75882425 GOTTES SOLIDARITÄT MIT UNS MENSCHEN „Das war doch nicht nötig!“ In manchen Situationen, wenn uns z. B. jemand etwas schenkt, pflegen wir zu sagen: „Das war doch nicht nötig!“ Oft ist das eine Floskel. Aber was besagt diese Redewendung eigentlich? - „Das war doch nicht nötig!“ - Sagt sie nicht dem anderen: Du tust etwas, für das es keine Notwendigkeit gibt, wozu du in keiner Weise verpflichtet bist? Wenn es aufrichtig gemeint ist, dieses „Das war doch nicht nötig“, dann sagt es sogar: Ich erfahre etwas von dir, bekomme etwas von dir, was ich nicht erwartet habe, womit ich nicht rechnen konnte. Es ist ein Geschenk, ein Zeichen dafür, dass du mir freundlich, wohlwollend zugewandt bist. Von einem Besuch bei einer alten Frau in den Tagen vor Weihnachten habe ich noch im Ohr: „Herr Pfarrer, das war doch nun wirklich nicht nötig, dass Sie mich noch besuchen kommen. Aber ich freue mich ja so!“ - Statt aber ich freue mich möchte sie in Wirklichkeit sagen: deshalb freue ich mich. – Vielleicht ist das, was wir nicht von anderen erwarten oder gar fordern können, das Kostbarste für uns - wenn wir es erfahren, wenn es uns geschenkt wird! Und umgekehrt. Wenn wir uns bewusst von anderen abgrenzen, sagen wir: „Das hab ich doch gar nicht nötig ...“ - dass ich hinter ihm herlaufe, - dass ich mir von ,der’ das sagen lassen muss... Damit gehen wir auf Distanz, grenzen uns von anderen ab. Das hatte Jesus wahrhaftig nicht nötig Warum bedenke ich das hier mit Ihnen? - Im Vordergrund des heutigen Evangeliums steht die Taufe Jesu. Bei diesem, seinem ersten öffentlichen Auftreten tut Jesus etwas, was er ja nun wirklich nicht nötig hatte. Er reiht sich ein in die Reihe derer, die zum Jordan herausziehen. Er stellt sich dort unter die Menschen, die sich unter dem Eindruck der Umkehrpredigt des Täufers als Menschen bekennen, die hartherzig, egoistisch, streitsüchtig, verlogen, selbstgerecht oder sonst wie ,nicht in Ordnung’ sind. Er stellt sich in die Reihe der Sünder. Hat Gott das nötig? - Eben nicht! Ganz und gar nicht! Aber er tut’s! Jesus steht unter denen, die erfahren, dass ihr Leben ,nicht in Ordnung’ ist und einen Neuanfang braucht. So gesehen ist dieses Evangelium ein Weihnachtsevangelium. Menschwerdung Gottes meint nicht nur, dass Gott in einer menschlichen Haut steckt und sich den Bedingungen menschlichen Lebens unterwirft. Gott versteht Mensch-werden als Suche nach einem Leben in einer tiefen, radikalen Solidarität mit den Menschen. Jesus geht nicht nur dorthin, wo die Menschen sind. Nein, er steht in einer Reihe mit ihnen und lässt sich von Johannes taufen. Und dort ist es - nicht etwa im Tempel in Jerusalem -, wo der Geist Gottes ihn überkommt und buchstäblich zur treibenden Kraft für sein Leben wird. Davon hörten wir kurzgefasst in der Lesung: „...nach der Taufe, die Johannes verkündete, hat Gott ihn mit Hl. Geist gesalbt und mit seiner Kraft ausgestattet, dass er umherzog, Gutes tat und dass eine heilende Kraft von ihm ausging ...“ Ja, Gott tut etwas, was er nun wirklich nicht nötig hätte: Er grenzt sich nicht von den Menschen ab. Er steht in einer tiefen Solidarität zu uns. Umwerfende Menschenfreundlichkeit Gottes Am Ende frage ich mich: Was muss mit mir, mit Ihnen geschehen, dass wir aus dem Herzen und voll Dankbarkeit sagen könnten: Mensch, Gott! Dass du so weit gehst in deiner Solidarität mit uns, dass du es so ernst meinst mit deiner Menschwerdung, das war doch nicht nötig! Aber das ist es ja gerade! Das bist eben du - in deiner unwahrscheinlichen, ,um-werfenden’ Menschenfreundlichkeit! Solches Erstaunen und Danken wäre Anbetung Gottes. 75882425 Um so beten zu können, brauchen wir alle wohl erst einmal Menschen, bei denen wir immer wieder Grund haben zu sagen: „Mensch das war doch nicht nötig! Aber, bzw. deshalb ist es für uns so wichtig.“ Wir alle haben Menschen nötig, die es ihrerseits gar nicht nötig hätten, sich uns zuzuwenden. Menschen, deren Interesse, Nähe und Solidarität wir erfahren, - Menschen, die uns einfach gut tun. Auch andere Menschen brauchen uns als solche. Eine Schwester, die viele Jahre in einem Elendviertel unter Prostituierten lebte und arbeitete, wurde gefragt, wie sie das aushält in dieser Gesellschaft’. Ihre Antwort: Es geht gut, seit mir klar ist, dass ich nicht anders bin als diese Frauen, dass ich es nur anders hatte. Diese Frau hatte ihre Abgrenzungstendenz überwunden und konnte solidarisch sein mit Menschen, deren Gesellschaft sie ja nun wirklich nicht nötig hatte. Hat Gott in seiner Mensch-werdung die Erfahrung seiner Menschenfreundlichkeit an uns Menschen gebunden? - In der Tat: Die Menschenfreundlichkeit Gottes wird nicht schon dadurch vermittelt, dass die Geschichten von Jesus erinnert und verkündet werden, sondern dadurch, dass Menschen leben und bezeugen, was ihnen selbst von Jesus aufgegangen ist, und wo sie in seinem Geist tun, was sie eigentlich für sich nicht nötig hätten.