Pressekonferenz zum Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich 27. November 2003, 10 Uhr Club Stephansplatz 4 Statement Dir. Chalupka Direktor der Diakonie Österreich Das Sozialwort ist ein Beitrag zur Modernisierung der Strukturen sozialen Zusammenhalts in Österreich. Jeder gute Unternehmer schaut: wo gibt es Fehlentwicklungen - diese sind zu korrigieren, und wo liegen die Stärken - diese wird er optimieren. Das gilt auch für den sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalt in Österreich: STÄRKEN OPTIMIEREN____________________________________________________ Nächstenliebe und Solidarität gehören zusammen. Die kirchlichen Initiativen sehen sich durch ihr konkretes, solidarisches, oft von Ehrenamtlichen getragenes Handeln legitimiert, gesellschaftliche Solidarität einzufordern. Nächstenliebe und gesellschaftliche Solidarität können nicht gegeneinander ausgespielt werden. „Sozialstaat und Freiheit, Solidarität und Individualität schließen einander nicht aus, sondern bedingen und ergänzen einander. Der Sozialstaat ist Voraussetzung dafür, dass die Werte von Individualität und Freiheit nicht nur ein Privileg der Einkommensstarken und Vermögenden sind, sondern allen Menschen zukommen“ (Sozialwort). 1. Armutsvermeidung: Hätten wir keine Sozialleistungen, wären doppelt so viele Menschen arm. Staaten mit egalitärem Bildungssystem und der Absicherung sozialer Risken für eine breitere Bevölkerungsschicht weisen geringere Armut auf. Diese Systeme wirken offensichtlich stark präventiv. Je stärker die Leistungen auf die Armen konzentriert werden, desto unwahrscheinlicher wird eine Reduktion von Armut und Ungleichheit, so einhellig Studien von Korpi und Palme (1998) sowie Michael Förster, OECD. Jene Staaten, deren Nettotransfersystem am ehesten als „targeted“ bezeichnet werden kann, sind nicht diejenigen, welche Armut am effektivsten vermindern – eher im Gegenteil. Ein wichtiges Element bleibt die Höhe der Sozialquote sowie die progressive Verteilungswirkung des Steuersystems. 2. Breiter Zugang zu Bildung oder Gesundheit. Soziale Grundrechte statt Almosen. „Der Zugang zu sozialen Dienstleistungen in hoher Qualität muss für alle, unabhängig von Einkommen und Herkunft, gesichert werden. Öffentliche Güter beziehen ihre Legitimität und gesellschaftliche Anerkennung daraus, dass sie, von allen finanziert, auch allen in gleichem Maße zugänglich sind“ (Sozialwort). 3. Sozialstandort als Wettbewerbsvorteil: Qualifizierte Bevölkerung, geringe Kriminalitätsraten, geringere soziale Konflikte, keine Elendsviertel in den Städten. „Soziale Sicherheit macht Gesellschaften nicht arm, sondern ist ein wesentliches Element des sozialen Zusammenhalts. Soziale Investitionen wirken sich auch ökonomisch positiv aus. Ein gut ausgebautes System von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen ermöglicht ein hohes Qualifikationsniveau. Ein allen zugängliches Gesundheitssystem, eine gut funktionierende Infrastruktur bieten die Grundlagen einer erfolgreichen Wirtschaft. Die solidarische Absicherung von Risiken wie Arbeitslosigkeit und Alter sind Reichtums- und Wohlstandsindikatoren einer Gesellschaft. Dieser Wohlstand, der keine Gruppe ausschließt, sondern darauf abzielt, möglichst viele einzuschließen, ist ein positives Element des Wirtschaftsstandortes Österreich und eine Grundlage der Lebensqualität aller, die zu erhalten eine wesentliche Aufgabe ist“ (Sozialwort). FEHLENTWICKLUNGEN KORRIGIEREN___________________________________ „Die Kirchen sind überzeugt, dass die realen, materiellen und rechtlichen Voraussetzungen für die Teilhabe aller Menschen an einem Leben in Freiheit und Gemeinschaft, in Verantwortung und Würde geschaffen werden können.“ Sozialwort Es gibt zahlreiche Fehlentwicklungen und Lücken im sozialen Sicherungssystem: Paternalismus und Intransparenz, Fixierung auf den männlichen Ernährerhaushalt, Erwerbszentriertheit des Sicherungssystems, hohe soziale Vererbung von Benachteiligungen und Teilhabechancen, Staatsbürgerschafts- bzw. Herkunftsfixierung sozialer Rechte. Deshalb braucht es Neuorientierung und Korrektur: 1. Partizipation und Demokratisierung des Wohlfahrtsmodells Was wir wollen ist: Die Erhöhung der „Verwirklichungschancen“ (A. Sen) von Menschen, besonders für Ärmere und Benachteiligte. Wir wollen Eigenverantwortung tragen in Solidarität: Die sogenannte goldene Regel und das Gebot der Selbstund Nächstenliebe tragen uns auf: Deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Aus der Forschung und aus den Erfahrungen kirchlicher Sozialinitiativen wissen wir: Die Stärkung des Selbst, des Ichs, die Vergrößerung des Handlungsspielraums bewirkt solidarisches Handeln. Im Gegensatz dazu ist ein autoritäres, obrigkeitsstaatliches Ich solidaritätshemmend: Freiheitsmangel vermindert Solidarität. Deshalb ist die Förderung des bürger- bzw. zivilgesellschaftlichen Engagements wichtig – auch dann, wenn dieses Engagement für manche unbequem ist. 2. Eigenständige Existenzsicherung für Frauen „Die Organisation von Erwerbsarbeit ist immer noch sehr stark geprägt vom männlichen, vollzeitbeschäftigten Arbeiter oder Angestellten.(…) Die Zahl jener Menschen, die einen oder sogar mehrere Arbeitsplätze haben und trotzdem nicht davon leben können, nimmt zu.(…) Im Alter haben viele Frauen keine, keine genügende oder keine eigene Pension und sind dadurch von anderen abhängig“ (Sozialwort). 3. Grundsicherungselement und Sozialverträglichkeitsprüfung Nicht nur in der Sozialhilfe, sondern in allen Systemen sozialer Sicherung: Pension, Krankenversicherung und Arbeitslosenversicherung. Prinzip: Grundrechte statt Almosen, Rechtsanspruch und Integration statt Armenwesen. „Die Kirchen setzen sich ein für eine Sozialverträglichkeitsprüfung, um die Folgewirkungen von Gesetzen auf die verschiedenen Gruppen der Gesellschaft, und insbesondere auf Frauen und Familien abzuschätzen“.(Sozialwort). 4. „Equal rights“ ohne Ansehen der Herkunft Bei gleichen Pflichten auch gleiche Rechte. Integration heißt auch Aufstiegschancen von MigrantInnen ermöglichen. 5. Zukunft trotz(t) Herkunft: Bildung und Qualifizierung. - Vor und während der Schule: qualifizierte Kinderbetreuung und Förderung, „Die Kirchen unterstützen alle Bemühungen, Frauen am Arbeitsmarkt dieselben Chancen einzuräumen wie Männern. Sie treten ein für gleiche Bezahlung gleichwertiger Arbeit. Gleichzeitig unterstützen sie Bemühungen, bezahlte und unbezahlte Arbeit zwischen Frauen und Männern gerechter zu teilen“ (Sozialwort). - Am Arbeitsmarkt: Pro arbeitsloser Person werden in Österreich für Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen nur die Hälfte der Mittel der skandinavischen Länder aufgewendet. „Die Kirchen fordern die Bereitstellung ausreichender Mittel für die Schulung und Integration arbeitsloser Menschen in das Erwerbsleben. Dabei erwarten sie einen respektvollen und den jeweiligen Fähigkeiten entsprechenden Umgang mit den Arbeitsuchenden“ (Sozialwort). - In soziale Dienste investieren: z.B.: Pflege, Kinderbetreuung Die drei Kriterien: Zugang, Qualität, Inanspruchnahme müssen unabhängig von Herkunft und Einkommen für alle gesichert werden. Sonst: poor services for poor people Bsp.: Pflege: Wer kann sie sich dann noch leisten?