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Pressezentrum
Dokument 2201 MA
Sperrfrist:
Samstag, 31. Mai 2003; 15:00 Uhr
Veranstaltung:
Juden und Christen im Gespräch
Titel:
Die Tora – ein "Ökohandbuch"
Referent/in:
Prof. Dr. Aloys Hüttermann, Göttingen
Ort:
Technische Universität (Charlottenburg)
Programm Seite:
89
Die Tora – ein „Ökohandbuch“
Ökologische Entdeckungen in der hebräischen Bibel
Biologische Kenntnisse im Alten Israel
Beim genauen Lesen der Hebräischen Bibel und des darauf aufbauenden jüdischen
Schrifttums kommt man zu der sehr erstaunlichen Feststellung, dass, entgegen allen
üblichen Annahmen, der Stand der „biologischen Wissenschaft“ im antiken Israel
außerordentlich hoch war (s.u.). Die damals von den Israeliten auf dem Wege der
außerordentlich genauen Beobachtung der Natur gewonnenen Erkenntnisse hatten einen
Standard, der in der abendländischen Wissenschaft teilweise erst wieder in unserem
Jahrhundert erreicht worden ist.
Um die nachfolgend gemachten Ausführungen zu verstehen, muß zunächst kurz auf die
verwendete jüdische Literatur, die jeweils zitiert wird, hingewiesen werden:
Wichtigstes jüdisches Schrifttum:
Tora:
Die ersten fünf Bücher der Hebräischen Bibel, Die ersten fünf Bücher des Alten
Testaments
Wichtigste Abschnitte: Gesetzeswerk, 613 Gebote und Verbote
Redaktionsschluß: ca. 500 v. Chr.
Zitierweise: Nennung der Bücher; Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri, Deuteronomium, mit
Kapiteln und Versen
Mischnah:
Kommentar zur Thora
Redaktionsschluß: 200 A.D
Zitierweise: Traktat, Abschnitt und Satz
Talmud:
Kommentar zur Mischnah, die Traktate sind die gleichen wie in der Mischnah
Redaktionsschluß: 550 A.D.
Zitierweise: Traktat, Abschnitt und Satz
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
2
Der hohe Stand sowohl der experimentellen als auch der beobachtenden Biologie im Antiken
Israel soll an einem Beispiel demonstriert werden, das zudem zeigt, welche furchtbaren
Konsequenzen falsche biologische Konzepte haben können.
Aristoteles kommt in seinen Schriften hinsichtlich der menschlichen Embryologie zu zwei
ganz bedeutsamen aber falschen Feststellungen:
Der sich im Uterus entwickelnde Embryo hat allein vom Vater die „genetische Information“
über Aussehen und ererbten geistigen Fähigkeiten. Der Beitrag der Mutter ist nur das
formlose Material, das keinerlei wesentliche Bedeutung für den Embryo hat (Aristoteles
benutzt dafür das Bild des Holzblocks, der nur durch die Tätigkeit des Tischlers, der die
Vorstellung dafür hat, was daraus werden soll, ein sinnvoller Gegenstand wie etwa ein Stuhl
werden kann) .
Ein männlicher Embryo benötigt zur Entwicklung bis zu einer menschenähnlichen Form im
Uterus vierzig Tage nach der Empfängnis. Ein weiblicher Fötus entwickelt sich langsamer
und erreicht erst nach achtzig Tagen die gleiche Entwicklungsstufe, die ein männlicher nach
40 Tagen hat.
Diese Vorstellungen, die von den Scholastikern (Thomas von Aquin) weiter ausgeweitet
wurden (Frauen sind unvollkommen entwickelte Männer), waren die ideologische Basis für
die Unterdrückung der Frau, von der hellenistischen Zeit bis in unsere Zeit.
Die Rabbinen haben diesen Fall sehr eingehend in ihren Lehrhäusern diskutiert. Sie haben
sich sogar mögliche Experimente darüber ausgedacht, wie man zu solchen Vorstellungen
kommen kann. Diese wurden aber von den Rabbinen verworfen, weil sie ihnen nicht mit den
notwendigen Kontrollen durchführbar erschienen. Am Ende der Debatte machen sie sich
über die Vorstellung lustig, die besagt, daß der weibliche Embryo sich langsamer entwickeln
soll als der männliche („Wir reden hier über die Thora und nicht über Narren“). Die
Souveränität (um nicht den Ausdruck „Arroganz“ zu verwenden) der Rabbinen wird vielleicht
bei einer Übertragung auf die heutige Zeit deutlicher:
Man stelle sich vor, eine Gruppe von Theologen diskutiert eine wissenschaftliche Aussage
von Max Planck, und analysiert die hierzu durchzuführenden oder gar tatsächlich
durchgeführten Experimente. Sie kommt dann zu dem Schluß, daß Max Planck völlig
daneben lag, seine Versuchsansätze grundlegend falsch waren, die Kontrollen nicht
stimmten, und macht sich darüber lustig, wie man nur so blöd sein kann.
Auf jeden Fall wird hier der hohe Stand des biologischen Wissens im Alten Israel
dokumentiert.
Moderne Konzepte der Biologie, die im Alten Testament und dem Talmud zu finden sind:
KONZEPT/WISSEN
FUNDSTELLE
WIEDERENTDECKUNG
Biologischer Artbegriff: Stabilität,
Fortpflanzungsgemeinschaft
Gen. 6, 18 – 7, 3
17. – 19. Jahrhundert
Dominant vs. rezessive Vererbung
Gen. 30, 31-43
Mendel, 19. Jahrh.
Sequenz eines „umkippenden“ Süßwasserökosystems
Exodus 7 ff.
19. – 20. Jahrh.
Das erste Experiment in der biologischen
Literatur
Talmud, Erub. III,i,
17. Jahrhundert
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
3
Pilze beziehen ihr Wachstum aus dem Holz
Talmud, Sabb. XIV.i,
1866
Fäkalien fördern Krankheitsausbreitung
Deut. 23:14
19. Jahrhundert
geringe Mengen an „Bakterien“ können
große Wassermengen infizieren
Lev. 11: 22
19. Jahrhundert
Quellung in Wasser fördert Samenkeimung
Lev. 11:37-38
Neuzeit
Blumentöpfe müssen Löcher haben
Talmud Sabb. 107b
Neuzeit
Menschliche Embryogenese – wann beginnt das
(Rabbinen machen sich – zu Recht – über
Aristoteles lustig!!)
Talmud, Yev. 69b
18. Jahrhundert- Leben?
Wer trägt zum Kind bei, Vater, Mutter
oder beide?
Talmud, Niddah, 31a
18. Jahrhundert
Gefühl der Verletzlichkeit der Umwelt
Hinweise in der Bibel auf Wissen um die Verletzlichkeit der Umwelt:
1. Genesis 1:28 „Macht Euch die Erde (natürlich nicht) untertan“
Richtige Übersetzung: Wenn Ihr die Erde nicht sorgsam behandelt, dann kippt das System
um, die Menschen werden die Herrschaft verlieren und die Tiere werden die Welt
dominieren.
2. Ein Land von „Milch und Honig“ (cf. Deut 11:8-15)
Honig stammt von Wildbienen, Milch von Schafen und Ziegen, die nur in Gestrüpp weiden
durften.
Wirkliche Bedeutung: Es handelt sich um Land, das nur bei intensiver Pflege und
schonender Nutzung landwirtschaftlich genutzt werden kann, wenn dies nicht mehr in
richtiger Weise geschieht, wird es wieder eine unwirtliche Wildnis (vergl. Jesaja 7).
Die Israeliten besiedelten praktisch ausschließlich die Hügelländer von Palästina, die
fruchtbaren Küstenebenen blieben ihnen verschlossen. Sie hatten keine Bodenschätze und
auch sonst kaum Möglichkeiten Defizite in der Landwirtschaft durch Handel auszugleichen.
Insofern mußten sie mit den Ressourcen auskommen, die ihnen das Land bot. Die
Rahmenbedingungen für ihre Entwicklung waren somit wesentlich schlechter als in Ägypten
und Babylonien, deren ökologische Basis Flußoasen waren, die ihr Wasser und Nährstoffe
aus den Überschwemmungen der Flüsse bezogen. Auch verfügten sie nicht über die
Möglichkeiten, die die Römer und Griechen hatten, mit ökologischen Katastrophen
umzugehen (s.u.).
Vergleich zu anderen Hochkulturen:
Ägypten:
Flußoase, Nil spendet Wasser und Dünger
Babylon:
Flußoase
Griechenland: Als die Ressourcen verbraucht waren: Aussetzen von Kindern (zumeist
Töchter), Getreideimporte, Gründung von Kolonien
Rom:
Als die Ressourcen verbraucht waren: Raubkriege, Getreideimporte
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
4
Ökologie im jüdischen Gesetzeswerk, der Thora
Die Weisheit des jüdischen Gesetzeswerks kann man ganz besonders an seinen
„ökologischen“ Gesetzen sehen. Hier sind als erstes die Liste der verbotenen Tiere zu
sehen. Um die Bedeutung solcher Listen von verbotenen Arten zu verstehen, muß man sich
vergegenwärtigen, daß diese Regeln einem Volke auferlegt wurden, das dichtgedrängt in
einer von Natur aus nicht besonders fruchtbaren Gegend lebte. In einer solchen
Volkswirtschaft besteht permanent ein Mangel an Proteinen, wie es in Europa noch im
letzten Jahrhundert weitgehend der Fall war. Man wird jedes genießbare Tier essen, dessen
man habhaft wird, es sei denn, dies wird durch strenge Gesetze verboten. Um diese
Behauptung nachvollziehen zu können, sollte man kleinere Märkte in ländlichen Bezirken in
der "Dritten Welt" besuchen. Der Autor hat selbst im südlichen China auf solchen Märkten,
neben Fröschen, Kröten, Schildkröten, Katzen und Schlangen, Vögel wie Adler oder
Schleiereulen zum Verzehr angeboten gesehen. Auch in Europa wurden früher selbst kleine
Vögel gegessen. Dies geht aus den damaligen Kochbüchern hervor, in denen z.B. Rezepte
für Drosseln etc. aufgeführt sind. Auch in der Bibel finden sich zahlreiche Hinweise darauf,
daß selbst kleine Vögel gegessen wurden. Tauben wurden als Opfer im Tempel akzeptiert
und selbst Sperlinge auf den Märkten verkauft (Matt. 10.29). In der Hebräischen Bibel finden
sich eine Fülle von Hinweisen darauf, daß Vögel mit Netzen gefangen oder aus dem Nest
genommen wurden. Somit bekamen die Aufstellungen der verbotenen Tiere in der Bibel
praktisch die Funktion von "Roten Listen", die die dort aufgelisteten Tiere unter strengen
Schutz stellen. Andererseits mußte aber auch der Sinn eines solchen Verbots akzeptiert
werden, denn selbst eine noch so autoritäre Priesterschaft kann es sich nicht leisten, einem
nach Proteinen hungerndem Volk Nahrung vorzuenthalten, wenn nicht dafür einleuchtende
Gründe bestehen. Daher wurden nur solche Tiere geschützt, die entweder aus
gesundheitlichen Gründen nicht gegessen werden sollten oder solche, die für die
Gesellschaft insgesamt so wichtig und wertvoll waren, daß sie geschützt werden mußten.
Dies wird vielleicht deutlicher, wenn man sich die Listen der verbotenen und erlaubten Tiere
genauer ansieht:
Logik der ökologisch wichtigen Speisegesetze (Lev.11, Deut.14) :
1. Anleitung zur Tierhaltung:
Vorschrift:
Logik:
Alle Tiere sind unrein (= verboten) bis auf Pansentiere (Ausnahmen: Schwein,
Kamel, Hase, Klippschliefer)
Es sind nur die Tiere für die Nutztierhaltung erlaubt, die die höchste
Nutzungseffizienz haben, (die in der Lage sind, aus trockenem Gras und Disteln
Milch und Steaks zu machen).
2. Wilde Landtiere allgemein:
Vorschrift:
Logik:
Alle wilden Tiere (von Mäusen über Eidechsen und Schlangen bis zu Löwen)
sind für die Jagd und den Verzehr verboten.
Erhalt der Artenvielfalt, Biologisches Gleichgewicht, Heuschreckenprophylaxe,
Hygiene.
3. Wassertiere:
Vorschrift:
Logik:
Nur Fische dürfen gegessen werden, Frösche etc. sind geschützt
Wichtigste, heute immer noch einzig mögliche Malariaprophylaxe
4. Vögel:
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
5
Vorschrift:
Alle Vögel dürfen gejagt und gegessen werden.
Ausnahmen: Vögel die für die Hygiene wichtig sind (auch Rabenvögel)
alle Greifvögel und Eulen – biologisches Gleichgewicht
alle Vögel die Großinsekten fressen
der Strauß (einziger Vogel für den es keinen ökologischen Sinn gibt)
Die für die Landwirtschaft erlassenen speziellen Gesetze galten insbesondere der Erhaltung
der Bodenfruchtbarkeit durch Förderung des Humusgehalts im Boden.
Gesetze für die Landwirtschaft:
1. Sabbath-Jahr: (Ex. 23:10-11: Lev. 25:1-7)
Alle sieben Jahre kann sich der Boden regenerieren, Humus-Neubildung.
2. Erstlingsfrüchte: (Lev. 19:23-25)
Die ersten drei Fruchtjahre eines Baumes sind tabu, es darf keine Biomasse vom Feld
exportiert werden.
3. Verbot von zweierlei Frucht (Lev. 19:19, Deut. 22:9-11) (Weizen im Weinberg):
Verbot der Übernutzung von Böden.
4. Jubeljahr:(Num. 36:4; Lev. 25:8-22)
Ausschluß von dauerhaft individuellem Besitz des Bodens, nach 50 Jahren wurde der Besitz
neu verteilt.
Es gibt auch Hinweise darauf, daß der Biotopschutz als wichtig erachtet worden ist. In der
nachfolgend zitierten Bibelstelle beschreibt Jesaja eine Praxis, die ja bis heute aktuell ist:
maximale Ausbeutung der vorhandenen Fläche. Er prangert sie an und stellt den Zorn
Gottes in Aussicht, indem er beschreibt, was passieren wird: zunächst wird es denen gut
gehen, die so handeln, irgendwann wird aber das System zusammenbrechen und es wird
keine Ernten mehr geben.
Biotopschutz ist wichtig:
8 Wehe denen, die Haus an Haus reihen, Feld an Feld rücken, bis kein Raum mehr ist und
ihr allein ansässig seid. mitten im Land! 9 [So hat] der HERR der Heerscharen in meine
Ohren [geschworen]: Wenn nicht die vielen Häuser zur Einöde werden [und] die großen und
schönen ohne Bewohner sind! 10 Denn zehn Juchart Weinberge werden [nur] ein Bat
bringen, und ein Homer Samen wird [nur] ein Efa bringen. (Jesaja 5:8-10)
In der Thora findet sich zudem der erste Hinweis in der Weltliteratur auf nachhaltiges
Handeln:
6 Wenn sich zufällig ein Vogelnest vor dir auf dem Weg findet, auf irgendeinem Baum oder
auf der Erde, mit Jungen oder mit Eiern, und die Mutter sitzt auf den Jungen oder auf den
Eiern, dann darfst du die Mutter auf den Jungen nicht nehmen. 7 Du sollst die Mutter
unbedingt fliegen lassen, die Jungen aber magst du dir nehmen, damit es dir gutgeht und du
lange lebest auf Erden. (Deut. 22:6-7)
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
6
Das Zitat beschreibt eine völlig unwahrscheinliche Situation – man stolpert nicht zufällig über
ein Vogelnest und die Mutter bleibt auch nicht auf dem Nest sitzen. Diese Pericope wurde
auch von den Rabbinen nicht wörtlich genommen, sondern als Modell für sinnvollen Umgang
mit natürlichen Ressourcen, der aber mit einem massiven Segen verbunden ist.
Eine ganz wichtige Stelle in der Thora ist die folgende:
19 Wenn du eine Stadt viele Tage belagerst, um gegen sie zu kämpfen und sie
einzunehmen, sollst du ihre Bäume nicht vernichten, indem du die Axt gegen sie schwingst.
Denn du kannst von ihnen essen; du sollst sie nicht abhauen. Ist etwa der Baum des Feldes
ein Mensch, daß er von dir mitbelagert werden sollte? (Deut. 20.19)
Hier werden die Grenzen für den Umgang mit der Schöpfung sehr eindeutig und eng gesetzt:
- Nicht einmal unter den extremen Bedingungen der Kriegsführung ist es erlaubt, einfach
Bäume ab zu hacken
- Die Natur hat ein Eigenrecht,
- Jede ungerechtfertigte Zerstörung ist zu unterlassen.
Die „Rio-Konferenz“ anno 75
Als die Israeliten den Jüdischen Krieg verloren, hatte dies die folgenden Konsequenzen:
- Das zentrale Heiligtum ihrer Religion, der Tempel, war zerstört, damit war ihre gesamte
bisherige religiöse Organisation zusammengebrochen.
- Das Land war durch die römische Kriegsmaschinerie total verwüstet worden (seit der Zeit
gibt es auf dem Ölberg keine Olivenhaine mehr).
- Die Römer legten eine Besatzungsarmee ins Land und requirierten die besten Ländereien
Palästinas, nämlich die fruchtbaren Ebenen für sich.
Damit waren die Israeliten in ihrer Entwicklung wieder zurück geworfen auf das Stadium von
„Milch und Honig“. Die in solchen Fällen einträglichste wirtschaftliche Beschäftigung ist die
Haltung von Ziegen und Schafen, die allerdings zur Konsequenz hat, daß das Land dann
völlig herunter gewirtschaftet wird.
Wie haben die Israeliten reagiert: Die übrig gebliebenen Rabbinen (die Pharisäer des Neuen
Testaments) haben sich in Javne, einem kleinen Ort südöstlich von Jaffa, versammelt und
versucht den Scherbenhaufen, in dem sich das Land befand, wieder zu restrukturieren.
Anstelle des Hohenpriesters, der ohne Tempel ja nicht fungieren konnte und zudem den
Krieg nicht überlebt hatte, wurde nun der Sanhedrin die höchste religiöse Autorität. Dieser
hat sich auch vordringlich mit der ökologischen Situation des Landes befaßt. Der erste
wesentliche Erlass dieses sich gerade konstituierenden Gremiums war das Verbot der
Kleinviehhaltung:
Mischnah:
Man darf kein Kleinvieh in Israel züchten (MB.Quamma 7:7)
Talmud:
Die Rabbanan lehrten: Einst litt ein Frommer an Brustschmerzen, und als man die Ärzte
befragte, sagten sie, es gäbe für ihn kein anderes Mittel , als daß er jeden Morgen warme
Milch sauge. Da holte man ihm eine Ziege, die man an den Fuß seines Bettes band, und er
saugte von dieser jeden Morgen. Eines Tages besuchten ihn seine Kollegen, und als sie die
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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am Fuße seines Bettes die angebundene Ziege bemerkten, kehrten sie um, indem sie
sprachen: Ein bewaffneter Räuber befindet sich in diesem Hause, und wir sollen zu ihm
hineingehen!?
R. Jismae1 sagte: Meine Vorfahren gehörten zu den Hausherren von Obergaliläa, und diese
sind nur deshalb zerstört worden, weil sie ihr [Kleinvieh] in den Wäldern weiden ließen.
(B.Quamma)
Dieser Vorgang ist bisher einmalig in der Weltgeschichte. Es wurde aus ökologischen
Gesichtspunkten heraus, um das völlig danieder liegende Land zu schonen und für die
folgenden Generationen zu erhalten, ein verbreiteter und sehr profitabler Industriezweig
schlicht und einfach verboten. Der Beruf von König David, dem größten Helden der
jüdischen Tradition, wurde mit einem Mal verboten. Dies Verbot ging aus von einer Autorität,
die keinerlei politische Macht hatte. Die einzige Möglichkeit, dies durchzusetzen, war der
gesellschaftliche Konsens. Die überwiegende Mehrheit der Israeliten hielt die Maßnahme für
sinnvoll, trotz der damit verbundenen einschneidenden wirtschaftlichen Konsequenzen. Wer
sich nicht daran hielt wurde boykottiert und gesellschaftlich ausgestoßen. Wir können mit
ziemlicher Sicherheit annehmen, daß sich auch die frühen Christen an diese Weisung
gehalten haben, sonst hätte der Talmud dies ganz sicher moniert.
Damit ging der Hohe Rat weit über die Maßnahmen von Rio hinaus. Es ist hinreichend
belegt, daß die an den Rändern des größten Wüstengürtels der Erde, der von Marokko bis
Wladiwostok reicht, betriebene Haltung von Schafen und Ziegen und die damit verbundene
Überweidung, der entscheidende Faktor für die Ausbreitung der Wüsten darstellt. Trotz
dieses Wissens hat bei der Abfassung der Agenda 21 niemand gewagt, auf diese
Zusammenhänge hin zu weisen, ein Zurückdrängen der Kleinviehhaltung wird erst gar nicht
gefordert.
Wie kam die Ökologie in die Bibel?
Für die Erlangung einer Umweltsensibilisierung ist es erforderlich, daß profunde Kenntnisse
über das Funktionieren von Ökosystemen vorhanden sein müssen, darüber hinaus muß die
Einsicht bestehen, daß die vorhandenen Ressourcen begrenzt sind und damit schonend
umgegangen werden muß. Um das zu erreichen muß ein Umfeld gegeben sein, das für den
Erwerb von biologischen Kenntnissen und deren Umsetzung in die gesellschaftliche Praxis
geeignet ist. Bei den Israeliten kamen mehrere Faktoren zusammen, die eine solche
Entwicklung begünstigten.
Wie kam die Ökologie in die Bibel: Voraussetzungen dafür:
1. Die Gegend in der die Israeliten wohnten war bitter arm und es gab kein Ausweichen vor
der ökologischen Realität
2. Gegend war ideal für ökologische Studien
3. Es gab eine halbwegs stabile Gesellschaft für ziemlich lange Zeit
4. Eine Gesellschaft die nicht abgehoben ist, wo die Eliten Kontakt zur Basis hatten
5. Es gab eine Tradition des Lernens und der Weitergabe des Wissens
6. Die Möglichkeit Fehler zu machen
7. Eine geeignete Theologie
8. Eine geeignete Wirtschaft
Von besonderer Bedeutung war dabei naturgemäß die Theologie, die einmalig in der Antike
war.
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
8
Kennzeichen des jüdischen Glaubens:
(hinsichtlich der Aneignung biologischer Kenntnisse)
1. Alles in der Welt ist von Gott erschaffen (Wissenschaft = Gottesdienst)
2. Nichts in der Welt ist göttlich oder selbst ein Gott (Weber: Die Entzauberung der Natur)
3. Eine Reihe von religiösen Vorschriften erforderten biologische Kenntnisse
Es kann sein, daß auch die dort herrschende Wirtschaftsform, die wiederum einmalig in der
hellenistischen Oikumene war, einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung einer
ökologisch orientierten, nachhaltigen Bewirtschaftung leistete:
Kennzeichen der israelitischen Wirtschaft in der Antike:
1.
2.
3.
4.
5.
Statische Subsistenz-Landwirtschaft
Kein permanentes Eigentum an Grund und Boden
Hoher „Staatsanteil“ (Priesterschaft und Soziales)
Zinsverbot
Geldakkumulation wird zusätzlich erschwert (Kredite werden nach sieben Jahren
aufgehoben)
Es handelt sich dabei ganz eindeutig um eine Wirtschaftsform, die von der unsrigen total
verschieden ist und Komponenten enthält, die aus heutiger Sicht undenkbar weil
anscheinend völlig unvernünftig sind. Unbestreitbar ist jedoch, daß es sich dabei um das
bisher einzige „Erfolgsmodell“ einer über lange Zeit nachhaltigen Wirtschaft auf hohem
Niveau handelt. Die israelitische Landwirtschaft war damals, gemessen an den gegebenen
Voraussetzungen, die erfolgreichste der damaligen Welt.
Unsere heutige Stellung zur Ökologie in der Bibel
Als zu Beginn der sechziger Jahre, gleichzeitig mit der Umweltdiskussion, eine Reflektion
über die Ursachen unserer Umweltkrise einsetzte, konzentrierte sich diese ganz massiv auf
das Juden- und Christentum, indem die Bibel („Macht Euch die Erde untertan“) als
ideologisches Fundament dieser katastrophalen Entwicklung herausgestellt wurde. Es ist ein
sehr deutliches Zeichen für die Entfremdung von den Grundlagen unserer jüdischchristlichen Tradition, daß diese Meinung, die ja die historischen Tatsachen völlig auf den
Kopf stellt, selbst von Theologen der beiden großen Konfessionen geteilt wurde.
Wir sind als Mitglieder des abendländischen Kulturkreises in der merkwürdigen Situation,
daß wir erst nach und nach entdecken, welch fortschrittliche Regeln in dem Gesetzeswerk
der Thora, unserem Ersten Testament verborgen sind. Die Schwierigkeiten, die auch
Fachleute, Theologen, damit haben, kann man am besten daran erkennen, daß, im Zuge
des allgemein veränderten Bewußtseins, zunächst von den Theologen darauf hin gewiesen
worden ist, daß der Umgang mit der Natur doch wohl nicht im Sinne von Ausbeutung
gemeint sein kann. Dafür wie man die Schöpfung zu behandeln hat, wurden jedoch nur
unverbindliche Rechtsnormen aufgestellt wie „wahren und behüten“ wie ein gütiger antiker
Herrscher. Konkrete Handlungsnormen wurden in theologischen Schriften erst in den letzten
Jahren aufgestellt, so im Sozialwort der evangelischen und katholischen Kirche
Deutschlands „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ (1997) und dem
Ökologiepapier der katholischen Kirche „Handeln für die Zukunft der Schöpfung“ (1998).
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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Es besteht leider auch bei uns nicht mehr eine irgendwie geartete Autorität, die, wie
seinerzeit der Sanhedrin, in der Lage ist, wirklich einschneidende Maßnahmen zum Schutz
der Natur zu implementieren. Zudem besteht in unserer Gesellschaft auch noch lange kein
Konsens darüber, daß auch wirklich erhebliche und möglicherweise einschneidende
Maßnahmen zum Schutz der Umwelt durchgeführt werden sollen. Der Sanhedrin konnte das
Verbot der Kleinviehhaltung im Antiken Israel nur auf dem Wege des gesellschaftlichen
Konsens erreichen: da die politische Macht fehlte, war die einzige Strafe, die angedroht
werden konnte, die gesellschaftliche Ächtung, wie es ja auch im Talmud beschrieben ist.
Unsere Gesellschaft ist von dieser Haltung noch meilenweit entfernt.
Literatur:
Hüttermann, A.: Die Ökologische Botschaft der Thora – die mosaischen Gesetze aus der
Sicht eines Biologen. Naturwissenschaften 80, 147 – 156 (1993)
Hüttermann, A.: The Ecological Message of the Torah – A Biologists Interpretation of the
Mosaic Law. in: Neusner, J, (ed.). Approaches to Ancient Judaism IX, pp. 59 – 80 (1996)
Hüttermann, A: Water and purity: microbiology and the precepts of the Torah, Mishnah, and
Talmud in: A. J. Avery-Peck, W. S. Green, J. Neusner (eds.): Annual Rabbinic Judaism,
Vol.1, p 23 – 36, Leiden, Brill (1998)
Hüttermann, A.: The Ecological Message of the Torah, Scholars Press, Atlanta, 239 Seiten
(1999)
Hüttermann, A. P. und Hüttermann, A.H.: Am Anfang war die Ökologie – Naturverständnis im
Alten Testament. Kunstmann Verlag, München 149 Seiten (2002)
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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