Kurzfassung des Offenen Briefs von Professor Dr. Gerhard Amendt zur Plakataktion "Mehr Respekt vor Kindern" der damaligen Bundesministerin für FSFJ, Dr. Christine Bergmann im Jahre 1999 Ihre Plakataktion Mehr Respekt vor Kindern hat meine ungeteilte kritische Unterstützung…. Im Wesentlichen geht es mir um die Plakate Ihrer Kampagne, die überall im Land zu sehen sind… Die Plakate zeigen Kinder, die von Verletzungen gezeichnet sind. …. Das Bild des Jungen trägt die Angst einflößende Unterschrift Wer Schläge einsteckt, wird Schläge austeilen. Das Plakats mit dem Mädchen hingegen den leicht resignativen Titel Man muss ein Kind nicht schlagen, um es zu verletzten. Mein erster Eindruck vom Plakat mit dem Jungen: Hier werden Jungen von etwas Wesentlichem ausgeschlossen. Wovon?... So heißt es auf dem Plakat mit dem Jungen: Wer Schläge einsteckt, wird Schläge austeilen! Ein Junge ist zu sehen, der sich trotzig-verbissen mit beiden Händen nach hinten abstützt. Sein Gesicht zeigt eine Mischung aus gegen sich selber gewendeter Aggressivität und hoffnungsvoller Bockigkeit.…. Wohlgemerkt, Sie plädieren für Mehr Respekt vor Kindern! Nur frage ich mich, ob der Titel: Wer Schläge einsteckt, wird Schläge austeilen! wirklich diesem Ziel gerecht wird? … Denn wo bleibt auf diesem Plakat die Einfühlung für den Jungen, der geschlagen wird? Wo bleibt die Empathie für seine seelische Zerrissenheit und sein heimatloses Leid über seine Mutter oder seinen Vater, die er liebt. Ist Ihr Plakat nicht die entgegengesetzte Seite der Einfühlungsfähigkeit? Besteht die Quintessenz Ihres Plakats nicht gerade darin, dass Jungen nur deshalb ein Anrecht haben, nicht geschlagen zu werden, weil sie zurückschlagen und weil sie nach Ihrer Ansicht automatisch zur nächsten Generation von Schlägern werden? Ist diese Logik nicht selber Ausdruck einer Respektlosigkeit, auf die Sie mit Ihrer Kampagne aufmerksam machen möchten? Ist das, was ich hier verzeichne, nicht geradezu ein sadistisches Beispiel für jene mangelnde Empathie, die das Leid von geschlagenen Jungen als unerheblich verwirft? Sie bringen unumwunden zum Ausdruck, dass Sie sich nicht für die Seelen der Jungen in der Gegenwart interessieren, sondern nur dafür, wie geschlagene Jungen zu gefährlichen Männern der zukünftigen Generation werden könnten. Nur, wie wollen Sie weniger Gewalt in der Erziehung erreichen, wenn Ihr sinnvoller Versuch, humanere Verhältnisse zu schaffen, sich jenes Mittels bedient, das sie auf dem Plakat mit dem Mädchen bekämpfen? Dort heißt charakteristisch für den von Ihnen wieder erweiterten Begriff des Schädlichen für Kinder: Man muss Kinder nicht schlagen, um sie zu verletzten! Sie schlagen in Ihrer Aktion die Jungen nicht, aber Sie verletzen sie zutiefst, indem Sie ihr Leiden an ihren schlagenden Müttern und Vätern wie ein Naturereignis unerörtert vorbeiziehen lassen. Und die zu Ende gedachte Logik des Plakats gipfelt dann darin, dass Jungen eigentlich geschlagen werden dürften, wenn nicht die Gefahr damit verbunden wäre, dass sie als Männer weitergeben würden, was ihnen angetan wurde. … 1 Im § 1631 Abs.2 BGB heißt es: Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafung, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Ihre Plakate sind unzulässig, weil sie seelisch verletzen und Jungen entwürdigen. … Wenn sie nicht funktionieren, dann muss man etwas ändern, damit sie wieder funktionieren. Also schlagt sie nicht, denn das stört ihre Funktionalität. …. Es wird so getan, als sei das Heroische im Leben der Männer etwas Selbstgewolltes mit dem Frauen um alles in der Welt nichts zu tun haben wollen, weil es ihnen immer nur Nachteile gebracht habe. Sie, Frau Dr. Bergmann, lehren Jungen eine ganz moderne Variante von Konservativismus. Sie erwarten nämlich, dass das Heroische zukünftig stillschweigend ohne Anzeichen von Überforderung, Unleidlichkeit und schon gar nicht von Leid erbracht wird. Sie halten als Ministerin das Reden über das Leidvolle am Heroischen für überflüssig. Damit sagen sie den Mädchen zugleich, wie sie die Jungen sehen sollen und was sie von ihnen erwarten dürfen. Fazit des alten Weins in neuen Fässern: Eine Junge weint auch in Zukunft nicht!? Nur die Mädchen dürfen das weiterhin tun! …… Dass leidvolle Erfahrungen von Jungen in Ihrer Kampagne keine Rolle spielen, steht außer Frage. Das ist der hohe Preis, der für einen pervertierten Respekt zu entrichten ist. …. Die Dehumanisierung von Männlichkeit in Ihrer Kampagne wird daran erkennbar, dass Sie Jungen unterstellen, sie würden mechanisch wie Roboter an anderen ablassen, was Ihnen selber angetan wurde. … Letztlich behaupten Sie von Männern, dass sie unfähig sind, sowohl aus ihrer familiären Leidensgeschichte und der Geschichte ihrer Kultur zu lernen. Wer geschlagen wurde, wird zwangsläufig wieder zum Schläger! … Nur: schicksalhafte Zwangsläufigkeit gibt es nicht. … Denn nichts muss wiederholt werden. ….. Jeder hat die Möglichkeit, sich seiner Chancen zu besinnen. … es nicht nachvollziehbar, dass Sie sich gerade mit den Mächten des Dunklen identifizieren. … Deshalb verklären Sie den Mechanismus der Wiederholung zum Schicksal von Männern. Frauen wollen sie hingegen davon freihalten…. Wenn Ihr Plakat vor allem den Wiederholungszwang den Jungen unterstellt, dann zeugt das von Realitätsblindheit, weil sie Jungen nicht in ihrer Individualität wahrnehmen wollen. Das wiederum kann nur in eine feindliche Gesinnung gegen Jungen abdriften. Das ist die voraussagbare Folge einer gespaltenen Weltsicht: Entmenschlichung von Männlichkeit!* … gez. G. Amendt *Wie das zwischenzeitlich im Parteiprogramm der SPD steht Der vollständige Text als Download unter www.gerhard–amendt.at Ebenfalls veröffentlicht in: Gerhard Amendt: Mehr Respekt vor Kindern. Offener Brief an Christine Bergmann, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, in: Leviathan, 1/2001, 3-10 2 3