Psalm 103,2 Goldene Konfirmation 17.7.2005

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Psalm 103,2 Goldene Konfirmation 17.7.2005
Ich lese den Psalmvers, der auf den Gedenkblättern steht, die Sie, liebe Jubilare
und Jubilarinnen, nachher erhalten werden, als Predigttext vor:
”Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir gutes getan hat.”
Liebe Gemeinde, liebe Goldene Konfirmanden,
ein Stück Selbstgespräch haben wir mit den Worten des 103. Psalms gehört.
Jemand redet hier mit sich selbst. Jemand spricht mit seiner Seele. Er oder sie
tut etwas, was nur wir Menschen können. Es unterscheidet uns von allen
anderen Lebewesen: der Mensch kann über sich selbst nachdenken.
Rückbesinnung, Reflexion, in Distanz treten zum eigenen Ich: das ist die
Grundlage dieses Selbstgespräches.
Am heutigen Tage führen Sie, liebe Jubilare, und die zu Ihnen gehören, das
erinnernde Gespräch gemeinsam: das sich besinnende Gespräch auf alte Zeiten.
Es ist ja nicht lediglich manche Anekdote aus dem Konfirmandenunterricht oder
von der Konfirmation. Es geht ja auch um mehr als um die zwei Jahre damals.
Es geht auch um die weiteren fünfzig, die hinter Ihnen liegen. Es liegen eben
ganze Leben im Gespräch, ihr Wohl und Wehe, ihre Seelen, wie der Psalm sagt.
Ganze Identitäten in Freude und Leid sind im Gespräch. So viele Menschen
über so viele Jahre!
Der Psalmbeter will seinem Erinnern auch diese Güte verleihen. Es soll ein
Ganzes sein. Nichts soll vergessen werden. Er widmet sich dieser
Selbstbesinnung unter einem ganz bestimmten Stichwort. Sein Stichwort im
Rückblick ist das Lob Gottes. ”Lobe den Herrn, meine Seele!”
Viele finden so ein Stichwort ungewöhnlich. Mancher könnte befürchten, daß
sich hier eine fromme Seele aufdringlich zur Schau stellen möchte. Derartigen
öffentlichen Bekenntnissen begegnet man mit einer gewissen Skepsis. Aber sein
Stichwort ist ja wirklich seines. Er stellt sich mit dem Psalm nicht vor den
Jerusalemer Tempel. Er hat es in seiner Kammer aufgeschrieben. Es ist sein
Text, aber keine Rede für alle. Der Psalm bleibt ein Selbstgespräch.
Vielleicht ist manchem das Leitmotiv des Gotteslobes auch deshalb verdächtig,
weil es so gar nicht in die Zeit zu passen scheint. Loben wird selten geübt. Gott
loben noch seltener. Sich selbst Loben, das bekommen wir jeden abend in der
Tagesschau präsentiert. Ansonsten sind wir sind vom Gegenteil umgeben.
Kritisieren, jammern, meckern, darin werden wir bestens geübt. Kein Schritt
ohne den Kommentar eines Kritikasters, besonders natürlich, wenn Wahlen ins
Haus stehen!
Anstelle der Kultur des Lobes begegnet häufig die Unkultur des Mäkelns. Es
wird herumgemäkelt. Mancher hat sein Leben unter das Motto gestellt: sei
unzufrieden, meine Seele, und finde heraus, woran du als nächstes
herummeckern könntest. Und man kann sie schon hören, die Verächter des
Gotteslobes: wie sie es angreifen als einen Popanz oder etwa als einen Rückfall
in die Kindheit.
Gleichwie, liebe Gemeinde: das Lob als Oberbegriff der Erinnerung hat eine
große und ehrliche Kraft. Was wäre allein aus unseren Leben, die wir heute
morgen versammelt sind, zusammen zu tragen unter der Rubrik des Lobes! Ich
glaube, die Wände unserer Kirche würden nicht ausreichen, alles
aufzuschreiben. Sie haben die Kirche ja noch vor Augen mit ihren vielen
Bibelsprüchen in den Kassetten der Empore. Wenn man das Lob Gottes
aufschreibt, darf man natürlich den eigenen Anteil am Erfolg etwa dieser Zeit
blicken. Letztlich bleibt aber das Wort unseres Herrn bestehen: ”Ohne mich
könnt ihr nichts tun.”
Nun ist das Lob und das Lob Gottes noch mehr als nur eine Erklärung dafür,
warum dieses oder jenes gelang. Im Loben wird gerade auch das unerklärlich
Gute inbegriffen. Daß manches so wurde, wie es geworden ist, ist bei weitem
nicht selbstverständlich. Man kann es nicht erklären. Bei weitem nicht ist ja
alles nur durch eigenes Tun entstanden, durch eigene Anstrengung gut
geworden. ”Lobe den Herrn, meine Seele,” – das nimmt gerade in Blick, wieviel
Gutes uns von Gott zugekommen ist. Wie hoch würden Sie den Anteil dessen
angeben?
50 %? 100%? Oder 10%?
Und wie viele Prozent würden Sie heute, jetzt im Moment vergeben, also nicht
über die ganze Zeit gesehen? Ich gehe davon aus, daß diese Prozentsätze recht
unterschiedlich ausfallen. Denn schwerer als das allgemeine Lamento wiegt die
echte persönliche Klage. Es gibt auch Tage, an denen nichts zu Loben dran ist.
Es gibt Zeiten im Leben, in denen die Aufforderung zum Lob Gottes wie ein
Hohn klingen kann. Wahrscheinlich haben Sie alle solche Erfahrungen geteilt,
die keinen Anlaß zum Lob mit sich brachten. Soll dann aber dieses
Lebensmotiv ganz verstummen?
Sicher gilt, was Paulus sagt: ”Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den
Weinenden.” Es geht im christlichen Glauben nicht darum, die Gefühle von
Menschen zu übersehen und zu übergehen. Ich verstehe das Lob Gottes im Kern
jedoch als unabhängig von unseren jeweiligen Gefühlslagen. Dietrich
Bonhoeffer im Gefängnis hat Gott gelobt. Seine Lebensumstände waren nicht
dazu angetan. Man sieht: Wer Gott lobt, der erwartet auch etwas von ihm. Wer
Gott lobt, der schreibt ihm gewisse Taten und Eigenschaften zu. Der bekennt
sich zu seinem Dasein und Wirken. Und zwar in positiver Weise.
Ich glaube, daß so auch die Klage eine Form des Lobes Gottes sein kann, weil
sie vor ihm klagt, ja sogar Gott anklagt. Ist es denn nicht auch ein Lob und eine
Anerkennung für den, an den man sich mit seiner Klage wendet? Hat nicht
Jeremia mit seinen Klagen alles von Gott gewollt? Hat nicht Jesus am Kreuz mit
seiner Klage alles von Gott erwartet? Wo Klagen laut werden, da ist auch
Hoffnung auf Gehör. Da ist auch Hoffnung auf ein Handeln Gottes. Da ist
Hoffnung auf ein Licht in der Dunkelheit. Klage wird zum Lob gewandelt.
Wer Gott lobt, und sei es in der Klage, hält etwas von ihm. Der will etwas von
ihm. ”Lobe den Herrn, meine Seele!” – das ist kein religiöser Zwang, das ist
keine fromme Vorschrift. Das ist eine Vergewisserung des Glaubens und des
Menschen. Und die ist dringend notwendig, weil Menschen neben der Fähigkeit
zum Selbstgespräch auch das Manko der Vergeßlichkeit tragen.
Darum die Ergänzung des Lobes Gottes: ”Vergiß nicht, was er dir Gutes getan
hat.” Auch das wieder als Selbsterinnerung, ja fast Selbstermahnung des Beters.
Es ist keine moralische Aufforderung, etwa immer hübsch ”Danke” zu sagen.
Vergessen, was Gott Gutes getan hat, das verschiebt die ganze Perspektive
allein auf unser Leben. Wir könnten es in der Summe tatsächlich als irgendwie
beschädigtes und nicht vollgültiges ansehen, wenn dem Vergessen statt gegeben
wird.
Wir wollen uns aber des Guten erinnern lassen und selber erinnern. Manchmal
tut das sehr gut, sich vor Augen zu führen, was alles an Gutem, was alles an
Freundlichkeit und Barmherzigkeit zu einem gekommen ist. Das begreift auch
die Begrenzung des Guten mit ein, sogar sein Ende. Aber weil etwas gut war,
soll es doch auch als ein Segen erinnert werden, selbst wenn es Geschichte
geworden ist. Das Gute erinnern, was Gott gutes getan hat, das ist eine wichtige
Art des Rückblicks. Nicht aus Schuldigkeit, sondern weil es gut tut, finde ich
das eine der wichtigsten Übungen im Leben. Sie helfen einem auch dann tragen,
wenn schlechte Erinnerungen sich in das Leben einzeichnen.
Geben wir es also niemals auf, das Lob Gottes im Angesicht der guten Taten.
Gott hat viel Gutes getan, in einem jeden Leben. Wer das vernachlässigt, tut
sich letztlich selber weh. Die Ratlosigkeit und Schwäche manches Menschen
heute hängt auch mit dieser Vernachlässigung zusammen. Denn die Hoffnung
für die Zukunft hinge dann allein an ihm. Es wäre kein Gott, der ihm aufhilft.
Man müßte nur auf die eigenen Kräfte vertrauen, die ja da sind, aber die
manchmal eben nicht genügen. Und in manchen Situationen sind sie völlig
unzulänglich.
Darum also der Einblick heute in das Gesprächs des Beters damals. ”Lobe, den
Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat.” So wollen wir
es heute halten, uns alles erzählen, und Gott danken, daß wir das können. Alles
Unaussprechliche aber, das nehme der Heilige Geist auf sich. Er bewahre und
behüte uns auch in der Zeit.
Amen.
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