Der Tauchunfall

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Der Tauchunfall
Der Anaesthesist 11/2004
Definition :
Tauchunfälle beruhen im wesentlichen auf der Veränderung des auf den menschlichen
Organismus einwirkenden Umgebungsdrucks.
Der Mensch ist auf einen Umgebungsdruck von ca. 1 bar adaptiert.
Beim Tauchen kommt es zu einer unphysiologischen Überdruckexposition. Dies kann zum
Auftreten von gesundheitlichen Schäden bis zum lebensbedrohlichen Zustand führen.
Entscheidend hierbei ist der schnelle Wechsel von höherem zu niedrigerem
Umgebungsdruck.
Man spricht von Dekompressionserkrankungen ( DCI ), weil sie allesamt beim
Auftauchen, also in der Dekompressionsphase des Tauchens, auftreten.
Die decompression-illness ( DCI ) kann sich in einer decompression-sickness ( DCS ) oder
in einem pulmonalem Barotrauma mit oder ohne arterielle Gasembolie ( AGE ) äußern,
wobei auch Kombinationen möglich sind (s. Abb. 1).
Häufig werden ungenaue Beschreibungen der Erkrankung verwendet wie
Dekompressionsunfall, Caissonkrankheit, Taucherkrankheit oder Bläschenkrankheit.
Häufige Gründe für Tauchunfälle :
- Erschöpfung
- Hypothermie
- Hypoxie wegen aufgebrauchter Atemgasreserve
- Verletzungen
- Bewusstseinsstörungen aufgrund von Vorerkrankungen oder durch
Atemgasintoxikationen ( CO, CO2, N2, O2 )
- Panik, Orientierungsverlust
Betroffen sind i.d.R. nur Sporttaucher, wobei es nur unzureichende Statistiken über
Tauchunfälle gibt.
Schätzungen gehen von ca. 1 Million Bundesbürgern mit Tauchausbildung aus.
Auf 10 000 Tauchgänge kommt etwa 1 Zwischenfall, d.h. man hat mit 500 – 1000
Tauchunfällen pro Jahr zu rechnen.
Obwohl diese Unfälle potentiell lebensbedrohlich sind, sind die Kenntnisse in der
Tauchmedizin bei Ärzten und im Rettungsdienst meist nur unzureichend.
Grundlagen des Tauchens und der Tauchphysik
Apnoetauchen wie früher ist nicht mehr üblich. Nunmehr existiert durch technisches Gerät die
Möglichkeit zur Atemgasversorgung unter Wasser, sog. „self contained underwater breathing
apparatus“ kurz SCUBA. Unter Druck stehendes Atemgas wird dem Taucher über
Druckminderer zum Atmen unter Wasser zur Verfügung gestellt. Ausatmung erfolgt über ein
Ausatemventil in das umgebende Wasser.
Mögliche Atemgase sind neben Luft auch Gasgemische mit erhöhtem O2-Anteil (NITROX)
sowie Gemische mit verringertem O2-Anteil und Heliumbeimischungen (Trimix) für spezielle
Einsatzbereiche.
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Der auf einen Taucher einwirkende Umgebungsdruck wird errechnet aus dem Luftdruck von
1 bar und dem Wasserdruck.
Pro 10 m Wassertiefe erhöht sich der Druck um 1 bar. Bei Verdopplung des Drucks halbiert
sich das Volumen eines Gases ( Gesetz nach Boyle und Mariotte ). Daher wird das in
Körperhöhlen befindliche Gasvolumen mit zunehmender Tauchtiefe entsprechend
komprimiert und dehnt sich mit abnehmendem Druck beim Auftauchen wieder auf das
ursprüngliche Volumen aus.
Außerdem steigt mit zunehmendem Umgebungsdruck auch der Partialdruck eines Gases, was
ein verstärktes physikalisches Lösungsvermögen des betreffenden Gases in Blut und
Geweben zur Folge hat.
Pathophysiologie des Tauchunfalls
Barotrauma : Hierzu kommt es, wenn sich das in den Organen ( NNH, Mittelohr,
Gastrointestinaltrakt und Lunge ) eingeschlossene komprimierte Gas gemäß dem Gesetz von
Boyle und Mariotte bei sinkendem Druck in der Auftauchphase ausdehnt und nicht
entweichen kann.
Ursachen für solche Entlüftungsstörungen : infektbedingte Schleimhautschwellungen im
Bereich des Nasen-Rachenraumes und der Bronchien, Sekretansammlungen im
Bronchialsystem und Atemanhalten
Dekompressionskrankheit ( DCS ) : Sie wird durch eine Übersättigung der Gewebe mit
dem Inertgas Stickstoff nach Tauchgängen mit Pressluft oder sonstigen inertgashaltigen
Atemgasgemischen verursacht.
Inertgase wie Stickstoff und Edelgase nehmen am Stoffwechselgeschehen im menschlichen
Körper nicht teil. Sie werden ausschließlich über das Gefäßsystem aus den Geweben
abtransportiert und über die Lunge abgeatmet. Von Tauchbeginn an nehmen die
Körpergewebe Stickstoff auf. Je tiefer der Tauchgang, desto höher der Partialdruck des Gases,
desto mehr Gas wird vom Blut und den Geweben aufgenommen. Dabei nehmen
unterschiedliche Gewebegruppen unterschiedlich viel Gas auf.
Die Entsättigung beginnt mit dem Auftauchen. Es gelten verschiedene Entsättigungshalbwertszeiten aufgrund unterschiedlicher Durchblutung und Stickstofflöslichkeit der
Organe.. Auch aus diesem Grund muss das Auftauchen nach strengen Regeln erfolgen.
Die Informationen für nötige Dekompressionsstopps erhält der Taucher unter
Berücksichtigung der maximalen Tauchtiefe und der Gesamttauchzeit entweder aus
Tabellenwerken, die die derzeitigen Modellvorstellungen zur Blasenvermeidung in inhärent
übersättigten Geweben berücksichtigen. Alternativ werden immer häufiger Tauchcomputer
eingesetzt, die das Austauschprofil berechnen.
Wenn nun der Außendruck zu schnell reduziert wird und dadurch keine adäquate
Stickstoffentsättigung des Gewebes stattfinden kann, können sich Gasblasen bilden, die im
Gewebe und in der Zirkulation Gefäßverschlüsse herbeiführen können. Konsekutiv entsteht
ein Gewebsödem, welches eine Störung der Organfunktion bewirkt.
Schmerzen werden durch Druck der Blasen auf Nervenendigungen und durch entzündliche
Reizerscheinungen durch Freisetzung von Mediatoren des Immunsystems möglich.
Jedoch muss nicht jede Gasblasenbildung zwangsläufig zu Krankheitserscheinungen führen.
Wenn nicht eine bestimmte Blasenmenge überschritten wird, bleiben die Gasblasen ohne
Relevanz, solange die Lunge als Blasenfilter wirken kann. Bemerkenswert ist andererseits,
dass eine DCS auch ohne einen offenkundigen Regelverstoß beim Auftauchen auftreten kann.
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Dies ist möglich, weil die Auftauchregeln aufgrund von Durchschnittsbetrachtungen erstellt
werden und hierbei persönliche Risikofaktoren keine Berücksichtigung finden.
Insbesondere Dehydratation, schwere körperliche Anstrengung während des Tauchganges,
Stress, erhöhter Körperfettgehalt und Kälte können die Stickstoffkinetik beeinflussen, so dass
es zu einer DCS auch ohne Regelverstoß kommen kann.
Klinisches Bild des Tauchunfalls
Die Differentialdiagnose zwischen pulmonalem Barotrauma mit AGE oder DCS ist am
Unfallort in der Regel nur schwer möglich.
Dies ist auch nur bedingt aus den Modalitäten des Tauchgangs zu ersehen, zumal ein
pulmonales Überdrucktrauma selbst beim Auftauchen aus der geringen Wassertiefe eines
Schwimmbeckens auftreten kann.
Arterielle Gasembolie (AGE) :
 Übertritt von Gasblasen in die arterielle Strombahn beim Tauchen durch :
1. Überblähen der Lunge und Barotrauma
2. Paradoxe Embolie durch
- Übertritt von venös entstandenen Gasblasen über die Lungengefässe
- Übertritt von venös entstandenen Gasblasen über ein offenes Foramen
ovale
 AGE tritt Minuten nach dem Tauchgangende, evtl. schon während des Auftauchens auf
Grund für die Überdruckschädigung der Lunge sind ungenügendes Abatmen des beim
Auftauchen expandierenden Atemgases. Dies tritt vor allem bei Panik- oder Notaufstiegen
auf. Andere Ursachen können auch z.B. blockierte Atemwege durch Aspiration,
Laryngospasmus oder „air-trapping“ mit einer verlängerten exspiratorischen Zeitkonstante bei
COPD sein.
Als Zeichen der Destruktion des Lungengewebes können Husten, Dyspnoe und Hämoptoe
auftreten. Möglich ist auch ein Pneumothorax ( meist einseitig ), der leicht zum
Spannungspneumothorax werden kann, ein Hautemphysem und in einzelnen Fällen auch ein
Pneumoperikard.
Das Hautemphysem nach Tauchen ist beweisend für ein abgelaufenes Barotrauma der Lunge.
Bei einer AGE hängt die Symptomatik von der Lokalisation der Embolie bzw. der Embolien
ab. Es sind sowohl Bewusstseinsstörungen als auch Krämpfe und eine Halbseitensymptomatik
möglich. Selten tritt auch auf Grund von Koronaraterienverschlüssen eine Myokardischämie
mit malignen Rhythmusstörungen auf.
Dekompressionskrankheit (DCS) :
Pathogenese wurde schon oben beschrieben.
Die Symptome der DCS treten in Minuten bis Stunden (max. 24h selten 48h) auf.
Die unterschiedlich langen Latenzzeiten werden durch eine variable Stickstoffentsättigung in
den verschiedenen Geweben verursacht.
Grob unterscheidbar ist die DCS Typ I mit dem Leitsymptom: „muskuloskeletale Schmerzen“
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von der DCS Typ II mit zusätzlicher neurologischer Symptomatik.
Symptome bei der DCS Typ I :
- nicht bewegungsabhängige Schmerzen in Muskeln, Knochen und Bändern und in
den großen Gelenken
- rote, juckende Flecken und Streifen auf der Haut  „Taucherflöhe“
- Müdigkeit oder Abgeschlagenheit ( mögliche subklinische Form ) bedarf der
ärztlichen Beobachtung
Symptome bei der DCS Typ II :
- Vielzahl von neurologischen Symptomen zusätzlich zu obigen Symptomen
möglich
- z.B. Gasblasenbildung im Rückenmark und im Gehirn mit spinalen Symptomen
bis hin zur Querschnittsymptomatik und Bewusstseinsstörungen
- Zeichen der Lungenembolie ( bei einer Verlegung von ca. 10% der Lungenkapillaren ) mit schmerzhaften Hustenattacken und Atemnot; dabei besteht die
Gefahr, dass Gasblasen durch den erhöhten Druck durch den Lungenfilter
gepresst werden und damit zur potentiellen Emboliequelle werden
Maßnahmen und Behandlung beim Tauchunfalls :
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Sicherstellung der Vitalfunktionen nach üblichen notfallmedizinischen Kriterien
Keine Einschränkung für die Anwendung der etablierten Notfallmedikamente
Behandlung der Hypothermie mit Wärmedecken, Metallfolien, nach Entfernen
des Tauchanzuges in warmer Umgebung
Lagerung am besten horizontal, jedenfalls keine linksseitige Kopftieflage mehr
wie früher empfohlen wegen Gefahr der Hirndrucksteigerung
Rekonstruktion des Tauchganges, Sicherstellung des Tauchcomputers, Befragung
von Mittauchern
Sicherstellung des Tauchgerätes zur Atemgasuntersuchung (Verunreinigungen )
Erheben eines neurologischen Status ( wechselhaftes Bild im Verlauf möglich )
Unverzügliche O2-Gabe möglichst mit 100% über ein Demand-Ventil, falls nicht
vorhanden O2-Behandlung über eine Maske mit Reservoir mit max. O2-Zufuhr
( 15 L/min )
normobare O2-Therapie bis zur Ankunft in ein weiterversorgendes Zentrum mit
Möglichkeit zur hyperbaren Oxygenation fortführen
Konsequente O2-Therapie bewirkt gute Gewebsoxygenierung bei gleichzeitigem
Stopp des Gasblasenwachstums und beschleunigt die Stickstoffauswaschung
Warme Infusionen ca. 1L in der ersten Stunde in Form von Kristalloiden oder
Kolloiden ( wegen des Auftretens einer Immersionsdiurese besteht regelhaft eine
Hypovolämie und eine Hämokonzentration )
medikamentöse Therapie :
 Antikoagulantien :
Wegen der Gefahr der Hirn- und Rückenmarksblutungen wird eine
Heparingabe nicht empfohlen
 Thrombozytenaggragationshemmer :
Aus obigen Gründen nicht empfohlen
 Corticosteroide :
zur Behandlung eines evtl. vorliegenden Hirnödems nicht empfohlen
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Lidocain :
Kann als sog. Heilversuch bei besonders schweren Fällen gegeben
werden. Es ist in Deutschland für die Behandlung der AGE nicht
zugelassen, wird aber in Amerika empfohlen.
In Tierexperimenten konnte durch eine prophylaktische Gabe der
Anstieg des intrazerebralen Druckes verringert werden.
Maßnahmen in der Klinik vor geplanter Verlegung zur Rekompressionsbehandlung :
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Erneute Erhebung eines neurol. Status möglichst durch einen Neurologen
Röntgen-Thorax in 2 Ebenen (oder CT) zum Ausschluss eines Pneumothorax
Ggf. Anlage einer Thoraxdrainage, wenn nicht schon präklinisch erfolgt
Anlage eines Urindauerkatheters bei Entleerungsstörungen
Parazentese bei bewusstseinsgetrübten Patienten
Kontinuierliche Cuffdruckmessung bei beatmeten Patienten, Befüllen des Cuffs
mit aqua dest.
Koordination des Transportes zur Druckkammer, Begleitung durch ein
taucherärztlich erfahrenes Team ( wenn möglich )
Ggf. taucherärztliche Telefonberatung zur Abstimmung des weiteren Vorgehens
Rufnummer : 0431 / 54090
 „Divers Alert Network (DAN) Hotline“
Hier kann auch die nächstliegende einsatzbereite Druckkammer erfragt werden.
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