AKN, 30.03.2006 Bombenexplosion Eine Bombenexplosion stellt immer einen Großschadensfall dar. Für einen einigermaßen reibungslosen Ablauf des Einsatzes ist u.a. auch die Kenntnis der unterschiedlichen Verletzungsmuster und die damit verbundenen medizinischen und logistischen Probleme nötig. Wichtig ist mir vor allem, die verschiedenen vielfältigen Verletzungsmuster zur Darstellung zu bringen, mit denen Sie als Notärzte und als Rettungsdienstpersonal konfrontiert werden. Die Bewältigung des Großschadensereignisses als solches soll hier nicht so sehr im Vordergrund stehen. Wichtig ist aber dennoch darauf hinzuweisen, dass Sie, falls Sie sich direkt an der Einsatzstelle befinden, mit möglichen weiteren Explosionen, mit dem Einsturz von Gebäudeteilen und ggf. auch mit radioaktiver oder chemischer Kontamination rechnen müssen. Das heißt, das der Selbstschutz bei solche Einsätzen eine wichtige Rolle spielt. Entscheidend für die Schwere und Muster der Verletzungen ist, ob sich die Explosion in einem geschlossenen oder offenen Raum abgespielt hat. Bei „offenen Explosionen“ breitet sich die Schockwelle schnell vom Zentrum ausgehend nach peripher aus. Klassischerweise kommt es zu einer geringeren Mortalität mit einem Anfall von verhältnismäßig wenig Schwerverletzten unter den Überlebenden ( siehe Bombenattentate in Jerusalem 1970 und bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta ). Weiter konnte gezeigt werden, dass in geschlossenen Räumen bei etwa gleichwertigen Explosionsereignissen eine signifikante Steigerung der Mortalitätsrate auftritt. Grund hierfür ist, dass sich die Schockwelle in geschlossenen Räumen nicht uneingeschränkt ausbreiten kann, sondern von den Wänden mehrfach reflektiert wird und dadurch weitere Schäden verursacht. Hieraus resultieren schwerere Verletzungen bei den Überlebenden, wobei Zerreißungen der Lunge im Vordergrund stehen. Verletzungsmuster Bombenexplosionen verursachen deutlich schwerere Verletzungsmuster als andere Verletzungsmechanismen. Meist handelt es sich um Mehrfachverletzungen, 3-Regionen- und 4-Regionenverletzungen, daher ist auch die Mortalitätsrate im Gegensatz zu anderen Unfallereignissen etwa doppelt so hoch. Die typischen Verletzungen werden wie folgt klassifiziert in - primäre Explosionsverletzungen durch die Schockwelle - sekundäre Verletzungen durch Fragmente und Splitter - tertiäre Verletzungen durch den Anprall der Opfer an Gegenstände oder durch Sturz auf den Boden - quartäre Verletzungen durch Hitze, Feuer oder Giftstoffe 1. Primäre Explosionsverletzungen durch die Schockwelle : Die dadurch bedingten Verletzungsmuster haben die höchste Mortalitäsrate. Bei einer Explosion kommt es nach der Zündung des Sprengstoffes zu einer heftigen chemischen Reaktion, bei der Hitze und Gas schlagartig freigesetzt werden. Es entwickelt sich eine 1 explosionsartige Druckwelle, „blast“ genannt. Hierdurch können zwei verschiedenen Verletzungsmechanismen zum Tragen kommen : - Verletzungen durch die Druckwelle selbst Verletzungen durch Scherkräfte, welche von der Ausbreitungsgeschwindigkeit und –dauer der Druckwelle abhängig sind Im Vordergrund stehen Verletzungen der Lunge als luftgefülltes Organ. Es kommt zu Zerreissungen der alveolären Septen durch die massive Überdehnung mit nachfolgender Ausbildung eines Lungenödems (klinische Manifestation als Lungenkontusion mit Hämoptoe und Hypoxie). Häufig ist auch eine Zerreissung der Pleura visceralis mit der Folge eines Pneumothorax oder Hämatothorax (CAVE: Spannungspneu). Eine weitere Variante ist das Auftreten von Luftembolien, die die häufigste sofortige Todesursache darstellen. Infolge des hohen Überdruckes im Bronchialsystem gelangen durh die Läsionen relevante Mengen Luft in die Pulmonalgefässe und führen dann zum Bild einer Luftembolie mit Kreislaufversagen, verursacht durch das Pumpversagen des Herzens. Eine absolute Besonderheit, die bisher nur bei Bombenexplosionen beschrieben wurde, ist das sog. Atypische Schockgeschehen, gekennzeichnet durch periphere Vasodilatation, Bradykardie und konsekutiver Hypoxie. Dieses Phänomen geht ohne ersichtlichen äußeren Verletzungen einher. Es beginnt unmittelbar nach der Explosion und bildet sich nach 1-2 h wieder zurück. Zurückgeführt wird diese Trias auf einen vagalen Dehnungsreflex in der Lunge. Seltener sind Verletzungen der abdominalen Hohlorgane mit 10 – 30 %. Durch den Überdruck können intestinale Kontusionen mit intramuralen Hämatomen entstehen, die im Verlauf zu Nekrosen führen können. Perforationen sind allerdings mit 0,1-2 % sehr selten. Die wirkenden Scherkräfte können an den anatomischen Organaufhängungen auch zu einer Verletzung und Ruptur von parenchymatösen Organen führen, meist sind sie aber Folge von tertiären Verletzungen durch Anprall an festen Gegenständen. In diesem Zusammenhang werden vor allem Milzrupturen beschrieben, die nach oben beschriebenem Mechanismusauch ohne direktes Trauma entstehen können. Am häufigsten sind Verletzungen des Gehörsystems mit häufig verbundener passageren Taubheit. Dies kann während der Sichtung eine korrekte Beurteilung anderer Verletzungen erschweren. Insbesondere sollte bei diesen Patienten frühzeitig ein Auskultationsbefund erhoben werden und in der Klinik eine Thoraxaufnahme. Von manchen Autoren wird für diese Patienten eine 8 – 24 stündige Überwachung gefordert. 2. Sekundäre Verletzungen durch Fragmente und Splitter Die meisten Verletzungen nach Bombenexplosionen werden sekundär durch Splitter und Fragmente und tertiär durch Aufprall hervorgerufen. Umherfliegende „Projektile“ verursachen sowohl penetrierende als auch stumpfe Verletzungen. Die penetrierenden Verletzungen sind sehr problematisch, da bei äußerlich häufig nur sehr kleiner Eintrittspforte sehr gravierende innere Verletzungen von Organen oder Gefässen vorliegen können mit oft infauster Prognose. 2 Bei einer weiteren Sichtung sollte neben einer kurzen Erhebung von Vitalparametern auch eine umfassende Inspektion des gesamten Stammes auf etwaige penetrierenden Verletzungen erfolgen. Bei den stumpfen Verletzungen sind Frakturen der Extremitäten führend (38 %) gefolgt von Frakturen im Beckenbereich und des Stammes (17 %). Auch Thoraxverletzungen sind in diesem Zusammenhang sehr häufig (20 %). Ebenso werden schwere Augenverletzungen mit Netzhautablösungen, Linsendislokationen aber auch mit Perforationen des Augapfels beschrieben. 3. Tertiäre Verletzungen durch den Anprall an Gegenständen oder durch Sturz Hier werden vor allem Verletzungen des Schädels in 54% beobachtet. Dies hat neben äußeren Verletzungen auch ein SHT zur Folge. Die Bewertung des SHT gestaltet sich jedoch schwierig, da nach dem Explosionsereignis häufig psychomotorische Störungen mit retrograder Amnesie, Apathie, Unruhe und Angstzuständen vorliegen. Vermutlich verursacht die Schockwelle einen diffusen Axon- und Gliaschaden sowie eine Schwellung der Neurone. Diese Symptomatik ist allerdings reversibel. Auch in der tertiären Phase entstehen häufig Frakturen und Kontusionen. 4. Quartäre Explosionsverletzungen durch Hitze, Feuer oder Giftstoffe In 5 – 10 % der Fälle treten Verbrennungen auf, wobei diese in bis zu ⅓ der Fälle hochgradige Verbrennungen sind. Behandlung Hier kann im wesentlichen auf die Therapieempfehlung „Bombenexplosion“ verwiesen werden. Hinsichtlich der Atemwegssicherung und Beatmung ist allerdings auf die besondere Situation des Großschadensfalles hinzuweisen. Jeder beatmete Patient bindet Personal und erfordert Ressourcen. Da sicher nur eine begrenzte Anzahl an Beatmungsgeräten vorhanden ist und die Beatmung bei diesen Verletzungsmustern vermehrt mit der Gefahr eines Spannungspneus verbunden ist, sollte man die Indikation zur Beatmung kritischer hinterfragen als sonst. Auf die Behandlung des atypischen Schockgeschehens sollte wegen seiner Einmaligkeit auch noch einmal extra verwiesen werden. Bei hämodynamischer Instabilität sollte grundsätzlich eine Volumentherapie stattfinden. Liegt jedoch eine Kreislaufinstabilität mit gleichzeitiger Bradykardie vor, so ist ein atypisches Schockgeschehen in Betracht zu ziehen und eine medikamentöse Therapie mit Atropin und Katecholaminen einzuleiten. Eine Kontamination mit radioaktiven oder chemischen Stoffen bzw. Infektion mit biologischen Stoffen muss frühzeitig erkannt und bei der Einsatzplanung berücksichtigt werden. Die Dekontamination ist noch am Unfallort vorzunehmen. Da es sich um eine sehr zeitaufwändige Prozedur handelt, muss die Identifizierung von akut lebensbedrohten Patienten noch vor der Dekontamination erfolgen. Diese Gruppe muss als erstes einer Notdekontamination zugeführt werden. 3