Jahresbericht 2014/Rapport annuel 2014 Schweizerische Gesellschaft für Symbolforschung Wissenschaftliche Tätigkeit Tagungen Am 20. September 2014 führte die Gesellschaft ein ganztägiges Kolloquium durch zum Thema »… wie Figura zeigt.« Visualisierungen von Wissen. Johannes Depnering (M.A., DPhil, Mellon Postdoctoral Fellow am Oriel College in Oxford) entwickelte anhand ausgesuchter Beispiele «Die Sieben Hauptsünden der Visualisierer». Die Aufgabe einer Visualisierung ist es, komplexes Wissen schnell, zugänglich und klar zu repräsentieren. Es finden sich jedoch sowohl historische als auch zeitgenössische Fälle, bei denen die Visualisierung der Sachverhalte eher zu deren Missverständnis beiträgt. Als Kriterien schälte der Referent heraus: Konzeptuelles Nichtbegreifen – überladene Darstellung – falsche Analogie – Ignorieren von Visualisierungsstandards und -normen – kontra-intuitive Anordnung – absichtliche Irreführung – versehentliche Irreführung. Aktuellste Beispiele konnte er aus den Kampagnen im Zusammenhang des «Scottish independence referendum» (18.9.14) zeigen. Christian Doelker (Prof. em. für Medienpädagogik an der Universität Zürich): These des mit reichhaltigem Bildmaterial ausgestatteten Vortrags «Ikonen der Moderne» war, dass die den Kultbildern der christlich-orthodoxen Kirchen vom 6. bis 19. Jahrhundert zugeschriebene Wirkweise auch für die säkulare Form moderner und zeitgenössischer Kunst gilt. Hierzu schlug er eine Typologie von drei Kategorien ‹moderner Ikonen› vor: Bei der Heils-Ikone geht es um ‹Weg und Erfüllung›, bei der Entwicklungs-Ikone um ‹Wachsen und Blüte›, bei der Ausgleichs-Ikone um ‹Sammlung und inneres Gleichgewicht›. In der modernen und zeitgenössischen Kunst finden die drei Perspektiven Ganzheit, Lebensentwurf und Existenzgefühl oft Ausdruck in einer triadischen negativen Fassung als ‹Verzweiflung›, ‹Erstarrung›, ‹Rastlosigkeit›. Solche Bilder stellen aber nicht per se Negativ-Ikonen dar. – Der Vortrag findet Eingang in das neueste Buch des Referenten: «Bild Bildung», alataverlag, Elsau 2015. Torsten Himmel (Mitarbeiter an der «Database of Scientific Illustrations» und derzeit Masterstudent an der Universität Stuttgart) sprach über die Illustrationen in Johann Jacob Scheuchzers «Physica Sacra» (publ. 1731–1735; 762 Kupferstiche). Diese naturkundlichen Objekte wurden nicht nur als möglichst präzise Abbilder im Sinne einer dokumentarisch umfassenden Wiedergabe der Realität gezeichnet, sie sind auch und gerade in einem didaktisch-heuristischen Kontext zu verstehen. Anhand präzis ausgewählter Beispiele zeigte der Referent die Strategien der optischen Veranschaulichung von Wissen zum Zwecke von dessen Vermittlung auf und stellte sie in den Rahmen gegenwärtig als gültig erachteter Kriterien wissenschaftlicher Visualisierung: Ausdrucksfähigkeit (Expressivität), Effektivität und Angemessenheit (Adäquatheit). Christoph Karlo (Dr. med., Oberarzt am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Universitäts-Spitals Zürich) sprach zum Thema «Bildgebende Verfahren in der Medizin». Diese Technik ermöglicht es, mittels Röntgenstrahlen, Ultraschall- oder Magnetresonanztechnologie auf nicht-invasive Art Einblicke in den Körper zu gewinnen, welche auf Bildern festgehalten und vom Radiologen interpretiert werden. Anhand bildgebender Methoden lassen sich heute neben der Morphologie auch metabolische Aktivität sowie Perfusion darstellen und Jahresbericht 2014/Rapport annuel 2014 quantifizieren. Dies ist aber nur der technische Aspekt; für die Interpretation radiologischer Bilder ist eine profunde Kenntnis der menschlichen Anatomie Voraussetzung. Der Referent zeigte die rasante Entwicklung der Technik von Wilhelm Conrad Röntgen 1896 über die Computertomographie bis zur Magnetresonanz-Tomographie. Der Blick ins Innere ist für viele Menschen schauerlich, weil sowohl die Radioaktivität als auch das Skelett angsterregende Symbole für den Tod sind und weil sie sich vor der Diagnose ›Karzinom‹ fürchten. Michael Stoll (Professor für Kommunikationsdesign an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Augsburg): «Das Prinzip des ‹progressive disclosure› in der Wissensvermittlung». Informationsgrafik visualisiert und erklärt Komplexes, Abstraktes, Unzugängliches, Unübersichtliches oder auch Imaginäres. In journalistischer Manier versammelt und gewichtet Infografik zuvor zeitlich und räumlich verstreute Zahlen und Fakten. Als Zahlen-, Sach- oder Kartografik präsentiert sie ihr Wissen unmittelbar und bildähnlich – tableauartig in fest zugewiesenen Bereichen eines Layouts. Viel weniger bekannt sind Darstellungen, die ihre Informationen explizit sukzessive oder gar interaktiv preisgeben: als Ab- oder Aufklappbücher, Pop-Up-Books, in Form von Drehscheiben und sogar als dreidimensionale zerlegbare Lehrmodelle. Der Vortrag beleuchtete Spielarten, Spezifika und zugrundeliegende Gestaltungsprinzipien dieser weitestgehend unbekannten Disziplin. Höhepunkt war die öffentliche ‹Sektion› eines aufklappbaren Karton-Auges. Franziska Struzek-Krähenbühl (Dr. phil. der UZH, Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Zürich). Der Vortrag stellte das Bild «Sämann bei untergehender Sonne» von Vincent van Gogh (Arles, November 1888) ins Zentrum. Das Gleichnis vom Sämann (Markus-Evangelium 4,1–9 und Parallelen) thematisiert, dass die ‹Saat› des Worts ideale Bedingungen braucht, um Frucht zu erzeugen. Fällt die Saat auf fruchtbaren Boden, kann sie aufgehen, fällt sie jedoch auf den Weg, auf Felsen oder unter Dornbüsche, nicht. Während frühe Visualisierungen des Gleichnisses vom Sämann meist den vierfachen Ackerboden darstellen, gibt es bei van Gogh nur ein Feld. Die Referentin ging anhand von Briefstellen van Goghs sowie des Vergleichs mit zeitgenössischen Bildern der Frage nach, inwiefern das Bild als Visualisierung des Gleichnisses und inwiefern zugleich als kunsttheoretisches Statement verstanden werden kann. Marc Winter (Privatdozent für Sinologie an der Universität Zürich und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Asien-Orient-Institut daselbst): «Vier populäre chinesische Bildwörterbücher im Vergleich». Das Bildwörterbuch als ein Genre erfreute sich in der Volksrepublik China seit jeher grosser Beliebtheit, da es einen wenig elitären Zugang zu Wissen verheisst und weil es von allen lexikographischen Formen wohl am meisten zum Stöbern und Entdecken anregt. Aus diesem Grund sind sog. tujie cidian auch in der Fremdsprachenvermittlung sehr beliebt und finden und fanden in China zu allen Zeiten reissenden Absatz. Grundlage des Referats bildeten vier Publikationen aus den Jahren 1968, 1982, 2000 und 2009. Die Ausgabe 1968 wurde in der Sowjetunion publiziert und 1980 in der VR China mit einer chinesischen Übersetzung versehen und veröffentlicht. Die jüngste Ausgabe ist ein chinesisches Bildwörterbuch, welches der Verlag Commercial Press kompiliert und in über 40 Sprachen gleichzeitig publiziert hat. China wurde damit in gut 30 Jahren vom Rezipienten zum Kommunikator visueller Lexika. Der Referent konnte anhand von historischen Bildsequenzen mit der Fragestellung, wie Sachverhalte dargestellt werden, Differenzen aufzeigen, die Rückschlüsse auf eine veränderte Weltwahrnehmung zulassen. Er berührte damit Fragen zur Schaffung eines Wissenskanons, bzw. eines kanonischen Bilderwissens. Jahresbericht 2014/Rapport annuel 2014 Öffentlichkeitsarbeit Am 28./29. Juni hat sich unsere Gesellschaft zusammen mit anderen Gesellschaften (Heraldik, Numismatik, Familienforschung, Burgenkunde, Vexillologie, Philatelie) an der Tagung «Historische Spezialwissenschaften stellen sich vor» im Historischen Museum Olten mit einem Informations-Stand und einer Präsentation beteiligt. Der Vorstand hat sich von der Mitgliederversammlung beauftragen lassen zu prüfen, ob der Einsatz moderner Social Media (Twitter) auf der Homepage als wünschbar zu erachten ist, um eine bessere Sichtbarkeit zu erreichen. Planung Für Herbst 2015 ist ein eintägiges Kolloquium zum Thema «Allegorie» geplant. Für 2016 lautet das Thema «Symbolik in Spielwelten» (Arbeitstitel). Administration Alle bisherigen Vorstandsmitglieder sind von der Mitgliederversammlung am 20.9 wiedergewählt worden. Neu in den Vorstand wurde aufgenommen PD Dr. Marc Winter.