DER FREISCHÜTZ

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DER FREISCHÜTZ
CARL MARIA VON WEBER
wird am 18./19. September 1786 in Eutin (Ostholstein) geboren – er ist ein Neffe von
Mozarts Frau Konstanze – und am 20. November auf den Namen „Carl Fri[e]drich Ernst“
getauft. Mit der Theatertruppe seines Vaters führt er ein unstetes Wanderleben; erhält mit
zehn Jahren den ersten Klavierunterricht in Hildburghausen/Werra, mit elf den ersten
Kompositionsunterricht in Salzburg und später München. Nach weiteren kurzen Stationen in
Chemnitz, Augsburg und Wien (Unterricht bei G.J. Vogler), wird Weber mit 18 Jahren
Kapellmeister in Breslau, wo er u.a. eine neue Orchestersitzordnung begründet. Über
Stuttgart, Heidelberg, Mannheim, Darmstadt, Frankfurt/Main (wo 1810 seine Oper Silvana
uraufgeführt wird), München (1811 Uraufführung des Operneinakters Abu Hassan) kommt er
mit 27 Jahren als Kapellmeister und Direktor der Oper nach Prag. Vier Jahre später wird er
Königlich Sächsischer Kapellmeister in Dresden, beginnt mit der Arbeit am Freischütz (noch
unter dem Titel Die Jägersbraut) und heiratet seine langjährige Verlobte, die Sängerin
Caroline Brandt. 1820, 34-jährig, schließt er die Arbeit am Freischütz (der noch den Titel Der
Probeschuss trägt) ab. Am 18. Juni 1821 kommt Der Freischütz im königlichen
Schauspielhaus in Berlin am Gendarmenmarkt zur Uraufführung (der endgültige Titel
resultiert aus einem Vorschlag des Intendanten). Im Jahr darauf wird sein Sohn Max Maria
geboren, zwei Jahre später wird Webers Oper Euryanthe in Wien uraufgeführt. 1826 dirigiert
Weber die Uraufführung seines Oberon in London und stirbt dorrt kurz darauf in der Nacht
vom 4. auf den 5. Juni im Alter von nicht ganz 40 Jahren an Lungen- und
Kehlkopftuberkulose. 18 Jahre nach seinem Tod betreibt und inszeniert Richard Wagner,
Nachfolger Webers am Sächsischen Hoftheater, die Überführung des Leichnams nach
Dresden.
CARL MARIA VON WEBER
Als nun Weber's Freischütz gar so lauten Lärm in der Welt machte und Beethoven so viel
davon las und ihm so viel davon aufgeschrieben wurde, da trug er denn auch die Partitur
heim und studirte ihn tüchtig durch, obwohl er sonst wenig Respekt vor Weber'schen
Compositionen gefühlt hat. Das tief Originale, das ihm natürlich nicht entging, imponirte ihm
und er rief in Gegenwart seiner Freunde, auf die Partitur schlagend, aus: „Das sonst weiche
Männel, ich hätt's ihm nimmermehr zugetraut! Nun muß der Weber Opern schreiben; gerade
Opern; eine über die andere, und ohne viel daran zu knaupeln! Der Caspar, das Unthier,
steht da wie ein Haus. Ueberall wo der Teufel die Tatzen reinstreckt, da fühlt man sie auch!“
Und als ihn Jemand an das zweite Finale und das musikalisch Unerhörte darin erinnerte,
sagte er:
„Ja damit ist's freilich auch so; aber mir geht es dumm damit. Ich sehe freilich, was Weber
will, aber er hat auch verteufeltes Zeug hinein gemacht! Wenn ich's lese – wie da bei der
wilden Jagd – so muß ich lachen – und es wird doch das Rechte sein –.“
Und tief erregt setzte er dann, auf sein Ohr deutend, hinzu:
„So was muß man hören, nur hören, aber da –“
Max Maria von Weber:
E xpe ri me nte lle Kl ang bi ld er. Z ur sze nis chen K ompo si tio nswe ise i m Fre is chütz
Wie klingt das Böse? Mit welchen musikalischen Mitteln formuliert man seinen spezifischen
Charakter als unverwechselbare klangliche Chiffre, und wie bringt man diesen Charakter im
Rahmen einer dramatischen Handlung zum Sprechen?
Im unmittelbaren Vergleich ließ sich Böses seit langem musikalisch verständlich von Gutem
unterscheiden. Die Handlung des Freischütz aber erforderte eine neue Dimension: die
musikalisch abstrakte Darstellung des Bösen als Prinzip. Weber fand die unverwechselbare
Klangchiffre im düster instrumentierten verminderten Septakkord a-c-es-fis, wobei die
alterierten Töne in veränderten musikalischen Zusammenhängen auch als dis und ges
erklingen können. Neuartig an diesem Klangbild war die programmatische Verknüpfung von
harmonischen und klangfarblichen Elementen, die erst in ihrer Mischung jenes gewünschte
Bild vom Düsteren, Unheimlichen und Schaurigen malen – eben von jenen Vorstellungen,
die das frühe 19. Jahrhundert mit dem Bösen verband.
Die Komposition dieser Klangchiffre ist geschickt erfunden. In Ermangelung jeglicher tonalen
Basis hat der verminderte Septakkord eine diffuse Gestalt, die sich einer beliebigen
musikalischen Umgebung zwanglos einfügt, weil dieser Akkord vielfältige Möglichkeiten der
Auflösung und Weiterführung eröffnet. Das Schemenhafte und Unfassbare des Bösen ist in
seiner harmonischen Eigenart damit präzis charakterisiert. Darüber hinaus erlaubt die
Terzenschichtung des verminderten Septakkords problemlos den sukzessiven Aufbau seines
charakteristischen Klangs und verleiht ihm dadurch prozessuale Eigenschaften. Das Böse
entsteht und wächst – bisweilen unmerklich aus geordneten, überschaubaren (tonalen)
Verhältnissen heraus. In dieser Weise wird die Klangchiffre des Bösen in der Arie des Max
(„Durch die Wälder, durch die Auen“) aus der Molltrübung des Liebesglücks heraus sinnfällig
eingeführt, auf den Text „Hat denn der Himmel mich verlassen, die Vorsicht ganz ihr Aug’
gewandt?“ Der harmonische Prozess mit dem allmählich sich aufbauenden verminderten
Septakkord kommentiert unverstellt den wachsenden Zweifel des Jägerburschen.
Auch die symbolische Bedeutung dieses harmonischen Gebildes präzisiert das Gemeinte:
Der verminderte Septakkord lässt sich unschwer als Verschränkung zweier Tritoni (c-fis und
a-es) begreifen, und der Tritonus gilt in der Musiktheorie seit alters als Teufelszeug,
sprichwörtlich als diabolus in musica. Der Sinn dieses Akkords ist also durch die Tradition
beglaubigt. Webers bildhafte musikalische Sprache bezeichnet präzis den Sinn des
dramatischen Augenblicks.
Aber die Selbstverständlichkeit, mit der wir heute diese musikalische Sprache und ihre
Bedeutung verstehen, traute Weber seinem Publikum augenscheinlich nicht zu. Die
innovativen klanglichen Mittel, insbesondere aber ihre dramaturgische Funktion im
Zusammenhang einer Opernkomposition glaubte Weber durch optische Eindrücke
präzisieren zu müssen. Der Teufel tritt als stumme Figur mit pantomimischen Aktionen auf
und legt die Bedeutung des Klangbilds somit unmissverständlich fest: Samiel repräsentiert
das Böse in der Welt. Diese Koordination von Klang und Bild nahm der genialen
musikalischen Erfindung jedoch ihren psychologischen Aspekt. Die pure Klangchiffre würde
man im musikalischen Zusammenhang als substantielle Gefährdung des klanglich-tonalen
Gefüges und irritierende poetische Kategorie begreifen. Ihr verstörender, ja verderblicher
Einfluss wäre mithin als emotionale Katastrophe im Seelenhaushalt der Max-Figur
unmittelbar verständlich: das Böse als unfassbares, unkontrollierbares Gefühl, das die
Psyche des Max charakterisiert, weil er den Einflüsterungen des Bösen zugänglich ist – eine
hochmoderne psychologische Komposition. Die Figur des schwarzen Jägers Samiel aber,
das theatrale Bild des Subversiven, bindet dieses böse Prinzip zurück an längst gewohnte
Vorstellungen von satanischen Wesen, die auf dem Theater als konkrete dramatische
Gegenspieler himmlischer Figuren auftreten und mit Argumenten um die Seelen der
Menschen streiten. In Verbindung mit einer konkreten Theaterfigur löst sich die
charakteristische Emotion, also das psychologische Moment der Figurencharakteristik, auf
zum Kern einer fatalen dramatischen Intrige um das Seelenheil des Jägerburschen Max.
Nun tritt die traditionelle Dramaturgie einer Tragödie in ihr Recht. Das Klangbild steht nicht
mehr für den zerrissenen Charakter der Titelfigur, sondern für eine dramatische Instanz als
Gegenspieler dieser Figur: Samiel beeinflusst Max durch seine eigene Gegenwart und durch
sein Werkzeug Kaspar.
Librettist Friedrich Kind bediente instinktiv diese traditionelle Theaterdramaturgie, weil er
Samiel mit Kaspar und Max in einen Dialog treten ließ. Das Böse begriff er offensichtlich
nicht als psychologisches Moment der Figuren selber, sondern als eigenständige und
deshalb anschauliche dramatische Gestalt.
Webers kompositorische Ideen stießen hingegen in Neuland vor. Seine musikalische
Dramaturgie war in ihrer experimentellen Modernität der theatralen Anschauung seiner Zeit
überlegen. Die Klangbilder schilderten psychische Spannungen viel eindringlicher als die
Theaterbilder. Sein Klangbild des Bösen ist als harmonisch-klangfarbliches Ereignis
unmittelbar verständlich und bedarf nicht der sprachlichen Elaboration. Die Verknüpfung des
charakteristischen Klangs mit der Figur des Samiel verlangte jedoch nach sprachlicher
Äußerungsweise für den Repräsentanten des Bösen, wenn er nicht zur stummen Rolle und
somit zur dramaturgischen Notlösung degradiert werden sollte.
Freilich haben sich die Rezeptionsgewohnheiten des Theaterpublikums in fast 200 Jahren
entscheidend gewandelt. Der optischen Hilfen, mit denen Weber auf dem Theater den Sinn
seiner Klangbilder zu präzisieren gedachte, bedarf der heutige Theaterbesucher nicht mehr.
Im Gegenteil: Waldvögel, schwarze Eber, Feuerräder und ein wildes Heer mögen im frühen
19. Jahrhundert als geeignete Bilder für die Illustrierung von Höllenspuk gegolten haben. Sie
wirken in ihrer Harmlosigkeit heute eher lächerlich als erhellend. Deshalb geht die scheinbar
partiturgetreue Inszenierung der Wolfsschluchtszene wie der Klangchiffre des Bösen in der
theatralen Gestalt des Schwarzen Jägers an den musikdramatischen Intentionen vorbei.
Weber illuminierte nicht die Bilder des Schreckens mit passender Musik, sondern gab der
charakteristischen Musik eine seinen Zeitgenossen verständliche Bildhaftigkeit. Diesem
Verhältnis der Kunstmittel gilt es nachzuspüren
Jürgen Schläder
DAS BÖSE
Das Böse ist kein Begriff, sondern ein Name für das Bedrohliche, das dem freien
Bewusstsein begegnen und von ihm getan werden kann. Es begegnet ihm in der Natur dort,
wo sie sich dem Sinnverlangen verschließt, im Chaos, in der Kontingenz, in der Entropie, im
Fressen und Gefressenwerden. In der Leere draußen im Weltraum ebenso wie im eigenen
Selbst, im schwarzen Loch der Existenz. Und das Bewusstsein kann die Grausamkeit, die
Zerstörung wählen um ihrer selbst willen. Die Gründe dafür sind der Abgrund, der sich im
Menschen auftut.
Rüdiger Safranski
DOPPELGÄNGER
Doppelgängertum beruht auf der physischen Ähnlichkeit zweier Personen. Darüber hinaus
haben sich Trugbild-Vorstellungen des Volksglaubens in der Dichtung zu einer Fülle
spukhafter Doppelgängergestalten aufgefächert, die vielfach den zwei Seelen des Menschen
zu entsprechen schienen. Solche fiktiven Doppelungen sind durch eine auf seelischer
Störung beruhende Ich-Spaltung einsichtig gemacht worden. Entscheidend für die
Spannkraft des Motivs ist die Existenz zweier gleichzeitig nebeneinander agierender Figuren,
die auf diese selbst und ihr Umfeld eine verblüffende bis unheimliche Wirkung hat.
Die Vorstellung von einer zweiten Existenz des Menschen im Abbild, die Idee von den zwei
Seelen in der Menschenbrust, alle Hypothesen, Deutungen, Angstbekundungen im Hinblick
auf erwiesene oder drohende Persönlichkeitsspaltung wurden von der Romantik durchdacht
und an neuen wissenschaftlichen Entdeckungen überprüft. Zu ihnen gehörten die
Experimente F.A. Mesmers, der an Somnambulen und an Personen in Trance
Verhaltensweisen beobachtete, die sich offenbar nicht völlig als Folgeerscheinungen von
Hypnose oder Magnetismus erklären ließen. Dazu kam, dass Fichtes in der
„Wissenschaftslehre“ (1794) dargelegte Ableitung der gesamten Welt aus der Intelligenz des
Ichs die Gewissheit vom Selbstbewusstsein des Ichs voraussetzte. Die Vorstellung, dass es
keine erkennbare objektive Welt außerhalb des Ichs gebe, musste ein Zerbrechen des IchGefühls als beängstigende Bedrohung erscheinen lassen.
Elisabeth Frenzel
DIE ROMANTISCHE SCHULE
Als Gott, der Schnee und die Kosacken die besten Kräfte des Napoleon zerstört hatten,
erhielten wir Deutschen den allerhöchsten Befehl uns vom fremden Joche zu befreyen, und
wir loderten auf in männlichem Zorn ob der allzulang ertragenen Knechtschaft, und wir
begeisterten uns durch die guten Melodien und schlechten Verse der Körnerschen Lieder,
und wir erkämpften die Freyheit; denn wir thun alles was uns von unseren Fürsten befohlen
wird.
Die Schule schwamm mit dem Strom der Zeit, nemlich dem Strom, der nach seiner Quelle
zurückströmte. Als endlich der deutsche Patriotismus und die deutsche Nazionalität
vollständig siegte, triumphirte auch definitiv die volksthümlich germanisch kristlich
romantische Schule, die „neu-deutsch-religiös-patriotische Kunst“.
Heinrich Heine
ROMANTIK
Friedrich Schlegel entdeckt in dem Verlust der Mannigfaltigkeit die epochale Wirkung der
Französischen Revolution. Von Monotonie und Langeweile ist häufig die Rede. Es drängt
sich den Romantikern der Eindruck auf, dass es womöglich der Geist der Geometrie sei,
welcher das gegenwärtige Leben durchdringt. Das Unübersichtliche, auch Dunkle zieht an,
wenn es nur Abschweifungen und Ausschweifungen erlaubt, Überraschungen bereit hält. Die
Regelmäßigkeit im Raum hat dieselbe Wirkung, wie die Wiederholung in der Zeit. Sparsam
dosiert geben sie ein Gefühl von Rhythmus, Gliederung, sogar Schönheit; im Übermaß
eingesetzt aber lassen sie jedes Überraschungsmoment verschwinden, der Eindruck von
Monotonie und Gleichförmigkeit stellt sich ein, was dann als Beengung durch das
Immergleiche erlebt wird. So werden für die Romantiker der geometrisierte Raum und die
geometrisierte Zeit zum Schreckbild einer schlechten Aufklärung.
Rüdiger Safranski
DER HEXENHAMMER: BOGENSCHÜTZEN-HEXER
Erstens haben sie, wie es heißt, am hochheiligen Tage des Leidens Christi, nämlich am
sechsten Tage der Paraskeue, während der feierlichen Messe das allerheiligste Bild des
Gekreuzigten gleichsam zum Zielpunkte zu machen und mit dem Pfeile danach zu schießen.
O, welche Grausamkeit und Beleidigung des Heilandes! Bisweilen verstümmeln sie ein
solches Bild oberhalb des Gürtels, bisweilen unterhalb des Gürtels gänzlich, und zum
zeichen dessen findet sich unter zehn auf Zweiwegen oder im Felde aufgestellten Bildern
kaum ein ganzes.
Drittens hat ein solcher drei oder vier Schüsse mit ebenso vielen Pfeilen anzubringen, und
folglich wird er an jedem beliebigen Tag der Zahl entsprechend ebenso viele Menschen
umbringen können.
Viertens werden sie von den Dämonen sicher gemacht, haben jedoch den zu Tötenden
vorher mit dem leiblichen Auge anzusehen und richten den Willen des Herzens von neuem
auf jenen zu Tötenden, wo dann ein solcher, an welchem Orte er auch immer
eingeschlossen ist, sich nicht davor schützen kann, dass die Geschosse abgeschossen und
ihm durch den Teufel beigebracht werden; in ähnlicher Weise auch mit einer, wenn auch
noch so großen Flintenkugel.
Jakob Sprenger, Heinrich Institoris
Textnachweise:
Max Maria von Weber: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil,
1866Jürgen Schläder: Experimentelle Klangbilder. Zur szenischen Kompositionsweise im
„Freischütz“ (Auszug), Originalbeitrag für das Programmbuch Der Freischütz der
Bayerischen Staatsoper, Spielzeit 1998/99, mit freundlicher Genehmigung. Rüdiger
Safranski: Das Böse oder Das Drama der Freiheit. Carl Hanser Verlag, München, Wien
1997.
Elisabeth
Frenzel:
Doppelgänger.
Motive
der
Weltliteratur.
Lexikon
dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte, Alfred Kröner Verlag, Stuttagrt 1999Heinrich Heine:
Die romantische Schule. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Hoffmann und Campe,
Hamburg 1978ff Bd. 8.1. Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre. Carl Hanser
Verlag, München 2007. Jakob Sprenger u. Heinrich Institoris: Der Hexenhammer (Erstdruck
1487). Übers. a. d. Lat. v. J.W.R. Schmidt, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1985.
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