Interessengruppen verlieren in der Schweizer Politik an Einfluss

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WIRTSCHAFT UND POLITIK
Interessengruppen verlieren in der
Schweizer Politik an Einfluss
Eine Studie zeigt: Während Verbände in der Schweizer Politik noch in den 1970er-Jahren
eine zentrale Rolle spielten, haben sie 30 Jahre später an Einfluss verloren. Zu den Gewinnern gehören hingegen die Bundesratsparteien. Manuel Fischer, Pascal Sciarini
Abstract Interessengruppen wie der Gewerbeverband oder der Bauernverband spielen in der Schweizer Politik eine weniger wichtige Rolle als früher. Im Vergleich zu den
Jahren 1971 bis 1976 haben sie im Zeitraum 2001 bis 2006 an Einfluss auf die wichtigsten Entscheidungsprozesse verloren, wie eine Studie zeigt. Zudem sind die Verbände
weniger stark eingebunden in die Zusammenarbeitsstrukturen. Dies lässt sich einerseits durch die wachsende Heterogenität der Interessen erklären. Andererseits hat
die vorparlamentarische Phase von politischen Entscheidungsprozessen, in welcher
Interessengruppen traditionellerweise Kompromisse erarbeiteten, an Bedeutung
verloren. Als einziger grosser Verband konnte Economiesuisse im Untersuchungszeitraum seinen Einfluss wahren. Allerdings weisen verlorene Abstimmungskämpfe in den
letzten Jahren auch hier auf einen Bedeutungsverlust hin.
I
n der Schweizer Politik haben Interessenvertreter im 20. Jahrhundert noch eine Schlüsselrolle gespielt. In der kleinen und exportabhängigen Volkswirtschaft sorgten Kompromisse und
Absprachen zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmern und dem Staat vor allem im Bereich
der Wirtschafts- und Sozialpolitik für Stabilität
gegenüber den Veränderungen auf der Bühne
der Weltwirtschaft.1 Dabei dominierten im sogenannten «liberalen» Korporatismus der Schweiz
vor allem die privatwirtschaftlichen Interessen. Auch wenn sich Wirtschaftsverbände und
Gewerkschaften in korporatistischen Arrangements teils unabhängig von der Politik auf
Lösungen einigten, war der Einfluss von Interessenverbänden auf den offiziellen politischen
Entscheidungsprozess ebenfalls beträchtlich.
Dabei kam es häufig in Arbeitsgruppen und Expertenkommissionen der vorparlamentarischen
Phase des Entscheidungsprozesses zu Kompromissen, welche später vom Parlament kaum
mehr angetastet wurden.
So gehörten in den 1970er- und 1980er-Jahren der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse (ehemals Vorort), der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV), der Gewerbeverband (SGV),
der Bauernverband (SBV) sowie der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) zu den dominanten Akteuren in der Schweizer Politik (­siehe
18 Die Volkswirtschaft 5 / 2015
Abbildung).2 Die Interessenverbände waren einerseits klar einflussreicher als die stark auf
kantonaler Ebene verankerten Parteien. Andererseits hatten die Verbände einen breiteren Einfluss auf die Schweizer Politik als die spezialisierten und mit wenig Ressourcen und Expertise
ausgestatteten Ämter der Bundesverwaltung.
Vor allem auf der dominanten bürgerlichen
Seite war die personelle Verflechtung zwischen
Verbänden, Parteien (insbesondere der FDP) und
der Bundesverwaltung äusserst intensiv. Die
bürgerlichen Verbände und Parteien formten
somit gemeinsam mit Vertretern der Bundesverwaltung einen engen Machtzirkel, welcher die
wichtigsten Politikprozesse entscheidend prägte.3 Auch Bereiche ausserhalb der Wirtschaftsund Sozialpolitik – wie beispielsweise die Gesundheits- oder Infrastrukturpolitik – wurden
von einem sektorspezifischen engen Netzwerk
aus spezialisierten Verbänden und der Verwaltung gesteuert. Nicht zuletzt kann die direkte
Demokratie für diese starke Stellung der Interessensverbände verantwortlich gemacht werden.
Wenn ein Referendum am Ende eines Prozesses
droht, haben staatliche Akteure einen starken
Anreiz, die wichtigsten Interessenvertreter früh
und intensiv in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.4
Bundesratsparteien
gewinnen an Macht
1
2
3
4
5
Vgl. Katzenstein (1985).
Vgl. Kriesi (1980).
Vgl. Kriesi (1980).
Vgl. Neidhart (1970).
Vgl. Sciarini (2014), Sciarini et al. (2015).
Die Schweizer Politik hat sich in den letzten
Jahrzehnten verändert. Ein Vergleich der wichtigsten Entscheidungsprozesse der Jahre 1971 bis
1976 mit jenen der Jahre 2001 bis 2006 spricht
eine deutliche Sprache: Interessenverbände haben an Einfluss auf den politischen Entscheidungsprozess eingebüsst (siehe Abbildung).5
SCHWERPUNKT
Reputationsmacht der wichtigsten Akteure in der Schweizer Politik im Zeitvergleich
100 in Prozent
90
80
70
60
50
SCIARINI ET AL. (2015) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
40
30
20
10
e
k
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V
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2001–06
Sa
1971–76
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SV
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e
0
Ein Wert von 100
bedeutet: 100%
der Interviewpartner schätzten
einen Akteur als sehr
einflussreich in der
Schweizer Politik ein.
Der Krankenkassenverband Santésuisse
fehlt mangels eines
gesundheitspolitischen Geschäftes in
der Untersuchung;
die KdK gab es in den
1970er-Jahren noch
nicht. Die Akteure
sind nach aktueller
Reputationsmacht
geordnet.
SVP: Schweizerische Volkspartei – SP: Sozialdemokratische Partei – FDP: Freisinnig-Demokratische Partei – CVP: Christlichdemokratische Volkspartei – SGB: Schweizerischer Gewerkschaftsbund –
EFD: Eidg. Finanzdepartement – FDK: Finanzdirektorenkonferenz – SGV: Schweizerischer Gewerbeverband – KdK: Konferenz der Kantonsregierung – EJPD: Eidg. Justiz- und Polizeidepartement –
UVEK: Eidg. Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation – EDA: Eidg. Departement für Auswärtige Angelegenheiten – SECO: Staatssekretariat für Wirtschaft – SAV: Schweizerischer Arbeitgeberverband – EDI: Eidgenössisches Departement des Innern – SBV: Schweizerischer Bauernverband – EFV: Eidgenössische Finanzverwaltung
Anhand der sogenannten Reputationsmethode haben wir für die Studie «The Swiss decision-making system in the 21th century: power,
institutions, conflicts» die an einem politischen
Prozess beteiligten Akteure im Rahmen von Interviews gebeten, den Einfluss von anderen Akteuren einzuschätzen (siehe Kasten 1). Die Aggregation der Resultate ergibt eine Übersicht über die
Machtstruktur. Während in den 1970er Jahren wie
erwähnt die Wirtschaftsverbände die Schweizer
Politik dominierten, haben diese mit Ausnahme
von Economiesuisse im Beobachtungszeitraum
klar an politischem Einfluss verloren. Dagegen
finden sich nun die Bundesratsparteien an der
Spitze. Auch die Integration von politischen Akteuren in Zusammenarbeitsnetzwerke gibt Aufschluss über ihre Einflussmöglichkeiten: In der
eng verflochtenen Struktur zwischen Verwaltung, bürgerlichen Parteien und Interessenverbänden der 1970er-Jahre waren letztere klar die
zentralsten Akteure. Heute nehmen vorwiegend
die Bundesratsparteien diese Rolle ein.
Am stärksten vom Machtverlust betroffen
sind mit dem Bauernverband und dem Gewerbeverband die wichtigsten Vertreter der Bin-
nenwirtschaft. In der Mehrheit der untersuchten Entscheidungsprozesse zu Beginn des 21.
Jahrhunderts, an denen der Gewerbeverband
Interesse zeigte, war er nur schwach mit den
einflussreichsten Akteuren vernetzt und hatte
somit kaum Einfluss auf den Prozess. Auch der
Gewerkschaftsbund hat im Vergleich mit den
1970er Jahren an Einfluss verloren. Die Gewerkschaften gehörten in der Mehrheit der untersuchten Prozesse, in welchen sie partizipierten,
Kasten 1: Studie zu wichtigen Entscheidungen in der Schweiz
Im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Forschungsprojektes
«The Swiss decision-making system in the
21th century: power, institutions, conflicts»
haben die Autoren (zusammen mit der Politikwissenschaftlerin Denise Traber von der Universität Zürich) die 11 wichtigsten politischen
Entscheidungsprozesse zu Beginn des 21.
Jahrhunderts untersucht. Laut einer breiten
Expertenumfrage waren dies zwischen 2001
und 2006: 11. AHV-Revision, Verfassungsartikel Bildung, Kernenergiegesetz, Infrastrukturfonds, Neuer Finanzausgleich, Neues
Ausländergesetz, Entlastungsprogramm
2003, Revision Fernmeldegesetz, Bilaterales
Abkommen Schengen-Dublin, Bilaterales
Abkommen Zinsbesteuerung, Erweiterung
Personenfreizügigkeit.
Die Untersuchungen basieren auf 251
Interviews mit Vertretern der Verwaltung,
Parteien, Interessengruppen, Kantonen
und der Wissenschaft. Die Interviewpartner wurden unter anderem gebeten, über
den Einfluss anderer Akteure sowie ihre
Zusammenarbeits- und Konfliktbeziehungen
zu anderen Akteuren Auskunft zu geben. Ein
Buch, welches aufgrund der Projekterkenntnisse den Zustand des politischen Systems
der Schweiz diskutiert, erscheint im Sommer
(Sciarini et al. 2015).
Die Volkswirtschaft 5 / 2015 19
KEYSTONE
WIRTSCHAFT UND POLITIK
zur Verliererseite. Demgegenüber setzte sich
Economiesuisse in den Jahren 2001 bis 2006 in
allen Prozessen, an welchen sich der Verband
beteiligte, durch.
Trotz des anhaltenden Einflusses von Economiesuisse muss festgestellt werden: Die Interessenverbände haben in der Schweizer Politik
allgemein an Macht verloren und sind von den
politischen Parteien überholt worden. Ausserdem zeigen sich gewichtige Unterschiede zwischen verschiedenen Politikbereichen, was die
Rolle und Stärke der Interessenverbände anbelangt (siehe Kasten 2).6
Bauern an einem vom
Schweizerischen
Bauernverband organisierten Umzug in
Bern. Viele Verbände
haben gegenüber
den 1970er-Jahren an
politischem Einfluss
verloren.
Verändertes Umfeld führt zum
Machtverlust der Verbände
Wie ist diese Entwicklung der letzten 40 Jahre
zu begründen? Im Folgenden werden die vier
wichtigsten Ursachen der Machtveränderungen
erläutert:
Traditionelle Politikfelder mit
weniger Gewicht
Heute sind andere Politikbereiche wichtig als
früher. In diesen sind die Interessenverbände schlechter aufgestellt. Mit dem Ende des
Wirtschaftswunders der Nachkriegszeit in den
20 Die Volkswirtschaft 5 / 2015
6 Vgl. Fischer (2012).
1970er-Jahren und dem Beginn der Wirtschaftskrise Mitte der 1970er-Jahre waren wirtschaftsund sozialpolitische Themen besonders wichtig.
Diese wurden von den klassischen Wirtschaftsverbänden dominiert. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gehörte nur ein einziger der wichtigsten Prozesse in den Bereich der Sozialpolitik (11.
AHV-Revision), während die Wirtschaftspolitik
im traditionellen Sinne überhaupt nicht unter
den wichtigsten Prozessen vertreten war. Dennoch sind wirtschaftliche Interessen eindeutig
von Entscheidungsprozessen in der Energie-,
Telekommunikations-, Infrastruktur- oder Finanzpolitik direkt betroffen. Auch die heute allgegenwärtige Europapolitik hat häufig eine stark
wirtschaftspolitische Färbung: Bei den wichtigsten Entscheidungsprozessen zwischen 2001 und
2006 ging es um Migrations-, Zoll- und Steuerfragen, welche zwischen der Schweiz und der
Europäischen Union verhandelt wurden.
Heterogenität innerhalb
der Interessensgruppen
Durch die zunehmende Differenzierung in spezialisierte Politikbereiche lassen sich verschiedene Partikularinteressen immer schlechter
innerhalb von Interessengruppen bündeln. Zum
Beispiel ging es bei der untersuchten Revision
KEYSTONE
SCHWERPUNKT
des Fernmeldegesetzes um die Liberalisierung
der letzten Meile im Telekommunikationsmarkt.
In diesem Geschäft spielten vor allem einzelne
Firmen eine wichtige Rolle, grosse Wirtschaftsverbände hatten nur wenig Einfluss auf dieses
Geschäft. Neben der hohen technischen Komplexität und dem dazu nötigen Spezialwissen ist
die Differenzierung der Interessen dafür verantwortlich: Innerhalb von Economiesuisse vertraten die Swisscom als ehemalige Monopolistin
und deren Konkurrenzfirmen diametral gegenüberstehende Positionen. Generell erschwert
die Differenzierung in spezialisierte Politikbereiche und die damit einhergehende Herausbildung von Partikularinteressen das Bündeln von
Interessen in Verbänden. Diese können weniger
geeint auftreten und vertreten eine schmälere
Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Paul
Rechsteiner (oben
links); Parteipräsidenten Martin Landolt
(BDP), Christophe
Darbellay (CVP), Philipp Müller (FDP) und
Toni Brunner (SVP)
vor dem Bundeshaus
(von links, unten
rechts); Journalisten
befragen Bundesrat
Didier Burkhalter
(rechts).
Kasten 2: Unterschiede zwischen Politikbereichen
Auch wenn der Trend, dass Interessengruppen an Einfluss auf die Schweizer Politik
verloren haben, allgemein gültig ist, so gibt
es doch wichtige Unterschiede zwischen
verschiedenen Politikbereichen.
Grundsätzlich kann gesagt werden: Der
Einfluss von Interessenverbänden ist minim
in föderalistischen Entscheidungsprozessen, in welchen es um die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen geht.
Von den untersuchten Prozessen gehören
besonders der Verfassungsartikel zur
Bildung und der Neue Finanzausgleich. Besonders Mühe scheinen Interessenverbände
auch mit indirekt europäisierten Prozessen
zu haben, in welchen eine europäische Norm
ohne internationale Verhandlungen übernommen wird. Aus unserer Untersuchung
gehört hierzu die Revision des Fernmeldegesetzes und das Neue Ausländergesetz.
Basis, was zu einem Verlust an politischen Einfluss führt.
Internationales Umfeld prägt Politik
Die Europäisierung der Politik trägt ihren Teil
zum Einflussverlust von Interessenverbänden
bei. Einerseits führt die Wichtigkeit der Koordination der nationalen mit der europäischen Politik zu einem stärkeren Gewicht von staatlichen
Akteuren in politischen Entscheidungsprozessen. Wichtige Fragen werden häufig in internationalen Verhandlungen und nicht mehr im nationalen Parlament geklärt. Staatliche Akteure
verfügen daher über relevantere Informationen
und Einflussmöglichkeiten als nationale Interessengruppen oder Verbände.
Andererseits trägt die Abhängigkeit der
Schweizer Politik vom internationalen und europäischen Umfeld ebenfalls zu der oben besprochenen Differenzierung der Interessen
bei. Seit den 1990er Jahren sind exportorientierte Wirtschaftsbereiche weniger bereit, den
Schweizer Binnenmarkt durch Abschottung zu
schützen. Internationaler Druck führt zu einer
Schwächung der den Binnenmarkt vertretenden
Verbände, wie zum Beispiel des Schweizerischen
Bauernverbandes oder des Gewerbeverbandes.
Die Volkswirtschaft 5 / 2015 21
WIRTSCHAFT UND POLITIK
Mediatisierung der Politik
Eine traditionelle Stärke von Interessengruppen
in der Schweizer Politik war, dass diese in korporatistischer Manier fähig waren, ausserhalb
des politischen Prozesses oder in der vorparlamentarischen Phase tragfähige Kompromisse
zu finden. Die erhöhte Mediatisierung und Polarisierung der Schweizer Politik haben jedoch
die Möglichkeit vertraulicher Verhandlungen
und die Kompromissbereitschaft der Sozialpartner reduziert. Ein Vergleich der eingeschätzten
Wichtigkeit der vorparlamentarischen Phase gegenüber der parlamentarischen Phase von Entscheidungsprozessen zeigt: Erstere hat ihre klare Dominanz aus den 1970er-Jahren weitgehend
verloren.
Natürlich ist denkbar, dass die Verbände auf
diese Entwicklung reagiert haben und vermehrt
versuchen, den Gang politischer Geschäfte im
Parlament zu beeinflussen. Zwar scheint sich
die Intensität und Professionalität der Lobbyarbeit im Parlament tatsächlich zu intensivieren.
Ob dies aber den Einflussverlust der Interessenverbände in der vorparlamentarischen Phase zu
kompensieren vermag, ist zu bezweifeln.
Die seit einiger Zeit erhöhte Polarisierung des
Parlamentsbetriebs erschwert zudem die Einflussnahme von Interessenverbänden via Parlamentsvertreter. Im Gegensatz zu den 1970erund 1980er-Jahren existiert im Parlament keine
stabile bürgerliche Mehrheit mehr.
scheidende Erklärungsfaktoren wie die Abhängigkeit der Schweiz von der europäischen und
internationalen Politik oder die Mediatisierung
sind heute nicht weniger wichtig als vor zehn
Jahren. Die Aufhebung des Bankgeheimnisses
auf Druck aus dem Ausland ist ein aktuelles Beispiel dafür, dass Interessenverbände – in diesem
Fall jene der Schweizer Finanzwirtschaft – kaum
mehr Einfluss auf die nationale Politik ausüben,
wenn sich diese mit internationalem oder europäischem Druck konfrontiert sieht.
Auch im aktuellen Fall der Energiestrategie
2050 lässt sich eine starke Differenzierung der
Interessen beobachten. Wirtschaftsverbände
unterstützen nicht mehr, wie es traditionellerweise der Fall war, fast ausschliesslich die Atomenergie, sondern es formieren sich wirtschaftliche Interessen im Bereich der alternativen
Energien und der Energieeffizienz. So entstand
etwa der neue Verband Swisscleantech.
Des Weiteren mehren sich neuerdings Anzeichen eines Einflussverlusts von Economiesuisse.
Zumindest was Volksabstimmungen betrifft,
scheint auch dieser Verband nicht mehr die alte
Stärke zu haben. Dies suggerieren zumindest die
Niederlagen bei der Zweitwohnungs-, der Masseneinwanderungs- und der Abzockerinitiative.
Anzeichen des Einflussverlusts
von Economiesuisse
Obwohl der Grossteil der hier besprochenen
Erkenntnisse aus Entscheidungsprozessen
stammt, welche sich bereits vor zehn Jahren abspielten, kann davon ausgegangen werden, dass
die Rolle und Wichtigkeit der Interessenverbände in der Schweizer Politik noch immer den hier
beschriebenen Entwicklungen entspricht. Ent-
Manuel Fischer
Dr. rer. pol. Forscher am
Departement für Umweltsozialwissenschaften
der Eawag (Dübendorf)
und Lehrbeauftragter am
Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern.
Pascal Sciarini
Professor für Schweizer
Politik am Departement
für Politikwissenschaft
und Internationale Beziehungen der Universität
Genf.
Literatur
Fischer, Manuel (2012). Entscheidungsstrukturen
in der Schweizer Politik zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Zürich/Chur: Verlag Rüegger.
Katzenstein, Peter (1985). Small States in World
Markets. Cornell: Cornell University Press.
Kriesi, Hanspeter (1980). Entscheidungsstrukturen und Entscheidungsprozesse in der Schweizer Politik. Frankfurt: Campus Verlag.
22 Die Volkswirtschaft 5 / 2015
Neidhart, Leonhard (1970). Plebiszit und pluralitäre Demokratie, eine Analyse der Funktionen
des schweizerischen Gesetzesreferendum.
Bern: Francke.
Sciarini, Pascal (2014). ‚Eppure si muove: muove:
«The changing nature of the Swiss consensus
democracy.» Journal of European Public Policy
21(1): 116–132.
Sciarini, Pascal, Fischer, Manuel and Denise
Traber (2015). Political Decision-Making in
Switzerland: The Consensus Model under
Pressure. Basingstoke/New York: Palgrave/
MacMillan.
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