2.2.3 Träger der staatlichen Wirtschaftspolitik VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE © SEI Klasse: __________ Datum: ___________ Thema: Träger der staatlichen Wirtschaftspolitik Arbeitsauftrag Erstellen Sie eine Mind-Map, in der Sie die folgenden Inhalte zusammenfassen! Infos lesen Mind-Map schriftlich Einzelarbeit 35 Minuten Parlament und Regierung Wichtigster Träger der Wirtschaftspolitik ist der „Staat“. In demokratischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen ist seine politische Entscheidungsbefugnis auf die staatlichen Organe Parlament (Legislative), Regierung mit nachgeordneter Verwaltung (Exekutive) und Rechtsprechung (Judikative) verteilt. Die Regierung wird von der Regierungsfraktion getragen und von der Opposition kontrolliert. In einem Bundesstaat (einem föderalistischen Staat) tritt der Zentralstaat (der „Bund“) Teile seiner Entscheidungsbefugnis an die Bundesländer ab, die einen Teil ihrer politischen Macht wiederum an Gemeinden, Gemeindeverbände und Kreise delegieren (weitergeben). In der Bundesrepublik Deutschland werden die Länder über eine eigene Kammer, den Bundesrat, an der Willensbildung des Bundes beteiligt. Regierungsunabhängige Institutionen Außerdem wird in der Bundesrepublik Deutschland politische Macht an mehr oder weniger regierungsunabhängige (autonome) staatliche Institutionen abgetreten. Solche zur sogenannten mittelbaren Staatsverwaltung zählenden Körperschaften sind z. B. die Deutsche Bundesbank, die Bundesagentur für Arbeit, die Rentenversicherungsträger, die gesetzlichen Krankenkassen, die Industrieund Handelskammern und die Handwerkskammern. Europäische Zentralbank Die Europäische Zentralbank beeinflusst mittelbar und auch unmittelbar wirtschaftspolitische Entscheidungen in den Mitgliedsländern der WWU. So signalisiert bereits die Vorgabe eines Geldmengenziels, dass die EZB eine eher expansive1 oder eine eher restriktive2 Geldpolitik zu betreiben beabsichtigt. Die Regierungen müssen sich auf die Geldpolitik der EZB einstellen, denn eine mögliche Erhöhung der Leitzinssätze beeinflusst bei allen WWU-Ländern mit Staatsschulden unmittelbar den Staatshaushalt. Steigen die Zinssätze, werden die Staatshaushalte mit zusätzlichen Zinszahlungen belastet. Sollen die Staatsschulden nicht weiter erhöht werden, müssen die Ausgaben gekürzt und die Einnahmen (z. B. die Steuern) erhöht werden. Da in der WWU die Regierungen der Mitgliedsländer auch nach der Schaffung des Euro eine eigene Wirtschaftspolitik betreiben, gibt es auch in den einzelnen WWU-Ländern unterschiedliche Konjunkturen. Die einheitliche Geldpolitik der EZB kann also im Einzelfall die Bemühungen der Regierung eines bestimmten WWU-Landes zunichte machen. 1 1 expansiv (lat.): ausdehnend, erweiternd. Durch eine expansive Geldpolitik wird die Geldmenge z. B. aufgrund von Zinssatzsenkungen erhöht (ausgeweitet). 2 restriktiv (lat.): zusammenziehend, einschränkend. 2.2.3 Träger der staatlichen Wirtschaftspolitik Beispiel: In der WWU herrscht Inflationsgefahr, d. h., die Preissteigerungsrate droht über die Zwei-Prozent-Grenze hinaus zu steigen. Daraufhin erhöht die EZB die Leitzinssätze. Im Land A herrscht jedoch Unterbeschäftigung (Rezession). Maßnahmen der Regierung des Landes A zur Konjunkturförderung werden durch geldpolitische Entscheidung der EZB durchkreuzt. Decken sich Staats- und Währungsgebiet, kann es zwar ebenfalls zu Widersprüchen zwischen der Regierung und der zuständigen nationalen Zentralbank kommen. Dennoch ist in diesen Staaten eine abgestimmte Wirtschafts- und Geldpolitik zwischen der Regierung und der nationalen Zentralbank erheblich einfacher als zwischen der EZB und den Regierungen der einzelnen Mitgliedsländer des europäischen Währungsgebiets. Verbände Die Soziologie (die Lehre von der Gesellschaft) versteht unter dem Begriff „Verbände“ soziale Gruppen mit organisatorischem Überbau, in denen das Handeln durch eine mit Autorität (Führungsmacht mit Weisungsrecht) ausgestattete Führung bestimmt wird.3 Zu unterscheiden sind Interessenverbände und politische Parteien. Die Interessenverbände sind dauerhafte soziale Gruppen, die ungeachtet ihrer Rechtsform Einfluss auf Regierungsentscheidungen zu nehmen suchen, ohne politische Parteien zu sein. Im Unterschied zu den Interessenverbänden müssen politische Parteien nach § 2 Abs. 1 ParteienG parlamentarisch, d. h. an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag mitwirken wollen. Bei den Interessenverbänden gibt es solche, die ständig und ausschließlich bestimmte politische Ziele verfolgen, so z. B. die Tarifpartner (Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände), der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e. V. (BBU) und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND). Andere Verbände versuchen nur gelegentlich, auf Parlamente und Regierungen Einfluss zu nehmen, so etwa karitative Verbände, Kleingärtner- und Tierzuchtvereine, Sportvereine und verbände. Eine scharfe Trennung kann hier jedoch nicht vorgenommen werden; man denke nur daran, welche politische und wirtschaftliche Bedeutung der Sport in den letzten 20 Jahren gewonnen hat. Zu den Interessenverbänden gehören auch die Bürgerinitiativen. Hierunter sind spontane, zeitlich meist begrenzte, organisatorisch eher lockere Zusammenschlüsse einzelner Bürger zu verstehen, die sich zumeist aus einem konkreten Anlass, häufig auch als unmittelbar Betroffene, zu Wort melden, um öffentlich für ihre Meinung zu werben und auf die politischen Entscheidungsträger und/oder Unternehmen Einfluss zu nehmen. Ein Merkmal der Bürgerinitiativen ist, dass sie sich i. d. R. wieder auflösen, wenn sie ihr Ziel erreicht (oder auch endgültig nicht erreicht) haben. Sie können erheblichen Einfluss auf wirtschaftliche und umweltpolitische Entscheidungen nehmen, man denke z. B. an die Verhinderung des Baus von Atomkraftwerken, den Kampf gegen Flughafenerweiterungen, den Einsatz für Sport- und Freizeitmöglichkeiten und Kindergärten oder den Widerstand gegen Landschaftszersiedelung, kinderfeindliche Schulwege sowie den Bau einer Autobahn. 3 2 Die rechtliche Definition des Begriffs „Verbände“ geht weiter. Hier wird unter einem Verband eine Personenvereinigung zu einem bestimmten Zweck verstanden, die durch eine Verfassung (Satzung) zur Bildung eines gemeinschaftlichen Willens begründet wird und, falls eine juristische Person vorliegt, rechtsfähig, d. h. selbst Träger von Rechten und Pflichten ist. Die Verbände sind danach teils privatrechtliche Vereinigungen (z. B. eingetragene und auch nicht eingetragene Vereine, Formkaufleute), teils öffentlich-rechtliche juristische Personen (z. B. Gemeinden, Gemeindeverbände, Rundfunkanstalten, Sozialversicherungsträger). 2.2.3 Träger der staatlichen Wirtschaftspolitik Wie geschieht nun die Einflussnahme der Verbände auf staatliche Entscheidungen? Der klassische Adressat der Verbandstätigkeit ist das Parlament.4 In der Bundesrepublik Deutschland haben die Verbandsvertreter die Möglichkeit, ihre Vorstellungen (Ziele, Interessen) in dem Bundestagsausschuss einzubringen, in dem gemäß § 73 III der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags in sogenannten „Hearings“ neben Sachverständigen auch Interessenvertreter (z. B. der deutschen Wirtschaft) gehört werden können. Daneben werden natürlich zahlreiche informelle Kontakte zwischen den Verbandsvertretern und Abgeordneten gepflegt. Darüber hinaus lassen die Verbände ihre Vertreter (z. B. Vertreter des Mittelstands, der Heimatvertriebenen, der Landwirtschaft, der Unternehmer) von den politischen Parteien aufstellen und in die Parlamente (den Deutschen Bundestag und die Länderparlamente) wählen. Devisenausland Wirtschaftspolitische Entscheidungen reichen über die Landesgrenzen hinaus, man denke z. B. an die Erhöhung oder Senkung von Zöllen, die Einführung oder Aufhebung der Devisenzwangswirtschaft, die Inflations- oder Deflationspolitik, die Erhöhung oder Senkung von Rüstungsausgaben usw. In jedem Fall wirken sich derartige wirtschaftspolitische Eingriffe des Devisenauslands auf die Binnenwirtschaft aus. Gegenmaßnahmen werden dann erforderlich, wenn die Eingriffe des Devisenauslands den eigenen wirtschaftspolitischen Zielen entgegenstehen. Internationale Konzerne Nach Meinung vieler Autoren dominieren nicht mehr einzelne Länder oder Regionen die Weltwirtschaft, sondern multinationale5 Unternehmen. Höchste Flexibilität (Anpassungsfähigkeit an neue Bedingungen) und räumliche Mobilität (Beweglichkeit) gestatten es ihnen, in Windeseile ganze Produktionszweige zu verlagern und neue Märkte zu erobern. Die Konsequenz ist ein zunehmender Bedeutungsverlust der Politik und damit auch der Wirtschaftspolitik. „Der Markt siegt über die Politik“.6 Supranationale7 Organisationen In besonderem Maße greift die Europäische Union in die Rechte der Mitgliedstaaten ein, indem z. B. die Richtlinien des Europäischen Rats von den EU-Ländern in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Beispiel: Die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den „Verbrauchsqüterkauf und Garantien“ musste spätestens zum Jahr 2002 in nationales Recht umgesetzt werden. Danach beträgt die Gewährleistungsfrist zwei Jahre. (Im deutschen Recht betrug die gesetzliche Gewährleistungsfrist nur sechs Monate.) Darüber hinaus gibt es EG-Recht, das dann Anwendung findet, wenn durch nationales Recht auch andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union nachteilig betroffen werden. Beispiel: Das deutsche Wettbewerbsrecht ist durch zahlreiche Ausnahmen stark „durchlöchert“. Die EU setzt staatlichen Versuchen, den Wettbewerb einzuschränken (z. B. durch eine „Ministererlaubnis“), gewisse Grenzen. Das europäische Wettbewerbsrecht richtet sich nach dem AEU-Vertrag. Es kennt weniger Ausnahmen als das deutsche Wettbewerbsrecht. Anwendbar ist es dann, wenn der zwischenstaatliche Handel (der Handel zwischen den EULändern = Intrahandel) betroffen ist. In diesem Fall gilt der Grundsatz, dass das europäische Recht dem deutschen Recht vorgeht. Damit sind Bundesregierung und Bundestag nicht völlig frei in ihren wettbewerbspolitischen Entscheidungen. Sie dürfen z. B. Anbieter aus anderen EU-Ländern nicht willkürlich am Marktzugang hindern. Internationale Verträge Auch internationale Verträge wie z. B. die Welthandelsorganisation begrenzen durchaus im positiven Sinne – die politischen Gestaltungsmöglichkeiten der Regierungen und anderer Entscheidungsträger der Wirtschaftspolitik, indem sie z, B. Normen für den internationalen Handel aufstellen, die durch nationale Entscheidungen nicht umgangen werden dürfen. 4 3 Die Verbandsvertreter werden als Lobbyisten bezeichnet. Der Ausdruck stammt aus den USA und bezeichnet diejenigen Interessenvertreter, die im 19. Jahrhundert in der Wandelhalle des Parlaments (in der „Lobby“) die Abgeordneten in ihrem Sinne zu beeinflussen suchten. 5 multi (abgeleitet von lat. „multus“): viel. Multinationale Konzerne (auch „Multis“ genannt) sind Konzerne, die in vielen Ländern (Staaten) tätig sind. 6 Vgl. grenzenloses Wachstum, in FONDS MAGAZIN, Nr. 1999, S, 16. 7 supranational (lat.): übernational, mehrere Nationen betreffend,