Eine situationsbedingte Perspektive der Psychologie des Bösen oder: Wie gute Menschen zu Übeltätern werden. Philip G. Zimbardo, Ph. D. (Department für Psychologie, Stanford University) Auszug aus: Arthur Miller (ED). The social psychology of good and evil: Understanding our capacity for kindness and cruelty. New York: Guilford. (Erscheinungsdatum 2004). Einführung Ich verfolge einen situationsbedingten Ansatz, mit dessen Hilfe sowohl antisoziales Verhalten von Einzelpersonen als auch staatlich sanktionierte Gewalt verstanden, behandelt und verhindert werden können. Meine Analyse bezieht sich auf den gegenwärtigen Wissensstand der sozialpsychologischen Forschung und Theorie. Sie steht im Kontrast zur traditionellen Sichtweise der veranlagungsbestimmten Erklärungsversuche abweichenden Verhaltens. Die Suche nach internen bestimmenden Faktoren von antisozialem Verhalten lokalisiert das Böse innerhalb der einzelnen Veranlagungen - genetischem Erbgut, Persönlichkeitsmerkmalen, pathologischen Gefahrenfaktoren und anderen organischen Variablen. Die situationsbedingte Herangehensweise verhält sich dabei zur veranlagungsbestimmten wie die Modelle des öffentlichen Gesundheitswesens der Krankheitsbekämpfung zu den medizinischen Modellen. Sie folgt darin den Grundprinzipien der Lewinischen Theorie, welche die situations- oder umstandsbedingten bestimmenden Faktoren des Verhaltens in den Vordergrund der Betrachtung rückt statt lediglich Hintergrundumstände zu erhellen. Eine Besonderheit dieses situationsbedingten Ansatzes ist die Verwendung experimenteller Labor- und Feldforschung als Demonstrationen der lebenswichtigen Phänomene, welche andere Ansätze nur mündlich analysieren. Das grundlegende darzustellende Paradigma veranschaulicht die relative Mühelosigkeit, mit der "normale", ansonsten unauffällige Männer und Frauen dazu gebracht werden, Böses zu tun, indem bestimmte situationsbedingte soziale Variablen ein- und ausgeschaltet werden. Ich beginne mit einer Reihe bewährter Daten - meinen Labor- und Felduntersuchungen über Entpersönlichung, Aggression, Vandalismus, dem Gefängnisexperiment von Stanford, der Prozessanalyse der Gehorsamstudien Milgrams sowie Banduras Analyse "der moralischen Entkopplung bzw. Loslösung". Meine Analyse bezieht das Übel der unterlassenden Hilfeleistung gegenüber Menschen in Bedrängnis ebenfalls in den Gegenstand der Betrachtung ein. Diese Forschungsergebnisse zeigen die meist unterschätzte Energie von sozialen Situationen oder Faktoren, die Einstellungen und Verhalten von Einzelpersonen, Gruppen und Nationen verändern können. Schließlich erforsche ich extreme Fälle "bösen" Verhaltens auf ihre veranlagungsbestimmten oder situationsbedingten Grundlagen hin Folterer, Angehörige von Todesschwadronen und terroristische Selbstmordattentäter. Das Böse zielt darauf ab - oder veranlasst andere, so zu handeln -, dass unschuldige Dritte gedemütigt, entmenschlicht, geschädigt, zerstört oder getötet werden. Diese verhaltensorientierte Definition macht Einzelne oder Institutionen für gezielte, interessengelenkte Handlungen verantwortlich, die eine Reihe negativer Konsequenzen für andere Menschen zur Folge haben. Die Definition schließt dabei sowohl die versehentlichen oder unbeabsichtigten schädlichen Resultate von Handlungen als auch die erweiterten Formen des institutionalisierten Bösen wie Armut, Diskriminierung oder Klimazerstörung durch wirtschaftliche Ausbeutung aus. Sie umfasst andererseits die korporative Verantwortlichkeit von Menschen für Marketing und Verkauf von Produkten mit bekannten krankheitsverursachenden und todbringenden Eigenschaften, wie etwa Zigarettenhersteller oder Verkäufer anderer Drogen. Dabei geht sie auch - wie die Erforschung interpersonaler Gewalt zeigt - über die Frage nach dem/den Erstverursacher/n der Aggression hinaus, um die Verantwortlichen in der höheren Autorisierungsinstanzen einzubeziehen, deren Aufträge oder Pläne von untergeordneten Beamten ausgeführt werden. Dies gilt für militärische Befehlshaber und nationale Verführer wie Hitler, Stalin, Mao, Pol Pot, Idi Amin und andere Tyrannen, welche die Geschichte für ihre Schuld am Tode von Millionen Unschuldiger verantwortlich macht. Auch über die üble Rolle von Präsident Bush im aggressiven und in seinen Motiven zweifelhaften Erstschlag-Krieg gegen den Irak im März 2002, welcher der gesamten Region Tod, Verletzung, Zerstörung und anhaltendes Chaos brachte, wird die Geschichte ihr Urteil sprechen. Eine griffige volkstümliche Definition des Bösen har mein Kollegen Irving Sarnoff vorgeschlagen: „Böse ist, das Bessere zu wissen, aber das Schlechtere zu tun.“ Wir leben in einer Welt, in der sich das Böse in zwischenstaatlichen Kriegen und Bürgerkriegen, hausgemachtem wie exportierten Terrorismus, Mord, Vergewaltigung, häuslicher Gewalt, Kindmissbrauch und anderen Formen der Zerstörung manifestiert. Der gleiche menschliche Verstand, der die schönsten Kunstwerke und die außerordentlichsten Wunder der Technologie hervorbringt, ist gleichermaßen für die Perversion seiner eigenen Perfektion verantwortlich. Dieser dynamischste aller Organismen im Universum ist über die Jahrhunderte hinweg zu einer scheinbar unerschöpflichen Quelle für die Erfindung immer schlimmerer Folterkammern und Instrumente der Grausamkeiten geworden. Das Beispiel der bestialischen Maschinerie der Vergewaltigungen chinesischer Frauen durch japanische Soldaten in Nanking (siehe Iris Chang, 1997) zeigt dies genauso wie die neue Demonstration „des kreativen Bösen“ durch einige zu Waffen umfunktionierte kommerzielle Flugzeuge bei der Zerstörung des World Trade Centers. Wir hören nicht auf, nach dem „Warum“ zu fragen. Wie in aller Welt konnte so etwas passierten? Wie kann das Unvorstellbare so schnell vorstellbar werden? Die gleichen Fragen haben schon Generationen vor uns gestellt. Ich wünsche, ich hätte sichere Antworten auf diese profunden Fragen, aber kann mich ihnen hier nur in einem sehr begrenztem Rahmen widmen. Mein Interesse besteht darin, zu untersuchen, wie gute und ansonsten unauffällige Menschen zum Tun des Bösen rekrutiert und verführt werden. Im Gegensatz zur traditionellen Herangehensweise, "böse Menschen" zu brandmarken, um das Böse in unserer Mitte zu erklären, konzentriere ich mich auf den Versuch der Beschreibung einiger zentralen Bedingungen, welche die Verwandlung von ansonsten unauffälligen Menschen in Übeltäter mitbestimmen. Die Lokalisierung des Bösen in bestimmten Menschen: Der Hang zum Dispositionalen "Wenn Gott allmächtig, allwissend, aber auch allgütig ist: wer ist dann für das Böse in der Welt verantwortlich?“ Diese Vexierfrage entstand auf den intellektuellen Schafotten der Inquisition im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. Wie das Malleus Maleficarum (Handbuch der deutschen Inquisition der römisch-katholischen Kirche) feststellt, ist der Teufel die Quelle alles Übels. Jedoch argumentierten die Theologen der Inquisitionszeit, dass der Teufel das Böse nur durch Vermittler, niedere Dämonen und selbstverständlich durch menschliche Hexen ausübe. So konzentrierte sich die Jagd nach dem Bösen auf jene marginalisierten Leute, die eben anders aussahen oder handelten als die Normalbevölkerung. Diese erwiesen sich unter der rigorosen „Prüfung der Gewissen“ in den Folterkammern meistens schnell als Hexen und wurden zum Tode verurteilt. In der Regel waren die Opfer Frauen - eine leichte Beute für die Inquisitoren, da sie keine juristischen Möglichkeiten zur Verteidigung hatten, insbesondere dann, wenn sie über begehrswerte konfiszierbare Ressourcen verfügten. Eine genaue Analyse dieses Vermächtnisses der institutionalisierten Gewalttätigkeit gegen Frauen legt die Historikerin Anne Barstow (1994) in ihrem Buch „Witchcraze“ vor. Paradoxerweise brachten die frühe Bemühungen der Inquisition, die Ursprünge des Bösen zu verstehen und dagegen Interventionsmöglichkeiten zu entwickeln, wiederum neue Formen des Bösen hervor, die alle Facetten meiner oben genannten Definition erfüllten. Aber sie illustrieren damit auch das Problem, den komplizierten Prozess der Erklärung und Bekämpfung des Bösen auf die Brandmarkung von angeblich schuldigen Einzelpersonen zu reduzieren, die für ihre (vermeintlich) schlechten Taten bezahlen müssen. Wie die traditionelle Psychiatrie lokalisiert auch die psychodynamische Theorie die Wurzeln individueller Gewalt und anti-sozialen Verhaltens in der Psyche gestörter Personen, indem sie die Gewalt bis zu den frühen Wurzeln ungelöster infantiler Konflikte zurückverfolgt. Wie bei der genetischen Sichtweise der Pathologie führen solche psychologischen Analyseverfahren das abweichende, von der Gesellschaft als pathologisch angesehene Verhalten auf pathologische Ursprünge zurück: auf defekte Gene, "schlechten Samen“, oder krankhafte Persönlichkeitsstrukturen. Die gleichen Resultate können jedoch von sehr unterschiedlichen Leuten erzeugt werden, die zunächst keine Hinweise auf schlechte Veranlagungen geben. Meine Kollegen und ich (Schutze, Zimbardo u. Berthoff, 1973) interviewten und prüften neunzehn Insassen verschiedener kalifornischer Gefängnisse, die alle vor kurzem des Totschlags überführt worden waren. Die Hälfte der Mörder hatte bereits eine lange gewalttätige Lebensgeschichte hinter sich. Diese Männer zeigten gewaltige Defizite bezüglich ihrer Impulskontrolle (auf dem MMPI). Im Blick auf in ihre sexuelle Identität waren die Mörder entschieden machohaft und extrovertiert. Die anderen zehn Mörder zeigten dagegen völlig unterschiedliche Profile. Sie hatten vor dem aktuellen Totschlag nie eine kriminelle Handlung begangen - ihre Morde waren völlig unvoraussehbar und standen in großem Gegensatz zu ihrer ansonsten zurückhaltenden Art und freundlichen Disposition. Ihr Problem war eine übermäßige Impulskontrolle, die den Ausdruck aller möglichen Gefühle hemmte. Ihre sexuelle Identität war weitgehend feminin oder androgyn, und die Mehrheit von ihnen war eher schüchtern. Diese "schüchternen impulsiven Mörder" aber töteten mit der gleichen Vehemenz wie die gewohnheitsmäßigen Verbrecher, und ihre Opfer starben an den gleichen starken Gewalteinwirkungen. Es wäre jedoch unmöglich gewesen, dieses Resultat aus der zuvor gewonnenen Kenntnis ihrer Persönlichkeiten abzuleiten, da sie sich so deutlich von den gewohnheitsmäßigen Verbrechern unterschieden. Im Jahr 1950 wurde von einem Psychologenteam um Adorno, Frenkel-Brunswick, Levinson und Sanford das so genannte „autoritäre Persönlichkeitssyndrom“ konstatiert, um das Phänomen des Holocausts und der weit verbreiteten Faszination des Nationalsozialismus und der Person Hitlers zu erklären. Allerdings verführte eine veranlagungsbestimmte Voreingenommenheit die Autoren dazu, ihre Untersuchungen nur auf bestimmte Persönlichkeitsfaktoren zu richten, die gewöhnlich faschistoider Mentalität zugrunde liegen. Sie übersahen jedoch dabei jedoch die vielen Prozesse, die auf den politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen und historischen Ebenen funktionieren müssen, um so viele Millionen Menschen zu einem derartigen Hassverhalten gegenüber Juden einerseits und zur abgrundtiefen Bewunderung der offenbaren Stärke ihres Diktators andererseits zu bewegen. Die Tendenz, beobachtetes Verhalten veranlagungsbestimmt zu erklären, aber gleichzeitig die Auswirkung der situationsbedingten Variablen zu ignorieren oder minimieren, sind von meinem Kollegen Lee Ross als „grundlegende Zuerkennungsstörung“ (englisch: Fundamental Attribution Error) benannt worden (1977). Gerade wenn wir multi-kausale und mehrdeutige Szenarios verstehen wollen, neigen wir in der Mehrzahl dazu, dispositionale Analysen zu bevorzugen und situationsbedingte Erklärungen zurückzustellen. Wir erliegen diesem Effekt, weil so vieles in unserer Ausbildung, unserem sozialen und professionellen Training, aber auch in unseren gesellschaftlichen Institutionen auf individuelle, dispositionale Bestimmungen ausgerichtet ist. Veranlagungsbestimmte Analysen sind ein zentrales Merkmal von Kulturen, die auf individualistischen anstatt kollektiven Werten basieren (siehe Triandis, 1994). So sind es Einzelpersonen, die Lob und Ruhm und Reichtum für ihre Errungenschaften erhalten und so für ihre Einzigartigkeit geehrt werden, aber es sind auch Einzelpersonen, die für die Krankheiten der Gesellschaft verantwortlich gemacht bzw. geächtet werden. Unsere rechtlichen, medizinischen, pädagogischen und religiösen Systeme basieren alle auf dem Grundprinzip des Individualismus. Veranlagungsbestimmte Analysen von antisozialem oder non-konformen Verhalten umfassen immer Strategien zur Verhaltensänderung, die abweichende Einzelpersonen durch spezielle Weiterbildung oder Therapie besser an ihre Mitwelt anpassen wollen oder sie von der Gesellschaft durch Gefangenschaft, Exil oder Hinrichtung ausschließen. Die Lokalisierung des Übels innerhalb der ausgewählten Einzelpersonen oder Gruppen hat jedoch immer die fragwürdige Konsequenz, die Gesellschaft als ganze, sowie gesellschaftliche Strukturen und politische Entscheidungsgremien im Besonderen von ihrer Mitverantwortung für die grundlegenden Umstände zu entlasten, die Armut, Marginalisierung bestimmter Randgruppen, Rassismus, Sexismus und Elitismus verursachen. Was sind andere Eigenschaften dieser veranlagungsbestimmten Definition des Bösen? Ich denke, dass eins ihrer hervorstechenden Merkmale die Einteilung der Welt in zwei Kategorien impliziert –in eine Welt der guten Menschen (natürlich Bürger der USA), und in eine Welt der schlechten Menschen, die Welt der „Anderen“. Diese klar bestimmte Dichotomie wird durch eine Trennlinie von Gut und Böse definiert. Wir nehmen dann Zuflucht zu der Illusion, dass diese Linie undurchlässig sei und damit das Überwechseln in jede Richtung begrenze. So können wir uns nie vorstellen, wie die Anderen zu sein, so undenkbar schmutzige Taten wie sie zu vollbringen. Daher verwehren wir ihnen auch den Zutritt zu uns, weil sie grundsätzlich so völlig und unumkehrbar anders sind als wir. Das bedeutet auch, dass wir kein Interesse haben, verstehen zu wollen, was sie zu so abweichendem Verhalten veranlasst hat. Ich möchte vielmehr an die geopolitische Analyse des russischen Schriftstellers Alexander Solscheniz yn erinnern, eines Opfers der Verfolgung durch den Sowjetischen KGB, der davon sprach, dass die Linie zwischen Gut und Böse mitten durch jedes menschliche Herzens geht. Über die Transformation guter Menschen in Agenten der Zerstörung Dass meine Grundeinstellung zugegebenermaßen mehr in Richtung der situationsbedingten als der veranlagungsbestimmten Verhaltensanalyse geht, hängt sicherlich mit meinem Training in experimenteller Sozialpsychologie, aber auch mit meiner Herkunft zusammen: ich bin in der Armut der Süd-Bronx, einem New Yorker Ghetto, aufgewachsen. Meines Erachtens sind veranlagungsbestimmte Orientierung und Reichtum wahrscheinlich enger aufeinander zu beziehen, als dies bisher getan wird, da die Reichen sich ihren Erfolg individuell als Verdienst anrechnen, während situationsorientierte Analytiker sich eher aus den unteren Einkommensschichten rekrutieren, die die Gründe für die offensichtlich dysfunktionalen Lebensumstände der Menschen in ihrer Umgebung auf externe Umstände und Faktoren zurückführen. Aber hier möchte ich mich hauptsächlich dem Verstehen der psychologischen und sozialen Dynamiken und damit der Fragestellung widmen, wann ansonsten unauffällige "gute" Menschen beginnen, anti-sozial zu handeln und sich extrem zerstörerisch gegenüber dem Eigentum, Leib und Leben anderer Menschen zu verhalten. Ich habe es selbst miterlebt, wie meine Freunde aus ersten Kindertagen solche Verwandlungen durchliefen. Ich habe mich gewundert, wie sie sich so verändern konnten, und mich dann gefragt, ob dies auch mir hätte passieren können. In ähnlicher Weise war als Kind fasziniert von Roberts Louis Stevensons berühmter Geschichte der Verwandlung des guten Dr. Jekyll in den mörderischen Herrn Hyde. Was war in seiner chemischen Formel, das so eine sofortige und tiefgreifende Auswirkung haben konnte? Selbst als Kind fragte ich mich schon, ob es noch andere Möglichkeiten gäbe, solche Änderungen zu verursachen, da meine Freunde eben keinen Zugang zu Dr. Jekylls Elixier des Bösen hatten, bevor sie den Leute solche schlimme Dinge antaten. Erst später sollte ich entdecken, dass die Sozialpsychologie Rezepte für solche Umwandlungen besitzt. Unsere Aufgabe ist es, besser zu verstehen, wie praktisch jeder Mensch dazu gebracht werden könnte, so zu handeln, dass andere Menschen ihrer Würde, Menschlichkeit und ihres Leben beraubt werden. Die Dispositionsanalyse veranlasst diejenigen, die noch nicht Falsches getan haben, selbstgerecht zu erklären: „Mir könnte das nicht passieren; ich bin völlig anders gestrickt als die Menschen, die so etwas Böses tun können!“ Indem wir diese „Wir-gegenSie“ Unterscheidung festschreiben, leben wir in einer Art fälschlicher moralischer Überlegenheit. Sie entspringt meines Erachtens der Ignoranz und der Nicht-Wahrnehmung situationsbedingter und struktureller Faktoren, die andere - genau wie uns selbst – verführen können, eben das Übel anzurichten, dessen wir uns unfähig zu tun dünken. Es ist falscher Stolz, wenn wir glauben, dass wir „dazu nicht imstande“ seien. Der menschliche Verstand ist erstaunlich: er kann sich praktisch jedem bekannten Wandel der Verhältnisse anpassen, um zu überleben, zu erschaffen und wenn nötig auch zu zerstören. Wir werden nicht mit einer Neigung zum Gutem oder Bösen geboren, wohl aber mit geistigen Schablonen oder Mustern, entweder wunderbarer oder schrecklicher zu handeln als je Menschen es vor uns getan haben. Keine/r von uns ist eine Insel. Niemand von uns ist unverwundbar. Nur wenn wir dies anerkennen, wird Demut den Platz unbegründeten Stolzes einnehmen. Wenn wir Mechanismen zur Bekämpfung solcher Transformationen entwickeln wollen, scheint es mir wesentlich, das Ausmaß der Verführbarkeit ganz normaler Leute zum Tun des Bösen richtig einschätzen zu lernen. Wir müssen uns darauf konzentrieren, die Mechanismen der kausalen Faktoren aufzudecken, die so viele Menschen auf der ganzen Welt zum Tun des Bösen veranlassen. (Vergleichen Sie dazu auch den weiten Bereich von Konzepten und Ideen, die von den sozialpsychologischen Kollegen dargestellt worden sind: Baumeister, 1997; Darley, 1992; Staub, 1989; Waller, 2002.) Die Milgram Experimente zum Gehorsam Die offensichtlichste Kraft der experimentellen Demonstration blinden Gehorsams gegenüber einer Autorität durch Stanley Milgram (1974) liegt in der unerwartet hohen Rate der Befehlsbefolgung: zwei Drittel der Beteiligten gingen buchstäblich „bis zum Letzten“, indem sie ihren Opfern Stromstöße von offensichtlich tödlicher Dosis verabreichten. Milgrams Forschungsergebnisse entsetzten in der Tat die meisten Personen, die darüber lasen oder die Filmversion seiner Studie sahen, weil sie aufdeckten, dass eine Vielzahl gewöhnlicher amerikanischer Bürger freiwillig dazu gebracht werden könnte, „einen netten Fremden zu exekutieren.“ Aber der bedeutendere Wert seiner Forschung liegt darin, was Milgram nach Abschluss dieser klassischen Erststudie mit Hochschulstudenten von Yale tat. Die meisten Menschen wissen nicht, dass Milgram insgesamt achtzehn experimentelle Variationen mit mehr als tausend Versuchspersonen durchgeführt hat, die eine große Bandbreite der Herkunft, des Alters, beider Geschlechter und aller Bildungsniveaus aufwiesen. In jeder dieser Studien veränderte er eine psychologische Sozialvariable und beobachtet ihre Auswirkung auf den Umfang des Gehorsams gegenüber dem Druck, den eine illegitime Autorität auf die Testpersonen ausübte, um das Experiment fortzusetzen. Er war in der Lage, zu zeigen, dass die Befolgungsrate der Testpersonen bis auf neunzig Prozent ansteigen konnte, welche das Maximum von vierhundertfünfzig (!) Volt an das unglückselige Opfer austeilte, aber dass die gleiche Befolgungsrate durch das Vorstellen von nur einer Variable in dem Befolgungsrezept auch auf weniger als zehn Prozent Gesamtgehorsam verringert werden konnte. Die Ergebnisse des Experiments zeigen, dass Gehorsam nach vorheriger Beobachtung anderer Testpersonen maximiert wurde, die mit fraglosem Gehorsam reagiert hatten. Drastisch verringerte sich die Gehorsamsrate jedoch, wenn die Testpersonen sich gegen den Testleiter auflehnten oder wenn das Opfer wie ein Masochist agierte. An diesem letzten Resultat interessieren mich besonders die Daten, die Milgram bezüglich der Vorhersagen des Resultates durch vierzig Psychiater zur Verfügung gestellt hat, denen die grundlegende Beschreibung des klassischen Experimentes zuvor gegeben worden war. Ihre durchschnittliche prozentuale Voreinschätzung der Testpersonen, die die volle „Strafe“ von vierhundertfünfzig Volt austeilen würden, betrug weniger als ein Prozent. Sie glaubten, dass nur Sadisten ein solch brutales Verhalten an den Tag legen würden. Allein an dieser Einschätzung der Psychiater wird die Ungeheuerlichkeit der Forschungsergebnisse Milgrams deutlich. Selbst diese Experten der Untersuchung menschlichen Verhaltens lagen in ihren Voraussagen total falsch, weil sie die situationsbezogenen bestimmenden Faktoren des Verhaltens in der Verfahrensbeschreibung des Experimentes ignorierten und sich aufgrund ihres professionellen Trainings zu sehr auf die veranlagungsbestimmte Perspektive verließen. Ihr Irrtum ist ein klassischer Fall von grundlegender Zuerkennungsstörung (FAE). Es war Milgrams Absicht, mit dem Experiment ein Paradigma zur Verfügung zu stellen, das es ihm ermöglichte, "Böses" quantitativ durch die Differenzierung der Tasten zu bestimmen, die auf einem Stomschlaggenerator betätigt wurden, um (angebliche) Stromstöße an einen freundlichen Testteilnehmer weiterzugeben, der die Rolle der Schülers oder des Anfängers spielte, während die andere Testperson die Lehrerrolle einnahm. Lassen Sie uns nun einige der Verfahren in diesem Forschungsparadigma umreißen, das viele gewöhnliche Bürger zur Mittäterschaft in diesem bösen Spiel verführte. Ich möchte damit Ähnlichkeiten zu den Befolgungsstrategien aufzeigen, die von den Werbungsfachleuten in der real existierenden Welt verwendet werden, wie Verkäufern, Sektenwerbern und unseren politischen Führungskadern (sehen Sie Cialdini, 2001). Zehn Prinzipien zur Verhaltenskonditionierung Unter Milgrams grundsätzlichen Prinzipien der Verhaltenskonditionierung zum Tun des Bösen sind die folgenden zehn: 1. Die Präsentation einer akzeptierbaren Rechtfertigung des Strafverhalten. Im vorliegenden Experiment ist es der Wunsch, Menschen durch vernünftigen Einsatz von Bestrafungsstrategien zu helfen, ihr Gedächtnis verbessern. Allgemein heißt diese Form der Rechtfertigung in der experimentellen Forschung „Cover Story", weil sie eine Scheinrechtfertigung für ein Verfahren aufstellt, das in sich selbst nicht sinnvoll oder hilfreich ist. Ihr Äquivalent in der real existierenden Welt ist beispielsweise die ideologische Rede von der „Staatssicherheit“, einer netten großen Lüge für das Einleiten einer Reihe von schlechten, illegalen, unmoralischen politischen Entscheidungen. 2. Das Unterschreiben einer Vereinbarung, die entsprechendes Strafverhalten vorsieht. 3. Die Delegierung von Rollen/Funktionen (Lehrer, Schüler), die eine grundsätzlich wichtige (positive) gesellschaftliche Wertung tragen. 4. Die Aufstellung eines Regelkodex, der grundsätzlich logisch erscheint, aber subjektiv zur willenlosen Ausführung verleitet. „Die Weigerung zu reagieren, muss als Fehler/ Versagen betrachtet werden“; so lautete eine von Milgrams Regeln, Auslassungen genauso mit Stromstößen zu bestrafen wie falsche Antworten. Aber was geschieht dann, wenn der Schüler über Herzbeschwerden klagt, das Experiment abbrechen möchte und später laut schreit, gefolgt von einem dumpfen Fallgeräusch und einer Stille? Die Unfähigkeit des Schülers, auf den Lehrer wegen des Eintritts des Todes oder der Bewusstlosigkeit zu reagieren, muss zur fortwährenden Bestrafung führen, da Auslassungen als Fehler betrachtet werden. Der anfangs scheinbar logische Regelkodex ist längst ad absurdum geführt: Wie sollte ein Lehrer einem Schüler helfen, sein Gedächtnis zu verbessern, wenn letzterer absolut außer Gefecht gesetzt oder sogar schon tot ist? Viel zu viele Teilnehmer hörten unter zunehmendem Stress auf, sich solche ursprünglichen, offensichtlichen und kritischen Fragen zu stellen. 5. Die euphemistische Beschreibung des Strafverhaltens: vom „Verletzen der Opfer“ zum „Schülern helfen, sich durch Bestrafung zu ändern“. 6. Das Erstellen einer Hierarchie der Weitergabe von Verantwortlichkeiten: „Ich bin nur ausführendes Organ; andere sind verantwortlich“. 7. Tabubruch und Grenzüberschreitung in scheinbar „harmlosen“ kleinen Schritten (fünfzehn Volt). 8. Graduelle, stufenweise und stetige Erhöhung des Aggressionslevels (dreißig Volt), allerdings ohne Kommentar und Möglichkeit der Reflexion. 9. Die Veränderung der gerechtfertigten Einflussnahme hin zur ungerechtigfertigten Einflussnahme, von rationaler Autorität zur irrationalen Autorität. 10. Das Erschweren der Ausstiegsbedingungen; normale verbale Weigerungen werden nicht akzeptiert oder überhört. Solche Verfahren werden in vielfältigen Situationen der Verhaltenskonditionierung verwendet, in denen Autoritätspersonen wünschen, dass andere ihr Wünsche ausführen, aber gleichzeitig wissen, dass nur wenige sich darauf einlassen würden, bis zum Äußersten zu gehen, ohne erst richtig psychologisch darauf vorbereitet zu sein. Ich lade die Leser ein, gedanklich die genannten Befolgungsgrundregeln an den Taktiken durchzuspielen, die von der Busch-Regierung verwendet hat, um Amerikaner zum Kriegseintritt gegen den Irak zu veranlassen. Der Herr der Fliegen und die Psychologie der Entpersönlichung William Goldings vortrefflicher und mit dem Nobel-Preis für Literatur ausgezeichneter Roman von der Umwandlung guter britischer Chorjungen in mörderische Tiere (1962) richtet das Augenmerk auf die Veränderung des körperlichen Aussehens, die zu einer Änderung des Geisteszustandes und des Verhaltens führt. Das Bemalen der eigenen Person, die Änderung des Äußeren macht es einigen Jungen möglich, dem zuvor zurückgehaltenen Trieb nachzugeben, ein Schwein zu töten. Sobald dieser zuvor fremde Akt des Tötens eines anderen Geschöpfs enttabuisiert ist, können die Jungen sowohl Tiere und auch Menschen zunehmend lustvoll töten. Ist es psychologisch zutreffend, dass äußeres Aussehen sich auf interne Verhaltensprozesse auswirken kann? Bei meiner Antwortsuche auf diese Frage habe ich mich in einer Reihe von Experimenten und Felduntersuchungen mit der Psychologie von Entpersönlichung/Deindividuation (Zimbardo, 1970) auseinandergesetzt. Das grundlegende Verfahren involvierte dabei junge Frauen, die eine Reihe schmerzlicher elektrischer Schläge an je eine von zwei anderen jungen Frauen austeilten, die sie durch einen Einwegspiegel hindurch sehen und hören konnten. Die Hälfte von ihnen befand sich in einem Zustand der Anonymität oder Deindividuation, die andere Hälfte war in einem Zustand der Unverwechselbarkeit oder Individuation. Die vier Studentinnen der Deindividuationsgruppe hatten ihr Aussehen verborgen und trugen Nummern anstelle ihrer Namen als Kennzeichen. Die Testpersonen der Vergleichsgruppe wurden beim Namen genannt. Ihnen wurde das Gefühl gegeben, einzigartig zu sein, obgleich auch sie eine Vierergruppe bildeten und gebeten wurden, die gleichen Strafen an jeder der zwei „Opfer“ zu vollziehen – all dies unter dem Vorwand einer angemessenen „Cover Story“, einer „großen Lüge“, die nie hinterfragt wurde. Die Resultate waren eindeutig: Die Frauen im entpersönlichten Zustand verabreichten zweimal so viele Stromschläge an die beiden Opfer wie die Frauen in der Individuationsgruppe. Darüber hinaus verabreichten sie beiden Opfer - der Person, die ihnen vorher als unproblematisch und angenehm vorgestellt worden war, wie auch der zunächst als unangenehm vorgestellten Person - im Verlauf der zwanzig Versuche zunehmend intensivere Stromschläge, während die Individuationsgruppe im Verlauf des Experiments das als angenehm bezeichnete Opfer weniger bestrafte als das unangenehme. Aus diesem Experiment und seinen verschiedenen Reproduktionen und Veränderungen können wichtige Schlussfolgerungen gezogen werden, etwa für militärisches Personal. Alles, was Menschen entpersönlicht, was ihnen das Gefühl gibt, niemand wisse, wer sie sind, erhöht das Potential, Gewalt auszuüben, wenn die Situation es erlaubt. Halloween-Verkleidungen und Aggression in Kindern. Wir wissen, dass Leute sich zu besonders fröhlichen Anlässen verkleiden, wie z.B. bei den Karnevalsritualen in vielen katholischen Ländern. In Amerika setzen sich Kinder zu Halloween Masken auf und ziehen besondere Kostüme an. Scott Fraser (1974) arrangierte einmal eine spezielle, experimentelle Halloween-Party für Grundschulkinder, die von ihrer Lehrerin veranstaltet wurde. Es wurden viele Spiele durchgeführt, und für jedes gewonnene Spiel wurden Chips erworben, die am Ende der Party gegen Geschenke ausgetauscht werden konnten. Die Hälfte der Spiele war nicht wettbewerbsorientiert; die andere Hälfte aber involvierte aggressives Verhalten bzw. körperliche Konfrontationen zwischen zwei Kindern, um zu gewinnen bzw. das Ziel zu erreichen. Das experimentelle Design dieser Spiele war das so genannte A-B-A-Format: keine Kostüme zuerst, während die Spiele gespielt wurden; dann kamen an die Kostüme und wurden während der folgenden Spiele getragen; schließlich wurden die Kostüme entfernt und die Spiele gingen in einer dritten Phase weiter. Jede Phase dauerte ungefähr eine Stunde lang. Die Daten sind ein beredtes Zeugnis für die Macht der Anonymität. Die Aggression erhöhte sich nämlich erheblich, sobald die Kostüme getragen wurden, ja, sie verdoppelte sich sogar gegenüber der niedrigen Erstrate. Aber als die Kostüme entfernt wurden, fiel der Aggressionslevel weit unter die niedrige Erstrate. Genauso interessant war das zweite Resultat, dass nämlich diese Aggression negative Konsequenzen für die Gewinnung von Chips hatte: es kostete Geld, aggressiv und konkurrenzfähig zu sein, und dabei machte nicht aus, ob die Kinder beim Erreichen der Chips kostümiert und anonym waren. Die geringste Zahl der Chips wurde während der zweiten, der Anonymitätsphase, gewonnen, in der der Aggressionslevel am höchsten war. Die kulturelle Tradition der Kriegsbemalung Lassen wir das Labor und die Kinderparties beiseite, um in die Welt zurückzukehren, in der die Fragen von Anonymität und Gewalt von lebenswichtiger Bedeutung sein können. Einige Gesellschaften ziehen in den Krieg, ohne das Äußere ihrer Krieger zu verändern, während andere immer rituelle Umwandlungen des Aussehens vollziehen, indem sie die Krieger bemalen oder verkleiden (wie im Herrn der Fliegen). Macht diese Änderung im Aussehen einen Unterschied in der Behandlung von Feinden? Der Harvardanthropologe John Watson (1974) warf diese Frage auf, nachdem er die Forschungsergebnisse meines Nebraska- Chapter-Symposiums gelesen hatte. Er benutze die „Human Area Akten“ als Datenquelle zum Sammeln von zwei Arten von Daten a) bezüglich der Gesellschaften, die das Aussehen der Krieger vor Kriegsbeginn änderten bzw. nicht änderten und b) bezüglich dem Umfang der Fälle, in dem die jeweilige Gruppe ihre Opfer tötete, quälte oder verstümmelte. Die Resultate bestätigen deutlich die zuvor geäußerte Vermutung, dass Anonymität gewalttätiges Verhalten fördert - wenn die Erlaubnis erteilt wird, sich in einer aggressiven Weise zu benehmen, die gewöhnlich tabuisiert ist. Insgesamt lagen zwei Datensätze von dreiundzwanzig Gesellschaften vor. Danach war die Mehrheit (12 von 15, 80 %) der Gesellschaften, in denen Krieger ihr Aussehen änderten, auch diejenigen, deren Handlungen am destruktivsten erfahren wurden, während dasselbe von nur für eine der acht Gesellschaften zutraf, in denen die Krieger ihr Aussehen vor der Schlacht nicht änderten. So scheint es kultureller Überlieferungsweisheit zu entsprechen, dass alte Männer normale friedliche junge Männer leichter dazu bringen können, andere junge Männer wie sie selbst in einem Krieg zu schädigen und zu töten, wenn sie dazu zuerst ihr Aussehen ändern, indem die ihre übliche externe Fassade durch das Anziehen von Uniformen, das Aufsetzen von Masken oder das Bemalen ihrer Gesichter ändern. Mit dieser Anonymität verschwindet gewissermaßen auch ihr übliches Mitleids und Interesse für andere. Das theoretische Modell des Entpersonalisierung und Banduras Modell der moralischen Entkopplung/Ablösung Die psychologischen Mechanismen, die bei der Transformation von guten Menschen in Übeltäter ablaufen, werden in zwei theoretischen Modellen dargestellt. Das erste wurde 1970 von mir ausgearbeitet und dann durch den Einfluss weiterer Varianten meiner Deindividuationstheorie, besonders durch Diener, geändert (1980). Das zweite Modell ist Banduras Modell der moralischen Entkopplung oder Ablösung (1988), welches die Bedingungen spezifiziert, unter denen Menschen dazu gebracht werden können, unmoralisch zu handeln, selbst diejenigen, die sich normalerweise einem hohen Sittlichkeitsstandard verpflichtet fühlen. Banduras Modell zeigt, wie es möglich ist, sich moralisch von zerstörendem Handeln zu entkoppeln oder zu lösen, indem man einen Reihe kognitiver Mechanismen verwendet, die folgende Resultate verursachen: 1. Änderung bisher gehegter Vorstellungen von verabscheuungswürdigen Verhalten (durch Gebrauch moralischer Rechtfertigungen, euphemistischer Beschreibungen, Minimierung durch Vergleich mit schwereren Vergehen), 2. Änderung der Wahrnehmung der schädlichen Effekte des Handelns (durch Herunterspielen, Ignorieren oder Missdeutung der Konsequenzen), 3. Änderung der Wahrnehmung der eigenen Verantwortlichkeit für die Verbindung zwischen verabscheuungswürdigem Handeln und dessen schädlichen Folgen (Abwälzen oder Vernebelung von Verantwortlichkeit) und 4. Änderung der persönlichen Einstellung gegenüber dem Opfer (indem er oder sie entmenschlicht wird und ihm/ihr die Schuld für das Resultat zugeschrieben wird). Entmenschlichung in Aktion: Die „Tiere“ sind eigentlich andere Hochschulstudenten! Ein bemerkenswertes, von Bandura, Underwood und Fromson 1975 durchgeführtes Experiment deckt auf, wie leicht Studenten dazu gebracht werden können, die entmenschlichende Etikettierung anderer zu akzeptieren und auf der Basis stereotyper Bezeichnung ihnen gegenüber aggressiv zu handeln. So wurde einer Gruppe von vier Testpersonen (entsprechend den Regeln einer angemessenen „Cover Story“) gesagt, dass Kursteilnehmer von einer anderen Hochschule anwesend seien, um eine Studie zu beginnen, in der ihnen elektrische Schläge der unterschiedlichen Intensität verabreicht würden. In einem der drei zufällig zugewiesenen Versuche hörten die Kursteilnehmer den Assistenten zum Leiter des Experiments sagen, die anderen Studenten schienen „nett“ zu sein." In einer zweiten Versuchsanordnung hörten sie, dass die anderen Kursteilnehmer wie „Tiere“ seien, während für eine dritte Gruppe fremder Studenten keine Etikettierung verwendet wurde. Die abhängige Variable der Stomstoßstärke offenbart sehr deutlich diese situationsbedingte Manipulation. Die Versuchspersonen gaben die meisten Stromstöße an diejenigen ab, die in der entmenschlichenden Weise als „Tiere“ bezeichnet worden waren, und die Intensität der Stromschläge erhöhte sich linear über die gesamten 10 Versuche. Diejenigen, die als "nett" eingestuft worden waren, erhielten die wenigsten Stromschläge, während die nicht-etikettierte Gruppe genau in der Mitte zwischen diesen zwei Werten lag. So genügte ein einzelnes Wort – „Tiere“ - , um durchschnittlich intelligente Studenten so zu beeinflussen, andere zu behandeln, wie es dem Etikett entsprach; als ob sie sie wüssten, dass die anderen diese Strafe verdienten hätten. Auf der Plusseite führte diese willkürliche Etikettierung dazu, dass andere Testteilnehmer mit größerem Respekt behandelt wurden, wenn jemand in autorisierter Position sie als „nett“ bezeichnete. Interessanterweise zeigt die nähere Prüfung der graphisch dargestellten Daten auch, dass es beim ersten Versuch keinen Unterschied im Stromschlagniveau gab, dass aber bei jeder folgenden Gelegenheit die Stromschlagwerte stark auseinander drifteten. Diejenigen, die die so genannten "Tiere" mit Stromstößen bestraften, taten dies im Laufe der Zeit mehr und mehr; ein Resultat, das mit dem entwickelnden Stromschlagniveau der weiblichen Kursteilnehmer in meiner früheren Studie vergleichbar ist. Dieser Anstieg in aggressivem dauerhaften Verhalten zeigt den Selbstverstärkereffekt der aggressiven oder gewalttätigen Reaktion - es wurde in zunehmendem Maße als angenehm oder luststeigernd empfunden. Was mein Modell diesem Bedingungs-Mix hinzufügt, ist die Betonung der Rolle der kognitiven Kontrollmechanismen, die üblicherweise das Verhalten zu sozial wünschenswertem und persönlich annehmbarem Verhalten machen. Dies kann erreicht werden, indem man diese Steuerprozessen aussetzt, sie blockiert oder neu orientiert. Geschieht dies, so werden Gewissenhaftigkeit, Selbstreflexion, persönliches Verantwortungsbewusstsein, Pflichtgefühl, Verbindlichkeit, ethische Bedenken und Kosten/Nutzen-Kalkulation der gegebenen Handlung außer Kraft gesetzt. Die zwei allgemeinen Strategien zum Ereichen dieses Zieles sind: a) Vermeidung aller Reize oder Stichworte, die an die soziale Verantwortung des Akteurs appellieren (niemand weiß, wer ich bin, noch interessiert sich jemand dafür) und b) die Reduzierung der Impulse zur Selbstauswertung durch den Akteur. Ersteres verhindert ein Interesse an sozialer Wertung durch andere, an sozialer Zustimmung. Dies funktioniert, wenn man in einem Klima arbeitet, das Anonymität vermittelt und persönliche Verantwortlichkeit in der Situation diffus hält. Die zweite Strategie stoppt die kontinuierliche Selbstüberwachung, indem sie Taktiken einsetzt, die den Bewusstseinszustand des Akteurs ändern (etwa durch Drogen, durch das Wecken starker Gefühle, die hyperintensive Handlungen hervorrufen, und durch das Hineinversetzen in einen erweiterten Gegenwartszustand, in dem es kein Interesse für Letztes oder Zukunft gibt), und durch die Projektion von Verantwortlichkeit auf andere. Meine Forschung und die anderer Sozialpsychologen auf dem Gebiet der Entpersönlichung (sehen Sie Prentice-Dunn u. Rogers, 1983), unterscheidet sich von der Versuchsanordnung in den Studien Milgrams dahingehend, dass es hier anders als dort keine Autoritätspersonen gibt, die die Testpersonen zum Gehorsam drängen. Eher ist die Ausgangssituation so angelegt, dass die Testpersonen sich in Übereinstimmung zu den Möglichkeiten oder Wegen verhalten, die ihnen zugänglich gemacht werden, ohne die Bedeutung oder die Konsequenzen jener Handlungen zu durchdenken. Ihre Handlungen sind nicht kognitiv bestimmt, wie sie es für gewöhnlich sind, sondern werden durch die Handlungen anderer in der Nähe, durch ihre stark geweckten emotionalen Zustände oder durch situationsabhängig vorhandene Reize bestimmt, wie etwa das Vorhandensein von Waffen. Eine anonyme Umwelt begünstigt Vandalismus Bestimmte Umgebungen vermitteln den dort lebenden und handelnden Menschen ein Gefühl der Anonymität. Wo das geschieht, haben die Menschen keinen Sinn und kein Gefühl für Gemeinschaft. Vandalismus und Graffiti können als Versuch eines Individuums gedeutet werden, Bedeutung in einer Gesellschaft zu gewinnen, die sie entpersönlicht. Ich habe eine einfache Feldstudie durchgeführt, um die ökologischen Unterschiede zwischen den Plätzen zu demonstrieren, in denen die Anonymität herrscht, gegenüber denen, in denen ein Gemeinschaftsgefühl die Szene bestimmt. Ich ließ benutzte, aber gute gebrauchte Autos in der Bronx, New York City und in Palo Alto, Kalifornien, stehen, nur einen Block entfernt jeweils von der Universität von New York und von der Universität von Stanford. Die Nummernschilder wurden entfernt und Kühlerhauben wurden etwas angehoben - um als ethologische "Stichwortgeber" für eine mögliche Aggression zu dienen. In der Bronx funktionierte es rasend schnell, während wir von einem günstigen Punkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite aus aufpassten und filmten. Innerhalb von zehn Minuten seit Testbeginn tauchten die ersten Vandalen auf. Ihre Aktionen verteilten sich über den Zeitraum von zwei Tagen, bis es nichts mehr von Wert gab, abzubauen und mitzunehmen; dann fingen die Vandalen an, die Überreste zu zerstören. In achtundvierzig Stunden notierten wir dreiundzwanzig verschiedene Zerstörungsversuche durch Einzelperson oder Gruppen, die entweder etwas vom verlassenen Träger nahmen oder etwas zerstörten, was noch zu zerstören war. Seltsamerweise bezog sich nur eine dieser Episoden auf Jugendliche, der Rest waren Erwachsene - viele gut angezogen und Autobesitzer, sodass sie mindestens als unterste Mittelklasse durchgehen konnten. Anonymität kann aus uns allen offene, unverschämt agierende Vandalen machen. Aber was war mit dem verlassenen Autos in Palo Alto geschehen? Unser Film deckte auf, dass über einen fünftägigen Zeitraum hinweg niemand irgendeinen Bestandteil des Autos entnahm oder zerstörte. Als wir das Auto entfernten, riefen drei Bewohner des Stadtteils die Polizei an, um mitzuteilen, dass ein verlassenes Auto gestohlen worden sei (die lokale Polizei war über unserer Feldstudie informiert). Hier existierte ein Sinn für Gemeinschaft, der Menschen dazu animierte, darauf achten, was auf ihrem Grundstück, aber auch auf dem Rasen des Nachbarn oder mit dem Eigentum Fremder geschieht, in der wechselseitigen Annahme, dass auch diese sich für sie einsetzen würden. Ich bin der Ansicht, dass alle ökologischen und gesellschaftlichen Bedingungen, die Mitglieder der Gesellschaft in dem Glauben lassen, sie seinen anonym, (niemand wisse, wer sie sind, niemand kenne ihre Individualität und folglich ihre Menschlichkeit) potentielle Mörder und Vandalen hervorbringen, die eine Gefahr für meine Person und mein Eigentum, aber auch für sich selber darstellen (Zimbardo, 1976). Die Gesichter des "Feindes:" wie Propagandabilder Männer zum Töten von Abstraktionen konditionieren Wir müssen unserem „Waffenarsenal“ noch einige funktionierende Auslöserfaktoren hinzufügen. Wir können etwas über diese Grundregeln lernen, indem wir betrachten, wie Nationen ihre jungen Männer auf tödliche Kriege vorbereiten und ihre Bürger darauf einstellen, sie beim Ausrufen eines Krieges, besonders eines Angriffskriegs, zu unterstützen. Diese schwierige Umwandlung wird durch eine spezielle Form der kognitiven Konditionierung erreicht. Bilder des "Feindes" werden von der nationale Propagandamaschinerie erschaffen, um die Soldaten und Bürger des Landes darauf vorzubereiten, die zu hassen, die in die neue Kategorie ihres Feindes passen. Diese geistige Konditionierung ist die stärkste Waffe eines Soldaten, ohne die er vermutlich seine Waffe nie abfeuern könnte, um einen anderen jungen Mann im Fadenkreuz seines Gewehrs zu töten. Eine faszinierende Beschreibung davon, wie diese "feindliche Phantasie" im Verstand der Soldaten und ihrer Familien geweckt wird, stellt das Buch und das Begleitvideo „In den Gesichtern des Feindes“ von Sam Keen (1991) dar. Archetypische Bilder von Feinden - aller, die als „gefährlich“, als "Außenseiter," als "Feinde" anzusehen sind - werden von den Propagandaabteilungen der Regierungen der meisten Nationen kreiert. Diese Bilder stellen eine allgemeine gesellschaftliche Paranoia her, die auf den Feind gerichtet wird, der den Frauen, Kindern, Häusern, Gott der Nation, aber auch den Soldaten, der Lebensart des Landes u.s.w. schweren Schaden zufügen würde. Keens Analyse dieser Propaganda deckt auf einer weltweiten Skala auf, dass es eine auserwählte Anzahl von Kategorien gibt, die von dem "homo hostilis" verwendet werden, um einen bösen Feind im Denken der guten Mitglieder des gerechten Stammes zu erfinden. Der Feind ist: Angreifer, gesichtslos, ein Vergewaltiger; gottlos, barbarisch, gierig, kriminell, ein Folterer, der Tod, ein entmenschlichtes Tier oder nur eine Abstraktion. Schließlich gibt es den Feind als ein angemessener, heroischer und im Todkampf - wie im Videospiel des gleichen Namens („Mortal Combat“) - zu zerquetschender Konkurrent. Gewöhnliche Männer ermorden gewöhnliche Männer, Frauen und Kinder - jüdische Feinde. Eine der klarsten Illustrationen meines grundlegenden Themas, wie normale Leute zu Verbrechern werden können, stammt aus der analytischen Feder des britischen Historikers Christopher Browning. Er erzählt in dem Buch „Ordinary Men – Police Battalion 101 and the Final Solution in Poland“ (1993), dass im März 1942 ungefähr achtzig Prozent aller Opfer des Holocaust noch lebten, aber nur elf Monate später ungefähr achtzig Prozent tot waren. In diesem kurzen Zeitabschnitt wurde die Endlösung Hitlers mittels einer intensiven Welle von beweglichen Massenmordkommandos in Polen durchgezogen. Dieser Genozid erforderte die Mobilisierung einer großräumigen Tötungsmaschine, während zur gleichen Zeit kerngesunde Soldaten auf der russischen Frontseite benötigt wurden. Da die meisten polnischen Juden in den kleinen Städten und nicht in den großen Städte lebten, warf Browning folgende Frage bezüglich der deutschen Obergefechtsleitung auf: „Wo fanden sie die menschlichen Arbeitskräfte für solch eine verblüffende logistische Ausführung des Massenmords während dieses entscheidenden Kriegsjahrs (P. xvi)?“. Seine Antwort fand er in den Archiven der Nazi-Kriegverbrechen, und zwar in den Einsätzen des Reservebataillons 101, einer Einheit von ungefähr fünfhundert Männern aus Hamburg. Sie waren ältere Familienmänner, die - zu alt für die Armee - aus der Arbeiterklasse und aus der unteren Mittelschicht stammten, und nun als rohe Rekruten - ohne militärpolizeiliche Erfahrung, ohne Information über oder irgendeine Vorbereitung auf ihre geheime Mission nach Polen geschickt wurden, um die Ausrottung aller Juden durchzuführen, die in den entfernten Dörfern Polens lebten. In nur vier Monaten hatten sie mindestens achtunddreißigtausend Juden erschossen und ließen weitere fünfundvierzigtausend Juden ins Konzentrationslager Treblinka deportieren. Zuerst erklärte ihnen der Kommandant, dass dieses eine schwierige Aufgabe sei, die vom Bataillon befolgt werden müsse; doch jeder könnte es zuvor ablehnen, diese Männer, Frauen und Kinder umzubringen. Aufzeichnungen zeigen an, dass zuerst ungefähr die Hälfte die Männer ablehnten und es den anderen überließen, den Massenmord auszuführen. Aber nach einer gewissen Zeit zeigten die beispielhaften sozialen Prozesse ihre Wirkung, wie auch jede schuldbesetzten Überzeugungsmanöver von Freunden, die die Tötungen vollzogen hatten, sodass am Ende bis zu neunzig Prozent der Männer in Bataillon 101 in die Tötungen miteinbezogen waren und sogar stolz Nah-Fotographien von ihrem persönlichen Erschießungen der Juden machten. Browning macht klar, dass es keine spezielle Auswahl dieser Männer gab. Sie waren so „normal“, wie man sie sich üblicherweise vorstellt - bis sie in eine Situation gerieten, in der sie die „amtliche“ Erlaubnis und Ermutigung hatten, sadistisch und brutal gegen die vorzugehen, die willkürlich als der „Feind“ etikettiert worden waren. Lassen Sie uns vom Abstrakten zum Persönlichen gehen: Stellen Sie vor sich, es sei Ihr Vater, der eine hilflose Mutter und ihr Säuglingskind erschießt, und überlegen Sie sich dann seine Antwort auf Ihre Frage, "Warum hast du das getan, Papa?" Die Erschaffung des Mythos vom bösen Terroristen und der Verbreitung nationaler Ängste bis zum Angriff auf dem Irak Wenden wir uns der Gegenwart zu, und damit der Terrorismusfurcht, welche die Zerstörung der Doppeltürme des Welthandelzentrums an jenem unvergesslichen 11. September 2001 ausgelöst hat. Ursprünglich wurden die Täter in den Medien und offiziellen politischen Verlautbarungen als "Entführer", "Mörder“, und "Verbrecher“ bezeichnet. Bald aber wurden die Bezeichnung "Terroristen" eingeführt und die kriminellen Handlungen als „Taten des Bösen“ gebrandmarkt. Überhaupt wurde „das Böse“ in der Folgezeit zum Kampfbegriff und zum Stichwort, das von den Medien und der politischen Führung immer öfter und mit einer immer größeren Begriffsausdehnung verwendet wurde. Osama bin Laden, der Drahtzieher des 11. September, wurde als erster als „böse“ (evil) bezeichnet. Als er sich aber als schwer fassbar erwies und faktisch aus der Kriegzone in Afghanistan verschwand, musste die AntiTerrorismuskampagne der Regierung dem Terrorismus ein neues Gesicht und einen neuen Ort zu geben. Natürlich erzeugt Terrorismus mit seiner Gesichts- und Namenlosigkeit überall Furcht und Angst. Dieses nutzend, wurden einige Länder von unserem Präsidenten als die „Achse des Bösen“ bezeichnet. Dazu gehörte es auch, Saddam Hussein als Präsidenten des Irak als so „böse“ darzustellen, dass er mit allen möglichen Mitteln gestürzt werden musste. Um einen Erstschlag-Krieg gegen den Irak zu rechtfertigen, wurde ein Propagandafeldzug gestartet, der eine unmittelbare Bedrohung der Staatssicherheit der Vereinigten Staaten durch angeblich vorhandene Massenvernichtungswaffen des Saddam-Regimes behauptete. Dann wurde eine willkürliche Verbindung zwischen Saddam Hussein und bestimmten Terroristennetzwerken hergestellt, an die er diese angeblichen Massenvernichtungswaffen verkaufen oder verschenken wolle. Viele Amerikaner begannen den unbewiesenen Behauptungen Glauben zu schenken, Saddam Hussein sei erstens in die Terrorangriffe vom 11. September verwickelt, zweitens sei er ein Verbündeter und Mittäter Osama bin Ladens, und verfüge drittens über ein Arsenal betriebsbereiter Massenvernichtungswaffen. Bilder und Berichte in Zeitschriften sowie sensationell aufgemachte Fernsehsendungen trugen zur Dämonisierung Saddam Husseins im Laufe eines Jahres bei. Bei vielen Amerikanern stellte sich ein Gefühl der Verunsicherung und der Verwundbarkeit ein, das sie persönlich sehr tief berührte und zum Teil durch mehrfache (falsche) Warnungen vor einem unmittelbar drohenden Terroristenangriff auf die USA durch die Regierung noch verstärkt wurde. Dieses Gefühl der Verunsicherung sollte nun erfolgreich bekämpft werden, indem man in den Krieg zog. Die Öffentlichkeit und der Kongress sicherten der Regierung ihre Unterstützung in einem asymmetrischen Krieg zu, der den Irak von den gefürchteten Massenvernichtungswaffen reinigen und Husseins Regime zerstören sollte. So glaubten die Vereinigten Staaten von Amerika zum ersten Mal in ihrer Geschichte, sie seien berechtigt, einen Angriffskrieg zu führen, der ungezählten Soldaten und Zivilisten das Leben und der Wirtschaft Milliarden Dollar kosten, ein Land total zerstören, die UNO schwächen und die US in einen langem und ausweglosem Vietnam-ähnlichen Krieg verwickeln sollte. Als dann trotz angeblich bester Intelligenzreports und vom Außenminister der USA vor der UNO präsentierten Luftfotos keine Massenvernichtungswaffen aufgedeckt wurden, glaubte die Öffentlichkeit weiterhin daran, dass es sich doch um einen notwendigen und gerechtfertigten Krieg gegen das Böse (Festinger, 1957) handele. Wen interessieren also die wahren trügerischen Gründe für den Kriegseinsatz, wenn die Vereinigten Staaten dadurch im Nachhinein jetzt sicherer erscheinen und ihr Präsident sich als durchsetzungsfähiger Oberbefehlshaber darstellen konnte, wie ihn seine Imageberater geschickt in den Medien portraitiert haben? Dieses nationale Experiment propagandistischer Umerziehung verdient das spezielle Augenmerk und eine besondere Dokumentation durch unparteiische Sozialhistoriker, um der gegenwärtigen wie auch zukünftigen Generationen die gewaltige Macht der Bilder, der Worte und ihres Gestaltungsrahmens vor Augen zu führen, die eine demokratische Nation veranlassten, einen undenkbar geglaubten üblen Angriffskrieg zu unterstützen und sogar daran Geschmack zu finden. Die Sozialisierung zum Bösen - wie die Nazi-Propagandisten deutsche Jugendlicher zum Judenhass erzogen. Die zweite große Kategorie operationaler Grundregeln, welche normale Menschen zum Tun des Bösen verführen, basiert auf Prozessen, die – von der jeweils herrschenden Regierung sanktioniert – durch Schulprogramme verordnet und durch Eltern und Lehrern gestützt werden. Ein besonderes Beispiel ist die schulische Erziehung, mittels derer deutsche Kinder in den 30er und 40er Jahren systematisch zum Judenhass verführt und indoktriniert wurden, um die Juden zum Haupt- und Allzweckfeind der neuen deutschen Nation zu machen. Es ist hier nicht der Ort für ein volle Dokumentation dieses Prozesses; aber ich will doch einige Beispiele dafür anführen, welche Verantwortung die Regierungen für die Sanktionierung des Bösen haben. Als die Nazis 1933 die Macht in Deutschland übernahmen, wurde keiner Angelegenheit höhere Priorität eingeräumt als der Umerziehung der deutschen Jugend. Hitler schrieb: „Ich bin kein Intellektueller und habe keine höhere Bildung. Bildung ruiniert die deutschen Männer. Eine brutale und aktive Jugend ist es, die ich brauche.“ (Die neue Ordnung, 1989, S. 101-102) Für die Schulen, besonders die ersten Grundschuljahre, wurden spezielle Propagandaschriften geschrieben (Brooks, 1989), um Kinder in Geographie und Rassenkunde zu unterrichten. Diese hasserfüllten „Zündschriften“ waren grellfarbige Comics, die schöne blonde Arier mit entsetzlich hässlich karikierten Juden kontrastierten. Sie wurden zu Hunderttausenden verkauft. Einer dieser Comics trug den Titel: „Glauben Sie keinem Fuchs auf der grünen Wiese und keinem Juden seinen Eid.“ Das Heimtückischste an dieser Hasskonditionierung war, dass die rassistischen Vorurteile wie zu erlernende und zu prüfende Tatsachen dargestellt wurden, mithilfe derer Lesen und Schreiben erlernt werden sollten. In der mir vorliegenden Kopie des Comics veranschaulichen eine Reihe von Karikaturen die verschiedenen Tricks, mit denen Juden Arier betrügen, dadurch reich und fett werden, böse und mitleidslos gegen arme und ältere Arier handeln und sich ein schönes Leben machen. Zum Schluss werden bildlich die Belohnungen dargestellt, die arische Kinder erhalten, wenn sie jüdische Lehrer und Kinder zur „Wiederherstellung von Recht und Ordnung“ aus der Schule, aus den öffentlichen Anlagen und schließlich aus ganz Deutschland vertreiben. Der Wegweiser in der Karikatur trägt die bedeutungsvolle Aufschrift „Einbahnstraße“. In der Tat war es eine Einbahnstraße, die schließlich zu den Konzentrationslagern und Verbrennungsöfen führte, die das Kernstück von Hitlers Endlösung für den Genozid an den Juden darstellten. So wurde diese institutionalisierte Böse heimtückisch und allumfassend in den Köpfen von Kindern installiert, indem man die Schulbildung von kritischer Reflektion löste und pervertierte. Damit wurde den Schülern der kognitive Weg verschlossen, sich der gezielten Dämonisierung von Juden als Staatsfeinde zu widersetzen. Durch die Steuerung der Schulbildung und der propagandistischen Medien kann jeder nationale (Ver)Führer die Szenarios produzieren, die im erschreckenden Roman von George Orwell „1984“ veranschaulicht werden. Das institutionalisierte Übel, das Orwell plastisch in seiner fiktiven Beschreibung der Zwangsherrschaft des Staates über seine Bürger schildert, geht jedoch über die Vorstellungskraft des Schriftstellers hinaus, wenn seine prophetische Visionen durch mächtige Führer einer Sekte oder durch Agenturen und Abteilungen der gegenwärtigen USAdministration in die Wirklichkeit umgesetzt werden. Ich habe bereits die direkten Ähnlichkeiten zwischen den Strategien zur Sinnessteuerung beschrieben, die Orwell in seinem Buch der „Partei“ zuschreibt und die der Reverend Jim Jones verwendete, um die Mitglieder seiner frommen-politischen Sekte zu disziplinieren (Zimbardo 2003 a). Jones Indoktrinierung führte gegen Ende seines großen Experiments institutionalisierter Sinnessteuerung vor fünfundzwanzig Jahren zum Selbstmord von neunhundert (!) amerikanischen Sektenmitgliedern in den Dschungeln von Guyana. Wie ich von ehemaligen Mitgliedern dieser Sekte erfuhr, hatte Jones nicht nur Orwells „1984“ gelesen, sondern sprach auch oft darüber. Ja, er hatte eigens ein Lied vom dazu autorisierten Sänger der Kirche komponieren lassen (1984), das alle Sektenanhänger während der Gottesdienste singen mussten. Ich überlasse es dem Leser, die Ähnlichkeiten zwischen den manipulativen Praktiken in Orwells Buch und den Methoden herzustellen, die an US-Staatsbürgern in den letzten Jahren ausgeübt wurden (s. Zimbardo 2003 b). Das Gefängnis-Experiment von Stanford Das Stanford Experiment erinnert fast an die Inszenierung einer griechischen Tragödie, in der das Geschick der Akteure durch von außen auferlegte göttliche und schicksalsmächtige Kräfte bestimmt wird. Wir können bereits das unmenschliche Ende erahnen. Psychologisch ausgedrückt, bringt diese Gefängnisstudie viele Prozesse und Variablen zur Synthese, die wir bereits früh umrissen haben: sie beschreibt die Anonymisierung von Orten und Personen, die zur Entpersönlichung und Entmenschlichung von Opfern beitragen. In der Versuchsanordnung von Stanford wird einigen Experimentteilnehmern (Wärter) die Erlaubnis gegeben, andere Teilnehmer (Gefangene) zu kontrollieren und dies an einem besonderen Ort (Gefängnis) zu tun, der in den meisten Gesellschaften in der ganzen Welt als Ort institutionalisierter Gewaltausübung zur Bestrafung des Bösen durch Kontrolle und Macht akzeptiert wird. 1971 entwarf ich diese drastische Experiment, das sich über einen zweiwöchigen Zeitraum erstreckte, um den Teilnehmern genügend Zeit zu geben, sich voll mit den ihnen zugewiesenen Rollen als Wächter oder als Gefangene zu identifizieren. Indem die Teilnehmer sich diesem Lebenssetting als Gefangene Tag und Nacht oder als Wärter im Rahmen eines achtstündiger Arbeitstags aussetzten, war genug Zeit gegeben, in der sich situationsbedingte Normen und Muster sozialer Interaktion entwickeln, ändern und kristallisieren konnten. Das zweite Merkmal dieser Studie bestand darin, sicherzustellen, dass alle am Experiment Beteiligten physisch und psychisch gesund waren und keine gewalttätige oder drogenbelastete Vorgeschichte hatten. Dies war von essentieller Wichtigkeit, wenn wir die situationsbedingten von den veranlagungsbestimmten Faktoren des Experiments unterscheiden wollten. Das dritte Merkmal der Studie war das Fehlen jeglicher Vorerfahrungen mit den nach dem Zufallsprinzip zugewiesenen Rollen von Wärtern und Gefangenen. Es blieb den Teilnehmern und ihren im früheren gesellschaftlichen Leben erworbenen Assoziationen der gegensätzlichen Rollen von Gefangenen und Wärtern überlassen, über die vorgegebenen Regeln hinaus das Gefängnisleben und das damit verbundene Verhalten zu gestalten. Das vierte Merkmal des Experiments bestand darin, das Setting so realitätsnah wie möglich zu gestalten, um die funktionale psychologische Situation einer echten Gefangenschaft herzustellen. Detaillierte Angaben zum Setting sind in einer Reihe von Artikeln beschrieben, die ich über die Studie Stanford-Experiment veröffentlicht habe (s. Zimbardo et al, 1973; Zimbardo, 1975). Im Zentrum des Experiment standen die Themen Macht und Machtlosigkeit, Herrschaft und Unterordnung, Freiheit und Versklavung, Kontrolle und Rebellion, Identität und Anonymität, Zwangskontrollen und restriktive Maßnahmen. Allgemein ausgedrückt hatten die sozialpsychologischen Konstrukte eine realitätsgestaltende Wirkung. Alle Beteiligten wurden mit passenden Uniformen und verschiedenen Gegenständen (Handschellen, Schlagstöcke, Pfeifen) ausgestattet. Die Hallentüren wurden durch Gefängnistüren mit entsprechenden Aufschriften ersetzt, um die Atmosphäre von fensterlosen und zeitlosen Gefängniszellen herzustellen. Es wurden Regeln verordnet, die die Namen durch Nummern für Gefangene oder durch Dienstbezeichnungen für das Bewachungspersonal (Justizvollzugsbeamter, Gefängnisleiter) ersetzten und den Wärtern Machtbefugnisse über die Gefangenen gaben. Die Beteiligten wurden aus den fast hundert Bewerbern ausgewählt, die auf unsere Anzeigen in der lokalen Stadtzeitung geantwortet hatten. Sie wurden einer Evaluierung des persönlichen Backgrounds unterzogen, welche aus einer Serie von fünf psychologischen Tests, der Untersuchung der Lebensgeschichte und intensiven Interviews bestand. Die vierundzwanzig Personen, die sich in jeder Hinsicht als die normalsten und gesündesten herausstellten, wurden nach dem Zufallsprinzip zur Hälfte zu Gefangenen und zur Hälfte zu Wärtern gemacht. Die neuen „Gefangenen“ machten eine realistische Gefangennahme durch Offiziere der Palo Alto Polizeistation durch, die mit uns zusammenarbeiteten. Der diensthabende Offizier führte einen formalen Arrest durch, indem er die Täter zur Aufnahme der Personalien in die Polizeistation brachte und alle anschließend in unser Gefängnis im umgebauten Keller unserer Psychologieabteilung einwies. Die Uniform der Gefangenen bestand aus einem Kittel mit einer Identifikationsnummer. Die Wächter trugen militärische Uniformen und reflektierende Sonnenbrillen, um den Status der Anonymität zu wahren. Zu allen Zeiten waren neun Gefangene auf dem Gelände, jeweils drei pro Zelle, sowie drei Wärter, die im Acht-Stunden-Takt arbeiteten. Daten wurden durch systematische Videoaufnahmen, verdeckte Audioaufnahmen von Gesprächen der Gefangenen in ihren Zellen, durch Interviews und Tests zu verschiedenen Zeiten der Studie, Auswertungen nach Abschluss des Experiments sowie durch direkte, versteckte Beobachtungen gesammelt. Zu einer ausführlichen Chronologie und umfassenden Beschreibung von Verhaltensreaktionen seien die Leser auf die oben genannten Literaturhinweise, auf Zimbardo, Maslach und Hamey (1999) sowie unsere neue Internetseite www.prisonexp.org verwiesen. Für die gegenwärtige Studie genügt es, festzuhalten, dass die negativen situationsbedingten Kräfte die positiven veranlagungsbestimmten Tendenzen völlig verdrängten. Das Böse der Situation triumphierte über das Gute in den Männern. Unser auf zwei Wochen angelegtes Experiment musste aufgrund der pathologischen Situation nach nur sechs Tagen abgebrochen werden. Ursprünglich friedfertige junge Männer benahmen sich sadistisch in ihrer Rolle als Wärter, indem sie die Gefangenen erniedrigten und ihnen Leid und Schmerz zufügten. Einige Wächter gaben in Interviews sogar zu, diese Erniedrigung genossen zu haben. Andere eigentlich intelligente und gesunde Hochschulstudenten erlitten emotionale Zusammenbrüche. Fünf von ihnen zeigten derart extreme emotionale Störungssymptome, dass sie das Experiment innerhalb der ersten Woche abbrechen mussten. Die Mitgefangenen, die sich besser der Situation angepasst hatten, waren diejenigen, die unreflektiert und blind Befehle befolgten und den Wärtern erlaubten, sie jeden Tag mehr zu entmenschlichen und zu degradieren. Die einzige bedeutende Persönlichkeitsvariable, die einen bedeutenden vorhersehbaren Wert hatte, war die der F-Skala der Akzeptanz autoritären Verhaltens. Je höher dieser Wert war, desto länger überlebten Gefangene in diesem total autoritären Klima. Ich beendete das Experiment nicht nur aufgrund des eskalierenden Niveaus von Gewaltausübung und menschenunwürdigem Verhalten gegenüber den Gefangenen, das in den Videobändern deutlich zutage trat, sondern auch, weil ich mir der persönlichen Veränderungen bewusst wurde, die ich selbst während dieses Experiments durchmachte (siehe Analyse von Christina Maslach, deren Intervention das Experiment beendete, in Zimbardo et al 1999). Neben meiner Rolle als Hauptverantwortlicher des Experiments war ich zum Gefängnisleiter geworden. Ich hatte begonnen, so zu reden, zu gehen und zu agieren wie eine rigide Autoritätsfigur, die sich mehr um die Sicherheit „ihres Gefängnisses“ sorgte als um die Bedürfnisse der jungen Männer, die meiner Obhut als Experimentsleiter anvertraut waren. In gewisser Weise wurde mir die Gefährlichkeit und Gewalttätigkeit dieser Situation an dem Ausmaß deutlich, in dem sie mich verwandelt hatte. Gegen Ende der Studie hatten wir schließlich ausgedehnte Auswertungsgespräche mit allen Wärtern und Gefangenen sowie periodische Überprüfungen über eine Reihe von Jahren hinweg. Glücklicherweise gab es keine negativen dauerhaften Folgeerscheinungen dieser intensiven und machtvollen Erfahrung. Bevor ich den Gedankengang fortsetze, möchte ich einige Sätze aus einem Brief zitieren, den ich kürzlich von einem jungen Psychologiestudenten bekam, der gerade aus dem Militärdienst entlassen worden war (Email vom 18.Oktober 2002). Er zeigt einige direkte Ähnlichkeiten zwischen bestimmten Aspekten unserer Gefängnissimulation vor vielen Jahren und gegenwärtigen verabscheuungswürdigen Praktiken in unserer militärischen Grundausbildung. Er zeigt aber auch die positiven Effekte, die Forschung und Ausbildung haben können. „Ich bin ein 19jähriger Psychologiestudent, der eine Diavorführung ihres Gefängnisexperimentes miterlebt hat, die mir fast die Tränen in die Augen getrieben hat.... Als ich dem Marinekorps der Vereinigten Staaten beitrat, erfüllte sich ein Kindheitstraum. Um es kurz zu machen: Ich wurde Opfer wiederholter illegaler physischer und psychischer Misshandlungen. Eine Untersuchung zeigt, dass ich mehr als vierzig unprovozierte Schlagattacken von Ausbildern erdulden musste. Soviel ich auch dagegen ankämpfte, wuchsen in mir Selbstmordgedanken, die zu einer Entlassung aus dem Ausbildungslager führten ...Was ich versuche zu sagen, ist Folgendes: die Art und Weise, wie ihre Wachen in Ihrem Experiment und die militärischen Ausbilder im meiner Erfahrung ihre Aufgaben ausführten, spottet jeder Beschreibung.... Ich staune über die parallelen Verhaltensweisen Ihrer „Wärter“ und eines bestimmten Ausbilders, an den ich denken muss. Ich wurde in der gleichen Weise und manchmal sogar noch schlechter behandelt wie im Stanford-Experiment. Ein besonders herausstehendes Ereignis war ein Versuch, die Solidarität der Auszubildenden im Boot Camp zu brechen. Ich wurde gezwungen, im Zentrum unseres Gemeinschaftsraums zu sitzen und einen Rekruten nach dem anderen anzuschreien: „Wenn ihr Typen schneller gewesen wärt, würden wir das hier nicht stundenlang machen müssen!“, während jeder einzelne Rekrut ein schweres Fußschließfach über seinem Kopf hochhalten musste. Der Fall war den Gefangenen #819 im Stanford Experiment sehr ähnlich, der vor allen anderen schreien musste, dass er ein schlechter Gefangener sei. Noch Monate nach diesem Ereignis - ich war bereits sicher wieder zuhause angelangt -, war alles, das ich denken und fühlen konnte von dem Verlangen geprägt, den anderen Rekruten sagen zu können, dass ich kein so schlechter Rekrut war, wie es der Ausbilder der Gruppe weisgemacht hatte. Ich erinnere mich an andere Strafmaßnahmen wie Liegestützen, rasierte Köpfe und keine andere Identität als die des "Rekruten So-und-so", genauso, wie Sie es in Ihrer Studie beschrieben haben. Auf den Punkt gebracht: Auch wenn Ihr Experiment nun schon 31 Jahre zurückliegt, hat mir geholfen, ein Verständnis für meine Situation zu gewinnen, das ich trotz Therapie und Beratung bisher nicht hatte. Was Sie darin beschrieben haben, gab mir zentrale Einsichten in Dinge, mit denen ich mich fast ein Jahr lang herumgeschlagen habe. Obgleich es zweifellos keine Entschuldigung für sein Verhalten ist, kann ich jetzt das sadistische und machthungrige Grundprinzip hinter den Methoden des Ausbilders verstehen.“ Das Versagen des US-Gefängnissystems Ich wollte immer mit meiner psychologische Forschung das Leben von Menschen zum Positiven verändern. Daher bereiten mir persönliche Reaktionen wie die eben beschriebene viel Freude. Gleichzeitig aber bedauere ich zutiefst die fehlende Auswirkung des StanfordExperiments auf das Gefängnissystem in den Vereinigten Staaten. Als Craig Haney und ich vor kurzem eine zurückblickende Analyse unserer Studie vornahmen und sie mit kontrastierenden Einblicken in die Gefängnispolitik der USA und des Staates Kalifornien während der letzten 30 Jahre verglichen, waren unser Ergebnisse (Haney u. Zimbardo, 2000) niederschmetternd. US-Gefängnisse folgen weiterhin den längst überholten Methoden sozialen Experimentierens mit veranlagungsbestimmten Modellen von Bestrafung und Isolierung von Straftätern. Um die hartnäckig hohe Rate von Wiederholungstätern zu verringern, hätten sie stattdessen die längst mögliche Reform hin zu einer grundlegenden Rehabilitationspraxis vornehmen müssen. Bereits jetzt sind die Vereinigten Staaten mit ihren mehr als zwei Millionen inhaftierten Bürgern das Gefängniszentrum des Universums. Unsere Analyse zeigt, dass sich die Zustände in US-Gefängnissen in den Jahrzehnten seit unserer Studie als Folge des Politisierung der Gefängnisse noch verschlechtert haben, weil Politiker, Staatsanwälte, Richter und anderer Beamte auf eine harte Linie in der Verbrechensbekämpfung setzen, um sich die Gunst der durch die übertriebene Berichterstattung der Medien verunsicherten Wählerschaft zu sichern. Eine irregeleitete Politik überhöhter Strafen hat eine überproportionale Zahl von Afroamerikanern und Hispanics hinter Gitter gebracht. Der Anteil der Afroamerikaner, die im Gefängnissystem der USA ihre Zeit vergeuden, ist weit höher als der Anteil derer, die ihre Potentiale im höheren Bildungssystem wahrnehmen. Das Übel der unerlassenen Hilfeleistung Unsere tägliche Aufmerksamkeit gegenüber dem Bösen richtet sich meist auf brutale, zerstörerische Handlungen. Doch auch Untätigkeit kann böse Folgen haben, wenn stattdessen Einschreiten, Widerspruch und Ungehorsam gefordert sind. Sozialpsychologen horchten auf, als der schreckliche Tod von Kitty Genovese in den ganzen USA für Schlagzeilen sorgte. Als sie verfolgt, mit einem Messer verletzt und schließlich ermordet wurde, hörten neununddreißig Mitbewohner ihre Hilfeschreie, taten aber nichts, um ihr zu helfen. Nach Meinung vieler Journalisten war dies nur weiteres herausragendes Beispiel für die Gefühlskälte der New Yorker. Widerspruch gegenüber dieser veranlagungsbestimmten Analyse kam jedoch in Form einer Reihe klassischer Studien von Bibb Latan und John Darley (1970) zur Relevanz von Interventionen von zufälligen Zeugen eines Geschehens. Ein Schlüsselergebnis dieser Studie bestand darin, dass die Wahrscheinlichkeit von helfendem Eingreifen größer ist, wenn Menschen allein sind, als wenn sie sich in einer Gruppe befinden. Die Gegenwart Anderer entlässt den Einzelnen aus der persönlichen Verantwortung. Eine eindrucksvolle Demonstration der unterlassenen Hilfeleistung wurde von Darley und Dan Batson im Jahr 1974 inszeniert. Stellen Sie vor sich, Sie seien als Theologiestudent gerade auf dem Weg, eine Predigt über den barmherzigen Samariter zu halten, die für eine psychologische Untersuchung über wirkungsvolle Kommunikation auf Video aufgenommen werden soll. Stellen Sie weiter vor, Sie begegneten - gerade aus der theologischen Fakultät kommend - einen Fremden in einer Gasse, der gerade in schrecklicher Bedrängnis ist und Ihre Hilfe braucht. Unter welchen Bedingungen würden Sie nicht anhalten, um diesem Menschen als guter Samariter zu helfen? Ist es vielleicht der Zeitdruck? Würde es für Sie einen Unterschied bedeuten, wenn Sie zu spät kämen, um Ihre Predigt aufnehmen zu lassen? Ich wettete, Sie glauben, dies wäre Ihnen egal; Sie würden unter allen Umstände anhalten und helfen. Habe ich Recht? Erinnern Sie sich: Sie sind Theologiestudent und denken gerade über das Hilfeleistung gegenüber dem bedürftigen Nächsten nach - eine guten Tat, die in der biblischen Geschichte reichlich belohnt wird. Die Forscher wiesen Kursteilnehmern des Princeton Theological Seminary nach dem Zufallsprinzip drei Bedingungen zu, die jeweils den Zeitabstand zwischen den Aufgabestellung der Forscher und dem Aufnahmetermin der Predigt über den Barmherzigen Samariter auf Video veränderten. Ich mache es kurz: Seien Sie ja nicht „Opfer in Bedrängnis“, wenn Leute in Eile sind! Der Wahrscheinlichkeitsquotient derer, die an Ihnen vorbeilaufen und Ihnen keine Hilfe anbieten, beträgt sage und schreibe neunzig (!) Prozent! Je mehr Zeit die Seminaristen glaubten zu haben, um anzuhalten und zu helfen, umso größer war die Wahrscheinlichkeit, dass diese es auch tun würden. So erklärte die situationsbedingte Variable des Zeitdrucks die Hauptabweichung beim Helfen, ohne auf veranlagungsbedingte Erklärungen über möglichen Zynismus oder eventuelle Gleichgültigkeit der Theologiestudenten zurückzugreifen, wie es bei den Mitbewohnern von Kitty Genovese angenommen wurde. Der „schlechteste Apfel im Fass des Bösen“: Folterknechte und Henker? Es steht außer Frage, dass die systematische Folter von Menschen durch Mitmenschen (Männer und Frauen) eine der dunkelsten Seiten der menschlichen Natur darstellt. Meine Kollegen und ich kamen zu dem Schluss, dass spätestens hier das veranlagungsbestimmte Böse offenkundig zu Tage treten musste - unter diesen Folterknechten, die als Geheimpolizisten in Brasilien jahrelang ihre schmutzige Arbeit unter dem Schutz der Regierung taten, um den Feinden des Staates gewaltsam Geständnisse zu entlocken. Wir konzentrierten uns zunächst nur auf diese Folterer, indem wir versuchten, sowohl ihre psychische Disposition als auch die situationsbedingten Umstände zu verstehen, die sie geformt hatten. Aber wir mussten unser analytisches Netz um weitere Waffenbrüder erweitern – die Mitglieder von Todesschwadronen oder Tötungskommandos. Sie hatten einen „gemeinsamen Feind“ - Männer, Frauen und sogar Kinder - die, obgleich Bürger ihres Landes, von den „Behörden" zu Bedrohungen der Staatssicherheit erklärt worden waren. Einige wurden unauffällig beseitigt, während andere mit vermuteten Geheiminformationen dazu gezwungen werden mussten, diese preiszugeben und sich zu ihrem Verrat zu bekennen. In der Durchführung der Folter konnten diese Folterer nur teilweise auf das "kreative Böse" von Folterinstrumenten und -techniken zurückgreifen, die im Laufe der Jahrhunderte seit der Inquisition von den Beamten der Kirche und später von den Nationalstaaten verfeinert worden waren. Aber sie mussten auch ein Maß an Improvisation aufbringen, um mit gewissen Hindernissen und der Widerstandskraft des Feindes fertig zu werden, der vor ihnen seine Unschuld beteuerte, seine Mittäterschaft bestritt oder sich nicht einschüchtern ließ. Im Gegensatz zu den Todeskommandos, die anonym und gut getarnt, mit erstklassigen Waffen und Gruppenunterstützung, schnell und unpersönlich ihre Aufgaben erledigten, brauchten die folternden Geheimpolizisten Zeit und wachsende Kenntnisse menschlicher Schwächen, um ihre perfiden Fertigkeiten zu perfektionieren. Für Folterknechte gibt es kein „business as usual“. Folterung bezieht immer ein persönliches Verhältnis mit ein, das für das Verständnis der Aufgabe wesentlich ist: welche Art der Folterung diesmal anzuwenden ist, welche Intensität bei der Folterung dieser Person verwendet werden muss. Falsche Anwendung oder zu geringe Dosis bedeuten kein Geständnis. Eine zu intensive Anwendung kann den vorschnellen Tod des Opfers herbeiführen. In beiden Fällen hat der Folterer versagt. Das Erlernen der rechten Art und richtigen Dosierung der Folter, die die gewünschten Informationen zu Tage fördert, bringt lobende Anerkennung und Belohnungen von den Vorgesetzten. Welche Art von Menschen konnten solche Grausamkeiten vollbringen? Auf welche sadistischen Triebe und auf welche soziopathische Lebenserfahrungen mussten sie zurückgreifen, um jahrelang tagein und tagaus Menschen stückweise das Fleisch vom Leib zu reißen? Waren diese Gewaltarbeiter eine eigene Brut, gewissermaßen „schlechter Same“, von defizitärer Abstammung, getrennt von dem Rest der Menschheit? Oder konnten sie mittels bestimmter identifizierbarer und wiederholbarer Trainingskurse dazu programmiert werden? Könnte ein Reihe externer Bedingungen identifiziert werden, die zur Ausbildung dieser Folterknechte und Mörder beitrugen, zum Beispiel bestimmte umstandsbezogene Variablen? Wenn ihre schlechten Taten nicht inneren Defekte zuzuschreiben waren, sondern äußeren Kräften, die auf sie Druck ausübten – z. B. die politischen, ökonomischen, sozialen, historischen und erfahrungsmäßigen Komponenten ihrer Polizeiausbildung - dann konnten wir in der Lage sein, über die Grenzen von Kultur und Einstellung hinweg jene Grundregeln herauszuarbeiten, die für diese bemerkenswerte Umwandlung verantwortlich sind. Martha Huggins, Mika Haritos-Fatouros und ich führten eingehende Interviews mit einigen Dutzend dieser Folterer und veröffentlichten vor kurzem eine Zusammenfassung unserer Methoden und Entdeckungen (Huggins, Haritos-Fatouros u. Zimbardo, 2002). Mika hat eine ähnliche frühere Studie von Folterern erstellt, die von der früheren griechischen Militärjunta ausgebildet worden waren. Unsere Resultate stimmten im Großen und Ganzen mit ihren überein. (Haritos-Fatouros, 2003). Sadisten werden übrigens von Trainern aus dem Trainingsprozess herausgefiltert, weil sie nicht kontrollierbar sind, am Zufügen von Schmerzen Vergnügen haben und sich folglich nicht auf die Aufgabe der Geständnisfindung konzentrieren. Auf der Basis unserer Datensammlung zeigten die oben beschriebenen Männer vor dem Ausüben Ihrer Folterungen im Geheimdienst weder irgendwelche Auffälligkeiten oder sonst abweichendes Verhalten. Auch in den Jahren, die auf ihre Arbeit als Folterer und Angehörige von Todeskommandos folgten, gab es keine auffälligen Tendenzen oder kontinuierliche Pathologien. Ihre Umwandlung war Folge ihres Trainings, Folge des Gruppengeistes, der Übernahme der Ideologie der Staatssicherheit und des Feindbildes von Sozialisten und Kommunisten als Bedrohung des Staates. Ihnen wurde vermittelt, dass sie sich als etwas Besonderes fühlen dürften, als Elite gegenüber gleichrangigen Beamte im öffentlichen Dienst, weil sie zur Geheimhaltung ihrer Aufgaben verpflichtet waren und unter konstantem Druck standen, gewünschte Resultate unabhängig von Ermüdung oder persönlichen Problemen zu produzieren. Wir verfügen über viele ausführliche Fallstudien, die die Gewöhnlichkeit dieser Männer dokumentieren, die an so schrecklichen Taten beteiligt waren. Sie sind Teil der Geschichte ihres Landes und wurden unterstützt von ihrer damalige Regierung. Gerade heute aber sind sie wieder aktuell und reproduzierbar, aufgrund der Besessenheit aller möglichen Staaten mit der Frage der Staatssicherheit und der Furcht vor Terrorismus, welche die Aufhebung der grundlegenden Freiheitsrechte des Einzelnen ermöglichen. Selbstmordattentäter: Sinnlose Fanatiker oder Märtyrer für eine Sache? Erstaunlicherweise sind die Veränderungen, die die oben beschriebenen Gewalttäter durchlebt haben, mit den Verwandlungen junger Palästinenser von Studenten in Selbstmordattentäter vergleichbar. Neue Medienberichte beziehen sich auf die Ergebnisse systematischer Analysen des Werdegangs von Selbstmordattentätern (sehen Sie Atran, 2003; Bennet, 2003; Hoffman, 2003; Merari, 1990, 2002; Myer, 2003). Seit September 2000 hat es mehr als fünfundneunzig Selbstmordattentate von Palästinensern gegen Israelis gegeben. Ursprünglich und am häufigsten waren die Selbstmordattentäter junge Männer, aber vor kurzem hat ein halbes Dutzend Frauen Selbstmordattentate verübt. Was jedoch von den Angehörigen der Opfer und äußeren Beobachtern als unverständlicher, abstruser Mord verurteilt wird, ist für diejenigen, die damit auf der Täterseite zu tun haben, alles andere als sinnlos. Man glaubte lange, es handele sich nur um arme, verzweifelte, sozial isolierte, unwissende junge Leute ohne Beruf und ohne Zukunft, die diese fatalistische Rolle annähmen. Die tatsächlichen Portraits dieser jungen Männer und Frauen allerdings zerstören dieses Klischee. Viele von ihnen sind Studenten mit Hoffnungen auf eine bessere Zukunft, intelligent, attraktiv, eng mit ihren Familien und ihrer Gemeinschaft verbunden. Ariel Merari, ein israelischer Psychologe, der dieses Phänomen viele Jahre studiert hat, umreißt die generellen Stationen auf dem Weg zu diesen Selbstmordattentaten. Ältere Mitglieder einer extremistischen Gruppe kennzeichnen zuerst bestimmte junge Leute, die eine intensive patriotische Begeisterung an den Tag legen, sei es aufgrund ihrer Ansprachen auf einer öffentlichen Protestveranstaltung gegen Israel, oder aufgrund ihrer Unterstützung einer islamischer Sache oder palästinensischen Aktion. Diese Einzelpersonen werden zu einer Besprechung eingeladen, bei der sie befragt werden, wie ernst sie es mit der Liebe zu ihrem Land und mit dem Hass auf Israel meinen. Dann werden sie gebeten, sich einer Ausbildung zu unterziehen, um zu lernen, wie sie ihre Flüche in die Tat umsetzen können. Diejenigen, die diesen Schritt machen, werden in kleinen Gruppen von drei bis fünf ähnlich motivierten Jugendlichen untergebracht, die im Laufe der Zeit in unterschiedlichen Stadien zu Agenten des Todes ausgebildet werden. Sie erlernen das Handwerk des Terrors von den Ältesten: den Bombenbau, die Tricks der Tarnung und Verkleidung. Die Ältesten beraten sie in der Auswahl der Ziele und des Zeitpunkts. Dann machen sie ihren privaten Entschluss in der Öffentlichkeit kund, indem sie ein Video aufnehmen und darin erklären, “lebendige Märtyrer" für den Islam und für ihre Liebe zu Allah werden zu wollen. In der einen Hand halten sie den Koran, in der anderen ein Gewehr. Die Inschrift ihres Kopfbandes verkündet ihren neuen Status. Dieses Video verpflichtet sie nun dazu, ihre Worte in die Tat umzusetzen, da es an ihre Familie nach Hause geschickt wird, bevor sie den abschließenden Plan durchführen. Die Rekruten wissen, dass sie mit ihrer Tat nicht nur einen Platz neben Allah erwerben, sondern durch ihren Märtyrertod auch ihren Verwandten einen hohen Platz im Himmel sichern. Daneben gibt es auch einen beträchtlichen finanziellen Betrag, der an ihre Familie als Geschenk für ihr Opfer geht. Ihr Foto wird auf Plakaten gedruckt, die ihnen zu Ehren auf Wänden überall in der Gemeinschaft aufgehängt werden, sobald sie ihren Auftrag durchgeführt haben. So werden sie zu inspirierenden Vorbildern für andere, die ihnen folgen werden. Um die Angst vor den Schmerzen beim Attentat zu ersticken, wenn die Bombe aus Nägel und andere Bombenteilen explodiert, wird ihnen erklärt, dass sie bereits an der Seite Allahs sitzen werden, bevor der erste Tropfen ihres Bluts den Boden berührt, und sie keinen Schmerz, sondern nur Freude spüren werden. Ein entscheidender Ansporn für die jungen Männer ist das Versprechen himmlischer Vergnügungen mit Scharen von Jungfrauen im kommenden Leben. Sie werden zu Helden und Heldinnen, zu Rollenmodellen der Selbstaufgabe für die nächste Generation junger Selbstmordattentäter. Wir können sehen, dass dieses Programm eine Vielzahl psychologischer und motivierender Prinzipien enthält, welche kollektiven Hass und allgemeine Wut in ein entschlossenes, genau kalkuliertes Programm zur Ausbildung für jugendliche Märtyrer umwandeln. Es ist weder abstrus noch sinnlos; nur beruht es auf einem sehr anderen Wertesystem und völlig anderen Vorstellungen, als wir sie von jungen Erwachsenen in unserem Land gewohnt sind. Ein kürzlich ausgestrahlte Fernsehsendung über weibliche Selbstmordattentäter stellte sogar die Behauptung auf, diese Mädchen seien eher mit dem „Mädchen nebenan“ vergleichbar als mit ausländischen Fanatikern. Genau dies ist das Erschreckende an dem neuen Sozialphänomen, dass so viele intelligente junge Leute dazu verführt und gebracht werden können, es sich vorzustellen und letztlich sogar zu begrüßen, ihr Leben in einem selbstmörderischen großen Knall zu beenden. Diesen wirksamen Rekrutierungstaktiken müssen sinnvolle, lebensbejahende Alternativen für die kommenden Generationen entgegengesetzt werden. Dazu braucht es ein neues gesamtstaatliches Leitungsteam, das alle vermittelnde Strategien erforscht, die zum Frieden und nicht zu Tod führen könnten. Gleichzeitig erfordert es junge Leute, die ihre Werte, ihre Ausbildung, ihre Ressourcen miteinander teilen, um ihre Gemeinsamkeiten eher als ihre Unterschiede zu erforschen. Jeder Selbstmord, jeder Mord an einem jungen Menschen ist eine klaffende Wunde im Gewebe des menschlichen Organismus, und damit etwas, was wir Ältere aller Nationen im gemeinsamen Tun verhindern müssen. Ich sehe es aus einer weiteren Perspektive, welche die lokale Politik und althergebrachte Strategien transzendiert, als eine Form des Bösen an, die Jugend um der Macht der alten Ideologien willen zu opfern. Zusammenfassung Es gibt eine alte Wahrheit in der Psychologie, die besagt, dass Persönlichkeit und Situationen wie Pole einer Ellipse aufeinander einwirken, um ein bestimmtes Verhalten zu erzeugen, genauso wie kulturelle und gesellschaftliche Einflüsse. Ich habe jedoch in meiner Forschung während der letzten 30 Jahren zu zeigen versucht, dass Situationen größeren Einfluss auf menschliche Tätigkeiten haben als dies allgemein von den meisten Psychologen angenommen oder von der Öffentlichkeit erkannt wird. Zusammen mit einem harten Kern experimentierender Sozialpsychologen habe ich daher Untersuchungen durchgeführt, die teilweise als ausgleichendes Korrektiv zur allgemein in Öffentlichkeit und Forschung vorherrschenden grundlegenden Zuerkennungsstörung (FAE) entworfen worden waren. Trotzdem wird die situationsbedingte Betrachtungsweise in der Forschung weiter von der traditionellen veranlagungsbestimmten Perspektive beherrscht, sicher auch aufgrund des immer noch ungebrochenen Vertrauens in das Individualprinzip in der angloamerikanischen Psychologie. Dies gilt in gleicher Weise von unseren medizinischen, schulischen, psychiatrischen, juristischen und theologischen Einrichtungen. Die Anerkennung der Wirksamkeit situationsbedingter Kräfte entschuldigt natürlich nicht das Verhalten, das durch sie gesteuert wird. Eher stellt sie eine Wissensbasis dar, welche die Aufmerksamkeit weg vom stark vereinfachten "Tadeln des Opfers" und der damit verbundenen erfolglosen individualistischen Behandlungsmethodik auf profundere Versuche hinlenkt, die kausale Vernetzungen und Querverbindungen aufdecken, welche geändert werden sollten. Sensibilität gegenüber den umstandsbezogenen bestimmenden Faktoren des Verhaltens führt auch zu verstärkter Alarmbereitschaft, um zukünftigen Situationen von Verwundbarkeit auszuweichen oder sie zu verändern zu können Betrachten Sie bitte dieses kleine Zimbardo-Gleichnis, das den essentiellen Unterschied zwischen veranlagungsbestimmten und situationsbedingten Lagebestimmungen verdeutlicht: "Während einige schlechte Äpfel möglicherweise ein gesamtes Fass voller guter Früchte verderben können, verwandelt ein Essigfass süße Gurken immer in saure Essiggurken unabhängig von den besten Absichten, der Beweglichkeit und die genetische Natur jener Gurken." Ist es also sinnvoller, Ressourcen dafür auszugeben, um schlechte Äpfel zu kennzeichnen, zu lokalisieren und zu zerstören oder zu verstehen, wie Essig wirkt, und Gurken zu unterrichten, wie man ungeliebte Essigfässer vermeidet? Mein situationsbedingtes Gleichnis hat mehrere aufeinander bezogene Dimensionen. Zuerst sollten wir beachten, dass eine Reihe anscheinend einfacher umstandsbezogener Faktoren sich deutlicher und effektiver auf unser Verhalten auswirkt als bisher angenommen. Die Forschungsergebnisse, die ich zusammen mit meinen anderen Kollegen in diesem Aufsatz umrissen habe, verweisen auf die einflussreiche Kraft von Rollenspielen, Richtlinien, Gegenwart von Anderen, neu auftauchenden Gruppennormen, Gruppenidentität, Uniformen, Anonymität, Vorhandensein von Autoritäten, Machtsymbolen, Zeitdruck, semantischem Modulieren, stereotypen Bildern und Aufklebern, u.a.m. Zweitens definiert die situationsbedingte Betrachtungsweise das Phänomen des Heroismus neu. Wenn die Mehrheit normaler Menschen durch situativen Druck dazu gebracht werden kann, bestimmten falschen Befehlen zustimmen und sie auszuführen, sollte die Minorität, die widersteht, als heroisch gelten. Die spezielle Natur dieses Widerstandes zu bestätigen bedeutet, dass wir von ihrem Beispiel lernen können und sollten, indem wir studieren, was sie in die Lage versetzt hat, einem solchen starken Druck zu widerstehen Drittens sollte die situationsbedingte Herangehensweise meines Erachtens uns persönlich weitaus demütiger und vorsichtiger bei den Versuchen machen, solche Taten des Bösen einzuordnen und verstehen zu wollen, die bisher als "undenkbar“ und "sinnlos" galten. Anstatt sich sofort aufs hohe moralische Ross zu setzen, welches uns „gute“ Völker von jenen „schlechten“ abgrenzt und dadurch in der Analyse der verursachenden Faktoren zu Kurzschlüssen führt, ermöglicht die situationsbedingte Herangehensweise allen anderen ebenfalls einen Zugang, weil sie weiß, dass jede Handlung, sei sie gut oder schlecht, die jemals von irgendeinem menschliches Wesen getan wurde, so auch von Ihnen oder mir getan werden könnte. Wenn dem so ist, müssen wir unsere sofort hervorbrechende moralische Empörung im Zaum halten, die auf Rache gegen den Übeltäter sinnt, und statt dessen die verursachenden Faktoren aufdecken, die sie in diese anomalen Richtung geführt haben könnten. Im öffentlichen Diskurs scheint gegenwärtig offensichtlich die Grundtendenz zu sein, Terroristen und Selbstmordattentäter zu brandmarken, anstatt die psychologischen, ökonomischen und politischen Bedingungen zu betrachten und zu verstehen, wie sie solchen allgemeinen Hass einer feindlichen Nation, einschließlich unserer selbst, fördern. Wir müssen die essentielle Frage stellen und beantworten, was junge Leute dazu treibt, ihr Leben zu opfern und andere Menschen zu ermorden. Der "Krieg gegen den Terrorismus" kann nie durch die Pläne der gegenwärtigen Regierung gewonnen werden, die darin bestehen, Terroristen aufzuspüren und zu zerstören, da jeder Einzelne überall und zu jeder Zeit zum aktiven Terroristen werden kann. Nur wenn wir die umstandsbezogenen bestimmenden Faktoren des Terrorismus begreifen, können Programme entwickelt werden, um die Herzen und Sinne möglicher Terroristen von destruktivem Verhalten abzuwenden und auf schöpferische Gestaltungskraft hin auszurichten. Dies ist keine einfache, aber eine essentiell wichtige Aufgabe. Aus sozialpsychologischer Sicht benötigt sie die Implementierung der situationsbedingten Perspektive und Methodik in einem umfassenden, langfristig umsetzbaren Programm, das eine Haltungs-, Werte- und Verhaltensänderung erfordert.