Schädel-Hirn-Trauma Jegliche Gewalteinwirkung (Trauma) auf den Kopf (Anprall, Schlag, Sturz usw.) kann neben einer Verletzung von Weichteilen auch zu Verletzungen des knöchernen Schädels (Schädeldach, Schädelbasis) sowie zu Funktionsstörungen aufgrund von Verletzungen des Gehirns führen. Bei jeder Bewusstseinsstörung nach einer Gewalteinwirkung auf den Kopf besteht der Verdacht auf ein SHT. Jedes SHT, unabhängig vom Schweregrad, hat folgenden Symptomenkomplex: - Kopfschmerzen, Schwindel - Übelkeit, Brechreiz, Erbrechen - Bewusstseinsstörungen Dieser Symptomenkomplex wird, da es drei immer wieder auftretende Leitsymptome des SHT sind, als SHT-Trias bezeichnet. Schädeldachbruch: Geschlossener (gedeckter) Schädeldachbruch: Knochenrisse im Schädeldach sowie Berstungsbrüche sind kaum zu erkennen. Kommt es jedoch zu einer vertikalen Verschiebung von Bruchstücken, ist mitunter eine Eindellung zu sehen. Offener Schädeldachbruch: Offene Schädeldachbrüche können mitunter anhand von Knochensplittern oder durch den Austritt von Hirngewebe erkannt werden (Splitter- oder Lochbruch). Eindellungen durch Verschiebung von Bruchstücken: Diese sind durch die Ausbildung von Hämatomen oft nicht zu erkennen. Schädelbasisbruch: Ein Schädelbasisbruch ist präklinisch schwer zu erkennen, lediglich der Austritt von klarer Flüssigkeit oder Blut (oft wenige Tropfen) aus Mund, Nase oder Ohr kann darauf hinweisen. Manchmal entwickelt sich in der Augenhöhle ein Bluterguss (einseitig als Monokel- bzw. beidseitig als BrillenHämatom). Dieser entwickelt sich jedoch nicht sofort und ist daher am Unfallort selten feststellbar. Verletzungen des Gehirns: Verletzungen des Gehirns werden in primäre und sekundäre Verletzungen eingeteilt, wobei –je nachdem, ob die harte Hirnhaut (Dura mater) verletzt ist oder nicht – zwischen offenen und gedeckten Hirnverletzungen unterschieden werden muss. Bei offenen Schädel-Hirn-Verletzungen besteht durch das Eindringen von Krankheitserregern in das Schädelinnere zusätzlich eine erhöhte Infektionsgefahr. Primäre Verletzungen Unter primären Verletzungen versteht man mechanische Verletzungen des Gehirns als direkte Folge eines Traumas. Sie werden in fokale (lokal umschriebene) und diffuse Verletzungen eingeteilt. - Fokale Verletzungen: Rindenprellungen (Hirnkontusionen) sind umschriebene Verletzungen der Gehirnoberfläche (Hirnrinde). Sie werden durch stumpfe Gewalteinwirkung, vor allem infolge einer breitflächigen Krafteinwirkung auf den Schädel, die bei abruptem Abbremsen nach einem Sturz oder bei massiver akuter Beschleunigung des ruhenden Schädels entsteht, hervorgerufen. Es kommt dabei zu einer lokalen Gewebszerstörung, die oft mit einer Kontusionsblutung einhergeht, was sich – je nach betroffenem Areal – in entsprechenden Hirnleistungsausfällen (z.B. Lähmungen) widerspiegelt. Es bleiben oft Hirnleistungsausfälle (neurologische Defizite) zurück. - Diffuse Verletzungen: Bei leichter bis mittelschwerer Gewalteinwirkung auf den Schädel kommt es in vielen Fällen zu einer traumatisch bedingten vorübergehenden Funktionsstörung des Gehirns mit den Leitsymptomen kurze Bewusstlosigkeit (Sekunden bis Minuten), Erinnerungslücken, Kopfschmerzen und Übelkeit. Diesen Zustand bezeichnet man als Gehirnerschütterung (Commotio cerebri). In der Computertomografie bzw. Magnetresonanztomografie stellen sich keine Krankhaften Veränderungen dar. Eine Gehirnerschütterung heilt folgenlos ab, es bleiben keine neurologischen Defizite zurück. Bei schwerer Gewalteinwirkung auf den Schädel – vor allem als Folge starker Rotationskräfte (Scherverletzungen) – kann es zu punktförmigen Einblutungen und/oder diffus über das gesamte Gehirn verteilten kleinsten Prellungsherden kommen. Eine bevorzugte Lokalisation stellt hierfür der Hirnstamm dar. Diese Art der Schädel-Hirn-Verletzung ist potentiell lebensbedrohlich und hinterlässt oft schwerste neurologische Defizite. Sekundäre Verletzungen: Man versteht darunter auf zerebraler Minderdurchblutung beruhende Schädigungen, die eine daraus resultierende Kette von biochemischen Veränderungen hervorrufen. Dies führt letztlich unter anderem zu einer Sauerstoffunterversorgung, zu einer Hirnschwellung (Hirnödem), zu einer Hirndrucksteigerung und zu Atemstörungen. Hirnblutung: Bei Schädel-Hirn-Verletzungen kommt es oft auch zum Zerreißen von Blutgefäßen und dadurch zu Blutungen im Schädelinneren. Man unterscheidet zwischen vier Arten der Blutung. Epidorale Blutung Blutansammlung zwischen Schädelknochen und harter Hirnhaut (meist infolge eines Bruches des Schläfenbeins mit begleitender Gefäßverletzung). Subdurale Blutung Blutansammlung zwischen harter Hirnhaut (Dura mater) und Spinnwebhaut (Arachnoidalhaut). Subarachnoidalblutung Blutansammlung zwischen Spinnwebhaut und Hirngewebe. Intracerebrale Blutung Blutansammlung im Hirngewebe, oft auch mit Einbruch in das Ventrikelsystem. Die Art der Blutung ist nur im Krankenhaus mittels Schnittbildverfahren feststellbar (Computertomografie = CT, Magnetresonanztomografie = MRT). Eine präklinische Unterscheidung ist somit nicht möglich, aber auch nicht nötig, denn jede Art der Blutung kann zu einer Hirndrucksymptomatik führen. Oftmals besteht jedoch ein beschwerdefreier Zeitraum (freies Intervall) bis zum Auftreten von Hirndrucksymptomen. Hirndrucksteigerung: Unter einer Hirndrucksteigerung versteht man einen Anstieg des intrakraniellen Drucks (Hirndrucks) über den Normwert. Bei einer akuten Hirndrucksteigerung kommt es z.B. im Rahmen einer Hirnschwellung nach schweren Kopfverletzungen oder auch bei akuten Entzündungen zu einer raschen Volumenzunahme des Gehirns. Ausgedehnte Blutungen führen zu einer Verdrängung von Hirngewebe und somit ebenfalls zu einer akuten Hirndrucksteigerung. Die Ursachen für eine chronische Hirndrucksteigerung sind zum Beispiel Hirntumore oder eine Abflussstörung der Gehirnflüssigkeit = Liquor (Hydrozephalus). Da sich das Gehirn aufgrund des umgebenden Schädelknochens nur sehr begrenzt ausdehnen kann, kommt es bei jeglicher Volumenzunahme im Schädelinneren zu einer Hirndrucksteigerung (akut oder chronisch) und somit zu einer Gewebsquetschung und zu Durchblutungsstörungen. Bei der oberen Einklemmung werden Anteile des Großhirns durch eine natürliche Öffnung in das aus harter Hirnhaut bestehende Kleinhirnzelt gepresst, bei der unteren Einklemmung verlagern sich Kleinhirnanteile und Anteile des verlängerten Marks durch das große Hinterhauptsloch nach unten. Dadurch kann es zu Störungen des Bewusstseins, der Atmung und der Kreislauffunktion kommen. Symptome: Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen Zunehmende Bewusstseinsstörung bis hin zur Bewusstlosigkeit Sehstörungen, Pupillenveränderungen (Seitendifferenz, fehlende Lichtreaktion) Absinkende Pulsfrequenz (langsamer, kräftiger Puls = „Druckpuls“): Der Druckpuls ist eine Pulsverlangsamung (unter 50/min), z.B. infolge einer Reizung des Nervus vagus bei Hirndrucksteigerung. Durch die Hirnschwellung kann das Gehirn nicht ausreichend durchblutet werden. Das Herz versucht besonders intensive, aber langsame Pumpvorgänge die Versorgung des Gehirns aufrechtzuerhalten. Eventuell Streckkrämpfe oder Beugekrämpfe Atemstörungen bis Atemstillstand Komplikationen: Bewusstlosigkeit, Atemstillstand Krämpfe Bleibende Schäden durch Sauerstoffmangel Kreislaufstillstand Maßnahmen: Patient bei Bewusstsein Patient ohne Bewusstsein HWS-Schienung Kontrolle der Lebensfunktionen Prophylaktische achsengerechte Bei Notfalldiagnose Bewusstlosigkeit: Seitenlage mit erhöhtem Oberkörper HWS-Schienung, dann stabile, (ca. 30 Grad); diese Lagerung dient der achsengerechte Seitenlage mit Aspirationsprophylaxe und wirkt einer erhöhtem Oberkörper (ca. 30 Grad); den Hirndrucksteigerung entgegen; den Patienten auf die versorgungstechnisch Patienten auf die versorgungstechnische günstigere Seite lagern günstigere Seite lagern. Ausnahmen Impressionsfraktur: auf die unverletzte Seite lagern Bei zusätzlichen Verletzungen (z.B. Brustkorbverletzungen, Beinbrüchen): auf die Seite der zusätzlichen Verletzung lagern (wenn es der Patient toleriert) Schaufeltrage, Vakuummatratze Sauerstoffgabe 10-15 l/min Absaugbereitschaft Offene Schädelverletzung keimfrei und druckfrei versorgen (keine festen bzw. straffen Verband!) Alle entsprechenden Maßnahmen der Schockbekämpfung Erschütterungsfreier Transport; Kopfbewegungen müssen vermieden werden. Notarztindikation Joachim Rumpf Quelle: Ausbildung Rettungssanitäter 2, Spezielle Notfälle