Datum: 5. November 2007 Thema: Volkskrankheit Diabetes Diagnose, Behandlung und Vorsorge Referenten: Dr. Dalia Crazzolara, Diabetikerzentrum, Medizin1, Krankenhaus Bozen Priv.-Doz. Dr. Susanne Kaser, Klinische Abteilung für Allgemeine Innere Medizin an der Universitätsklinik für Innere Medizin Innsbruck Dr. Dalia Crazzolara: Wie verbreitet ist Diabetes? Wie aus den Daten des italienischen Zentralinstituts für Statistik hervorgeht, leiden 5% der italienischen Bevölkerung an Diabetes Mellitus. In Südtirol sind rund 25.000 Personen betroffen, aber ihre Zahl ist im Steigen begriffen und wird in den nächsten Jahren angeblich stark zunehmen, nicht nur wegen des Bevölkerungswachstums und der Verlängerung der Lebenserwartung, sondern vor allem wegen der zunehmenden Verbreitung von Bewegungsmangel und ungesunder Ernährung. Was genau ist Diabetes? Diabetes Mellitus – im Volksmund auch als „Zuckerkrankheit“ bekannt – ist eine chronische Erhöhung des Blutzuckerspiegels (Glykämie). Zucker, der in der Regel als Verdauungsprodukt entsteht, stellt für unseren Körper die wichtigste Energiequelle dar. Um vom Blutkreislauf zu den einzelnen Körperzellen zu gelangen, braucht der Zucker eine ausreichende Menge an Insulin. Produziert wird dieser wichtige Stoff im Pankreas, also der Bauchspeicheldrüse, die sich in der Bauchhöhle unweit vom Magen befindet. Ist aber nicht genügend Insulin im Blut vorhanden, kann der Zucker nicht mehr in die Körperzellen eindringen und sammelt sich in zu hoher Konzentration im Blut an, was mit der Zeit Dauerschäden (chronische Komplikationen) mit sich bringt. Wie äußert sich Diabetes? Die Zuckerkrankheit verursacht als solche keine auffälligen Symptome. Erst wenn der Blutzuckerspiegel besonders erhöht ist, können bestimmte Warnsignale auftreten wie starkes, unübliches Durstgefühl, häufiger Miktionsbedarf, Gewichtsverlust ohne erkennbaren Grund, vermindertes Sehvermögen, frühzeitig auftretende Ermüdung. Da es sich jedoch um wenig spezifische Symptome handelt, die auch mit anderen Erkrankungen einhergehen, wird Diabetes häufig erst nach Jahren diagnostiziert. Die verschiedene Diabetesformen: Grundsätzlich unterscheidet man zwei verschiedene Formen der Zuckerkrankheit: Typ-1-Diabetes (tritt meist im Kindesalter, manchmal aber auch in späteren Jahren auf): Der Patient in nicht in der Lage, Insulin zu produzieren, so dass er diesen Stoff mit Spritzen zu sich nehmen muss. Leider lässt sich Insulin nicht oral verabreichen, weil es in der Mundhöhle vom Speichel zersetzt wird. Typ-2-Dabetes (tritt in der Regel erst im fortgeschrittenen Erwachsenenalter auf, aber seit einigen Jahren verlagert sich der Krankheitsbeginn immer mehr auf jüngere Altersklassen): Hier wird Insulin zwar normal produziert, ist aber nicht wirksam genug, um das Eindringen des Zuckers in die Körperzellen zu gewährleisten. Zucker sammelt sich also trotz vorhandenen Insulins im Blut an und bewirkt auf die Dauer verschiedene Schäden. 90% der Zuckerkranken leiden am Typ-2-Diabetes. Oft kann diese Diabetesform durch veränderte Lebensund Essgewohnheiten behandelt werden, aber häufig sind Medikamente und - allerdings selten - auch Insulin erforderlich. Doch darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Typ-2-Diabetes eine ernst zu nehmende Erkrankung ist und zur Vorbeugung schwerer, chronischer Komplikationen viel Selbstdisziplin, Ausdauer und eine Reihe gezielter Maßnahmen erfordert. Risikofaktoren: Ein höheres Diabetesrisiko (Typ-2) haben Personen, die: • Angehörige (besonders Eltern, Geschwister oder Kinder) mit Diabetes haben; • übergewichtig oder adipös (fettsüchtig) sind; • hohen Blutdruck haben oder Medikamente gegen Hypertonie nehmen müssen; • wenig “gutes” Cholesterin (HDL) im Blut haben; • hohe Blutfettwerte (Triglyzeride) aufweisen; • weiblichen Geschlechts sind und in der Schwangerschaft Diabetes hatten bzw. Kinder mit über 4 kg Körpergewicht geboren haben. Zusätzliche Risikofaktoren sind fortgeschrittenes Alter, Bewegungsmangel und ungesunde Ernährung. Wer einen oder mehrere dieser Risikofaktoren hat, sollte besser den Hausarzt fragen, ob eine Kontrolle des Nüchternblutzuckers angebracht ist. Ist der Befund unauffällig, empfiehlt es sich, die Kontrolle trotzdem einmal jährlich zu wiederholen. Aber auch wenn keine Risikofaktoren vorliegen, sollte man ab dem 40. Lebensjahr den Blutzuckerspiegel messen und die Kontrolle bei unauffälligem Befund alle drei Jahre wiederholen, denn je früher der Diabetes diagnostiziert wird, desto wirksamer ist seine Behandlung bzw. die Vorbeugung der schweren Komplikationen. Vorbeugung: Diabetes ist eine sehr heimtückische Krankheit, die man nicht sieht und nicht spürt. Ein erhöhter Blutzuckerspiegel verursacht an sich weder Störungen noch Schmerzen, kann aber auf die Dauer schwerwiegende Schäden in unserem Organismus verursachen, vor allem in den Nieren, Augen, Schlagadern, Nerven und Herz. Nichtsdestotrotz lassen sich diese Komplikationen heutzutage wirksam vorbeugen oder zumindest verzögern, wenn die Patienten einfache Vorkehrungen treffen: • Umsteigen auf einen gesunden Lebensstil, d.h. regelmäßige Bewegung, gesunde Ernährung, Senkung bzw. Kontrolle des Körpergewichts; • Kontrollen zur Bewertung des individuellen Risikos; • Messung des Blutzuckerspiegels, falls vom Arzt empfohlen. Priv. Doz. Dr. Susanne Kaser: Vermeidung von Akutproblemen durch erhöhten oder erniedrigten Blutzucker Erhöhte Blutzuckerwerte führen zu vermehrter Harnproduktion, Durst, Müdigkeit und Leistungsschwäche sowie Sehstörungen. Weiters kommt es zu Störungen der Körperabwehr und dadurch zur Häufung von Infektionen (vor allem Wundinfektionen) und zu schlechter Wundheilung. Sehr stark erhöhte Blutzuckerwerte können zum lebensgefährlichen Koma führen, das auf jeden Fall in einem Krankenhaus behandelt werden muss. Erniedrigte Blutzuckerwerte (Unterzuckerung, Hypoglykämie) werden bei Diabetikern durch eine Überdosierung von blutzuckersenkenden Medikamenten (Tabletten oder Insulin) verursacht. Typische Zeichen für eine Unterzuckerung sind Zittern, Schwitzen, Nervosität und Konzentrationsstörungen. Bei sehr niedrigen Werten tritt Bewusstlosigkeit auf, manchmal auch Krampfanfälle. Beim Auftreten einer Unterzuckerung muss der Betroffene selbst rasch oder mit Hilfe Dritter zuckerhältige Nahrung zu sich nehmen um eine Bewusstlosigkeit zu vermeiden. Vermeidung von Spätkomplikationen von Diabetes Entscheidend für ein komplikationsfreies Leben bleibt eine möglichst gute Einstellung des Blutzuckers. Die Qualität der Einstellung kann mittels HbA1c (Ziel < 6,5%) gemessen werden und gibt Auskunft über die letzten 3 Monate. Die vierteljährliche Bestimmung dieses Wertes erlaubt abzuschätzen, ob die Blutzuckereinstellung im sicheren Bereich ist. Neben der Blutzuckerkontrolle müssen andere Risikofaktoren für Herzkreislauferkrankungen, vor allem ein erhöhter Blutdruck und erhöhte Blutfette behandelt werden. Diabetes und die oft begleitende Störungen des Fettstoffwechsels sowie ein Bluthochdruck können zu Gefäßschädigungen und Nervenschädigungen im gesamten Körper führen: Sowohl das Herzinfarkt- als auch das Schlaganfallrisiko ist beim schlecht eingestellten Diabetiker um ein Vielfaches erhöht. Hohe Blutzuckerspiegel und erhöhter Blutdruck können zu bleibenden Schäden an der Netzhaut bis hin zur Erblindung führen. Diabetes und Bluthochdruck könnten bei schlechter Einstellung die Niere schädigen, leider ist der Diabetes noch immer eine sehr häufige Ursache für eine erforderliche Blutwäsche (Dialyse). Schlecht kontrollierter Blutzucker kann Schädigungen im Bereich der Nerven (Neuropathie) bewirken. Diese können sich äußern in fehlendem Schmerz- und/oder Temperaturempfinden, aber auch in Form von schmerzhaften Mißempfindungen meist im Bereich der Fußsohlen. Diabetes kann durch Schädigung der Beinarterien zur sogenannten Schaufensterkrankheit führen (PAVK). Diese äußert sich durch Schmerzen meist im Bereich der Waden nach längeren Gehstrecken, der Betroffene muß stehen bleiben, bis die Schmerzen vergehen. Diabetischer Fuß: Jede kleine Wunde im Bereich der Füße kann bei Missachtung für den Diabetiker katastrophale Folgen haben, daher sollten die Füße täglich selbst inspiziert werden, nicht mit scharfen Gegenständen an den Füßen selbst hantiert werden, eine regelmäßige und professionelle Fußpflege durchgeführt werden und jede kleine Wunde sollte sie direkt zum Arzt führen. Ganz besonders wichtig ist das Tragen eines geeigneten Schuhwerks oder das Verwenden von angepassten Einlagen. Behandlungsmethoden bei Typ 1 Diabetes: Aufgrund des Insulinmangels muss bei Typ 1 Diabetes die Insulinbehandlung sofort beginnen. Moderne Insulinbehandlung versucht, die Insulindosierung möglichst an Lebensstil und Essverhalten anzupassen. Basierend auf mehrfach täglichen Blutzuckermessungen wird das Insulin so gewählt, dass ein ausgeglichener Blutzucker erreicht wird. Daher braucht bei dieser Behandlungsform keine spezielle Diät eingehalten werden, vor allem darf bei dieser Behandlung selbstverständlich auch Zucker konsumiert werden. Eine andere Möglichkeit stellt die kontinuierliche Insulinzufuhr via Insulinpumpe dar, die einen besonders flexiblen Tagesablauf ermöglicht. Behandlungsmethoden bei Typ 2 Diabetes: Typ 2 Diabetes entsteht unter anderem durch zu reichliches Essen und zu geringe Bewegung. Daher kommt der Änderung des Lebensstils und der Reduktion eines erhöhten Körpergewichtes eine zentrale Rolle zu. Diese Änderung des Lebensstils ist nicht leicht zu erreichen und aufrecht zu halten, und weil Diabetes auch an Schweregrad über die Zeit zunimmt, müssen viele Patienten mit blutzuckersenkenden Medikamenten behandelt werden. Vor allem bei längerer Diabetesdauer müssen auch viele Betroffene mit Typ 2 Diabetes mit Insulin behandelt werden. Richtige Ernährung, körperliche Aktivität und Gewichtsreduktion bei Übergewicht sind die Grundbausteine einer Diabetestherapie, ohne die genannten Lebensstilmodifikationen sind Folgeerkrankungen vorprogrammiert. Ernährung: Fett enthält am meisten Kalorien und versteckt sich oft in Lebensmitteln wie Wurst, Fleisch, Käse. Diese tierischen Fette sind jedoch der Hauptverursacher der Gefäßverkalkungen und können in der Folge zu Herzinfarkt oder Schlaganfall führen. Daher sollten Diabetiker generell eine fettarme Diät einhalten (max. 30% Fettanteil) und dabei zusätzlich auf qualitativ hochwertige Fette achten, das bedeutet wenig sichtbares und wenig verstecktes tierisches Fett essen (wenig Butter; fettarme Milch und fettarmen Käse bevorzugen), stattdessen mehr Margarine, fetten Seefisch oder fettarme lokale Fische, Nüsse, oder hochwertige Pflanzenöle (z.B. Rapsöl, Olivenöl). Eine fettarme kalorienreduzierte Diät begünstigt zusätzlich die meist erforderliche Gewichtsabnahme. Da Diabetes oft auch mit Bluthochdruck verbunden ist, sollte salzarm gegessen werden, um eine weitere Blutdrucksteigerung zu vermeiden. Diabetiker sollten weniger als 3 Esslöffel Zucker pro Tag zu sich nehmen, Getränke mit Zuckerzusätzen meiden (z.B. Cola, diverse Fruchtsäfte etc.), Nahrungsmittel die Zucker langsam freisetzen bevorzugen („niedriger glykämischer Index“) wie z.B. Vollkornbrot statt Semmel und die Einnahme zuckerhaltiger Mahlzeiten mit der Diabetesbehandlung abstimmen. Alkohol sollte nur in moderaten Mengen konsumiert werden, exzessiver Alkoholkonsum kann zu lebensgefährlichen Unterzuckerungen (Hypoglykämie) führen. Körperliche Aktivität: Sport unterstützt nicht nur die Gewichtsreduktion, sondern verbessert auch die Insulinwirkung in der Muskulatur. Mindestens 2-3 mal pro Woche sollte ein Ausdauertraining (z.B. Schwimmen, Joggen, Radfahren) für zumindest 30 Minuten durchgeführt werden. Bei einigen Medikamten (z.B. Sulfonylharnstoffe) sowie Insulintherapie ist oftmals eine Dosisreduktion erforderlich, um Unterzuckerungen während des Sports zu vermeiden. Der Blutzucker sollte vor Beginn der körperlichen Belastung zwischen 100 und 250 mg/dl liegen. Voraussetzung für jegliche sportliche Aktivität ist die Durchführung einiger Tests durch Ihren Arzt vor Trainingsbeginn. Gewichtsreduktion: Bei Übergewicht oder Adipositas, d.h. einem Body Mass Index (BMI) von > 25 kg/m2 sollte eine Gewichtsreduktion angestrebt werden. Sämtliche angebotenen Radikaldiäten sind zu meiden, da sie zwar kurzfristig zu einer Gewichtsabnahme führen, das Gewicht aber kaum gehalten werden kann, und die anschließende Gewichtszunahme meist ausgeprägter ist als die mühsam erreichte Reduktion. Am sinnvollsten ist das Einhalten einer kalorienreduzierten fettarmen Diät zusammen mit vermehrter körperlicher Aktivität. Nikotin: Rauchen ist für Diabetiker noch schädlicher als für Nicht-Diabetiker und potenziert das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko. Medikamente wirken entweder direkt in der Bauchspeicheldrüse und erhöhen die Insulinausschüttung (Sulfonylharnstoffe, Glinide) wirken außerhalb der Bauchspeicheldrüse und erhöhen die Insulinempfindlichkeit der Zellen (Metformin, Glitazone) verzögern die Kohlenhydrataufnahme im Darm (Disaccharidasehemmer) führen nahrungsabhängig zu einer vermehrten Insulinausschüttung und Reduktion der Zuckerfreisetzung durch die Leber (GLP-1 Analoga, Gliptine) Insulin: Der Typ 1 Diabetiker muss immer Insulin spritzen, da die Bauchspeicheldrüse kein Insulin mehr erzeugen kann! Der Typ 2 Diabetiker braucht Insulin, wenn durch Ernährung, Bewegung, und / oder Tabletten keine gute Bluzuckereinstellung (HbA1c>7%) mehr erreicht werden kann. Die heutigen Insuline sind dem menschlichen Insulin baugleich und werden biosynthetisch hergestellt. Die neuesten Entwicklung sind sogenannte Insulinanaloga, Kunstinsuline, die die physiologische Insulinausschüttung noch besser nachahmen und eine Reihe von Vorteilen wie z.B. geringere Raten an Unterzuckerungen bieten. Weitere Informationen: Dr. Dalia Crazzolara, KH Bozen, Böhlerstraße 5, 39100 Bozen, Tel.:0471/908111, e-Mail: [email protected] Priv.-Doz. Dr. Susanne Kaser, Universitätsklinik für Innere Medizin, Anichstr. 35, A-6020 Innsbruck, Tel. +43-(0) 504024003, e-Mail [email protected]