Wenn Sie das Gefühl haben, dass fast nichts mehr geht

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Dipl.Psych. Sybille Herold, Hasselwerder Str. 5, 12439 Berlin, Tel.: 030 63331661
Für schwere Zeiten
Manchmal denken Eltern, dass sie den Einfluss auf ihr Kind immer mehr verlieren. Sie suchen nach den
Ursachen im Kind (Pubertät? Erbe? ADHS?... ) und bei sich selbst (der Einfluss des Vaters? zu wenig Zeit? zu
wenig Konsequenz?Überforderung?...). Manche fühlen sich dann schuldig. Die meisten fühlen sich hilflos –
ein Gefühl, das nur schwer auszuhalten ist.
Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf eine solche Situation. Viele Eltern reagieren mit verstärkten
Erziehungsanstrengungen. Wo sie bisher großzügig waren, sind sie nun streng. Sie setzen mehr Grenzen und
bemühen sich stärker, diese auch durchzusetzen, um die Fäden wieder in die Hand zu bekommen. Wenn es
mehr Regeln gibt und diese schärfer kontrolliert werden, ist es einerseits logisch, dass es mehr
Regelverletzungen gibt. Andererseits wecken (zu) viele Regeln im Menschen den Drang, dagegen zu
protestieren oder diese nun erst recht zu umgehen. (Denken Sie an eine Straße mit zu vielen
Verkehrsschildern.)
Die Folgen davon sind in der Familie:

Das Kind verletzt anscheinend noch mehr Regeln.

Es gibt noch mehr Strafen.

Das Kind fühlt sich gegängelt und ungerecht behandelt: Denen kann ich ja gar nichts mehr Recht
machen. Seine Bereitschaft, Regeln einzuhalten, sinkt.

Es gibt mehr Diskussionen und Streit. Nicht selten ist ein angenehmes Miteinander fast gar nicht
mehr möglich.

Die Eltern fühlen sich noch hilfloser.
Frage: Wie weit sind Sie von dieser Situation entfernt oder mitten drin?
Wie kann man diesen Kreislauf unterbrechen oder vermeiden?
Die Basis dafür, Ihr Kind gut lenken zu können, ist, dass es sich für alle Beteiligten gut anfühlt, genau zu dieser
Familie zu gehören. Ihr Kind muss sich also in der Familie wohl, von Ihnen als Eltern geliebt und fair
behandelt fühlen, damit es überhaupt bereit dazu ist, sich in die Familie einzuordnen.
Um das zu erreichen, sollten Sie folgende Hinweise beachten:
1. Machen Sie keine radikalen Kurswechsel in der Erziehung. Die halten Sie in der Regel sowieso nicht
lange durch und Ihr Kind verliert die Orientierung. Suchen Sie sich einen Schwerpunkt, an dem Sie
arbeiten wollen und kämpfen Sie nicht an zu vielen Fronten. Erklären Sie Ihrem Kind in einem Gespräch,
was nun anders werden wird. (Noch besser, beziehen Sie Ihr Kind bei der Suche nach einer Lösung des
Problems mit ein.) Erwarten Sie nicht von Ihrem Kind, dass es sich daraufhin in der gewünschten
Richtung verändert. Sie müssen sich gemeinsam verändern.
a) Sie benennen das Problem zunächst für sich.
Beispiel: Kind kommt häufig zu spät.
b) Sie finden für sich einen neuen Umgang damit. Handeln Sie weniger spontan, sondern machen sich
zunächst einen Schlachtplan, bei dem Sie Ziele, Wege und Umsetzungsmöglichkeiten überprüfen. Oft
hilft es auch, die ganze Idee zunächst noch einmal zu überschlafen!
Beispiel: Statt längerem PC-Verbot sollen kleinschrittig, aber konsequent Konsequenzen erfolgen,
mit logischem Zusammenhang zum Problem. – Sie überlegen, wie streng Sie sein wollen, d.h. wie der
Toleranzbereich aussehen soll. Überlegen Sie auch, ob das Kind zu spät kommt, weil es das noch
nicht im Griff hat oder eher, weil es Ihre Regel gar nicht erst akzeptiert.
c) Problemgespräch mit dem Kind.
Beispiel: Sie sprechen in max. 5 Sätzen noch einmal darüber, warum Sie die Unpünktlichkeit nicht
mehr hinnehmen wollen. Sie legen noch einmal fest, wann das Kind jeweils zu Hause sein soll und
einen Toleranzbereich (10-15 Minuten), in dem es noch keinen Ärger gibt. Sprechen Sie über
Ausnahmen (wenn der Bus ausfällt, wenn die anderen noch länger zusammen sein wollen…) und wie
Sie damit verfahren wollen. Kündigen Sie an, dem Kind sozusagen mit einem Lernprogramm helfen
zu wollen, Pünktlichkeit zu lernen. Wenn es zu spät ist (nach dem Toleranzbereich), muss es zunächst
jeweils am kommenden Tag die überzogene Zeit eher kommen. Wenn es drei Verspätungstage
nacheinander gab, gibt es einen Tag Ausgangssperre, da Sie sich auf Ihr Kind verlassen wollen. Am
nächsten Tag darf Ihr Kind Ihnen beweisen, dass Sie ihm vertrauen können.
d) Umsetzung.
Beispiel: Sie verhalten sich wie besprochen. Loben Sie Ihr Kind kurz, wenn es pünktlich ist. Bleiben Sie
berechenbar. Also nicht: Wenn Sie gute Laune haben, gehen Sie großzügig über die Verspätung
hinweg. Wenn Sie sich über das unaufgeräumte Zimmer geärgert haben, springen Sie wegen
10 Minuten an die Decke. Erklären Sie nicht an einem Tag: Dann ist mir jetzt alles egal, mach doch
was du willst. Und am übernächsten: Du wirst dich noch umsehen, jetzt brechen andere Zeiten an.
Frage: Wo haben Sie sich wieder erkannt? Was könnten Sie anders machen?
2. Wenn Kinder ihre Eltern so hilflos machen und durch ihr Verhalten auch immer wieder verletzen (Ich tue
alles für dich und du behandelst mich wie eine Putzfrau!), dann liegen Rachegedanken nahe. (Menschen
sind so!) Man will das Kind spüren lassen, was man selbst fühlt. Kinder machen es ähnlich: kein Kind will
angeborener Weise seine Eltern ärgern (würden Sie bewusst Ihren Chef verärgern wollen?). Wenn Kinder
sich jedoch unfair behandelt fühlen (aus ihrer Sicht), dann wollen sie schon manchmal ihre Eltern
bestrafen, indem sie sie in peinliche Situationen bringen oder das tun, wovon sie wissen, dass die Eltern
sich darüber ärgern werden. Ich erkläre Kindern immer: Rache ist ein Bumerang. Die kommt immer
zurück. – Das gilt auch für Sie. Kinder spüren sehr wohl, wenn auch nur leichte Racheideen bei Ihnen eine
Rolle spielen. Dann sind Sie alle ganz schnell in einem Kreislauf: Ärgerst du mich – ärgere ich dich.
Versuchen Sie als Erwachsene, über diesen Dingen zu stehen. Rache hat in der Familie nichts zu suchen.
Besser: Gemeinsam nach Problemlösungen suchen. Sie wollen doch keinen Krieg in der Familie, oder?
Wenn jemand mit etwas unzufrieden ist, muss es zusammen verändert werden. Je älter die Kinder sind,
desto partnerschaftlicher sollte dies passieren.
Ihren (sicher berechtigten) Ärger, Ihre Kränkungen, Ihre Hilflosigkeitsgefühle müssen Sie anderweitig
loswerden. Beklagen Sie sich ausgiebig bei Ihren Freunden, gehen Sie Holz hacken oder joggen, schreiben
Sie sich den Ärger von der Seele oder was auch immer Ihnen bei Frust gut tut! Gehen Sie Veränderungen
in Ihrem Umgang mit dem Kind mit kühlem und klarem Kopf an und nicht mit Schaum vor dem Mund!
Frage: Wo lassen Sie Ihren Frust?
3. Ich hoffe, Sie kennen die rosaroten Brillen und waren schon einmal so richtig verliebt. Ich hoffe für Sie, die
schwarzen Brillen der Depression kennen Sie nicht, wo man sich selbst, die anderen und die Zukunft nur
in den düstersten Farben sehen kann. Kennen Sie aber die dunkle Brille, die man manchmal in Bezug auf
einen anderen Menschen aufhat und dann kein gutes Haar mehr an diesem sehen kann? Eltern kranken
manchmal an einer solchen Wahrnehmungsverzerrung ihrem Kind gegenüber. Wenn Sie wüssten, Sie
hätten bei Ihrem Chef total ver… (selbst verschuldet oder nicht), er hielte Sie für seinen schlechtesten
Mitarbeiten, würden Sie sich dann noch anstrengen wollen, das Ruder herumzureißen?
Auch Kinder kündigen dann manchmal, das heißt sie steigen aus der Familie ganz aus. Dann geht gar
nichts mehr. Damit Sie das Ruder herumreißen können, müssen Sie sich eine große Loblupe besorgen,
egal wie schwer Ihnen das fällt. Eigentlich sollten Lob und Kritik immer in einem Verhältnis von 4 zu 1
stehen. Wenn Sie 1 zu 1 schaffen, sind Sie schon gut! Loben Sie auch das, was bei anderen Kindern, aber
eben nicht bei Ihrem schon selbstverständlich ist. Kurz, mit einem „Super!“, einem Blick, der Hand auf der
Schulter. Oder mit einem Lob des Tages. Ohne Lob kann sich kein Kind gut entwickeln. Auch wenn es für
Sie schwer werden kann, Lobenswertes zu finden.
Frage: Was sehen Sie gerade an Lobenswerten bei Ihrem Kind?
4. Kann es umgekehrt sein, dass Ihr Kind, wenn es Sie sieht, eigentlich nur Schlechtes erwartet: unbequeme
Fragen, Anweisungen, Verbote, Kritik? Dann sollten Sie dies unbedingt verändern. Frei nach dem Motto
„Kinder brauchen am meisten Liebe, wenn sie diese am wenigsten verdienen.“
Lesen Sie doch einmal den Text zu den Mütterlichkeitsgesten und versuchen Sie, diese zu intensivieren.
Nein, Sie belohnen Ihr Kind damit nicht für seine Ungezogenheiten. Sie trennen die generelle positive
Zuwendung, die jeder Mensch braucht und verdient und Ihre pädagogische Reaktion auf ein
problematisches Verhalten. Sie reagieren nicht wie ein Kumpel beleidigt. Sie handeln als Erwachsener,
der über den Dingen steht.
Das schließt nicht aus, dass Sie auf eine Kränkung durch Ihr Kind oder nicht eingehaltene Absprachen
wütend reagieren dürfen. Übrigens müssen Sie dabei auch nicht immer gleich eine Strafe bei der Hand
haben. Es reicht, wenn Sie ankündigen, dass Sie dieses Verhalten nicht hinnehmen werden, und eine
Nacht drüber schlafen oder sich beraten. Sie warten eine kurze konfliktfreie Phase ab und zeigen dann
Ihrem Kind, dass Sie zu ihm stehen und es zu Ihrer Familie gehört, auch wenn es im Moment eine
schwierige Phase gibt.
Frage: Wie viele Mütterlichkeitsgesten haben Sie in den letzten 7 Tagen eingesetzt?
5.
Sorgen Sie gut für sich selbst. Wer kann Sie unterstützen? Wer kann Sie beraten? Wo können Sie
auftanken und sich erholen? Wo können Sie Ihren Frust lassen? Sie müssen stark sein wie ein Fels in der
Brandung, wenn familiäre Stürme toben.
Hilfe erhalten Sie auch im Jugendamt und in den Erziehungs- und Familienberatungsstellen Ihres Bezirkes!
Sybille Herold
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