1 Widerrufs- und Rückgaberechte Diese Arbeit behandelt den Regelungsbereich der §§ 312 ff. und §§ 355 ff.1 und erhebt den Anspruch Struktur und Inhalt dieser Regelungen aufzuzeigen. A) Einleitung Widerrufs- und Rückgaberechte sollen den Verbraucher vor vertraglichen Bindungen schützen, die er möglicherweise übereilt, ohne gründliche Abwägung eingegangen ist.2 Die Reintegration der verbraucherschützenden Widerrufs- und Rückgaberechte in das BGB ist mit dem Gesetz zur Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie in §§ 361 a, b BGB a. F. im Jahre 2000 erfolgt. An der grundsätzlichen Systematik hat sich bei den § 355 ff. im Vergleich zu den §§ 361 a, b BGB a. F. nichts geändert.3 Neu hinzugekommen sind im Rahmen des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes (SMG), die bisher in Sondergesetzen behandelten Regelungen des Widerrufsdurchgriffs ( § 358 ) und des Einwendungsdurchgriffs ( § 359 ) bei verbundenen Darlehensverträgen. Verschiedene Spezialgesetze4 sind bereits zum 30.06.2000 im Zuge der Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie einer grundlegenden Reform unterzogen worden, um eine einheitliche Systematik insbesondere der verbraucherschützenden Widerrufsrechte zu schaffen. Unter der Überschrift „Besondere Vertriebsformen“ hat der Gesetzgeber mit dem SMG die bisherigen Vorschriften des Haustürwiderrufgesetzes und des Fernabsatzgesetzes, ergänzt um eine allgemeine Regelung der Pflichten im elektronischen Geschäftsverkehr, zusammengefaßt und in das allgemeine Schuldrecht integriert. Die Zusammenführung dieser drei Bereiche verdeutlicht das ihnen gemeinsame Strukturelement, nämlich die Tatsache, 1 Nicht anders gekennzeichnete Paragraphen sind solche des BGB. Palandt/Heinrichs Schuldrecht § 355 Rdn.3 3 Lorenz/Riehm § 2 Rdn. 439; Schulze/Schulte-Nölke/Lorenz, S. 335. 4 HaustürWG, FernAbsG ,TzWrG. 2 2 daß Vertragsanbahnung und –abschluß außerhalb fester Verkaufs- und Geschäftsräume erfolgen.5 B) Widerrufs- und Rückgaberechte §§ 355 ff. I. Regelungsgehalt und Systematik der §§ 355-359 Die §§ 355 ff. setzen voraus, dass eine andere Rechtsnorm ausdrücklich ein Widerrufsrecht nach § 355 oder ein Rückgaberecht nach § 356 einräumt, wie dies nunmehr in § 312 I ( Haustürgeschäfte ) oder § 312 d I ( Fernabsatzgeschäfte ) geschieht. Die Bestimmungen dienen der Vereinheitlichung der Regeln über die Ausübung und die Rechtsfolgen des Widerrufs und der Rückgabe. Systematische und inhaltliche Änderungen ergeben sich bei den Rechtsfolgen des Widerrufs durch die Ankoppelung der Widerrufswirkungen an das geänderte Rücktrittsrecht ( § 357 I 1 ). II. Widerrufsrechte 1. Allgemeines § 355 I S. 1 bestimmt nunmehr einheitlich für alle verbraucherschutzrechtlichen Regelungen das Widerrufsrecht. § 355 I und II entsprechen § 361 a BGB a. F. Der Unterschied besteht zunächst einmal darin, dass zur besseren Übsichtlichkeit eine Aufteilung in zwei Vorschriften ( § 355 I und II ) stattfand. Ferner wurde die späteste Erlöschensfrist eines Widerrufsrechts auf sechs Monate vereinheitlicht, § 355 III. Aus der Änderung von „dauerhafter Datenträger“ auf „Textform“ ergeben sich keine rechtlichen oder praktischen Konsequenzen. 6 Der Unterschied besteht lediglich darin, dass die Wahrung der Textform ( § 126 b ) nun die Angabe der Person des Erklärenden und der Abschluß der Erklärung erkennbar gemacht wird.7 Des weiteren liegen lediglich redaktionelle Änderungen vor.8 2. Ausübung und Wirkung des Widerrufsrechts 355 I S. 1 regelt jetzt einheitlich für alle verbraucherschutzrechtlichen Regelungen das Widerrufsrecht als Gestaltungsrecht im Sinne einer 5 RE, BT-Drucks. 14/6040, S. 166f. Henssler/Brisch, S. 397. 7 Palandt/Heinrichs Schuldrecht § § 126 b, Rdn. 3-5. 8 Aufgrund der geringen Änderungen kann auch auf Kommentierungen zu §§ 361 a und b verwiesen werden. 6 3 schwebenden Wirksamkeit.9 Der frühere Streit, ob es sich bei einem Widerrufsrecht um ein Gestaltungsrecht10 oder eine rechtshindernde Einrede handelt11 ist bereits seit Einführung der §§ 361 a, b nicht mehr aktuell. Die bis dahin kontrovers geführte Diskussion, ob die Willenserklärung eines Verbrauchers bei Bestehen eines Widerrufsrechts schwebend unwirksam oder schwebend wirksam ist, hat sich mithin erübrigt. Eine solche Willenserklärung ist vernichtbar, also schwebend wirksam. 12 Das Konstrukt der schwebenden Wirksamkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass der Verbraucher dann nicht mehr an seine Willenserklärung gebunden bleibt, wenn er sie wirksam widerruft. Die Unwirksamkeit der Willenserklärung des Verbrauchers bewirkt zugleich die Unwirksamkeit des Vertrages, auf dessen Abschluß sie gerichtet war.13 Bis zum Widerruf bleibt der Vertrag wirksam und begründet beiderseitige Erfüllungsansprüche.14 Nach § 357 I 1 finden auf das Widerrufsrecht vorbehaltlich besonderer Regelungen die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt entsprechende Anwendung. Das Widerrufsrecht wird auch als modifiziertes gesetzliches Rücktrittsrecht bezeichnet.15 Das Widerrufsrecht wird wie das Rücktrittsrecht durch eine empfangsbedürftige Willenserklärung ausgeübt.16 § 355 trifft keine Aussage darüber, ob die Nichtigkeit ex tunc oder ex nunc eintreten soll. Sowohl die Formulierung als auch die Anbindung an das Rücktrittsrecht sprechen für eine bloße ex nunc Wirkung.17 3. Inhalt und Form der Widerrufserklärung Die Widerrufserklärung muß keine Begründung enthalten, § 355 I S. 2. Ausreichend ist, dass der Verbraucher erkennen lässt, dass er den abgeschlossenen Vertrag nicht gelten lassen will.18 Der Widerruf muß in Textform ( § 126 b ) oder durch Rücksendung der Sache erfolgen. 9 Vgl. Palandt/Heinrichs Schuldrecht § 355 Rdn. 3. So damals OLG Karlsruhe NJW 1990, 2474. 11 BGHZ 131, S. 82 12 Vgl. Artz, NJW 2000, S. 2049 (2051);Lorenz, JuS 2000, S.833 (836); Riehm,, Jura 2000, S. 505 ( 507 ). 13 Lorenz/Riehm Rdn. 440. 14 Bülow/Artz, NJW 2000, S. 2049 ( 2051 ). 15 Ring in Dauner-Lieb § 12 Rdn. 115. 16 Palandt/Heinrichs Schuldrecht § 355 Rdn. 5 ;Lorenz/Riehm Rdn. 440. 17 Ring in Dauner-Lieb § 12 Rdn. 115. 18 Lorenz/Riehm Rdn. 441. 10 4 4. Widerrufsfrist a) Dauer Die Widerrufsfrist beträgt nunmehr für alle Widerrufsrechte einheitlich zwei Wochen. Lediglich nach § 485 III beträgt die Widerrufsfrist bei Prospektfehlern im Time-sharing-Bereich abweichend von § 355 I S. 2 einen Monat. b) Frist Der Fristbeginn ist an die ordnungsgemäße Belehrung des Verbrauchers gebunden, § 355 II. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in welchem dem Verbraucher eine „deutlich gestaltete Belehrung über sein Widerrufsrecht, die ihm entsprechend den Erfordernissen des eingesetzten Kommunikationsmittels seine Rechte deutlich macht, in Textform mitgeteilt worden ist.“ Der Verbraucher kann bereits nach Abgabe seiner Willenserklärung widerrufen, selbst wenn der Vertrag noch nicht zustande gekommen ist.19 Ist streitig, ob bzw. zu welchem Zeitpunkt der Unternehmer die dem Verbraucher zu erteilenden Informationen mitteilte, trifft nach der Beweislastregel des § 355 II S. 4 die Beweislast den Unternehmer.20 Die Beweislast für den Zugang sowie das Zugangsrisiko trägt hingegen der Verbraucher.21 Bei einigen Widerrufsrechten wird der Fristbeginn überdies an die Erfüllung der Pflichten aus der InfoVO22 gekoppelt.23 Bei Fernabsatzverträgen über Waren beginnt die Frist nicht vor dem Tag des Eingangs der Waren. Zur Fristwahrung genügt nach § 355 I S. 2 Hs. 2 die rechtzeitige Absendung. Der Unternehmer trägt damit das Verspätungsrisiko. c) Form und Inhalt der Widerrufsbelehrung ( § 355 II ) Die Belehrung muß Namen und Anschrift des Widerrufsempfängers und einen Hinweis auf die Modalitäten des Widerrufs und der Widerrufsfrist enthalten. Bei anderen als notariell beurkundeten Verträgen ist sie gesondert 19 Ring in Dauner-Lieb § 12 Rdn. 119. Vgl. Ring in Dauner-Lieb § 12 Rdn. 78. 21 Ring in Dauner-Lieb § 12 Rdn. 119. 22 Verordnung über Informationen nach Bürgerlichem Recht. 23 §§ 312 d II, 312 e III. 20 5 zu unterschreiben oder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur iSv § 126 a I zu versehen. Das Unterschrifts- oder Signaturerfordernis besteht nicht bei Fernabsatzverträgen, § 312 d II Hs. 2. Ist der Vertrag schriftlich abzuschließen, so müssen dem Verbraucher auch eine Vertragsurkunde und der schriftliche Antrag des Verbrauchers ausgehändigt werden. d) Einheitliche Ausschlussfrist Durch § 355 III wird eine Vereinheitlichung bislang verschiedener Fristen gesetzlich verankert.24 Nach § 355 III erlischt das Widerrufsrecht unabhängig vom Vorliegen einer ordnungsgemäßen Belehrung nun einheitlich spätestens 6 Monate nach Vertragsschluß. Bei einer Lieferung von Waren beginnt diese Frist allerdings nicht vor dem Eingang der Waren beim Empfänger. III. Rückgaberechte 1. Überblick Das Rückgaberecht kann nach § 356 I S. 1 ein Widerrufsrecht ersetzen, wenn es ausdrücklich durch Gesetz zugelassen ist. § 356 entspricht im Kern § 361 b a. F., obgleich eine redaktionelle Straffung vorgenommen wurde.25 Das Rückgaberecht unterscheidet sich vom Widerrufsrecht dadurch, dass Ersteres nach § 356 II S. 1 nur durch Rücksendung der Ware ausgeübt werden kann. Ist eine Versendung der Ware als Paket nicht möglich, wird das Rückgaberecht durch ein Rücknahmeverlangen ausgeübt, § 356 II S. 1 a. E. Über § 356 II S. 1 finden die bereits aufgezeigten Voraussetzungen des § 355 I S. 2 entsprechende Anwendung. 2. Voraussetzungen der Ersetzbarkeit des Widerrufsrecht durch ein Rückgaberecht a) Vertragliche Vereinbarung im Einzelfall Neben der Rückgaberecht bereits in erwähnten einem gesetzlichen Einzelfall anstelle Erlaubnis, des muß das Widerrufrechts Vertragsbestandteil geworden sein. b) Belehrung über das Prospekt im Einzelfall Der Vertragsschluß muß aufgrund eines Verkaufsprospekts erfolgen. 24 Henssler/Graf von Westphalen, S. 439, Rdn. 3. Henssler/Graf von Westphalen, S. 441, Rdn. 1; Es kann auf Kommentierungen zu § 361 b verwiesen werden. 25 6 Verkaufsprospekte sind Kataloge, Postwurfsendungen, Disketten oder Inserate, sofern sie alle erforderlichen Angaben enthalten. Die weiteren Voraussetzungen werden in § 356 I S. 2 Nr. 1-3 konkretisiert. Die Voraussetzungen im Einzelnen: Nr. 1: Im Verkaufsprospekt muß eine deutlich gestaltete Belehrung über das Rückgaberecht enthalten sein. Nr. 2: Der Verbraucher konnte den Verkaufsprospekt in Abwesenheit des Unternehmers eingehend zur Kenntnis nehmen zu können. Nr. 3: Das Rückgaberecht muß in Textform ( § 126 b ) eingeräumt werden. 3. Konsequenzen für den Verbraucher Ist im Vertrag das gesetzliche Widerrufsrecht durch das Rückgaberecht ersetzt worden, hat dies für den Verbraucher zur Konsequenz, dass er sich nicht mehr in einfacher Weise durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer vom Vertrag lösen kann. Nur noch die Rücksendung der Sache führt zu einer Lösung vom Vertrag.26 IV. Rechtsfolgen des Widerrufs und der Rückgabe 1. Überblick Die unter §§ 355, 356 fallenden Verträge sind bis zur Ausübung des Widerrufsrechts wirksam. § 357 vereinheitlicht die Rechtsfolgen des Widerrufs und der Rückgabe bei Verbraucherverträgen. Der Verbraucher ist nach § 357 II S. 1 bei Ausübung des Widerrufsrechts zur Rücksendung der Sache verpflichtet, wenn die Sache durch Packet versandt werden kann. Eine Rücksendeverpflichtung gibt nur bei der Ausübung eines Widerrufsrechts einen Sinn, weil bei einem Rückgaberecht bereits dessen Ausübung die Rücksendung verlangt.27 Die Rechtsfolgen nach § 357 können lediglich zugunsten des Verbrauchers geändert werden. Eine Abweichung zuungunsten des Verbrauchers ist nicht statthaft.28 2. Verweis auf das Rücktrittsrecht Für das Widerrufs- und Rückgaberecht finden die Vorschriften über das gesetzliche Rücktrittsrecht ( §§ 346 ff. ) entsprechende Anwendung. Bei dem Widerrufs- und Rückgaberecht handelt es sich um ein in 26 Ring in Dauner-Lieb § 12 Rdn. 82. Vgl.Ring in Dauner-Lieb § 12 Rdn. 138. 28 Ring in Dauner-Lieb § 12 Rdn. 138. 27 7 Voraussetzungen und Folgen besonders ausgestaltetes gesetzliches Rücktrittsrecht.29 Wird das Widerrufs- oder Rückgaberecht ausgeübt, sind nach § 357 I S. 1 i.V.m. §§ 346, 348 die bereits ausgetauschten Leistungen Zug um Zug zurückzugewähren. Bei der Leistung des Verbraucher wird es sich in der Regel um eine Geldleistung handeln, bei dem Unternehmer ist eine pauschale Aussage nicht möglich. Im Falle einer Verschlechterung des gelieferten Gegenstands, ist diese, sofern im Vertrag eine Gegenleistung bestimmt ist, bei Berechung des Wertersatzes zugrunde zu legen, § 357 I S. 1 i.V.m. § 346 II S. 2. 3. Verzugsregelung § 357 I S. 2 trifft besondere Verzugsregelungen für die Erstattungspflicht des Unternehmers hinsichtlich geleisteter Zahlungen. Die in § 286 III bestimmte Frist beginnt mit der Widerrufs- oder Rückgabeerklärung des Verbrauchers. Der Widerruf ersetzt mithin die Zahlungsaufforderung.30 4. Rechtsfolgen a) Rücksendepflicht Nach § 357 II S. 2 ist der Verbraucher bei Ausübung des Widerrufs- oder Rückgaberechts zur Rücksendung auf Kosten und Gefahr des Unternehmers verpflichtet. Die Regelung der Gefahrtragung hat zur Folge, dass der Verbraucher auch bei Untergang oder Verschlechterung der Sache von seiner Rückgewährpflicht frei wird.31 Bei einem Widerrufsrecht dürfen die regelmäßigen Kosten der Rücksendung nach § 357 II S. 3 bei Bestellungen bis zu einem Betrag von 40 Euro dem Verbraucher vertraglich auferlegt werden. Eine entsprechende Klausel in den AGB des Unternehmers ist hierfür ausreichend.32 Bei der Ausübung eines Rückgaberechts besteht die Möglichkeit der Abwälzung der regelmäßigen Kosten der Rücksendung im Vertragswege auf den Verbraucher nach § 357 II S. 3 nicht, da § 357 II S.3 dies als mögliche Konsequenz nur für das Widerrufsrecht vorsieht.33 b) Wertminderung bei bestimmungsgemäßer Ingebrauchnahme Gemäß § 357 III S. 3 ist § 346 II S. 1 Nr. 3 nicht anwendbar, wenn der Verbraucher von seinem Widerrufs- oder Rückgaberecht Gebrauch gemacht 29 Bülow/Artz NJW 2000, S. 2049 ( 2052 ). Ring in Dauner- Lieb § 12 Rdn. 141. 31 Vgl. Lorenz JuS 2000, S. 833 ( 837 ). 32 Palandt/Heinrichs § 361 a Rn. 33. 33 Ring in Dauner-Lieb § 12 Rdn. 136. 30 8 hat. Für den Verbraucher hat das zur Konsequenz, wenn er ordnungsgemäß belehrt worden ist, dass er für die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Sache Wertersatz zu leisten hat, soweit dadurch eine Verschlechterung aufgetreten ist, § 357 III S. 3. Der Verbraucher muß jedoch nur Wertersatz leisten, wenn der Unternehmer ihn in transparenter Weise auf eine mögliche Wertersatzpflicht hinweist. Der Unternehmer muß nicht auf die Höhe und den Umfang der Wertminderung hinweisen. Der Hinweis darf jedoch nicht als versteckte Warnung gegenüber dem Verbraucher dargestellt werden, von einem Widerrufs- oder Rückgaberecht Gebrauch zu machen. Im Blick auf die große Bedeutung des Widerrufs- und Rückgaberechts und die zu gewährende Besichtigungs- und Prüfungsmöglichkeit kann sich eine passende Formulierung als „Drahtseilakt“ erweisen.34 Der Unternehmer darf dem Verbraucher das Prüfungsrecht nicht nehmen.35 Aus § 357 III S. 2 ergibt sich, dass die durch die Prüfung der Sache eingetretene Verschlechterung stets vom Unternehmer zu tragen ist, wenn der Verbraucher ein Widerrufs- oder Rückgaberecht ausübt. Die Grenzziehung zwischen einer Prüfung ( § 357 III S. 1 ) und einer Ingebrauchnahme ( § 357 III S. 2 ) erweist sich als schwierig. Die Wertersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn die Wertminderung auf die Prüfung der Sache zurückzuführen ist, § 357 III S. 2. Dies könnte bedeuten, dass der Verbraucher für den Wertverlust, den ein Kleidungsstück allein dadurch erleidet, dass es anprobiert wird nicht aufzukommen braucht, hingegen müsste er die durch die Erstzulassung eines PKW entstehende Wertminderung tragen.36 In dem Anprobieren und Probefahren besteht jedoch hinsichtlich einer Prüfung kein Unterschied. Beides dient der Prüfung der Sache, bevor der Kaufentschluß gefällt wird und ist verkehrsüblich. Um das Prüfungsrecht nicht unangemessen zu beschränken, ist daher das Merkmal der „Prüfung“ in § 357 III S. 2 extensiv auszulegen.37 c) Beweislast Der Unternehmer muß die Forderung nach Wertersatz für die durch die Ingebrauchnahme eingetretene Verschlechterung geltend machen. Es ist 34 Vgl. Henssler/Graf von Westphalen, S. 444 f. Ring in Dauner-Lieb § 12 Rdn. 148. 36 Ring in Dauner-Lieb § 12 Rdn. 149. 37 Vgl. Henssler/Graf von Westphalen, S. 448. 35 9 Sache des Unternehmers die für § 357 III erheblichen Voraussetzungen darzulegen. Insbesondere muß er nachweisen, dass die Verschlechterung der Sache Resultat einer Ingebrauchnahme und nicht einer Prüfung ist.38 5. Ausschluß weitergehender Ansprüche Nach § 357 IV bestehen keine weitergehenden Ansprüche gegen den Verbraucher. Allenfalls kann aufgrund einer teleologischen Reduktion noch ein Anspruch aus § 826 in Betracht kommen.39 V. Verbundene Verträge 1. Allgemeines § 358 schafft durch die Zusammenfassung vormals verschiedener Vorschriften40 eine einheitliche Regelung hinsichtlich verbundener Verträge. Im Zentrum der Problematik steht die für den Verbraucher riskante Aufspaltung eines für ihn wirtschaftlich einheitlichen, finanzierten Vertrages über die Anschaffung einer Ware oder die Erbringung einer Leistung in einen uU nicht widerrufbaren Vertrag und einen nach § 495 widerrufbaren Verbraucherkreditvertrag. Aus diesem Grund erstreckt sich das Widerrufsrecht bei „verbundenen Verträgen“ auf den jeweils anderen Vertrag, § 358 I und II.41 Geregelt werden die Rechtsfolgen von Verträgen über die Lieferung von Waren bzw. die Erbringung einer anderen Leistung, die mit einem Darlehensvertrag so verbunden sind, dass das Darlehen ganz oder teilweise der Finanzierung des anderen Vertrags dient, beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden und einer der Verträge vom Verbraucher nach Maßgabe der §§ 355, 356 widerrufen wird. 2. Folgen des Widerrufs bei verbundenen Verträgen Folge des Widerrufs ist die Unwirksamkeit des verbundenen Vertrags, für dessen Rückabwicklung nach § 358 IV mit den dort geregelten Modifikationen § 357 entsprechend gilt.42 Widerruft ein Verbraucher wirksam seine auf den Abschluß eines Vertrages über die Lieferung einer Ware oder einer anderen Leistung gerichtete Willenserklärung, ist er auch auf seine auf den Abschluß eines verbundenen 38 Henssler/Graf von Westphalen, S. 449. Palandt/Heinrichs Schuldrecht § 357 Rdn. 14. 40 § 9 I und II VerbrKrG a.F., § 4 FernAbsG a.F., § 6 TzWrG a.F. 41 Lorenz/Riehm, S. 236. 42 Vgl. Ring in Dauner-Lieb § 12 Rdn. 159; Lorenz/Riehm, S. 236 Rdn. 457. 39 10 Verbraucherdarlehensvertrags gerichtete Willenserklärung nicht mehr gebunden, § 358 I. § 358 II regelt den gegenüber § 358 I umgedrehten Fall. Ist der Verbraucherdarlehensvertrag widerrufbar, erstreckt sich der Widerruf auf den verbundenen Vertrag, § 358 II S. 1. Beides gilt unabhängig davon, ob für den jeweiligen verbundenen Vertrag als solches ein Widerrufsrecht besteht.43 Die Voraussetzungen der Verbundenheit im Einzelnen sind in § 358 III angeführt. Sind aber beide Verträge Gegenstand eines eigenen Widerrufsrechts, entfällt das Widerrufsrecht für den Verbraucherdarlehensvertrag ( § 358 II S. 2 ) und es gilt allein § 358 I. Widerruft der Verbraucher den Darlehensvertrag, gilt dies als Widerruf des verbundenen Vertrags, § 358 II S. 3. Der Unternehmer muß den Verbraucher auf die Rechtsfolgen von § 358 I und II hinweisen, § 358 V. 3. Einwendungen bei verbundenen Verträgen § 359 normiert den Einwendungsdurchgriff bei verbundenen Verträgen. Nach § 359 S. 1 kann der Verbraucher im Falle eines Darlehensvertrags sämtliche Einwendungen aus einem mit diesem verbundenen Vertrag, die ihn gegenüber dem Vertragspartner zur Leistungsverweigerung berechtigen würden, auch dem Darlehensgeber entgegenhalten und mithin die Rückzahlung verweigern. Die Mängeleinrede kann der Verbraucher allerdings erst entgegenhalten, wenn die Nacherfüllung fehlgeschlagen ist, § 359 S. 3. Ausgeschlossen ist das Leistungsverweigerungsrecht bei „Bagatellverträgen“ ( bis 200 Euro ), sowie bei Einwendungen, die auf nach dem Abschluß des Kreditvertrags vorgenommenen Vertragsänderungen beruhen, § 359 S. 2.44 C) Besondere Vertriebsformen ( §§ 312 ff. ) I. Einleitung Die Regelungen über „Besondere Vertriebsformen“ sind in den §§ 312 ff. kodifiziert worden. Ein Anliegen hierbei war, neben der Integration von Sondergesetzen, die Umsetzung verschiedener EU-Richtlinien. Umzusetzen waren die sog. Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, die Fernabsatzrichtlinie sowie 43 44 Lorenz/Riehm, S. 236, Rdn. 456. Vgl. Lorenz/Riehm, S. 237 f. ,Rdn. 458. 11 die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr.45 Die Umsetzung erfolgte jedoch nicht ausschließlich durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, da einige Schritte schon vorher durch verschiedene Sondergesetze oder Integration in das BGB vollzogen wurden. II. Ziele der Neuregelung Der Gesetzgeber verfolgt mit dieser Neuregelung unterschiedliche Ziele. Ein Ziel ist es, das Schuldrecht in wesentlichen Teilen zu modernisieren.46 Dem Rechtsanwender wird dadurch die Arbeit erleichtert, daß die einschlägigen Vorschriften nun nicht mehr aus den verschiedenen Sondergesetzen zusammengesucht werden müssen, sondern vereint im BGB vorzufinden sind. Die Integration soll früheren Ansätzen einer „organisierten Desintegration“ infolge einer Ausbildung dogmatischer Reservate in Sondergesetzen mit korrespondierenden Seperatlösungsansätzen und eigenwilligen Begriffsbildungen sowie einem entsprechenden Verständnis begegnen.47 Damit können Wertungswidersprüche zwischen BGB und Sondergesetzen vermieden werden. Im übrigen soll eine Ausstrahlungswirkung der besonderen Vertriebsformen auf alle Schuldverhältnisse, die außerhalb des Ladengeschäfts angebahnt und abgeschlossen werden, klargestellt werden, wobei die Zusammenfassung in einem Untertitel auch auf die Querverbindungen zwischen den Anwendungsbereichen hinweist. Andererseits darf die Zusammenfassung in einem Untertitel nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich bei den Haustürgeschäften und den Fernabsatzverträgen definitionsgemäß um Verbraucherverträge handelt, während die Regelung über den elektronischen Geschäftsverkehr auch Verträge zwischen Unternehmern erfaßt.48 III. Systematik der Neuregelung Die Haustürgeschäfte sind in den §§ 312, 312 a geregelt. Die §§ 312 b bis § 312 d behandeln die Fernabsatzverträge, § 312 e die Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr. § 312 f enthält eine gemeinsame 45 Vgl. Däubler-Gmelin NJW 2001, S. 2281 ( 2281 ); ABEG Nr. L 171, S. 12 VerbrRL; ABEG Nr. L 178, S. 1 E-CommerceRL; ABEG Nr. L 144, S. 19 FernAbsRL. 46 Ernst/Gsell ZIP 2001, S. 1389 ( 1389 ). 47 Ring in Dauner-Lieb § 12 Rdn. 13;Vgl. Henssler/Westphalen und Schmidt S. 357. 48 Huber/Faust, S. 473. 12 Vorschrift über das Umgehungsverbot. Die Informationspflichten bei Fernabsatzverträgen und Verträgen im elektronischen Geschäftsverkehr wurden ausgelagert und in den §§ 1 und 3 der Verordnung über Informationspflichten nach Bürgerlichem Recht geregelt. In den §§ 312 ff. ist für Haustürgeschäfte und Fernabsatzverträge jeweils ein Widerrufsrecht ( § 355 ) bzw. Rückgaberecht ( § 356 ) vorgesehen, so daß ergänzend die §§ 355 ff. zur Anwendung gelangen. § 312 e ( Elektronischer Geschäftsverkehr ) begründet kein eigenes Widerrufsrecht. IV. Haustürgeschäfte 1. Überblick Die Regelungen von §§ 312, 312 a bezwecken den Schutz des Verbrauchers gegen Gefahren aus dem Direktvertrieb.49 Eine Änderung zur früheren Rechtslage ergibt sich durch den ersatzlosen Wegfall der Regelung zum Ende der Widerrufsfrist, § 2 HTWG a.F.50 die Widerrufsfristen sind nun, wie bereits aufgezeigt, in den §§ 355 ff einheitlich geregelt. 2. Anwendungsbereich Ein Haustürgeschäft ist nach der Legaldefinition des § 312 I 1 dann anzunehmen, wenn der Vertrag zwischen einem Unternehmer ( § 14 ) und einem Verbraucher ( § 13 ) eine entgeltliche Leistung zum Gegenstand hat und der Verbraucher zu dessen Abschluß nach den äußeren Umständen der § 312 I Nr. 1-3 bestimmt worden ist. Eine der Richtlinie entsprechende Streichung des Begriffs „entgeltliche Leistung“ wurde versäumt, so dass die streitige Frage hinsichtlich der Anwendung auf Bürgschaften fortbesteht, 51 wobei die Anwendung weitgehend anerkannt ist.52 Die situationsbedingten Umstände sind in § 312 I 1 Nr. 1-3 enumerativ aufgelistet. Eine entsprechende Anwendung der Umstände ist ausgeschlossen, da der Gesetzgeber eine deutliche Begrenzung wünschte.53 a) Arbeitsplatz und Privatwohnung ( § 312 I 1 Nr 1) Der Verbraucher muß zum Vertragsabschluß durch mündliche Verhandlungen am Arbeitsplatz des Verbrauchers bzw. im Bereich einer 49 Palandt/Putzo Einf. HTWG Rdn. 2. Ring in Lieb § 12 Rdn. 16. 51 Riehm JuS 2000, S. 138 ( 142 ); Lorenz/Riehm, S. 65 Rdn. 120. 52 Palandt/Heinrichs Schuldrecht, § 312 Rdn. 7. 53 Palandt/Putzo Schuldrecht § 312 Rn. 9. 50 13 Privatwohnung bestimmt worden sein.54 Es kommt dabei entscheidend auf den Ort an.55 Als Arbeitsplatz kommt des Verbrauchers kommt extensiv jeder Ort im Betriebsgelände in Betracht.56 Der Begriff der Privatwohnung umfasst den Hausflur, den Garten, sowie Abschlüsse an der Haustür.57 b) Freizeitveranstaltungen ( § 312 I 1 Nr.2 ) Der Verbraucher muß anlässlich einer vom Unternehmer oder einem Dritten zumindest auch im Interesse des Unternehmers durchgeführten Freizeitveranstaltung zum Vertragsschluß bewegt worden sein. Unter einer Freizeitveranstaltung ist eine gewerblich motivierte Veranstaltung zu verstehen, deren Gesamtbild von einem Freizeiterlebnis ausgeht und bei dem das Freizeitangebot und die Verkaufsveranstaltung so miteinander verbunden sind, dass der Verbraucher in eine freizeitliche Stimmung versetzt wird und den Verkaufszweck der Veranstaltung nicht unmittelbar erkennt.58 c) Öffentliche Verkehrsmittel und -wege ( § 312 I 1 Nr.3 ) Voraussetzung für öffentliche Verkehrsmittel ( z. B. Bahn, Bus ) und öffentliche Verkehrswege ( z. B. Straßen, Plätze, Parks ) ist, dass sie allgemein zugänglich sind. „Im Anschluß an ein überraschendes Ansprechen“ ist allein zeitlich zu verstehen und schließt solche Verkehrsmittel aus, in denen typischerweise Dienstleistungs- oder Warenangebote erfolgen. 3. Widerrufs- und Rückgaberecht Voraussetzung für ein Widerrufsrecht nach § 312 BGB ist ein Haustürgeschäft im dort beschriebenen Sinn.59 Bei einem Widerruf kann der Verbraucher seine Vertragserklärung innerhalb von 2 Wochen ab Erhalt einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung ohne Angabe von Gründen widerrufen, § 355 I. Das Widerrufsrecht nach § 355, kann auch durch ein Rückgaberecht nach § 356 ersetzt werden. Voraussetzung hierfür ist, dass zwischen Verbraucher und Unternehmer eine ständige Verbindung aufrecht 54 Ring in Lieb § 12 Rdn. 20. Palandt/Putzo § 1 HTWG Rn. 10. 56 OLG Hamm NJW-RR 1991, 121. 57 Palandt/Putzo § 1 HTWG Rn. 12. 58 Ring in Lieb § 12 Rn. 21. 59 Henssler/Schmidt, S. 360. 55 14 erhalten werden soll.60 Als Abweichung von den allgemeinen Vorschriften des Widerrufsrechts bestimmt § 312 II, dass die Belehrung des Verbrauchers über sein Widerrufsrecht auch auf die besonderen Folgen des Widerrufes – die Wertersatzpflicht für Verschlechterung bei bestimmungsgemäßer Ingebrauchnahme nach § 357 III sowie die allgemeinen Widerrufsfolgen – hinweisen muß. Das Widerrufsrecht besteht jedoch nicht, wenn ein Ausschluß nach § 312 III Nr. 1-3 vorliegt. Dies ist der Fall, wenn die Verhandlungen von dem Verbraucher bestellt wurden ( Nr. 1 ), die sofort erbrachten Leistungen 40 Euro nicht übersteigen ( Nr. 2 ) oder wenn die Willenserklärung des Verbrauchers von einem Notar beurkundet worden ist ( Nr. 3 ). 4. Verhältnis zu den anderen Vorschriften ( § 312 a ) § 312 a entspricht inhaltlich dem bisherigen § 5 II und III HTWG. Diese Regelung betrifft das Verhältnis zu anderen Vorschriften. Unterfällt ein Haustürgeschäft zugleich den Regelungen über Verbraucherdarlehensverträge ( §§ 481 bis 487 ) oder erfüllt ein Haustürgeschäft zugleich die Voraussetzungen eines Geschäfts nach § 4 FernUSG, so finden nur die Vorschriften über diese Geschäfte Anwendung. Der Gesetzgeber wollte bereits bei der Schaffung des HTWG die schon existierenden verbraucherschützenden Regelungen für die genannten Vertragstypen unberührt lassen, weshalb er ihnen Anwendungsvorrang vor den Haustürvorschriften einräumte.61 Zu prüfen ist also jeweils, ob ein Geschäft inhaltlich die Voraussetzungen einer der genannten Spezialregelungen erfüllt. Ist dies der Fall, ist § 312 BGB nicht anwendbar. V. Fernabsatzverträge 1. Änderungen zur früheren Rechtslage Eine wesentliche Änderung stellt der Wegfall von § 1 IV FernAbsG dar. Dieser sah im Sinne des sog. Günstigkeitsprinzip vor, dass das FernAbsG nicht anzuwenden war, wenn für den Verbraucher andere Vorschriften günstigere Regelungen enthielten. Das Günstigkeitsprinzip bleibt jedoch durch § 312 c IV weiterhin bestehen. Weitere Änderungen zum bisherigen § 2 FernAbsG ergeben sich durch die Auslagerung der Informationspflichten 60 61 Ring in Dauner-Lieb § 12 Rdn. 24. BT-Drucks. 10/2876 S. 14. 15 aus dem früheren § 2 II und III FernAbsG in die Verordnung über Informationspflichten nach Bürgerlichem Recht. Ein Ziel der redaktionellen Neufassung des § 312 c war es, die Trennung zwischen vorvertraglichen Informationspflichten (§ 312 c I) und Informationspflichten nach Vertragsschluß ( § 312 c II ) des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher zu verdeutlichen. 2. Anwendungsbereich Mit § 312 b, der den sachlichen Anwendungsbereich von Fernabsatzverträgen regelt, hat der Gesetzgeber im Wesentlichen § 1 FernAbsG a. F. übernommen. Der Schlüsselbegriff des Fernabsatzvertrages, der allerdings keinen neuen Vertragstyp begründet, erfährt seine Legaldefinition in § 312 b I. Fernabsatzverträge sind Verträge über Waren oder Dienstleistungen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher, der unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt. Der Fernabsatzvertrag knüpft allein an die Art und Weise seines Abschlusses und nicht an einen bestimmten Vertragsinhalt an. Das Vorliegen eines Fernabsatzvertrages Vertragsabschlußtechnik, die setzt eine bestimmte Verwendung von Fernkommunikationsmitteln voraus, § 312 b II. Hierbei handelt es sich um Kommunikationsmittel, die ohne gleichzeitige Anwesenheit der Vertragspartner zum Vertragsabschluß eingesetzt werden können. Weitere Voraussetzung ist ein Abschluß durch ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem. Ein solches liegt vor, wenn der Unternehmer in seinem Betrieb ein einen eigenen Vertriebskanal für den Fernabsatz eingerichtet hat.62 Eine gelegentliche Bestellung wird vom Fernkommunikationsmittel nicht erfasst. 3. Vorvertragliche Informationspflichten ( § 312 c I ) Nach § 312 c I obliegen dem Unternehmer vor Abschluß des Fernabsatzvertrages vorvertragliche Informationspflichten. Der Unternehmer hat dem Verbraucher die entsprechenden Informationen nach 62 Henssler/Westphalen, S. 380, Rdn. 32. 16 der InfoVO zur Verfügung zu stellen. Auf eine tatsächliche Kenntnisnahme des Verbrauchers kommt es nicht an.63 Materiell-rechtlich ist eine entsprechende Bereitstellung der Informationen im Internet ausreichend, wobei es aus Gründen der Beweissicherung zweckmäßig ist, den Verbraucher per Mausclick die Informationen bestätigen zu lassen.64 Der Unternehmer muß den Verbraucher „rechtzeitig“ informieren. Der Terminus „rechtzeitig“ wird weder in der FARL65 noch in den §§ 312 ff. näher definiert. Der Gesetzgeber hat bewusst auf eine Konkretisierung verzichtet, da sich keine für alle Einzelfälle passende Bestimmung finden lasse.66 Eine adäquate Konkretisierung kann mithin nur im Einzelfall anhand des Zwecks der Vorschrift vorgenommen werden. Die Regelung will sicherstellen, dass der Verbraucher nach Kenntnisnahme der Informationen eine informierte Entscheidung treffen kann.67 Der Unternehmer darf keinen Druck in der Form ausüben, etwa durch ein blinkendes „Deadline-Icon,“68 dass der Verbraucher keine angemessene Zeit zur Entscheidungsfindung hat. § 312 c I 1 statuiert neben dem Gebot der “Rechtzeitigkeit” zugleich auch jenes der „Transparenz“ ( „klar und verständlich“ ). Die nähere Interpretation von Klarheit und Verständlichkeit überlässt der Gesetzgeber auch hier bewusst der Rechtspraxis.69 Klarheit und Verständlichkeit müssen sich nach den Möglichkeiten der jeweils verwendeten Kommunikationsmittel richten. Die Besonderheiten hinsichtlich der technischen Möglichkeiten des eingesetzten Kommunikationsmittels sind zu berücksichtigen.70 Benutzt der Unternehmer Fremdsprachen, so muß er sorgfältig prüfen, ob er sich jener bedienen kann.71 Die Bereitstellung der Informationen muß in einer dem Fernkommunikationsmittel entsprechenden Weise geschehen. Auch hier wurde keine nähere Konkretisierung vorgenommen und es gilt die Entwicklung der Rechtspraxis und der Literatur abzuwarten. 63 Lorenz/Riehm, S. 69, Rdn. 129. Ring in Dauner-Lieb § 12 Rdn. 49. 65 Fernabsatzrichtlinie. 66 RegE BT-Drucks. 14/2658, S. 38. 67 Ring in Lieb § 12 Rdn. 52. 68 Vgl. Fuchs ZIP 2000, S. 1273 ( S. 1277 ). 69 BT-Drucks. 14/3591, S. 31. 70 Ring in Dauner-Lieb § 12 Rdn. 53. 71 BT- Drucks. 14/2658, S. 38. 64 17 Bei telefonischer Kontaktaufnahme wird der Unternehmer verpflichtet, dem Verbraucher bereits bei Gesprächsbeginn seine Identität und den geschäftlichen Zweck des Vertrags offen zu legen, § 312 c I S. 2. Der Umfang der Informationspflichten bestimmt sich nach § 312 c I Nr. 1 im wesentlichen durch seinen Verweis auf die Verordnung über Informationspflichten bei Verbraucherverträgen. Aus der Formulierung des § 312 c I 1 Nr. 1 ergibt sich, dass der Unternehmer den Verbraucher vorvertraglich nur über die in § 1 I InfoVO enthaltenen Vertragseinzelheiten informieren muß. Hierbei handelt es sich um kraft Gesetzes bestehende Widerrufs- und Rückgaberechte ( Nr. 9 ), um essentialia negotii, ( Nr. 1, 2 und 6, sowie um allgemeine Geschäftsbedingungen ( Nr. 3-5, 7, 8, 10,11 ). Neben den Pflichten, die sich aus § 312 c I Nr. 1 iVm § 1 I InfoVO ergeben, stellt § 312 c I Nr. 2 eine weitere Pflicht des Unternehmers auf. Der Verbraucher muß vor Vertragsschluß vom „geschäftlichen Zweck,“ d. h. dem kommerziellen Charakter des Vertrags unterrichtet werden. 4) Nachvertragliche Informationspflichten Die Verpflichtungen des Unternehmers zu nachträglichen Informationen normiert72 § 312 c II. Die Informationspflichten von § 2 III S. 2 FernAbsG a.F. sind ebenfalls in die InfoVO ausgelagert worden. Die Änderung des Gesetzgebers von „zur Verfügung stellen“ auf „mitteilen“ hat lediglich redaktionellen Charakter. Es ergeben sich daraus keine anderen Anforderungen an den Unternehmer hinsichtlich seiner Verpflichtung, dem Verbraucher die Informationen auch bereit zu stellen.73 Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Medien gilt, dass Informationen, die wegen des eingesetzten Fernkommunikationsmittels vor Vertragsschluß nicht zugeleitet werden können, auch vor Vertragsschluß nicht zugeleitet werden müssen. Um einen Informationsnachteil zu verhindern, muß der Unternehmer in jedem Fall nach Vertragsabschluß alle Informationen zur Verfügung stellen.74 § 312 c II verpflichtet daher den Unternehmer dem Verbraucher alsbald, spätestens bis zur vollständigen Erfüllung des 72 entsprechend § 2 III FernAbsG a.F. Henssler/Brisch, S. 398. 74 Ring in Dauner-Lieb § 12 Rdn. 61. 73 18 Vertrages, bei Waren spätestens bei Lieferung, die Informationen nach §§ 1 I Nr. 1-9, 1 III InfoVO in Textform ( § 126 b ) mitzuteilen. § 1 III InfoVO normiert weitere Informationspflichten des Unternehmers. Diese Informationen müssen nicht nur in Textform, sondern nach § 1 III InfoVO „hervorgehoben“ und in „deutlich gestalteter Form“ mitgeeilt werden. Dieses Deutlichkeitsgebot ist erfüllt, wenn die Belehrung inhaltlich und drucktechnisch deutlich gestaltet ist.75 Der Unternehmer muß nach § 1 III InfoVO dem Kunden Informationen über die Bedingungen, Einzelheiten der Ausübung und Rechtsfolgen des Widerrufs- und Rückgaberechts oder dessen Ausschluß, über Gewährleistungs- und Garantiebedingungen oder über die Kündigungsbedingungen bei längerfristigen Dauerschuldverhältnissen mitteilen.76 § 312 c II gilt nach § 312 c III S. 1 jedoch nicht für Dienstleistungen, die unmittelbar unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln erbracht werden, sofern diese Leistungen in einem Mal erfolgen und über den Betreiber der Fernkommunikationsmittel abgerechnet werden. Dabei geht es in etwa um telefonische Ansagedienste.77 § 312 c IV macht deutlich, dass nach dem Willen des Gesetzgebers weitergehende Informationspflichten aufgrund anderer Vorschriften von den Vorgaben der §§ 312 b ff. unberührt bleiben.78 5) Widerrufs- und Rückgaberechte Unter der Voraussetzung, dass ein Fernabsatzvertrag zustande gekommen ist, steht dem Verbraucher nach § 312 d I S. 1 ein Widerrufsrecht nach § 355 zu. Das Widerrufsrecht kann nach § 312 d I S. 2 durch ein Rückgaberecht ersetzt werden. Die zweiwöchige Widerrufsfrist beginnt anders als nach § 355 II S. 1 nicht bereits mit der Erteilung einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung zu laufen, sondern frühestens, wenn die Informationspflichten nach § 312 c II erfüllt sind. Bei Warenlieferungsverträgen ist zudem der Eingang der Ware beim Empfänger erforderlich, damit der Verbraucher diese prüfen kann.79 75 Palandt/Heinrichs § 361 a Rn. 12. Lorenz/Riehm, S. 70 Rdn. 131. 77 Vgl. Lorenz/Riehm, S. 67f., Rdn. 125f. 78 RegE BT-Drucks. 14/2658, S. 41. 79 Lorenz/Riehm § 3 Rdn. 132. 76 19 Bei Dienstleistungsverträgen erlischt das Widerrufsrecht unabhängig von einer korrekten Belehrung des Verbrauchers auch, wenn der Unternehmer mit der Ausführung der Dienstleistung mit ausdrücklicher Zustimmung des Verbrauchers vor Ende der Widerrufsfrist begonnen hat oder der Verbraucher diese selbst veranlasst hat, § 312 d III. Das Widerrufsrecht besteht jedoch nicht, wenn ein Ausschluß nach § 312 d IV Nr. 1-5 vorliegt. Ein solcher Ausschluß liegt vor, wenn sich der Vertrag auf individuelle Anfertigungen oder zur Rücksendung ungeeignete Sachen ( Nr. 1 ), entsiegelte Datenträger ( Nr. 2 ), Zeitungslieferungsverträge ( Nr. 3 ), Wettdienstleistungen ( Nr. 4 ) oder Versteigerungen ( Nr. 5 ) bezieht. VI. Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr 1. Anwendungsbereich Nach der Legaldefinition in § 312 e I liegt ein Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr (E-Commerce ) vor, wenn sich ein Unternehmer zum Zwecke des Abschlusses eines Vertrages über die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen eines Tele- oder Mediendienstes bedient.80 Mit den Begriffen „Teledienst“ und „Mediendienst“ greift § 312 e auf Legaldefinitionen in § 2 I TDG und § 2 I MDStV zurück. Mediendienste unterscheiden sich von Telediensten dadurch, dass sie nicht für die individuelle Nutzung bestimmt, sondern an die Allgemeinheit gerichtet sind.81 Die Abgrenzung ist im einzelnen sehr problematisch, für § 312 e ist sie aber nicht erforderlich. Brief- und Telefonverkehr sind keine elektronischen Kommunikationsmittel.82 Der Tele- oder Mediendienst muß ferner „zum Zweck des Abschlusses eines Vertrags“ eingesetzt worden sein. Aus dem Wortlaut ergibt sich, dass nur Tele- und Mediendienste erfasst werden, die der Kunde individuell elektronisch und zum Zweck der Abgabe einer Bestellung abrufen kann.83 Entscheidend ist, dass der Kunde seine Willenserklärung über das elektronische Medium mit Hilfe des vom Unternehmer vorgegebenen 80 Olzen/Wank Rdn. 545. Lorenz/Riehm § 4 Rdn. 139. 82 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 171. 83 Huber/Faust, S. 478. 81 20 Programms übermittelt. Hat der Kunde keine Möglichkeit seinerseits Informationen über das verwendete Medium an den Anbieter zu senden, kann das Medium nicht „zum Zwecke des Abschlusses eines Vertrages“ genutzt werden.84 2. Unterschiede zum Fernabsatz Ein Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr ist aufgrund der Definition in § 312 e I regelmäßig ein Fernabsatzvertrag iSv § 312 b I, 85 weil Teleoder Mediendienste stets Fernkommunikationsmittel sind.86 Ausnahmsweise kann anderes gelten, da § 312 e auch einschlägig ist, wenn sich der Unternehmer bei dem konkreten Vertragsschluß nicht ausschließlich eines Tele- oder Mediendienstes bedient, sondern während der Verhandlungen auch auf den persönlichen Kontakt setzt.87 Ferner setzt § 312 e anders als § 312 b nicht voraus, dass sich der Unternehmer eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystems bedient. Der Anwendungsbereich des § 312 e ist auch in persönlicher Hinsicht weiter, als bei §§ 312 b-d, weil § 312 e nicht voraussetzt, dass der Kunde Verbraucher iSv § 13 ist. Der Anbieter muß jedoch Unternehmer iSv § 14 sein.88 Auf der anderen Seite erfasst § 312 e nicht alle Fälle der §§ 312 b-d, weil Fernabsatzverträge nach § 312 b auch Verträge sein können, die per Postversand, Fax oder Telefon, mithin nicht im elektronischen Geschäftsverkehr abgeschlossen wurden. Ein Vertrag kann in Fällen der verschiedenen, aufgezeigten Konstellationen entweder nur den §§ 312 b-d, nur § 312 e oder allen diesen Vorschriften unterfallen. 89 Wie bereits Eingangs erwähnt dürften in der Praxis Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr regelmäßig einen Fernabsatzvertrag darstellen. 3. Pflichten des Unternehmers ( § 312 e I ) § 312 e I S. 1 Hs.2 enthält in seinen Nummern 1 bis 4 einen Katalog mit den vom Unternehmer im elektronischen Geschäftsverkehr zu beachtenden Pflichten. In der jeweiligen Nummer wird der Zeitpunkt festgeschrieben, in dem der Unternehmer die Pflicht zu erfüllen hat. § 312 e und § 312 c weisen 84 Lorenz/Riehm § 4 Rdn. 139. Vgl. BT-Dricks. 14/6040, S. 170. 86 Lorenz JuS 2000, S. 833 ( 838 f. ). 87 Lorenz/Riehm, S. 73 Rdn. 138. 88 Bt-Drucks. 14/6040, S. 171 89 Lorenz/Riehm, S: 73 Rdn. 138. 85 21 strukturelle Ähnlichkeiten auf. Im Bezug auf die Pflicht zur Informationsverschaffung enthalten sie nur allgemeine Vorschriften, für den Inhalt der zu verschaffenden Informationen wird auf die InfoVO verwiesen. Die Pflichten nach § 312 e I S. 1 Hs. 2 im Einzelnen: Nr. 1: Die Pflicht, dem Kunden die vorgeschriebenen technischen Mittel für eine Eingabekorrektur zur Verfügung zu stellen, muß der Unternehmer bereits im Zeitpunkt der bloßen Eröffnung einer Bestellmöglichkeit erfüllen.90 Nr. 2: Nummer 2 verweist auf Informationspflichten nach § 3 Nr. 1-5 InfoVO. Diese regeln Informationspflichten über die einzelnen technischen Schritte, die zum Vertragsschluß führen ( Nr.1), sowie darüber, ob der Vertrag wird und dem Kunden zugänglich ist ( Nr. 2 ), welche Möglichkeiten der Erkennung und Korrektur von Eingabefehlern bestehen ( Nr. 3 ), welche Sprachen für den Vertragsschluß zur Verfügung stehen ( Nr. 4 ), über die einzelnen Verhaltenskodices, denen sich der Unternehmer unterwirft, und ihre elektronische Abrufbarkeit ( Nr. 5 ).91 Nr. 3: Der Unternehmer ist zur unverzüglichen Übermittlung einer elektronischen Zugangsbestätigung verpflichtet. Nr. 4: Es wird die Pflicht des Unternehmers statuiert, es dem Kunden zu ermöglichen, die Vertragsbestimmungen und AGB bei Vertragsschluß abzurufen und zu speichern. 4. Einschränkungen des Anwendungsbereichs § 312 e II Aufgrund der Einschränkung in § 312 e II 1 gelten die Vorschriften des § 312 I 1 Nr. 1-3 nicht für Verträge, die ausschließlich durch individuelle Kommunikation abgeschlossen werden. Dies betrifft Fälle, in denen der Unternehmer sein Vertragsangebot bspw. per Email abgab.92 Derartige Vertragsschlüsse weisen nicht die Besonderheiten des von § 312 e erfassten Online-Geschäfts auf, bei denen sich der Unternehmer an eine unbestimmte Anzahl noch nicht individualisierter Kunden wendet.93 Nach § 312 c II S. 2 können Parteien, die nicht Verbraucher sind, die Regelungen in Abs. I S. 1 Nr. 1-3 abbedingen. Ist der Kunde hingegen 90 BT-Drucks. 14/6040, S. 171. s. BT-Drucks. 14/6040, S. 171. 92 BT-Drucks. 14/6040, S. 172. 93 Huber/Faust, S. 480. 91 22 Verbraucher sind nach § 312 f jegliche Abweichungen von § 312 e unzulässig.94 Im praktischen Ergebnis beschränkt sich der Anwendungsbereich des § 312 e im wesentlichen auf Online-Shopping im Internet und bei OnlineDiensten.95 5. Rechtsfolgen bei Pflichtverstößen Eine Verletzung der Informationspflichten führt nicht zu einer Nichtigkeit des Vertrags.96 Sie führt vielmehr zu einer Verlängerung der Widerrufsfrist von längstens 6 Monaten nach Vertragsschluß, wobei bei der Lieferung von Waren die Frist nicht vor dem Tag ihres Eingangs beim Verbraucher beginnt.97 § 312 e enthält bis auf den Aufschub des Fristbeginns in Abs. III S. 2 keine weiteren Sanktionen bei Pflichtverstößen gegen die in Abs. 1 geregelten Pflichten.98 Da die in Abs. I S. 1 normierten Pflichten von unterschiedlicher Bedeutung sind, hielt der Gesetzgeber eine einheitliche Rechtsfolge nicht für sachgerecht. Die Sanktionen sollen sich nach den allgemeinen Vorschriften des Schuldrechts richten.99 Neben einer Haftung aus der mittlerweile kodifizierten culpa in contrahendo100 kann der Kunde nachträgliche Erfüllung der Informationspflichten verlangen.101 Jedoch kann der Verbraucher, auch wenn der Unternehmer die Informationspflichten nachträglich erfüllt, 6 Monate den Vertrag widerrufen und Schadensersatz verlangen.102 Schließlich kann eine Unterlassungsklage in Betracht kommen.103 6. Verhältnis zu anderen Vorschriften ( § 312 III ) Bei Verträgen im elektronischen Geschäftsverkehr begründet § 312 e kein gesondertes Widerrufsrecht, sondern sieht nur eine Modifikation für den Fall vor, dass sich ein Widerrufsrecht aus anderen Vorschriften ergibt.104 § 312 e III S. 1, der weitergehende Informationspflichten unberührt läßt, hat nur deklaratorische Bedeutung. Weitergehende Informationspflichten 94 Vgl. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 172. Lorenz/Riehm § 4 Rdn. 140. 96 Grigoleit, WM 2001, S. 597 ( 600 ). 97 Henssler/Brisch, S. 401, Rdn. 74. 98 Huber/Faust, S. 481., Rdn. 79. 99 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 173. 100 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 173. 101 Huber/Faust, S. 482, Rdn. 83. 102 Henssler/Brisch, S. 403, Rdn. 76. 103 Vgl. Grigoleit, WM 2001, S. 597 ( 599 ). 104 Huber/Faust, S. 473 Rdn. 55. 95 23 ergeben sich insbesondere aus den Vorschriften über Fernabsatzverträge ( § 312 b I ), da ein online geschlossener Verbrauchervertrag in der Regel auch ein Fernabsatzvertrag ist.105 § 312 e III S. 2 enthält nur eine von § 355 II S. 1 abweichende Regelung des Fristbeginns und räumt dem Verbraucher, wie eben erwähnt, kein eigenes Widerrufsrecht ein, sondern setzt das Bestehen eines solchen voraus. In der Regel werden Verbraucherverträge, die unter § 312 e fallen, zugleich einen Fernabsatzvertrag darstellen, so dass ein Widerrufsrecht nach §§ 312 d, 355 gegeben sein wird.106 VII. Abweichende Vereinbarungen, § 312 f § 312 f enthält ein vereinheitlichendes Abweichungs- und Umgehungsverbot für alle Verträge im Rahmen besonderer Vertriebsformen ( §§ 312 ff. ) Dies bedeutet, dass zugunsten des Kunden bzw. Verbrauchers auch die Regelung über den elektronischen Geschäftsverkehr zwingend ist, soweit nicht eine Abweichung in § 312 e II S. 2 zugelassen wird.107 D) Richtlinienkonforme Umsetzung Der Erlaß einer Richtlinie entfaltet keine privatrechtliche Wirkung zwischen Privatrechtssubjekten, sondern ist zunächst nur für Mitgliedsstaaten verbindlich, an die sie gerichtet ist.108 Diese haben unter Freiheit der Wahl hinsichtlich Form und Mittel das Ziel der Richtlinie in innerstaatliches Recht umzusetzen.109 § 312 e I setzt Art. 10 I bis III und Art. 11 I und II ECRL in das deutsche Recht richtlinienkonform um.110 Die Umsetzung der FARL wurde weitgehend richtlinienkonform bis hin zu einem annähernd wörtlichen Übernehmen der Definitionen aus der FARL durchgeführt.111 Bedenken bestehen gegen die Konformität der Umsetzung der FARL bei § 355 III, da die Richtlinien keine entsprechenden 105 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 172 f. Huber/FaustS, 481 Rdn. 78. 107 Vgl. RegE, BT-Drucks. 14/6040, S. 250. 108 Vgl. Oehlert JuS 1997, S. 317 ( 318 ). 109 Vgl. Lorenz JuS 2000, S. 833 ( 833). 110 Ring in Dauner-Lieb § 12 Rdn .88. 111 Vgl. § 312 II und Art. 5 FARL, § 312 III und Art. 3 FARL, § 312 b und Art. 2 Nr.1 FARL, § 312 d IV und Art. 6 III FARL, InfoVO und Art. 4 I, II. 106 24 Erlöschenstatbestände vorsehen. Fraglich ist, ob sich der Gesetzgeber diese Bedenken zu eigen machte.112 Weiter Bedenken bestehen hinsichtlich der Konformität bei § 357 III. Eine starke Meinung in der Literatur erkennt in der Abwälzung des Risikos der Ingebrauchnahme einen Widerspruch zum Schutzzweck des Widerrufs- und Rückgaberechts.113 Nach der FARL sind die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge des Widerrufsrechts auferlegt werden können, die Kosten der unmittelbaren Rücksendung. Ferner kann der Verbraucher auf Rechte die ihm aufgrund der FARL innerstaatlich zustehen nicht verzichten.114 Der Gesetzgeber entgegnet, dass es sich bei § 357 III nicht um Kosten handelt, die „infolge des Widerrufs entstehen.“ Es handele sich um sich um die Rückabwicklung von Vorteilen und Schäden, die durch die vorhergehende Benuzung entstehen und die nicht in der FARL geregelt seien.115 In der Literatur wird zutreffend darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber dem Verbraucher ein Wahlrecht eingeräumt hat. Der Verbraucher kann die Sache in Gebrauch nehmen oder auch nicht.116 Eine Ingebrauchnahme kann bei einem Widerruf einen Wertersatz auslösen. Dieses stellt einen faktischen Verzicht auf das Widerrufsrecht dar und verstößt mithin gegen Art. 12 I FARL und ist nicht richtlinienkonform.117 Nach § 355 I S. HS.1 kann der Verbraucher sein Widerrufsrecht innerhalb von zwei Wochen ausüben. Damit erweitert der Gesetzgeber hier leicht die Fristvorgabe der FARL, die sieben Werktage vorgibt. Dies geschah, um Schwierigkeiten bei der Fristberechung aufgrund der differierenden Feietage in den einzelnen Bundesländern zu vermeiden.118 Der Gesetzgeber hat damit von der allen EU-Verbraucherrechtlinien immanenten Option Gebrauch gemacht, den Verbraucherschutz auszudehnen Der Gesetzgeber hat bewusst davon abgesehen, die Vorgaben von Art. 4 II HS. 2 FARL in das deutsche Recht zu transformieren.119 Der Verzicht auf eine besondere Umsetzung des Lauterkeitserfordernisses war deshalb 112 Ring in Dauner-Lieb § 12 Rdn. 126. Henssler/Graf von Westphalen, S. 447, Rdn.11. 114 Vgl. Art. 6 II und 12 I FARL. 115 BT-Drucks. 14/6040, S. 199. 116 Roth, JZ 2001, S. 475 ff. 117 Ring in Dauner-Lieb, § 12 Rdn. 151. 118 Ring in Lieb § 12 Rdn. 73. 119 RegE BT-Drucks. 14/2658, S. 38. 113 25 möglich, weil Informationen, die der Lauterkeit bei Handelsgeschäften widersprechen, in der Regel als unlauterer Wettbewerb nach § 1 UWG zu qualifizieren sind. E) Stellungnahme Die Vorgaben der erlassenen Richtlinien waren sehr umfassend. Das Schuldrecht war nach mehr als 100 Jahren nach Inkraftreten des BGB sehr zersplittert. Eine Umsetzung im Wege des Erlasses von Nebengesetzen, wie etwa in Österreich, hätte eine weitere Zersplitterung zur Folge gehabt. Jedoch muß sich auch die von Deutschland gewählte „große Lösung“ Kritik gefallen lassen. Die Integration in das BGB und eine angestrebte Vereinheitlichung von Regelungen birgt genuin berechtigte Kritikmöglichkeiten in sich. Ein Kritikpunkt ist die Vereinheitlichung bei dem Erlöschen von Widerrufsfristen bei nicht ausreichender Belehrung, da dieses für Unternehmer bei Laufzeitverträgen einen Anreiz darstellen könnte, besondere Belastungen hinter den Zeitpunkt des Erlöschens der Frist zu verlegen.120 Dieser durchaus fundierte Kritikpunkt muß jedoch mit den Vorteilen einer Vereinheitlichung abgewogen werden. Während es vorher bei jedem Widerrufsrecht andere Modalitäten, vor allem andere Fristen gab, deren Unterschiede teilweise nicht einsichtig und schwer zu überblicken waren, hat die nunmehr einheitliche Fristenregelung einen stark vereinfachenden Charakter. Die Verbraucherschutzgesetze sind in der Vergangenheit als eine „BGB-fremde“ Materie für Spezialisten angesehen worden.121 Dabei wurde übersehen, dass viele Verbraucherschutzgesetze praxiswichtige Bereiche regeln, die einen jeden betreffen. Um beim komplizierten Verbraucherschutz eine größtmögliche Transparenz insbesondere für Nichtjuristen zu erreichen, stellt eine weitgehende Integration des Verbraucherschutzes in das BGB einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung dar. Ähnliches gilt für die Integration der Widerrufsund Rückgaberechte, die weitgehend inhaltsgleich bereits im Jahre 2000 mit den §§ 361 a, b erfolgte. Die Schuldrechtsreform stellt für den Verbraucherschutz, trotz berechtigter Kritik, einen großen Schritt in Richtung Transparenz und Verständlichkeit der Rechtsmaterie dar. 120 121 Mankowski, JZ 2001S. 745 ( 748 ). Vgl. Schulte/Schulze-Nölke/Schmidt-Räntsch, S. 171.