---flRette, Herr, Dein Volk“:

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Gott und Gewalt in Südosteuropa:
Rituell-liturgische und zwischenkirchliche bzw. interreligiöse Aspekte
Univ.-Prof. Dr. Basilius J. Groen
1. Einführung
Sowohl Frieden und Gewalt als auch Religion sind existentielle Themen. Religion ist –
weltweit betrachtet – eine der wichtigsten Dimensionen des menschlichen Daseins, für viele
Menschen die wichtigste überhaupt. Das Leben in Afrika, Süd- und Nordamerika, in großen
Teilen Asiens und Osteuropas ist ohne Religion kaum vorstellbar. In Westeuropa verlieren
die traditionellen Kirchen zwar an Boden, aber gleichzeitig sehnen sich viele Westeuropäer
nach neuen Formen von Spiritualität.
Das Thema der Beziehung zwischen Gewalt und Frieden einerseits und Religion
andererseits ist sowohl spannend als auch ambivalent und schwierig. Auf der einen Seite
betonen fast alle Weltreligionen ihre Förderung von Frieden und Gerechtigkeit. Sie wollen
Harmonie sowie das Verbunden-Sein aller Menschen forcieren. Andererseits sind Kriege des
Öfteren im Namen einer bestimmten Religion geführt worden; an mehreren Orten geschieht
das auch heute noch. Einige Religionen beanspruchen das exklusive Heil für die eigenen
Anhänger und Anhängerinnen und viele ihrer Bekenner versuchten mit Gewalt,
Andersgläubige zu konvertieren. Einerseits haben Kirchen Kriege oft als „gerechte Kriege“
legitimiert. Andererseits verurteilen manche Kirchen konsequent jegliche Form der Gewalt.
Es ist unmöglich, hier alle Aspekte dieses Themas auch nur annähernd zu besprechen.
Beschränkungen sind also notwendig. Die erste Beschränkung ist, dass ich nicht auf
strukturelle Gewalt, auf psychische Gewalt, sexuelle Gewalt usw. eingehen werde, sondern
mich auf Kriegen konzentriere. Die zweite Beschränkung ist, dass ich eine Fallstudie
vornehmen und mich auf Südosteuropa fokussieren werde. Es handelt sich hier um die
Gegend Europas, die ein wichtiger Forschungs- und Lehrschwerpunkt unserer Universität
darstellt. In diesem Gebiet gibt es nicht nur viele Nationalitäten mit ihren unterschiedlichen
Religionen und Konfessionen, sondern auch große Spannungen, Konflikte und bis vor
kurzem Kriege, die von vielen Teilnehmenden als religiös empfunden wurden und sogar als
solche legitimiert wurden. Den Zahlen nach sind die wichtigsten Religionen beziehungsweise
Konfessionen in Südosteuropa heutzutage die Orthodoxie, der Katholizismus und der Islam.
In Serbien, Montenegro, Mazedonien, Griechenland, Bulgarien und Rumänien ist die
Orthodoxie die wichtigste Religion. Weil für die meisten Grazer Studierenden wahrscheinlich
die orthodoxen Kirchen wenig bekannt sind, werde ich zunächst einige einführende
Bemerkungen über sie machen. Die Orthodoxie ist ihrer Verwaltung und ihrer
Organisationsstruktur nach eine Gemeinschaft, man könnte sagen ein Commonwealth, von
größtenteils unabhängigen National- oder Ortskirchen, wie zum Beispiel die Patriarchate von
Konstantinopel, Jerusalem, Moskau, Serbien, Rumänien und Bulgarien und die Kirchen von
Griechenland und Zypern. Die orthodoxen Kirchen entstammen der Tradition des
Byzantinischen/Oströmischen Reiches oder sind von dort christianisiert worden. Sie haben
die gleiche offizielle Liturgie, dasselbe Glaubensbekenntnis und dieselbe Kirchenstruktur.
Weil die orthodoxen Kirchen sich zusammen als die eine, heilige, katholische und
apostolische Kirche betrachten, als der Leib Christi und als das Bild der Trinität, könnte man
auch von der Orthodoxen Kirche (im Singular) sprechen. Der gesellschaftliche Kontext der
orthodoxen Kirchen ist aber sehr unterschiedlich. In manchen Ländern, wie zum Beispiel
Russland, war die Orthodoxie Jahrhunderte lang Staatsreligion, dann wurde sie vom
Sowjetstaat schwer unterdrückt und jetzt ist sie wieder frei. In Bulgarien und Rumänien hatte
die Orthodoxie bis zum Zweiten Weltkrieg eine privilegierte Stelle inne, wurde dann von den
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kommunistischen Regimes hart unterdrückt und jetzt ist sie wieder frei, auch wenn sie es
noch schwierig findet, mit der neuen Freiheit umzugehen. In anderen Ländern, wie in
Griechenland, ist die Orthodoxie auch heute noch die offizielle Religion des Landes.
Besonders aufgrund von Auswanderungen von Russen, Griechen, arabischen Christen usw. –
vor allem im zwanzigsten Jahrhundert – gibt es die Orthodoxie heutzutage überall in der
Welt, auch in Österreich; sie ist mondial geworden. Zurzeit gibt es weltweit etwa 250
Millionen Orthodoxe.
Beim Katholizismus handelt es sich um eine der größten Glaubensgemeinschaften auf
der Erde. Es gibt über eine Milliarde Katholiken und Katholikinnen. In Kroatien und
Slowenien stellt die Römisch-Katholische Kirche die vorherrschende Konfession dar. In
Bosnien, Kosovo und im europäischen Teil der Türkei ist eine andere riesige
Glaubensgemeinschaft, nämlich der Islam, die dominierende Religion. In Albanien finden
wir sowohl den Islam als auch den Katholizismus und die Orthodoxie vor. Wichtige
islamische Minderheiten gibt es in unter anderem Bulgarien und Griechenland. Bis zum
Zweiten Weltkrieg existierten in Südosteuropa blühende jüdische Gemeinschaften, sie
wurden jedoch von den Nazis und von den mit ihnen befreundeten Regimes großteils
ausgerottet. In Thessaloniki zum Beispiel wohnten bis zum Krieg über 50.000 Juden und
Jüdinnen, die fast alle in den Konzentrationslagern ermordet wurden.
Aus Beschränkungsgründen werde ich nur den Katholizismus und die Orthodoxie
besprechen. Ich werde regelmäßig zwischen diesen beiden christlichen Großkirchen hin und
her pendeln. Dabei werde ich der Liturgie besondere Aufmerksamkeit geben. Der Grund
dafür ist, dass in fast allen Religionen das rituelle Benehmen einen zentralen Platz einnimmt.
Durch Rituale versuchen die Anhänger einer bestimmten Religion auf einer sinnlichen, also
sichtbaren, hörbaren, fühlbaren Weise mit einer für ihre Sinne nicht wahrnehmbaren, höheren
oder andersartigen Wirklichkeit – mit Gott – umzugehen, und zwar nicht einmalig, sondern in
einer Wiederholung von vertrauten Handlungen, Gebärden, Wörtern. So zeigen Rituale ihnen
diese Wirklichkeit, stellen sie dar. Rituale sind äußerst wichtig für die Vermittlung des
Glaubens. Menschen sind eine Einheit von Körper und Seele, sie sind sinnlich und nehmen
durch ihre Sinne wahr. Rituale beabsichtigen ebenfalls, dem menschlichen Leben – sowohl
dem Leben des Alltags als auch dem religiösen Leben – Struktur und Rhythmus zu verleihen.
Man denke hier zum Beispiel an die Rituale am Anfang des Tages beim Aufstehen und am
Ende beim Zubettgehen.
Noch eine letzte einführende Bemerkung: Natürlich ist „Südosteuropa“ ein sehr
großes und diverses Gebiet. Es können nur einige Aspekte und Beispiele besprochen werden,
viele Nuancierungen müssen außer Acht bleiben.
Lasst uns nun zu unserem Thema kommen. Zunächst möchte ich einige Beispiele aus
der Geschichte erwähnen.
2. Einige historische Beispiele
Die ersten beiden Beispiele versetzen uns in das „katholische Lager“. Sie betreffen die Angst
im christlichen Abendland vor den Türken und die bewaffneten Konflikte mit ihnen.
Am 7. Oktober 1571 fand im Korinther Golf bei Naupaktos, Lepanto – heutzutage
befindet dieses Gebiet sich in Griechenland, damals gehörte es zum islamischen
Osmanischen Reich – eine große Seeschlacht zwischen einer westlichen christlichen und
einer türkischen islamischen Flotte statt. Nach vier Stunden siegte die christliche Seearmee.
Weil der 7. Oktober in jenem Jahr der erste Sonntag des Oktobermonats war, betete am
gleichen Tag in Rom die dortige Rosenkranzbruderschaft den Rosenkranz. Maria wurde im
Allgemeinen für die Patronin des christlichen Abendlandes gegen die Türkenangriffe
gehalten. Der Sieg in der Schlacht von Lepanto wurde der Mutter Gottes zugeschrieben. Ein
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neues Fest war geboren: Papst Pius V. führte für den 7. Oktober das Fest der ‚Seligen
Jungfrau Maria in Bezug auf den Sieg’ (Festum Beatae Mariae Virginis de Victoria) ein.
Weil im Jahre 1716 Prinz Eugen von Savoyen die Türken wiederum schlug, verordnete Papst
Clemens XI. die Ausdehnung des Rosenkranzfestes, das inzwischen am ersten
Oktobersonntag gefeiert wurde, auf die ganze Katholische Kirche. Heutzutage heißt das Fest
„Gedenktag Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz“ und es wird wiederum am 7. Oktober
gefeiert. In den heutigen liturgischen Texten ist von den kriegerischen Auseinandersetzungen
nicht mehr die Rede. Im Breviarium Romanum jedoch, also im römischen Stundengebet aus
der Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965), wurde in einer Lesung während
der Matutin (d.h. während des mitternächtlichen Gebetes) der militärische Ursprung des
Festes dargelegt. Ich zitiere: „…der Sieg, den der hochheilige Papst Pius V. und die von ihm
angefeuerten christlichen Fürsten … über den sehr mächtigen türkischen Despoten
(Turcarum tyranno potentissmo) errangen. Denn genau am selben Tag kam dieser Sieg
zustande, als die sehr frommen Rosenkranzbruderschaften auf der ganzen Welt ihre üblichen
Fürbitten und festen Gebete verrichteten, so dass der Sieg mit Recht diesen Gebeten
zugeschrieben wird.“ In den Responsorien (d.h. Antwortversen) nach dieser Lesung heißt es:
„Deine Rechte, Gott, ist gewaltig an Kraft, deine Rechte hat die Feinde zerschmettert. Sie
versanken in furchtbaren Fluten, das Meer hat sie bedeckt. Der Herr hat dich mit Seiner Kraft
gesegnet, da Er durch dich unsere Feinde vernichtet hat. Sie versanken.“ Diese Texte waren
lateinisch und wurden nur vom Klerus gebetet. Sie haben jedoch das negative Türkenbild im
Abendland sowie die Überzeugung, dass Gott und Maria auf der christlichen Seite gegen die
ungläubigen Muslime mitkämpfen, verstärkt.
Das zweite Beispiel versetzt uns in die Donaumonarchie, die am Ende des neunzehnten und
am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts auch Teile Südosteuropas umfasste. Zu denken ist
hier vor allem an Siebenbürgen im heutigen Rumänien, an Slowenien, Kroatien und an die
Annektierung Bosniens.
Im Jahre 1683 belagerten die osmanischen Truppen, die damals schon den Großteil
Südosteuropas beherrschten, zum zweiten Mal die Reichshauptstadt Wien. Dank der Hilfe
polnischer Truppen wurden die Türken geschlagen. (Übrigens befanden sich damals im
türkischen Heer viele christliche Söldner. Auch darum ist es nicht richtig, von einer Schlacht
zwischen Muslimen und Christen zu sprechen.) Die Feier des bereits existierenden Festes
„Mariä Namen“ wurde vom Papst Innozenz XI. für die ganze westliche Kirche als Pflichtfest
angeordnet. Wie das gerade erwähnte Rosenkranzfest wurde also auch dieses Marienfest
„globalisiert“. Vor allem in Österreich wurde das Mariennamenfest ein sehr wichtiges Fest.
In Wien wird der 12. September auch heutzutage noch feierlich begangen und er ist im
Wiener Diözesankalender sogar ein „F“ (Fest) statt „G“ (Gedächtnis). Österreich stoppte den
Aufmarsch des Islams, davon sind viele überzeugt. Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass im
österreichischen kollektiven Bewusstsein die Türkenangst noch immer anwesend ist. Die
österreichische Politik steht dem möglichen Türkeibeitritt zur Europäischen Union ablehnend
gegenüber. Aus einer Umfrage im Juli 2005 ergab sich, dass nur 10 % der österreichischen
Bevölkerung diesem Beitritt positiv gegenüber steht. Damit hat Österreich die niedrigste
Score aller Mitgliedstaaten der EU. Eine wichtige Ursache dafür ist die Darstellung der
eigenen Geschichte in den österreichischen Schulbüchern, die die türkische Aggression stark
betont. In katholischen Kreisen leistet die besondere Akzentuierung der Feier des
Mariennamenfestes vielleicht einen Beitrag zur heutigen Türkenangst. Diese Angst war von
der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts bis zum Ende des siebzehnten Jahrhunderts
sicher gerechtfertigt, weil türkische Truppen damals österreichische und ungarische Städte
und Gegenden regelmäßig überfielen und brandschatzten (z.B. Feldkirchen in Kärnten und
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die Oststeiermark). Aber die heutige politische und militärische Lage ist eine völlig andere
als damals.
Interessant in diesem Kontext sind auch viele Marienstatuen, die Maria mit dem
Mond unter ihren Füßen darstellen. Ein Vers aus dem biblischen Buch der Offenbarung, auf
dem diese Vorstellung basiert, beschreibt eine Frau mit „dem Mond unter ihren Füßen“ (Off
12,1). Die nicht namentlich genannte Frau wird mit Maria identifiziert. Der Mond wird oft als
Halbmond dargestellt und dann mit dem Islam, der von der Gottesmutter zertreten wird,
gleichgesetzt. In Klagenfurt wurde nach dem gerade genannten Sieg über die Türken bei
Wien eine Säule mit dem „Gnadenstuhl“ angepasst und es wurde ein großes Kreuz, das über
dem türkischen islamischen Halbmond triumphiert, darauf gestellt. Diese Säule steht noch
immer in der Stadtmitte der Hauptstadt Kärntens.
Für zwei weitere Beispiele versetzen wir uns in das „orthodoxe Lager“, zunächst auf die Insel
Kreta. Im Jahre 1866 brach auf dieser Insel, die damals zum Osmanischen Reich gehörte,
aufs Neue ein Aufstand gegen die Türkenherrschaft aus. Eines der wichtigsten Zentren des
Widerstandes war das Arkadikloster, das in einer gebirgigen Gegend südlich der Stadt
Rethymno liegt. Der Abt, Gavriïl (Gabriël) Marinakis, leitete eines der revolutionären
Komitees. Verhandlungen zwischen der türkischen Armee und den Revolutionären über das
Ende des Aufstandes führten zu keinem Ergebnis. Am 8. November 1866 gab der türkische
Befehlshaber, Mustafa Pascha, das Kommando, das Kloster, worin auch über 600 Frauen und
Kinder Zuflucht gesucht hatten, zu stürmen. Der erste Angriff wurde abgewehrt. Nachts
feierten die Eingeschlossenen die Eucharistie. Ihre Kommunion würde gleichzeitig ihre
Wegzehrung – also das Viatikum, das orthodoxe Sterbesakrament – sein. Im großen
Sturmangriff am 9. November zerschossen die Türken den Haupteingang, der Abt fiel im
Kampf. Die übrigen Aufständischen zogen sich zurück ins Munitionsdepot, wo sich bereits
die Frauen und Kinder aufhielten. Noch einmal fragte der Pulvermeister, ob man zum Tode
bereit war, um nicht in türkische Gefangenschaft gehen zu müssen. Wie viele in Todesangst
statt Heldenmutes schwebten, erwähnen die Quellen nicht. Jedenfalls richtete der
Pulvermeister seine Pistole auf den Munitionsvorrat und sprengte alles. In den gewaltigen
Explosionen starben nicht nur Hunderte Griechen, sondern auch eine ebenso große Anzahl
Soldaten der osmanischen Armee. Diese “Nationaltragödie” wurde später von griechischorthodoxen Kirchenführern und Politikern verherrlicht. Das “Arkadi-Opfer”, dieses kretische
Masada, wurde und wird immer noch oft in den Himmel gehoben und mit einem selbstlosen
Aufgeben des eigenen Lebens zugunsten der Freiheit identifiziert. Vergleiche mit dem Tod
und der Auferstehung des Gottessohnes selber liegen auf der Hand. Alljährlich pilgern
zahlreiche Kreter und andere Griechen zwischen dem 7. und 9. November nach Arkadi.
Aber die Zeiten haben sich geändert. Als ich selber 2003 in Arkadi war, sah ich, dass
es in der Cafetaria keinen echten griechischen – oder, wenn Sie wollen: türkischen – Kaffee
mehr gibt, weil aufgrund der vielen ausländischen Touristen der Akzent zurzeit auf dem
Espresso liegt. Auch sah ich, dass die Klosterkirche auf Kosten der Europäischen Union
restauriert wird. (Die Kosten betragen über eine Million Euro). Zudem befürwortet die
griechische Regierung den Zutritt der Türkei zur Europäischen Union und die weitere
Verbesserung der Beziehungen mit der Türkei gehörte zu den Schwerpunkten der vorherigen
Simitis-Regierung und gehört auch zu denen der heutigen Karamanlis-Regierung.
Die Arkadigeschichte zeigt klar die unterschiedlichen Perspektiven der beiden
Kriegsparteien. Für den Abt und die Mönche von Arkadi sowie für viele andere Kreter war
der Aufstand gegen die Türken ein Gebot Gottes selbst. Während der Karwoche konnten die
Griechisch-Orthodoxen sich mit den Foltern Jesu identifizieren. Die römischen Soldaten und
den jüdischen Hohen Rat konnten sie mit den türkischen Tyrannen gleichsetzen. Am
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Osterfest konnten sie nach ihrer eigenen Befreiung trachten. “Freiheit oder Tod” (eleutheria
thanatos) war eine Kernlosung. Wir finden diese Losung übrigens auch vor im Titel der
deutschen Übersetzung eines wichtigen Romans von Nikos Kazantzakis, der griechisch Ho
Kapitan Michalis heißt. In diesem Roman verewigte der kretische Schriftsteller nicht nur
seinen Vater, sondern auch das Streben nach Freiheit auf Kreta während der zweiten Hälfte
des neunzehnten Jahrhunderts. Wie war aber die Perspektive für die türkischen Behörden?
Für sie stellte der Aufstand einen Verstoß gegen Gottes Ordnung dar. Gott verwaltete sein
Reich, worin der Islam natürlich die vorherrschende Religion war und Christen sowie Juden
als „Religionen des Buches“ toleriert wurden, zwar oft als zweitrangige Bürger und
Bürgerinnen, aber immerhin mit klaren Rechten. Darum wurde der gefallene Abt Gavriïl von
der osmanischen Armee nachträglich enthauptet und sein Kopf wurde, wie der eines
subversiven Aufrührers, triumphierend gezeigt.
Gleichzeitig mit dem kretischen Kampf für Unabhängigkeit, war das Königreich
Griechenland im Griffe der „Großen Idee“ (Megalê Idea). Darunter versteht man die
Bestrebung, alle Gebiete, wo Griechen wohnen, in einem Staat zu vereinigen und gleichzeitig
das Byzantinische, Oströmische Reich neu zu beleben. Konstantinopel würde dann ebenfalls
wiederum als Hauptstadt und die Orthodoxie als Staatsreligion dienen. Die ersten Ergebnisse
dieser Idee schienen versprechungsvoll, weil der griechische Staat enorme
Gebietserweiterungen dazu gewann. Im Jahr 1922/23 erlitt die Idee jedoch einen
dramatischen Schiffbruch aufgrund der Niederlage beim Feldzug der griechischen Armee in
Kleinasien und des darauf folgenden Zwangsaustausches der Bevölkerungen. Nachdem die
griechische Armee mehrere Gräueltaten an türkischen Zivilisten verübt hatte, war nun die
griechische Bevölkerung Kleinasiens dran. Smyrna, das heutige Izmir, ging in Rauch und
Flammen auf. Metropolit Chrysostomos von Smyrna wurde vom Balkon in den Tod gestürzt.
Mit ihm wurden viele griechischen Bürger und Bürgerinnen ermordet. Im Zwangsaustausch
mussten die meisten in Kleinasien wohnenden Griechen nach Hellas abreisen und die meisten
Türken, die auf den griechischen Inseln, zum Beispiel auf Kreta, und auf dem griechischen
Festland wohnten, die Ägäis überqueren und sich in der Türkei niederlassen. Dabei diente die
Religion als Kriterium dieses „Austausches“: die Griechisch-Orthodoxen mussten die Türkei
verlassen und die Muslime Griechenland. Ein paar Ausnahmen, wie die Griechen in Istanbul
und die Muslime in Westthrakien, durften an ihren Wohnorten bleiben, aber nach
Diskriminierungen und Krawallen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren zogen die meisten
Griechen aus Konstantinopel nach Griechenland. Andererseits befindet sich heutzutage ein
Großteil der Muslime in Westthrakien, trotz Verbesserungen, noch in bedürftigen
Umständen, auch weil diese Gruppe, in der sich übrigens auch Pomaken und Roma befinden,
lange mit dem feindseligen türkischen Staat identifiziert wurde und die griechische
Regierung sich daher nicht genug um diese Gruppe kümmerte.
Die „Große Idee“ wurde nicht nur von Bischöfen und Politikern, sondern von fast allen
Griechen begeistert unterstützt. Im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts waren wir auch
Zeugen des Schiffbruches der Großbulgarischen Idee sowie der Großserbischen Idee,
geschweige der Großdeutschen Idee.
Mit dem dramatischen Konkurs der Großserbischen Idee befinden wir uns auf dem Balkan
während der Neunzigerjahre des vorigen Jahrhunderts. Wir werden hier kurz stehen bleiben.
Gleichsam beispielhaft möchte ich den Blick auf das orthodoxe Patriarchat von Serbien und
auf das katholische Kroatien lenken, um zu verdeutlichen, wie dort die Beziehung zwischen
Kirche und Volk betrachtet wird, auch im Lichte der letzten bewaffneten Konflikte im
ehemaligen Jugoslawien.
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3. Die Konflikte im ehemaligen Jugoslawien. A: das serbisch-orthodoxe Patriarchat und das
katholische Kroatien
In vielen Schriften der serbisch-orthodoxen Hierarchie schlägt sich die Überzeugung nieder,
Serbe-Sein und Orthodox-Sein gehören wesentlich zusammen. Das serbische Volk sei von
der Orthodoxie geprägt worden und die Orthodoxie fände ihre schärfste Profilierung
innerhalb der serbischen Tradition. „Serbentum“ und Orthodoxie seien zwei Existenzweisen
desselben Wesens. Nach Auffassung dieser Schriften ist es die Orthodoxie, welche die
serbische Identität im Laufe der Jahrhunderte bewahrt hat, vor allem während der
Türkenherrschaft. Man betont, dass das serbische Volk immer verfolgt worden ist und
gelitten hat, sowohl von türkischer und islamischer als auch von westlicher, katholischer
Seite.
Die Erinnerung an das große serbische Leiden im Zweiten Weltkrieg und das Bemühen
um ein Groß-Serbien wurden von zahlreichen serbischen kirchlichen Amtsträgern und
Theologen kultiviert und gefördert. Man könnte sagen, dass der Zweite Weltkrieg sich im
kollektiven Gedächtnis als ein „Genozid am serbischen Volk“ festsetzte. Dafür wurde nicht
nur das Regime von Ante
(das kroatische Ustaša-Regime während des Zweiten
Weltkrieges), sondern wurden auch das kroatische Volk und die Römisch-Katholische Kirche
im Allgemeinen verantwortlich gehalten.
Andererseits machten während der jüngsten Balkankriege serbische Bischöfe, namentlich
Patriarch Pavle, auch dringliche Aufrufe zum Frieden und zur Gerechtigkeit, wie z.B. die
nächste Passage zeigt: „Wir anerkennen und respektieren die Rechte aller Menschen, mit
denen wir leben, und rufen sie auf, darüber nachzudenken, wie wir wieder gute Nachbarn
werden können. Dieselbe Sonne wird uns wärmen, dasselbe Land wird uns ernähren, wir
werden uns mit derselben Zunge verständigen, und derselbe Gott wird auf uns schauen und
uns richten.“ Weiters appellierte der orthodoxe Patriarch, gemeinsam mit der katholischen
Kirchenführung und mit Vertretern des Islams, regelmäßig an die Bevölkerung des
ehemaligen Jugoslawiens, religiöse Gefühle nicht für nationalistische Zwecke einzusetzen.
Auch bei den gewalttätigen Unruhen im März 2004, wobei viele serbische Kirchen in Kosovo
zerstört wurden, hat Patriarch Pavle sich sehr für Versöhnung zwischen Albanern und Serben,
Muslimen und Orthodoxen in Kosovo und Serbien engagiert.
In Kosovo unterstützte der serbische Bischof Artemij lange Zeit die serbischen Ansprüche,
plädiert jetzt jedoch für ein Kosovo, das weder exklusiv serbisch ist, noch exklusiv albanisch.
Er verteidigt die serbischen Traditionen Kosovos sowie die dortige serbische Bevölkerung.
Sein Eintreten für eine multi-ethnische Lösung für Kosovo ist lobenswert und braucht
Unterstützung. Es ist jedoch auch bedauerlich, dass diese Bekehrung des bedeutenden
serbischen Hierarchen erst jetzt passiert und nicht schon vor der Katastrophe stattfand.
Die enge Beziehung zwischen Kirche und Nation ist gewiss kein orthodoxes Privileg. Es ist
an sich richtig, dass für die Gebiete, wo die Orthodoxie schon seit Jahrhunderten die
wichtigste Religion ist, die enge Beziehung zwischen der Orthodoxie und dem Vaterland,
dem religiösen und dem nationalen Element ein bedeutendes Merkmal ist. Man könnte sagen,
dass in den orthodoxen Ländern die Religion das nationale Element sakralisiert und das
nationale Element die Religion ethnisiert. Dieses Phänomen bestimmt übrigens oft auch, wer
die Feinde der jeweiligen Nation und Kirche sind; oft waren und sind das der Islam und die
Römisch-Katholische Kirche (oder – für katholische Nationen – die Orthodoxe Kirche). Auch
im katholischen Kroatien finden wir ein ähnliches Phänomen vor. In jenem Land wurden und
werden Kroate-Sein und Katholizismus nicht selten miteinander identifiziert. Die tiefe
Verbundenheit des kroatischen Volkes mit der Katholischen Kirche wird gerne betont. Der
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echte Kroate ist ein Katholik. Auch in Kroatien finden wir eine starke nationale
Leidensmystik vor. Es wird akzentuiert, dass das kroatische Volk schwer gelitten hat, dass
die Liebe dieses Volkes für das Vaterland und die Kirche oft auf eine harte Probe gestellt
worden ist.
Viele nicht-kroatische Katholiken, unter anderem nicht wenige Österreicher und
Österreicherinnen, unterstützten während des Krieges zwischen Kroatien und Serbien sowie
während des Bosnienkrieges Kroatien mit dem Argument, diese katholische, für seine
Unabhängigkeit kämpfende Nation brauche ihre Hilfe und Solidarität. Trotz guter Absichten
handelte es sich hier gelegentlich um eine unkritische Hilfe. So wurden beispielsweise die
serbischen Gräueltaten ausgemalt, während die kroatischen verschwiegen wurden.
Ich werde nun auf einige rituell-liturgische Aspekte eingehen.
4. Waffensegnungen, Sondergebete und Messen in Kriegszeiten bzw. Messen um Frieden
Sowohl auf katholischer als auch auf orthodoxer Seite sind Waffen gesegnet worden. In der
katholischen Tradition gab es im früheren, vorkonziliaren Pontifikale Romanum – das ist das
liturgische Buch mit den Feiern, denen ein Bischof vorsteht - eine benedictio armorum, eine
Waffensegnung. Laut dem Segensgebet dieses kurzen Rituals dienen die Waffen dazu, die
Gerechtigkeit zu schützen. Der Träger dieser Waffen soll wie David gegen Goliath kämpfen.
Er soll die Mutterkirche sowie die Waisen und Witwen verteidigen. Aber, wenn auch in
diesem Text die Gerechtigkeit betont wird, wer weiß, wie die Krieger, die Heeresführer und
die Fürsten, die Gerechtigkeit in der Praxis aufgefasst haben?! Zwischen Gerechtigkeit und
eigenen Interessen wird es für nicht wenige wohl kaum Unterschiede gegeben haben. Weiters
gibt es im genannten Pontifikale eine benedictio vexilli bellici, eine Segnung der Kriegsfahne.
Diese war wichtig. Die Fahne war ja das Symbol für die Truppen, worauf oft auch der Eid
von Treue an Fürst, Vaterland und Gott geleistet wurde. Unter ihr sollte man siegen oder
sterben. „Fahnenflucht“ wurde mit dem Tod bestraft. Zudem gab es in den Ritualbüchern
einiger Bistümer Segnungen für Gewehre, Kanonen, Kugeln und so weiter.
Wie sieht es in der orthodoxen Tradition aus? Im heutigen griechisch-orthodoxen
Euchologion – so heißt das liturgische Buch für die Priester, das die Texte des
Stundengebetes, der Eucharistie und der meisten übrigen Sakramente sowie zahlreicher
Segnungen enthält – findet sich keine Waffensegnung. Es gibt jedoch serbische Ausgaben
des Euchologions aus dem Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, worin es noch ein solches
Ritual gibt und das auch im Bosnienkrieg verwendet worden ist. Im heutigen orthodoxen
Euchologion begegnen wir anderen Ritualen für Kriegszeiten. Im „Bittkanon für die
Hochheilige Mutter Gottes, wenn Krieg erwartet wird“ wird Maria gebeten, die Feinde
niederzuwerfen. Wie Gott einst Pharao zerstörte, so sollten auch jetzt die „gottlosen
Barbaren“ zerschmettert werden. Zudem gibt es im Euchologion acht lange Sondergebete.
Darin wird Gott zunächst angefleht, endlich die Sünden seines Volkes zu vergeben. Diese
Gebete stellen also einen Kausalverband zwischen den eigenen Sünden und dem von außen
kommenden Elend fest. Weiters wird Gott hier gebeten, als Zeichen seines Erbarmens die
Feinde zu unterwerfen und zu vernichten. Außerdem werden im (sich im Kleinen
Euchologion befindlichen) „Gedächtnisgottesdienst für die im Krieg Gefallenen“ der
Soldaten gedacht, „die in ihren heiligen Kämpfen für unseren Glauben und unser Vaterland
ruhmreich kämpften und heroisch fielen“. In blumenreicher Sprache sagt der Priester unter
anderem, dass Gott „unser Volk von einem Sieg zum anderen führt, von der einen
Herrlichkeit bis zur nächsten leitet“, und dass die Gefallenen nicht nur bei den Menschen
geehrt sind, sondern dass Gott sie auch als Heiligen im Himmel annehmen sollte.
Kehren wir zur katholischen Tradition zurück. Im tridentischen römischen Messbuch, das
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bis 1970 in der Katholischen Kirche verwendet wurde, finden wir zwei interessante
Messformulare. Das erste heißt „Messe in Kriegszeiten“ (Missa tempore belli), das zweite
„Messe um Frieden“ (Missa pro pace). In beiden Formularen wird um die Niederlage der
Feinde und die Wiederherstellung des Friedens gebetet. Ein Gebet beinhaltet die Bitte um
Schutz der christlichen Gebiete vor jedem Feind. Gott selber wird angerufen als derjenige,
der Kriege vernichtet und diejenigen, die gegen die auf Gott Vertrauenden kämpfen, besiegt
(Deus, qui conteris bella et impugnatores in te sperantium … expugnas). Gott wird auch als
der Urheber und Liebhaber des Friedens dargestellt (auctor pacis et amator). Das
Hauptanliegen dieser Messformulare ist zwar die Bitte um Frieden, sie setzen jedoch die
eigenen Interessen und die Hoffnung auf den Militärsieg der eigenen Seite voraus. Im
römischen Rituale ist ebenfalls die Möglichkeit einer Prozession in Kriegszeiten vorgesehen.
Der Tenor der sich hier befindenden Texte ist ähnlich wie im Messbuch, einige Texte sind
sogar wörtlich dieselben. Es wird hier jedoch auch ausdrücklich gebetet, dass, falls der Krieg
gegen die „Feinde der heiligen Kirche“ (contra inimicos sanctae Ecclesiae) geführt wird,
Gott diese Feinde erniedrigen wird.
Es wäre relevant, auch die christliche darstellende Kunst, die liturgischen Hymnen und
andere Kirchenlieder sowie die Predigtliteratur in Bezug auf unser Thema zu erforschen. Da
würde man sowohl in der katholischen als auch in der orthodoxen Tradition noch vieles
finden. Ein interessantes Beispiel betrifft das Te Deum Laudamus. Dieser an Gott gerichtete
altchristliche Hymnus ist jahrhundertlang nicht nur für die Erhaltung von politischen
Machtverhältnissen – vor allem in Bezug auf die Monarchie – sondern auch in militärischem
Kontext – als Dankeslied nach einem Sieg, als Verherrlichung einer Schlacht – verwendet, ja
missbraucht worden. Ähnliches gilt für die bekannte Liedfassung des Te Deum: „Großer
Gott, wir loben dich.“ Weiters, als ich selber am Anfang der Achtzigerjahre an der
orthodoxen Theologischen Fakultät in Thessaloniki studierte, erlebte ich einmal, dass zwei
große politische Faktionen der Theologiestudierenden einander heftig mit Fäusten und
Feuerwehrspritzen bekämpften und dass die siegende Seite – die Orthodox-Konservativen –
nachher singend durch die Fluren der Fakultät marschierte. Das Lied, das dabei gesungen
wurde, war eine bekannte Christushymne.
5. Die Konflikte im ehemaligen Jugoslawien. B: Das orthodoxe Griechenland und das
orthodoxe Patriarchat von Konstantinopel
Lasst uns zu den jüngsten Balkankriegen zurückkehren. Aufgrund des Fernsehens und
anderen Massenmedien sind übrigens diese Kriege mit ihren schrecklichen Details über die
ganze Welt bekannt geworden und mit Schauder verfolgt worden. Auch dies ist ein wichtiger
Aspekt der heutigen Globalisierung.
Im orthodoxen südlichen Nachbarland Griechenland hegten viele griechische Bischöfe,
Priester, Mönche, Nonnen und Theologen große Sympathie für Serbien und die serbischen
Kriegsopfer. Als wichtigste Gründe dafür gab man die gemeinschaftliche orthodoxe Religion
und den gemeinsamen Kampf gegen das Osmanische Reich an. Es wurden Hilfsaktionen
organisiert und Güter, wie Decken und Nahrung, in die Notleidenden Gebiete gebracht.
Radovan
wurde in Griechenland als ein Held empfangen und er bekam von einigen
Bischöfen hohe kirchliche Auszeichnungen. Eine breite Strömung in der griechischen Kirche
betrachtete den Krieg, in dem Maße wie er seinen Verlauf nahm, immer mehr als einen
Religionskrieg zwischen Katholiken, Muslimen und Orthodoxen. Die westeuropäische Presse
wurde in der griechischen Presse bezichtigt, anti-serbische Gefühle sowie pro-islamische,
pro-albanische und pro-kroatische Vorurteile zu entwickeln. Die Muslime von Bosnien und
Kosovo wurden von zahlreichen Griechen oft für Handlanger ihres „Erbfeindes“, der Türkei,
gehalten. Erzbischof Christodoulos von Athen nannte die NATO-Bombardierungen
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serbischer Ziele im Frühling des Jahres 1999 “unmenschlich”, “hypokritisch” sowie ein
Zeichen von “Hass gegen das heroische serbisch-orthodoxe Volk”. Manche Griechen, unter
anderem Athosmönche, behaupteten, dass das römische Papsttum und die Türkei
konspirierten, um den orthodoxen Balkan zu unterwerfen. Sie fürchteten, dass eine
zahlenmäßig mächtige Türkei mit seinen angeblichen Verbündeten, nämlich den Muslimen in
Albanien, Kosovo, Bosnien, Bulgarien und im griechischen Westthrakien, Hellas in die Enge
treiben und schließlich verschlucken würde und dass die internationale Gemeinschaft, die
nicht eingegriffen hatte bei der Besetzung Zyperns, auch Griechenland im Stich lassen würde.
Es gab jedoch auch andere, kritische Stimmen. Verschiedene Priester und Theologen
wiesen in Bezug auf den Balkan-Brandherd darauf hin, dass die Orthodoxie eine
Herzenssache ist, dass es sich um den spirituellen Weg von Reinigung, Erleuchtung und
Vergöttlichung handelte und nicht um den bewaffneten Kampf für nationale Interessen; dass
es sich um Enthaltung und Askese handelte und nicht um Leidenschaften für zeitliche
nationale Grenzen. Weiters betonten Professoren der Gesellschaft für Ökumenische Studien
und Interorthodoxe Information (Hetairia Oikoumenikôn Meletôn kai Diorthodoxês
Plêroforêsês) in Thessaloniki die interkonfessionellen und interreligiösen Kontakte und
suchten den Dialog mit der muslimischen Gemeinschaft in Westthrakien.
Welche Rolle spielte das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel bei den gewalttätigen
und nationalistischen Feuerherden auf dem Balkan? Im Prinzip messen ja sämtliche
orthodoxe Kirchen Konstantinopel einen Ehrenprimat bei. Auch aufgrund des heutigen
Selbstverständnisses von Konstantinopel - nämlich, dass es der „erste Stuhl“ (prôtothronos)
innerhalb der universellen Orthodoxie ist, dass es Einheit stiftet, Initiativen ergreift und bei
Problemen versucht zu vermitteln – wäre die Erwartung berechtigt, dass dieses Patriarchat
sich zu Wort melden würde. Ich nenne hier einige wichtige Beispiele. Schon vor vierzehn
Jahren, nämlich im März 1992, hatte das Patriarchat im Phanar in Istanbul eine synaxis der
Primaten der orthodoxen Kirchen organisiert. Der Ausdruck synaxis bedeutet sowohl
Versammlung als auch liturgische Zusammenkunft. Dort bedauerten die Primaten den
Bruderzwist zwischen den Serben und den Kroaten und wiesen auf die Notwendigkeit von
Wachsamkeit und Weisheit für sich selbst und für die Leiter der Römisch-Katholischen
Kirche hin, um zu vermeiden, dass religiöse Gefühle für politische und nationale Zwecke
missbraucht würden.
Zwei Jahre später, im Februar 1994, veranstaltete das Patriarchat in Istanbul eine
internationale Konferenz über Frieden und religiöse Toleranz. Vertreter von Christentum,
Islam und Judentum beteiligten sich. Das Ziel dieser Konferenz war es zu zeigen, dass die
drei monotheistischen Religionen für den Erhalt von Frieden und Toleranz in einer Welt von
nationalistischen Konflikten zusammenarbeiten können. Im „Bosporusmanifest“, das ein
Ergebnis dieser Konferenz war, wurde ausgesagt, dass ein Verbrechen im Namen der
Religion in Wirklichkeit ein Verbrechen gegen die Religion und dass „ ... der Krieg im
ehemaligen Jugoslawien kein Glaubenskrieg ist und dass Appelle und Ausnutzung von
religiösen Symbolen, um einen aggressiven Nationalismus zu fördern, die Universalität des
christlichen Glaubens verraten.“ Man rief zur Unterstützung der Flüchtlinge, vor allem der
Kinder, auf. Krieg, Mord, Vergewaltigungen und ethnische Säuberungen wurden verurteilt.
Auch bei einer zweiten synaxis der orthodoxen Kirchenführer, diesmal auf der Insel
Patmos im September 1995, wollten sie der westlichen Kritik erwidern, dass die enge
Beziehung in der Orthodoxie zwischen Kirche und Volk in reichem Maße zum Balkankrieg
beigetragen hatte, und sagten: „ ... wir möchten allen deutlich machen ..., dass die orthodoxe
kirchliche Auffassung von der ‘Nation’ keineswegs das Element des Angriffs und des
Zusammenstoßes zwischen den Völkern enthält. Vielmehr bezieht es sich auf die
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Besonderheiten eines jeden von diesen Völkern, auf deren heiliges Recht, den Reichtum ihrer
Tradition zu bewahren und zu pflegen … Aus diesem Grund verurteilen wir jeglichen
nationalistischen Fanatismus, der zur Spaltung und zum Hass unter den Menschen, zur
Verfälschung oder Vernichtung kultureller und religiöser Besonderheiten anderer Völker der
Erde … führen kann.“
Während der Kosovokrise rief Patriarch Bartholomaios – seit Juni 2004 Ehrendoktor der
Universität Graz – alle Parteien zu Verhandlungen auf und warnte sie, Religion und Nation
nicht miteinander zu verwirren. Weiters rief er – gemeinsam mit anderen christlichen Kirchen
und Weltreligionen – im so genannten „Brüsselermanifest“ aus dem Jahr 2001 zu Toleranz
und Frieden auf.
Alles in allem stellen der Balkankonflikt sowie das Verhältnis zwischen Kirche und
Nationalismus äußerst schwierige Aufgaben dar, deren Lösung zugleich außerordentlich
dringlich ist. Man könnte sich auch fragen, ob Kirchen in der heutigen Zeit überhaupt noch in
der Lage sind, wesentliche Beiträge zum Frieden in Konflikten zu leisten und ob diese
Beiträge von der übrigen Gesellschaft ernst genommen werden. Verschiedene nichtkroatische und nicht-serbische Gelehrte sind der Meinung, dass die christlichen Kirchen im
ehemaligen Jugoslawien zu wenig aufgeschlossen füreinander waren. Sie legen dar, dass,
obgleich es wiederholte Begegnungen der Kirchenführer gab und schöne und friedfertige
Erklärungen abgefasst worden sind, diese den Ablauf des Kampfes nicht beeinflussen haben
können.
Der amerikanische Politologe Samuel Huntington legt in seinem viel besprochenen Buch
The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order dar, dass es selbstverständlich
ist, dass die orthodoxen Länder sich während der jüngsten Balkankriege solidarisch mit
Serbien erklärten, weil sie alle zur gleichen orthodoxen Kultur gehören. Wenn diese
Bemerkung auch größtenteils richtig ist, ergibt es sich doch, dass es in den orthodoxen
Reaktionen zu diesen Kriegen auch erhebliche Unterschiede gibt. Es existiert eine Linie
interorthodoxer Solidarität im Kampfe, und es existiert eine Linie, welche die universelle
Dimension der Religion, ohne jedwede Diskriminierung, betont. Einige Orthodoxe
akzentuieren die enge Beziehung zwischen Kirche, Vaterland und Volk. Andere betonen den
inneren Weg des Herzens und verwerfen den Nationalismus auf Grund seiner Exklusivität. Es
gibt aber auch asketische und spirituelle Kirchenleiter, die die Kriegsgewalt rechtfertigten.
Kehren wir nun wiederum zur Liturgie zurück.
6. Heutige liturgische Texte über Frieden und Gewalt
In der heutigen byzantinischen Liturgie gibt es auf der einen Seite zahlreiche Texte, die auf
den Frieden stiftenden Charakter dieser Liturgie hinweisen. Am Anfang jeder
Eucharistiefeier betet die Orthodoxe Kirche in ihrer „Friedenslitanei“ um “den Frieden von
oben” sowie um “Frieden für die ganze Welt”. Es gibt Fürbitten um Bewahrung vor dem
Krieg und für die Befreiung von Kriegsgefangenen. Der Hauptzelebrant wünscht der
Gemeinde wiederholt den Frieden („Frieden für alle“). Der Liebesgruß wird heutzutage leider
nur noch von den Zelebranten vorgenommen. (Bis zum mittelbyzantinischen Zeitalter war
der Liebesgruß auch für das Volk üblich, aber dann verschwand dieser schöne Brauch.) Es
gibt spezielle Bittgottesdienste um Frieden. Gott wird als der Friedenskönig und Schenker
von Versöhnung angerufen. In der orthodoxen Liturgie handelt es sich um Reinigung,
Umgestaltung des Inneren und Teilnahme am himmlischen Gastmahl, am Reich Gottes der
Gerechtigkeit und Liebe. Der langmütige Gott wird wiederholt um Erbarmen angefleht: Kyrie
eleïson, schon 40 Mal, sogar – wie es in den liturgischen Büchern heißt – “nochmals und
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abermals…”.
Auf der anderen Seite wurde jahrhundertlang ebenfalls um Siege der Kaiser und des
“Christusliebenden” Heeres (filochristos stratos) gebetet. Illustrativ dafür ist ein Vers, der
auch heutzutage noch gesungen wird, im Besonderen bei Segnungsfeiern – nämlich bei der
„Kleinen Wasserweihe“ – und an den Festen der Kreuzerhöhung (am 14. September) und der
Kreuzverehrung (am dritten Sonntag der Großen Vierzigtagezeit). Der Vers lautet:
“Rette, Herr, dein Volk und segne dein Erbe [Psalm 27, 9; Septuaginta].
Schenke den Kaisern Siege über die Barbaren und behüte deinen Staat durch dein Kreuz.”
Heutzutage wird das Wort ‘Kaisern’ (basileusi) oft durch das Wort ‘Frommen’ (eusebesi)
ersetzt. Die Silbenzahl ist dieselbe und die beiden Wörter hören sich ziemlich gleich an. Es
handelt sich jedoch um eine kreative Notlösung. Der Pazifismus steht beim griechischen
Episkopat zum Beispiel bestimmt nicht in Gunst. Gewissenswehrdienstverweigerer werden
oft als Vaterlandsverräter betrachtet. Und der griechische Verteidigungsminister bespricht
große Waffenankäufe meistens auch mit dem Athener Erzbischof.
Wie steht es mit unserem Thema in der heutigen katholischen Liturgie? Im nach dem Zweiten
Vatikanischen Konzil erneuerten Pontifikale gibt es keine Texte zur Segnung von Waffen
mehr. Sie sind gestrichen worden. Weiters sind im neuen römischen Messbuch die beiden
schon genannten Messformulare völlig überarbeitet worden. Das erste Formular heißt nun
„Messe für die Bewahrung von Frieden und Gerechtigkeit“ (Missa pro pace et iustitia
servanda), das zweite heißt noch „Messe in Kriegszeiten“. Die Ausrichtung der Gebete ist
jetzt, es solle Frieden für alle Menschen geben, nicht nur für die Katholiken oder die
Christen. Alle Menschen sind ja miteinander verwandt. Zudem kann Frieden nur durch
Gerechtigkeit, nicht durch Waffen zustande kommen. Bezeichnend ist hier folgender Satz aus
einem der Gebete: „Gib uns (Gott) die Bereitschaft, immer und überall für die Gerechtigkeit
einzutreten, die allein den wahren Frieden schafft.“
Laut dem Messbuch tauschen in jeder Eucharistiefeier die Teilnehmenden mit einander
den Friedensgruß aus. (In Nordeuropa geschieht dies jedoch kaum.) Danach wird zum
„Lamm Gottes“ gebetet, sich zu erbarmen und den Frieden zu schenken.
Nicht nur in ihrer Liturgie, sondern auch in anderen Bereichen betont die Führung der
Katholischen Kirche zurzeit den Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden, wie dies in
päpstlichen Enzykliken und in Organisationen, wie zum Beispiel Iustitia et Pax und Pax
Christi, zum Ausdruck kommt. Statt des gerechten Krieges wird der gerechte Frieden betont.
Der Rüstungswettlauf wird verurteilt. Der von den USA geführte Irakkrieg ist scharf
abgelehnt worden. Am ersten Fastensonntag im Jahre 2000 erklärte Papst Johannes Paul II.
öffentlich in einem Schuldbekenntnis und einer Vergebungsbitte: „Oft haben die Christen das
Evangelium verleugnet und der Logik der Gewalt nachgegeben. Die Rechte von Stämmen
und Völkern haben sie verletzt, deren Kulturen und religiösen Traditionen verachtet.“ Zudem
bat dieser Papst bei seinem Griechenlandbesuch im Mai 2001 – ich war selber als
Berichterstatter dabei – in Anwesenheit der orthodoxen Kirchenführung, Gott um Vergebung
für die von Katholiken an Orthodoxen verübten Missetaten. Im Jahr 2004 bat er wiederum
die Orthodoxen um Vergebung, nun für die Einnahme und Plünderung Konstantinopels
achthundert Jahre zuvor, nämlich im Jahre 1204, durch westliche Kreuzfahrer. Im Herbst
2004 wurden die Reliquien der bedeutenden Heiligen und Erzbischöfe von Konstantinopel,
Johannes Chrysostomus und Gregorius von Nazianz, die bei der gerade erwähnten
Plünderung von den Kreuzfahrern gestohlen worden waren und sich in Rom befanden, vom
Papst dem Ökumenischen Patriarchen zurückgegeben. Zudem initiierte die katholische
Kirchenführung die interreligiösen Friedensgebete von Assisi, wo Vertreter der großen
Weltreligionen einander begegnen.
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Natürlich ist auch in der Katholischen Kirche nicht alles eitel Wonne, was das Thema von
Frieden und Gewalt betrifft. In den Neunzigerjahren wurden auch in Kroatien zum Beispiel
noch Panzerwagen unter lauter Beifall gesegnet. Ebenso wenig ist es richtig, zu behaupten,
dass im Gegensatz zur Katholischen Kirche, die Orthodoxe Kirche eine Kirche der Gewalt
ist. In beiden Kirchen finden wir sowohl Einsatz für Frieden als auch die religiöse
Legitimierung von Gewalt vor. Was auf der einen Kirchenebene schon üblich ist, ist auf der
anderen noch überhaupt nicht rezipiert worden.
7. Schluss
Ich komme zum Schluss. Das rituell-liturgische „Benehmen“ und die zwischenkirchlichen
Beziehungen lassen sich vom gesellschaftlichen Kontext nicht isolieren. Wenn die
Gesellschaft gewalttätig ist, soll man sich nicht wundern, wenn sich das in den kirchlichen
Riten niederschlägt. Die Liturgie und die Ökumene sollten dennoch auch kritische
Funktionen ausüben. Sie sollten die biblischen Visionen von Frieden und Gerechtigkeit
fördern.
Wie gesagt, nehmen in fast allen Religionen Riten einen zentralen Platz ein. Wenn
das Zweite Vatikanische Konzil darlegt, die Liturgie sei „Quelle und Höhepunkt des ganzen
christlichen Lebens“, dann wird damit religionswissenschaftlich nichts Außergewöhnliches
gesagt. Gerade weil der Gottesdienst so wichtig war und in unserer modernen Gesellschaft
teilweise noch immer ist, haben Aussagen in der christlichen Liturgie, die Gewalt forcieren,
eine verheerende Wirkung auf Haltung und Benehmensmuster der Christen und Christinnen.
Aber die Verteufelung der „Feinde der Kirche“ im Gottesdienst ist gewiss nicht die Lösung.
Die Lösung liegt eher im politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich, zum Beispiel in
Armutsbekämpfung, Bildung, zwischenstaatlichen Freundschaften, Aufhebung von
Diskriminierung usw. Die christlichen Riten sollen die Begegnung der Gläubigen mit dem
unsichtbaren, lebenden Gott ermöglichen sowie die Vision von der Befreiung durch Gott aus
dem Sklavenhaus vermitteln, die Vision von Freiheit, Essen und Unterkunft für alle, Leben in
Frieden und Gesundheit, Erbarmen und Versöhnung, die Vision einer neuen Welt und einer
ständigen Aktualisierung des Bundes Gottes mit den Menschen. Diese Vision, die Utopie der
Schalom sprengt alle Ausgrenzungen von zu Unrecht Verfolgten und Unterdrückten. So kann
die Liturgie statt Unrecht Frieden forcieren. Jesus selber wurde gewalttätig umgebracht. Die
christliche Kirche glaubt, dass Gott ihm trotzdem die Treue hielt. Die Überzeugung, dass in
der Ohnmacht auch Kraft liegen kann, sollte auch die Liturgie und die Ökumene inspirieren.
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