Autor: Breuer

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Autor:
Winter/Harbarth
Hommelhoff/Hopt/v. Werder: Handbuch Corporate Governance
Beitrag:
24. Corporate Governance und Unternehmensübernahmen: Anforderungen an das
Verhalten von Vorstand und Aufsichtsrat des Bieters und der Zielgesellschaft
Datei:
HCG24win.doc
1
Corporate Governance und Unternehmensübernahmen: Anforderungen an
das Verhalten von Vorstand und Aufsichtsrat des Bieters und der
Zielgesellschaft
A.
Einführung
Im Zusammenhang mit der in den vergangenen Jahren gewachsenen praktischen Bedeutung von
Unternehmensübernahmen sind die Verhaltenspflichten von Vorstand und Aufsichtsrat der beteiligten
Gesellschaften zunehmend stärker in den Fokus der wissenschaftlichen Diskussion gerückt. Der
Schwerpunkt der Betrachtung lag dabei weniger auf der Analyse der Verhaltenspflichten der Organe des
Bieters (dazu B.) als vielmehr auf jener der Verhaltenspflichten der Organe der Zielgesellschaft (dazu
C.).
Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von
Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen (WpÜG) am 1. Januar 2002 konnten die
Verhaltenspflichten der Organe von an Übernahmen beteiligten Gesellschaften nur aus allgemeinen
gesellschaftsrechtlichen Vorgaben abgeleitet werden. Die im vormals geltenden freiwilligen
Übernahmekodex1 von der Börsensachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen
verfasste Empfehlung von Verhaltensnormen für die an öffentlichen Übernahmeangeboten beteiligten
Parteien hatte keine gesetzesähnliche Bindungswirkung und erlangte, da der Übernahmekodex von
zahlreichen Unternehmen nicht anerkannt wurde und Verstöße gegen ihn letztlich sanktionslos waren,
keine vergleichbare Bedeutung wie Selbstregulierungen in anderen Ländern, etwa der City Code on
Takeovers and Mergers in Großbritannien2. Nach Inkrafttreten des WpÜG haben sich die Organe von an
Übernahmen beteiligten Gesellschaften nunmehr an den Vorgaben des WpÜG zu orientieren. Dies gilt
insbesondere im Hinblick auf die Zielgesellschaft, deren Vorstand und Aufsichtsrat durch §§ 27, 33
WpÜG gebunden werden.
B.
Verhaltenspflichten von Vorstand und Aufsichtsrat des Bieters
Im Rahmen der Analyse der Verhaltenspflichten von Vorstand und Aufsichtsrat des Bieters soll im
Folgenden zunächst der Ablauf eines Angebots nach dem WpÜG kurz skizziert werden (dazu I.). Sodann
ist die innergesellschaftliche Zuständigkeitsverteilung näher zu untersuchen (dazu II.). Im Anschluss an
eine Betrachtung der Geheimhaltungspflichten im Zusammenhang mit der Abgabe eines
Übernahmeangebots (dazu III.) soll auf die Fragenkreise der Due Diligence und der organschaftlichen
Pflichten bei der Entscheidung über die Höhe der gebotenen Gegenleistung eingegangen werden, denen
in der Praxis im Rahmen der Vorbereitung der Abgabe von Übernahmeangeboten erhebliche Bedeutung
zukommt (dazu IV.). Sodann ist kurz abschließend zum Verbot der Vorteilsgewährung gemäß § 33
Abs. 3 WpÜG Stellung zu nehmen (dazu V.).
I.
Ablauf des Angebots nach WpÜG
Nach der gesetzlichen Konzeption des WpÜG erfolgt die Abgabe eines Übernahmeangebots in mehreren
Schritten, zu deren Beachtung die Organe der Bietergesellschaft dieser gegenüber im Innenverhältnis
1
Vgl. den Abdruck des Übernahmekodex in seiner seit dem 1. Januar 1995 geltenden Fassung in: Zeitschrift für
Wirtschaftsrecht, 16, Jg. 1995, S. 1467 ff.; die seit dem 1. Januar 1998 geltende revidierte Fassung findet sich abgedruckt in:
Die Aktiengesellschaft, 43. Jg. 1998, S. 133 ff.
2
Näher zum Übernahmekodex Hopt, Übernahmerecht, S. 393 ff.; Thoma, Übernahmekodex, S. 1725; ausführlich zu den
Funktionsdefiziten Kirchner/Ehricke, Funktionsdefizite, S. 105.
2
verpflichtet sind3. Entschließt sich der Bieter zur Abgabe eines Angebots, hat er zunächst diese
Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 WpÜG unverzüglich zu veröffentlichen. Diese
Veröffentlichungspflicht besteht auch dann, wenn für die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots der
Beschluss der Gesellschafterversammlung des Bieters erforderlich ist und ein solcher Beschluss noch
nicht erfolgt ist (§ 10 Abs. 1 Satz 2 WpÜG); die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
(Bundesanstalt) kann indes eine Veröffentlichung nach dem Beschluss der Gesellschafterversammlung
gestatten, wenn der Bieter durch geeignete Vorkehrungen sicherstellt, dass dadurch Marktverzerrungen
nicht zu befürchten sind (§ 10 Abs. 1 Satz 3 WpÜG). Hat der Bieter das Angebot unter der Bedingung
eines Beschlusses seiner Gesellschafterversammlung abgegeben, so hat er diesen Beschluss
unverzüglich, spätestens bis zum fünften Werktag vor Ablauf der Annahmefrist, herbeizuführen (§ 25
WpÜG).
Gemäß § 13 Abs. 1 WpÜG hat der Bieter sodann und noch vor der Veröffentlichung der
Angebotsunterlage die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass ihm die zur
vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mittel zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs
auf die Gegenleistung zur Verfügung stehen. Sieht das Angebot als Gegenleistung die Zahlung einer
Geldleistung vor, bedarf es einer Finanzierungsbestätigung durch ein unabhängiges
Wertpapierdienstleistungsunternehmen.
Die Angebotsunterlage ist schließlich vom Bieter innerhalb von vier Wochen nach der Veröffentlichung
der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots der Bundesanstalt zu übermitteln (§ 14 Abs. 1 Satz 1
WpÜG). Wenn die Bundesanstalt die Veröffentlichung gestattet hat oder wenn seit dem Eingang der
Angebotsunterlage zehn Werktage verstrichen sind, ohne dass die Bundesanstalt das Angebot untersagt
hat, ist die Angebotsunterlage durch Bekanntgabe im Internet und durch Abdruck in einem
überregionalen Börsenpflichtblatt oder durch Bereithalten zur kostenlosen Ausgabe bei einer geeigneten
Stelle im Inland zu veröffentlichen (§ 14 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 WpÜG).
II.
Zuständigkeitsverteilung
Ist der Bieter – wie dies regelmäßig der Fall ist – eine juristische Person, stellt sich die Frage nach der
gesellschaftsinternen Zuständigkeitsverteilung auf Bieterseite. Auf sie kommt es insbesondere auch für
die Ermittlung des Zeitpunkts an, ab dem von einer Entscheidung i.S.v. § 10 Abs. 1 WpÜG gesprochen
werden kann.
1.
Aktiengesellschaft
a)
Rolle von Vorstand und Aufsichtsrat
Zur Entscheidung über die Abgabe eines Angebots ist, falls der Bieter in der Rechtsform der AG verfasst
ist, gemäß § 76 AktG grundsätzlich der Vorstand als Geschäftsführungsorgan der Aktiengesellschaft
berufen. Allein aus der Tragweite der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots resultiert noch kein
Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Aufsichtsrats; indes wird regelmäßig die Satzung oder die
Geschäftsordnung des Vorstands gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG vorsehen, dass der Erwerb von
Unternehmen oder Anteilen an Unternehmen und damit auch die Entscheidung zur Abgabe eines
Übernahmeangebots der vorherigen Zustimmung des Aufsichtrats unterliegt. In diesen Fällen liegt erst
mit Zustimmung des Aufsichtsrats jener Grad an Konkretheit vor, der die Veröffentlichung der
Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 WpÜG verlangt4. Auch die Maßnahmen gemäß § 13 Abs. 1 WpÜG5
sowie die Übermittlung der Angebotsunterlage fallen in die Kompetenz des Vorstands und bedürfen
daher allenfalls gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG der Zustimmung des Aufsichtsrats.
3
Vgl. Hopt, Grundsatzprobleme, S. 389.
Näher Hirte, WpÜG, § 10 Rdnr. 34 f.
5
Näher zur Finanzierungsbestätigung Berrar, Finanzierungsbestätigung, S. 174 ff.
4
3
b)
Zuständigkeit der Hauptversammlung
Eine Hauptversammlungskompetenz ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn es zur Abgabe eines
Übernahmeangebots einer Änderung des Unternehmensgegenstandes oder des Gesellschaftsziels bedarf.
Dies ist dann der Fall, wenn der Unternehmensgegenstand bzw. das Gesellschaftsziel der
Bietergesellschaft im Widerspruch zum Unternehmensgegenstand bzw. Gesellschaftsziel der
Zielgesellschaft steht6. Darüber hinaus setzt die Abgabe eines Übernahmeangebots voraus, dass die
Satzung der Bietergesellschaft zum Erwerb von Beteiligungen ermächtigt; ohne eine solche
Satzungsklausel ist die Gesellschaft nämlich nur zur unmittelbaren Unternehmensführung berechtigt7.
Sind diese Voraussetzungen für eine Hauptversammlungszuständigkeit nicht erfüllt, stellt sich die Frage,
ob zur Abgabe eines Übernahmeangebots dennoch die Zustimmung der Hauptversammlung der
Bietergesellschaft nach Holzmüller-Grundsätzen8 erforderlich sein kann. Aus ihnen wird im Schrifttum
teilweise eine Zuständigkeit der Hauptversammlung auch für Fälle des Beteiligungserwerbs abgeleitet 9.
Gestützt wird diese Ansicht insbesondere darauf, dass die von der Holzmüller-Entscheidung verlangte
Konzernbildungskontrolle bei der Obergesellschaft unabhängig von der Art und Weise der Entstehung
des Konzerns sei. Es könne keine unterschiedliche Bewertung rechtfertigen, ob der durch eine
Konzernbildung eintretende Mediatisierungseffekt nachträglich im Wege einer Ausgliederung oder
originär durch den Einsatz von Mitteln herbeigeführt werde, die bisher der unmittelbaren Kontrolle durch
die Obergesellschaft unterstanden hätten. Ausnahmen sollten lediglich dann gelten, wenn der
Erwerbsvorgang eine bestimmte Relevanzschwelle, die sogenannte (in ihrem exakten Verlauf
umstrittene) Bagatellgrenze, nicht überschreite10. Die besseren Gründe sprechen indes für die
Gegenauffassung, wonach der bloße Beteiligungserwerb keine Hauptversammlungspflichtigkeit auslöst 11.
Insbesondere kommt es bei einem reinen Beteiligungserwerb nicht zu einer der Ausgliederung
wesentlicher Unternehmensteile vergleichbaren Mediatisierung der Mitverwaltungsrechte der Aktionäre
der Obergesellschaft. Jedenfalls erreicht eine solche Mediatisierung des Aktionärseinflusses aber nicht
das erforderliche Maß, um als „schwerwiegender Eingriff“ in das „rechtliche Substrat der
Mitgliedschaft“ im Sinne der Holzmüller-Rechtsprechung des BGH angesehen zu werden. Dem
Schutzbedürfnis der Aktionäre wird vielmehr mit dem Erfordernis einer satzungsmäßigen Ermächtigung
zum Beteiligungserwerb ausreichend Rechnung getragen. Hinsichtlich der Maßnahmen nach § 13 Abs. 1
WpÜG – sofern diese nicht aus anderen Gründen einen Holzmüller-Fall darstellen (z.B. weil die
erforderlichen Mittel durch die Veräußerung von Unternehmensteilen beschafft werden sollen) – sowie
hinsichtlich der Übermittlung der Angebotsunterlage dürfte eine Hauptversammlungskompetenz
hingegen von vornherein nicht in Betracht kommen.
Angesichts der bestehenden Unsicherheiten bei der Annahme einer Holzmüller-Vorlagepflicht ist der
Vorstand auch dann zur Vorlage an die Hauptversammlung berechtigt, wenn nach den vorstehend
herausgearbeiteten Grundsätzen das Vorliegen eines Holzmüller-Falles zu verneinen ist12. Eine
6
Assmann/Bozenhardt, Übernahmeangebote, S. 61 f.; vgl. auch Tieves, Unternehmensgegenstand, S. 276 f. Erwägenswert
könnte allenfalls sein, ob dem Vorstand eine Akquisition gestattet sein kann, bei der das Erwerbsobjekt von den statutarischen
Vorgaben der Bietergesellschaft nicht gedeckt ist, wenn beabsichtigt ist, den betroffenen Teilbereich nach dem Erwerb
sogleich wieder abzustoßen (vgl. hierzu auch Tieves, Unternehmensgegenstand, S. 278).
7
Krieger, Handbuch GesR, § 69 Rdnr. 4; Rehbinder, Obergesellschaft, S. 92, 96; Wahlers, Konzernbildungskontrolle, S. 139 ff.;
Lutter, Organzuständigkeiten, S. 825, 847 f.; a.A. Götz, Aktionärsrechte, S. 85, 90; Mertens, KölnKomm AktG, § 76 Rdnr. 51.
8
BGHZ 83, 122.
9
Emmerich/Habersack, Konzernrecht, vor § 311 Rdnr. 17 ff.; Emmerich et al., Konzernrecht, S. 126; Wahlers,
Konzernbildungskontrolle, S. 94 ff.
10
Vgl. dazu näher Emmerich/Habersack, Konzernrecht, vor § 311 Rdnr. 18 f. m.w.N.
11
Assmann/Bozenhardt, Übernahmeangebote, S. 1, 62 ff.; Busch, Bedingungen, S. 145, 148; Groß,
Hauptversammlungszuständigkeit, S. 266, 271 ff.; Krieger, Handbuch GesR, § 69 Rdnr. 7.
12
So im Ergebnis auch Hasselbach, WpÜG, § 18 Rdnr. 55. Ob man – wie von Hasselbach angenommen (Hasselbach, WpÜG,
§ 18 Rdnr. 54 f.; ähnlich Geibel, WpÜG, § 18 Rdnr. 19) – die freiwillige Vorlage im Rahmen von § 10 Abs. 1 Satz 2 und 3
WpÜG und § 25 WpÜG nicht generell der obligatorischen gleichstellen sollte, erscheint indes zumindest zweifelhaft.
Jedenfalls wenn man – was insbesondere für die GmbH von Relevanz ist – annimmt, auch eine statutarische Vorlagepflicht
eröffne den Anwendungsbereich der vorerwähnten Vorschriften, erscheint es, haben es die Akteure der Bietergesellschaft
somit auch in solchen Fällen in der Hand, die Anwendbarkeit von § 10 Abs. 1 Satz 2 und 3 WpÜG und § 25 WpÜG zu
begründen, nicht fernliegend, gleiches auch generell bei freiwilliger Vorlage anzunehmen.
4
Unterscheidung zwischen Fällen obligatorischer und freiwilliger Vorlage an die Hauptversammlung ist
abzulehnen, weil eine auch nur einigermaßen trennscharfe Abgrenzung zwischen
hauptversammlungspflichtigen Holzmüller-Konstellationen und Fällen freiwilliger Vorlage an die
Hauptversammlung bis heute nicht gelungen ist. Die wissenschaftliche Diskussion über den HolzmüllerCharakter einer Maßnahme hat sich in den seit Ergehen der Entscheidung verstrichenen zwei Jahrzehnten
weit von der ursprünglich entschiedenen Sachverhaltskonstellation entfernt und zeichnet sich zum einen
durch das Fehlen höchstrichterlicher Entscheidungen zu den diskutierten Problemkreisen, zum anderen
durch ein regelmäßig kontroverses Meinungsbild im Schrifttum aus. Schon der Umstand, dass auch die
Bundesanstalt im Rahmen ihrer Kompetenz nach § 15 WpÜG eine trennscharfe Abgrenzung im
vorgenannten Sinne nicht leisten könnte13, spricht dafür, die freiwillige Vorlage an die
Hauptversammlung der gesetzlich geforderten insoweit gleichzustellen. An der Verpflichtung zur
unverzüglichen Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1
WpÜG ändert das Recht zur freiwilligen Vorlage indes nichts; § 10 Abs. 1 Satz 2 WpÜG14 ist nämlich
auch auf den Fall der freiwilligen Einholung eines Hauptversammlungsbeschlusses in den
vorbezeichneten Fällen entsprechend anzuwenden15. Auch in derartigen Fällen einer freiwilligen
Hauptversammlungsbefassung kann das Angebot unter die Bedingung der Zustimmung durch die
Hauptversammlung gestellt werden; ein Verstoß gegen § 18 WpÜG liegt insoweit nicht vor, weil es sich
im Hinblick auf die Personenverschiedenheit von Bietergesellschaft und Aktionären der
Bietergesellschaft nicht um eine Potestativbedingung handelt16.
2.
GmbH
Die oben angestellten Überlegungen gelten für die AG-Ebene auch dann, wenn das Angebot unmittelbar
nicht durch die AG, sondern – wie in der Praxis vielfach der Fall – durch eine als sog. special purpose
vehicle zwischengeschaltete GmbH abgegeben wird. In solchen Fällen, aber auch dann, wenn die GmbH
nicht lediglich zwischengeschaltetes Instrument, sondern „Urheberin“ des Angebots ist, stellt sich die
weitere Frage nach der innergesellschaftlichen Kompetenzverteilung in der GmbH.
Die Zuständigkeit zur Abgabe des Angebots liegt grundsätzlich bei den Geschäftsführern. Diese haben
indes die Weisungen der Gesellschafterversammlung zu befolgen und können gemäß § 49 Abs. 2
GmbHG zur Vorlage an diese verpflichtet sein17; bei größeren Übernahmen wird mit Blick auf die
Weisungsabhängigkeit der Geschäftsführer von einer Pflicht zur Vorlage auszugehen sein. Die
Zustimmung der Gesellschafterversammlung ist daneben auch dann erforderlich, wenn im
Gesellschaftsvertrag oder der Geschäftsordnung für die Geschäftsführer ein Zustimmungsvorbehalt
zugunsten der Gesellschafterversammlung normiert ist. Besteht in der GmbH ein Beirat oder
Aufsichtsrat, so kann sich ein Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Beirats oder Aufsichtsrats aus der
Satzung oder aus § 52 GmbHG i.V.m. § 111 AktG ergeben18.
III.
Geheimhaltungspflichten
Anders als Rule 2.1 des City Code enthält das WpÜG weder geschriebene noch ungeschriebene
Geheimhaltungspflichten der an der Vorbereitung eines Übernahmeangebots Beteiligten. Derartige
Pflichten ergeben sich allerdings aus allgemeinen gesellschafts- und dienstvertraglichen Grundsätzen19.
Weiterhin stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, welche Pflichten sich für die Organmitglieder
des Bieters aus dem Insiderhandelsverbot des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG ergeben. Die Abgabe eines
13
Vgl. auch Land/Hasselbach, Übernahmegesetz, S. 1747, 1751.
Rechtspolitisch kritisch zu § 10 Abs. 1 Satz 2 WpÜG Oechsler, Regierungsentwurf, S. 817, 821.
15
Ebenso Marsch-Barner, Übernahmerecht, E 10.
16
Schröder, Übernahmeangebote, § 25 Rdnr. 6; vgl. auch Busch, Bedingungen, S. 145, 148.
17
Zur umstrittenen Frage, unter welchen Voraussetzungen eine derartige Vorlagepflicht anzunehmen ist, Lutter/Hommelhoff,
GmbHG, § 37 Rdnr. 10 f.; Baumbach et al., GmbHG, § 37 Rdnr. 6a ff. m.w.N.
18
Riehmer, Übernahmeangebote, § 10 Rdnr. 25.
19
Näher Hopt, Übernahmen, S. 333, 335 f.
14
5
Übernahmeangebots in Verwirklichung eines zuvor gefassten Plans wird ebenso wenig vom
Insiderhandelsverbot erfasst wie der Erwerb von Wertpapieren der Zielgesellschaft im Vorfeld der
Entscheidung über die Abgabe eines Angebots durch den späteren Bieter20. Untersagt sind den
Organmitgliedern des Bieters demgegenüber eigene Geschäfte in Wertpapieren des Bieters und der
Zielgesellschaft21. Gibt der Bieter Insiderinformationen an Berufsträger weiter, die für die Vorbereitung
und Durchführung des Übernahmeangebots erforderlich sind (z.B. Investmentbank, Rechtsanwälte und
Wirtschaftsprüfer), ist dieses Verhalten nicht als unbefugt i.S.v. § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG anzusehen.
Soll der Adressat der Insiderinformation hingegen (auch) durch die Information selbst in der Weise
belohnt werden, dass er sie vorab zu Markttransaktionen soll nutzen können, verstößt dies gegen § 14
Abs. 1 Nr. 2 WpHG22.
Eine Offenlegungspflicht des Bieters ergibt sich auch nicht aus der Ad hoc-Publizität gemäß § 15
WpHG. Diese Vorschrift gilt nämlich nicht für Entscheidungen zur Abgabe eines Angebots (§ 10 Abs. 6
WpÜG)23.
IV.
Vorbereitung des Übernahmeangebots
1.
Due Diligence
Im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Abgabe eines Übernahmeangebots stellt sich insbesondere
die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Vorstand der Bietergesellschaft gemäß § 93 AktG
zur Durchführung einer Due Diligence verpflichtet ist. Eine derartige Due Diligence, bei der das
Erwerbsobjekt im Rahmen einer Unternehmensakquisition einer kaufvorbereitenden Prüfung unterzogen
wird24, soll dem Erwerbsinteressenten die Prüfung ermöglichen, ob das Zielunternehmen seinen
Vorstellungen entspricht25. Insbesondere soll durch die Informationsbeschaffung und
Informationsüberprüfung das für den Erwerbsinteressenten in einem Erwerb liegende Risiko ermittelt
und die Basis für die vertragliche Vereinbarung von Gewährleistungsregelungen geschaffen werden 26.
Soweit im Schrifttum die Auffassung vertreten wird, falls sich eine Due Diligence-Prüfung aus
tatsächlichen Gründen nicht verwirklichen lasse, insbesondere weil sich der Vorstand der
Zielgesellschaft weigere, eine solche durchführen zu lassen, reduziere sich das unternehmerische
Ermessen des Vorstands des Bieters auf Null und sei lediglich ein Verzicht auf einen Erwerb mit der
Sorgfaltspflicht nach § 93 AktG vereinbar27, ist dieser These jedenfalls in ihrer Verallgemeinerung zu
widersprechen. Ein Verzicht auf eine Due Diligence kann durchaus vom unternehmerischen Ermessen
gedeckt sein28. Das von der für eine Ermessensreduzierung auf Null plädierenden Ansicht vorgebrachte
Argument, die Verweigerung der Durchführung einer Due Diligence durch den Vorstand der
Zielgesellschaft begründe den Verdacht, es sollten Sachverhalte verschleiert werden, die für eine
Kaufentscheidung wesentlich sein könnten29, vermag nicht zu überzeugen. Vielmehr können auf Seiten
der Zielgesellschaft durchaus berechtigte Gründe vorliegen, die Durchführung einer Due Diligence zu
verweigern (z.B. wenn es sich beim Bieter um einen Wettbewerber handelt) 30. Kann der Vorstand bei
20
Assmann, Übernahmeangebote, S. 697, 701 f.; Assmann/Cramer, Wertpapierhandelsgesetz, § 14 Rdnr. 81 f.
Assmann, Übernahmeangebote, S. 697, 703 f.
22
Hopt, Übernahmen, S. 333, 338 f. mit näherer Analyse auch weiterer Konstellationen; vgl. auch Assmann/Cramer,
Wertpapierhandelsgesetz, § 14 Rdnr. 84 ff.
23
Zum Anwendungsbereich näher Hopt, Übernahmen, S. 333, 341 ff.; Schäfer, Insiderrecht, Rdnr. 469.
24
Kiethe, Vorstandshaftung, S. 976, 977; Krüger/Kalbfleisch, Due Diligence, S. 174, 174; Loges, Einfluß, S. 965; Werner,
Haftungsrisiken, S. 989, 989.
25
Kiethe, Vorstandshaftung, S. 976, 977; Krüger/Kalbfleisch, Due Diligence, S. 174, 175.
26
Ausführlich zu den Funktionen der Due Diligence Kiethe, Vorstandshaftung, S. 976, 977 f.; Krüger/Kalbfleisch, Due
Diligence, S. 174, 175.
27
So Kiethe, Vorstandshaftung, S. 976, 981 ff.
28
In diesem Sinne auch Werner, Haftungsrisiken, S. 989, 993 f.
29
So Kiethe, Vorstandshaftung, S. 976, 983.
30
Werner, Haftungsrisiken, S. 989, 993; Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf, Rdnr. 17; Loges, Einfluß, S. 965, 968.
21
6
seiner Entscheidung auch ohne vorhergehende Due Diligence auf eine solide Informationsbasis
zurückgreifen und stützt diese die Annahme, dass der Erwerb der Zielgesellschaft auch ohne Due
Diligence im Interesse der Bietergesellschaft liegt, so kann ein Verzicht auf die Durchführung einer Due
Diligence vom unternehmerischen Ermessen des Vorstands der Bietergesellschaft gedeckt sein. Das
Verhalten des Vorstands der Bietergesellschaft ist in solchen Fällen als pflichtgemäß anzusehen, wenn er
öffentlich zugängliche Informationen über die Zielgesellschaft so umfassend wie möglich und mit der
gebotenen Sorgfalt auswertet. Er darf sich dabei darauf verlassen, dass der Vorstand der Zielgesellschaft
kapitalmarktbezogene Informationen richtig und vollständig erteilt hat, sofern er keine konkreten
Anhaltspunkte für das Gegenteil hat.
Gegen die These, falls die Zielgesellschaft eine Due Diligence ablehne, gebiete die aktienrechtliche
Sorgfaltspflicht gemäß § 93 AktG einen Verzicht auf den Erwerb, spricht ferner die weitreichende
Befugnis des Geschäftsführungsorgans der Zielgesellschaft zur Verweigerung einer Due Diligence. Im
Schrifttum ist zwar umstritten, ob und unter welchen Voraussetzungen der Vorstand einer
Aktiengesellschaft berechtigt ist, einem potentiellen Erwerber eine Due Diligence zu gestatten. Während
nach überwiegender Auffassung der Vorstand insoweit nach eigenem unternehmerischem Ermessen
entscheidet31, soll nach einer strengeren Auffassung die Weitergabe der Kerndaten des Unternehmens nur
dann gestattet sein, wenn ein ungewöhnliches und überragendes, anders nicht zu realisierendes eigenes
unternehmerisches Interesse der Gesellschaft die Offenlegung der Informationen gebietet 32. Anerkannt ist
aber, dass der Vorstand einer Zielgesellschaft zur Ablehnung einer Due Diligence jedenfalls berechtigt
ist. Aus der Ausübung dieses Rechts zur Verweigerung einer Due Diligence zu folgern, in derartigen
Fällen sei den Vorstandsmitgliedern der Bietergesellschaft die Abgabe des Angebots lediglich um den
Preis ihrer persönlichen Haftung gemäß § 93 AktG möglich – was zu einer weitgehenden faktischen
Unmöglichkeit feindlicher Übernahmeversuche führen würde – stünde auch in unüberbrückbarem
Gegensatz zu § 33 WpÜG, der gerade von der grundsätzlichen Möglichkeit feindlicher
Übernahmeversuche ausgeht.
Wird eine Due Diligence durchgeführt, hat der Vorstand die durch sie gewonnenen Ergebnisse sorgfältig
auszuwerten und sodann auf der Basis dieser Analyse zu entscheiden, ob und zu welchen Konditionen
der Erwerb der Zielgesellschaft im Unternehmensinteresse der Bietergesellschaft liegt.
2.
Unternehmensbewertung
Von herausragender wirtschaftlicher Bedeutung nicht nur für die Aktionäre der Zielgesellschaft, sondern
auch für den Bieter und seine Aktionäre sind Art und Höhe der für die Wertpapiere der Zielgesellschaft
gebotenen Gegenleistung. In der Bestimmung der Höhe der Gegenleistung ist der Bieter bei Übernahmeund Pflichtangeboten indes nicht frei von rechtlichen Vorgaben. Gemäß § 31 Abs. 1 WpÜG, § 3 Satz 1
WpÜG-Angebotsverordnung hat er den Aktionären der Zielgesellschaft eine angemessene Gegenleistung
anzubieten. Die Höhe der Gegenleistung darf gemäß § 3 Satz 2 WpÜG-Angebotsverordnung den nach
den §§ 4 – 6 WpÜG-Angebotsverordnung festgelegten Mindestwert, der an Vorerwerbspreise und an den
Börsenkurs anknüpft, nicht unterschreiten33.
Die organschaftliche Sorgfaltspflicht des Vorstands der Bietergesellschaft kann folglich nicht darauf
gerichtet sein, die niedrigste, dem Angebot noch Erfolg versprechende Gegenleistung anzubieten. Der
Vorstand hat vielmehr die die Bietergesellschaft im Außenverhältnis zwingend treffenden Vorgaben des
§ 31 Abs. 1 WpÜG i.V.m. §§ 3 ff. WpÜG-Angebotsverordnung zu beachten. Auch eine Überschreitung
des nach Maßgabe der WpÜG-Angebotsverordnung ermittelten Mindestpreises ist dem Vorstand
keinesfalls per se untersagt. Seine Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse kann ihm dies durchaus
gestatten, kann eine Überschreitung des Mindestwerts gemäß §§ 3 ff. WpÜG-Angebotsverordnung doch
im Unternehmensinteresse der Bietergesellschaft liegen, wenn das freiwillige Übernahmeangebot
andernfalls keine Aussicht auf Erfolg hätte. Es ist dem Vorstand daher grundsätzlich gestattet – und in
der Praxis üblich –, im Übernahmeangebot einen signifikanten Aufschlag auf den Börsenkurs anzubieten.
31
Mertens, K., Information, S. 541, 542 ff.; Schroeder, Aktienkäufer, S. 2161, 2162 f.; Stoffels, Grenzen, S. 362, 373 ff.
Lutter, Due Diligence, S. 613, 617; Ziemons, Weitergabe, S. 492, 495.
33
Näher Thoma, WpÜG, S. 105, 108 f.; Rodewald/Siems, Angemessenheit, S. 926, 926 ff.
32
7
Eine über den Mindestwert gemäß §§ 3 ff. WpÜG-Angebotsverordnung hinausgehende Gegenleistung
darf der Vorstand indes nur anbieten, wenn der Erwerb auch zu diesen Konditionen noch im Interesse der
Bietergesellschaft liegt und die Erfolgsaussichten des Angebots bei für die Wertpapierinhaber
ungünstigeren Konditionen beeinträchtigt würden. Bei der Beurteilung dieser Voraussetzungen besitzt
der Vorstand der Bietergesellschaft einen weiten Spielraum. Zentrale Bedeutung kommt in diesem
Zusammenhang der Ermittlung des Werts zu, den die Wertpapiere für den Bieter haben. Relevanz besitzt
die Wertermittlung allerdings nicht nur im Hinblick auf eine erwogene Überschreitung des Mindestwerts;
sie kann auch bei Gewährung des Mindestwerts, der seinerseits vom Börsenkurs abhängig ist, eine Rolle
spielen. Der Vorstand darf sich bei der Beurteilung des Werts der Anteile nämlich nicht allein auf den
Börsenkurs stützen, sondern hat kritisch zu hinterfragen, ob der Börsenkurs im Hinblick auf die
Ertragsperspektiven der Gesellschaft gerechtfertigt erscheint. Ein "blindes" Verlassen auf die Bewertung
der Wertpapiere durch den Kapitalmarkt wäre schon im Hinblick auf die teilweise erhebliche Volatilität
der Kapitalmärkte mit der organschaftlichen Sorgfaltspflicht des Vorstands schwerlich vereinbar.
Dagegen lässt sich auch nicht einwenden, in §§ 3 ff. WpÜG-Angebotsverordnung sei lediglich
ausnahmsweise, nämlich in § 5 Abs. 4 und § 6 Abs. 6, eine Anknüpfung an den auf Basis einer
Unternehmensbewertung ermittelten Wert der Zielgesellschaft vorgesehen. Die in derartigen
Ausnahmefällen im Außenverhältnis (d.h. gegenüber der Zielgesellschaft und ihren Wertpapierinhabern)
bestehende Verpflichtung des Bieters zur Durchführung einer Unternehmensbewertung ist von der hier
zu beurteilenden Frage der innergesellschaftlichen organschaftlichen Pflicht zur Vornahme einer
Unternehmensbewertung klar zu unterscheiden.
Die Notwendigkeit der Wertermittlung wirft die Frage nach dem für die Unternehmensbewertung
geeigneten Bewertungsverfahren auf. Die derzeit auch vom Institut der Wirtschaftsprüfer als maßgeblich
angesehenen Bewertungsverfahren, das Ertragswertverfahren und das Discounted Cash Flow (DCF)Verfahren34, dürften sich in der Praxis vielfach nicht realisieren lassen, weil für sie die mittel- und
langfristigen Unternehmensplanungen benötigt werden und sie daher Einvernehmen mit dem Vorstand
der Zielgesellschaft voraussetzen35. Lässt sich eine Unternehmensbewertung nach dem
Ertragswertverfahren oder dem DCF-Verfahren nicht durchführen, kann auf andere
Unternehmensbewertungsverfahren wie etwa Multiplikatorenverfahren36 zurückgegriffen werden. Der
Vorstand der Bietergesellschaft darf seine Entscheidungen insoweit auch auf öffentlich verfügbare Daten
stützen (z.B. Jahresabschluss, Ad hoc-Mitteilungen etc.) und sich in diesem Zusammenhang auf die
richtige und vollständige Erteilung kapitalmarktbezogener Informationen durch die Zielgesellschaft
verlassen, sofern er über keine konkreten Anhaltspunkte für das Gegenteil verfügt. Die Bewertung der
Zielgesellschaft muss nicht auf stand alone-Basis erfolgen, sondern kann auch aus der Übernahme
folgende Synergieeffekte berücksichtigen, weil sich nur so der Wert der Zielgesellschaft für den
konkreten Bieter ermitteln lässt.
Der Vorstand der Bietergesellschaft kann diese Bewertung selbst vornehmen, er kann stattdessen aber
auch einen Dritten mit ihr betrauen. In der Praxis wird daher insoweit vielfach die Einholung einer an
den vorstehenden Bewertungsmethoden orientierten Wirtschaftsprüferstellungnahme oder einer FairnessOpinion einer Investmentbank in Betracht kommen.
V.
Verbot der Vorteilsgewährung
§ 33 Abs. 3 WpÜG untersagt es dem Bieter und mit ihm gemeinsam handelnden Personen, Vorstandsoder Aufsichtsratsmitgliedern der Zielgesellschaft im Zusammenhang mit dem Angebot ungerechtfertigte
Geldleistungen oder andere ungerechtfertigte geldwerte Vorteile zu gewähren oder in Aussicht zu stellen.
Nach der Regierungsbegründung handelt es sich bei der Vorschrift um ein gesetzliches Verbot i.S.v.
§ 134 BGB37. Die unter Verstoß gegen § 33 Abs. 3 WpÜG vorgenommene Auszahlung bzw. die
34
Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, Grundsätze, S. 825; Haarmann, Übernahmeangebote, § 31 Rdnr. 54.
Thoma, WpÜG, S. 105, 108.
36
Dazu Coenenberg/Schultze, Multiplikatorverfahren, S. 697, 697 ff.; Haarmann, Übernahmeangebote, § 31 Rdnr. 47 ff.; Rahlf,
Übernahmerecht, 2003, C 242.
37
Begr.RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 59.
35
8
unterlassene Rückforderung soll eine Pflichtverletzung der Verwaltungsmitglieder der Bietergesellschaft
darstellen38.
Als ungerechtfertigt sind Geldleistungen oder andere geldwerte Vorteile einzustufen, wenn die Organe
der Zielgesellschaft zu einem nicht am Interesse ihrer Gesellschaft und ihrer Anteilseigner orientierten
Verhalten bewegt werden sollen39. Fraglich ist, ob und inwieweit Absprachen über den künftigen Einsatz
der Verwaltungsmitglieder der Zielgesellschaft nach erfolgreicher Übernahme den Tatbestand des § 33
Abs. 3 WpÜG verwirklichen. Wird lediglich der Verbleib im Amt zugesagt, wird man dies zu verneinen
haben. Demgegenüber dürfte § 33 Abs. 3 WpÜG erfüllt sein, wenn eine (in Geld) höherwertige Position
zugesagt wird40.
Ergänzt wird § 33 Abs. 3 WpÜG durch § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 WpÜG, wonach in der
Angebotsunterlage Angaben über für gerechtfertigt erachtete Geldleistungen oder andere geldwerte
Vorteile an Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder der Zielgesellschaft erforderlich sind; auf diese
Gesichtspunkte ist auch in der Stellungnahme gemäß § 27 WpÜG einzugehen. Auch die Vorstands- und
Aufsichtsratsmitglieder der Zielgesellschaft trifft die aktienrechtliche Pflicht, sich weder vom Bieter
noch von Dritten Sondervorteile versprechen zu lassen41.
C.
Verhaltenspflichten von Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft
Im Mittelpunkt der Analyse der Verhaltenspflichten der Organe der Zielgesellschaft stehen im Folgenden
ihre Befugnisse zur Abwehr feindlicher Übernahmeangebote und die insoweit durch § 33 WpÜG
auferlegten Beschränkungen (dazu I.). Daneben wird auf die praktisch sehr bedeutsamen Fragen der
Werbung (dazu II.) sowie der Stellungnahme gemäß § 27 WpÜG (dazu III.) näher eingegangen.
I.
Abwehr feindlicher Übernahmeangebote
1.
Grundsätzliche Neutralitätspflicht
Vor Inkrafttreten des WpÜG wurde kontrovers diskutiert, ob und inwieweit der Vorstand aktienrechtlich
zur Vereitelung feindlicher Übernahmeangebote befugt ist. Im Ausgangspunkt waren die beiden in der
Literatur vertretenen Positionen sehr unterschiedlich. Während die überwiegende Ansicht unter Hinweis
auf die Leitungsaufgabe des Vorstands (§ 76 AktG), den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG) und
den Charakter einer Aktienveräußerung als Geschäft auf Aktionärsebene eine aktienrechtlich begründete
Neutralitätspflicht42 des Vorstands bejahte43, wandte die Gegenauffassung hiergegen ein, die
Verpflichtung des Vorstands auf das Unternehmensinteresse stehe einem Neutralitätsgebot entgegen und
könne ihn zur Bekämpfung des Übernahmeangebots nicht nur berechtigen, sondern unter Umständen
sogar verpflichten44. Bei Lichte besehen erwiesen sich die Unterschiede zwischen den beiden
Auffassungen indes als nicht ganz so gravierend. Auch die Anhänger des Neutralitätsgebots erkannten
Ausnahmen in solchen Fällen an, in denen mit Gesetzesverstößen oder einer dauerhaft rechtswidrigen
Tätigkeit des Unternehmens nach der Übernahme zu rechnen war45 oder in denen eine in der Person
begründete Eignung des potentiellen Erwerbers zur Gefährdung der Marktstellung des Unternehmens zu
38
Begr.RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 59; vgl. auch Hirte, WpÜG, § 33 Rdnr. 190.
Begr.RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 59; Hirte, WpÜG, § 33 Rdnr. 189.
40
Hirte, WpÜG, § 33 Rdnr. 187; vgl. auch Begr.RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 59; Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 33 Rdnr. 49.
41
Hirte, WpÜG, § 33 Rdnr. 184; Hopt, Verhaltenspflichten, S. 1361, 1379.
42
Siehe zur Berechtigung des Begriffs der Neutralitätspflicht unter C.I.1.a).
43
Hopt, AktG, § 93 Rdnr. 122; ders., Übernahmerecht, S. 368, 391 f., 411; Assmann/Bozenhardt, Übernahmeangebote, S. 1,
112 ff.; Mülbert, Zielgesellschaft, S. 83, 87 ff., der auch den Aufsichtsrat als von der Neutralitätspflicht erfasst ansieht.
44
Kort, Rechte und Pflichten, S. 1421, 1434; Krieger, Preisfindung, S. 289, 303 f.
45
Hopt, AktG, § 93 Rdnr. 125; ders., Aktionärskreis, S. 534, 553 f.; Mertens, KölnKomm AktG, 2. Aufl., § 76 Rdnr. 26.
39
9
erwarten stand46. Andererseits hielt die Gegenansicht Abwehrmaßnahmen für rechtswidrig, wenn sie
sachfremden Zielen wie etwa der Sicherung der eigenen Position des Vorstands dienten 47.
Einig waren sich die beiden im Ausgangspunkt unterschiedlichen Positionen also jedenfalls darin, dass
der Vorstand einerseits keinesfalls zur Vornahme von mit §§ 76, 93 AktG unvereinbaren
Abwehrmaßnahmen berechtigt war, er andererseits aber auch keiner uneingeschränkten
Neutralitätspflicht unterworfen war. Strittig blieb indes, wie groß innerhalb dieser beiden Gegenpole der
Anwendungsbereich für Abwehrmaßnahmen sein sollte. Angesichts der umfassenden und
uneingeschränkten Verpflichtung des Vorstands auf das Unternehmensinteresse erscheint es im
dogmatischen Ausgangspunkt überzeugend, den Vorstand für zur Vornahme von Abwehrmaßnahmen
berechtigt, unter Umständen auch verpflichtet zu erachten, soweit das Unternehmensinteresse dies
gestattet bzw. gebietet. Aus der Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse kann daher schon mit
Blick auf die nach herrschender Meinung maßgebliche Interessenpluralität auch ein Recht zur Abwehr
von Übernahmeangeboten folgen, wenn die Veränderung des Aktionärskreises als solche oder die einer
solchen Übernahme voraussichtlich nachfolgenden Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen des
Vorstands auf die Vermögens- und Ertragslage nachteilige Auswirkungen haben können, d.h. der
Wechsel im Aktionärskreis auf das Unternehmen durchschlagen kann48. Gleichwohl verfügt der Vorstand
mit seiner Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse nicht über einen Freibrief zur Abwehr
unerwünschter Übernahmeversuche. Bei der Entscheidung, ob eine Abwehrmaßnahme im
Unternehmensinteresse liegt, hat er nämlich auch das besonders gewichtige Interesse der Aktionäre zu
berücksichtigen, über die Annahme des Angebots unbeeinträchtigt von Abwehrmaßnahmen des
Vorstands entscheiden zu können. Das zur Vornahme von Abwehrmaßnahmen berechtigende Interesse,
gegen welches das Veräußerungsinteresse der Aktionäre abzuwägen ist, muss daher ein besonderes
Gewicht aufweisen49. Dies dürfte regelmäßig nur in Fällen zu bejahen sein, die in ihrer Qualität nahe an
diejenigen Konstellationen heranreichen, in denen auch die Anhänger der Neutralitätspflicht Ausnahmen
von dieser befürworteten. Jedenfalls verbietet § 76 AktG dem Vorstand in Übernahmesituationen
insbesondere solche Abwehrmaßnahmen, die zu einer Schädigung der Gesellschaft führen, insbesondere
die Veräußerung von Vermögensgegenständen unter ihrem Marktwert oder die Ausgabe neuer Aktien
oder auch die Wiederveräußerung eigener Aktien zu einem unangemessen niedrigen Ausgabebetrag.
Mit Inkrafttreten des WpÜG bemessen sich die Rollen von Vorstand und Aufsichtsrat in feindlichen
Übernahmesituationen nunmehr nach § 33 WpÜG50, der der Abwehr feindlicher Übernahmen gesetzliche
Schranken setzt. Zur rechtspolitischen Begründung der Beschränkung der Abwehrmaßnahmen wird dabei
nicht nur auf den Interessenkonflikt hingewiesen, in dem sich Vorstand und Aufsichtsrat der
Zielgesellschaft in feindlichen Übernahmesituationen typischerweise befinden, sondern auch die
Notwendigkeit einer externen Kontrolle der Organe durch den Kapitalmarkt betont, die durch
weitreichende Abwehrmöglichkeiten gefährdet würde51.
Eine über § 33 WpÜG hinausreichende Beschränkung der Abwehrmöglichkeiten durch die Verwaltung
der Zielgesellschaft sah die gescheiterte 13. EG-Richtlinie vor. Sie verfolgte das Konzept einer strikten,
nur durch enge Ausnahmetatbestände eingeschränkten Neutralitätspflicht. Art. 9 Abs. 1 des Entwurfs der
13. EG-Richtlinie52 verpflichtete das Leitungs- oder das Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft zur
Einholung einer Genehmigung der Hauptversammlung, „bevor es mit Ausnahme der Suche nach
konkurrierenden Angeboten jedwede Handlungen vornimmt, durch die das Angebot vereitelt werden
könnte“. Nachdem die 13. EG-Richtlinie vom Europäischen Parlament im Juli 2001 abgelehnt wurde und
46
Mertens, in KölnKomm AktG, 2. Aufl., § 76 Rdnr. 26; a.A. Assmann/Bozenhardt, Übernahmeangebote, S. 1, 113 f.
Krieger, Preisfindung, S. 289, 304.
48
Zutreffend Hüffer, Aktiengesetz, § 76 Rdnr. 15d.
49
Vgl. insoweit auch Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 10.
50
Zum Verhältnis von § 33 WpÜG und den Bestimmungen des Aktiengesetzes Bayer, Vorsorgemaßnahmen, S. 588, 605;
abweichend Röh, Übernahmeangebote, § 33 Rdnr. 46.
51
Bayer, Vorsorgemaßnahmen, S. 588, 600 f.; zur externen Kontrolle durch den Kapitalmarkt Hopt,
Unternehmensüberwachung, S. 27 ff. m.w.N.; grundlegend Manne, Mergers, S. 112 ff.
52
Der sog. Gemeinsame Entwurf einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates auf dem Gebiet des
Gesellschaftsrechts betreffend Übernahmeangebote in der vom Vermittlungsausschuss am 6.6.2001 gebilligten Fassung (PECONS 3629/01) findet sich abgedruckt in ZIP 2001, 1120, 1123.
47
10
somit zunächst scheiterte53, kam in der Folge neue Bewegung in die gemeinschaftsrechtliche
Übernahmediskussion. Am 2. Oktober 2002 legte die Kommission einen überarbeiteten
Richtlinienvorschlag vor54. Ob diesem Vorstoß, dem zufolge die Neutralitätspflicht bis spätestens
1. Januar 2008 in nationales Recht umgesetzt werden müsste (Art. 19), Erfolg beschieden sein wird,
bleibt abzuwarten.
a)
§ 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG
§ 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG ordnet an, dass der Vorstand der Zielgesellschaft55 nach Veröffentlichung der
Entscheidung zur Abgabe eines Angebots bis zur Veröffentlichung des Ergebnisses nach § 23 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 WpÜG keine Handlungen vornehmen darf, durch die der Erfolg des Angebots verhindert
werden könnte. Die in dieser Vorschrift enthaltene Vorgabe gilt unabhängig davon, ob die
Vorstandsmitglieder der Zielgesellschaft die Verhinderung des Erfolgs des Übernahmeangebots
beabsichtigen56. Unerheblich ist ferner, ob die Maßnahme im Fall ihrer Realisierung das Angebot
tatsächlich verhindert; entscheidend ist allein die objektive Eignung hierzu57.
§ 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG erfasst sowohl Handlungen, die in rechtlicher Hinsicht zur Verhinderung des
Erfolgs des Angebots führen können, als auch solche, bei denen dies unter wirtschaftlichen
Gesichtspunkten der Fall ist58.
Im Rahmen der Interpretation von § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG stellt sich die Frage, ob – wie dies der
Wortlaut nahelegen könnte – unter Handlungen, „durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden
könnte“, sämtliche Maßnahmen zu verstehen sind, die für die Verhinderung des Erfolgs des Angebots
kausal werden. Gegen eine derartige Sicht, wonach die vorerwähnte Formulierung des § 33 Abs. 1 Satz 1
WpÜG im Sinne eines bloßen Kausalitätserfordernisses zu verstehen wäre, bestehen indes
durchgreifende Bedenken. Die Regierungsbegründung führt zu § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG aus, durch die
in dieser Vorschrift enthaltene Regelung solle es den Adressaten eines Übernahmeangebots, d.h. den
Aktionären, ermöglicht werden, in Kenntnis der Sachlage selbst über ein Übernahmeangebot zu
entscheiden. Diese Entscheidungsfreiheit würde – so die Regierungsbegründung – eingeschränkt, wenn
Vorstand oder Aufsichtsrat der Zielgesellschaft ohne weiteres durch eigenständige Entscheidungen den
Erfolg eines Übernahmeangebots verhindern könnten. § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG ordne daher an, dass
Handlungen des Vorstands und des Aufsichtsrats, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden
könnte, grundsätzlich der Ermächtigung der Hauptversammlung bedürften59. Aus dieser Formulierung
der Regierungsbegründung wird deutlich, dass es dem Gesetzgeber mit der Schaffung von § 33 Abs. 1
Satz 1 WpÜG darum ging, eine Entmündigung der Aktionäre und eine Verlagerung der ihnen
zufallenden Entscheidung über die Veräußerung ihrer Aktien auf Vorstand und Aufsichtsrat zu
verhindern. Wo diese Entscheidungsfreiheit nicht angetastet wird, verbleibt kein Raum für die
53
Zum Scheitern und seinen Gründen Lehne, 13. Richtlinie, S. 33; Pluskat, Übernahmerichtlinie, S. 1937.
Der „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend Übernahmeangebote“ vom
2. Oktober 2002 findet sich abgedruckt in ZIP 2002, 1863; dazu Krause, Kommissionsvorschlag, S. 2341; Zinser, Anlauf,
S. 10.
55
Zur Erstreckung der in § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG normierten Bindung auf die Organe verbundener Unternehmen Hirte,
Verteidigung, S. 623, 630; ders., WpÜG, § 33 Rdnr. 52 ff.
56
Krieger, Preisfindung, S. 289, 305; Mühle, WpÜG, S. 285; Ekkenga/Hofschroer, WpÜG, S. 724, 731; Winter/Harbarth,
Verhaltenspflichten, S. 1, 3 f.
57
Begr.RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 57 = ZIP 2001, 1262, 1286; Fleischer/Kalss, WpÜG, S. 123 f.; Hirte, Verteidigung,
S. 623, 631; ders., WpÜG, § 33 Rdnr. 55; Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 4; Schwennicke, WpÜG, § 33 Rdnr. 19.
58
Demgegenüber will Hirte (WpÜG, § 33 Rdnr. 3) den Begriff der „Verhinderung“ rein wirtschaftlich verstehen. Eine solche
Sicht würde indes nur einen Teil der problematischen Fälle erfassen. Zwar können bestimme Abwehrinstrumente, da das
Angebot für den Bieter bindend ist, nicht die Annahme als solche, sondern nur den mit ihr erstrebten wirtschaftlichen Erfolg
verhindern (z.B. die Crown Jewel-Verteidigung, dazu C.I.1.b)bb)(1)); sie führen also dazu, dass der Bieter die begehrten
Aktien erhält, ohne dass sich damit der ursprünglich vorgesehene wirtschaftliche Erfolg einstellt. Andere Abwehrmaßnahmen
können hingegen zu einer Verhinderung der Annahme selbst führen (z.B. die Verweigerung der Zustimmung zur Übertragung
von vinkulierten Namensaktien, dazu C.I.1.b)aa)); der Bieter erhält die gewünschten Aktien also nicht. Vgl. zur Problematik
auch Ekkenga/Hofschroer, WpÜG, S. 724, 731 f.; ferner zur Frage der Auswirkungen der Verteidigung auf die
Verbindlichkeit des Angebots dies., WpÜG, S. 768, 769.
59
Begr.RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 57 = ZIP 2001, 1262, 1286.
54
11
Anwendung von § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG; eine Interpretation der vorerwähnten Formulierung der
Vorschrift im Sinne eines bloßen Kausalitätserfordernisses überzeugt mithin nicht. Auf der Basis einer
wertenden Betrachtung kann unter einer Handlung i.S.d. § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG nur eine solche
verstanden werden, bei der die Entscheidung über Erfolg oder Misserfolg des Angebots nicht in den
Händen der Aktionäre verbleibt. Erfasst werden also nur solche Maßnahmen der Verwaltung, die im Fall
ihrer erfolgreichen Durchführung den Aktionären der Zielgesellschaft (jedenfalls potentiell) die
Möglichkeit zur eigenständigen Entscheidung über Erfolg oder Misserfolg des Übernahmeangebots60
nehmen und durch die die Verwaltung der Zielgesellschaft ihre Entscheidung an die Stelle der
Entscheidung der Aktionäre setzt61. Praktische Relevanz kommt dieser Frage insbesondere im Hinblick
auf Werbemaßnahmen des Vorstands der Zielgesellschaft zu62. Wirbt er bei den Aktionären der
Zielgesellschaft gegen die Annahme des Angebots, ohne die Entscheidungsfreiheit der Aktionäre
anzutasten (anders als dies etwa im Hinblick auf irreführende Werbemaßnahmen der Fall sein könnte), so
besteht keine Veranlassung, eine derartige Handlung als durch § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG untersagt
anzusehen. Vor diesem Hintergrund sowie angesichts der in § 27 WpÜG normierten Pflicht von
Vorstand und Aufsichtsrat zur Stellungnahme zum Angebot63 mag es terminologisch präziser sein, den
weithin gebräuchlichen Begriff „Neutralitätspflicht“ durch „Stillhaltegebot“, „Vereitelungsverbot“ oder
„Behinderungsverbot“ zu ersetzen64; jedenfalls müssen bei Verwendung des Begriffs
„Neutralitätspflicht“ die vorerwähnten Grundsätze im Blick behalten werden.
b)
Abwehrinstrumente
Als von § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG erfasste Abwehrhandlungen kommen insbesondere65 folgende
Maßnahmen in Betracht, die teilweise nicht nur im Falle eines bereits abgegebenen oder unmittelbar
bevorstehenden feindlichen Übernahmeangebots, sondern auch in einem früherem Stadium als präventive
Instrumente eingesetzt werden können.
aa)
Unmittelbare Einwirkung auf die Durchführung des Übernahmeangebots
Unmittelbaren Einfluss darauf, ob der „feindliche“ Bieter die Aktien an der Zielgesellschaft erwerben
kann, hat der Vorstand nur, wenn die Übertragung der Aktien der Zielgesellschaft an seine Zustimmung
geknüpft ist, d.h. bei Vorhandensein vinkulierter Namensaktien. Solche vinkulierten Namensaktien, die
die stärkste juristische Waffe gegen feindliche Übernahmen darstellen, gibt es in Deutschland traditionell
nur bei Versicherungsgesellschaften66. Der Schutz vor Überfremdung der AG stellt dabei einen der
zentralen Zwecke der Vinkulierung von Namensaktien dar67. Die nachträgliche Einführung einer
Vinkulierung zur präventiven Abwehr feindlicher Übernahmeangebote durch eine Satzungsänderung bei
der (potentiellen) Zielgesellschaft scheitert bereits daran, dass § 180 Abs. 2 AktG eine solche
nachträgliche Einführung nur mit Zustimmung aller Aktionäre zulässt 68. Eine Zustimmung sämtlicher
60
Bei Maßnahmen der rechtlichen Verhinderung betrifft diese Entscheidung die Annahme oder Ablehnung des Angebots selbst,
bei Maßnahmen der wirtschaftlichen Verhinderung den zur wirtschaftlichen Beeinträchtigung führenden Beschluss.
61
So im Ergebnis auch Schwennicke, WpÜG, § 33 Rdnr. 19; Hirte, Verteidigung, S. 623, 625.
62
Dazu näher C.II.
63
Zur Stellungnahmepflicht näher unter C.III.
64
Vgl. insoweit auch Bayer, Vorsorgemaßnahmen, S. 588, 603 f.; Drygala, Übernahmeskepsis, S. 1861, 1863; Grunewald,
Europäisierung, S. 288, 289; Hirte, WpÜG, § 33 Rdnr. 26; Hommelhoff/Witt, Bemerkungen, S. 561, 565; Möller/Pötzsch,
Übernahmerecht, S. 1256, 1259; Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 33 Rdnr. 18.
65
Vgl. zu den in Betracht kommenden Abwehrinstrumenten auch die ausführlichen Darstellungen bei Hirte, WpÜG, § 33
Rdnr. 58 ff.; Röh, Übernahmeangebote, § 33 Rdnr. 54 ff.; Schwennicke, WpÜG, § 33 Rdnr. 20 ff., 61 ff.; Bayer,
Vorsorgemaßnahmen, S. 588, 589 ff.; vgl. zur Suche nach einem alternativen Angebot (white knight) unter C.I.2.a).
66
Vgl. auch Wiesner, Handbuch GesR, § 14 Rdnr. 17.
67
Vgl. BGH NJW 1987, 1019, 1019 f.; Lutter/Schneider, Ausländische Beteiligung, S. 182, 182 ff.; Hüffer, Aktiengesetz, § 68
Rdnr. 10; zur Umgehung von Vinkulierungsklauseln Lutter/Grunewald, Vinkulierungsklauseln, S. 109, 109 ff.; Herrmann,
Abwehrmaßnahmen, S. 64 ff.
68
Bayer, Vorsorgemaßnahmen, S. 588, 591; Marquardt, Feindliche Übernahmen, S. 537, 538; Lutter/Schneider, Ausländische
Beteiligung, S. 182, 185; Röh, Übernahmeangebote, § 33 Rdnr. 72; Schwennicke, WpÜG, § 33 Rdnr. 63.
12
Aktionäre einer börsennotierten Aktiengesellschaft erscheint indes unrealistisch, so dass das
Abwehrinstrument der vinkulierten Namensaktie in der Praxis regelmäßig ausscheidet69.
Existieren solche vinkulierten Namensaktien, sind Übernahmeangebote in den statutarisch abschließend
festgelegten Gründen für die Verweigerung der Zustimmung aber nicht aufgeführt, darf die Zustimmung
nicht unter Hinweis auf das Übernahmeangebot verweigert werden70. Aktienrechtlich wird die
Zustimmungsverweigerung demgegenüber für grundsätzlich zulässig erachtet, wenn der Fall des
Übernahmeangebots in der Satzung als Verweigerungsgrund aufgeführt wird71. Schweigt die Satzung im
Hinblick auf mögliche Zustimmungsverweigerungsgründe gänzlich oder erwähnt sie unter den dort
beispielhaft aufgezählten Gründen Übernahmeangebote nicht, soll eine Zustimmungsverweigerung nur
dann in Betracht kommen, wenn sie im Unternehmensinteresse liegt; dieses Erfordernis soll, da
Übernahmeangebote nicht per se als gesellschaftsschädlich zu betrachten seien, wenigstens regelmäßig
nicht erfüllt sein72. Soweit die Zustimmungsverweigerung unter Hinweis auf ein Übernahmeangebot oder
andere Gründe demnach zulässig ist, stellt sich die Frage, ob die Zustimmungsverweigerung an § 33
Abs. 1 Satz 1 WpÜG zu messen ist73. Dies ist zu bejahen. Die Verweigerung erfüllt nach Wortlaut sowie
Sinn und Zweck die Anforderungen von § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG. Da § 33 WpÜG nicht zur Disposition
der Satzung der Zielgesellschaft steht, ändert hieran auch der Umstand nichts, dass die Satzung die
Zustimmungsverweigerung u.U. sogar gerade für Übernahmesituationen vorsieht. Indes besteht die
Möglichkeit, die Zustimmungsverweigerung nach Maßgabe von § 33 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 WpÜG oder
aufgrund eines Ad hoc-Ermächtigungsbeschlusses zu legitimieren.
bb)
Mittelbare Einwirkung auf die Durchführung des Übernahmangebots durch
Geschäftsführungsmaßnahmen
(1)
Crown Jewel-Verteidigung
Klassische Verteidigungsstrategien zielen darauf ab, den Aktiv- oder Passivbestand der Zielgesellschaft
so zu verändern, dass der Bieter das Interesse an ihr verliert.
Als derartige Verteidigungsstrategie ist insbesondere die sog. Crown Jewel-Verteidigung zu nennen. Sie
zielt auf den Verkauf von solchen Geschäftsbereichen ab, die eine Schlüsselposition in der
Unternehmensstrategie des Bieters nach erfolgreicher Übernahme einnehmen. Oftmals wird es sich
hierbei um die „Perle(n)“ der Zielgesellschaft handeln.
Ein Unterfall der Crown Jewel-Strategie ist die Einbringung wesentlicher Unternehmensbereiche in ein
Joint Venture mit einem „befreundeten“ Unternehmen, wenn diese mit einer Change of Control-Klausel
verbunden wird, die es dem „befreundeten“ Unternehmen gestattet, den Anteil der potentiellen
Zielgesellschaft am Joint Venture im Falle einer feindlichen Übernahme zu erwerben. Dies kann dazu
führen, dass ein potentieller Bieter sein Interesse an der Zielgesellschaft verliert 74.
(2)
Erwerb von Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen
Der Erwerb von Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen kommt unter zwei Gesichtspunkten als
Abwehrmaßnahme in Betracht.
69
Vgl. zur Eignung von vinkulierten Namensaktien als Verteidigungsinstrument Assmann/Bozenhardt, Übernahmeangebote,
S. 1, 117 ff.; Bayer, Vorsorgemaßnahmen, S. 588, 591; Otto, Übernahmeversuche, Anlage 6, S. 6; Schanz, Strategien, S. 337,
341.
70
Assmann/Bozenhardt, Übernahmeangebote, S. 1, 117 f.; Marquardt, feindliche Übernahmen, S. 537, 538.
71
Assmann/Bozenhardt, Übernahmeangebote, S. 1, 118.
72
Assmann/Bozenhardt, Übernahmeangebote, S. 1, 118; Knoll, Übernahme, S. 246; Schanz, Strategien, S. 337, 341; Marquardt,
feindliche Übernahmen, S. 537, 538.
73
Bejahend Hirte, WpÜG, § 33 Rdnr. 59.
74
Vgl. zur Crown Jewel-Verteidigung Assmann/Bozenhardt, Übernahmeangebote, S. 1, 140; Hirte, WpÜG, § 33 Rdnr. 58; Röh,
Übernahmeangebote, § 33 Rdnr. 94; Schanz, Strategien, S. 337, 346 f.; Schwennicke, WpÜG, § 33 Rdnr. 29 ff.; von
Falkenhausen, Takeover Game, S. 163, 185.
13
(a)
Schaffung kartell- oder aufsichtsrechtlicher Probleme
Kartell- oder aufsichtsrechtliche Probleme können etwa dadurch hervorgerufen werden, dass die
(potentielle) Zielgesellschaft ein Unternehmen erwirbt, mit dem der (potentielle) Bieter im Wettbewerb
steht oder an dem er aus anderen Gründen nicht beteiligt sein darf, z.B. weil in- oder ausländische
Vorschriften des Bank- oder Versicherungsaufsichtsrechts, des Telekommunikationsrechts oder auch des
Medienrechts entgegenstehen75.
(b)
Erwerb von Unternehmensbeteiligungen zu einem hohen Kaufpreis
Eine in der Diskussion weniger behandelte, praktisch aber insbesondere für (potentielle)
Zielgesellschaften mit hohem Kassenbestand höchst interessante Strategie ist der Erwerb von
Unternehmensbeteiligungen zu einem hohen Kaufpreis (sozusagen die „umgekehrte“ Crown JewelStrategie). Nicht selten ist das Ziel eines „feindlichen“ Übernahmeangebots – insbesondere im Falle
seiner Abgabe durch Finanzinvestoren – die Erlangung der Kontrolle über erhebliche finanzielle Mittel
der Zielgesellschaft; die „Umwandlung“ der flüssigen Mittel in eine Beteiligung kann das Interesse des
Bieters am Unternehmenserwerb daher signifikant reduzieren.
(3)
Pac Man-Verteidigung
Als weitere Verteidigungsstrategie kommt die sog. Pac Man-Verteidigung in Betracht, bei der die
Zielgesellschaft ein Gegenangebot auf die Bietergesellschaft abgibt. Ihr Ziel kann es sein, den Bieter
unter die Kontrolle der Zielgesellschaft zu bringen. Nach deutschem Recht genügt es indes auch, wenn es
der Zielgesellschaft lediglich gelingt, eine 25 %ige Beteiligung am Bieter zu erwerben, bevor dieser eine
25 %-Beteiligung an der Zielgesellschaft erlangt. Der Erwerb einer 25 %igen Beteiligung der
Zielgesellschaft am Bieter hat nämlich zur Konsequenz, dass die Überschreitung der 25 %-Schwelle
durch den Bieter eine wechselseitige Beteiligung i.S.v. § 19 Abs. 1 AktG mit der Folge auslöst, dass der
Bieter für maximal 25 % des Grundkapitals Rechte aus den von ihm erworbenen Aktien an der
Zielgesellschaft ausüben könnte (§ 328 AktG). Damit kann der Erfolg des Übernahmeangebotes häufig
vereitelt werden, weil eine Kontrolle über 25 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft regelmäßig zur
Erreichung der unternehmerischen Ziele des Bieters nicht ausreicht76.
(4)
Holzmüller-Beschluss der Hauptversammlung?
Bei den vorerwähnten Abwehrmaßnahmen stellt sich neben ihrer Vereinbarkeit mit den Vorgaben des
§ 33 WpÜG die weitere Frage, ob der Vorstand zur Vornahme der Handlungen der Zustimmung der
Hauptversammlung nach Holzmüller-Grundsätzen77 bedarf. Dies kann hier indes nicht weiter vertieft
werden.
cc)
Mittelbare Einwirkung auf die Durchführung des Übernahmeangebots durch Strukturmaßnahmen
Als Strukturmaßnahmen zur Abwehr eines feindlichen Übernahmeangebots werden vor allem
Kapitalerhöhungen, also die Ausgabe von Aktien, und der Rückerwerb eigener Aktien durch die
Zielgesellschaft genannt.
75
Vgl. zur Schaffung kartellrechtlicher Schwierigkeiten auch Assmann/Bozenhardt, Übernahmeangebote, S. 1, 147; Röh,
Übernahmeangebote, § 33 Rdnr. 67; Schwennicke, WpÜG, § 33 Rdnr. 32; Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 33 Rdnr. 62.
76
Vgl. auch Assmann/Bozenhardt, Übernahmeangebote, S. 1, 134 ff.; Bayer, Vorsorgemaßnahmen, S. 588, 596 f.; Hirte,
WpÜG, § 33 Rdnr. 59; Röh, Übernahmeangebote, § 33 Rdnr. 73 ff.; Schwennicke, WpÜG, § 33 Rdnr. 52 ff., 67 f.; vgl. zur Pac
Man-Verteidigung auch Harbarth, Feindliche Übernahmen, S. 275, 301.
77
Vgl. BGHZ 83, 122.
14
(1)
Ausgabe neuer Aktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung
Ziel der Ausgabe neuer Aktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung unter Ausnutzung eines genehmigten
Kapitals aufgrund einer vorhergehenden Ermächtigung durch die Hauptversammlung ist die Verteuerung
der Übernahme für den Bieter78. Gegebenenfalls kann durch eine Kapitalerhöhung die Übernahme sogar
unmöglich gemacht werden, weil sich die Zahl der zu erwerbenden Aktien erhöht. Dies gilt namentlich,
weil § 32 WpÜG den Bieter verpflichtet, sein Angebot auf alle Aktien der Zielgesellschaft zu erstrecken.
Indes ist nicht zu verkennen, dass die vollständige Platzierung einer Kapitalerhöhung häufig nur durch
die Wahl eines aktionärsfreundlichen Ausgabekurses sichergestellt werden kann; ein solcher hat
regelmäßig eine Minderung des Börsenkurses zur Folge, was die beabsichtigte Verteuerung der
Übernahme jedenfalls partiell zu konterkarieren vermag. Wirksamer sind in der Praxis daher
Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss, die dem Vorstand die Platzierung von Aktienpaketen bei
„befreundeten“ Investoren ermöglichen, wenn ex ante sichergestellt ist, dass diese „befreundeten“
Investoren das Übernahmeangebot nicht annehmen werden79.
(2)
Rückerwerb eigener Aktien
Der Rückerwerb eigener Aktien zielt regelmäßig darauf ab, aufgrund der verstärkten Nachfrage nach
Aktien den Börsenkurs zu steigern und dadurch die Attraktivität des Übernahmeangebotes zu verringern.
Ferner hat der Rückerwerb eigener Aktien neben der Verteuerung des Übernahmeangebots auch zur
Folge, dass sich die Anzahl der vom Bieter erreichbaren Aktien verringert, was die Chancen einer
erfolgreichen Übernahme möglicherweise mindert; Aktionäre, die sich in jedem Fall von ihrem
Aktienbesitz an der Zielgesellschaft trennen wollen, sind nicht auf das Angebot des feindlichen
Übernehmers angewiesen, sondern können ihre Aktien statt dessen an die Zielgesellschaft
zurückveräußern80.
Ob der Rückerwerb eigener Aktien allerdings tatsächlich ein probates Mittel gegen feindliche
Übernahmen ist, ist aus zwei Gründen zweifelhaft: Zum einen beschränkt sich die Möglichkeit des
Rückerwerbs eigener Aktien auf einen Anteil in Höhe von 10 % des Grundkapitals81. Zum anderen ist zu
beachten, dass die Gesellschaft aus eigenen Aktien keine Rechte ausüben kann (§ 71b AktG) und sich
damit die Zahl derjenigen Aktien reduziert, die der Bieter für einen erfolgreichen Kontrollerwerb
erlangen muss82. Sofern für den Bieter die ausreichende Zahl an Aktien erreichbar bleibt, kann mithin der
Rückerwerb eigener Aktien sogar kontraspeditive Wirkung haben und für den Bieter von Vorteil sein,
weil sie seinen Finanzierungsaufwand verringert. Regelmäßig wird der aus Sicht des Vorstandes der
Zielgesellschaft erwünschte Effekt (Steigerung des Aktienkurses) durch die Verminderung des aus Sicht
des Bieters erforderlichen Aktienvolumens kompensiert oder gar überkompensiert. Eine wirksame
Abwehrstrategie dürfte deshalb weniger im Erwerb eigener Aktien als solchem, sondern vielmehr in ihrer
Wiederveräußerung durch die Platzierung bei „befreundeten“ Investoren unter Ausschluss des eigentlich
bestehenden „Bezugsrechts“ der Altaktionäre liegen, wenn der Hauptversammlungsbeschluss eine solche
vorsieht83.
78
Hirte, WpÜG, § 33 Rdnr. 60.
Bayer, Vorsorgemaßnahmen, S. 588, 594 f.; Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 33 Rdnr. 66 ff.; vgl. zur Situation in den USA
insoweit Harbarth, Feindliche Übernahmen, S. 275, 300 f.
80
Vgl. Hirte, WpÜG, § 33 Rdnr. 61; Knoll, Übernahme, S. 204.
81
Vgl. Kort, Rechte und Pflichten, S. 1421, 1428 f.; Schanz, Strategien, S. 337, 345.
82
Vom Grundsatz des Vollangebots gemäß § 32 WpÜG sind nämlich eigene Aktien der Zielgesellschaft ausgenommen
(Hasselbach, WpÜG, § 32 Rdnr. 8; Vogel, Übernahmeangebote, § 32 Rdnr. 10; Thun, WpÜG, 2002, § 32 Rdnr. 4 ff.;
Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 32 Rdnr. 4 f.).
83
Näher zu den Voraussetzungen der Veräußerung eigener Aktien Reichert/Harbarth, Veräußerung, S. 1441, 1442.
79
15
2.
Ausnahmen von der Neutralitätspflicht
Ausnahmen vom Verbot der Vornahme von Handlungen, durch die der Erfolg des Angebots verhindert
werden könnte, normiert § 33 Abs. 1 Satz 2 WpÜG für die Suche nach einem konkurrierenden Angebot
(dazu a), für Handlungen, die auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer nicht von
einem Übernahmeangebot betroffenen Gesellschaft vorgenommen hätte (dazu b), für Handlungen, denen
der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft zugestimmt hat (dazu c), sowie für Fälle einer Ermächtigung durch
die Hauptversammlung (dazu d). Diese Ausnahmebestimmungen vermögen von § 33 Abs. 1 Satz 1
WpÜG erfasste Handlungen indes lediglich unter dem Gesichtspunkt der sog. Neutralitätspflicht zu
gestatten. Sie dispensieren hingegen nicht von sonstigen aktienrechtlichen Schranken wie z.B. dem
Schädigungsverbot84.
a)
Suche nach konkurrierendem Angebot (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 WpÜG)
Die durch § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 WpÜG gestattete Suche nach dem sog. weißen Ritter (white knight)
wird vielfach den klassischen Abwehrinstrumenten zugerechnet. Bei Lichte besehen handelt es sich bei
der im Interesse der Aktionäre an möglichst attraktiven Angebotskonditionen liegenden 85 Suche nach
einem konkurrierenden Angebot indes nicht um eine Verteidigungsmaßnahme, die mit der
Neutralitätspflicht des Vorstands in Konflikt geraten könnte86. Die Suche nach einem konkurrierenden
Angebot unterfällt bereits deshalb nicht § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG, weil den Aktionären hierdurch nicht
die Entscheidungsbefugnis genommen, sondern ihnen eine zusätzliche Handlungsoption eröffnet wird87.
§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 WpÜG schreibt die Zulässigkeit lediglich nochmals ausdrücklich fest.
Gleichwohl ergeben sich bei der Umsetzung der Suche nach einem konkurrierenden Angebot erhebliche
praktische und rechtliche Probleme88.
b)
Maßnahmen eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1
WpÜG)
Die durch § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 WpÜG statuierte Gestattung der Vornahme von Handlungen, die
auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer Gesellschaft vorgenommen hätte, die
nicht von einem Übernahmeangebot betroffen ist, dürfte sich als praktisch bedeutsam erweisen 89.
Diese Bedeutung beruht vor allem darauf, dass nach dem Willen der Gesetzesverfasser gemäß § 33
Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 WpÜG – anders als gemäß § 33 Abs. 3 Nr. 4 WpÜG-RefE – nicht nur Maßnahmen
des Tagesgeschäfts, sondern auch Maßnahmen außergewöhnlichen Charakters zulässig sein sollen, wenn
sie nur im Rahmen der bereits vor Bekanntwerden des Angebots eingeschlagenen Unternehmensstrategie
liegen90. Diese Sicht der Gesetzesverfasser manifestiert sich in der Begründung zum Regierungsentwurf,
in der ausgeführt wird, durch die Gestattung der Vornahme solcher Handlungen, die auch ein
ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer nicht von einem Übernahmeangebot betroffenen
Gesellschaft durchgeführt hätte, werde es dem Management ermöglicht, das Tagesgeschäft weiter zu
führen. Zudem könnten auch bereits eingeschlagene Unternehmensstrategien weiter verfolgt werden 91.
84
Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 4.
Begr.RegE, BT- Drucks. 14/7034, S. 58.
86
Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 4; Hirte, Verteidigung, S. 623, 638 f.; ders., WpÜG, § 33 Rdnr. 75; so schon vor
Inkrafttreten des WpÜG Hopt, Großkomm AktG, § 93 Rdnr. 126; ders., Aktionärskreis, S. 534, 557; Mülbert, Zielgesellschaft,
S. 83, 89; van Aubel, Vorstandspflichten, S. 171 f.
87
Fleischer/Kalss, WpÜG, S. 127; Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 33 Rdnr. 18; abweichend Röh, Übernahmeangebote, § 33
Rdnr. 89, 117.
88
Näher Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 4 f.; Hirte, WpÜG, § 33 Rdnr. 76 f.; vgl. zur Problematik auch Hopt,
Verhaltenspflichten, S. 1361, 1383 ff.
89
A.A. Hirte, Verteidigung, S. 623, 637; Paefgen, Rechtsbindung, S. 364.
90
Vgl. Drygala, Übernahmeskepsis, S. 1861, 1867; Thoma, WpÜG, S. 105, 110; Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 6.
91
Begr.RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58.
85
16
Der Zulässigkeit außergewöhnlicher Maßnahmen, die sich auf eine vor Bekanntwerden des Angebots
eingeschlagene Unternehmensstrategie zurückführen lassen, steht auch nicht Ziffer 3.7 des Deutschen
Corporate Governance Kodex92 entgegen. Zwar geht der Deutsche Corporate Governance Kodex,
wonach der Vorstand nach Bekanntgabe eines Übernahmeangebots keine Handlungen außerhalb des
gewöhnlichen Geschäftsverkehrs vornehmen darf, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden
könnte, wenn er dazu nicht von der Hauptversammlung ermächtigt ist oder der Aufsichtsrat dem
zugestimmt hat, von der grundsätzlichen Unzulässigkeit derartiger außergewöhnlicher Maßnahmen aus.
Abgesehen davon, dass von den Bestimmungen des Deutschen Corporate Governance Kodex ohnedies
keine unmittelbare rechtliche Verbindlichkeit ausgeht, handelt es sich bei der einschlägigen
Formulierung des Deutschen Corporate Governance Kodex aber weder um eine sog. Empfehlung noch
um eine sog. Anregung, sondern lediglich um eine (schlicht unzutreffende) Wiedergabe des geltenden
Rechts in Berichtsform93. Obwohl das geltende, in § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 WpÜG niedergelegte
Gesetzesrecht insoweit – wie sich insbesondere aus der vorerwähnten Regierungsbegründung ergibt – in
Ziffer 3.7 unzutreffend wiedergegeben wird, folgt hieraus weder eine über § 33 WpÜG hinausgehende
Bindung noch muss hierzu gemäß § 161 AktG eine Erklärung abgegeben werden.
Trotz des Wortlauts von § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 WpÜG ist für die Anwendbarkeit dieser Vorschrift
nicht maßgeblich, ob ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer nicht von einem
Übernahmeangebot betroffenen Gesellschaft die konkrete Handlung tatsächlich vorgenommen hätte.
Abzustellen ist vielmehr darauf, ob ein solcher Geschäftsleiter eine solche Handlung hätte vornehmen
dürfen94. Bei der Ziehung dieser Grenzen stellt sich die Frage, ob insoweit auf die ARAG-Grundsätze des
BGH95 zurückgegriffen werden kann. Da Voraussetzung der Anwendbarkeit des ARAG-Standards das
Fehlen eines dem Unternehmenswohl widerstreitenden Eigeninteresses ist96, sich die
Vorstandsmitglieder im Falle eines feindlichen Übernahmeversuchs typischerweise aber in einem
Interessenkonflikt befinden, weil sie im Fall einer erfolgreichen Übernahme mit dem Verlust ihrer
Positionen rechnen müssen97, ist die Anwendbarkeit der ARAG-Grundsätze nicht selbstverständlich.
Für die Anwendbarkeit des ARAG-Standards wird insbesondere auf den Wortlaut von § 33 Abs. 1 Satz 2
Alt. 1 WpÜG hingewiesen, wonach die Existenz des Übernahmeangebots bei der Bestimmung der
Vorstandspflichten aus der Betrachtung auszublenden sein soll98. Ferner wird angeführt, an einem
Interessenkonflikt, wie er Voraussetzung für ein Abgehen vom ARAG-Standard sei, fehle es im
Anwendungsbereich von § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 WpÜG deshalb, weil die Handlung zum Tagesgeschäft
gehöre oder auf eine vor Eintritt des Interessenkonflikts angelegte Unternehmensstrategie zurückgeführt
werden könne99. Gegen die Anwendbarkeit der ARAG-Grundsätze wird – über den vorerwähnten
Interessenkonflikt hinaus – insbesondere eingewandt, die ARAG-Grundsätze erleichterten die Umgehung
von § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG100. Dieser Einwand überzeugt indes nicht.
Der Gefahr der Umgehung von § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG kann vielmehr durch strenge Anforderungen an
die Dokumentation und Konkretisierung der Unternehmensstrategie begegnet werden. Zum einen muss
die Unternehmensstrategie vor Bekanntwerden des Übernahmeangebots hinreichend verfestigt und in
92
Abgedruckt unter <www.corporate-governance-code.de>.
Zu den verschiedenen Elementen des Deutschen Corporate Governance Kodex Ihrig/Wagner, Reform, S. 789, 790; Ulmer,
Corporate Governance Kodex, S. 150, 151 f.; Präambel Abs. 6 S. 6 Kodex.
94
Näher Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 6; Röh, Übernahmeangebote, § 33 Rdnr. 115; Hirte, Verteidigung, S. 623,
634 f. mit zutreffendem Hinweis darauf, dass maßgeblich nicht der Zeitraum unmittelbar vor Veröffentlichung der
Entscheidung zur Angebotsabgabe, sondern der Zeitraum „vollständiger Ahnungslosigkeit“ ist; ders., WpÜG, § 33 Rdnr. 67;
vgl. auch Ekkenga/Hofschroer, WpÜG, S. 724, 732 f.
95
BGHZ 135, 244; dazu näher Kindler, Pflichtenbindung, S. 101; Jaeger/Trölitzsch, Pflichten, S. 684; Thümmel,
Aufsichtsratspflichten, S. 1117.
96
BGHZ 135, 244, 253; dazu Ulmer, Aktionärsklage, S. 290, 298; Henze, Aufsichtsrat, S. 3309, 3310 f.; Fleischer, Business
Judgment Rule, S. 827, 841 ff.
97
Vgl. Hopt, Aktionärskreis, S. 534, 546 ff.; ders., Großkomm AktG, § 93 Rdnr. 123; Hirte, WpÜG, § 33 Rdnr. 69; Krause,
Abwehr feindlicher Übernahmeangebote, S. 1053, 1058; Ekkenga/Hofschroer, WpÜG, S. 724, 732 f.
98
Drygala, Übernahmeskepsis, S. 1861, 1867; Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 6.
99
Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 6 f.
100
Bayer, Vorsorgemaßnahmen, S. 588, 615 f.
93
17
veröffentlichten Dokumenten der Zielgesellschaft publiziert worden sein101. Zum anderen muss sie
inhaltlich einen gewissen Grad an Fokussierung aufweisen102. Für die Anwendbarkeit der ARAGGrundsätze des BGH spricht im Ergebnis auch die Regierungsbegründung, derzufolge im Rahmen von
§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 WpÜG auf die Interpretation des im Aktienrecht an anderer Stelle entwickelten
Maßstabs des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zurückgegriffen werden kann. Auch im
Rahmen der §§ 311, 317 Abs. 2 AktG soll der ARAG-Standard nämlich Anwendung finden103. Auch bei
Anwendbarkeit des weiten ARAG-Standards kann der Vorstand in einer derartigen Situation gleichwohl
nicht alles tun, was er auch außerhalb einer Übernahmesituation tun könnte. Anders als außerhalb einer
Übernahmesituation kann er etwa die Unternehmensstrategie nicht auswechseln; seine Maßnahmen
müssen in Weiterverfolgung der eingeschlagenen Unternehmensstrategie vorgenommen werden.
Gestattet sind dem Vorstand durch § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 WpÜG nicht nur Maßnahmen im originären
Kompetenzbereich des Vorstands, sondern auch Handlungen, zu deren Vornahme er von der
Hauptversammlung ermächtigt worden ist104, insbesondere die Ausnutzung eines genehmigten Kapitals.
Die von Bayer und Hirte eingenommene Gegenposition105 vermag angesichts der Entstehungsgeschichte
des Gesetzes nicht zu überzeugen. Die in der Regierungsbegründung enthaltene Gegenüberstellung von
Maßnahmen des Tagesgeschäfts und der Weiterverfolgung bereits eingeschlagener
Unternehmensstrategien106 spricht gegen die von Bayer und Hirte vorgeschlagene Ausgrenzung von
Maßnahmen, bei denen die originäre Zuständigkeit der Hauptversammlung zukommt. Nach der
Vorstellung des Gesetzgebers soll dem Vorstand der Zielgesellschaft in der Übernahmesituation vielmehr
das gleiche Handlungsspektrum offen stehen wie außerhalb einer Übernahmesituation.
c)
Handlungen mit Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 WpÜG)
§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 WpÜG ermächtigt den Vorstand zur Vornahme von Handlungen, zu denen der
Aufsichtsrat seine Zustimmung erteilt hat. Dabei muss die Zustimmung des Aufsichtsrats107, über die
nach den allgemeinen aktienrechtlichen Vorgaben Beschluss zu fassen ist, vor Ergreifen der gestatteten
Maßnahmen erfolgen und diese konkret definieren108. Diese Vorschrift, die im Regierungsentwurf nicht
enthalten war, sondern auf eine Initiative des Finanzausschusses des Bundestags zurückgeht109, ist
insbesondere im Hinblick auf solche Maßnahmen von praktischer Bedeutung, die nicht in Verfolgung
einer bereits eingeschlagenen Unternehmensstrategie ergriffen werden und daher nicht durch § 33 Abs. 1
Satz 2 Alt. 1 WpÜG gedeckt sind.
Fraglich ist allerdings der sachliche Anwendungsbereich von § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 WpÜG. Während
nach einer Auffassung im Rahmen von § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 WpÜG auch von
Hauptversammlungsermächtigungen – insbesondere einem genehmigten Kapital mit
Bezugsrechtsausschluss – Gebrauch gemacht werden kann, die den besonderen Anforderungen des § 33
Abs. 2 WpÜG nicht genügen, also nicht ausdrücklich mit dem Ziel der Abwehr einer feindlichen
Übernahme gefasst wurden110, vertritt insbesondere Bayer die Ansicht, von § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3
101
Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1,7; großzügiger Hirte, Verteidigung, S. 623, 636 f.; ders., WpÜG, § 33 Rdnr. 70;
Hopt, Grundsatzprobleme, S. 383, 426 f.; tendenziell strenger Fleischer/Kalss, WpÜG, S. 127.
102
Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 7.
103
Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 311 Rdnr. 40 mit Fn. 108; Kropff, MünchKomm AktG, § 311 Rdnr. 278.
104
Näher Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 7 f.; zustimmend Marsch-Barner, Übernahmerecht, E 44 f.; vgl. auch
Krieger, Preisfindung, S. 289, 316; Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV, Stellungnahme, S. 420, 429.
105
Bayer, Vorsorgemaßnahmen, S. 588, 615 ff.; Hirte, Verteidigung, S. 623, 647 ff.; ders., WpÜG, § 33 Rdnr. 91 ff.; dagegen
zutreffend Habersack, Reformbedarf, S. 619, 619 Fn. 6.
106
Begr.RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58.
107
Zur Delegation an einen Aufsichtsratsausschuss Hirte, Verteidigung, S. 623, 645; ders., WpÜG, § 33 Rdnr. 87; MarschBarner, Übernahmerecht, E 51; Seibt, Aspekte, S. 529, 531.
108
Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 8; ebenso zum Zeitpunkt der Erteilung Röh, Übernahmeangebote, § 33
Rdnr. 129; Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 33 Rdnr. 20; anders Hirte, Verteidigung, S. 623, 644; ders., WpÜG, § 33 Rdnr. 86.
109
Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 14/7477, S. 53; vgl. ferner FAZ vom 10.11.2001,
Nr. 262, S. 11.
110
Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 8 f.; Krause, Prophylaxe, S. 133, 137; Röh, Übernahmeangebote, § 33 Rdnr. 112
f.; Thoma, WpÜG, S. 105, 110; wohl auch Fleischer/Kalss, WpÜG, S. 128.
18
WpÜG sei allenfalls die Ausnutzung allgemeiner Hauptversammlungsermächtigungen ohne direkte
Eingriffe in die Aktionärsstruktur wie z.B. im Fall der Ausnutzung eines genehmigten Kapitals ohne
Bezugsrechtsausschluss oder des Rückkaufs eigener Aktien gedeckt111. Der Finanzausschuss des
Bundestages, auf dessen Initiative die Einfügung von Alt. 3 zurückgeht, führte insoweit aus, § 33 Abs. 2
WpÜG schränke das Recht des Vorstands zur Durchführung von Abwehrmaßnahmen, die auf
Ermächtigungen "nach anderen Rechtsvorschriften" beruhten, nicht ein. Die Ausnutzung eines
genehmigten Kapitals nach § 202 AktG oder der Rückkauf von Aktien nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG
könnten daher vom Vorstand auch während eines Angebots durchgeführt werden, soweit nur die
Anforderungen von § 33 Abs. 1 Satz 2 WpÜG eingehalten würden112. Für eine Beschränkung auf Fälle
eines fehlenden Eingriffs in die Aktionärsstruktur, wie sie von Bayer befürwortet wird, enthält die
Begründung des Finanzausschusses demnach gerade keinen Anhaltspunkt. Ihre Deutung im Sinne der
Position von Bayer wäre auch deshalb nicht überzeugend, weil die in der Praxis typischen Fälle der
Ausnutzung eines genehmigten Kapitals gerade solche unter Bezugsrechtsausschluss sind.
Auch im Rahmen der Interpretation von § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 WpÜG stellt sich im Hinblick auf den
Interessenkonflikt, in dem sich der Vorstand der Zielgesellschaft in feindlichen Übernahmesituationen
typischerweise befindet113, die Frage nach der Anwendbarkeit der ARAG-Grundsätze des BGH114
insbesondere dann, wenn man mit der hier vertretenen Auffassung davon ausgeht, dass Vorstand und
Aufsichtsrat auch auf Grundlage „allgemeiner“ Ermächtigungen handeln dürfen. Während sich in den
Fällen des § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 WpÜG das Vorstandshandeln auf eine vor Eintritt des
Interessenkonflikts definierte Unternehmensstrategie zurückführen lässt, ist dies bei § 33 Abs. 1 Satz 2
Alt. 3 WpÜG nicht der Fall. Dies rechtfertigt es, bei Alt. 3 anders als bei Alt. 1 den ARAG-Standard bei
Vorliegen eines Interessenkonflikts für grundsätzlich unanwendbar zu erachten 115. Die Anwendbarkeit
des ARAG-Standards kommt nur dann in Betracht, wenn sich kein Vorstandsmitglied in einem
Interessenkonflikt befindet116. Dies ließe sich zwar mit der Überlegung in Zweifel ziehen, jedenfalls
dann, wenn die Stimme dieses Vorstandsmitglieds bei der Beschlussfassung nicht entscheidend ins
Gewicht gefallen sei, habe sich durch das Votum des in einem Interessenkonflikt befindlichen
Vorstandsmitglieds am Ergebnis der Beschlussfassung nichts geändert. Überzeugen vermöchte eine
derartige Sicht indes nicht, kann der Interessenkonflikt doch etwa im Rahmen der Willensbildung
innerhalb des Vorstands eine entscheidende Rolle gespielt haben (z.B. wenn das von einem
Interessenkonflikt betroffene Vorstandsmitglied gegenüber den übrigen Vorstandsmitgliedern
Überzeugungsarbeit leistet). Der Interessenkonflikt eines einzelnen Vorstandsmitglieds oder einer
Minderheit von Vorstandsmitgliedern vermag allenfalls dann den Beschluss des Gesamtvorstands nicht
zu „infizieren“, wenn er aufgrund einer besonderen Konstellation keine Auswirkungen auf das
Abstimmungsergebnis im Vorstand hatte. Dies kann in außergewöhnlichen Situationen der Fall sein, wie
etwa dann, wenn das einzige in einem Interessenkonflikt befindliche Vorstandsmitglied oder eine
Minderheit von solchen Vorstandsmitgliedern gegen die Abwehrmaßnahme votiert, den unbefangenen
Vorstandsmitgliedern indes unterliegt.
Ist der ARAG-Standard unanwendbar, ist das Vorstandshandeln anhand eines strengeren Maßstabs zu
beurteilen: Es bedarf eines qualifizierten Unternehmensinteresses und einer Interessenabwägung, bei der
dem Interesse der Aktionäre, über die Annahme des Angebots unbeeinträchtigt von nicht durch die
Hauptversammlung bewilligten Abwehrmaßnahmen des Vorstands zu entscheiden, erhebliches Gewicht
zukommt117. Dies ist anhand eines mehrstufigen Prüfungsverfahrens zu beurteilen. Auf der ersten Stufe
bedarf es eines dringenden Unternehmensinteresses, das auf der zweiten Stufe gegen das Interesse der
Aktionäre an einer ungestörten Veräußerung ihres Aktienbesitzes abzuwägen ist. Nur bei eindeutigem
111
Bayer, Vorsorgemaßnahmen, S. 588, 612 ff.; ebenso Hirte, WpÜG, § 33 Rdnr. 80; vgl. auch Paefgen, Rechtsbindung, S. 366.
Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 14/7477, S. 53.
113
Vgl. auch die Nachweise in Fn. 97.
114
BGHZ 135, 244; vgl. dazu auch Fn. 95 und 96.
115
Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 9 f.; Hirte, Verteidigung, S. 623, 642; ders., WpÜG, § 33 Rdnr. 83;
Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 33 Rdnr. 22; anders Röh, Übernahmeangebote, § 33 Rdnr. 126.
116
Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 9 f. mit Einzelheiten zur Feststellung des Interessenkonflikts.
117
Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 10; ähnlich Hirte, Verteidigung, S. 623, 642; ders., WpÜG, § 33 Rdnr. 83; vgl.
auch Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 33 Rdnr. 22.
112
19
Überwiegen des Unternehmensinteresses darf der Vorstand ohne Befragung der Hauptversammlung die
Abwehrmaßnahme ergreifen118.
Eine Pflicht zur Vorlage an die Hauptversammlung in Fällen der Interessenkollision aufgrund des
Deutschen Corporate Governance Kodex besteht hingegen nicht. Zwar sollte der Vorstand nach Ziff. 3.7
Abs. 3 des Deutschen Corporate Governance Kodex „in angezeigten Fällen“ eine außerordentliche
Hauptversammlung einberufen, in der die Aktionäre über das Übernahmeangebot beraten und ggf. über
gesellschaftsrechtliche Maßnahmen beschließen. Selbst wenn man die Fälle des § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3
WpÜG generell oder zumindest in bestimmten Konstellationen als „angezeigte Fälle“ i.S.v. Ziffer 3.7
Abs. 3 des Deutschen Corporate Governance Kodex einstufen wollte, würde sich hieraus indes weder
eine rechtliche Verpflichtung des Vorstands zur Einberufung einer Hauptversammlung noch – da es sich,
wie die Formulierung „sollte“ belegt, insoweit um eine bloße Anregung handelt, von der ohne
Offenlegung abgewichen werden kann119 – bei Abweichung eine Offenlegungspflicht ergeben. Der
Kodex selbst ist nämlich kein Gesetz und enthält daher auch keine über bereits gesetzlich geregelte
Verpflichtungen hinausgehenden verbindlichen Pflichten für Vorstände und Aufsichtsräte
börsennotierter Gesellschaften120. Auch § 161 AktG nimmt nicht etwa im Sinne einer dynamischen
Verweisung den jeweiligen Inhalt des Kodex in den gesetzgeberischen Willen auf, sondern beschränkt
sich darauf, die Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung zu begründen121. Ungeachtet dessen ist es
im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 WpÜG122
mindestens erwägenswert, ob sich eine solche Vorlagepflicht aus der verfassungskonformen Auslegung
der Vorschrift jedenfalls in solchen Fällen ergibt, in denen sich Vorstand und Aufsichtsrat in einem
Interessenkonflikt befinden, und sich das Recht des Vorstands, gemäß § 119 Abs. 2 AktG die
Hauptversammlung zu befassen, zu einer Vorlagepflicht verdichtet123.
Im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung des für den Vorstand bei Vorliegen eines Interessenkonflikts
maßgeblichen Verhaltensstandards hat das Gericht eine Plausibilitätskontrolle vorzunehmen, in deren
Rahmen der Vorstand nachvollziehbar darzulegen hat, dass ein dringendes Interesse des Unternehmens
an der Durchführung der beschlossenen Abwehrmaßnahme das Interesse der Aktionäre, ungestört von
Abwehrmaßnahmen der Verwaltung über die Veräußerung ihrer Aktien zu entscheiden, eindeutig
überwiegt. Steht die vom Vorstand vorgenommene Abwägung zur objektiven Gewichtigkeit des
Unternehmensinteresses einerseits und des Veräußerungsinteresses der Aktionäre andererseits erkennbar
außer Verhältnis, ist das Vorstandsverhalten rechtswidrig124.
Darf der Vorstand gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 WpÜG mit Zustimmung des Aufsichtsrats
Abwehrmaßnahmen ergreifen, stellt sich die weitere Frage, unter welchen Voraussetzungen der
Aufsichtsrat zur Erteilung dieser Zustimmung befugt ist. Die Analyse der Verhaltenspflichten der
Aufsichtsratsmitglieder in feindlichen Übernahmesituationen hat indes über § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3
WpÜG hinaus in solchen Fällen Bedeutung, in denen der Aufsichtsrat nicht lediglich an Handlungen des
Vorstands mitwirkt, sondern er eigenständige Maßnahmen zur Verhinderung eines Übernahmeangebots
ergreift.
Auch der Aufsichtsrat unterliegt einer grundsätzlichen Neutralitätspflicht, ist im Rahmen der
Entscheidung nach § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 WpÜG indes von ihr befreit125. Bei seiner Entscheidung
über die Erteilung oder Versagung der Zustimmung gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 WpÜG ist der
Aufsichtsrat nicht auf eine bloße Vertretbarkeitsprüfung beschränkt, sondern entscheidet nach eigenem
118
Näher Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 10.
Vgl. auch Ulmer, Corporate Governance Kodex, S. 150, 151 f.; Ihrig/Wagner, Reform, S. 789, 790; Präambel Abs. 6 S. 5
Kodex.
120
Seibt, Corporate Governance Kodex, S. 249, 250.
121
Ulmer, Corporate Governance Kodex, S. 150, 158 f.
122
Näher zur Frage der Verfassungskonformität von § 33 Abs. 1 S. 2 Alt. 3 WpÜG Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1,
8; Hirte, Verteidigung, S. 623, 643; Röh, Übernahmeangebote, § 33 Rdnr. 39; Zschocke, Europäische Mission, S. 79, 82 f.;
Schneider, Zielgesellschaft, S. 125, 129; Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 33 Rdnr. 23.
123
Vgl. Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 10 m.w.N.
124
Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 10.
125
Näher Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 11; Hirte, Verteidigung, S. 623, 628 ff.; vgl. auch Hopt,
Grundsatzprobleme, S. 383, 425; Paefgen, Rechtsbindung, S. 364.
119
20
unternehmerischen Ermessen126. Er besitzt dabei einen vergleichbaren Handlungsspielraum wie der
Vorstand. Der ARAG-Standard ist demnach nur dann anwendbar, wenn der typischerweise vorliegende
Interessenkonflikt nicht gegeben ist127. Bei seiner Entscheidung hat sich der Aufsichtsrat nicht nur an den
Interessen der Aktionäre, sondern – allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätzen entsprechend – am
Unternehmensinteresse als einem Geflecht der Interessen von Aktionären, Arbeitnehmern und
Allgemeinheit zu orientieren128.
d)
Ermächtigung durch Hauptversammlung
Die Ermächtigung zur Vornahme von Abwehrhandlungen kann die Hauptversammlung entweder im
Wege der sog. Vorratsermächtigung gemäß § 33 Abs. 2 WpÜG (dazu aa) oder auf dem Wege einer nach
Ankündigung des Angebots erfolgenden Ad hoc-Ermächtigung (dazu bb) erteilen.
aa)
Vorratsermächtigung (§ 33 Abs. 2 WpÜG)
Die sog. Vorratsermächtigungen gemäß § 33 Abs. 2 WpÜG, durch die dem Vorstand die Befugnis zur
Vornahme von in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallenden Handlungen verliehen wird, um
den Erfolg von Übernahmeangeboten zu verhindern, haben bisher weit weniger praktische Bedeutung
erlangt, als vor Inkrafttreten des WpÜG teilweise vermutet wurde129. Die praktische Relevanz der
Vorratsermächtigungen, die nicht von der Beachtung zwingender aktienrechtlicher Vorgaben befreien
können130, dürfte auf solche Fälle beschränkt bleiben, in denen der Vorstand aus Vorsichtsgründen davon
Abstand nimmt, Maßnahmen außerhalb seines originären Kompetenzbereichs zu ergreifen131; dies beruht
auch darauf, dass im Rahmen von § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und Alt. 3 WpÜG auch auf „allgemeine“
Ermächtigungen durch die Hauptversammlung zurückgegriffen werden kann132.
Werden Vorratsbeschlüsse gefasst, verlangt § 33 Abs. 2 Satz 1 WpÜG, dass die Handlungen, zu deren
Vornahme der Vorstand ermächtigt wird, „in der Ermächtigung der Art nach zu bestimmen“ sind. In
Kontrast zum Regierungsentwurf, der vorsah, dass die zulässigen Maßnahmen „im einzelnen“ zu
bestimmen waren, soll es nach Auffassung des Bundestagsfinanzausschusses für die Bestimmung der
Handlungen ihrer Art nach erforderlich und ausreichend sein, dass in dem Vorratsbeschluss z.B. von der
Durchführung einer Kapitalerhöhung oder der Veräußerung von Beteiligungen die Rede ist133.
Der Ermächtigungsbeschluss, der für höchstens 18 Monate erteilt werden kann (§ 33 Abs. 2 Satz 2
WpÜG)134, bedarf einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen
Grundkapitals umfasst, wobei die Satzung eine größere Kapitalmehrheit und weitere Erfordernisse
bestimmen kann (§ 33 Abs. 2 Satz 3 WpÜG)135. Zur Ausnutzung der Vorratsermächtigung bedarf der
Vorstand gemäß § 33 Abs. 2 Satz 4 WpÜG der Zustimmung des Aufsichtsrats unabhängig davon, ob sich
126
Hirte, Verteidigung, S. 623, 642; ders., WpÜG, § 33 Rdnr. 84; Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 11; ebenso zu
§ 111 Abs. 4 S. 2 AktG Mertens, KölnKomm AktG, § 111 Rdnr. 85; Lutter/Krieger, Aufsichtsrat, Rdnr. 116.
127
Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 11; Hirte, Verteidigung, S. 623, 642 f.; ders., WpÜG, § 33 Rdnr. 84.
128
Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 11; Hirte, Verteidigung, S. 623, 643.
129
Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Bedenken bei Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 33 Rdnr. 42.
130
Bayer, Vorsorgemaßnahmen, S. 588, 611 f.; Hirte, WpÜG, § 33 Rdnr. 96 ff., Röh, Übernahmeangebote, § 33 Rdnr. 111.
131
Näher Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 12.
132
Siehe oben C. I. 2.b) und c).
133
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 14/7477, S. 53. Damit griff der
Bundestagsfinanzausschuss eine Anregung des Bundesrats auf (vgl. Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drucks. 574/01
(Beschluss), S. 4); vgl. ferner Bayer, Vorsorgemaßnahmen, S. 588, 610; Hirte, WpÜG, § 33 Rdnr. 118; Röh,
Übernahmeangebote, § 33 Rdnr. 105; Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 33 Rdnr. 32; Schwennicke, WpÜG, § 33 Rdnr. 76 f.
134
Näher zur zeitlichen Begrenzung Hirte, WpÜG, § 33 Rdnr. 121 ff.; Röh, Übernahmeangebote, § 33 Rdnr. 107;
Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 33 Rdnr. 34; Schwennicke, WpÜG, § 33 Rdnr. 78.
135
Zum Verhältnis von statutarischem Mehrheitserfordernis bzgl. Abwehrermächtigung und Abwehrinstrument Bayer,
Vorsorgemaßnahmen, S. 588, 612.
21
ein solches Zustimmungserfordernis aus der Satzung der Zielgesellschaft oder dem allgemeinen
Aktienrecht ableiten lässt oder nicht136.
Die praktische Bedeutung von Vorratsermächtigungen gemäß § 33 Abs. 2 WpÜG dürfte weiterhin
dadurch eingeschränkt sein, dass derartige Hauptversammlungsbeschlüsse in der Praxis vielfach mit der
Anfechtungsklage angegriffen werden dürften, und zwar vor allem durch den Bieter oder ihm
nahestehende Personen137.
bb)
Ermächtigung nach Ankündigung des Angebots
Ermächtigungsbeschlüsse zur Ergreifung von Abwehrmaßnahmen kann die Hauptversammlung, auch
wenn dies in § 33 WpÜG nicht geregelt ist, auch nach Ankündigung eines Übernahmeangebots fassen138.
Eine derartige Hauptversammlung kann unter den erleichterten Anforderungen gemäß § 16 Abs. 4
WpÜG einberufen werden139. Die besonderen Mehrheitserfordernisse gemäß § 33 Abs. 2 WpÜG finden
keine Anwendung; statt dessen gelten die allgemeinen aktienrechtlichen Mehrheitserfordernisse, wobei
der Bieter nicht vom Stimmrecht ausgeschlossen ist140.
3.
Rechtsfolgen rechtswidriger Abwehrmaßnahmen
a)
Bußgeld
§ 60 Abs. 1 Nr. 8 WpÜG normiert einen Ordnungswidrigkeitentatbestand für Fälle, in denen „entgegen
§ 33 Abs. 1 Satz 1 eine dort genannte Handlung“ vorgenommen wird. Vorsätzliche oder leichtfertige
Vorstandshandlungen, die durch § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG untersagt und durch § 33 Abs. 1 Satz 2 bzw.
Abs. 2 WpÜG bzw. eine Ad hoc-Ermächtigung der Hauptversammlung nicht ausnahmsweise gestattet
sind, verwirklichen diesen Ordnungswidrigkeitentatbestand und können gemäß § 60 Abs. 3 WpÜG mit
einer Geldbuße von bis zu € 1 Mio. geahndet werden.
b)
Schadensersatzansprüche
Ergreifen Vorstandsmitglieder unzulässige Abwehrmaßnahmen, verletzen sie ihre Sorgfaltspflichten. Sie
machen sich in diesen Fällen gegenüber der Gesellschaft gemäß § 93 AktG schadensersatzpflichtig.
Selbiges gilt gemäß §§ 116, 93 AktG im Hinblick auf an derartigen Abwehrmaßnahmen beteiligte
Aufsichtsratsmitglieder. Ersatzfähig ist insoweit allerdings nur der bei der Gesellschaft (z.B. infolge
entgangener Synergieeffekte), nicht der bei den Aktionären eintretende Schaden.
Hingegen besteht eine unmittelbare Schadensersatzpflicht gegenüber den Aktionären nicht. Weder § 33
WpÜG noch § 60 Abs. 1 Nr. 8 WpÜG stellt ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB dar, jedenfalls
erstreckt sich der Schutzbereich nicht auf den einzelnen Aktionär141.
136
Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 13; vgl. zum Zeitpunkt der Aufsichtsratszustimmung Hirte, WpÜG, § 33
Rdnr. 137; Röh, Übernahmeangebote, § 33 Rdnr. 10; Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 33 Rdnr. 39; Schwennicke, WpÜG, § 33
Rdnr. 80.
137
Näher auch zu rechtspolitischen Erwägungen, Vorratsbeschlüsse gemäß § 33 Abs. 2 WpÜG mit stärkerem Bestandsschutz
auszustatten als „normale“ Hauptversammlungsbeschlüsse, Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 13.
138
Näher Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 13; Hirte, Verteidigung, S. 623, 645 f.; Bayer, Vorsorgemaßnahmen,
S. 588, 606.
139
Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 14; Bayer, Vorsorgemaßnahmen, S. 588, 606; zur Problematik der
Abstimmungsvorschläge der Depotbanken Marsch-Barner, Übernahmerecht, E 57.
140
Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 14; Hirte, Verteidigung, S. 623, 646; ders., WpÜG, § 33 Rdnr. 89; Hopt,
Grundsatzprobleme, S. 383, 423.
141
Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 16; a.A. Hirte, Verteidigung, S. 623, 654 f.; ders., WpÜG, § 33 Rdnr. 159 f.;
Röh, Übernahmeangebote, § 33 Rdnr. 150.
22
c)
Unterlassungsansprüche
Weiterhin stellt sich die Frage, ob der einzelne Aktionär der Zielgesellschaft rechtswidrige
Abwehrmaßnahmen des Vorstands im Wege der Unterlassungsklage unterbinden kann. Praktische
Bedeutung kommt dieser Frage insbesondere deshalb zu, weil der an der Verhinderung derartiger
Maßnahmen regelmäßig besonders interessierte Bieter typischerweise bereits zugleich Aktionär der
Zielgesellschaft ist.
Ein derartiger Unterlassungsanspruch kann sich insbesondere aus den Holzmüller-Grundsätzen des
BGH142 ergeben. Hiernach hat der Aktionär143 einen verbandsrechtlichen Anspruch darauf, dass der
Vorstand die Aktionäre bei einer von ihnen mitzuentscheidenden Angelegenheit nicht übergeht.
Maßgeblich für die Bejahung eines auf die Holzmüller-Grundsätze gestützten Unterlassungsanspruchs ist
demnach ein Kompetenzübergriff des Vorstands in die Befugnisse der Hauptversammlung. Nicht
ausreichend ist hingegen die Verletzung allgemeiner organschaftlicher Pflichten, weil die Aktionäre
keinen allgemeinen Anspruch gegen die Gesellschaftsorgane auf rechtmäßige Erfüllung ihrer Pflichten
haben144.
Entscheidend kommt es vorliegend demnach darauf an, ob § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG lediglich eine
organschaftliche Verpflichtung des Vorstands begründet oder Kompetenznormcharakter besitzt.
Jedenfalls nach dem Regierungsentwurf war § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG, wonach Handlungen des
Vorstands und des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft, durch die der Erfolg des Angebots verhindert
werden könnte, der Ermächtigung der Hauptversammlung bedurften, als Kompetenznorm ausgestaltet 145.
Trotz der im Vergleich zum Regierungsentwurf vorgenommen Änderung des Wortlauts von § 33 Abs. 1
Satz 1 WpÜG sprechen noch immer die besseren Gründe für den Kompetenznormcharakter der
Vorschrift. Ist eine Maßnahme des Vorstands gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG untersagt und nicht
ausnahmsweise durch § 33 Abs. 1 Satz 2 WpÜG gestattet, kann sie lediglich durch eine
Vorratsermächtigung gemäß § 33 Abs. 2 WpÜG oder durch einen Ad hoc-Ermächtigungsbeschluss der
Hauptversammlung nach Bekanntgabe des Angebots legitimiert werden. Solchen Beschlüssen der
Hauptversammlung kommt daher nach der Gesetzeskonzeption eine Auffangfunktion zu. Vor diesem
Hintergrund ist § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG nicht als allgemeine Organpflicht, sondern als
Kompetenznorm anzusehen146. Der einzelne Aktionär der Zielgesellschaft kann rechtswidrige
Abwehrmaßnahmen daher im Wege der Holzmüller-Klage unterbinden. Handelt der Vorstand hingegen
innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs pflichtwidrig, kommen lediglich Schadensersatzansprüche der
Gesellschaft in Betracht147.
II.
Werbung
Bei der Abwehr von Übernahmeangeboten wurden rechtliche Abwehrhandlungen in ihrer praktischen
Bedeutung bisher von Werbemaßnahmen übertroffen, die regelmäßig die unternehmerischen Konzepte
von Bieter und Zielgesellschaft zum Gegenstand haben148. So hat sich der Mannesmann-Vorstand in der
142
BGHZ 83, 122.
Klagebefugt sollen nach Hirte indes nicht nur die gegenwärtigen, sondern unter Hinweis auf das Schutzziel des Kapitalmarkts
sämtliche Betroffenen, insbesondere mögliche künftige Aktionäre sein (Hirte, WpÜG, § 33 Rdnr. 147). Dies hätte zur Folge,
dass der Bieter auch ohne Aktienbesitz klagebefugt wäre. Dies überzeugt nicht.
144
Knobbe-Keuk, Klagerecht, S. 239, 251 ff.; Wiesner, Handbuch GesR, § 18 Rdnr. 11; vgl. auch Lutter, Theorie, S. 84, 140 ff.;
Timm, Hauptversammlungskompetenzen, S. 172, 185; Zöllner, Gesellschafterklagen, S. 392, 425 ff.; abweichend
Ekkenga/Hofschroer, WpÜG, S. 724, 731 Fn. 77.
145
So auch Möller/Pötzsch, Übernahmerecht, S. 1256, 1259; Drygala, Übernahmeskepsis, S. 1861, 1870; Winter/Harbarth,
Verhaltenspflichten, S. 1, 17.
146
Näher Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 17 m.w.N.; ebenso Fleischer/Kalss, WpÜG, S. 130; Hirte, Verteidigung,
S. 623, 651; Röh, Übernahmeangebote, § 33 Rdnr. 136; neben dem verbandsrechtlichen Abwehranspruch kommt dabei auch
ein quasinegatorischer Abwehranspruch entsprechend § 1004 BGB in Betracht (grundlegend insoweit Habersack,
Mitgliedschaft, S. 117 ff.).
147
Hirte, Verteidigung, S. 623, 652.
148
Vgl. Krause, Übernahmerecht, S. 705, 711.
143
23
Vodafone/Mannesmann-Übernahmeschlacht nicht auf rechtliche Abwehrmaßnahmen, sondern auf eine
extensive Informationspolitik gestützt149. Dies wirft die Frage nach den rechtlichen Schranken derartiger
Werbemaßnahmen im Rahmen von Übernahmeangeboten auf.
Um Missständen bei der Werbung im Zusammenhang mit Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren zu
begegnen, kann die Bundesanstalt gemäß § 28 WpÜG bestimmte Arten der Werbung untersagen. Diese
Vorschrift ist eine besondere Ausprägung des in § 3 Abs. 2 WpÜG normierten Transparenzgrundsatzes
und soll eine Beeinträchtigung des Entscheidungsfundaments verhindern, auf dem die Aktionäre ihre
Entscheidung über die Annahme des Angebots treffen150.
§ 28 WpÜG geht erkennbar von der grundsätzlichen Zulässigkeit von Werbemaßnahmen aus151 und stellt
der Bundesanstalt eine öffentlich-rechtliche Ermächtigungsgrundlage zur Untersagung lediglich in Fällen
von Missständen bei der Werbung zur Verfügung. Die zu Missständen führenden Maßnahmen können
sowohl den Inhalt als auch den Umfang der Werbung als auch die zu ihrer Übermittlung eingesetzten
Medien zum Gegenstand haben152. Maßstab für das Vorliegen von Missständen ist, ob den zur
Entscheidung über die Annahme des Angebots berufenen Wertpapierinhabern die ihnen vom WpÜG
zugedachte Möglichkeit einer informierten Entscheidung genommen wird153.
Die innergesellschaftliche Kompetenzverteilung in der Zielgesellschaft hinsichtlich der Vornahme von
Werbemaßnahmen ist in Ermangelung einer spezifischen Regelung im WpÜG nach allgemeinen
aktienrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen. Werbemaßnahmen, die sich typischerweise auf die
Darstellung eines unternehmerischen Konzepts beziehen, sind in Übernahmesituationen ebenso wie
außerhalb solcher als Geschäftsführungsmaßnahmen zu qualifizieren und fallen daher gemäß § 76 AktG
grundsätzlich in die Zuständigkeit des Vorstands154. Die Gegenauffassung, die Werbemaßnahmen der
Zielgesellschaft als von § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG erfasst ansieht und dem Vorstand somit die
Zuständigkeit zur Ergreifung von Werbemaßnahmen nur unter den Voraussetzungen von § 33 Abs. 1
Satz 2 oder Abs. 2 WpÜG zubilligt155, vermag nicht zu überzeugen. Solange Werbemaßnahmen den
Aktionären nicht die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Entscheidung über die Annahme des
Angebots entziehen, ist § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG nämlich nicht einschlägig156.
Eine Mitwirkungsbefugnis des Aufsichtsrats kann sich aus einem Zustimmungsvorbehalt gemäß § 111
Abs. 4 Satz 2 AktG ergeben. Eine generelle Zuständigkeit der Hauptversammlung ist in Ermangelung
eines schwerwiegenden Eingriffs in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre auch nicht aus den
Holzmüller-Grundsätzen des BGH ableitbar157. Ein Unterlassungsanspruch des einzelnen Aktionärs
gegen eine vom Vorstand ergriffene Werbemaßnahme kann lediglich in besonderen Fallkonstellationen
in Betracht kommen. Ergreift der Vorstand von § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG erfasste Maßnahmen, ohne
dass ihm dies gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 WpÜG oder durch einen Ad hocErmächtigungsbeschluss gestattet wäre, steht dem einzelnen Aktionär ein Unterlassungsanspruch nach
Holzmüller-Grundsätzen zu158. Auch im Bereich von Werbemaßnahmen kommt ein
Unterlassungsanspruch demnach in Betracht, soweit der Anwendungsbereich von § 33 Abs. 1 Satz 1
WpÜG eröffnet ist. Diese Voraussetzung ist ausnahmsweise dann erfüllt, wenn Werbemaßnahmen des
Vorstands unrichtige oder unvollständige Angaben enthalten; zwar bleibt den Aktionären ihre
Entscheidungsmacht dann formal erhalten, bei ihrer Ausübung werden sie indes in einer mit § 33 Abs. 1
Satz 1 WpÜG unvereinbaren Weise manipuliert159. In solchen Fällen steht einem Unterlassungsanspruch
149
Vgl. Krieger, Preisfindung, S. 289, 317; Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten, S. 1, 16.
Vgl. Schwennicke, WpÜG, § 28 Rdnr. 2; Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 28 Rdnr. 2.
151
Röh, Übernahmeangebote, § 28 Rdnr. 2, 19; Hirte, Verteidigung, S. 623, 632; ders., WpÜG, § 28 Rdnr. 12.
152
Begr.RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52; Röh, Übernahmeangebote, § 28 Rdnr. 10; Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 28 Rdnr. 3.
153
Hirte, WpÜG, § 28 Rdnr. 22.
154
LG Düsseldorf, AG 2000, 233, 234; Kiem, Mannesmann/Vodafone, S. 413, 414; Liebscher, Übernahmeverfahren, S. 853,
867; Schwennicke, WpÜG, § 28 Rdnr. 8.
155
In diesem Sinne Röh, Übernahmeangebote, § 28 Rdnr. 19.
156
Vgl. oben C.I.1.a).
157
LG Düsseldorf, AG 2000, 233, 234; Kiem, Mannesmann/Vodafone, S. 413, 414; Schwennicke, WpÜG, § 28 Rdnr. 8; Witte,
Unternehmensübernahmen, S. 2161, 2163 f.; vgl. auch Kort, Rechte und Pflichten, S. 1421, 1440.
158
Vgl. oben C.I.3.c).
159
Vgl. zur Problematik auch oben C.I.1.a).
150
24
auch nicht der Umstand entgegen, dass derartige unrichtige oder unvollständige Angaben nicht einmal
durch einen entsprechenden Hauptversammlungsbeschluss legitimiert werden könnten. Nimmt der
Vorstand eine grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung fallende Handlung vor,
die aufgrund ihrer Besonderheiten in concreto nicht einmal durch einen Hauptversammlungsbeschluss
legitimiert werden könnte (z.B. bei Veräußerung eines zentralen Unternehmensteils unter Verstoß gegen
das Verbot vermögensmindernder Maßnahmen, von dessen Beachtung nicht einmal die
Hauptversammlung dispensieren könnte), steht dies einem Unterlassungsanspruch nach HolzmüllerGrundsätzen nicht entgegen; ein solcher Anspruch muss in einer derartigen Konstellation vielmehr erst
recht gegeben sein. Dies kann im Bereich von Werbemaßnahmen nicht anders sein. Gegen § 33 Abs. 1
Satz 1 WpÜG unterfallende Werbemaßnahmen kann der einzelne Aktionär daher im Wege der
Holzmüller-Klage einschreiten.
Möchte sich ein Aktionär der Zielgesellschaft gegen irreführende Werbung des Vorstands wenden, sind
auch Rechtsschutzmöglichkeiten außerhalb des Gesellschaftsrechts in den Blick zu nehmen. Zum einen
stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Aktionär in derartigen Fällen einen Anspruch
gegen die Bundesanstalt auf Erlass einer auf § 28 WpÜG gestützten Untersagungsverfügung oder
zumindest auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung hierüber hat. Ihre Beantwortung hängt davon ab,
ob § 28 WpÜG den Aktionären der Zielgesellschaft in derartigen Konstellationen ein subjektives
öffentliches Recht einräumt160. Zum anderen wird der Blick auf die Frage gelenkt, ob die Aktionäre einen
auf § 1004 BGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 28 WpÜG gestützten Unterlassungsanspruch haben
können; ihre Beantwortung hängt letztlich davon ab, ob § 28 WpÜG aufgrund individualschützenden
Charakters als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB qualifiziert werden kann. Darüber hinaus bleibt zu
überlegen, ob und inwieweit die Verdichtung der Rechtsbeziehung zwischen den an einem
Übernahmeverfahren Beteiligten diese rechtlichen Bindungen als Sonderverbindungen erscheinen lässt
und aus diesen Unterlassungsansprüche resultieren können161. Dies kann hier nicht weiter vertieft
werden.
III.
Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 haben der Vorstand und der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft eine begründete
Stellungnahme zu dem Angebot sowie zu jeder seiner Änderungen abzugeben. Die Stellungnahme ist
unverzüglich nach Übermittlung der Angebotsunterlage und deren Änderung durch den Bieter durch
Bekanntgabe im Internet sowie durch Abdruck in einem überregionalen Börsenpflichtblatt oder durch
Bereithalten zur kostenlosen Ausgabe bei einer geeigneten Stelle im Inland zu veröffentlichen (§ 27
Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 1 WpÜG). Daneben ist die Stellungnahme gleichzeitig dem
Betriebsrat bzw. den Arbeitnehmern zu übermitteln (§ 27 Abs. 3 Satz 2 WpÜG).
Die Stellungnahmepflicht soll als besondere Ausprägung des in § 3 Abs. 2 WpÜG verankerten
Transparenzgebots zu einer ausgewogenen Entscheidungsgrundlage für die Angebotsadressaten
beitragen, indem Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft verpflichtet werden, sich mit der
Angebotsunterlage des Bieters kritisch auseinander zu setzen162. In der Praxis stellt die Stellungnahme
von Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft daher eines der wichtigsten Abwehrinstrumente in
feindlichen Übernahmesituationen dar163.
Während eine aktienrechtliche Stellungnahmepflicht bisher nur für den Vorstand angenommen wurde 164,
erstreckt § 27 WpÜG die Stellungnahmepflicht nunmehr – zurückgehend auf eine Beschlussempfehlung
160
Vgl. zur Drittschutzproblematik Schnorbus, Drittklagen, S. 72.
Unterlassungsansprüche der an einem Übernahmeverfahren Beteiligten können sich weiterhin aus dem UWG ergeben (dazu
Röh, Übernahmeangebote, § 28 Rdnr. 20).
162
Fleischer/Kalss, WpÜG, S. 95 f. („kapitalmarktrechtliches audiatur et altera pars“); Röh, Übernahmeangebote § 27 Rdnr. 1;
Schwennicke, WpÜG, § 27 Rdnr. 1; Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 27 Rdnr. 1; Thoma, WpÜG, S. 105, 109 f.
163
Hirte, WpÜG, § 27 Rdnr. 13; Krause, Übernahmerecht, S. 705, 711; siehe auch Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 27 Rdnr. 1.
164
Hopt, Aktionärskreis, S. 534, 556; ders., Verhaltenspflichten, S. 1361, 1380 f.; Assmann/Bozenhardt, Übernahmeangebote,
S. 1, 103 ff.; Mertens, KölnKomm AktG, § 76 Rdnr. 26; Weisner, Verteidigungsmaßnahmen, S. 155.
161
25
des Finanzausschusses des Bundestags165 – auch auf den Aufsichtsrat. Hierdurch sollte die
Gesamtverantwortung von Vorstand und Aufsichtsrat für die Zielgesellschaft betont und die
Informationsbasis für die Beteiligten eines Angebots erweitert werden 166. Letztlich dürfte die
Ausdehnung auf den Aufsichtsrat indes zum einen dem Ziel dienen, den Arbeitnehmervertretern im
Aufsichtsrat größeren Einfluss auf die Stellungnahme einzuräumen167. Zum anderen dürfte die
Erweiterung auf der gleichfalls auf Anregung des Bundestagsfinanzausschusses aufgenommenen
Bestimmung des § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 WpÜG beruhen, wonach der Aufsichtsrat den Vorstand zur
Vornahme von Abwehrhandlungen ermächtigen kann; daher lag es nahe, auch den Aufsichtsrat in die
Pflicht zur Abgabe der Stellungnahme einzubeziehen, die bei feindlichen Übernahmeangeboten vielfach
als Begründung der Ablehnung fungiert168.
In der Stellungnahme ist auf die Gesichtspunkte einzugehen, die für die Wertpapierinhaber der
Zielgesellschaft von Bedeutung sind, um eine informierte Entscheidung über die Annahme des Angebots
treffen zu können. Einzugehen ist insbesondere, aber nicht ausschließlich169 auf die Art und Höhe der
angebotenen Gegenleistung (Nr. 1), die voraussichtlichen Folgen eines erfolgreichen Angebots für die
Zielgesellschaft, die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen, die Beschäftigungsbedingungen und die
Standorte der Zielgesellschaft (Nr. 2), die vom Bieter mit dem Angebot verfolgten Ziele (Nr. 3) und die
Absicht der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats, soweit sie Inhaber von Wertpapieren der
Zielgesellschaft sind, das Angebot anzunehmen (Nr. 4).
Die wohl größte Bedeutung kommt für die Aktionäre insoweit der Beurteilung von Art und Höhe der
Gegenleistung zu170. Die Beurteilung der Angemessenheit der Höhe der Gegenleistung setzt die
Ermittlung des Werts der Anteile der Zielgesellschaft voraus. Diese verlangt neben einer Betrachtung des
Börsenkurses auch eine Unternehmensbewertung nach einem üblichen Bewertungsverfahren. Die
Anwendung der derzeit als klassisch anzusehenden Verfahren, nämlich des Ertragswertverfahrens und
des Discounted Cash Flow (DCF)-Verfahrens171, begegnet in der Praxis allerdings erheblichen
Schwierigkeiten, weil der für die Abgabe der Stellungnahme zur Verfügung stehende Zeitraum
regelmäßig nicht zur Durchführung einer umfassenden Unternehmensbewertung nach dem
Ertragswertverfahren oder dem DCF-Verfahren ausreicht. In derartigen Fällen kann die Beurteilung der
Angemessenheit der Gegenleistung auf der Grundlage einer Plausibilitätsprüfung vorgenommen
werden172, in deren Rahmen auch auf andere Unternehmensbewertungsverfahren wie etwa
Multiplikatorenverfahren173 zurückgegriffen werden kann. Erhebliche Aussagekraft für die Aktionäre
besitzen auch die Angaben gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 WpÜG, weil sie wichtige Hinweise darauf
liefern, ob Vorstand und Aufsichtsrat das Angebot für attraktiv erachten.
Bestehen innerhalb des Vorstands oder Aufsichtsrats unterschiedliche Auffassungen über den Inhalt der
Stellungnahme, ist die Position des jeweiligen Organs auf der Basis seiner internen
Willensbildungsvorschriften zu definieren174. Die bloße Wiedergabe von Einzelmeinungen wäre
unzureichend, weil § 27 WpÜG die Stellungnahmepflicht nicht den einzelnen Organmitgliedern, sondern
den Organen als solchen auferlegt. Hiervon zu unterscheiden ist die weitere – zu bejahende – Frage, ob
bei unterschiedlichen Ansichten innerhalb der Organe die Positionen der unterlegenen Organmitglieder
nach außen zusätzlich kundzutun sind. Das Interesse der Wertpapierinhaber an einer aussagekräftigen
165
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 14/7477, S. 52 f.
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 14/7477, S. 52 f.
167
Hirte, WpÜG, § 27 Rdnr. 3; Seibt, Aspekte, S. 529, 531.
168
Hopt, Grundsatzprobleme, S. 383, 419.
169
Fleischer/Kalss, WpÜG, S. 96.
170
Fleischer/Kalss, WpÜG, S. 96; Hopt, Grundsatzprobleme, S. 383, 419; Maier-Reimer, Verhaltenspflichten, S. 258, 262
(„Kern der Stellungnahme“).
171
Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, Grundsätze, S. 825.
172
Fleischer/Kalss, WpÜG, S. 97.
173
Dazu Coenenberg/Schultze, Multiplikatorverfahren, S. 697, 697 ff.; Haarmann, Übernahmeangebote, § 31 Rdnr. 47 ff.;
Rahlf, Übernahmerecht, C 242.
174
Hirte, WpÜG, § 27 Rdnr. 20.
166
26
Stellungnahme gebietet in derartigen Fällen auch einen Hinweis auf die abweichende Sicht der
Minderheit175.
Bei der Abgabe der Stellungnahme haben sich Vorstand und Aufsichtsrat an den Geboten der Wahrheit
und Vollständigkeit, der Sachlichkeit sowie der Verständlichkeit und Übersichtlichkeit zu orientieren 176.
Die Stellungnahme kann sowohl zustimmenden als auch ablehnenden Charakter haben177. Eine
ablehnende Stellungnahme ist dabei im Bereich von Übernahmeangeboten grundsätzlich nicht an § 33
WpÜG zu messen; der offene Meinungskampf zwischen dem Bieter und dem Vorstand sowie
Aufsichtsrat der Zielgesellschaft liegt vielmehr gerade im Interesse der Wertpapierinhaber und soll nach
der Konzeption des WpÜG daher nicht durch § 33 WpÜG erschwert oder gar verhindert werden178.
Neben einer Unterstützung des Angebots oder einer Ablehnung desselben hält die Regierungsbegründung
weiterhin eine Stellungnahme für möglich, die sich im Einzelfall einer konkreten Handlungsempfehlung
enthält179. Zu Recht ist indes darauf hingewiesen worden, dass eine Entbindung von der Parteinahme
nicht bereits aufgrund allgemeiner Haftungsgefahren, sondern lediglich in Fällen eines argumentativen
Patt oder ähnlich schwerwiegender Sachgesichtspunkte gerechtfertigt erscheint. In derartigen Fällen
haben Vorstand und Aufsichtsrat dann auch darzulegen, warum sie sich zur Abgabe einer Empfehlung
außer Stande sehen180.
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175
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Hirte, WpÜG, § 27 Rdnr. 20; Röh, Übernahmeangebote, Rdnr. 20, 37; Seibt, Aspekte, S. 529, 534.
176
Fleischer/Kalss, WpÜG, S. 97.
177
Begr.RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52; Fleischer/Kalss, WpÜG, S. 99; Hopt, Grundsatzprobleme, S. 383, 420.
178
Hopt, Grundsatzprobleme, S. 383, 420; Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 27 Rdnr. 2; ebenso vor Inkrafttreten des WpÜG Hopt,
Aktionärskreis, S. 534, 556.
179
Begr.RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52.
180
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