1. Basiselemente volkswirtschaftlichen Denkens 1.1. Knappheit, Wirtschaften und Kosten (1) Konsum als Endzweck allen Wirtschaftens Konsum = Ge- und Verbrauch von Gütern, um Bedürfnisse privater Haushalte zu befriedigen. (2) Knappheit der Konsummöglichkeiten knappes Gut (wirtschaftliches Gut) = Gut, dessen vorhandene Menge (an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit) geringer ist als die darauf gerichteten Bedürfnisse. Die Knappheit der Konsummöglichkeiten wird für eine Volkswirtschaft grafisch durch die Kurve der Konsummöglichkeiten veranschaulicht. Menge an Nahrung A B D F E C Menge an Kleidung Volkswirtschaft kann einen beliebigen Konsumpunkt auf oder unterhalb der Kurve wählen: Punkte auf der Kurve: Volkswirtschaft schöpft Konsummöglichkeiten voll aus (Punkte A,B,C) Punkte unterhalb der Kurve (z.B. Punkt F): Konsummöglichkeiten werden nicht voll genutzt. (3) Ursache der knappen Konsummöglichkeiten: knappe Produktionsmöglichkeiten Konsummöglichkeiten (Lebensstandard) werden durch die Produktion bestimmt. Die Kurve der Konsummöglichkeiten stimmt mit der Kurve der Produktionsmöglichkeiten (Transformationskurve) überein. knappe Ressourcen an Arbeit, Kapital und Boden → knappe Produktionsmöglichkeiten → knappe Konsummöglichkeiten Da die Ressourcen begrenzt sind, kann mit der heutigen Produktionstechnik nicht mehr produziert werden, als durch Punkte auf der Kurve zum Ausdruck kommt. A B F C Eine Erhöhung der Produktionsmöglichkeiten und damit der Konsummöglichkeiten ist nur möglich, wenn.... die Ressourcen zunehmen, und / oder die Produktionstechnik sich verbessert. Grafisch verschiebt sich die Kurve nach außen. Im Punkt F herrscht entweder Unterbeschäftigung oder es wird nicht mit dem heutigen Stand der Technik gearbeitet → volkswirtschaftliche Ineffizienz. (4) Wirtschaften als Konsequenz der Knappheit Knappheit eines Mittels = verschiedene Einsatzmöglichkeiten konkurrieren um das Mittel. Somit macht Knappheit es erforderlich, eine Auswahl unter den verschiedenen Einsatzmöglichkeiten zu treffen → Wirtschaften. Aufgabe des Wirtschaftens beinhaltet zwei Aspekte: das Allokationsproblem das Distributionsproblem (5) Allokation als Bewirtschaftung von Produktionsmöglichkeiten Allokation = Aufteilung der Produktionsfaktoren auf die Herstellung verschiedener Güter bzw. welche Güter sollen mit den vorhandenen Ressourcen erzeugt werden? Menge an Nahrung A B D F E C Menge an Kleidung grafisch: Auswahl eines Punktes auf der Transformationskurve (z.B. Punkt B) Damit liegen die Konsummöglichkeiten für die Volkswirtschaft als Ganzes fest: (Menge E an Kleidung, Menge D an Nahrung). (6) Distribution als Bewirtschaftung von Konsummöglichkeiten Durch die Festlegung der gesamtwirtschaftlichen Konsummöglichkeiten ist noch nicht entschieden, wer das Produktionsergebnis (Output) im einzelnen erhält. → Distribution Distribution = Verteilung des Outputs auf die Konsumenten (7) (Opportunitäts-) Kosten als Konsequenz des Wirtschaftens Entscheidung, ein knappes Gut für eine beste Verwendung 1 einzusetzen, bedeutet zugleich den Verzicht auf die Einsatzmöglichkeiten 2, 3, usw. Der entgangene Nutzen aus der zweitbesten Einsatzmöglichkeit stellt die Kosten der Verwendung 1 dar. Menge an Nahrung A B D K H E C Menge an Kleidung Bei Erhöhung der Produktionsmenge von Kleidung um die Strecke KH, muss auf die Menge BK an Nahrung verzichtet werden. Strecke BK sind die in Nahrungs-Mengeneinheiten gemessenen Alternativ-Kosten der Menge KH an Kleidern. Die Strecke BK wird auch als Opportunitätskosten von KH bezeichnet, weil die Entscheidung für KH zum Verzicht auf die Gelegenheit (Opportunität) von BK zwingt. (8) Zusammenfassung: Wirtschaftswissenschaften Wirtschaftswissenschaften = Lehre vom Wirtschaften Gegenstand der Wirtschaftswissenschaften ist die Disposition einer Gesellschaft über ihre knappen Mittel. Die Disposition über knappe Mittel führt notwendigerweise zum Verzicht auf alternative Einsatzmöglichkeiten und damit zu Opportunitätskosten. → Kosten sind zentraler Begriff der Wirtschaftswissenschaften 1.2 Linderung der Knappheit: Umsetzung des ökonomischen Prinzips durch den Privatsektor (1) Ideologische Grundposition: Freiheit des Wirtschaftens und Eigennutzstreben in einer Wettbewerbsordnung Theorie der Marktwirtschaft Gesellschaftsanschauung: beruht auf einer individualistischen individualistisch → die einzelnen WiSu sollen möglichst große wirtschaftliche Entscheidungsspielräume haben, die sie (im Rahmen von Recht, Moral und Tradition) im eigenen Interesse nutzen dürfen. Sofern WiSu ihr eigennütziges Verhalten unter Wettbewerbsbedingungen „ausleben“, steigert dies auch die Wohlfahrt der Volkswirtschaft als Ganzes. → Motivationsaspekt einer wettbewerbsorientierten Wirtschaftsordnung: „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers oder Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, daß sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen.“ Adam Smith (1776) → Informationsaspekt einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung Indem ein Wirtschaftssubjekt seinen Eigennutz mehren darf, hat es zugleich die Freiheit und den Anreiz, die Informationen über sein Umfeld optimal zu berücksichtigen. Beispiel aus Sicht der Unternehmer: Wird derzeit in Siegen von den Studierenden eher Bier oder eher Wein getrunken? (2) Eigennutzstreben führt zu kalkulierbaren Verhaltensweisen Die Pläne der WiSu und damit ihr Verhalten ändern sich, wenn sich die Erträge und/oder Kosten der Aktionen ändern. Die WiSu reagieren auf Anreize. Verhaltensfunktion... ...beschreibt in quantitativer Form, wie die geplante Aktion eines WiSu abhängt von den wichtigsten Verhaltensdeterminanten Beispiel: Nachfrage nach Nahrung (x1d) und Kleidung (x2d). x 1d x 1d ( y, p2 ) p1 Die nachgefragte Menge an Nahrung (=abhängige Variable) ist positiv abhängig vom Einkommen sowie positiv abhängig von der Preisrelation (p2/p1). x 1d 0, y x 1d 0 p2 p1 x d2 x d2 ( y, p2 ) p1 Bezug zum Eigennutzstreben: Im Rahmen der Mikroökonomie wird gezeigt, dass solche Verhaltensfunktionen Ergebnis eines mathematischen Optimierungsansatzes sind, der das Eigennutzstreben quantitativ abbildet. (3) Eigennutzstreben führt zu effizientem Wirtschaften gemäß dem ökonomischen Prinzip Die Maxime des Eigennutzstrebens veranlasst das WiSu, aus den knappen Mitteln „möglichst viel herauszuholen“. ↓ Ökonomisches Prinzip (zwei Formen): Minimumversion: Ein gegebenes Ziel soll mit minimalen Mitteln erreicht werden. Maximumversion: Mit gegebenen Mitteln soll ein höchstmöglicher Grad der Zielerreichung bewirkt werden. Realisierung des ökonomischen Prinzips → Wirtschaftlichkeit Wirtschaftlichkeit... = Die Zielerreichung ist durch Umwidmungen des Mitteleinsatzes nicht mehr zu steigern, sondern nur noch durch den Einsatz zusätzlicher Mittel. (4) Erste Maßnahme: effiziente einzelwirtschaftliche Produktion Ökonomisches Prinzip ↓ Mit gegebenen Mengen an Produktionsfaktoren sollen möglichst hohe Gütermengen erzeugt werden. Dies gilt sowohl volkswirtschaftlich als auch für das einzelne WiSu. Beispiel: Die Produktionsmöglichkeiten eines WiSu A gibt diejenigen Mengen von X1und X2 an, die A in der verfügbaren Arbeitszeit maximal produzieren kann, sofern er konzentriert arbeitet. X1 84 X1= 84 -1,2 X2 72 Punkte unterhalb der Kurve sind ineffizient. X2 (5) Zweite Maßnahme: effizienter Tausch Das ökonomische Prinzip gebietet, mit anderen WiSu Güter zu tauschen, wenn dadurch die Konsummöglichkeiten steigen. Bei Autarkie stellt die Produktionsmöglichkeitenkurve eines WiSu zugleich dessen Konsummöglichkeiten dar. Bei Aufnahme von Konsummöglichkeiten. Handel mit anderen WiSu steigen Beispiel: Angenommen, WiSu A hat zunächst in Z produziert und konsumiert. X1 48 Z 30 X2 Angenommen, A möchte 10 ME von Gut 2 mehr konsumieren. die X1 Z 48 30 X2 40 Wenn er dies durch Umwidmung seiner Arbeitszeit realisiert, so ist er im Punkt W, d.h. bei x1=36. Er verliert also 12 ME von x1: die 10 ME von Gut 2 "kosten" 12 ME von Gut 1. X1 Z 48 36 W α 30 40 Grund: die Steigung der Transformationskurve beträgt Trans dx 1 dx 2 84 1,2 tan 72 X2 Am Markt sei nun eine Preisrelation (p2/p1)=0,8 gegeben. Dies ist gleichbedeutend mit einer mengenmäßigen Tauschrelation von 0,8 ME Gut 1 pro 1 ME Gut 2. Tausch dx 1 dx 2 tan p2 0,8 p1 X1 84 Z 48 40 36 V W a 30 40 ß X2 72 Konsequenz: wenn A sich die 10 zusätzlichen ME von Gut 2 am Markt durch Tausch beschafft, kostet ihn dies nur 10*0,8 = 8 ME von Gut 1: Grafisch ist WiSu A nun im Punkt V: V ist sein Konsumpunkt und liegt oberhalb seiner bisherigen Konsummöglichkeiten! Durch Tausch kann A seine Konsummöglichkeiten gegenüber seinen Produktionsmöglichkeiten ausweiten. Ergänzung: Die Durchführung des Tausches verursacht Informations- sowie Transaktionskosten; diese Kosten sind im obigen Beispiel nicht berücksichtigt und verringern den Vorteil des Tausches; sie sind aber beim indirekten Tausch geringer als beim direkten Tausch (indirekter Tausch: Tausch unter Zwischenschaltung eines sog. Tauschmittels, insbesondere Geld). (6) Dritte Maßnahme: effiziente gesamtwirtschaftliche Produktion durch Spezialisierung und Arbeitsteilung WiSu A hat pro eine ME von Gut 2, die er nicht selbst produziert, sondern sich am Markt durch Tausch beschafft, einen Vorteil in Höhe von 0,4 ME von Gut 1. Dies galt bei unveränderter Produktion im Punkt Z. Der Tauschvorteil lässt sich maximieren, wenn man den Produktionspunkt Z verlässt und zum Produktionspunk S übergeht: X1 S Die Maßstäbe sind bewusst verzerrt. 84 U 52 Z 48 V 40 36 W a 30 40 ß X2 72 Produktion von Gut 2 sinkt auf Null. Produktion von Gut 1 steigt auf 84 (Maximum bei vollständiger Spezialisierung). WiSu A gibt nun ausgehend von Punkt S einen Teil der Produktion von Gut 1 ab, um dafür am Markt Gut 2 zu kaufen. Beispiel: WiSu A will 40 ME von Gut 2. bei Kauf kostet dies 40x0,8=32 ME von Gut 1. Es verbleiben ihm 52 ME → Punkt U. bei Produktion in Punkt Z verbleiben 40 ME von Gut 1 → Punkt V. bei Produktion in Punkt W (überhaupt kein Tausch) bleiben Ihm 36 ME. Das WiSu maximiert seine Konsummöglichkeiten, indem es sich auf das Gut spezialisiert, bei dem die Opportunitätskosten in der Produktion kleiner als der Marktpreis sind. Für WiSu A ist dies Gut 1. Analog: andere WiSu spezialisieren sich auf Gut 2. Dies führt zu einer arbeitsteiligen Volkswirtschaft. (7) Vierte Maßnahme: effiziente Koordination über Märkte durch die „Unsichtbare Hand“ Zahllose WiSu planen ihre eigennützigen Angebots- und Nachfragepläne unabhängig voneinander. Diese dezentral formulierten Pläne werden über eine Vielzahl von Märkten koordiniert. Markt... = ökonomischer Ort des Tausches → Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage Es kommt effektiv zu einer Abstimmung der einzelnen Pläne. → Steuerung durch "unsichtbare Hand" Instrument, mit denen die "unsichtbare Hand" die ökonomischen Aktivitäten dirigiert, sind die Preise. Der Preis eines Gutes bildet sich so, dass die angebotene Menge xs und die nachgefragte Menge xd übereinstimmen → xs= xd. Es gelten folgende Beziehungen: x s x s ( p) x d x d ( p) Die dezentrale Koordination über Märkte ist effizient, weil sie weniger Kosten verursacht als die zentrale Koordination durch eine Planbehörde. Beispiel: Siegener Studenten ändern Trinkgewohnheiten. dezentrale Koordination über den lokalen Kneipenmarkt: Siegener Wirte registrieren dies und reagieren. zentrale Koordination: Informationen müssen an Zentrale gegeben werden → von Zentrale zurück an Siegener Wirte. (8) Fünfte Maßnahme: Wettbewerb und „Gesetz von Angebot und Nachfrage“ „Gesetz von Angebot und Nachfrage“ (a) p Xs p2 p* Xd xd2 x* xs2 X p p 2 p* x d x d2 x s2 x s Problem der Anbieter: Sie können Nachfrager nicht zwingen, bei p2 mehr als x2d zu kaufen. Es gilt das Prinzip der Freiwilligkeit des Tausches; also müssen sie die Nachfrager „locken“, mehr als x2d kaufen. Die Anbieter unterbieten sich im Preis bis Xs = Xd. Fazit: Herstellung des Gleichgewichts durch Preiswettbewerb unter Anbietern. analog bei p<p*, d.h. Überschussnachfrage → Herstellung des Gleichgewichts durch Preiswettbewerb unter den Nachfragern. (b) Ursache des Wettbewerbs: Knappheit Die Bedürfnisse sind größer als die Mittel → es kommt zum Wettstreit um die Mittel. nur weil ein Gut knapp ist,... entstehen den Anbietern Opportunitätskosten (Die Anbieter verlangen einen Preis). sind die Nachfrager bereit, einen Preis zu zahlen, d.h. dafür auf etwas anderes zu verzichten. Beispiel: Luft im Freien = freies Gut Luft für Taucher in Sauerstoffflasche = knappes Gut nur knappe Güter haben einen Preis, d.h. Güter um die es einen Wettbewerb gibt. 1.3 Zur Rolle des Staates (1) Wirtschaftspolitik: Begriff Wirtschaftspolitik = kollektives wirtschaftliches Handeln Frage: wer ist das Kollektiv? Antwort: entweder alle Wirtschaftssubjekte einer Volkswirtschaft oder Teilgesamtheiten, jeweils vertreten durch bestimmte Institutionen, die gesetzliche zu kollektiv-wirtschaftlichen Handeln legitimiert sind. (2) Ordnungs- und Prozesspolitik Walter Eucken (1891 – 1950) (a) Ordnungspolitik = Setzen der Rahmenbedingungen des Wirtschaftsprozesses durch... -... Regeln, -... Institutionen der Wirtschaftspolitik (b) Prozesspolitik, Ablaufpolitik = korrigierende Eingriffe in den laufenden Wirtschaftsprozess (c) Beispiel (3) Gestaltung des Wirtschaftssystems als ordnungspolitische Basisentscheidung (a) „Zentrale Frage“ (Woll (1993), S. 67): wie soll eine arbeitsteilige Wirtschaft gelenkt werden? - von einer zentralen Planstelle („von oben“) - dezentral durch Selbstkoordination der Wirtschaftssubjekte und ihrer Pläne über ein System interdependenter Märkte (b) im einzelnen muss der Staat folgende Voraussetzungen für das befriedigende Funktionieren des Marktmechanismus gewährleisten: wirtschaftliche Freiheiten Gewährleistung des Wettbewerbs der Marktmechanismus darf nicht durch staatlichen Subventionen außer Kraft gesetzt werden (4) Grenzen und Mängel des Marktsystems als Gründe für wirtschaftspolitische Eingriffe - als ungerecht empfundene Verteilung - unerwünschte Struktur der Produktion - Unterbeschäftigung von Ressourcen