Rahmenbedingungen oder Metaökonomie Kant und Einstein waren Hand in Hand auf der Suche nach einem neuen konsistenten Weltbild. Eine unmögliche Allegorie, denn ihr Wirken lag einige hundert Jahre auseinander. Einstein hat seine Erkenntnisse im reinsten Kant’schen Sinne transzendental geschaffen. Er hat der Welt eine neue Metaphysik gegeben. Die leitet allerdings eine Wende in der Erkenntnis und der Erklärung der Welt ein. Einstein’s Weltbild widerspricht der Metaphysik des Immanuel Kant und ist nicht mit dessen Paradigma in Einklang zu bringen. Was ist die Metaphysik des Kant? Metaphysik ist nach Kant eine Wissenschaft, die synthetische Urteile a priori hervor bringt. Nach seinem Verständnis kann das nur die Mathematik und die Naturwissenschaft sein. Beide bringen Urteile hervor, die apodiktisch gewiss sind und nicht von der Erfahrung abhängig, also nicht empirisch. Bei Kant sind beispielsweise „Raum und Zeit die Erkenntnisquellen, aus denen a priori verschiedene Erkenntnisse geschöpft werden können“. Das illustriert es ganz gut, ist aber genau das Muster, das Einstein mit der Allgemeinen Relativitätstheorie zerstört hat. Kant’s strenge Definition der Metaphysik ist auf keine Ebene unter der Ökonomie anwendbar. Es gibt keine Erkenntnisse a priori, aus denen ökonomische Entwicklungen abgeleitet werden. Mit der Wirkung menschlicher Handlungen, mit der Berücksichtigung individueller Wertschätzungen oder gesellschaftlichen Nutzens, mit der sozialen Dimension wird die Lehre von der Ökonomie zu einer qualitativen Empfehlung, zu einer Ethik. Es kann keine Metaökonomie geben, weder nach Kant, noch nach Einstein oder nach irgendeiner Wissenschaft der Quantitäten. Seit Galilei die Wissenschaft auf quantifizierbare Größen beschränkt hat und Descartes die Trennung von Geist und Materie vorgeschlagen hat, ist die Deduktion zu einer tatsächlichen Möglichkeit des Erkenntnisgewinns geworden. In den Formalund Naturwissenschaften sind seitdem wesentliche Fortschritte deduktiv gewonnen worden. Man denke zum Beispiel an Einsteins Relativitätstheorie, an Gel Mans mathematische Formulierung der Quarks, Watsons Konzept der Doppelhelix der DNS oder Boltzmanns Naturkonstante. Die Forscher gewannen ihre Theorien deduktiv und sagten die Phänomene a priori voraus. Diese konstitutiven Wissenschaften reklamieren für sich Wahrheit, was nach Kant „die Übereinstimmung unter sich selbst und mit der Erfahrung“ bedeutet. Dieser Anspruch wird mit einer Metaphysik begründet, die eine Deduktion von Erkenntnissen aus der „reinen Vernunft“ hervorbringt. Einstein meint dasselbe, wenn er vom „reinen Denken“ spricht. Im Gegensatz dazu ist allen Beschreibungen der Wirtschaftslehre gemeinsam, dass sie nur a posteriori Aussagen gewinnen. Ökonomie ist empirisch gefundene Erkenntnis in der reinen Form und schließt damit eher an die Wissenschaftslehre Francis Bacons an. Die von ihm postulierte phenomenologische Analyse bezog sich zwar auf die induktive Theoriebildung in den Naturwissenschaften. Sie ist aber ebenso ein Muster für den Erkenntnisgewinn in der Ökonomie. Im strengen Sinne einer Kant’schen Definition der Erkenntnis ist die Beschäftigung mit den Version 2.0 Seite 1 von 3 Stand Juni 2005 14.05.2016 Wirtschaftssubjekten und ihren Aktionen keine Wissenschaft, sondern eine implizite Ethik. Auf der Basis formalisierter Wirtschaftsmodelle sind insofern keine wertfreien Handlungsempfehlungen zu erwarten, sondern Anregungen für die Planung ökonomischer Strategien. Die individuellen Prioritäten, die sozialen Zwänge, die moralischen Werte der Menschen fügen noch so ausgefeilten, mathematisch formulierten Modellen zu viele „unbeschreibliche“ Einflussgrößen zu. Soziale Systeme entziehen sich der formalen, mathematischen Beschreibung. Im Rahmen eines gesellschaftlichen Umfeldes sind die wirtschaftlichen Theorien nichts anderes als eine Morallehre, eine Konvention, eine Verständigungsbasis für Expertendiskussionen. Die Ökonomie hat also keine eigene „metaökonomische“ Grundlage, allenfalls leiht sie sich auf Umwegen die Metaphysik. Zeichnet man diesen Weg nach, von der Gesellschaft über die Wissenschaft zur Technik, dann kommt man in der Tat zu anderen Determinanten wirtschaftlicher Entwicklungen. Dann schließt die Ökonomie sich an die materielle Ebene der Güterproduktion an, die erst ein Ergebnis der Technik ist. In dieser Hierarchie ist Technik sehr weit gefasst, als die Umgebung zur Herstellung von Gütern (Produkte und Dienste). Über die Bewertung der Güter gelangt man erst in die ökonomische Dimension. Die Hierarchie ist im Sinne der Prüfkriterien Ken Wilbers folgerichtig. Das wesentliche Kriterium ist die notwendige Bedingung der nächsten Stufe. Denkt man sich die jeweils untere Stufe weg, dann fällt bei einer folgerichtigen Hierarchie die nächst höhere ebenfalls haltlos zusammen. In dem oben gebildeten Aufbau braucht die Technik wissenschaftliche Grundlagen, die aus einer Gesellschaft wurzeln. Die Technik ist notwendige Bedingung für Güter, ohne die es wiederum keine Ökonomie gäbe. In der Logik des letzten Satzes bezieht sich die Reihenfolge und damit der konkrete Gegenstand der Ökonomie auf das westliche Abendland. Das ist die gesellschaftliche (oder kulturelle) Basis. Wirtschaftsentwicklung ist also das Ergebnis gesellschaftlicher Strukturen, wissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Randbedingungen. Dieses ineinander geschachtelte System hat sich im Laufe der letzten Jahrhunderte selbst manifestiert. Die reale Wirtschaft ist ein Ergebnis dieser Entwicklung. In der Terminologie Arthur Koestlers/Ken Wilbers ist sie ein Holon, welches die Elemente der Gesellschaft nicht nur in sich trägt, sondern sie auch mit prägt. Die Determinanten einer wirtschaftlichen Entwicklung findet man deshalb außerhalb der Ökonomie. Erst die bewerteten Ergebnisse aus den umgebenden Systemen kondensieren sich anschließend in ökonomischen Größen. In der Terminologie der geliehenen Metaphysik ist die Wirtschaft ein offenes System. Für die weitere Erörterung bleiben wir in diesem systemtheoretischen Kontext. Um die Konsequenz deutlich zu machen, nehmen wir das Gleichgewicht als einen zentralen Begriff wirtschaftlicher Modelle und Theorien. In einem geschlossenen System ist das Gleichgewicht im thermodynamischen Sinne der Zustand maximaler Entropie. Ohne Energiezufuhr von außen wird dieses statische Gleichgewicht nicht verlassen. Für Materie scheint das eine akzeptable Ruheposition zu sein. Jede Form von Energie ist ausgeglichen. Das System ist tot. Version 2.0 Seite 2 von 3 Stand Juni 2005 14.05.2016 Lebende Systeme dagegen brauchen aus der Umgebung einen ständigen Strom von geordneter Energie. Schrödinger hat das Leben generell als ein solches offenes System beschrieben. Das Gleichgewicht offener System ist fernab vom thermodynamischen Ruhezustand (dem Tod). Das hat Prigogine überzeugend nachgewiesen. Im dynamischen Gleichgewicht entspricht der Strom zugeführter Energie demjenigen, der permanent als Entropie (Unordnung) verloren geht. Die Wirtschaft ist demnach ein lebendes System, weil sie sich entwickelt. Was bedeutet das nun für die Frage der ökonomischen Evolution? Welche Ordnung wird der Wirtschaft zugeführt? Kann die Wirtschaft sich autopoietisch aus eigener Kraft weiterentwickeln? Die Antworten auf diese Fragen geben die Diskussionen der Rahmenbedingungen. Nur offene Systeme sind überhaupt fähig zur Evolution. Sie erhalten aus der Umgebung negative Entropie oder, will man es positiv ausdrücken: Ordnung. Wie wir an der Hierarchie gesehen haben, ist diese Ordnung nicht ökonomisch, also unbewertet. Das ist eine notwendige Bedingung. Mit diesem Bild des offenen Systems „Wirtschaft“ besprechen wir nun die Einflussfaktoren. Zum besseren Verständnis seien einige Beispiele ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit genannt: natürliche Ressourcen, Energieträger, Bildung, Kreativität, Ethik und Moral, Wissenschaft, Basistechniken, usw. Solche offenen Systeme sind über ihren aktuellen Zustand und ihre Vorgeschichte zu beschreiben. Sie haben keine eigene Dynamik, sondern leihen sie sich von den sie umgebenden Trajektorien der Einflüsse. Ihre Evolution ist irreversibel, denn die interne Entwicklung hin zum thermodynamischen Gleichgewicht definiert sozusagen den Zeitpfeil als zunehmende Entropie. Evolution ist ein beständiges Werden und Vergehen. Die analogen Termini der Naturwissenschaften sind die Entwicklung von Negentropie und Entropie. Die Analyse der Rahmenbedingungen gibt also Hinweise auf die wirtschaftliche Evolution, ihre Dynamik und die möglichen Wege in die Zukunft. Sie lässt Rückschlüsse auf die Potenziale zu, aber auch auf die konkreten Handlungsmöglichkeiten zur Steuerung langfristiger Entwicklungen mit ökonomischen Konsequenzen. Der Blick auf die Entwicklung der externen Faktoren schärft die Sicht für die Evolution. Die quantitative Analyse ökonomischer Größen (Ökonometrie) zeigt allenfalls die Annäherung an ein statisches Gleichgewicht. Version 2.0 Seite 3 von 3 Stand Juni 2005 14.05.2016