LESSINGS GESPENSTER GESAMTTEXTFASSUNG von kainkollektiv (Stand: 30. März 2012) 1. Prolog: „Deutschland schläft, das Junge-Mädchen träumt“ Einlass: - Eiserner ist offen - Rote Kordel am zweiten Portal - Musik 1: Improvisation alle Deutschlandlied - Sprechertexte / Lothar - Merle in Box unten: Schminken/Ankleiden wird auf beide Seiten der Mauer projiziert - Box fährt hoch und Eiserner fährt runter Lothar (3 Mal) : „Der Krieg, der Krieg, der Krieg!“ Sprecher: Guten Abend, meine Damen und Herren. Zunächst ein paar einführende Hinweise zu unserer heutigen Aufführung: Ort der Handlung ist das Zauberschloss. Die Aufführungsdauer beträgt 5 Stunden. Die Ritter tragen weiße Waffenröcke und Mäntel. In der Mitte ist eine Lichtung. Links aufsteigend wird der Weg zur Gralsburg angenommen. Ich, der Sprecher, schicke diese kleine Gesellschaft schlafen. Ich habe ein paar Worte von dem Deutschland zu sagen, aus dem wir Ihnen diese Stimmen heraufholen. Box fährt hoch. Bär löst die rote Kordel. Wir hören Stimmen aus einer Zeit, in der Deutschland schlief. Und je tiefer die Schichten seiner Bewohner hinabreichten, desto tiefer der Schlaf. Aus diesem Zustande ersteht das klassische Zeitalter der deutschen Literatur. Während andere schwitzen und rennen, England sich mit Goldbarren und Pfeffersäcken abkeucht, Amerika 1 im Begriff steht, sich in den öden Riesentrust zu verwandeln, der er später werden wird, Frankreich die politischen Grundlagen für den Sieg des Bürgertums auf dem europäischen Festland legt, schläft Deutschland einen ehrlichen gesunden erfrischenden Schlaf. Bitte schalten Sie Ihre Handys aus und verhalten Sie sich akustisch unauffällig. Merle in der Box: Und wenn er nun Gekommen, dieser Augenblick; wenn denn Nun meiner Wünsche wärmster, innigster Erfüllet ist: was dann? – was dann? Was wird dann In meiner Brust an dessen Stelle treten, Die schon verlernt, ohn' einen herrschenden Wunsch aller Wünsche sich zu dehnen? – Nichts? CHOR (3, aufgeregt, schnell) Noch zittert ihr der Schreck durch jede Nerve. • Noch malet Feuer ihre Phantasie. Zu allem, was sie malt. • Im Schlafe wacht, ’ Im Wachen schläft ihr Geist: • bald weniger als Tier, bald mehr als Engel. • (7, noch aufgeregter) Diesen Morgen ’ lag Sie lange mit verschlossnem Aug’, • und war Wie tot. • Schnell fuhr sie auf und rief: • (10, freudig) „Horch, Horch! • (7, freudig) Da kommen die Kamele meines Vaters! • Horch! • Seine sanfte Stimme selbst!“ • (3, nachdenklich) Indem Brach sich ihr Auge wieder: • und ihr Haupt, ’ Dem seines Armes Stütze sich entzog, (7, nachdrücklich) Stürzt auf das Kissen. • (3) Und sieh: • Da kommt der Vater wahrlich • Was wunder! • Ihre ganze Seele war 2 Die Zeit her nur bei ihm ••• und ihm • (Crescendo auf 7) Dem jungen Tempelherrn, der Recha aus dem Feuer trug. Musik 2: Hadyn Klaviertrio Merle kommt raus und macht eine Zuschauer-Begrüßungsrunde mit Knicksen und Verbeugungen + Jetzt-Impro: Merle: Guten Abend. Herzlich Willkommen. Es ist sehr freundlich, dass Sie heute Abend hier erschienen sind. In diesem Raum liegt etwas in der Luft. Können Sie es fühlen? Ist es ein Flirt? Ein Vertrag? Ein Geschäft? Eine Projektion? Ein Wunder? Merle begrüßt den Chor. 2. Kapitel I: „Der tote Hase erklärt (nicht) die Bilder“ Merle geht auf die Schräge auf das erste Wort JETZT ein Lichtwechsel Merle: Jetzt: ist dieser Körper im Raum, und Sie haben wieder nur sein Bild gesehen. Jetzt sind diese Stimmen da, und Sie haben wieder nur das Zitat gehört. Immer, wenn dieser Körper hereingeschneit kommt, mit Anmut oder mit lautem Gepolter, ist sein Bild schon da. Das ist nicht zu verkraften, dass da immer schon Etwas im Raum ist, wenn wir erscheinen, dass uns da Etwas entgegen leuchtet, als wären wir nur dazu da, diesen Schein zu verkörpern. Dass wir immer schon überholt sind, obwohl wir uns doch ständig auf der Überholspur wähnen – wie der Hase, der so oft gegen den Igel antritt, bis er am Ende erschöpft zusammenbricht und stirbt. Zitat mehrmals (Mikrofon): „Ich schreite kaum, doch wähn' ich mich schon weit. Du siehst mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit.“ Musik 3: Parsifal-Zitat danach gehen Glocken an. 3 Das ist nicht Lessing, auf den Sie alle so gespannt warten, das ist Wagners Parsifal. Warum wird das hier zitiert? Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Das müssen Sie den toten Hasen fragen, den gekreuzigten Hasen, von dem wir uns immer wieder die Bilder erklären lassen müssen. Wir müssen uns vom toten Hasen leider, leider, leider die Bilder noch einmal erklären lassen. Denn wir haben vergessen, was die Bilder bedeuten. Was die Bilder und die Geschichten bedeuten, die das hier, dieses Erscheinen, dieses Vorausleuchten erzeugt haben. Was hat denn das hier erzeugt: Diese zufällige, diese notwendige Versammlung, die sich an einem ziemlich gewöhnlichen Tag, an dem alles anders ist als an allen anderen Tagen, an diesem Ort eingefunden hat? Sie kennen dieses Haus. Es ist das Haus der Freude. Eine Stunde hier, und es erhebt sich so mancher Tumult in unserer Seele. Unser Zusammentreffen hier, das wurde spätestens am 31. März 2012 erfunden – also jetzt. Aber alles, was man uns hier hinterlassen hat, ist für uns völlig unverständlich. Dieser Ort ist uns ganz unverständlich. Wie sind wir hier noch mal hereingekommen? Wieso sind denn die ganzen Bilder schon da gewesen, bevor wir diesen Raum, diesen Ort der Freude betreten haben? Und wer ist dieses Mädchen in diesem hübschen Kleid, das ihm ganz ausgezeichnet steht? Ist das etwa der tote Hase, der hier immer die Bilder erklärt? 3. Vision I: „Austreibung der Engel aus Recha“ Musik 4: Improvisation Vision 1 Nathan erscheint übergroß als Projektion. NATHAN. Mein Kind! mein liebes Kind! RECHA. So seid Ihr es doch ganz und gar, mein Vater? Ich glaubt', Ihr hättet Eure Stimme nur 4 Vorausgeschickt. Wo bleibt Ihr? Was für Berge, Für Wüsten, was für Ströme trennen uns Denn noch? Ihr atmet Wand an Wand mit mir, Und eilt nicht, Eure Recha zu umarmen? Die arme Recha, die indes verbrannte! – Fast, fast verbrannte! Es ist ein garst'ger Tod, verbrennen. CHOR (7, sehr nachdrücklich) Es ist ein garst’ger Tod • verbrennen. RECHA Wie wollen wir uns freun, und Gott, Gott loben! Er winkte meinem Engel, daß er s i c h t b a r Auf seinem weißen Fittiche, mich durch Das Feuer trüge – Ich also, ich hab' einen Engel Von Angesicht zu Angesicht gesehn; NATHAN. Meiner Recha wär' Es Wunders nicht genug, daß sie ein M e n s c h Gerettet, welchen selbst kein kleines Wunder Erst retten müssen? DAJA Man sagt, daß Saladin den einen Tempelherrn Begnadigt, weil er seiner Brüder einem, Den Saladin besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe. NATHAN. 5 Pflegen Sich zwei Gesichter nicht zu ähneln? – Ist Ein alter Eindruck ein verlorner? – Wo steckt hier das Unglaubliche? – Sieh! eine Stirn, so oder so gewölbt; Der Rücken einer Nase, so vielmehr Als so geführet; Augenbraunen, die Auf einem scharfen oder stumpfen Knochen So oder so sich schlängeln; eine Linie, Ein Bug, ein Winkel, eine Falt', ein Mal, Ein Nichts, auf eines wilden Europäers Gesicht: – und du entkömmst dem Feur, in Asien! Das wär' kein Wunder, wundersücht'ges Mädchen? Kein Engel! Es war ein Mensch. Ich hol dir deinen Retter gleich. Du darfst ihn jeden Augenblick erwarten. Chor: (7, wirklich wissen wollen, Nachdruck) Begreifst du nun, ’ Wie viel andächtig schwärmen leichter, als Gut handeln ist? • Wie gern der schlaffste Mensch andächtig schwärmt, um nur Gut handeln nicht zu müssen! Bild Nathans verschwindet. 4. Kapitel II: Alltag I => Merle in der Box: Musik der Alltagsgeräusche ihrer Tätigkeiten (Schreiben/Chatten, Text mitsprechen, Zigaretten und Kaffee/ Musik 5 leise Klangflächen Carsten Eva und Benjamin gehen auf die Positionen für „Plus“ 6 Merle: Sie verwechseln hier etwas. Sie verwechseln mich, sie verwechseln sich mit mir. Das ist eine Verwechslung. Aber ich kann diese Verwechslung nicht verkörpern. Dieser Körper wurde spätestens am 21. Januar 1988 erfunden. Lessing wurde spätestens am 22. Januar 1729 erfunden. Oder am 15. Februar 1781? Der tote Hase wurde spätestens am 26. November 1965 erfunden. Davon können Sie sich wahrscheinlich gar kein Bild mehr machen. Wir stecken ja noch immer fest in dieser Erzählung, dass man uns gemacht hat, dass dazu ein Vater und eine Mutter nötig waren, dass diese Körper hier etwas weitertragen: einen Genpool, eine historische Erfahrung, ein Gefühl, das Sie dann wiedererkennen können, weil es uns gleich macht. Aber diese Körper werden immerzu, wie können sie da gleich sein? (Schreib-Impro) Wenn wir entflammt sind, wenn wir brennen, wenn es uns die Sprache verschlägt, wenn wir dann umfallen wie Steine, bringt man uns weg. Als wären wir Verrückte, bringt man alles, was nicht mehr spricht, weg, was nicht mehr schlägt, weg. Wenn die Körper nicht das Blut durch ihre Adern pumpen, werden sie verpackt und an einen Ort gebracht, in eine Klinik, auf einen Friedhof, wo wir nicht sehen, wie sie weiter werden. Weil wir nicht reingucken wollen, in die Kanalisation. Mein Herz, es ist ein Stein. Und es schlägt nur für mich. Da sind wir, auf dem Friedhof, wo wir nie hin wollten. Das sind die Gefühle. Die Liebe und der Tod, das sind die Steine, nicht dieser Körper. Und wir können niemanden, auch uns selbst nicht davon überzeugen, dass hier eine Verwechslung vorliegt, wenn wir erzählen, dass wir uns da verstehen würden. Das hier sind ja nicht mal meine Worte. Die sind auch nur geborgt. (SchreibImpro: Liebessprache Internet/Klischee) Die Sprache des Herzens ist ein unverständliches Kauderwelsch, das wir uns niemals einander ablauschen werden. Denn mein Herz ist nicht das Herz meines Vaters. Und deines ist nicht das deiner Mutter, die gerade vielleicht Zwiebeln schneidet oder Fernsieht oder Angst hat davor, dass wir umfallen könnten wie Steine. Dieser Körper fühlt, weil er wird, weil er stirbt. Es ist eine Verwechslung zu glauben, er täte das für jemanden oder etwas. Vielleicht tut er das nicht mal für sich selbst. Wer weiß das schon? Ich gestatte Ihnen Einblick in meine kleine Schaubühne, mein 7 Gefühls-Terrarium, in diese Pseudo-Kaaba des deutschen Stadttheaters. Schauen Sie genau hin. Merle kommt raus: Woran glauben Sie? Dass dies ein Ort der wahren Gefühle ist? Vielleicht ist es ja auch ein Ort, der aus Gefühlen Waren macht. Ich stelle mir vor, die Tränen, die heute Abend fließen, werden andere Tränen sein. Sie werden einen anderen Geschmack haben, eine andere Konsistenz, als jene Tränen, die zu vergießen man uns ständig nötigt. Fahren Sie mit Ihrer Zunge über den Rand der Lippen, kosten Sie von dem Salz der Rührung, das ein Gewürz der Täuschung ist, ein Erzeugnis des Tauschhandels, den wir Abend für Abend hier miteinander betreiben. Das ist ein kleiner dreckiger Deal, das wir unsere Herzen tauschen sollen und das dann Liebe oder Mitleid nennen. Das ist ein Markt, das ist ein ökonomischer Kontext, der aber immer ausgeblendet wird im Dienste der Menschlichkeit. Hier liegt kein Flirt in der Luft. Hier liegt eine Verwechslung vor. Und es ist nicht leicht, sie aufzulösen. Musik 6: PLUS Merle geht raus mit Bär: Candlelight-Dinner (Kerze, Sekt, Papierflieger mit Ringparabel etc.) Sprecher: Ich sehe, Sie sind im Bilde. Alles ist jetzt ultra, alles wächst, fließt, strömt unaufhaltsam. Im Denken wie im Tun. Niemand kennt sich mehr. Niemand begreift das Element, worin er schwebt und wirkt, niemand den Stoff, den er bearbeitet. Schnelligkeit ist, was die Welt bewundert und wonach jeder strebt. Lasst uns soviel als möglich an der Gesinnung festhalten, in der wir herankamen; wir werden, mit vielleicht noch Wenigen, die Letzten einer Epoche sein, die so bald nicht wiederkehrt. Ich bitte den Chor der Zaubermädchen sich für den Zweiten Aufzug „Klingsors Zaubergarten“ bereitzuhalten. Der Zweite Aufzug beginnt in fünf Minuten. Musik 7: Akkordeon und Chor: „Mein Deutschland strecke die Glieder“, 3 Strophen 8 Musik 8: Eurasischer Tango beginnt nur mit Trommel Merle: (2x) Ich hatte heute Nacht einen ganz merkwürdigen Traum. Es war sehr traurig. Hab's aber gleich nach dem Aufwachen wieder vergessen. Ich kann mich heutzutage nur ganz schwer erinnern. Die Zeit ist so fließend, da weiß ich oft an dem einen Tag gar nicht mehr, was ich am vorigen getan habe. Geschweige denn vor einer Woche. Oder vor einem Jahr. Ich kann die Tage oft gar nicht auseinander halten. Das lässt sich nicht mehr unterscheiden. Unser Unterscheidungsvermögen ist irgendwie angeknackst. Ich verwechsle mich auch ständig selbst. Merles Tanz (lauter, Lichtwechsel etc.), Eurasischer Tango, Purzelbäume etc. bis kriechen. Ich bin irgendwie ganz haltlos, weil die Tage vorüberziehen, als wären sie ein einziger. Die Zeit staut sich hier drin. Und die Luft ist so stickig. Unter diesen Lampen verbrennt man fast. Kann mal jemand die Fenster aufmachen? Kann mir mal jemand etwas Wasser bringen? Fräulein Else-Monolog: Wenn ich fliegen könnte [...] 5. Kapitel III: Das Märchen von der Toleranz Merle: Jetzt sitzen, stehen, gehen Sie hier herum, heften ihre Aufmerksamkeit auf meinen Körper und sind unsicher, ob Sie gerade getäuscht werden. Das eben z.B., das war nicht Lessing, auf den Sie alle so gespannt warten, das war Schnitzlers „Fräulein Else“. Sie haben Zweifel daran, ob dieser Körper für etwas bürgt. Sie denken, dass ich Ihnen einen Bären aufbinden will. Sie fragen sich, ob das heute Abend für Sie bis hierher ein Kuh-Handel, ein Bären-Handel gewesen ist. Das hieße natürlich: Geld zurück. Ich spekuliere aber gar nicht auf Ihr Geld, ich spekuliere auf Ihre Sympathien! Finden Sie mich sympathisch? Musik 9: Impro Merle und Carsten Ist das hier eigentlich gerade ein Lustspiel oder ein Trauerspiel? Ich habe die 9 Orientierung verloren und weiß jetzt gar nicht mehr, ob ich lachen oder weinen soll. Vielleicht ist es ja auch ein Falschspiel, von dem das richtige nie zu unterscheiden wäre. Oder ein Glücksspiel, und die Einsätze gehen am Ende an die Bank. Sie gehen am Ende immer an die Bank. Unser Spiel ist va banque. Aber das ist doch das Glück. So lange spielen, bis alles an die Bank gegangen ist und nichts mehr uns beschwert. Das ist Hans im Glück, oder Hans in der Bank, der so lange tauscht, bis er nichts mehr hat. Das Tauschen als Werden zu nichts. Wir sind zurückgeworfen auf das Jahr 1781. Wir müssen neu beginnen. Wir müssen das Jahr 1781 immer wieder neu erfinden. 1781 hatte Frankreich immerhin noch eine Revolution vor sich. Wir müssen ganz von vorne anfangen, weil wir so viel hinter uns haben. Wir müssen uns die Geschichten wieder neu erzählen, um zu sehen, ob da beim Erzählen nicht etwas vergessen wurde. Etwas, das wir noch nicht wissen. Etwas, das wir nicht immer schon gewusst haben, weil es uns so gleich erschienen ist. Wir müssen immer wieder in dieser lauwarmen Suppe baden, bis sie die Extreme wieder herausgibt, kalt und heiß, bis die Abgründe sich wieder auftun, die in ihr schwimmen wie das Fett in der Suppe. Bis die Furcht verschwindet und die Angst wieder erscheinen darf. Diese Angst, dass alles falsch war, dass wir alles falsch gemacht haben. Verstehen Sie mich nicht falsch, die Geschichten wissen um die Fehler, sie tragen sie ja in sich. Nur wir haben sie vergessen und erzählen daher immer ganz falsch. Wir müssen uns die Geschichten des Jahres 1781 immer wieder neu erzählen, das Märchen von der Toleranz, das Märchen von der Toleranz, das Märchen von der Toleranz... [Bär wirft Ringparabel in Strichfassung von der Galerie!] 6. Kapitel IV: Alltag II => Merle geht in die Box: Vogue lesen, zitieren, bemalen, zerreißen, an Box kleben Musik 10: Kagel-Marsch 1 Sprecher: 10 Ich bitte nun den Chor der Zaubermädchen zum Einsingen in den Chorprobenraum. Chor: Ton-Improvisation auf A und O, wenn alle stehen, langsam leiser werden Kagel-Marsch 1 ein zweites Mal in Schleife 7. Vision 2: Austreibung der Wünsche Musik 11: Impro Vision 2 Dajas Bild erscheint. Musik. Lichtwechsel. DAJA Mein Kind, mein liebes Kind. RECHA. Ich dürft ihn jeden Augenblick erwarten? – Wie viele Augenblicke Sind aber schon vorbei! Ah nun – wer denkt an die verflossnen? – Ich will allein in jedem nächsten Augenblicke leben. Und wenn er nun Gekommen dieser Augenblick; wenn denn Nun meiner Wünsche wärmster, innigster Erfüllet ist: was dann? – was dann? DAJA. Was dann? Dann hoff' ich, daß auch meiner Wünsche wärmster Soll in Erfüllung gehen. 11 RECHA Was wird dann In meiner Brust an dessen Stelle treten, Die schon verlernt, ohn einen herrschenden Wunsch aller Wünsche sich zu dehnen? – Nichts? DAJA. Mein, mein Wunsch wird dann An des erfüllten Stelle treten; meiner. Mein Wunsch, dich in Europa, dich in Händen Zu wissen, welche deiner würdig sind. Sperre dich, so viel du willst! Dein Wunsch sei meiner. Des Himmels Wege sind des Himmels Wege. Und wenn es nun dein Retter selber wäre, Durch den sein Gott, für den er kämpft, dich in Das Land führen wollte, Für welches du geboren wurdest? Es ist das Land der Wunder. Merle kommt während des Chores raus und geht dirigierend zur Schräge. CHOR (8, nachdrücklich, wirklich wissen wollen) Wie weiß man denn, • für welchen Erdkloß man geboren, ’ Wenn man’s für den nicht ist, auf welchem man Geboren? • (3-7 Crescendo bis „Rechas Boden“) Was tat denn Nathan dir, • den Samen der • (8 nur ein Wort) Vernunft,• Den er so rein ’ in Rechas Seele streute, • Mit deines Landes Unkraut ’ oder Blumen • So gern zu mischen? • (3) Liebe, liebe Daja • 12 er will nun deine bunten Blumen nicht auf Rechas Boden. • Sie selber fühlt denn ihren Boden, • auch wenn sie noch so schön ihn kleiden, so entkräftet, so ausgezehret durch deine Blumen, • fühlt In ihrem Dufte, sauersüßen Dufte, • sich so betäubt, so schwindelnd. • 8. Kapitel V: Lessings Obduktion => Merle fängt an sich zu dirigieren: Merle: Mehrmals Zitat Galotti: Mein Name ist Emilia Galotti. Gewalt! Gewalt! Wer kann der Gewalt nicht trotzen? Was Gewalt heißt, ist nichts: Verführung ist die wahre Gewalt. Ich habe Blut, so jugendliches, so warmes Blut, als eine. Auch meine Sinne, sind Sinne. Ich bin nichts. Ich stehe für nichts. Ich kenne dieses Haus. Es ist das Haus der Freude. Eine Stunde hier, und es erhebt sich so mancher Tumult in meiner Seele, den die strengsten Übungen der Religion kaum in Wochen besänftigen können. Nichts Schlimmers zu vermeiden, springen Tausende in die Fluten, und sind Heilige! (Merle beginnt ins Mikro zu sprechen: Musik 12: Impro Merle und Eva) Gewalt! Gewalt! Wer kann der Gewalt nicht trotzen? Was Gewalt heißt, ist nichts. Ich bin nichts. Mein Name ist Gotthold Ephraim Lessing. Jetzt bin ich 52 Jahre alt. Ich bin spielsüchtig. Ich bin trunksüchtig. Ich bin fettleibig. Ich bin mittellos. Inwendig ist alles sehr, sehr dünne, wie mir gestern bescheinigt wurde. Mein Leben ist mir, ich weiß auch nicht wie, geradezu vollkommen fehlgeschlagen. Ich habe nie Geld besessen, selbst dann nicht, wenn ich welches hatte. Bettler und Verwandte haben mich in den Ruin getrieben. Ich habe stets mit Worten gehandelt, als hinge etwas davon ab. Das tut es nicht, Sie wissen das so gut wie ich. Ich habe Jahre damit verbracht, der Welt zu entkommen. Ich bin in Polen gewesen und habe Glücksspiel mit den Soldaten gespielt. Das waren gute Jahre. Singt zusammen mit Teilen des Chors: Sto lat, sto lat. Niech żyje, żyje nam. Sto lat, sto lat. Niech żyje, żyje nam. Jeszcze 13 raz, jeszcze raz, niech żyje, żyje nam. (Eva nimmt Sto Lat auf) Man hat mich nicht erkannt. Man hat mich nicht verstanden. Man hat mich nichts gefragt. Kein Mensch weiß mehr, mit wem er es zu tun hat. Die Erde ist eine dünne Kruste. Das sind nicht meine Worte, wie sollte ich Ihnen etwas vormachen, die Sie hier öfters herkommen. Ich habe Worte ausprobiert, eigene und fremde, um zu sehen, ob sie bloß Luftwurzeln schlagen oder ob sich mit ihnen etwas rechtes begründen ließe. Das ist nun vorbei. Ich verbitte mir jedes Mitleid. Man schließe einen Blick in sich selbst; man setze alles, was man weiß, als wüsste man es nicht, bei Seite; auf einmal ist man in einer undurchdringlichen Nacht. Musik 13: Instrumental leise, Marlene Dietrich-Lied von Eva und Benjamin Wissen Sie, wer ich bin? Ich bin ein Mädchen in einem hübschen Kleid, das eine Uniform ist. Ich bin schon verflucht alt dafür, dass ich noch so jung bin. Ich muss mir das nicht gefallen lassen. Ich muss mir nichts gefallen lassen. Ich muss nur gefallen, sonst nichts. Und ich versuche diesem Bild Rechnung zu tragen. Ich gebe zu, es handelt sich um ein Bild, das sich ein alter versoffener Mann ausgedacht hat, der immer zu viel gefressen und zu viele Glücksspiele gespielt hat. Ein aufgeschwemmter Typ, hässlich irgendwie. Ein bemitleidenswerter Kerl. Einsam stand er in den Casinos in Breslau am Spieltisch, mit den Soldaten hat er gesoffen und sein letztes Hemd verspielt. Er wollte in die Welt hinaus und ist doch nicht viel weiter gekommen als Braunschweig. Ich weiß nicht, wer von ihnen schon mal in Braunschweig war? In Polen war er für einige Jahre, aber darüber ist so gut wie nichts bekannt. Chor hilft Merle beim Kleid-Ausziehen. (Live-Kamera). Chor hebt Merle hoch. Musik 15: Klarinetten-Solo Messiaen von der Galerie Carsten. Chor trägt Merle um die Mauer herum und legt sie in der Wanne ab. Merle (mit Mikro): Wenn wir entflammt sind, wenn wir brennen, wenn es uns die Sprache verschlägt, wenn wir dann umfallen wie Steine, bringt man uns 14 weg. Als wären wir Verrückte, bringt man alles, was nicht mehr spricht, weg, was nicht mehr schlägt, weg. Wenn die Körper nicht das Blut durch ihre Adern pumpen, werden sie verpackt und an einen Ort gebracht, in eine Klinik, auf einen Friedhof, wo wir nicht sehen, wie sie weiter werden. Weil wir nicht reingucken wollen, in die Kanalisation. Mein Herz, es ist ein Stein. Und es schlägt nur für mich. Da sind wir, auf dem Friedhof, wo wir nie hin wollten. Das sind die Gefühle. Die Liebe und der Tod, das sind die Steine, nicht dieser Körper. Und wir können niemanden, auch uns selbst nicht davon überzeugen, dass hier eine Verwechslung vorliegt, wenn wir erzählen, dass wir uns da verstehen würden. Die Sprache des Herzens ist ein unverständliches Kauderwelsch, das wir uns niemals einander ablauschen werden. 9. Vision 2.5: Das Objekt der Liebe/der Sehnsucht Musik 16: evt. Sound-Impro Vision 3 TEMPELHERR in Gold: Des Menschen Hirn fasst so Unendlich viel; und ist doch manchmal auch So plötzlich voll! Von einer Kleinigkeit So plötzlich voll! – Taugt nichts, taugt nichts.; es sei Auch voll wovon es will. - Doch nur Geduld! Die Seele wirkt den aufgedunsnen Stoff Bald ineinander, schafft Raum, und Licht Und Ordnung kommen wieder. Lieb ich denn Zum ersten Male? Oder war, was ich Als Liebe kenne, Liebe nicht? - Ist Liebe Nur, was ich itzt empfinde? Wenn ich sie 15 sonder alles das mir denke, was Allein ihr so ein Jude geben konnte: Sprich, Herz, was wär an ihr, das dir gefiel? Nichts! Wenig! Selbst ihr Lächeln, wär es nichts als sanfte schöne Zuckung ihrer Muskeln! Wär, was sie lächeln macht, des Reizes unwert, In den es sich auf ihren Munde kleidet? Nein, selbst Ihr Lächeln nicht! Ich hab es ja Wohl schöner noch an Aberwitz, an Tand, an Höhnerei, an Schmeichler und an Buhler, Verschwenden sehn! Hat's mich da auch bezaubert? Hat's da mir auch den Wunsch entlockt, mein Leben In seinem Sonnenscheine zu verflattern? Ich wüsste nicht. Was hab ich Querkopf nun gestiftet! Dass ein einz'ger Funken dieser Leidenschaft Doch unsers Hirns so viel verbrennen kann! Ich müsste sie auf immer immer sehen können. Ich beschwör dich bei den ersten Banden der Natur Stoß mich nicht von dir. 10. Sittah. Kapitel VI: Chor und Recha, Zurichtung zur Puppe (3, leise, erotisch, die Hexen von Macbeth) Was freu ich mich nicht deiner, süßes Mädchen! • Sei so beklemmt nur nicht! so angst! so schüchtern! • Sei munter! ’ sei gesprächiger! vertrauter! Recha. Prinzessin…. Sittah. (8, beleidigt, spitz, laut) Nicht doch! nicht Prinzessin! • (3) Nenn Mich deine Freundin, deine Schwester • 16 Nenn mich dein Mütterchen! • Ich könnte das Ja schier auch sein. • So jung! • so klug! • so fromm! • Was du nicht alles weißt! ’ nicht alles mußt Gelesen haben! Recha. Ich gelesen?—, Du spottest deiner kleinen albern Schwester. Ich kann kaum lesen. Sittah. (8, spitz) Kannst kaum? • (3) Lügnerin! Recha. Ein wenig meines Vaters Hand!—Ich meinte, Du sprächst von Büchern. Sittah. Allerdings! ’ von Büchern. Recha. Nun, Bücher wird mir wahrlich schwer zu lesen! Sittah. Im Ernst? Recha. In ganzem Ernst. Mein Vater liebt Die kalte Buchgelehrsamkeit, die sich Mit toten Zeichen ins Gehirn nur drückt, Zu wenig. Sittah. Ei, was sagst du! • Hat indes Wohl nicht sehr unrecht! • Und so manches, was Du weißt…? Recha. Weiß ich allein aus seinem Munde Und könnte bei dem meisten dir noch sagen, Wie? wo? warum? er mich's gelehrt. 17 Sittah. (7, schnell) So hängt Sich freilich alles besser an. ’ (3) So lernt Mit eins die ganze Seele.— Recha. Sicher hast Auch du wenig oder nichts gelesen! Sittah. (spitz, kurz) Wieso? • (langsamer) Ich bin nicht stolz aufs Gegenteil. • Allein • (spitz) wieso? • (laut, direkt) Dein Grund! Sprich! Dein Grund? Recha. Du bist so schlecht und recht; so unverkünstelt; So ganz dir selbst nur ähnlich… Sittah. Nun? Recha. Das sollen Die Bücher uns nur selten lassen! sagt Mein Vater. Sittah. O was ist dein Vater für Ein Mann! Recha. Nicht wahr? Sittah. Wie nah er immer doch Zum Ziele trifft! Recha. Nicht wahr?—Und diesen Vater— 18 Sittah. Was ist dir, Liebe? Recha. Diesen Vater— Sittah. Gott! • Du weinst? Recha. Und diesen Vater—Ah! es muß Heraus! Mein Herz will Luft, will Luft… Diesen Vater soll— Soll ich verlieren! Sittah. Wer kann das? ’ kann das auch nur wollen, Liebe? Komm doch zu dir, Kind! Zug für das Kleid kommt herunter. Unterkleid wird hochgezogen. Merle geht auf die andere Seite zur Chaiselongue. Musiker beginnen Musik 17: Bregovic Mesecina. Merle macht sich zur Puppe. Chor spricht parallel dazu: CHOR (8, Geschenke unterm Weihnachtsbaum, hohe Energie, staunend und unnachgiebig, langer erster Bogen) O, alles herrlich! alles auserlesen! • O, alles • wie nur Ihr es geben könnt. • Wo wird der Silberstoff mit goldnen Ranken Gemacht? • Was kostet er? • Das nenn' ich noch Ein Brautkleid! Keine Königin verlangt Es besser. • Dieser Stoff und kein andrer muß es sein! • Er ist Zum Brautkleid wie bestellt. • (3, langsamer, schwärmend) Der weiße Grund; Ein Bild der Unschuld: • und die goldnen Ströme ’ Die aller Orten diesen Grund durchschlängeln; ’ 19 Ein Bild des Reichtums. ’ (7, deutlich) Seht Ihr? • Allerliebst! • (2, unnachgiebig) Schwört mir, o Recha, ’ von dieser einzigen Gelegenheit, ’ dergleichen Euch der Himmel Nicht zweimal schicken wird, • Gebrauch zu machen. • (3. lieb, klebrig, über den Kopf streichelnd) Ich möchte dich nicht anders, als du bist: Auch wenn ich wüsste, • dass in deiner Seele Ganz etwas anders noch sich rege. • Was auch in deinem Innern vorgeht, ist • (drei Schläge, 7) Natur und Unschuld. • (3) Lass es keine Sorge Dir machen. • Mir macht es keine. • (drohend) Nur • versprich mir: • wenn dein Herz vernehmlicher sich einst erklärt, • mir seiner Wünsche keinen zu bergen. • (butterweich) Du Mädchen, ganz Gefühl... Musik 17: Bregovic Mesecina geht weiter. Kamera auf Merle: Merle: Mein Name ist Miss Sara Sampson. Geliebter, ach, könnte ich Ihnen nur halb so lebhaft die Schrecken meiner vorigen Nacht erzählen, als ich sie gefühlt habe!— Von Weinen und Klagen, meinen einzigen Beschäftigungen, ermüdet, sank ich mit halb geschlossenen Augenlidern auf das Bett zurück. Die Natur wollte sich einen Augenblick erholen, neue Tränen zu sammeln. Aber noch schlief ich nicht ganz, als ich mich auf einmal an dem schroffsten Teile des schrecklichsten Felsen sah. Sie gingen vor mir her, und ich folgte Ihnen mit schwankenden ängstlichen Schritten, die dann und wann ein Blick stärkte, welchen Sie auf mich zurückwarfen. Schnell hörte ich hinter mir ein freundliches Rufen, welches mir stillzustehen befahl. Es war der Ton meines Vaters—Ich Elende! kann ich denn nichts von ihm vergessen? Indem ich mich nach der bekannten Stimme umsehen wollte, gleitete mein Fuß; ich wankte 20 und sollte eben in den Abgrund herabstürzen, als ich mich, noch zur rechten Zeit, von einer mir ähnlichen Person zurückgehalten fühlte. Schon wollte ich ihr den feurigsten Dank abstatten, als sie einen Dolch aus dem Busen zog. Ich rettete dich, schrie sie, um dich zu verderben! Sie holte mit der bewaffneten Hand aus—und ach! ich erwachte mit dem Stiche. Wachend fühlte ich noch alles, was ein tödlicher Stich Schmerzhaftes haben kann; ohne das zu empfinden, was er Angenehmes haben muß: das Ende der Pein in dem Ende des Lebens hoffen zu dürfen. Merle geht zur Box, Steigerung Bregovic: Hauptthema, Folie ausziehen, Wasser trinken, Bregovic unter folgendem Text: Merle: Dieser Körper hier, der hat ständig irgendwelche Macken, dass man es ihm nie recht machen kann. Dabei ist er so schön. Aber irgendwas ist immer. Mal ist er müde, dann hungrig, dann wieder ganz aufgedreht, das Knie juckt, obwohl man gerade dieses sehr hübsche Kleid mit dem furchtbar unpraktischen Reifrock angezogen hat. Dann läuft die Nase, der Darm rumort und bläht sich auf, bis das Kleid spannt und man diese sehr gut geschnürte Korsage noch enger schnüren muss, und dann sind die Füße total kalt in diesen sehr hübschen Schuhen, die aber leider kein warmes Innenfutter haben. Ich wünsche mir ein Innenfutter für meine Pumps, auf der Stelle. Aber bloß nicht aus Bärenfell. Ich bin nämlich absolut gegen die Verwendung von Tierfellen. Da kann ich geradezu militant werden. Es darf aussehen wie echtes Fell, aber ohne tierische Zusatzstoffe. Sonst hab ich keine Freude dran, weißt du? Wo war ich jetzt gleich noch mal stehen geblieben? Ach ja, beim Körper. Na, ich will doch mal sehen, dass ich den auf Vordermann bringe. Von außen ist er ja sehr schön anzusehen, sagt meine Agentin immer, also, sie sagt immer: „Du bist nicht so ganz klassisch schön, sondern ein bisschen kantig schön, das verkauft sich aber hervorragend, besser als ganz klassisch, weil das nicht langweilig wird, sondern eine ganze Palette von Bildern abdeckt.“ Aber das alleine reicht nicht aus. Dieser Körper muss noch besser funktionieren. Ich bin ja bereits alt, weil ich doch weiß, dass ich jung bin. Daher muss ich von dieser Bewährungszeit profitieren und die paar rationalen Exzesse begehen, 21 die paar Abenteuer erleben, die für mein Alter vorgesehen sind, bevor meine Jugendlichkeit verwelkt. Ich fände es übrigens toll, wenn alle Menschen schön wären. Kann mir bitte die Technik mein Trainings-Pferd herein bringen? Danke! Und, Musik bitte! Musik stoppt. Lothar klingelt bei Merle. Merle: Wer ist da? Lothar: Der Bürgerchor aus der Nachbarschaft. Merle: Ist gerade ganz schlecht. Lothar: Ich bringe ein kleines Oster-Präsent von den Mädels. Darf ich kurz reinkommen? Merle: Das ist sehr reizend, aber gerade passt es nicht so gut. Ich hatte einen ziemlich turbulenten Tag. Ich bin aus einem Stück abgehauen und... Ach, egal, komm rein. Der Chor kommt geschlossen in die Box. Merle sitzt auf der Toilette. Dosenlachen, Luftschlangen und Konfetti, Party: Musik 18: Schostakowitsch-Walzer Chor tanzt aus der Box in den Raum, nach und nach Hasen-Masken holen. Merle in der Box ins Mikro: Ein Tanzbär war der Kett entrissen, Kam wieder in den Wald zurück und tanzte seiner Schar ein Meisterstück auf den gewohnten Hinterfüßen... „Seht“, schrie tanzend der Bär, 22 „das ist Kunst; das lernt man in der Welt. Tut mir es nach, wenns euch gefällt, und wenn ihr könnt!“ 11. Kapitel VII: Breslau zwischen Krieg und Spiel => Chor: von Walzer zu Kriegs- und Spiellandschaft Chor beginnt zu tanzen, das geht eine Weile zu Schostakowitsch-Walzer. In den Schostakowitsch-Walzer: Sprecher: Meine Damen und Herren, faites vos jeux! Machen Sie Ihr Spiel! Die Einsätze gehen an die Bank. Aufruf an die Grenadiere des 3. Infanterie-Regiments von General Braunschweig-Bevern: Bringen Sie sich für die Kanonade auf Breslau in Stellung! Die Österreicher sind mit Haubitzen bis zur Stadtmauer vorgedrungen. Gegenschlag um Mitternacht. Merle (im Gold-Anzug in den Raum kommend ins Mikro): Guten Abend. Herzlich Willkommen. Sehen Sie hier, meine Damen und Herren, das Deutsche Nationaltheater, geht aufrecht, hat Rock und Hosen, hat einen Säbel! Der Has' ist Soldat, ist noch nit viel, ist unterste Stufe von menschliche Geschlecht! Sprecher: Ich bitte den Chor der Zaubermädchen, sich für das Finale des 2. Aufzugs „Untergang des Zaubergartens“ bereitzuhalten. Der Untergang steht bevor. Chor setzt Masken auf. Schostakowitsch-Walzer geht über in KagelMarsch: Musik 19 Kagel-Marsch 6 Chor stellt sich um die Wand herum auf. Merle marschiert, tanzt, raucht auf der Schräge. 23 Merle: Zwischen Berg und tiefem, tiefem Tal Saßen einst zwei Hasen, Fraßen ab das grüne, grüne Gras Fraßen ab das grüne, grüne Gras Bis auf den Rasen. Als sie sich nun satt gefressen hatten Setzten sie sich nieder. Bis daß der Jäger, Jäger kam, Bis daß der Jäger, Jäger kam, Und schoß sie nieder. Meine Damen und Herren! Machen Sie Ihre Einsätze! Das Sterben beginnt! Es ist sehr freundlich, dass Sie heute Abend hier erschienen sind. In diesem Raum liegt etwas in der Luft. Können Sie es fühlen? Ist es ein Flirt? Ein Vertrag? Ein Geschäft? Eine Projektion? Ein Wunder? Musik stoppt. Einzelsprecher im Chor sprechen folgende Sätze ohne Musik: Chorsprecher 1: Hier! Hier war das Tosen! Chorsprecher 2: Waffen! Wilde Rüfe! Chorsprecher 3: Mein Geliebter verwundet! Chorsprecher 4: Wo finde ich den meinen? Chorsprecher 5: Ich erwachte alleine. Chorsprecher 6: Wohin entflohen sie? Chorsprecher 7: Wo ist mein Geliebter? Chorsprecher 8: Wo finde ich den meinen? Chorsprecher 9: Wo sind unsere Liebsten? Wir sahen sie mit blutender Wunde. Chorsprecher 10: Noch blutet die Waffe. ALLE: Wir spielen nicht um Gold! Wir spielen nicht um Gold! Wir spielen nicht 24 um Gold! Musik 20: Kagel-Marsch 9 Musik Lessing-Porträt 2 (Müller) zu langsamem Kagel-Marsch / Der Chor sinkt runter und setzt sich um die Mauer herum – Live-Kamera. Merle auf der Schräge. Ich bin 47 Jahre alt. Ich habe ein/zwei Dutzend Puppen mit Sägemehl gestopft, das mein Blut war, einen Traum vom Theater in Deutschland geträumt und öffentlich über Dinge nachgedacht, die mich nicht interessierten. Das ist nun vorbei. Gestern habe ich auf meiner Haut einen toten Fleck gesehen, ein Stück Wüste: das Sterben beginnt. Beziehungsweise: es wird schneller. Übrigens bin ich damit einverstanden. Ein Leben ist genug. Ich habe ein neues Zeitalter nach dem andern heraufkommen sehn, aus allen Poren Blut Kot Schweiß triefend jedes. Die Geschichte reitet auf toten Gäulen ins Ziel. 30 Jahre lang habe ich versucht, mit Worten mich aus dem Abgrund zu halten, brustkrank vom Staub der Archive und von der Asche, die aus den Büchern weht, gewürgt von meinem wachsenden Ekel an der Literatur, verbrannt von meiner immer heftigeren Sehnsucht nach Schweigen. Ich habe die Taubstummen um ihre Stille beneidet im Geschwätz der Akademien. Ich fange an, meinen Text zu vergessen. Ich bin ein Sieb. Immer mehr Worte fallen hindurch. Bald werde ich keine andere Stimme mehr hören als meine Stimme, die nach vergessenen Worten fragt. Das sind meine Freunde. Seit einiger Zeit fange ich an, ihre Namen zu vergessen. Vergessen ist Weisheit. Am schnellsten vergessen die Götter. Schlafen ist gut. Merle kommt von der Schräge runter. Auf Anschluss: Musik 21: Marlene Dietrich nur mit Akkordeon Merle singt Marlene Dietrich „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ 25 Man hat uns nicht gefragt, als wir noch kein Gesicht, ob wir leben wollen, oder lieber nicht. Jetzt gehe ich allein, durch eine große Stadt, und ich weiß nicht, ob sie mich lieb hat? Dann schau ich in die Stuben, durch Tür und Fensterglas, und ich warte, und ich warte, auf etwas. Wenn ich mir was wünschen dürfte, käm ich in Verlegenheit, was ich mir denn wünschen sollte, eine schlimme, oder gute Zeit? Wenn ich mir was wünschen dürfte, möcht' ich etwas glücklich sein, denn wenn ich gar zu glücklich wär', hätt' ich Heimweh nach dem Traurigsein. Menschenskind, warum glaubst du bloß, gerade dein Leid, dein Schmerz, wären riesengroß, Wünsch dir nichts! 26 Dummes Menschenkind, Wünsche sind nur schön, solang sie unerfüllbar sind. Musik 22: Akkordeon-Solo während der Kamerafahrt 12. Kapitel VIII: Nur keine Leere aufkommen lassen => Kamera- Fahrt durch Schlaflandschaft Merle (kommt im grünen Kleid in den Raum): Nur keine Leere aufkommen lassen. Das ist das Land der Wunder. Das ist das Haus der Freude. Das ist die Landschaft des Wunsches. Jetzt habe ich Wunsch gesagt, und Sie haben wieder nur Tausch gehört. Aber das ist ja das ganze Problem: dass wir alles vertauschen, dass wir die Dinge beim Namen nennen und damit nichts erfassen. Dass wir einander die Wünsche ablauschen wollen, aber die Namen sind alle so mickrig, die verraten uns nichts über die Wünsche. Und dann ist da immer wieder diese Leere, die bloß nicht aufkommen darf. Diese Leere, die da ist, weil alles so voll ist von den leuchtenden Bildern und leeren Namen und toten Waren, die die riesigen Galerien füllen. Das ist nicht zu ertragen, dass es da immer schon so voll ist, wo doch eigentlich alles leer ist. Die Bilder sind uns völlig unverständlich. Was soll denn das sein, was die Bilder sagen? Sie sagen ja gar nichts, sie zeigen doch bloß. Sie sind einfach da, ohne Grund. Wir sind da, ohne Grund. Und wenn er nun gekommen, dieser Augenblick... Was dann? Was dann? Nur keine Leere aufkommen lassen, hat eine Kaufhausstimme neulich zu mir gesagt. Ein Kaufhaus, sagte sie, das ist das Größte, was man sich vorstellen kann. Wieviel es braucht, bis ein Kaufhaus an der Stelle entsteht, an der vorher nichts war, ist unvorstellbar. Ein echtes Wunder. Es braucht alles, was wir heute sind, alles, was wir heute können, alles, was wir heute haben. Hier und jetzt! Und was kann ich sein in diesem alles, hier und jetzt, habe ich die Kaufhausstimme gefragt. Und sie hat mir geantwortet: Du bist die Ware, die nicht verbrannt werden darf, ein Junges Mädchen in einem sehr hübschen Kleid, das ihm ausgezeichnet steht. Drei 27 Jahrtausende und Milliarden von Existenzen waren nötig, um dich zu erschaffen, um das alles hier zu erschaffen. Das hier wurde spätestens am 31. März 2012 erschaffen. Aber das kann doch nicht alles sein. Das reicht mir einfach nicht, das reicht mir nicht. Wir müssen das alles wieder neu erfinden, um zu sehen, was da unterwegs liegen geblieben ist, aus Erschöpfung, aus Angst. (Chor geht auf Position um die Kiste herum. Merle geht auf Schräge.) Denn wir erzählen immer falsch. Und wie es wirklich gewesen ist, das ist irgendwie nicht mehr zu ergründen. Das weiß keiner mehr. Dass etwas war, das wissen wir. Aber wie war das noch mal genau? Wie war denn das noch mal, als damals das Haus brannte und ich plötzlich im vierten Stock zitternd in der Regenrinne stand? Wie bin ich da noch mal hingekommen? Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur, die Worte, die können das gar nicht: Etwas erinnern, eine Zeit heraufbeschwören, einen Wunsch ausdrücken. Ein Wunsch ist keine Orange. Wir sprechen nur, damit man uns ansieht. Aber Sätze sind doch keine Augen. Wir müssen die Worte neu erfinden, damit sie etwas zu sagen haben. Damit sie davon berichten können, wo die Körper überall gewesen sind. Dieser Körper hier, wo der schon überall gewesen ist. Unvorstellbare Orte. Aber das reicht mir nicht, das reicht mir einfach nicht. Neulich waren wir auf dem Dach dieses Gebäudes, mit Blick aufs U, um in der Probenpause eine Zigarette zu rauchen. Der Himmel war leer, hin und wieder brach die Sonne durch die Wolken. Und beim Rückweg durch die Flure hörte ich hinter mir eine Stimme ausrufen... Sprecher: Nur keine Leere aufkommen lassen. Merle: ...während vor mir etwas aufleuchtete. Kennen Sie das auch: Je näher man ein Bild ansieht, desto ferner sieht es zurück? 13. Vision 4: Nathan/Hiob Musik 23: Sound-Impro Vision 4 28 NATHAN Ein Reitknecht hat vor achtzehn Jahren mir ein Töchterchen gebracht von wenig Wochen. Weil die Mutter kurz vorher gestorben war; und sich der Vater nach mein ich Gaza plötzlich werfen musste, wohin das Würmchen ihm nicht folgen konnte. Ihr wisst wohl aber nicht, dass wenig Tage Zuvor in Gath die Christen alle Juden Mit Weib und Kind ermordet hatten, wisst wohl nicht, dass unter diesen meine Frau CHOR (7, nachdrücklich) Mit sieben hoffnungsvollen Söhnen NATHAN sich befunden, die in meines Bruders Hause zu dem ich sie geflüchtet, insgesamt verbrennen müssen CHOR (10) Verbrannt! • Verbrannt! • Verbrannt! NATHAN Ich hab drei Tag und Nächt in Asch Und Staub vor Gott gelegen, und geweint – CHOR (6, leicht vorwurfsvoll) Geweint? • Beiher mit Gott auch wohl gerechtet, • Gezürnt, getobt, dich und die Welt verwünscht, 29 NATHAN Der Christenheit den unversöhnlichsten Hass zugeschworen Doch nun kam die Vernunft allmählich wieder Sie sprach mit sanfter Stimm: RECHA (mit leerer Stimme, Erinnerung des Traumas) und doch ist Gott! Steh auf. NATHAN Ich stand und rief zu Gott: Ich will! Willst du nur dass ich will! Indem steigt just ein Klosterbruder vom Pferd und überreichte mir das Kind In einen Mantel eingehüllt Ich nahm das Kind, trugs auf mein Lager RECHA Er nahm das Kind, trugs auf sein Lager NATHAN Küßt es, warf mich auf die Knie und schluchzte: Gott! Auf sieben Doch nun schon Eines wieder. RECHA Auf sieben, Doch nun schon eines wieder. RECHA Auf sieben, Doch nun schon eines wieder! 30 RECHA (mehrmals) Bin Nathans Tochter nicht; er nicht mein Vater. Wand fährt hoch. Mikros auf der Vorbühne für Chor! 14. Kapitel IX: Nathan-Ende => Merle dirigiert unter der Wand den Chor in der Box Merle dirigiert den Schlusschor: Sprecher: Meine Damen und Herren, damit steuert das Drama seinem Höhepunkt entgegen. Die Ritter in ihren weißen Waffenröcken erscheinen vor der Lichtung. Die Zaubermädchen haben sich im Garten aufgereiht. Auftritt ein Mädchen in einem sehr hübschen Kleid. Erwartet wird der Erlöser. Saladin: Wer? Nathan: Rechas Bruder. Saladin: Rechas Bruder? Nathan: Ja! Recha: Mein Bruder? • So hab’ ich einen • Bruder? Tempelherr: Wo? • Wo ist er, dieser Bruder? Noch nicht hier? • Ich sollt’ ihn hier ja treffen. Nathan: Nur Geduld! • Tempelherr: Er hat ihr einen Vater aufgebunden ‘ wird Er keinen Bruder für sie finden? Sprecher: Jetzt herrscht Verwirrung. Wer ist der Erlöser? Tempelherr: Wer bin ich denn? (geflüstert) Nathan: Heißt Curd von Stauffen • nicht! Tempelherr: Wie heiß ich denn? 31 Nathan: Heißt • Leu von Filnek. Tempelherr: Wie? Recha: Wie? Saladin: Wie? Nathan: Wie? Alle: Wie? Nathan: Ihr stutzt? Tempelherr: Mit Recht! • Wer sagt das? Nathan: Ich • der mehr ’ noch mehr Euch sagen kann. Sprecher: Dann sag es doch. Kein Mensch weiß mehr, mit wem er es zu tun hat. Nathan: Eure Mutter die war eine Stauffin • Ihr Bruder, Euer Ohm, der Euch erzogen • dem Eure Eltern Euch in Deutschland ließen ’ als von dem rauen Himmel dort vertrieben, Sie wieder hierzulande kamen: • Der hieß Curd von Stauffen. Tempelherr: Was soll ich sagen? Nathan! Allerdings! So ist’s! Er selbst ist tot. • Aber • aber • Was hat • mit diesem allen • Rechas Bruder zu schaffen? Recha: Ja, mein Bruder! Saladin: Ja ’ ihr Bruder! Alle: Ihr Bruder Nathan: Seid Ihr! Sprecher: Atemlose Spannung vor dem Finish des Zweiten Aufzugs. Wird die Weltfamilie im schlafenden Deutschland, aus dem wir Ihnen diese Stimmen heraufholen, wieder zusammenfinden und ihre Wunde schließen? Tempelherr: Ich? • Ich ihr Bruder? Recha: Er mein Bruder? Saladin: Geschwister! 32 Recha: (zu Nathan) Kann nicht sein! Nicht sein! Sein Herz • weiß nichts davon! Wir sind Betrüger! • Gott! Saladin: (zum Tempelherren) Betrüger? ’ Wie? ’ Das denkst Du? • Kannst du denken? • Betrüger selbst! ’ Denn alles ist erlogen an dir: • Gesicht und Stimm’ und Gang! • So eine Schwester nicht erkennen wollen! Tempelherr: Ah! • Meine Schwester! ’ Meine Schwester! Nathan: Blanda von Filnek. Tempelherr: Blanda? • Blanda? Saladin: Blanda? Recha: Blanda? Alle: Blanda! Sprecher: Meine Damen und Herren, sehen Sie das Mädchen auf der Lichtung: Sein Name ist Hase, es weiß Bescheid. Das Ende ist unvermeidlich, denn so steht es geschrieben. Saladin: Sie sind’s! Sie sind es, sind’s! Seid beide meines Bruder’s Kinder! Tempelherr: Ich deines Bluts! • So waren jene Träume ’ womit man meine Kindheit wiegte, doch ’ Doch mehr als Träume! Saladin: Seht den Bösewicht! • Er wusste was davon, und konnte mich zu seinem Mörder machen wollen • Wart! Nathan: Zum Mörder machen wollen! Recha: Zum Mörder? Saladin: Zum Mörder? Nathan: Mörder! Alle: Mörder, Mörder, Mörder ... Box fährt Nathan nach unten, Mauer geht runter. Saladin und Tempelherr gehen durch die Seiten in den Zuschauerraum. 33 Musik 24: Parsifal-Zitat beginnt in dem Sprechertexten, steigert sich bis Ende Box fährt runter. Sprecher: Wie durch ein Erdbeben versinkt das Schloss; der Garten verdorrt zur Einöde: die Mädchen liegen als verwelkte Blumen am Boden. Das Junge Mädchen verlässt die Lichtung. Die Erlösung ist aufgeschoben. Deutschland schläft noch immer. In den Schlaf mischen sich Bilder eines wirren Traums. Die Nacht ist unruhig. Bald wird es aufwachen. Nach einer Pause von fünf Minuten beginnen wir mit dem dritten Aufzug. Musik 25: Solo auf Eisernem Vorhang beginnt aus Parsifal heraus Merle geht mit rosa Pferd und Hase zum Eisernen Vorhang, wo ihre Box verschwunden ist. Carsten spielt das Solo auf dem Eisernen Vorhang zu Ende und geht ab, wenn dieser sich hebt. Merle stellt den Sound vom Pferd an. Chor, Bär und Musiker sitzen im Zuschauerraum. Merle steht mit Pferd und Hasen einen Moment lang auf der Bühne im Dosen-Applaus des Hörspiels (Lynch). Dann stellt sie das Pferd in die Mitte der Bühnenrampe und setzt sich in den Zuschauerraum. Hörspieltext beginnt. Mein Name ist Gotthold Ephraim Lessing. Ich bin 283 Jahre alt. Ich bin wahrlich nur eine Mühle, und kein Riese. Da stehe ich auf meinem Platze, auf einem Sandhügel allein, und komme zu niemandem, und helfe niemandem, und lasse mir von niemandem helfen. Ich habe mit dem Glück der Welt nichts zu schaffen, man verschone mich mit Berichten über ihr Unglück. Wen meine Flügel in die Luft schleudern, der hat es sich selbst zuzuschreiben: auch kann ich ihn nicht sanfter niedersetzen, als er fällt. Er fällt auf eigene Kosten. (Dosenlachen Lynch) Vater, es ist Zeit. Es warten schon alle. 34 Hinter mir schwemmt Vergangenheit an, Geröll, mit Lärm wie von begrabnen Trommeln. Da stehe ich auf dem allzu schnell verschütteten Stehplatz. Ich werde warten, bis das erneute Rauschen der Flügelschläge sich in Wellen durch den Stein fortpflanzt und meinen Flug anzeigt. (Applaus) Vater, geht es bald los? Alle warten. Ich hoffe im Übrigen, das wird kein Hoppel-Poppel wie beim letzten Mal. Wir sind hier in der Tragödie. Bugs Bunny-Song. Der rote Vorhang schließt sich. Ende. 35