Artikel über Epilepsie Hintergrundinfos: Auf einen Blick: Daten & Fakten zur Epilepsie Historische und Sozialmedizinische Aspekte Epilepsie kommt aus dem Griechischen und bedeutet "plötzlich heftig ergriffen und überwältigt werden". In der Antike galt Epilepsie als die "heilige Krankheit" - weil die Menschen glaubten, sie sei von den Göttern auferlegt. Bis in das 19. Jahrhundert hinein wurde sie mit Besessenheit erklärt. Noch heute prägen Ängste, Unsicherheit und Desinformation den Umgang mit der Erkrankung. Viele Epileptiker leben zurückgezogen und isoliert, werden sozial ins Abseits gedrängt. Die Arbeitslosenrate ist unter Epilepsiekranken 2-3-mal höher als in der restlichen Bevölkerung. Einer Meinungsumfrage zufolge halten ca. 20 % hierzulande Epilepsie für eine Geisteskrankheit. 15 % lehnen es ab, ihre Kinder mit epilepsiekranken Kindern unterrichten oder spielen zu lassen. Epidemiologie & Verlauf Jeder Zwanzigste erlebt einmal in seinem Leben einen epileptischen Anfall. Eine Epilepsie liegt vor, wenn wiederholt unprovozierte Anfälle auftreten. Epilepsien zählen zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. Mehr als 30 verschiedene Epilepsieformen sind bekannt. 0,5 bis 1 % der europäischen Bevölkerung leiden an einer aktiven Epilepsie. In Deutschland sind ungefähr 800.000 Menschen betroffen, weltweit etwa 50 Millionen. Jährlich wird bei etwa 35.000 Menschen eine Epilepsie diagnostiziert. Im ersten Lebensjahr und ab 60 ist das Risiko zu erkranken besonders groß. In den Entwicklungsländern ist die Epilepsiehäufigkeit dreimal so groß wie in den Industrieländern. Weltweit werden drei Viertel aller Epilepsiepatienten nicht medizinisch versorgt. Die Anfallsfrequenz ist sehr unterschiedlich: von einem einzelnen epileptischen Anfall im Leben bis hin zu mehreren hundert pro Tag. Ein Anfall kann wenige Sekunden bis zu Minuten dauern. 1 Nach dem ersten Anfall erlebt mindestens ein Drittel der Betroffenen in den kommenden drei Jahren einen weiteren Anfall. Nach zwei Anfällen steigt das Rezidivrisiko in den folgenden drei Jahren auf 50 Klassifikation Zwei epileptische Anfallsformen werden prinzipiell unterschieden: fokale (partielle) und generalisierte. Fokale Anfälle entstehen an einem genau definierten Ort des Gehirns, generalisierte erfassen von Beginn an das ganze Gehirn. Komplex-partielle Anfälle mit kurzfristigem Bewusstseinsverlust sind der häufigste Anfallstyp. Die Anfälle können mit Sinnestäuschungen, Bewusstseins- und Verhaltensstörungen, unkontrollierten Bewegungen (Konvulsionen), kurzzeitigem Bewusstseinsverlust oder Verlust der Kontrolle über Darm und Blase einhergehen. Anfälle kündigen sich manchmal durch ein Vorgefühl an, die so genannte Aura. Entsprechend der Pathogenese der Anfälle werden auch fokale und generalisierte Epilepsien unterschieden. Nach ihrer Ätiologie werden Epilepsien international als idiopathisch, symptomatisch oder kryptogen klassifiziert. Idiopathische Epilepsien sind zumindest teilweise genetisch bedingt, symptomatische treten als Folge einer umschriebenen Schädigung des Gehirns auf (z.B. nach einem Schlaganfall oder aufgrund eines Hirntumors) und kryptogene sind nicht klassifizierbar, vermutlich jedoch symptomatisch bedingt. Diagnose & Therapie Epilepsien werden durch eine umfassende Anamnese und weitere neurologische Untersuchungen (z.B. EEG) diagnostiziert. Eine exakte Diagnose ist für eine gezielte therapeutische Maßnahme unumgänglich. Der EEG-Befund kann die Diagnose weder widerlegen noch beweisen. Zum Nachweis oder Ausschluss symptomatischer Ursachen werden bildgebende Verfahren wie Kernspintomographie (MRT) und Computertomographie (CT) eingesetzt. Wenn innerhalb eines Jahres zwei oder mehr epileptische Anfälle aufgetreten sind, so ist eine medikamentöse Therapie indiziert. Initial wird mit einer Monotherapie begonnen. In der klinischen Praxis wird jedoch nur etwa ein Drittel der Patienten mit schweren, chronischen Epilepsien mit einer Monotherapie ausreichend kontrolliert. Etwa die Hälfte der verbleibenden Patienten mit nicht ausreichend wirksamer Monotherapie profitiert von Kombinationen verschiedener Medikamente (Peter Berlit: Klinische Neurologie, Springer-Verlag, Berlin⁄Heidelberg, 1999). Bei bestimmten Anfallsformen ist es nach einer längeren Zeit ohne Anfälle - frühestens nach zwei Jahren - möglich, die Medikamente langsam auszuschleichen. 2 5-10 % der Patienten sind geeignet für eine epilepsiechirurgische Operation Als unterstützendes Verfahren kommt z.B. das Erlernen von SelbstkontrollMechanismen in Frage. Ätiologie & Pathophysiologie Epilepsien sind chronische Krankheiten. Epilepsien werden durch eine funktionelle Störung des Gehirns verursacht. Die genaue Ursache ist bei fast 70 % der Fälle nicht auszumachen. Zu den bekannten Auslösern zählen: Hirnentzündungen, Hirnblutungen, Sauerstoffmangel unter der Geburt, schwere Unfallverletzungen, Schlaganfall, degenerative Erkrankungen des Nervensystems wie Morbus Alzheimer, Stoffwechselerkrankungen, Tumoren oder Fehlbildungen bei der Hirnentwicklung. Eine höhere Bereitschaft zu Anfällen kann vererbt werden. Bei der Entstehung eines epileptischen Anfalls können Hirnschädigungen mit einer angeborenen erhöhten Bereitschaft zu Anfällen zusammenwirken. Die auslösenden Schädigungen können so gering sein, dass sie für den Betroffenen keine weitere Konsequenzen haben. Die auslösenden Schädigungen können so gering sein, dass sie für den Betroffenen keine weitere Konsequenzen haben. Im Rahmen eines epileptischen Anfalls kommt es zur unkontrollierten elektrischen Entladung von Nervenzellen im Gehirn. In der Folge kann es zu einer Imbalance zwischen erregenden und hemmenden Signalen kommen. Ionenkanäle und erregende wie hemmende Neurotransmitter sind direkt am pathophysiologischen Geschehen beteiligt und daher Ziel therapeutischer Intervention. Schwangerschaft & Geburt "?Grundsätzlich können alle Frauen mit Epilepsie Kinder bekommen, aber es gibt einige Besonderheiten zu beachten, die der betreuende Arzt kennen muss." (PD Dr. Bettina Schmitz, Charité, Berlin) Antiepileptika können prinzipiell dem Ungeborenen schaden. Fehlbildungen treten bei Kindern epilepsiekranker Mütter zwei- bis dreimal häufiger auf als bei Kontrollkindern (Sibylle Ried, Gertrud Beck-Mannagetta: Epilepsie und Kinderwunsch, Blackwell Wissenschafts-Verlag, 2001). Das Risiko für spezielle Fehlbildungen (Spina bifida) kann bei einzelnen Antikonvulsiva deutlich erhöht sein. Mehr als 90 % der Epilepsiepatientinnen, die während der Schwangerschaft Antiepileptika eingenommen haben, bringen ein gesundes Kind zur Welt. Ein Absetzen der Medikamente während der Schwangerschaft kann zu einer gefährlichen Häufung von Anfällen führen. Die Menge der Medikamente sollte so gering wie möglich sein. Nach Möglichkeit sollten Kombinationstherapien vermieden werden. 3 Besonders im letzten Drittel der Schwangerschaft sollten regelmäßig Serumkonzentrationen der Antiepileptika bestimmt werden. In ca. 10 % der Fälle kommt es durch eine Schwangerschaft zu einer Verschlimmerung der Epilepsie, bei 5 % zu einer Besserung. Oft nimmt die Anfallsfrequenz zu, weil die Medikamente aus Angst abgesetzt werden. Das Risiko, dass das Kind selbst an Epilepsie erkrankt, ist nur etwas erhöht. Das Neugeborene kann durch die Medikamente sediert sein oder es können Entzugserscheinungen auftreten. Stillen wird in der Regel empfohlen. Berühmte Epilepsiekranke Gajus Julius Caesar (100-44 v. Chr.): Mehrere Geschichtsschreiber berichten von Konvulsionen des römisches Staatsmanns. Laut Plutarch hat Caesar während der Schlacht von Thapsus mitten im Kampfgetümmel einen epileptischen Anfall erlitten. Caesar soll erst gegen Ende seines Lebens an Epilepsie erkrankt sein. Napoleon Bonaparte (1769-1821): Ob der französische Kaiser epilepsiekrank gewesen ist, wird seit jeher kontrovers diskutiert. Einige Zeitzeugen berichten von Anfällen Napoleons, darunter sein Außenminister Charles Maurice de Talleyrand: "Er stöhnte und speichelte, er hatte eine Art Konvulsionen, die nach einer Viertelstunde aufhörten..." Fjodor Michailowitsch Dostojewskij (1823-1881): Der russische Schriftsteller erlitt seine ersten epileptischen Anfälle etwa im Alter von 30 Jahren. Ein Vorgefühl (Aura) kündigte die meisten Anfälle an, die den Beschreibungen nach sekundär generalisierte Grand-mal-Anfälle waren. Zahlreiche Romanfiguren versah der Literat mit einer Epilepsie, die bekannteste unter ihnen ist Fürst Myschkin in dem Roman "Der Idiot". Gustave Flaubert (1821-1880): "Mein aktives Leben endete mit 22 Jahren... ...Ich habe meine Nerven, die mir keine Ruhe lassen", hatte der französische Dichter einmal über seine Epilepsie gesagt. Die ersten Anfälle überraschten Flaubert im Alter von 22 Jahren im Schlaf. Seinen Schilderungen zufolge spürte er das Herannahen seiner Anfälle (Aura). Vincent van Gogh (1853-1890): Viele Indizien deuten darauf hin, dass der Maler an einer fokalen Epilepsie litt. Auch eine seiner Tanten, sein Bruder Theo und seine Schwester Wilhelmine waren aller Wahrscheinlichkeit nach epilepsiekrank. Van Goghs Epilepsie manifestierte sich erst in den beiden letzten Lebensjahren - in seiner künstlerisch fruchtbarsten Phase. Rudi Dutschke (1940-1979): Der Studentenführer wird 1968 von einem jungen Hilfsarbeiter niedergeschossen und im Gehirn schwer verletzt. Seit dem Attentat leidet Dutschke an Epilepsie. Am Weihnachtsabend 1979 ertrinkt er infolge eines epileptischen Anfalls in der Badewanne. Wichtige Adressen: Organisationen und Selbsthilfegruppen Deutsche Epilepsievereinigung e.V.: Patientenorganisation, Zusammenschluss von Selbsthilfegruppen in Deutschland. Geschäftstelle: Klaus Göcke, Zillestr. 102, 10585 4 Berlin, T.: 030⁄34 24 41 4. Deutsche Sektion der Internationalen Liga gegen Epilepsie: Ärztliche Vereinigung. Geschäftsstelle: Petra Gehle, Herforder Str. 5-7, 33602 Bielefeld, T.: 05 21⁄12 41 92 (täglich von 10-12 Uhr). einfälle: Zeitschrift der Selbsthilfegruppen. Klaus Göcke, Zillestr. 102, 10585 Berlin, T.: 030⁄34 14 25 2. EURAP Deutschland: Europäisches Register von Schwangerschaften unter Antiepileptika. PD Dr. Bettina Schmitz, Koordinatorin EURAP Deutschland, Neurologische Klinik und Poliklinik, Charité-Campus Virchow-Klinikum, Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin, T.: 030⁄45 05 60 99 (mittwochs 14-18 Uhr sowie Anrufbeantworter). Informationszentrum Epilepsie: entwickelt und verbreitet Informationen zur Epilepsie. Prof. Dr. H.-J. Schwager, Herforder Str. 5-7, 33602 Bielefeld, T.: 05 21⁄12 41 17 (täglich von 9-12 Uhr). Lamictal®-Schwangerschaftsregister: internationales prospektives Register von Schwangerschaften unter Lamotrigin. Informationen zum Register: Dr. Lars Bergmann, GlaxoSmithKline GmbH & Co KG, Leopoldstr. 175, 80804 München, T.: 089⁄360 44 223, Fax: 089⁄360 44 92 05, E-Mail: [email protected]. Meldung von Patientinnen: Arzneimittelsicherheit, GlaxoSmithKline GmbH & Co KG, Leopoldstr. 175, 80804 München, T.: 089⁄360 44 195, Fax: 089⁄360 44 666, E-Mail: [email protected]. Stiftung Michael: Private Stiftung, unterstützt Selbsthilfegruppen, Öffentlichkeitsarbeit, fördert Epilepsie-Ambulanzen und vergibt Ausbildungsstipendien. Sabine Reith, Münzkamp 5, 22339 Hamburg, T.: 040⁄53 88 54 0. 5