Pressezentrum Dokument: 2/084 PF Sperrfrist: Donnerstag, 14.Juni 2001; 10:30 Uhr Programmbereich: Themenbereich 2: In Würde leben Veranstaltung: Die Vielfalt der Religionen und der Zauber der Bewegung Referent/in: Prof. Dr. Erich Geldbach, Bochum Ort: Eissporthalle, Am Bornheimer Hang (Bornheim) Sport und Religion Auf den ersten Blick mag vielen die Verbindung von Sport und Religion eigentümlich erscheinen. Liegen beide Größen nicht weit voneinander entfernt? Was haben sie gemeinsam? Hat nicht das Eine mit der Seele, das Andere mit dem Körper zu tun? Ist das Eine nicht himmlisch, das Andere irdisch? Ist Religion nicht durch eine tiefgreifende Säkularisierung gefährdet, während Sport geradezu Ausdruck dieser Säkularisierung ist? „Ich turne, darum bin ich“ oder „ich gehe ins Fitness-Studio, darum bin ich“ – so und in unzählig anderen Variationen könnte man das berühmte Zitat von Descartes abwandeln. Das bedeutet: Indem ich mich ganz dem Sport hingebe, werde ich mir meiner selbst bewusst. Die sportliche Betätigung verhilft mir zu der Einsicht, wer ich bin. Auf diese Weise wird Sport zur Religion. Das betrifft nicht nur die aktiven Menschen; denn auch für viele Zuschauer gilt, dass sie ihr Herz so sehr an ihre Sporthelden binden, dass diese die Funktion kleiner Götter übernommen haben. Heil und Unheil, überschwengliche Freude und grenzenlose Enttäuschung hängen vom Ergebnis eines Spiels ab, und wenn buchstäblich in letzter Sekunde durch einen Schuß die deutsche Meisterschaft entschieden wird, dann kann dies nur so erklärt werden, dass der angebliche Fußball-Gott nicht gerecht ist und der Vorsitzende des unterlegenen Clubs nicht mehr an ihn glauben kann. Gibt es also doch eine unterschwellige oder gar eine offene Verbindung von Religion und Sport? Ist Sport die Religion unserer westlichen Gesellschaft? Ist Sport die säkularisierte Religion? Tritt der Sport an die Stelle des christlichen Glaubens, weil dieser antiquiert ist? Die Wissenschaft ist sich heute einig: Der Sport, hier verstanden als zusammenfassender Begriff für alle Formen körperlicher Übungen, ist in religiös-rituellen, in religiös-mythischen und in religiös-meditativen Zusammenhängen begründet. Der Ursprung des Sports weist in die Bereiche religiöser Erfahrungen des Menschen. Ganz gleich, ob die Leistung des Pharao in Ägypten als Tat, die noch nie getan worden war, eingestuft wird, d.h. als Rekord, der nur dem göttlichen Pharao vorbehalten ist und der von niemandem überboten werden darf, oder ob man das sakrale Ritual der olympischen Feier zu Ehren des Zeus Olympios in Griechenland betrachtet oder die kultische Nachahmung des Kampfes zwischen den Mächten des Lichtes, also des Sonnengottes, und den Mächten der Finsternis, also der Mondgöttin und ihrer Brüder, der Sterne, durch das Spiel zweier Mannschaften mit einem Kautschukball, der durch einen Ring zu werfen ist, wobei der Flug des Balles den Lauf der Sonne symbolisiert und die Zielringe die Ein- und Ausgänge der Unterwelt, wie bei einigen indianischen Stämmen in Amerika, oder ob man an die Kunst des Bogenschießens und an die Yogapraktiken im Fernen Osten denkt – in allen Fällen gelten die praktizierten Sportarten – Wettlauf, Ringkampf, Faustkampf, Wagenrennen, Pfeilschießen, Steinheben, Weitsprung, Laufen, Schwimmen, Schwertkampf, Bogenschießen, Ballspiel – als religiös eingebunden. Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers. 2 Dass dies so ist, zeigt letztlich auch das Verbot der olympischen Spiele durch den Kaiser Theodosius im Jahre 393. Es war eben jener Kaiser, der das Christentum zur einzigen Staatsreligion im römischen Reich erhoben hatte, was, nebenbei gesagt, fatale Folgen zeitigen sollte, was ihn aber auch dazu zwang, das Verbot auszusprechen, weil die olympischen Spiele als Ausdruck heidnischer Religiosität galten. Der Apostel Paulus ist an dieser Stelle viel unbefangener als der christliche Kaiser. Er kann in seinem ersten Brief an die Kor. (9, 24-27) ganz selbstverständlich das Leben von Christinnen und Christen mit einem Wettlauf im Stadion oder einem Faustkampf vergleichen, wie es seine Leser von den Isthmischen Spielen in Korinth kannten: „Ihr wisst doch, dass an einem Wettlauf viele Läufer teilnehmen. Aber nur einer von ihnen kann den Preis gewinnen. Lauft so, als ob ihr den Preis gewinnen wolltet. Jeder Sportler, der trainiert, unterwirft sich strengen Regeln. Er tut es, um einen Siegeskranz zu erhalten, der verwelkt. Aber wir tun es für einen Kranz, der nicht verwelkt. Darum laufe ich geradewegs auf die Ziellinie zu. Darum bin ich wie ein Boxer, der seine Schläge nicht in die Luft hinein vergeudet.“ Christinnen und Christen gleichen durch ihre Lebensweise Wettkämpfern oder Athletinnen. Man muss jedoch auch gleich hinzufügen, dass Paulus gewissermaßen aus seinem Vergleich herausspringt; denn anders als im Stadion oder beim Faustkampf sind die christlichen Wettkämpferinnen und Athleten nicht angetreten, damit nur einer gewinnt. Nein, hier gilt die olympische Grundregel: „Dabei sein ist alles“, und so kann jeder Gottes Heil erlangen. Gottes Bestenliste kennt nicht nur Goldmedaillengewinner, sondern das Buch des Lebens verzeichnet alle, die den guten Kampf gekämpft und ihren Körper eingebracht haben. Der Vergleich des Christenlebens mit dem Leben eines Sportlers, wie ihn Paulus gebraucht, ist uns heute noch oder wieder unmittelbar einleuchtend, weil auch wir mit dem Vergleichspunkt vertraut sind. Es gibt aber Kulturen, die keine Kampfbahn kennen, in der jemand läuft, oder die den Boxkampf nicht pflegen. Für Menschen, sagen wir einmal im Regenwald Brasiliens, machen diese Vergleiche keinen Sinn. Ihre Kinder und Jugendlichen üben sich körperlich vielleicht dadurch, dass sie behend auf Bäume klettern. Was Sport ist und wie man ihn versteht, ist daher von der jeweiligen Umwelt und Kultur abhängig. In unserem Kulturraum sind wir trotz des Verbots des Kaiser Theodosius von der griechischen Antike abhängig. So hatte der Begründer der modernen olympischen Spiele, der Franzose Pierre de Coubertin (1863-1937) das Ziel, auch den religiösen Geist der antiken Spiele wiederzubeleben. Er sprach von der „Religion der Athleten“ und davon, dass das Internationale Olympische Komitee die Priesterkaste sei. Carl Diem hat bei der Organisierung der Olympischen Spiele 1936 in Berlin die religiöse Dimension durch eine olympische Hymne, eine olympische Glocke, die olympische Fahne und durch den feierlich, gottesdienstartigen Eröffnungsvorgang noch zusätzlich überhöht und die olympische Religion dem nationalen Mißbrauch durch die Nazi-Ideologie, die ja auch eine Ersatzreligion war, ausgesetzt. Coubertin war zutiefst von England und dem Konzept des „muscular Christianity“, des muskulären Christentums“, wie es in englischen Privatschulen vertreten wurde, beeinflußt. England wird vielfach und mit recht als Land des Sports bezeichnet. Die griechische Antike und der englische Sport markieren wesentlich den Wurzelgrund unserer Sportkultur heute. Aus England wird ein besonderes, christlich geprägtes Zeitgefühl in den Sport eingetragen. Christen wissen, dass die Zeit begrenzt ist, die uns Menschen zur Verfügung steht. Sie sollen, wie das Neue Testament sie auffordert, die Zeit auskaufen. Dieses Zeitverständnis kam in sportlichen Wettkämpfen zur Anwendung, und man brauchte schon früh die Uhr und das Bandmaß, um sportliche Leistungen zu messen und sie in Listen einzutragen. Dieses Eintragen heißt im Englischen „to record“, so dass mit der Eintragung zugleich auch die Möglichkeit gegeben ist, die Bestleistung, den Rekord, festzuhalten. Sport erfordert den Kampf, die Agonalität, den ganzen Einsatz, der sich im Steigern der Rekorde zu Buche schlägt. Neben die Zeitdimension und das Messen treten zwei weitere, für unseren Kulturraum wichtige Aspekte: Der Körper wird durch das Sporttreiben als Bestandteil des Menschen Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers. 3 entdeckt, der nicht etwa der unsterblichen Seele unterlegen ist, sondern der uns Menschen als Geschenk übereignet ist, um mit ihm verantwortlich umzugehen. Wir tragen für unseren Körper Verantwortung und werden dieser Verantwortung nicht gerecht, wenn wir liederlich mit unserem Körper umgehen. Daher gilt: Körperliche Gesundheit als Grundlage zum Feiern und Genießen des Lebens lässt sich zwar nicht erzwingen, aber doch erheblich durch Sporttreiben fördern. Sport ist nicht nur leistungs-, sondern auch körperbezogen. Schließlich vollzieht sich Sport innerhalb bestimmter Regeln. Sie sollen die Sporttreibenden zum ethischen Gebot der Fairneß anleiten. Gerade im Mannschaftssport gilt die Regel der Fairneß. Sie gilt aber auch in den Individualsportarten und nicht zuletzt meinem eigenen Körper gegenüber. Sport ist somit leistungs-, körper- und regelbezogen. Wenn sich dazu noch der Glaube an Christus als dem entscheidenden Heil gesellt, hat man das, was muscular Christinity genannt wird. Ein Beispiel soll dies alles verdeutlichen: Das heute überall auf der Welt so beliebte Basketballspiel wurde ausgangs des 19. Jahrhunderts in den Christlichen Vereinen Junger Männer in den USA durch den Athletik-Direktor James Naismith und den Arzt Luther Gulick am grünen Tisch entwickelt. Das Spiel sollte den besonderen Anforderungen der Vereine und den Fähigkeiten der einzelnen Mitglieder entsprechen. Es war leistungsbezogen, denn bei dem Spiel geht es um Sieg oder Niederlage. Es war körperbezogen, weil die Erfinder bewusst darauf achteten, dass alle Teile des Körpers durch die Notwendigkeit des Laufens, Springens, Werfens, Körpertäuschens und genauen Hinsehens gefordert waren. Und es war regelbezogen, weil durch die Regeln sichergestellt werden sollte, dass der Gegner nicht der Feind, sondern der Gegenüber ist, mit dem man die Kräfte mißt und an dem jeder Spieler durch Einhaltung der Regeln zu einem christlichen gentleman heranwächst. Von daher relativiert sich sogar die Leistungsbezogenheit; denn es ging nicht um das Siegen-Müssen um jeden Preis, sondern es ging um Charakterbildung: Charakter steht über dem Sieg – character above victory. Diese von ihren Ursprüngen typisch protestantischen Kriterien der Leistungs-, Körper- und Regelbezogenheit des modernen Sports, wie sie exemplarisch das Basketballspiel vor Augen führen kann, sind vor Mißbrauch freilich nicht gefeit. Das Leistungsprinzip kann zu einem Fetisch werden, dem bedenkenlos alle Opfer gebracht werden. Kurz- und Langzeitschäden werden um kurzfristiger Höchstleistungen willen in Kauf genommen, Körper und Psyche anstrengendsten Strapazen ausgesetzt – und dies von frühester Kindheit an. Das Streben nach immer neuen Höchstleistungen verknüpft sich eng mit dem Wahn, alles machen zu müssen und zu können. Dazu werden auch die Wissenschaften eingespannt. Die Wissenschaften und die Menschen werden dem Leistungsterror unterworfen, so dass sich z. B. die absurde Situation ergibt, dass auf dem Rücken von Athletinnen und Athleten ein Wettkampf zwischen Wissenschaftlern um das beste Doping einerseits und die beste Dopingkontrolle andererseits abspielt. Der eine Wissenschaftler versucht, den anderen auszutricksen, um Medikamente zur Leistungssteigerung zu entwickeln, während der andere Wissenschaftler versucht, den Nachweis zu erbringen, dass eine Leistungsmanipulation durch den Mißbrauch von Medikamenten vorliegt. Es ist einleuchtend, dass ein solcher Mißbrauch des Sports durch Doping nicht nur das Leistungs- und Chancengleichheitsprinzip verletzt, sondern dass dadurch auch die Körperund Regelbezogenheit des Sports in Mißkredit gerät. Wenn aber eine umfassende Maßlosigkeit um sich greift, erhebt sich um so dringlicher die Frage nach den letzten Werten, die sich im Sport zeigen. Dazu in aller gebotenen Kürze einige Andeutungen zum Schluss: 1. Unbestreitbar ist, dass die Regelbezogenheit auf das ethische Prinzip des fair play, der Fairneß, hinweist. Im Zusammenspiel mit der Chancengleichheit ist Fairneß eine ethische Grundhaltung, die über den Sport hinaus zur Anwendung kommen kann, ja vielleicht sogar kommen muss, um ein gelingendes Miteinander von Menschen unterschiedlicher Prägung zu ermöglichen. Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers. 4 2. Unbestreitbar ist auch, dass ungeachtet des eben beschriebenen Mißbrauchs Wettkampf und Leistung den Sport auszeichnen. Ohne sie ist keine sportliche Betätigung, wie rudimentär auch immer, möglich. Das bedeutet, dass zum Einüben von Fairneß, Wettkampf und Leistung der Breitensport noch viel breiter werden muss als gegenwärtig. 3. Der Wert eines Menschen richtet sich nicht nach seiner sportlichen Leistung; er richtet sich überhaupt nicht nach Leistung. Hier gilt, was eingangs von Paulus gesagt wurde: Mitmachen, dabeisein, sich engagieren ist alles. Denn das haben Sport und christlicher Glaube gemein: Laufen oder Schwimmen lernt man nur durch Laufen oder Schwimmen, nicht aber durch zuschauen. Glauben lernt man nur durch Glauben, nicht aber durch kritisches Distanzieren. Gott eröffnet uns völlig umsonst die Chancen eines Neuanfangs; er rechtfertigt uns aber nicht zur Untätigkeit, sondern zum Glauben, zum Lieben und zum Hoffen. 4. Zum gelingenden Leben gehören daher die Erfahrungen des Glaubens und die Erfahrungen der Körperlichkeit, des Anstrengens und des sich Wohlfühlens, und zugleich die Erfahrung, dass uns unser Körper geschenkt ist wie ein uns anvertrautes Gut. Das bedeutet Anerkennung und nicht Verachtung der Leiblichkeit des Menschen. 5. Damit ist ein Körperkult ausgeschlossen. Sportlich-sein ist inzwischen vor allem durch die Medien auch identisch mit jung-, gut aussehend-, schlank-, muskulös-, dynamisch-sein. Das Modell eines perfekten Körpers wird transportiert, den man sich in Fitneß-Studios erarbeitet, unter den Händen von Schönheitschirurgen operativ beibringen lässt, durch Einhalten von erfolgversprechenden Diäten, durch Pillen oder durch andere Medikamente erzwingt. Dieser Kult wird durch den christlichen Glauben als Meinungsterror und als Tyrannei des knackigen Körpers entlarvt. Es gibt Grenzen des Machbaren, und es gilt ältere, schwächere, ärmere, gebrechliche Menschen, die sich dieser Tyrannei nicht unterwerfen können und die gerade deshalb unsere besondere Achtung verdienen. Ich komme zum Schluss. Ein römisch-katholischer Theologe sagt mir immer, wenn er mich sieht, den Satz: „Sportler sterben gesünder“. Dieser Satz enthält nicht nur Häme, wie es oberflächlich erscheinen mag, sondern auch ein Stück neidische Anerkennung, weil der Sprechende sich nicht dazu verstehen kann, seinen eigenen Körper durch ein wenig Sporttreiben fit zu halten, er es aber bei dem Angeredeten vermutet und auch irgendwie bewundert. Der Satz ist aber noch in anderer Hinsicht richtig. Wir können letztlich nur bedingt unser Leben selbst steuern. Auch Gesundheit ist ein Geschenk. Dennoch: Wenn Sporttreibende wirklich „gesünder“ sterben, hat es sich dann nicht doch gelohnt, den Körper zu bewegen? Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.