Institut für Politikwissenschaft Universität Heidelberg

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Institut für Politikwissenschaft Universität Heidelberg
Wintersemester 2007/2008
PS Einführung in das Politische System der BRD
Prof. Dr. Axel Murswieck
Referenten:Julia Eberhardt, Darja-Klarina Hirschka, Miriam Reinwarth, Johanna Schneider,
Pattrick Straub, Andrea Weber
Interssengruppen und Interessenpolitik
05.12.2007
Interessengruppen und Interessengruppenpolitik
1. Definition
Ein Interessenverband ist:
„Ein auf formaler Mitgliedschaft und ausdifferenzierter Binnenstruktur beruhender
Verband, der vor allem die Berufs- und Standesinteressen einer Gesellschaftsgruppe
artikuliert, bündelt und gegenüber den Mitgliedern, anderen Organisationen, der
Öffentlichkeit und vor allem gegenüber der Regierung und der Verwaltung durch
direkte oder indirekte Einflussnahme oder Druckausübung vertritt.“
Quelle: Schmidt 2004: 326.
2. Funktionen:
1.Funktionen (hierbei werden nur die Input-Funktionen betrachtet)
Interessenartikulation ist die Umformung von latenten in manifeste Interessen.
(Verbände wenden sich an zentrales politisches Entscheidungssystem)
Interessenaggregation wird die Bündelung einer Vielzahl heterogener Forderungen
zu einheitlichen verbandspolitischen Zielen und programmatischen Aussagen
bezeichnet.
Information
Integration bzw. Partizipation der Bürger und Bürgerinnen in den Staat. (neben
Kirche und Parteien – dritte Form politischer Integration)
Entlastung ist die Vorverarbeitung/Verdichtung einer Vielzahl von Interessen
Fördern/Beeinträchtigen Vertrauen der Bürger in Staat; Durchsetzung der
Interessen/Widerstand
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2. Adressaten und Methoden des Verbandseinflusses
Quelle: Rudzio 2006.
3. Unterschiede zwischen Interessengruppen und Parteien
- Tätigkeit der Verbände richtet sich auf einzelne/ wenige Politikfelder (daher
streben sie nur in Ausnahmen sektoral übergreifende Lösungen an)
- können, im Gegensatz zu den großen Parteien, nicht die verschiedenen
Handlungsarenen (und dadurch auch nicht die förderale Willensbildung)
koordinieren bzw. aufeinander abstimmen
- ihre Repräsentanten sind wegen der differenzierten rechtlichen Stellung(im
Gegensatz zu Parteien) keinerlei demokratischen Legitimationszwängen
unterworfen
rechtliche Grundlagen der Verbände: Art. 9 GG (Vereinigungs- und
Koalitionsfreiheit); §§ 21-79 BGB; GO des deutschen Bundestages; GGO der
Bundesministerien II; GO der Bundesregierung
4. Organisationsgrad
Misst das Ausmaß, zu dem der potentielle Mitgliederkreis eines Verbandes
tatsächlich organisiert wird. (ist in Deutschland vergleichsweise hoch)
nach K. Armingeon
5. Konfliktfähigkeit
ist das Machtpotential, das ein Interessenverband in die
Waagschale werfen kann. (z.B. glaubhafte Androhung der Verweigerung
systemwichtiger Leistungen – Investitionen, Streiks; unter diesem Aspekt muss
man auch die Ressourcen des jeweiligen kollektiven Akteurs betrachten, welche
erheblichen Einfluss auf die Konfliktfähigkeit haben)
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3. Geschichte
Interessengruppen bildeten schon zu Zeiten des Heiligen Römischen Reich
Deutscher Nation.
1871 Anstieg der Interessengruppenbildung aufgrund:
- Wirtschaftlichen Aufschwungs
- Einführung Sozialgesetzgebung
- Konflikt: Arbeit-Kapital
4. Die großen Vier (nach Edinger) & ihre Dachverbände
1.Wirtschaftsverbände (BDI, BDA, DIHK)
BDI: vertritt rund 90% der industriellen Unternehmen
vertritt wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Interessen, keine Tarifpolitik
BDA: vertritt Interessen gegenüber Gewerkschaft bei Tarifpolitik
DIHK: verbandliche als auch politische Interessen
(Berufsausbildung etc.)
2.Gewerkschaften (DGB, DAG,CGB)
gut organisiert und konfliktfähig
traditionelle Funktionen:
 Arbeitnehmer durch Versicherungsleistungen gegen soziale Risiken
absichern
 Tarifverhandlungen mit Arbeitgeberverbänden
 individuelle und kollektive Rechte durch polit. Lobbyarbeit schützen
 Bedeutung soziale Sicherung mit Wohlfahrtsstaat zurück gegangen
3.Kirchen (evangelische/ katholische)
eingebunden in Familien-/ Sozial- / Kultur- und Bildungsprozessen
4.Bauernverbände (DBV)
Einfluß auf wirtschafts-, steuer- und sozialpolitische Entscheidungen
Wandel der großen Vier durch:
- innergesellschaftliche Veränderungen
- Interessenverschiebung auf Internationale Ebene
- kleinere Interessengruppen gewinnen an Macht
5. Pluralismus
Politische Macht und Exekutive wird vom Recht und von institutionellen
Gegenkräften gezügelt (Checks and Balances)
Bürger und organisierte Interessen genießen hohe Autonomie und haben in
beträchtlichen Umfang Gelegenheit zur politischen Beteiligung
dient zur Kennzeichnung von Strukturen in der Staatsformenlehre. Ein wesentlicher
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Bestandteil bei der Unterscheidung von Demokratie und Diktatur
bezeichnet die Interessenvermittlung zwischen Staat und Verband, welche
durch bilaterale Beziehungen, Fragmentierung und geringe
bereichsübergreifende Politikkoordination gekennzeichnet ist
Kritik:
„The flaw in the pluralist heaven is that the heavenly chorus sings with a strong
upper- class accent” E.E Schattschneider (>> Das Himmelreich des Pluralismus hat
einen Makel: der Chor singt mit starkem Oberklassenakzent.<<) à Manche Kritiker
fordern mehr staatliche Eingriffe zur Herstellung von Kampfparität zwischen den
Gruppen, die an der Meinungsbildung und am Entscheidungsprozess beteiligt sind.
6. Neokorporatismus
Ursprung: Korporatismus (lat.: corporativus = einen Körper bildend)
„Politikwissenschaftlicher Fachterminus zur Bezeichnung unterschiedlicher Formen der Beteiligung
gesellschaftlicher Gruppen an politischen Entscheidungsprozessen.“(Lexikon der Politikwissenschaft,
Hg. D.Nohlen/R.-O.Schulze)
Neokorporatismus:
Vertreter (Mitte der 70er): P.C.Schmitter, G.Lehmbruch
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Neokorporatismus beruht auf freiwilliger Beteiligung gesellschaftlicher
Großorganisationen
Prämisse: Kooperation zwischen den Akteuren von Wirtschaft, Gesellschaft
und Politik bringt mehr Gewinne als Konfrontation und
Wettbewerbeffizientere Regierbarkeit
Verbände entlasten den Staat, indem sie öffentliche Aufgaben übernehmen,
ihm Information zukommen lassen und Loyalität erweisen
Staat kann den Interessen der Verbände Gehör, Einfluss und
Berücksichtigung gewähren privilegierter Zugang zu politischen
Entscheidungen
Idealtyp: positive Wirkungskette Arbeitslosigkeit/ Arbeitskampfniveau weisen
in neokorporatistischen und zentralisierten Verbandssystemen bessere Werte
auf
Kritik:
Nicht alle Interessengruppen sitzen am Verhandlungstisch- nur die stärksten
Demokratische Qualitäten, wie Gleichheit, Transparenz und Partizipation
gehen verloren
Bedingte Problemlösungsfähigkeit: nur einzelne Politikfelder
Kooperationszwang wachstumshemmende Verkrustungen
Kompromisskleinster gemeinsamer Nenner
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Neokorporatismus und Pluralismus in der Übersicht
nach Schmitter 1974
Merkmale der
Verbände
Merkmale der
Staat-VerbändeBeziehungen
Neokorporatismus
• Freiwilligkeit
• Begrenzte Anzah
• nicht kompetitiv
• hierarchisch geordnet
• funktional differenziert
Pluralismus
• Freiwilligkeit
• Vielfalt
• kompetitiv
• nicht hierarchisch
• fließende Grenzen
und
Mehrfachmitgliedschaft
• Staatliche Anerkennung • keinerlei staatliche
•Repräsentationsmonopol Begünstigung
7. Beispiele
Definition „Konzertierung“:
„Fachausdruck für die politische Steuerung, die darauf gerichtet ist, die
Staatstätigkeit vor allem in wirtschaftspolitischen Feldern mit besonders
einflussreichen Interessenverbänden informell oder formell zu koordinieren.“ (Quelle:
Schmidt 2004: S.386)
Die Konzertierte Aktion (KA)
Ausgangssituation: wirtschaftliche Krise (Haushaltsdefizit; Inflationsanstieg;
Reduktion des Wirtschaftswachstums; Anstieg der Arbeitslosigkeit) + politische Krise
(Rücktritt der Regierung Erhardt)
Lösungsansatz: neues korporatistisches Politikmodell (KA); regierungsamtliche
Entsprechung fand KA im „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums
der Wirtschaft“
Konzertierte Aktion:
- Zusammensetzung: Vertreter der Wirtschaftsverbände (Gewerkschaften,
Arbeitgeberverbände) + staatliche Vertreter => dreiseitige Kooperation
(Staat- Gewerkschaft- Arbeitgeberverband)
- Ziele: Ziele des Stabilitätsgesetztes erfüllen
- Leitung/ Initiator: Wirtschaftsministerium (in Person des Wirtschaftsministers
Karl Schiller)
- Erfolge: umfangreiche Lohnabschlüsse; Inflation ging zurück; Senkung der
Arbeitslosigkeit
- Ende: drastische Zunahme des Teilnehmerkreises; staatliches Machtvakuum
nach dem Wegfallen Schillers; Klage der FDP + Arbeitgeberverbände gegen
Mitbestimmungsgesetz (1967)
Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (1977-1992)
Ausgangssituation: hohe Kosten im Gesundheitswesen => Ziel: Senkung der
Kosten => Zusammensetzung: Vertreter des Staates; Pharmaindustrie;
Ärztevereinigungen; Krankenkassen => Leitung: Bundesgesundheitsministerium =>
Ende: Gesundheitsreform 1992
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Bündnis für Arbeit (1998-2002)
Ausgangssituation: Krise auf dem Arbeitsmarkt
Lösungsansatz: dreiseitige Kooperation zw. Staat, Gewerkschaften und
Arbeitgeberverbänden im Bündnis für Arbeit
Zusammensetzung:
Ziele: Arbeitslosigkeit bekämpfen; Beschäftigung steigern; Ausbildungsplätze
schaffen; Wettbewerbsfähigkeit steigern
Leitung/ Initiator: Bundeskanzleramt unter der Leitung Schröders
Erfolge: zu Beginn: Senkung der Arbeitslosigkeit; Schaffung von Ausbildungsplätzen
Ende: wechselseitige Blockaden und Streitigkeiten zw. Gewerkschaften und
Arbeitgeberverbänden + Regierungswechsel 2002
Zusammenfassende Tendenzen:
Konzertierte Aktion und Bündnis für Arbeit sind jeweils in Krisensituationen
entstanden
Konzertierte Aktion und Bündnis für Arbeit benötigten hatten jeweils eine Initiator/
einen starken Akteur (von staatlicher Seite)
Weitere Voraussetzungen:
> eine sozialdemokratische Regierungsbeteiligung
> eigenständige Initiativen der Verbände
Konzertierte Aktion und Bündnis für Arbeit waren nur kurzfristige Erscheinungen
(zur Krisenüberwindung)
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8. Herrschaft der Verbände?
Vorteile
Nachteile
Gut organisiertes Verbandswesen
-Verbände sind unterschiedlich
einflussreich
-Nicht alle Interessen sind organisiert
Es gibt gesetzlich festgelegte Regeln -Bundestag wird frühzeitig über
zum Mitwirken der Verbände
Gesetzformulierungsprozess informiert
-Die öffentlichen Anhörungen sind nicht
nur positiv für die Verbände
„Verbandsfärbung“ des Parlaments (s.h.
unten)
Es bestehen korporatistische StaatVerbände-Beziehungen
Delegation öffentlicher Aufgaben an die
Verbände
Es lassen sich sogenannte
„Verbandsherzogtümer“ ausmachen z.B.:
wurde das Landwirtschaftsministerium
durch den Deutschen Bauernverband
„besiedelt“
Abgeordnete sind der Parteidisziplin
unterworfen
Korporatistische Handlungsweise ist nur
in einigen Politikfeldern vorhanden
Verbände sind nur ein Akteur unter
vielen
Einflußmöglichkeiten sind von der
jeweiligen Regierung abhängig
Es gibt verschiedene mögliche StaatVerbände-Beziehungen
Politischer Prozess ist zu komplex, als
das alleine durch Verbände regelbar
„Verbandsfärbung“ der Parlamente
Zahlreiche Abgeordnete sind Mitglieder eines Verbandes. Doch bedeutender als die
reine Mitgliedschaft ist das Innehaben von Ämtern innerhalb des Verbandes. Nach
Parteien unterschieden ergibt sich ein differenziertes Bild der vertretenen Verbände
innerhalb der Parteien (SPD / PDS: vor allem Gewerkschaften, CDU/CSU: eher
Kirchen, Grüne: Umweltverbände, FDP: Soziale Hilfe und andere Interessen z.B.:
Mieterbund). Dabei wird deutlich, dass es kein Interessenverband schafft eine
Mehrheit für sich zu gewinnen.
Verbandseinfluss konzentriert sich jedoch vor allem auf die politischen Schaltstellen,
d.h.: die Mitglieder der einzelnen Verbände finden sich in den Ausschüssen wieder,
die ihren Interessen entsprechen. Zudem sind die Verbandsvertreter häufig die
einschlägigen sachverständigen Abgeordneten.
Fazit:
Die Verbände spielen eine wichtige Rolle im politischen Entscheidungs- und
Willenbildungsprozess. Sie sind für die Regierungsarbeit aufgrund ihres
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Expertenwissens notwendig und erwünscht. Ihr Einfluß ist jedoch nicht so groß, dass
von einem „Verbändestaat“ gesprochen werden könnte. Die ist allein schon deshalb
nicht möglich, weil die Verbände nicht direkt in den politischen
Entscheidungsprozesse eingebunden sind, sondern nur indirekt Einfluß auf die
Entscheidungsträger nehmen können.
Literatur:
Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik
Deutschland. 5., aktual. Aufl. Opladen: Leske+Budrich 2003. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale
für politische Bildung 2003.
Aleman, Ulrich v. 1996: Verbände im Blick von Wissenschaft und Politik. In: Bundeszentrale für
politische Bildung: Informationen zur politischen Bildung: Interessengruppen. Heft 253. Bonn.
Beyme, Klaus von: Das politische System der BRD: Eine Einführung. 10.,aktual. Aufl. Wiesbaden:
2004.
Bundeszentrale für politische Bildung.Datenreport 2006: Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik
Deutschland, Statistisches Bundesamt (Hrsg.).
Presse und Informationsamt der Bundesregierung: Bündnis für Arbeit, Ausbildung und
Wettbewerbsfähigkeit – Ziele, Organisation, Arbeitsweise.
 Kropp, Sabine 2005; Interessenpolitik. In: Gabriel, O.W. / Holtmann, E. (Hrsg.): Handbuch
Politisches System der Bundesrepublik Deutschland, 3. Auflage, München, s. 653- 686
Schmidt, Manfred G. 2007.: Das politische System Deutschlands. München.
Schmidt, Manfred: Wörterbuch zur Politik, Stuttgart 2004.
Schroeder, Wolfgang: „ Konzertierte Aktion“ und und "Bündnis für Arbeit". Zwei Varianten des
deutschen Korporatismus, in: Anette Zimmer/Bernhard Weßels (Hrsg.), Verbände und
Demokratie in Deutschland, Opladen 2001.
Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 4., aktual. Aufl. Bonn: Dietz 2006.
Rudizio, W. 2007.: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. 7.
Auflage, Wiesbaden
Winter,Thomas von[u.a.] (Hrsg.), 2007:Interessenverbände in Deutschland, Wiesbaden.
Internetquellen:
http://www.bpb.de/wissen/H75VXG,0,0,Begriffe_nachschlagen.html
Bernhard Weßels: Die Entwicklung des deutschen Korporatismus, unter: bpb.de,
http://www.bpb.de/publikationen/8SAER3,0,0,Die_Entwicklung_des_deutschen_Korporatismus.html
(27.11.2007)
http://www.bundestag.de/wissen/archiv/sachgeb/lobbyliste/lobbylisteaktuell.pdf
(28.11.2007)
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