienberg, Marie-Christine Pasche, Isabel Zihlmann Übersetzung Tatjana Lauber, Franziska Stocker Korrektorat -Priska Vogt Layout Clemens Ackermann Inserateverwaltung Axel Springer Schweiz AG, Fachmedien, Förrlibuckstrasse 70, Postfach, 8021 Zürich, 043 444 51 09, Fax 043 444 51 01, [email protected] Druck und Versand Stämpfli -Publikationen AG, Wölflistrasse 1, 3001 Bern; Adressänderungen bitte -Ihrer Sektion melden oder Procap in Olten, Tel. 062 206 88 88. Papier FSC Mix aus nachhaltiger Waldbewirtschaftung Abonnemente Jahresabonnement für Nichtmitglieder Schweiz CHF 20.–, Ausland CHF 25.–, ISSN 1664-4603. Redaktionsschluss für Nr. 3/ 2014 24. Juli 2014; Nr. 3 erscheint am 28. August 2014.