Thesenpapier_ThomasReyer - Friedrich-Schiller

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Friedrich-Schiller-Universität Jena
Fakultät Sozial – und Verhaltenswissenschaften
Institut für Soziologie
Veranstaltung: Arbeit-Organisation-Geschlecht
Dozentin: Karen Schierhorn
Name: Thomas Reyer
Datum: 24.11.2009
Happy together: Soziologie und Gender Studies als paradigmatische
Verunsicherungswissenschaften
Mit dem Übergang zur funktional differenzierten Gesellschaft und der damit verbundenen
gesellschaftlichen Verunsicherung etablierte sich im 19. Jahrhundert die Soziologie als eine
neue Wissenschaft. Verunsicherung entstand zu dieser Zeit vor allem durch die
Modernisierungsprozesse der Industrialisierung. Neue Erkenntnisse in den
Naturwissenschaften, die Revolutionierung der Politik, oder die Industrialisierung der Arbeit
durch neue technische Erfindungen und ein verändertes Verhältnis zum Kapital, sprengten die
traditionellen Lebensgemeinschaften, sowie Ansichten und zogen die Akteure somit selbst in
die Verantwortung, ihr Leben zu gestalten. Das Aufbrechen des traditionellen sozialen
Gefüges, also einer jahrhundertelanger Selbstverständlichkeit von Leben und Arbeit, brachte
für die Individuen des 19. Jahrhunderts Sinnverlust, Orientierungslosigkeit und demzufolge
Verunsicherung mit sich. Die Veränderung der zuvor bestehenden, selbstverständlichen
sozialen Ordnung machte Gesellschaft zum Problem. Aus dieser Wahrnehmung heraus,
entstand eine Reihe von wissenschaftlichen Orientierungen, aus denen sich auch die
Soziologie entwickelte. Soziologie ist demnach ein Produkt von Modernisierungsprozessen,
welches auf Gesellschaft als Problem reagiert und somit den Ursprung der Organisation
menschlichen Zusammenlebens im „Sozialen“ und nicht im Individuellen, Göttlichen oder
Natürlichen sieht. Diese Erkenntnis lässt darauf schließen, dass Verunsicherung
gesellschaftlich, also vom Menschen selbst, und nicht von höheren Mächten produziert wird.
Die Aufdeckung dieses Phänomens lässt zwar erkennen woher Verunsicherung stammt, bietet
jedoch keine Lösung des Problems, ganz im Gegenteil – Soziologie stiftet dadurch
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Verunsicherung und kann demzufolge als Verunsicherungswissenschaft bezeichnet werden.
Obwohl die Soziologie scheinbar Individuelles, Natürliches oder Gottgegebenes als soziales
Konstrukt enthüllte und somit alles auf soziales Handeln zurückführte, nahm sie die
Zweigeschlechtlichkeit des Menschen weiterhin als naturgegebene Selbstverständlichkeit hin.
Dies widerspricht eindeutig der zuvor errungenen Erkenntnis der „Entnaturalisierung“. Dieser
Aspekt wird von den Gender Studies kritisiert und ist ein zentraler Diskurs in deren
Forschung. Die Gender Studies entstanden in den 70er Jahren im Anschluss an die
feministische Bewegung und verfolgten deren Ansatz der Analyse und Kritik asymmetrischer
Geschlechterverhältnisse. Während der Feminismus sich eher auf (unterdrückte) Weiblichkeit
konzentrierte und von einer weiblichen Identität aller Frauen, also von natürlicher
Geschlechterdifferenz, ausging, legen die Gender Studies ihren Fokus auf das Geschlecht
(gender) als soziale Konstruktion. Es wird in den Gender Studies davon ausgegangen, dass
die Geschlechterdifferenz sozial/kulturell hergestellt wird. Die Geschlechterrollen sind
demnach kulturell (durch kulturelle Praktiken und Strukturen) vorgegeben und werden von
einer Gesellschaft für verbindlich erklärt. Männlichkeit oder Weiblichkeit werden also, je
nach Ort und Zeit der Sozialisation, von Individuen anders wahrgenommen, empfunden und
bewertet. Vor allem Gestik, Mimik, Verhalten aber auch Kleidung stellen Männlichkeit und
Weiblichkeit her. Da diese Verhaltensmuster von den Akteuren ständig neu dargestellt
werden müssen, kann man Geschlecht als Prozess beschreiben. Das heißt auch, dass
Geschlechter an sich und Beziehungen von Geschlechtern veränderbar sind.
Ein wichtiger Teil der Gender Studies ist die „sex-gender-Debatte“ und ist auch heute noch
einer der zentralen Diskurse dieser Disziplin. „Sex“ als Gegenbegriff zu „gender“, bezeichnet
das biologische Geschlecht, was mit dem sozial konstruierten Geschlecht (gender) identisch
sein kann, aber nicht sein muss. Die Trennung von „sex“ und „gender“ wird jedoch in Frage
gestellt, da selbst das biologische Geschlecht schon ein historisch, kulturelles Konstrukt ist.
Diese Debatte erzeugt eine Verunsicherung im höchsten Grade und stellt ein theoretisches,
aber mehr noch ein methodologisches Problem dar. Geht man von einer Differenzierung von
„sex“ und „gender“ aus, stellt sich heraus, dass „gender“ im Grunde aus dem „sex“ abgeleitet
wird und somit wieder auf männlich und weiblich zurückzuführen ist. Die Untersuchung der
Differenzierung und der Diskurs von „sex“ und „gender“ auf empirischer Ebene entpuppt sich
also als Kampf gegen Windmühlen, denn sie führt durch ihre unzulängliche Codierung immer
wieder auf den Ursprung der naturgegebenen Zweigeschlechtlichkeit. Für die Soziologie und
Gender Studies gilt gleichermaßen: Auch wenn die Empirie an gewissen Stellen hakt, ist es
notwendig, die Debatte fortzuführen und auf andere Art und Weise Konzepte zu erstellen, um
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über die Zweiteilung von Geschlecht hinauszugehen. Soziologie und Gender Studies sind
Ergebnisse von Modernisierungsprozessen und können neben- und miteinander
Verunsicherung reduzieren, solange sie den Blick über den Tellerrand wagen und nicht nur
auf die angebliche Selbstverständlichkeit ihrer zu untersuchenden Gegenstände beharren.
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