Widerstand statt Antidepressiva! „Mit dem Verlust der Geduld, mit der Ungeduld beginnt … eine Bewegung, die sich auf alles erstrecken kann, was vorher hingenommen wurde. Scheinbar negativ, da sie nichts erschafft, ist die Revolte dennoch zutiefst positiv, da sie offenbart, was im Menschen allezeit zu verteidigen ist. Der Revoltierende kämpft für die Unversehrtheit eines Teils seines Wesens. Er sucht zuvörderst nicht etwas zu erobern sondern etwas durchzusetzen. Er verteidigt nicht was er hat, sondern was er ist.“ (Albert Camus) Am 15 Oktober 2011 hatte ich nach einer Solidaritäts-Demo für occupy weltweit, das Glück, bei der Geburt einer neuen Protest-Bewegung in Berlin dabei zu sein. Seitdem höre ich immer wieder die Frage, ja aber was ist denn nun occupy? Was wollt ihr denn? Was sind eure Forderungen? wir 1 aber wollen uns nicht auf Forderungen festlegen lassen. Es gäbe unendlich viele. Manche von uns fragen sich, an wen sollten diese Forderungen gestellt werden, wenn nicht an eine Politik, deren Sinn viele von uns hinterfragen. Viele von uns wollen Forderungen an sich selbst stellen, im Versuch, gemeinschaftlich nach kreativen Lösungsansätzen zu suchen, auch auf die Gefahr hin sich dabei zu blamieren. Haben wir den Mut zur Blamage! wir sind der noch zu leise Versuch, uns aus unserer Vereinzelung und Verzweiflung heraus zu bewegen. Und andere dazu zu ermutigen, gemeinsam dieser systeminhärenten „Isolationshaft“ entgegenzuwirken, die uns eine individuelle Verantwortung für Arbeitslosigkeit, Armut, Depression und Bankrott vorgaukelt. Resignation, Anpassung und Gleichgültigkeit zu verbreiten, steht in kapitalistischen Ländern hoch im Kurs. Viele von uns haben den Wunsch, wieder gemeinsam Visionen und Alternativen zu entwickeln. wir sind auf der Suche, unser Gefühl von Ohnmacht zu entmachten. Dabei wollen wir ein Angebot an alle sein, gemeinsam neue Formen des Protestes zu (ver-)suchen. Inhalte dafür sind unendlich vorhanden. Die Enzyklopädie der Katastrophen ist endlos. wir wollen auch alle die einladen, die Kritik an unserer mangelnden „Professionalität“ haben, ihr Wissen mit uns zu teilen! wir haben unterschiedlichste Beweggründe, wir sind viele, aber nicht „das Volk“, denn es gibt keine homogene Masse, die unter diesen Begriff fallen könnte. wir sind Schüler, Studenten, Arbeitslose, Rentner oder haben Jobs. wir sind international und/oder antinational. Und wir haben die Möglichkeit ein Miteinander zu wagen, entgegen der darwinistischen Überzeugung des survival oft he fittest, das schon viel zu lange unsere Mitmenschlichkeit und Solidarität vergewaltigt hat. Das Getöse vom Wachstum überwuchert unseren gesunden Menschenverstand. Und das Bruttosozialprodukt ist kein Maßstab für ein glückliches leben. Unser „Wachstum“ basiert auf zunehmender Ausbeutung und Niedriglöhnen. Mit jedem Schritt den wir gehen, bleiben wir stecken in der Zwangslage einer Mitschuld gegenüber den weltweiten Opfern dieses Systems, die mit ihrem Leben für unseren vermeintlichen Wohlstand bezahlen. wir wollen nicht mehr nach Grad unserer Selbstaufgabe im Fluss verkehrter Richtung - hin zu Konkurrenz und Vereinzelung - bezahlt werden. wir wollen den Sinn unseres Seins nicht mehr an Messlatten, in Zeit und Zahlen messen, unseren Lebenswert nicht nach utilitaristischen KostenNutzen Kriterien verhandeln lassen. Lasst uns unberechenbar sein! wir wollen nicht, dass von der Wirtschaft genormte Bedürfnisse und genormte Lösungen für genormte Sorgen, Markennamen tragen. wir wollen keinen Sonderangeboten mehr erliegen. wir wollen versuchen, die Sprache unserer wirklichen Bedürfnisse wiederzufinden, die Prosa des Lebens, die Lyrik des Seins, um dem wesentlichen unseres Wesens, dem Schöpferischen, seine/ihre Stimme wieder zu geben. Denn es gibt immer noch eine „Restidentität“ in der Entfremdung von uns selbst. Jenseits der Unterdrückung lebt eine ekstatische Wirklichkeit in uns. Das ist unsere (un-)angetastete Würde. wir haben uns zu sehr an das schrille Plärren der Unterhaltungsindustrie gewöhnt, die uns keine Zeit lässt, unsere eigentlichen Bedürfnisse wahr zu nehmen. Man hat uns in die Abwesenheit der Stille gehetzt. Aber wir wollen nicht mehr vor der Stille flüchten, die zu einem Symbol für Mangel entartet ist. wir wollen auf- und uns wieder zuhören. Denn wir wollen nicht, dass unsere Kultur ihre Schöpferkraft verliert, wie wir unsere Intuition. Viele von uns sehnen sich nach einer Entschleunigung in einem sich immer schneller drehenden Teufelskreis von struktureller Gewalt und Panikmache. wir wollen nicht im Gleichstrom des Verzweifelns oder im Wechselstrom von Überzeugungen Kurzschlüsse ziehen. wir wollen nicht, dass sich die Wut in uns ungerichtet Bahn bricht, in eine Richtung, die wir nicht einschlagen wollten. wir sehnen uns nach einer Entschleunigung in unserem Geist, dem unter Richtlinien und Regelkreisen durchgedrehter Kreisläufe keine Zeit mehr gelassen wird, schöpferisch und kreativ zu sein. Unsere Fremdheit ist uns unwohl vertraut. Vieles der Technik der Gegenwart macht uns fremd. wir wollen Kreise schalten, die durch Berührung und Gegenberührung laufen. Schaltkreise ohne Richtlinien. Denn die Umstände haben unsere Richtung falsch ausgelegt, aber wir wollen nicht nur ein Schattendasein zwischen den Strukturen unserer Selbstinszenierung führen. wir wollen nicht, dass die Hoffnung dahin geht, wo man nie erfahren wird, was aus uns geworden ist. wir wollen uns nicht länger ins Private und in mediale Irrealitäten zurückziehen, von denen wir uns nähren und gleichzeitig gefressen werden und in denen Nähe, Liebe und Verständnis nur noch auf dem Bildschirm stellvertretend für uns ausagiert werden - während wir uns immer weniger ins wirkliche Leben trauen. wir wollen uns nicht mehr damit abgeben, zynisch den Lauf der Dinge zu kommentieren und dadurch der Predigt der Alternativlosigkeit alle Ehre zu machen. wir wollen uns nicht mehr durch korrumpierte Massenmedien entpolitisieren und unseren freien Ideenfluss und Gedankenaustausch blockieren lassen. wir wollen nicht mehr, dass das Fernsehen uns immun gegen unser Gespür für unsere innere Leere macht. Die eigennützigen Worte und Parolen von der Alternativlosigkeit sind erprobte und erfahrene Wurfgeschosse der Repression gegen unsere Solidarität. Denn Solidarität ist Widerstand! wir wollen versuchen, die Ursache unserer Depression nicht in unserem persönlichen Scheitern zu sehen, sondern in einem System, das uns und unsere Talente weltweit gegeneinander ausspielt. Das unser Leben auf ökonomische Sachzwänge reduziert, und unseren Mangel an Lebenssinn durch Konsum und Lebensstil zu kompensieren sucht. Die Mechanismen, die uns zu fügsamen Konsumenten und resignierten Benutzern erzogen haben, führen zu unserer Desintegrität. Indem sie wie eine gewaltige Walze unsere Tiefe platt machen und uns auf niedrigste Beweggründe einebnen. Das Produktionsbewusstsein dieses Systems funktioniert nur in Quantitativen, nicht im Hinterfragen nach den Inhalten unseres Lebens, der Lebensqualität. Das nicht spüren wollen unserer zerstörten Integrität verzerrt unsere Wahrnehmung und Wachheit. Angst macht orientierungslos, treibt in die Enge und die Flucht vor sich selbst. wir wollen uns nicht bloß als mechanisiertes, programmiertes, industrialisiertes Werkzeug des Kapitalismus, seiner Technik und Wissenschaft verstehen, sondern als krea(k)tive, selbstbestimmte Miterzeuger unserer Zukunft. wir wollen auch die Chance nutzen, die Massenmedien zu einer alternativen „Berichterstattung von unten“ zu bewegen, indem sie Demos oder Aktionen des Widerstands sichtbar machen. Viele von uns sind dazu bereit, zivilen Ungehorsam (z.B. bei Sitzblockaden, Demos, Flashmobs, Besetzungen, in Camps etc.) als Mittel dazu einzusetzen, Unrecht bewusst zu machen und davon zu überzeugen, dass die friedlichen Ziele, für die er ausgeübt wird (z.B. Versammlungsfreiheit, Wiederaneignung öffentlicher Räume, Widerstand) eigentlich allen zugutekommen. Andere von uns filmen, fotografieren, stellen die Bilder ins Netz, um eine Gegendarstellung der von den Medien oft falsch wiedergegebenen Vorgänge zu bieten. Wieder andere verbreiten sie auf möglichst vielen Kanälen. Social media können dazu beitragen, uns politisch zu vernetzen und kollektive Identitäten zu bilden. Jeder hat die Möglichkeit, nach seinen Interessen, Talenten und Ressourcen aktiv zu einer Veränderung beizutragen. Lasst uns uns wieder miteinander in Verbindung setzen, um den Raum zurück zu erobern, in dem unzählige Veränderungen einen Platz in einer Ordnung fordern, die vorher ausschließlich von sich selbst besetzt war! wir wollen uns heraus bewegen aus unserem vermeintlichen stillen Einvernehmen im Arrangement mit den Sachzwängen und der bestehenden Unter-Ordnung. wir wollen nicht länger ohnmächtig sein gegenüber einem zunehmend fremdbestimmten Leben, einem bloßen verwaltet werden in der Opferhaltung gegenüber übermächtigen Bürokratien. 100 Sorten von Schampoos, Düften, Videospielen und Schokolade kompensieren nicht unsere Entzugserscheinungen nach uns selbst. wir wollen gegen diese Maßlosigkeit den Wert einer Grenze, gemessen am Grenzwert des Unerträglichen, setzen. Und wir haben eine Möglichkeit gegen den totalen Selbstverlust, jenseits von Konkurrenz und Konsum. Die gegenseitige Anerkennung unseres eigentlich solidarischen Wesens und die daraus resultierende wiedergewonnene Selbstannahme. Lasst uns etwas herstellen, das uns keine Macht und Gewalt, das uns keiner mehr nehmen kann. Erfahrung der Solidarität, des gemeinsamen Handelns und Widerstehens! „Die Möglichkeit, im Widerstand Kreativität zu entfalten, die Lust am Lernen in Zusammenhängen, die Erfahrung von kollektiven Erfolgen und Solidarität sind an Intensität, Glücksgefühl, Chancen zur Persönlichkeitsentwicklung und Sinn jedem Zeitgeistleben überlegen. Der berüchtigte „Sinn des Lebens“ fällt einem Menschen nicht beim orientierungslosen Jammern in den Schoß, sondern er ist das Produkt einer Entscheidung … Widerstand ist nicht plump und schnell ausgepowert, sondern kunstvoll, radikal und voll Phantasie, subversiv und autonom, in aufrechtem Gang und gerissen, (gegen) machtbewusst und herrschaftsfeindlich und mit langem Atem. Solch ein Widerstand garantiert nie mehr Monotonie, hilfloses Ausgeliefertsein und dumpfes Nichtverstehen, sondern Solidarität, persönliche Freiheit und kollektive Weiterentwicklung, Erkenntnis und Perspektiven.“ (Jutta Ditfurth) Vielleicht wird man versuchen, noch die Gezeiten zu vergewaltigen und den Sauerstoff zu verzinsen. Sie werden uns noch ein paar Mal zu einer Butterfahrt im Teufelskreis einladen, auf der sie uns für dumm und Heizdecken gegen ihre kalten Berechnungen verkaufen. Und alles, was sie uns servieren, wird mit einer kleinen Prise Todesangst gewürzt sein. Unsere herunterhängenden Mundwinkel werden dabei zu Triumphbögen ihres Wahns, und sie werden uns immer wieder mit ihren Waffen gegeneinander auf die Jagd schicken - nach Worten, Bildern, Gedanken und Taten, mit unseren Einzig-Artigkeiten zu konkurrieren und uns zu überbieten. Und sie werden noch eine Weile von den Zinsen ihrer falschen Erwartungen leben, bis sie erkannt haben, dass diese keinen Gegenwert in der realen Welt besitzen. Es wird schwierig sein, in dem Überangebot verzerrter Wirklichkeiten die Wahrheit heraus zu finden. Aber das Unfassbare lässt sich nicht angreifen! Und die Bannmeile um unser gegenseitiges Verständnis und Mitgefühl und die Membran ihrer Theorien werden porös. Denn das Eis auf dem sie sich bewegen, fängt an zu schmelzen unter der Reibung ihrer Widersprüche. Und im Hintergrund wartet unaufgeregt die Liebe – und unsere Solidarität, uneitel und geduldig, weil sie in ihrer Unantastbarkeit nichts zu verlieren hat. Denn ihre Intuition ist unsere - und ihre Institution keine! Und ihr Fassungsvermögen ist unendlich - und ihre Verfassung keine! Aber sie braucht uns Menschen - und unser Werk heißt Traum - um sich zu verwirklichen. Lasst uns wieder träumen! Verfangen im holistischen Tun all unserer Taten und im holistischen Wirken all unseres Unterlassens, sind wir bis auf unsere Worte entwaffnet, bis auf unsere Liebe, unsere Solidarität. wir sind bereit dazu, lieber (noch einmal) im Gegenversuch zu scheitern, als alles unversucht zu lassen im Glauben an Alternativlosigkeit. Vielleicht ist es naiv, aber vor allem ist es Liebe! Sobald wir die Augenhöhe wieder als die höchste Ebene in Betracht ziehen! „Der erste Fortschritt eines von der Befremdung befallenen Geistes ist demnach zu erkennen, dass er diese Befremdung mit allen Menschen teilt und dass die menschliche Realität in ihrer Ganzheit an dieser Distanz zu sich selbst und zur Welt leidet. Das Übel, welches ein Einzelner erlitt, wird zur kollektiven Pest. In unserer täglichen Erfahrung spielt die Revolte die gleiche Rolle wie das „Cogito“ auf dem Gebiet des Denkens; sie ist die erste Selbstverständlichkeit. Aber diese Selbstverständlichkeit entreißt den einzelnen seiner Einsamkeit. Sie ist eine Gemeinplatz, die den ersten Wert auf allen Menschen gründet. Ich empöre mich, also sind wir.“ (A. Camus, der Mensch in der Revolte) Die Frage, was noch passieren musste, damit wir endlich Widerstand leisten, war lange hinfällig. Es passierte schon alles. Jeden Moment. Weltweit. Die Zündung dazu gab uns die Erfahrung des Zusammengekommenseins und des Zusammenbleibens. Die Erfahrung, wie gut es sich anfühlt, nicht mehr allein zu sein. Und die Hoffnung und Motivation, noch viele mehr zu werden, und sich mit schon länger bestehenden Bewegungen zu vernetzen. Es gibt unendlich viele Abgründe, sich zur Wehr zu setzen. wir wollen ein Beweg-Grund sein. Katja (Eine Empörte) 1 Das kleingedruckte wir bedeutet, dass ich nicht für die gesamte Bewegung spreche.