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Verarbeitungsformen von Dialyse Stress - Intuitive Dialoge zur Lösung von Teamkonflikten in Dialyseeinrichtungen
Wie verarbeiten Dialyse Patienten den Stress ihres Dialyse Lebens? Lassen sich
Spannungen und Team Konflikte in Dialyse Einrichtungen hierüber verstehen und
lösen? In einem ersten Schritt will ich versuchen, spezifische Verhaltensweisen von
Patienten als Reaktionsformen ihres Dialyse Lebens zu schildern. Anschließend möchte
ich Ihnen eine spezifische Supervisions Methode vorstellen, mit der die Konflikte im
Behandlungsteam als Verarbeitungsform
nicht ansprechbarer Patienten Ängste
verstanden werden können. Im zweiten Teil dieser Veranstaltung werde ich dann
gemeinsam mit Ihnen praxisnah erproben, wie über das Wahrnehmen und Schildern der
eigenen Befindlichkeit und Gestimmtheit hier in der Runde, nach dem wir den Bericht
eines Teilnehmers über Probleme mit einem seiner Patienten in uns aufgenommen
haben, wie sich hierdurch die Beziehungsproblematik verringert.
Einführung
Die "künstliche Niere" ist für den Dialyse-Patienten eine technisch komplizierte Maschine und gleichzeitig ein lebenswichtiges Ersatzorgan. Er erlebt, wie sein Blut durch
Schlauchsysteme in eine Maschine hinein und wieder herausströmt. Blinkende und
tönende Signale halten ihn dabei angstvoll wach. Sie melden ihm Störungen seines
Bluttransportes. Die Anschlußstelle seines Körpers für das Schlauchsystem, der
sogenannte Shunt, wird dabei nicht selten zum angstbeladenen Objekt des gesamten
Systems. Zusätzlich auftretende körperliche Komplikationen sowie Probleme und
Todesfälle bei Mitpatienten, geben der Angst ständig neue Nahrung. Die künstliche
Niere ist zum beherrschenden Faktor in seinem Leben geworden. Leistungs- und
Liebesfähigkeit, gewohntes Rollenverhalten im Beruf, in der Familie und im
Freundeskreis sind unwiderruflich verändert. Der Patient muß sich die Maschine
psychisch einverleiben. Hierbei gerät er in einen nicht lösbaren Konflikt zwischen
seinem Bedürfnis nach Autonomie und der Dauer Abhängigkeit von Maschine und
Betreuern.
Die psychische Einverleibung einer Maschine
Welche Faktoren der Prothesenbehandlung bestimmen die Schwere und die Formen
psychoreaktiven Fehlverhaltens? Beginnen wir mit dem Prozeß der Eingewöhnung und
Anpassung an einen Zahnersatz oder an eine neue Brille. Die anfängliche Fremdheit
durch das ungewohnte Material, das veränderte Gefühl bzw. Aussehen läßt sich als
Beeinträchtigung des Identitätsgefühls verstehen. Durch kritische, aber auch durch
positive Bemerkungen der Mitmenschen befindet sich die neue Prothese noch zwischen
dem Prothesenträger und der Umwelt. Sie drückt noch. Sie gehört ihm noch nicht ganz.
Sie erfordert noch Aufmerksamkeit. Der Eingewöhnungsprozeß ist wohl erst
abgeschlossen, wenn z.B. die neue Brille störungsfrei verbessertes Sehen ermöglicht
und nicht besonderer Aufmerksamkeit mehr bedarf. Arm- und Beinprothesen, aber auch
Sportgeräte wie Tennisschläger oder Schlittschuhe unterliegen dem gleichen Prinzip.
Sie funktionieren optimal, wenn sie nicht mehr als Fremdkörper, sondern als Teil des
eigenen Körpers erlebt werden, wenn sie "psychisch einverleibt" worden sind, als zur
Identität des Trägers gehörig erlebt werden.
* Vortrag auf einer Dialyse Tagung in Ulm 1995
In : H. E. Franz: Dialyse. Pabst Science Publishers. (1998)
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Die Gewöhnung und Anpassung an lebenserhaltende Prothesen ist ähnlich zu verstehen.
Ängste und Abhängigkeiten komplizieren und erschweren jedoch den Prozeß des
psychischen Einverleibens. Je weniger Ängste eine Prothese unterhält bzw. wachruft, je
weniger Aufmerksamkeit sie erfordert und je weniger abhängig ihre Funktion von der
Wartung durch Ärzte, Schwestern, Techniker und Angehörige ist, um so mehr
Sicherheit wird sie ihrem Träger geben. Im Idealfall funktionieren Vital-Prothesen
ebenso unbemerkt wie die inneren Organe des gesunden Menschen. Die künstliche
Niere läßt sich jedoch nicht "vergessen". Sie ist störanfällig und mobilisiert immer
wieder neue vitale Ängste.
Der Konflikt zwischen Abhängigkeit und Autonomie
Wir fanden als - häufig unauflösbaren - zentralen Konflikt des Dialyse-Patienten sein
Gefangensein in dem Problemkreis von Abhängigkeit und Autonomie. Einerseits steht
er vor der Aufgabe, über seine künstliche Niere möglichst frei zu verfügen , um
angstfreier und frei von Abhängigkeiten sein Leben wieder selbst in die Hand zu
bekommen. Andererseits benötigt er jedoch die Sicherheit fachkompetenter
Notfallingenieure, also Schwestern, Ärzte und Techniker. Das Problem läßt sich
zugespitzt so formulieren: Beherrscht der Patient seine Prothese oder wird er von ihr
beherrscht?
Die chronische Dialysestation
Auf einer chronischen Dialysestation eines Krankenhauses sind die Abhängigkeitsbeziehungen besonders ausgesprochen. Der Patient hat sich hier weitgehend der Maschine
zu unterwerfen. Sie gehört ihm nicht. Sie ist ein Behandlungsinstrument von Ärzten und
Schwestern für mehrere Patienten gleichzeitig. Und doch ist die Maschine - wie unter
anderem die Analyse von Träumen dieser Patienten zeigt - ein zentraler angstbesetzter
Teil seines Lebens. Der Patient erlebt eine zufällig mißgelaunte Schwester, die an
seinem Gerät unwillig hantiert, als bedrohlich. Sie ist für ihn - unbewußt - Teil seines
verinnerlichten Angstsystems. Sie muß als "Bedienstete seiner Maschine" störungsfrei
für ihn funktionieren. Die PflegerInnen erleben den Erwartungsdruck und die
Anklammerungsversuche des Patienten als Überforderung. Sie spüren gleichzeitig die
Verselbständigungsversuche des Patienten, der sich von ihnen zu distanzieren sucht,
um selbst Herr über seine Krankheit zu werden. Sie erleben diese häufig kindlich-trotzig
anmutenden Versuche als ungehörig und undankbar, als "renitent". Die KrankenpflegerInnen sind voll in dem Konflikt von Abhängigkeit und Unabhängigkeit des
Patienten einbezogen. Sie sind ein Teil dieses Konfliktsystems geworden. Auf dieser
Grundlage lassen sich
die eigenartigen Kleinkämpfe auf chronischen DialyseStationen, die familiär anmutenden, zum Teil offen aggressiven Spannungen, die
resignativ-depressiven Stimmungen und die kommunikationsarmen Pseudobeziehungen, die hilflosen Rückzugstendenzen des Patienten wie das Überfordertsein
der Mitarbeiter verstehen. Anhaltend lähmende depressive Verstimmung eines ganzen
Behandlungsteams findet sich nicht selten nach dem Todesfall eines Patienten, der
jahrelang betreut wurde und zu dem - verstehbar - intensive Gefühlsbeziehungen sich
aufbauten, die jedoch nach seinem Tod verleugnet werden.
Bewältigungsformen von Dialyse Stress
In testpsychologischen Untersuchungsreihen von Dialyse-Patienten fanden wir 4 signifikant unterschiedliche Gruppen von Patienten mit jeweils typischen Verhaltensabwei-
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chungen, die wir als unterschiedliche Bewältigungsformen von Dialyse Stress verstehen.
Diese psychoreaktiven Verhaltensmuster entsprechen regressiven Rückzugsorten, die
tiefenpsychologisch verstanden und beschrieben werden können. Sie lassen sich nach
folgenden Merkmalen unterteilen:
1. Depressiv, hilflos und anklammernd.
2. Trotzig, protestierend.
3. Problemverleugnend, sachorientiert.
4. Gefühlsoffen, autonom.
Diese unterschiedlichen Verarbeitungsformen von Dialysestress lassen sich als
unterschiedliche Beziehungsmuster, als typische Verhaltensweisen von Dialyse
Patienten auf jeweils unterschiedlichen Behandlungs- Ebenen beschreiben. Wir
unterscheiden:
1. Die Abhängigkeitsebene;
2. die Durchsetzungsebene;
3. die Sachebene;
4. die Autonomieebene
Die Abhängigkeitsebene findet sich in Form typischer Beziehungsmuster am Anfang der
Dialysebehandlung mit häufig starken depressiv-angstvollen Anklammerungswünschen
und Passivität auf seiten des Patienten sowie mit fachlichem Engagement emotionalem
Engagement und Aktivität auf seiten der Ärzte und des Pflegepersonals. Diese
Abhängigkeits-Verzweiflung ist verstehbar. Als Reaktion auf die massive Störung des
körperlichen Grundvertrauens entwickelt sich ein Gefühl von Hilflosigkeit mit dem
Bedürfnis, sich festzuklammern an Halt und sicherheitsgebende Angehörige, Ärzte und
Schwestern. Die Trauer über den Verlust der Nierenfunktion und damit des körperlichen
Grundvertrauens ist ja berechtigt. Sie muß durchlebt und durchlitten werden, um Kraft
für den Neubeginn freizubekommen. Der Versuch, die Trauer in sich zu verstecken, sie
nicht zuzulassen, führt in der Regel zu kräfteverschleißender, stiller Traurigkeit, über
Monate und Jahre und behindert die Ausbildung eines neuen Grundvertrauens und
damit die Entwicklung von neuem Lebensmut. Nach der ersten Dialyse werden deshalb
einige Tage oder Wochen in tiefer Traurigkeit erlebt, bis die Bereitschaft erwächst, das
neue Leben sich anzusehen, sich selbst wieder anzunehmen. Die Abhängigkeitswünsche
vor allem an die Pflegegruppe ist hierfür typisch und wohl auch häufig sinnvoll am
Anfang der Behandlung sowie bei kurzzeitig dauernden akuten Erkrankungskomplikationen. Tiefenpsychologisch entspricht sie einer Regression in die frühe
Mutter-Kind-Beziehung.
Die Durchsetzungsebene ist gekennzeichnet durch zahlreiche Auseinandersetzungen
zwischen Patienten, Angehörigen, Ärzten und Schwestern. Von seiten des Patienten
besteht der Wunsch, sich aus der hilflos machenden Behandlungs- und BetreuungsSituation zu befreien und gleichzeitig damit die inneren Ängste durch äußere Gefechte
abbauen zu helfen. Es dreht sich dabei häufig um Bagatellfragen, in denen der Patient
"sein Recht verlangt", "seine Kritik anmeldet" oder sich trotzig abwehrend verhält. Für
Pflegekräfte und Ärzte ist diese Beziehung besonders aufreibend, da sie durch ihn in
ihrem Berufsselbstverständnis verunsichert werden und durch ihn die Insuffizienz des
gesamten Behandlungssystems sichtbar zu werden droht. Patienten gewinnen hierüber
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jedoch erste Autonomie Erfolge im notwendigen Rehabilitationsprozeß.
Tiefenpsychologisch läßt sich hier eine Regression in die frühe Trotzphase postulieren.
Die Sachebene im Behandlungsfeld der Dialyse-Patienten ist gekennzeichnet durch das
Fehlen von Auseinandersetzungen, durch emotionale Leere und durch sachlich-höflichdistanzierende Beziehungen. Auffallend ist ferner das Fehlen jeglicher
Problemerörterungen. Es scheint hier keine besonderen Schwierigkeiten und Ängste zu
geben. Belastungen und Gefährdungen des Dialyselebens werden verleugnet. Der Patient unterdrückt andrängende Probleme und angstvolle Gedanken. Gleichzeitig dient
ihm die konfliktfreie Beziehung zum Therapeuten als Lösung aus lähmender
Abhängigkeit und zur Überwindung bzw. Umgehung angstmachender
Auseinandersetzungen. Diese rehabilitativen Schritte werden jedoch durch die Folgen
emotionaler Isolierung und Nichtwahrnehmung von Komplikationen gefährdet. Von den
Mitarbeitern wird diese Verleugnungs- und Sach-Ebene nicht selten als emotional
entlastend erlebt. Hier zeigt sich auch für sie beispielhaft die Möglichkeit, emotional
belastenden Situationen aus dem Weg zu gehen. Also auch die Sach-Ebene entspricht
einem System stabilisierendem Arrangement zwischen Patient und Betreuer.
Tiefenpsychologisch läßt sich hier die Regression in die Latenzphase der Kindheit
diskutieren.
Die Autonomieebene ist im Krankenhaus nicht oder nur partiell zu erreichen. Wir
verstehen darunter eine erstrebenswerte Beziehungsebene, in der ein Patient weitgehend
autonom sein Leben wieder selbst in die Hand genommen hat. Er fühlt sich nicht mehr
in hilflosmachender Abhängigkeit. Er hat das Stadium des trotzigen Aufbegehrens
überwunden, und er kann den Gefährdungen und Ängsten seines Dialyselebens jetzt
weitgehend offen und selbstverantwortlich zu begegnen. Ärzte und Schwestern haben
für ihn eine mehr partnerschaftliche Funktion. Er schätzt sie in ihrer Fachkompetenz,
und er sucht eine vertrauensvolle Behandlungs- und Beratungsbeziehung. Hierbei hat er
die Erwartung, partnerschaftlich die Behandlungsmethoden und Probleme im
Behandlungs-Beziehungs-Feld kritisch ansprechen zu können. Schwestern und Ärzte
erleben, wenn diese Ebene erreicht ist, die Verselbständigungsschritte und Autonomie
ihrer Patienten als für die Rehabilitation des Patienten optimal und wünschenswert.
Gleichzeitig werden sie jedoch ständig neu in für sie ungewohnter Weise in ihrem
Berufsrollen-Verständnis in Frage gestellt. In einem Heimdialyse- Trainingszentrum
habe ich jedoch erleben können, wie die Verselbständigungsschritte der Patienten die
partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der Pflegegruppe verbesserte und darüber das
Erlernen einer eigenverantwortlichen Heimdialyse erleichtern half.
Die Aufarbeitung von Konflikten im Dialysefeld
Einsichten in die psychischen Dimensionen der Prothesenmedizin und hierbei vor allem
in die Verarbeitung von Dialyse Stress bei Patienten und Mitarbeitern ermöglichen das
Verhalten der Patienten als Beziehungs- Problem zu verstehen und damit eine andere
Einstellung zum Patienten zu gewinnen. Gleichzeitig damit lassen sich Konflikte im
Dialyse Team reduzieren und burn out Symptome der Mitarbeiter verringern. Patienten
gewinnen hierüber größere Rehabilitationschancen. Darüberhinaus erlaubt uns diese
Orientierung einen Blick in eine Medizin von morgen, in der partnerschaftliches miteinander-umgehen und ein umfassendes Verständnis für Gesundheits- und Krankheits
Prozesse sich entfalten kann. Ich habe im Verlauf von 10 Jahren eine spezielle
Balintgruppenmethode im Dialysefeld entwickeln können und dabei Erfahrungen
gewonnen, die für mich in der Behandlung von Krebskranken und Sterbenden sowie
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von psychotischen und gewalttraumatisierten Patienten von unschätzbarem Wert
wurden.
Im Mittelpunkt dieser Arbeitsmethode steht ein Gruppen Prozess, in dessen Verlauf
emotionale Verhakungen, Konflikte und Kommunikationsblockaden sich in sinnliche
Erlebensformen umwandeln lassen. Die eigene Befindlichkeit und Stimmung wird dabei
von den übrigen Gruppenmitglieder bildsprachlich metaphorisch in Worte gebracht.
Neu daran ist, daß alle Überlegungen, Ratschläge und Deutungen bis zur Abschluß
Diskussion zurückgestellt werden. Diese Festlegung ist wichtig, da wir in der Regel
rational und deutend mit Problemen umzugehen pflegen und hiermit die Entfaltung
unserer sinnlichen Erlebensorientierung weitgehend blockieren. Wir beschreiben diese
sinnlich-metaphorische Gesprächseinstellung inzwischen als intuitive Dialoge.
Intuitive Dialoge in Teamgesprächen
Als Beispiel möchte ich von einem Teamgespräch berichten, in dessen Verlauf ich
erstmals versuchte die Gruppe zu bewegen mit Stimmungsbildern auf den Bericht eines
Arztes zu reagieren. Ein Stationsarzt schilderte, daß er Angst vor der Visite bei einer
sterbenden Patientin habe. Sie sähe ihn immer mit großen Augen an und er wisse nicht
was er ihr noch sagen könne. Der am Gruppengespräch teilnehmende Chefarzt der
Abteilung versucht die lähmende Stille der Gruppe aufzulösen, indem er in einem
längeren religiös getragenen Bericht über seine Urlaubs Erlebnisse in einem Jesuiten
Kloster die Bedeutung der Religion für Sterbeprozesse schildert. Ich unterbreche ihn mit
der Frage: "wie geht es Ihnen jetzt, hier, nach Ihrem beeindruckendem Vortrag?" Der
Chefarzt antwortet nachdenklich, erstaunt: "Eigenartig, ich komme hier heute nicht so
richtig an. Ich fühle mich irgendwie wie im Nebel". Darauf bitte ich ihn möglichst
detailliert diesen Nebel zu schildern, seine Dichte, seine Ausdehnung, seine Kühle.
Daraufhin befrage ich die einzelnen Gruppenmitglieder, ob sie sich auch wie im Nebel
fühlen würden, oder wie ihre jeweilige Stimmungslage sei: "In welch einem Bild
können Sie Ihre augenblickliche Stimmung und Ihre körperliche Befindlichkeit
ausdrücken?" Ich erlebte dann erstaunt, welch eine Fülle von Einfällen mit dieser neuen
Arbeitsorientierung in der Gruppe wach wurden. Die Gruppe wurde lebendig. Die
lähmende Sprachlosigkeit verschwand. Außerdem verschwanden die Hemmungen sich
zu äußern, im Beisein des Chefarztes und der übrigen pflegerischen und ärztlichen
Autoritäten. Ja, auch die leitenden Gruppenteilnehmer hatten weniger Schwierigkeiten
sich bildsprachlich zu äußern, als über ihre Beziehungsgefühle zu sprechen. Das war
die Geburt einer wirksamen, Sprachlosigkeit überwindenden Gruppenmethode. Als
psychodynamisch trainierter Gruppenleiter reagierte ich jedoch anfangs verblüfft bis
skeptisch auf die Vielzahl dieser Phantasieeinfälle. Ich fragte mich, was denn mit
diesen Phantasien, die nicht auf eine vorgetragene Beziehungsstörung gedeutet werden
sollten, anzufangen sei. Ich war gewohnt, die symbolische Bedeutung von Phantasien
und Träumen im Unbewußten und in den Beziehungsmustern der Patienten zu suchen.
In der konsequenten Fokussierung auf sinnliche Gefühle und Phantasien war ich
anfangs ratlos. Es kam jedoch ein farbiger und kreativer Prozeß in Gang. Aber, was
sagte mir zum Beispiel
ein galoppierendes Pferd, die
Phantasie eines
Gruppenteilnehmers, auf den Bericht des Arztes über Kommunikationsprobleme mit
seiner sterbenden Patientin? Sollte ich das bedrohliche Tempo des herannahenden
Todes oder die übereilte Du-mußt-sterben-Nachricht dahinter suchen? Sollten Gruppenassoziationen zu diesem Pferd, zu dieser sterbenden Patientin, zu dieser blockierten
Arzt-Patienten-Beziehung gesucht werden? Wir entschlossen uns dann mutig, in der
Gruppe ausschließlich bildsprachlich und mit der eigenen Befindlichkeit und
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Gestimmtheit zu antworten. Jetzt wurde die Szenerie noch unverständlicher.
Stimmungsschilderungen von zähflüssiger Müdigkeit, lustigen Clownerien und erotischer Träume wechselten ab mit Berichten über wärmendes Wohlgefühl und traurigem
Weltschmerz. Diese Stimmungsschilderungen wurden angereichert von Bildern rotglühender Lava, von einem glücklich sich anschmiegendem Säugling, von gefährlichen
Schluchten und verlockenden Hexenhäusern. Wir lernten dieses Nebeneinander von
Stimmungsbildern, das wir später als prismatisches Prozeßgeschehen bezeichneten,
noch farbiger zu gestalten, indem wir auf Detailbeschreibungen der vorgestellten Bilder
Wert legten. Also: War das galoppierende Pferd schwarz oder braun? Wo galoppierte
es? Hierbei wurde eine genaue Beschreibung der Landschaft, des Himmels, der
Jahreszeiten, der Stimmung des Bildes, gesucht. Am Schluß der Gruppenstunde fragten
wir uns jedoch, was die Fülle dieser Phantasien mit der vorgestellten Patientin zu tun
haben könnten und ob der Doktor jetzt wohl angstfreier seine Visite machen könne.
In der nächsten Gruppensitzung schilderte der Stationsarzt dann, daß er über sich selbst
erstaunt gewesen sei. Er sei bereits wenige Stunden nach unserer letzten Sitzung, ohne
lange zu überlegen, in das Zimmer der Patientin gegangen, habe sich auf ihr Bett setzen
können mit der Frage, wie es ihr heute gehe und: ganz erstaunlich, die Patientin habe
über ihre Flitterwochen gesprochen und was noch erstaunlicher gewesen sei, besonders
wehmütig von ihrem Felix, einem Araberhengst, der vor einigen Jahren gestürzt und
erschossen werden mußte. Hierüber habe sich dann auch die Sterbeproblematik der
Patientin ansprechen lassen.
Die Transformation von Patienten Ängsten
Als weiteres Beispiel möchte ich von einem Dialyse Team berichten, mit dem ich etwa
10 Jahre regelmäßig 1x die Woche entsprechende Gruppengespräche erleben konnte.
Ich habe in dieser Gruppe in immer neuen Varianten verstehen gelernt, daß nicht
ansprechbare Ängste auf der Station, zu eigenartigen Teamkonflikten führen. Die in
dem relativ langen Zeitraum immer wieder auftauchenden, zum Teil identischen
Teamkonflikte konnten dabei in ihrem quasi-rituellem Charakter zunehmend besser
verstanden werden. So erlebten wir erstaunt, daß sich eine relativ gleiche
Konfliktkonstellation einstellte, wenn im Patientenbereich nicht ansprechbare Ängste,
Verzweiflung oder somatisierte Trauerreaktionen z.B. durch den Tod eines Mitpatienten
das Behandlungsklima beeinträchtigten. Nach einer Phase bedrückter Lustlosigkeit mit
zum Teil somatisierter Abwehr formierte sich bei den Mitarbeitern eine kämpferisch
aggressive Front der Frühschicht mit Frau Dr.X gegen den „unmöglichen Oberarzt Y“,
der wiederum mit der Spätschicht koalierte. Die emotionalen Verhakungen zeigten sich
dabei so resistent, daß sie sich auch in den Teamgesprächen nicht verstehen und lösen
ließen. Institutionelle Abhängigkeits- und Rollenfixierungen blockierten eine
gefühlsgetragene Aufarbeitung. Die Beziehung der Team Eruptionen zu den
auslösenden frei flottierenden Ängsten der Patienten konnte dabei nicht in den Blick
geraten. Die einzelnen Teammitglieder klammerten sich gerade zu an ihren jeweiligen
als individuell stabilisierend erlebten Emotionen. Wir erlebten hier die Funktion und
Bedeutung komplex gebundener Gefühle. Ich mußte hier lernen, zunehmend
konsequenter, auf eine belastenden Patienten Problematik zu fokussieren, sinnlichmetaphorische Antworten zu suchen und hierbei die Wünsche nach
Auseinandersetzungen und die Bearbeitung gruppendynamisch aufbrechende
Beziehungsgefühle umzuleiten und umzuwandeln in intuitive Dialoge.
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Schrittweise mußten wir hierbei verstehen lernen, daß die Konfliktgefühle der
Mitarbeiter Transformationsprodukte angstbesetzter nicht ansprechbarer frei
flottierender Gefühle der Patienten sind und daß sie gleichzeitig haltgebende Funktion
für den einzelnen Mitarbeiter wie für das Team besitzen. Wir lernten in dieser Gruppe,
Team Konflikte dienen der Ableitung und Neutralisierung chaotischer, angstvoll
abgewehrter, nicht ansprechbarer Erlebensinhalte und sie besitzen dabei Halt gebende
und System stabilisierende Bindungsfunktion. Das Ausmaß dieser Einsicht für die
Behandlung von sterbenden, psychotischen und gewalttraumatisierten Patienten war uns
damals jedoch noch nicht bewußt.
Die hier gewonnenen Erfahrungen ließen sich in den folgenden Jahren in entsprechenden Supervisions und Trainingsgruppen umsetzen und weiter entwickeln.: in der
Sterbeszene mit Seelsorgern sowie mit medizinischen und psychologischen Fachkräften
und Laienhelfern sowie in weiteren emotionsbelastenden Behandlungs- Beratungs- und
Ausbildungseinrichtungen, so auch im Studenten- und Pflege- Unterricht. Eine
interessante Ausformung dieser Arbeitsmethode boten mir Gruppen mit Germanisten
und Lehrern, mit denen sich sinnlich metaphorische Textinterpretationen erproben
ließen, über die sich emotional bedingte Lernblockaden in der Klasse sowie
Kommunikationsblockaden im Lehrerkollegium reduzieren ließen. Schließlich konnten
diese intuitiven Dialoge in Einzel- und Gruppengesprächen mit Patienten zur
Anwendung kommen. Ich möchte abschließend ein Beispiel aus der Sterbeszene
vorstellen, an dem deutlich wird, wie einfach sich diese in Dialyse Teams gewonnenen
Einsichten in Gesprächen mit Patienten umsetzen lassen:
Eine Visite mit intuitiven Dialogen
Eine 54-jährige krebskranke Patienten weiß um ihre unheilbare Erkrankung. Bisher hat
sie jedoch noch mit niemandem über ihre Ängste sprechen können. Auch die Angehörigen hätten wohl Angst vor dieser Aussprache. Der Stationsarzt der Patientin wendet sich
an mich. Ich hätte doch diese eigenartige Phantasie Methode beschrieben. Er käme an
diese Frau nicht heran. Seit Wochen versuche er mit ihr ins Gespräch zu kommen. Sie
schweige beharrlich und trostlos. Ich komme mit einer entsprechend ausgebildeten
Krankenschwester zu einer "Visite mit intuitiven Dialogen". Nachdem es mir nicht
gelingt, mit der Patientin in ein Gespräch zu kommen, äußere ich mein Erschrecken
über die Kargheit in ihrem Zimmer und über ihre eingefallenen Wangen und trostlosen
Augen: "Keine Bilder, nicht einmal Blumen. Auch draußen ist das Wetter trostlos und
traurig." Die Patientin fragt daraufhin den Stationsarzt nach ihren letzten Laborwerten.
Ich suche den Blick der Patientin und frage erneut, wie es ihr gehe, wie sie sich fühle.
Die Patientin sieht mich mit leerem Blick an, ohne Antwort. Es folgt eine bedrückende
Stille. Ich erkläre der Patientin, daß ich von der schlechten Prognose ihrer Krankheit erfahren habe und auch von ihrer Sprachlosigkeit und deshalb sei ich hier. Mir würde vor
allem auffallen, wie blaß und grau und erstarrt ihr Gesicht sei: "Ich fühle sich davon
regelrecht
angesteckt". Nach einer kurzen Pause: "Ich möchte Ihnen meine
Phantasieeinfälle schildern, die hier in mir wach geworden sind. Ich sehe einen langen
Zug von Menschen in grauen Kutten, vielleicht wie ein Wallfahrtszug durch eine weite
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Ebene ziehend. Beim genaueren Hinsehen sehe ich sie an einem langen Stacheldrahtzaun vorbeigehen. Dahinter seien Holzkreuze ohne Namen. Alles sei grau. Das sei
eine Unzahl von Holzkreuzen, ganz ungeordnet. An dieser Stelle schaltet sich die Krankenschwester ein. In einem erstaunlich lockeren, fast sprudelndem Ton bringt sie sich
ein: Eigenartig. Bei ihr sei es am Anfang auch dunkel und grau und neblig-verhangen
gewesen. Dann habe sie sich an ihren letzten Urlaub erinnert. Sie sei damals mit ihrem
Mann und ihren zwei Kindern im Gebirge in ein Gewitter geraten und sie hätten Schutz
unter einem Felsvorhang gesucht. Aber dann sei das Gewitter vorbeigezogen. Sie seien
nur wenig naß geworden und sie hätten einen herrlichen Blick tief in das Tal gehabt. Sie
hätten.....An dieser Stelle beginnt die Patientin zu sprechen. Ihr laufen dabei die Tränen
herunter und gleichzeitig lächelt sie verschämt. Sie berichtet, wie sie mit ihrem Mann
jedes Jahr in die Berge gefahren sei: "Ja, damals bis vor vier Jahren..." Auf Nachfrage
erzählt sie, daß ihr Mann vor vier Jahren an einem Herzinfarkt gestorben sei. Seit dieser
Zeit sei sie nicht mehr in den Bergen gewesen. Sie schildert jetzt zunehmend lebendiger
ihre Erlebnisse in Udorf. Sie beschreibt im einzelnen ihre gute Beziehung zu der Wirtin,
zu der sie seit Jahren gefahren seien. Der müsse sie endlich einmal schreiben. Noch
immer laufen die Tränen über ihre Wangen. Gleichzeitig strahlt ihr Gesicht in glücklichen Erinnerungen. Dem Stationsarzt fällt vor Überraschung der Schlüsselbund auf
den Boden. Daraufhin lacht die Patientin und berichtet, wie ihr Mann bei einer Bergwanderung die Autoschlüssel eine Schlucht habe hinunterfallen lassen. Das hätte den
Urlaub um einen Tag verlängern helfen. Die Stimmung im Krankenzimmer hat sich
fühlbar entspannt. Die Patientin wirkt erschöpft, aber dankbar. Der Stationsarzt
schildert im Nachgespräch verblüfft, daß er in mehr als drei Wochen immer wieder
versucht habe, mit der Patientin ins Gespräch zu kommen. Unser Gespräch habe ganze 7
Minuten gedauert. Er habe auf die Uhr gesehen. Das sei schon eine verrückte Methode.
In den nachfolgenden drei Gesprächen läßt sich die bisher unzureichend zugelassene
Trauerarbeit zu ihren verstorbenen Mann ansprechen und darüber ein Weg ebnen auf
dem sie das eigene Sterben anzunehmen bereit ist,
hierbei immer wieder
zurückgreifend auf Geschichten und Erinnerungen aus ihrem Leben.
Intuitive Dialoge im Hörsaal
Nachdem ich Sie mit den Inhalten und der Arbeitsweise intuitiver Dialoge vertraut
gemacht habe wird es einfach sein, hier im Hörsaal diese Gesprächsform zu erproben.
Einer aus ihrem Kreis wird ein Problem mit einem seiner Patienten vorstellen. Ich kann
demjenigen bzw. derjenigen, die ihren Problemfall hier vorstellt versichern, daß sich das
Verhalten ihres Patienten durch die zahlreichen Einfälle hier aus der großen Gruppe
verändern wird. Das klingt überraschend. Der Patient ist doch schließlich nicht
anwesend. Wir haben versucht dieses Phänomen zu verstehen, in dem wir das Verhalten
des Patienten in Abhängigkeit von der Übertragungshaltung des jeweiligen Betreuers zu
sehen lernten. Über die zahlreichen Einfälle hier im Hörsaal ist der Betreuer
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anschließend
"auf
mehr
Wellenlängen
empfangsbereit".
Seine
enge
Übertragungsbeziehung hat sich aufgelöst. Für die übrigen Teilnehmer an diesem
Experiment ist es vor allem hilfreich und lehrreich zu erleben, wie einfach es sein kann,
seine Stimmung in Bildeinfällen auszudrücken und wie schwierig es für einige sein
kann, die gewohnten Überlegungen und Ratschläge auf Zeit zurückzustellen. Ich möchte
Ihnen jedoch abschließend versichern, daß auch ich die überwiegende Zeit in
Patientengesprächen von meinen gewohnten Überlegungen getragen werde und daß ich
nur in bestimmten Situationen durch intuitive Dialoge festgefahrene Beziehungen zu
lösen suche. Also beginnen wir. Wer möchte ein Problem hier vorstellen?
Intuitiv prismatische Supervision im Dialysefeld
Ich hatte die Möglichkeit, bereits Anfang der 70er Jahre für etwa 10 Jahre die Entwicklung der klinischen Dialyse und eines Heimdialysetrainingszentrum in der Medizinischen Hochschule Hannover supervidierend zu begleiten. In dieser Zeit konnte ich
unschätzbare Erfahrungen sammeln in einem Bereich der apparativen Medizin, in dem
die noch immer vorherrschenden hierarchischen Strukturen des Krankenhauses durch
die technisch apparative Qualifikation des Pflegepersonals in Bewegung gerieten und
in dem Patienten, in ihrer Dauerabhängigkeit von technischen Geräten und in ihrem
Dauerstreß der Dialyse ihre Autonomie und Handlungsfähigkeit zurück zu gewinnen
suchten. Die Supervision wurde überwiegend in einer prismatischen Balintgruppe
durchgeführt.
Die Dialysestation war ein beeindruckender apparativ-pulsierender Behandlungsraum.
Eine Blut-Wasch-Straße mit einem breiten Gang für die bei Alarmsignalen flitzenden
Pflegekräfte. Bleiche Patienten mit großen Augen in ihren Betten, mit Schläuchen an
Maschinen angeschlossen, die sinnigerweise den Blickkontakt zum Nachbarbett verstellten. Inzwischen hat man die Bedeutung von Psyche und Kontakt als Rehabilitationsfaktor für die Maschinen-abhängigen Dauerpatienten der Medizin verstehen gelernt.
Die ersten Gespräche mit den für die Patienten zuständigen PflegerInnen waren von
einer zum Teil erfrischend aggressiven Offenheit gegen einzelne Ärzte, gegen das
Nachmittagsteam sowie gegen einige der blassen Patienten im Nachbarraum. Ich
erlebte überrascht die persönliche Offenheit in den Beziehungsäußerungen. Andererseits wurde ich neugierig auf die dahinter aufleuchtenden Brüche und Konflikte bei
Patienten und Mitarbeitern in dem emotional belastendem Behandlungsfeld. Ich bot
dem Behandlungsteam regelmäßige Gruppengespräche an. Zehn Jahre lief diese
Gruppe, einmal wöchentlich.
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In dieser Gruppe konnte ich mit PflegerInnen und ÄrztInnen des Dialysebereichs dank des zehnjährigen Zusammenhaltes - erleben, in welch hohem Maße eigene Gefühle am Arbeitsplatz bestimmt und getragen werden von den Ängsten, Belastungen
und von den psychischen Verarbeitungsweisen der Patienten. Verblüffender noch war
die Wahrnehmung, daß persönlich erlebte Gefühle der Mitarbeiter, die sich an institutionellen Sachfragen oder Rollenkonflikten festgemacht hatten, als abgeleitete Patientengefühle verstanden werden konnten, und, daß nach intuitiver Bearbeitung dieser
Gefühle im Gruppenprozeß der hierbei ja nicht anwesende Patient sich anscheinend
veränderte. Die emotionale Spannung auf der Station waren nach einer intuitiv getragenen Gruppenstunde nicht selten wie aufgelöst. Hier entstand die Vorstellung von
der Ventil- und Containerfunktion der Mitarbeiter für nicht bearbeitbare Gefühle der
Patienten. Wir gewannen damit für Mitarbeiter in besonders belastenden, vor allem in
sterbeintensiven Stationen, neue Gesprächs- und Behandlungsformen. Das therapeutische und Arbeitsklima ließ sich hiermit nicht selten erheblich verbessern.
Prothese und Selbstbild der Medizin
Ich fragte mich, welche Funktion haben die das Leben erhaltenden Prothesen für den
Patienten? Wodurch wird die Verbesserung von Lebensqualität, um einen erweiterten
Begriff von Rehabilitation zu gebrauchen, zusätzlich beeinflußt? Welche Einstellungen
und welches Verhalten sind zu erwarten bei lebenslang von Ersatzorganen abhängigen Patienten? Welchen Einfluß haben diese Verhaltensweisen auf das Behandlungsfeld, auf die Arzt-Patienten-Beziehung sowie auf das Selbstverständnis von
Arzt und Krankenschwester?
Am Beispiel von chronischen Dialyse-Patienten läßt sich die Problematik des "psychischen Einverleibens" eines technischen Geräts, der sog. "künstlichen Niere", studieren. Hierbei können psychodynamisch wirksame Faktoren im Behandlungsfeld, beim
Patienten, bei Ärzten und Schwestern sowie bei den Angehörigen, die wesentlichen
Einfluß auf den Erfolg oder Mißerfolg der Dialyse verstanden werden. Die Einsicht in
das Gefüge dieser Faktoren erlaubt übergreifende Aussagen zum Problem der heutigen Prothesenmedizin.
Auf einer chronischen Dialysestation eines Krankenhauses sind die Abhängigkeitsbeziehungen besonders ausgesprochen. Der Patient hat sich hier weitgehend einer Maschine zu unterwerfen. Sie gehört ihm nicht. Sie ist ein Behandlungsinstrument von
Ärzten und Schwestern für mehrere Patienten. Und doch ist die Maschine - wie unter
anderem die Analyse von Träumen dieser Patienten zeigt - ein zentraler angstbesetzter Teil seines Lebens. Der Patient erlebt eine zufällig mißgelaunte Schwester, die
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an seinem Gerät unwillig hantiert, als bedrohlich. Sie ist für ihn - unbewußt - Teil
seines verinnerlichten Angstsystems. Sie soll als "Bedienstete seiner Maschine" störungsfrei für ihn funktionieren. Die PflegerInnen erleben den Erwartungsdruck und die
Anklammerungsversuche des Patienten nicht selten als Überforderung. Sie spüren
gleichzeitig die
Verselbständigungsversuche des Patienten, der sich von ihnen zu
distanzieren sucht, um selbst Herr über seine Krankheit zu werden. Sie erleben dabei
die häufig kindlich-trotzig anmutenden Versuche als ungehörig und undankbar, als
"renitent". Die KrankenpflegerInnen sind voll in dem Konflikt von Abhängigkeit und
Unabhängigkeit des Patienten einbezogen. Sie sind Teil seines Konfliktsystems geworden. Auf dieser Grundlage lassen sich
die eigenartigen Kleinkämpfe auf chroni-
schen Dialyse-Stationen, die familiär anmutenden, zum Teil offen aggressiven Spannungen, die resignativ-depressiven Stimmungen und die kommunikationsarmen Pseudobeziehungen, die hilflosen Rückzugstendenzen des Patienten wie das Überfordertsein der PflegerInnen und ÄrztInnen, die anhaltend lähmende, depressive Verstimmung eines ganzen Behandlungsteams z.B. nach einem Todesfall auf der Station,
verstehen. Anhaltend lähmende depressive Verstimmung eines ganzen Behandlungsteams findet sich nicht selten nach dem Todesfall eines Patienten, der jahrelang
betreut wurde und zu dem intensive Gefühlsbeziehungen sich aufbauten, die jedoch
nach seinem Tod verleugnet werden müssen.
In diesem Konfliktfeld versuchen die Mitarbeiter des Behandlungsteams ihre Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen, indem sie sich auf ihre tradierten Berufsrollen im
Krankenhaus besinnen und indem sie dem Patienten seine Krankenrolle erneut zuzuweisen versuchen. Dieser Versuch wird immer wieder neu gestartet, gelingt immer
nur partiell und verstärkt in der Regel bestehende Spannungen. Wie sollte es auch
anders sein? Die qualifizierte Ausbildung mit Hilfe von Apparaten, die Nierenfunktionen
eines Menschen zu ersetzen, kontrastiert in erschreckender Weise mit der fehlenden
bzw. völlig unzureichenden Ausbildung in "fachgerechter Menschenführung", wie Balint
es nannte. Autodidaktische Lernschritte und vor allem das nicht selten ausgeprägte
Engagement der Pflegegruppe vermögen jedoch dieses Manko zum Teil zu
kompensieren.
Die traditionell hierarchischen Beziehungen im Krankenhaus und die Rolle des Arztes
geraten dabei unter vielfachen Druck. Die DialysepflegerInnen sind in ihrem technischen Verständnis und Können im praktischen Dialysegeschäft nicht selten dem Arzt
überlegen. Dies erschwert die Rollenfindung der ÄrztInnen im traditionellen Krankenhaus, löst in ihnen Unbehagen und Rückzug auf die Anordnungsebene aus, die
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von der Pflegegruppe nicht mehr widerspruchsfrei ertragen wird und die den aggressiven Pegel der Station weiter erhöht. Nicht selten jedoch werden diese Konflikte auf
eine andere Ebene verschoben, so daß rivalisierende Pflegegruppen sich befehden.
Der Patient hat diese Konflikte mit zu ertragen. Er trägt sie mit, indem er sich mit dem
Arzt, den er weiterhin als mächtigen Vater erlebt, gegen die Pflegegruppe zu verbünden sucht, oder indem er verstärkt in eine abhängige Rolle zu den PflegerInnen gerät.
In der Regel "normalisieren" sich jedoch diese Spannungen. Sie werden verdrängt.
Wir finden dann in Abhängigkeit vom Ausmaß bestehender Konflikte und Ängste ein
mehr oder weniger ausgeprägtes, pseudoharmonisches Gefühls- und kommunikationsarmes Behandlungsklima. Ich mußte hier lernen, daß die psychischen Verarbeitungsformen von Dialysestreß bei den Patienten gleichzeitig Ausdruck der psychodynamischen Probleme des Behandlungsteams sind. In den über 10 Jahre einmal wöchentlich stattfindenden, prismatisch orientierten Supervisionsgruppen, ließen sich
diese Probleme zunehmend besser verstehen und bewegen. Patienten und Mitarbeiter
von Dialyseeinrichtungen gewannen hier Einsichten und Erleichterungen in ihrem Tun
und in ihrem Erleben.
Eine prismatische Gesprächsrunde im Hörsaal
1983 wurde ich erstmals von Professor Franz nach Ulm eingeladen. In den ersten
zwei Jahren suchte ich hier mit einer Kleingruppe vor dem Auditorium von etwa 600
TeilnehmerInnen zu arbeiten. Es zeigte sich jedoch, daß die Arbeit mit dem Gesamtauditorium, eine noch größere Akzeptanz fand. Überrascht erlebte ich, daß es
möglich ist, die in Kleingruppen gewonnenen Gruppenregeln - mit mehr als 600 Teilnehmern - durchzuhalten, also sinnlich und phantasiegetragene Antworten zu stimulieren und die sonst üblichen Frage-Antwort-Ratschlag-Muster zu unterlaufen, bzw. zu
transformieren. Eine ausreichende Einführung und eine konsequente Regieführung
sind hierbei jedoch unumgänglich. Die starke Akzeptanz dieser über 13 Jahre
laufenden prismatischen Performanz im Hörsaal, bei der jährlich laufenden DialyseFachtagung in Ulm, mit in der Regel über 600 Teilnehmern, zeigte ihre Bedeutung
und ihre Akzeptanz.
Die Veranstaltung beginnt jeweils mit einem theoretischen Vorspann, in dem der
Konflikt des Dialyse-Patienten zwischen Abhängigkeit und Autonomiebestrebung, Probleme der psychischen Einverleibung einer künstlichen Niere sowie
Konflikte im Dialysefeld thematisiert werden. Anschließend wird die Bedeutung
intuitiver Gesprächsformen vorgestellt. Dann beginnt ein etwa einstündiger
Gruppenprozess. Ein Pfleger bzw. eine Schwester berichtet über ein belastendes
Patientenproblem. Die Teilnehmer des Auditoriums werden gebeten ihre Befindlichkeiten und Phantasiebilder zu äußern und dabei Fragen, Ratschläge und
theoretische Überlegungen zurückzustellen. In der Regel berichtet die den
Konflikt schildernde Krankenschwester am Schluß der Stimmungs- und Phantasiesammlung, daß sie über die zahlreichen Einfälle neue Einsichten gewonnen
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habe, daß sie mit ihrem Patienten jetzt wohl besser umgehen könne. Den Schluß
bilden Überlegungen zur vorgestellten Patientenproblematik sowie zur
methodischen Vorgehensweisen. Entscheidend für den Erfolg der Veranstaltung
ist der Lerneffekt bei der großen Anzahl von TeilnehmerInnen, das Erstaunen
über Möglichkeiten einer prismatischen Gesprächsführung mit der gewohnte
rationale Überlegungen erweitert werden können, um emotionale Spannungen
abzubauen und Gesprächsblockaden zu reduzieren.
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