Auswahlverfahren Stühlekreis und Früchtetee Die schwierige Suche nach einem Kindergartenplatz zwingt Eltern gelegentlich zu beschämenden Verhaltensweisen. Ein Erfahrungsbericht. Von Alex Rühle Ich war mal vorgeschlagen für ein Uni-Stipendium. Zum Auswahlverfahren musste man an einen entlegenen oberbayerischen Ort fahren, wo sie einen dann drei Tage lang leistungs- und gesinnungsmäßig beinhart durchgecheckt haben. Was für ein schräger Laden, dachte ich. Ich dachte das natürlich erst, nachdem ich da in hohem Bogen nicht genommen worden war. Während der dreitägigen Prüfungstortur dachte ich nur verkniffen: Puh, was soll ich denn jetzt schon wieder sagen? Genauso geht es mir jetzt: Im Nachhinein bin ich straff systemkritisch, prangere dieses und jenes an. Während des Vorstellungsgesprächs aber war ich zuvorkommend, auf möglichst einnehmende Weise leise und am Ende sogar geknickt. Es ist zynisch und menschenverachtend, was so ein Auswahlverfahren mit einem macht. Abends um acht, ein Stuhlkreis in den Räumen einer Münchner Elterninitiative, es gab Früchtetee aus bunten Plastikbechern. Wer hätte gedacht, dass so das Ambiente aussehen kann für ein Verlogenheitshappening ersten Ranges. Das hier war die dritte und letzte Runde im Selektionsparcours dieser Initiative, wer es also bis hierher geschafft hatte, darf sich in unserem Viertel wahrscheinlich zur Crème de la Crème in Sachen Kindererziehung samt rundum sympathischer Ausstrahlung zählen. In der ersten Runde hatten die Erzieherinnen und der Elternvorstand vorsondiert und erzählt, wie der Hase so läuft. Angenehme, ruhige Betreuerin, helle Räume, herrlicher Garten - kein Wunder, dass sich 30 Eltern auf die paar freien Plätze beworben hatten. Gute Performance beim Vorspielen Zweite Runde: Vorspielen. Man kommt mit seinem Kind an einem Vormittag vorbei, das Kind soll einfach ein bisschen spielen. Was dabei die Auswahlkriterien sind, weiß ich nicht, jedenfalls hat unser Sohn anscheinend begabt gespielt. Meine Frau hat währenddessen Konversation gemacht mit den zwei Erzieherinnen, ich habe mit den anderen Kindern eine Höhle gebaut und herumgetollt. Alles in allem müssen wir eine gute Performance hingelegt haben, wir wurden zur dritten Runde eingeladen. Die eine Woche, die zwischen dem Vorspielen und der dritten Runde lag, haben wir für Vorstellungsgespräche bei anderen Initiativen und einem städtischen Kindergarten genutzt. Das machen alle so, ich kenne ein Elternpaar, das, obwohl sich die beiden bei vier Initiativen beworben haben, momentan ohne Platz dasteht. Entwürdigendes Schauspiel Also, dritte Runde. Die einzige, eigentlich ja harmlose Frage der Erzieherin an diesem Abend lautete, was wir Bewerber uns von der Elterninitiative für unser Kind wünschen. Da sich aber alle Bewerber von der Elterninitiative nur das eine wünschen, nämlich einen der wenigen Plätze, man das aber so nicht sagen kann, ging es in der folgenden halben Stunde so entwürdigend zu wie beim Casting für einen stalinistischen Schauprozess. Da sind Sätze gefallen, unglaublich. ¸¸Ich find"s auch wunderschön, wie du mit den Kindern umgehst", sagte eine Frau zur Leiterin. Weder bat sie aber danach darum, dass sich die Erde auftun möge unter ihr, damit sie samt ihrem Satz darin verschwinden könne, noch schauten die anderen sie an, als habe sie grob einen an der Waffel. Der nächste versuchte einfach, die Frau noch zu übertrumpfen in Sachen Lobhudelei. Einer sagte, er habe beim Vorspielen einen warmen Flashback erlebt, weil, er habe ja Zivildienst in einem integrativen 1 Kindergarten gemacht, was sehr schön gewesen sei, und freue sich, dass hier eventuell auch integrative Kinder aufgenommen würden, wobei er eine Frau anschaute, die von der Behinderung ihrer Tochter erzählt hatte. Dann sagte er, mit behinderten Kindern fiele ja ¸¸diese ganze Wettbewerbskiste" weg. Er sagte das im Rahmen des verlogensten Wettbewerbs, der je auf diesem Planeten stattgefunden hat. Vorbereitung ist Trumpf Wir waren als letzte dran. Ich will gar nicht so tun, als sei ich was Besseres. Als der erste was von sozialer Kompetenz erzählte, dachte ich: Hmm, soziale Kompetenz, griffig gesagt, wie kann man das jetzt noch anders drehen? Nachdem dann aber der vierte die soziale Kompetenz der Erzieherinnen gelobt hatte, dachte ich, wenn ich jetzt soziale Kompetenz sage, krieg ich zur Strafe einen lebenslangen Tinnitus. Ich hab dann nur gebrummelt, dass unser Sohn so gerne spielt. Wie gesagt, ich bin keinen Deut besser; erstens konnte ich es mir leisten, so autistisch rumzubrummeln, weil wir zu dem Zeitpunkt der Auswahl schon zwei andere Kindergartenplätze in Aussicht hatten (was wir da jeweils zum Besten gegeben haben, verrate ich nicht). Zweitens behaupte ich, nachdem ich die Geschichte mehrfach erzählt habe: Pöh, drei Runden, öffentlicher Stuhlkreis, komischer Laden. An dem Abend selbst aber dachte ich nur zerknirscht: Mann, hätten wir uns doch besser vorbereitet. Wie gut dieser Typ das mit seinem Behindertenzivildienst serviert hat. Drittens habe ich mich diesem ganzen sozialen Ausleseverfahren der Initiativen schließlich freiwillig unterzogen. Man will ja selbst auch nicht mit irgendwelchen dahergelaufenen Eltern und deren verkorksten Schrazen in einer Initiative sein. Eltern-Demo für Kindergartenplätze Andererseits: Die Alternative wäre ein städtischer Kindergarten. Aber versuchen Sie da mal, einen Platz zu bekommen. Ich kann nur den Kollegen Z. zitieren, der, zwar politisch unkorrekt aber doch zutreffend, sagte: ¸¸Kindergarten? Träumst du? Da muss deine Frau nachweisen, dass sie Hartz IV ist und von ihren ständig wechselnden Geschlechtspartnern missbraucht wird." Fühlen sich andere Eltern ähnlich doof und elend? Warum gehen sie nicht auf die Straße; ketten sich an Kindergartentoren fest; marschieren zur Feldherrnhalle? Fürs Fernsehen müssten sie griffige Transparente mitführen: ¸¸Es gibt keine richtige Auswahl in der falschen", für die erstaunt schauenden Passanten Transparente mit den harten Fakten, die alle Münchner Eltern zu diesem beschämenden Verhalten zwingen: dass es eben verdammt nochmal zu wenige Plätze gibt. Kindergartenplätze zu suchen ist übrigens gar nichts gegen das, was inzwischen abläuft in Sachen Einschulung. Bei der Münchner Waldorfschule müssen die Eltern zunächst mal eine Mappe einreichen. Eine Mappe! Mit Foto des Kindes. Es erübrigt sich zu sagen, dass meine Frau und ich sehr glücklich und dankbar sind, denn wir haben am Ende einen wunderbaren Platz in einer herrlichen Elterninitiative bekommen. Die Erzieherinnen gehen dort unglaublich schön mit den Kindern um und diese ganze miese Wettbewerbskiste fällt da völlig weg. Ich habe schon jetzt warme Flashbacks im Futur zwei, wenn ich nur daran denke, wie erfüllt diese Zeit einstmals für unseren Sohn gewesen sein wird. (SZ vom 11.04.2005) 2