Der Lehrer Von Max Dreste Beitrag zum Literaturwettbewerb

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Der Lehrer
Von Max Dreste
Beitrag zum Literaturwettbewerb
„eigentlich“
des AStA der
Karl-Marx-Universität
Trier
31. Oktober 2009
Der Schweiß seiner Stirn überlief seine Lippen. Er gab mit der Kehle hackende Laute von sich,
seine Hände hatten fest die Kanten eines Tisches umschlossen und wuchteten ihn in die Luft. Er
sprach nur, wenn er den Tisch in der Luft hatte „Kurze Sätze, aggressive Inhalte, viele Adjektive,
keine Verben.“ Und schmiss die große Eichenplatte, einem Hammerwerfer gleich, an seinem
massigen Oberkörper vorbei, nach hinten. Sie schlug eine tiefe Kante in die Außenwand des kleinen
Hauses.
Er schrie mir ins Gesicht und dabei sprühten Spritzer seines Schweißes durch die heiße
Mittagssonne. Salzige Kegel kühlen Nasses. (Erfrischend).
Ich liebte ihn. Alles was er sagte war Gesetz, die Wahrheit, durchdrang die Wirklichkeit um uns
herum wie feste Stricke, ordnete sie neu, verankerte sie in flirrender, ekstatischer Form. Er schritt,
die Schultern breit, die Brille bis auf die Spitze der Nase gerutscht, einen kalten, nassen Film in der
Luft hinterlassend, zu der Wand, vor welcher der Tisch lag. Er schaute mich an. Nahm seinen Blick
nie von mir, nicht als er ihn aufhob und seine Muskeln sich spannten und rot unterliefen.
Schweiß seines Körpers schwappte in großen Wellen an seinen brutalen Oberschenkeln hinab und
überfloss den Rasen. Ich rutschte die wenigen Schritte zum Schnaps.
Er hatte das schwere, unförmige Ding über den Kopf erhoben und der grelle, blau-weiße
Mittagshimmel umrahmte es mit stechendem Schein. Die Augen weit aufgerissen brüllte er mir
entgegen: „Vertrauen auf die Theoretiker? Widerwärtige Postmoderne! Möglichkeit der Freiheit
davon? Nein! Die sollen sich gefälligst schnell etwas ausdenken, faule, dreckige Hundeficker! ...
Kiefer!“ Beim letzten Wort ging er in die Knie, drehte sich, die Schultern vorgeschnellt wie bei
einem Boxer und verpasste dem ersten Baum eines hageren Wäldchens eine flatternde, rotierende
Gerade.
Der großartige Mann schnaufte gewaltig, seine Arme und Beine zuckten schon beim Gehen, seine
Muskeln schienen ihn total zu unterzuckern, und würden sich bald mit Säure füllen. Aber ich konnte
sehen, dass der Alkohol ihm noch Schwung um Schwung purer Energie versprach, obwohl wir uns
schon seit Stunden unterhielten. Er redete mich in ein Delirium, in eine Trance, er redete meine
Beine ins Tanzen, er schaute meine Augen ins Licht. Ich nahm eine Kelle brühenden Sake aus
einem Erdloch, das wir mit heißen Steinen aufgefüllt hatten. Meine Zunge war zu weich und zu fett
geworden, unfähig zu schmecken oder zu reden. Neugierig drückte ich sie ein Stück aus dem Mund
heraus, um sie zu betrachten. Er bemerkte meine Sorge, hastete zum Waldrand hin und hängte sich
den Tisch am übrig gebliebenen Bein über die Schulter. Das Holz presste sich tief ins feste Fleisch
und verkeilte sich am Knochen. Er kam zu mir herüber und drückte mit der freien Hand mein Kinn
herab. „Nur immer vorwärts, mein Junge. Nicht verharren. Deine Zunge ist schon ganz in Ordnung,
so wie sie ist.“ Ich wollte ihm meine Arme um den Leib werfen und flennen.
„Eigentlich brauchen wir diese ganzen Wichser gar nicht!“ nuschelte ich so laut es mir möglich war.
Er lehnte sich zurück und gebot mir mit der Hand ihm die Kelle zu geben. Er sagte: „Wir müssen
mit dem Rindermesser eine kleine Probe machen. Ein gewalttätiger Umsturz in der Sprache. Wir
müssen ihn analysieren. Wir müssen mit einem Rindermesser ein Huhn zerlegen. Bereits mit den
ersten Schnitten werden wir es zerdrücken. Aber was soll es? Das Fleisch kann dadurch nur zarter
werden.“
„Zarter?“ fragte ich. Er streichelte mir gutmütig und verstehend über die Wange. Seine Hände
waren rau und groß, grobe schwarze Haare standen aus ihnen heraus, seine Fingernägel waren
braun von Zigaretten, fest vom Kratzen und zerklüftet von allem, das härter war als sie. Es drängte
ihn zu häufig, seine Kraft an Fels und Stahl zu erproben, ihn zu packen und zu versuchen, ihn zu
zerdrücken und zu zerschmettern. Er zerbrach seinen Schädel und seine Fäuste an Bergen und
rannte brüllend, schnaufend, durch die tiefen, dunkelgrünen Wälder, in die Täler hinab, schwamm
herabstürzendes Geröll hinauf und sprang von den Graten der Gebirge im langen Fall hoffend, auf
das Meer zu stürzen, um es leer saufen zu können, bis Salz und Sand knirschend seine Kehle
verschließen würden..
Er drehte mir den Rücken zu. Ein Schwarm kleiner schwarzer Vögel trieb langsam durch die Luft.
Ein Wind kam auf, aus dem man das nahe Meer erahnen konnte. Ich setzte mich in einen Stuhl, der
noch immer im Schatten des Baumes stand. Hörte ihm zu, wie er immer wieder schrie. Er
wiederholte es einige Minuten, bis eine junge Frau aus dem Haus trat. Sie rauchte und hatte ihre
schwarzen, glatten Haare lose im Nacken zusammengebunden. Ihr dunkelblaues Sommerkleid, in
ihrer Taille nur mit einer schwarzen Kordel geschlossen, wippte am Saum mit der kalten Luft, die
aus dem Haus heraus, die Treppe hinunter, in die trockene Hitze floss.
Sie beendete alles. Sie hatte nichts mit den Gesprächen zu tun, und auch nichts mit unserer Sauferei.
Sie ließ sich mit der Schulter gegen den Türrahmen fallen. Ihre linke Hand erhob sich und berührte
die Rippen unter ihrem Busen. Mit der rechten rauchte sie einfach weiter und schaute ihn dabei an.
„Diese Frau“, sagte er „erschafft etwas vollkommen Neues.“ und ließ den Tisch hinter sich fallen.
„Sie bringt die Gewalt in die Sprache.“
Die Frau stieg die Treppe herab und drückte die vor sich hin geworfene Zigarette mit ihrem Absatz
aus. Dann schaute sie uns abwechselnd an und sagte: „Wir wollen heute noch an der Maschine
arbeiten. Wenn die Sonne untergegangen ist, wird ein Gewitter vom Meer her aufziehen. Es wird
sich die nächsten Tage halten; ich kenne die Gegend sehr gut, ich wohne hier schon seit langer Zeit;
dann müssten wir die Maschine abgedeckt lassen. Überlegt euch, womit ihr die Freizeit überwinden
wollt.“ Besoffen antwortete ich: „Wie Gott, wir ruhen!“ Aber keiner der Beiden verstand mich.
Meine Zunge war so fett geworden, dass sie schon meine Backen blähte.
Ich interessierte mich für die Maschine, konnte ihnen aber nicht bei ihrer Arbeit helfen. Bestimmt
hatten sie mich eingeladen, damit ich meinen Beitrag leisten würde, doch es schien noch nicht der
rechte Zeitpunkt dafür zu sein.
Ihre Arbeit bestand zum größten Teil aus Tests. Er saß, in die Hocke gesunken, rechts neben dem
Kubus, die Frau stand davor.
Sie hielt einen kleinen Laptop in der Hand, in den verschiedene Kabel hinein- und herausführten
(auf einem Tisch waren Apparaturen aufgebaut).
Sie überprüfte ihren Computer sowie die anderen Anzeigen und wandte sich danach an den Mann,
worauf der meist mit einem Knopfdruck reagierte. Daraufhin durchlief Strom die Maschine. Sie
begann wieder zu arbeiten, doch man hörte nur die Lüfter und ein Ergebnis bekam ich, bis dahin,
nicht zu sehen.
Der Mann hatte mir erklärt, wozu diese Maschine gut war. Als ich vor Wochen im Haus ankam, die
Frau war gerade für einige Tage in die Stadt gefahren, führte mich der Mann ausführlich herum. Ich
empfand seine Sprache und seine Reden schon damals als erschütternd klar und schön. Er beschrieb
mir seine Tätigkeit. Die Köpfe zusammengesteckt durchliefen wir das Haus, bis wir schließlich im
Wohnzimmer zu einem Kasten von der Größe eines Aktenschrankes kamen. Aus diesem liefen zwei
Kabel heraus und durch einen Schlitz den Garten.
„Das hier sind fünfzigtausend Prozessoren. Jeder von ihnen übernimmt alle Aufgaben eines
einzelnen Neurons. Es geht hier um menschliche Zellen. Keine zwei dieser Neuronen sind gleich
und so musste auch jeder Prozessor für sich kalibriert werden. Dort draußen unter der hellgrünen
Plane; siehst du es? Dort steht das von mir entwickelte Gerät zur Visualisierung der Arbeitsprozesse
und vor allem für die sensorischen Informationen der Maschine. Sie wird riechen, sehen,
schmecken, hören und fühlen können. Die Frau, die du in wenigen Tagen kennen lernen wirst,
schreibt die Programme für die Sinnesfunktionen. Sie definiert das Format der durch Kamera - und
so weiter - wahrgenommenen Informationen und passt sie auf die programmierte Funktionsweise
der künstlichen Neuronen an. Wir erschaffen, wenn es funktionieren sollte, ein künstliches
Neuronennetz. Es ähnelt dem menschlichen Hirn, dem präfrontalen Kortex. Jedoch muss es mehr
Aufgaben übernehmen.“
Damals verstand ich nicht, worin meine Aufgabe bei diesem Projekt bestehen könnte, und so
verbrachte ich meine Tage mit trinken, zusehen und nachdenken.
Am vorigen Abend habe ich die Frau bei Tisch gefragt, ob ich ihnen bei dem Projekt helfen solle,
oder ob ich nur ein Gast wäre. Sie sagte, noch wäre ich Beobachter, aber später solle ich dem Gerät
die Sprache beibringen. Der Mann hatte daraufhin abgewunken und gesagt: „Mach dir keine
Sorgen, es wird dir leicht fallen.“.
Nun standen wir also vor der Maschine. Es wurde langsam Abend und von der Trinkerei ermüdete
ich zusehends. Ich legte mich in den Stuhl und begann zu dösen. Nach etwa einer halben Stunde,
meine Augen waren mir schon zugefallen, berührte mich die Frau leicht an der Schulter. Ich blickte
auf und sah sie lächeln.
„Wir haben das Gerät justiert.“
Ich fragte verschlafen: „Es funktioniert?“
„Es funktioniert schon lange, nun ist es richtig eingestellt.“
Ich stand auf und sah den Mann erschöpft auf dem Rasen liegen, den Kopf auf dem weißen Laken.
Auch er schaute zu mir herüber, langsam blinzelnd. Der Abend war rot, die Luft in meinem Rachen
kam aus den Bergen, den Wäldern und den Bächen.
Wir setzten uns zu dem Mann und schwiegen eine kurze Weile. Die Frau zündet sich eine Zigarette
an, deren Glut immer heller wurde als die Nacht herein brach.
„Was soll ich tun?“ fragte ich die Beiden.
Der Mann setzte sich auf und drehte sich zu mir. Er zündete ein Feuerzeug an und sein Körper
erstrahlte golden.
Er sprach: „Die Maschine fühlt, aber sie kann nicht ausdrücken, was sie spürt, denn ihr fehlen die
Worte. Sie weiß nicht wie die Dinge oder Sachen zu benennen sind. Du hast heute das Gleiche
gesehen wie sie. Wir alle waren die ganze Zeit hier. Du weißt was wichtig ist, welche Erfahrungen
zu welchen Eindrücken gehören. Du weißt wie die Gerüche heißen, die sie wahrgenommen hat, wie
man es nennt, was ich getan habe. Du kennst die Worte um etwas zu beschreiben, das man nur
erahnen kann. Du beschreibst ihr die Welt und sie wird deine Worte mit ihren Sinnen verknüpfen.
Du bist der Funken ihres Bewusstseins. Verstehst du?“
Über uns zogen dünne Fetzen schwarzer Wolken hinweg.
Ich bejahte, denn ich verstand.
Und so schrieb ich weiter.
Ende
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