Synkopen – Diagnose und Risikostratifizierung ( Aus: „der Notarzt“ Heft 2, 2010, S.73ff; T. Fleischmann et.al.) Zahlen : - ● 40 % erleiden im Laufe des Lebens mind. 1x eine Synkope 1 – 2 % aller Patientenbesuche in der Notaufnahme und 6 % aller stationären Einweisungen sind Patienten mit Synkopen. Studie bei 1418 Patienten (in Ann Emerg Med 2008, S 585ff., J. Quinn et al.) : ► Mortalität nach Ausschluss der nicht mit Synkope in Verbindung zu bringenden Todesfälle : nach 30 Tagen : 1,4 % nach 6 Monaten : 2,3 % nach 1 Jahr : 3,8 % Dem Notarzt fällt wegen der Initialevaluation eine Schlüsselrolle zu. Die Anamnese in der Notaufnahme ist erschwert und die körperliche Untersuchung häufig völlig unauffällig. Der Notarzt kann vor Ort häufig Dinge beurteilen, die später nicht mehr eruierbar sind. Definition : Die Synkope ist definiert als ein vorübergehender Bewusstseinsverlust aufgrund einer kurzfristig globalen zerebralen Minderperfusion. Der Beginn ist relativ zügig, die Patienten können nicht mehr stehen. Es kommt ohne medizinische Intervention zur vollständigen und sofortigen Erholung. Die Präsynkope ist ein Prodromalstadium einer Synkope mit Rückgang der sensorischen Wahrnehmung (Schwarzwerden vor den Augen, leise hören) teilweise mit Schwitzen und/oder Tachypnoe. Die diagnostische und therapeutische Vorgehensweise ist identisch Differentialdiagnosen : Epileptischer Anfall, Koma, Schockzustände : Hier kommt es entweder nicht zu einer Hypoperfusion, oder es fehlt die sofortige Erholung des Bewusstseins Konvulsionen : Auftreten von Konvulsionen spricht jedoch nicht gegen die Diagnose Synkope. Konvulsionen sind bei synkopalen Zuständen sogar häufig. Der Verlust des Muskeltonus ist nicht mehr Bestandteil der Synkopendefinition. Auch Einnässen, Einkoten und Verletzungen können bei einer Synkpope auftreten. Deshalb sind stattgehabte Konvulsionen häufig Grund für die Fehldiagnose „Krampfanfall“. Dies ist gefährlich, da möglicherweise eine weitere Abklärung unterbleibt. Wichtigste Unterscheidung zum Krampfanfall ist die rasche Reorientierung nach einer Synkope (innerhalb von Sekunden) ohne Nachschlafphase und/oder einer mindestens mehrere 1 Minuten langen Reorientierungsphase. Diese Phase ist in der Regel nur dem Notarzt oder Rettungsdienst zugänglich und muss deswegen besonders beachtet werden. TIA : Sie führen nicht zu Synkopen und schließen diese praktisch aus; denn eine TIA ist ein neurologisches Defizit ohne Bewusstseinsverlust. Commotio : Wichtig ist hier die Unterscheidung: War der Sturz durch eine Synkope bedingt oder trat der Bewusstseinsverlust durch die Verletzung beim Sturz ein. 1. High-Risk-Synkopen Die weitaus gefährlichsten Synkopen sind die rhythmogenen bedingten gefolgt von den kardiogen bedingten Synkopen. 1.1 Rhythmogene Synkopen : Synkopen aufgrund von Tachykardien sind häufiger und gefährlicher als Synkopen aufgrund von Bradykardien. Besonders gefürchtet sind dabei : - ventrikuläre Tachykardien - Torsades de pointes Das intermittierende Auftreten führt dazu, dass sie häufig der Entdeckung entgehen. Daher ist oft ein Monitoring nach Synkopen über Stunden erforderlich. Liegt eine verlängerte QT-Zeit im EKG vor, ist als Ursache einer Synkope stets an ein Torsades de pointes zu denken. 1.1.1. Verlängerte QT-Zeit : - angeborenes „Long-QT-Syndrome“ - als Nebenwirkung von Medikamenten - Gefahr bei QT-Zeit > 500ms - Selbstlimitation der HRST oder Übergang in Kammerflimmern 1.1.2. Brugada-Syndrom : - Angeborene Na-Kanalstörung - in allen Altersgruppen auftretend (vorwiegend jedoch bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen) - NA von entscheidender Bedeutung, da nur vorübergehende EKGVeränderungen gefunden werden können : ► Typ 1 : konvex gewölbte ST-Hebung in präkordialen Ableitungen ► Typ 2 : sattelförmige ST-Hebung in präkordialen Ableitungen - Gefahr des Kammerflimmerns ist hoch - Therapie bei bekanntem Brugada-Syndrom : AICD-Implantation 1.1.3 Arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie : - Ähnlichkeiten mit Brugada-Syndrom - Häufig in Jugend und jungem Erwachsenenalter - Demaskierung häufig im Zuzsammenhang mit sportlicher Betätigung - Therapie : AICD-Implantation 2 1.1.4. Wolff-Parkinson-White-Syndrome ( WPW ) : - besonders schwierig ist Kombination mit Vorhofflimmern - Keine AV-blockierenden Substanzen Gefahr des Kammerflimmerns - Therapie der Wahl : Cardioversion 1.1.5. Zusammenfassung der Gemeinsamkeiten bei rhythmogenen Synkopen : ► Können außerordentlich gefährlich sein ! ► Können in jeder Altersgruppe auftreten (eingeschlossen Kinder) ► Können sich im Zusammenhang mit sportlicher Betätigung demaskieren ► Können nur vorübergehend nachweisbar sein ► Können in vielen Fällen gut behandelbar sein ► NA hat große Bedeutung bei Anamneseerhebung v.a. in der Interpetation des EKG ► 12-Kanal-EKG auch bei Kindern bei entsprechendem Verdacht 1.2. Kardiogene Synkopen 1.2.1. Herzinfarkte - schmerzlose/-arme Infarkte sind häufiger als vermutet - Synkope kann einziges Zeichen sein (STEMI; NSTEMI) 1.2.2. Synkope bei Herzanamnese - Prognose deutlich schlechter - Immer Hospiultalisierung und kardiologische Abklärung erforderlich 1.2.3. Synkope im Zusammenhang mit körperlicher Belastung - wenn nicht rhythmogen (s.o.), dann ggf. durch Beeinträchtigung der kardialen Ausstrombahn ( HOCM, Aortenstenose ) 1.2.4. Strukturierte EKG-Auswertung bei V.a. kardiogene Synkope - Beurteilung von Frequenz und Rhythmus - Beurteilung der Zeiten ( PQ, QT, QRS-Breite ) - Höhe der R- und S-Zacken ( hinsichtl. der Erkennung einer HOCM ) - Veränderungen der ST-Strecke ( Ischämie, Brugada-Syndrom, arrhythm. rechtsventrikuläre Kardiomyopathie ) - Ohne spezielle Kenntnisse häufig schwierig ► Verbringung des Patienten in die Notaufnahme mit initial geschriebenem 12-Kanal-EKG 1.3. Synkope bei Brustschmerz 1.3.1. Lungenembolie - Auch bei LEB ist eine Synkope ohne weitere Symptome möglich 1.3.2. Aortendissektion - meist reißende Thoraxschmerzen, plötzlich auftretend - Begleitung durch andere Symptome möglich : z.B. ischämische/paretische Extremitäten, Heiserkeit, Dysphagie, Horner-Syndrom, Inkontinenz, Bauch-/ Flankenschmerz, Leisten-/Hodenschmerz, pulsierendes Sternoclaviculargelenk 3 - Zielort am besten gleich Herz-/Thoraxchirurgie 1.4. Andere gefährliche Synkopen 1.4.1. Subarachnoidalblutung - geht bis zu ¼ mit Synkopen einher - weitere Symptome wie Kopfschmerz erforderlich - EKG-Veränderungen möglich, die Koronarveränderungen vortäuschen können ► Cave : Heparin, ASS 1.4.2. Blutungen/Hypovolämien - Hypovolämien jeglicher Art führen zur HZV-Erniedrigung und dadurch auch potentiell zu Synkopen - Ursächlich können sein : Gastrointestinale Infekte, intraabdominelle Blutungen, rupturiertes Aortenaneurysma 1.4.3. Medikamenteninduzierte Synkopen - Antihypertensiva, Antiarrhythmika (Frequenz-/Blutdrucksenkung) - Medikamente mit Nebenwirkung der QT-Verlängerung : ► Anti 5 : Antidepressiva Antiarrhythmika Antibiotika Antihistaminika Antipsychotika (z.B. Haloperidol) 2. Low-Risk-Synkopen 2.1. Orthostase - Tritt auf durch gestörte Gegenregulation ohne Erhöhung oder durch Verzögerung des vaskulären Tonus und/oder des HZV. - Bei Polyneuropathie/autonomer Neuropathie (Diab.mell., C2H5OH, Guillain-Barré-Syndrom) - Bei Parkinson-Syndrom - Medikamentenbedingt (β-Blocker, ACE-Hemmer, Ganglienblocker) - Kann auch Hypovolämie bedingt auftreten - Orthostase ist typisch für den älteren Patienten - Diagnose wird durch Schellong-Test gestellt ► Cave : Durch positiven Orthostasetest wird eine gleichzeitig vorliegende kardiovaskuläre Erkrankung übersehen ! 2.2. Vasovagale Synkope - Entsteht durch neurogene Reize in Verbindung mit Bradykardie und fallendem Blutdruck - Führt dadurch zur Senkung des zerebralen Perfusionsdruckes - Grundsätzlich ist bei allen vasvagalen Synkopen eine ambulante Versorgung möglich 2.2.1. Neurovaskuläre Synkope - durch längeres Stehen in warmer Umgebung 4 2.2.2. Verletzungsassoziierte Synkope 2.2.3. Reflexsynkope/Situationssynkope - bei Husten, Miktion, Defäkation 2.2.3. Hitzesynkope - Prodromi bei Hitzeexposition sind erforderlich - Rasche, vollständige Erholung - Fehlende Vorerkrankungen - Sehr fraglich, wenn nur 1 Kriterium fehlt 3. Risikostratifikation Ziel : Die vergleichsweise wenigen Patienten, die eine Synkope mit einer gefährlichen Ursache erleiden, gilt es von den vielen Patienten mit einer ungefährlichen Synkope zu trennen. Bisher gibt es allerdings keine vollständig befriedigenden Ansätze, um dies zu erreichen. 3.1. San Francisco Syncope Rules Hierbei werden 5 Kriterien zur Identifikation eines erhöhten Risikos verwendet ( CHESS ) : - C : Congestive Heart Failure history - H : Hämatokrit < 30% - E : EKG-Abnormität - S : Shortness of Breath - S : Systolischer Blutdruck < 90mmHg Diese Regeln erreichen eine Sensivität von 98% für kritische Ereignisse innerhalb von 30 Tagen nach Aufsuchen der Notaufnahme. Die Spezifität liegt bei 56%. Diese Regeln sind aber keinesfalls unumstritten. 3.2. Höheres Lebensalter - Risiko für gefährliche Synkopen steigt hier deutlich an - Viele Autoren sehen die Grenze ab dem 55. bzw. 65. Lebensjahr - Eine Abklärung sollte hier in jedem Falle erfolgen 3.3. Kinder und Jugendliche - Wahrscheinlichkeit einer Synkope hier am höchsten - meist harmlos - können aber in einigen Fällen erstes Zeichen für eine lebensgefährliche Störung sein ( Long-QT-Syndrom, Brugada-Syndrom hohe Letalität ) ► Konsequenz : Erstmalige Synkopen im Kindes-/Jugendlichenalter gehören abgeklärt (incl. präklinisches 12-Kanal-EKG) 3.4. Synkopen beim Sport - Bis zum Beweis des Gegenteils ist von einer behinderten kardiogenen Ausflussbahn auszugehen (HOCM, arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie) - Mit zunehmendem Alter ist eine Aortenstenose in Betracht zu ziehen - Zumindest 1. Synkope im Zusammenhang mit körperlicher Belastung gehört in jedem Lebensalter abgeklärt (incl. präklinischem 12-Kanal-EKG). 5 4. Konsequenzen für den Notarzt Eine Reihe von möglichen High-Risk-Synkopen sind ggf. schon präklinisch erkennbar. Hierzu zählen : - Synkopen im Alter - Auftreten von Synkopen beim Sport - EKG-Veränderungen im vor Ort geschriebenen 12-Kanal-EKG nach stattgehabter Synkope (mitunter schwierig) - Niedriger Hämatokrit/Hb (Klinik) - Atemnot nach Synkope - Niedriger Blutdruck Hier ist ein Kreislaufmonitoring über einen Zeitraum von einigen Stunden zur Entdeckung von HRST wertvoll. ► Abgesehen von eindeutigen Low-Risk-Synkopen sollten Patienten nach einer Synkope stets in die Klinik gebracht werden. Die Entscheidung über einen stationären Aufenthalt ist in der Notaufnahme nach längerem Monitoring zu treffen. Niederberger 10 / 2010 6