Hessischer Rundfunk Hörfunk – Bildungsprogramm Redaktion: Dr. Karl-Heinz Wellmann WISSENSWERT Infektiöse Eiweiße Wie BSE vom Darm ins Hirn gelangt Von Heike Althen Sendung: 02.11.2007, 8:30 bis 8:45 Uhr, hr2-kultur 07-105 COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/ der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. – BSE 1 – Sprecherin 1985 wurde in Großbritannien ein Rind eingeschläfert, das seine Beine nicht mehr kontrolliert bewegen konnte und das auch andere Verhaltensauffälligkeiten zeigte. Veränderungen in seinem Gehirn wurden entdeckt, die man bis dahin nur von Schafen kannte – von einer Schafkrankheit namens "Scrapie". Bei erkrankten Schafen und jetzt auch beim Rind gab es schwammartig aussehende Bereiche im Gehirn. Britische Forscher tauften die neuartige Rinderkrankheit 1986 daher "Bovine Spongiforme Enzephalopathie", kurz BSE. Übersetzt bedeutet das etwa: "Schwammartiges Hirnleiden der Rinder". Ein Jahr später gelang es, BSE auf Mäuse zu übertragen, nachdem man Hirngewebe erkrankter Rinder an die Mäuse verfüttert hatte. Die Frage war nun: Kann sich auch der Mensch mit BSE infizieren? Anfang der 90er-Jahre stieg die Zahl der am so genannten Rinderwahn erkrankten Rinder rasch und schließlich beunruhigend drastisch an. Englisches Rindfleisch durfte nicht mehr exportiert werden, und das Verfüttern von Tiermehl wurde verboten, denn es galt als Auslöser für den Ausbruch der BSE-Epidemie. Tatsächlich hat man vor 10 Jahren durch diese Maßnahme die Ausbreitung der Krankheit in den Griff bekommen. Professor Martin Groschup ist Virologe am Friedrich-Löffler-Institut auf der Insel Riems. Er beschreibt die heutige Situation. O-Ton 1 Es gibt noch ne ganze Reihe von BSE-Fällen in Europa, mehrere hundert BSE-Fälle, das Gros dieser Fälle ist allerdings im Vereinigten Königreich und auch dort ist die Zahl der BSE-Fälle stark rückläufig, von Jahr zu Jahr verringert sich die Zahl der Fälle um rund 40 % und sie können’s für Deutschland z.B. sehen, wir haben mit 125 Fällen im Jahr 2001 begonnen und bis heute sind in Deutschland bisher nur 4 BSEFälle aufgetreten. Ähnliches sehen wir in nahezu allen EU-Mitgliedsstaaten, kleine Ausnahmen sind Länder die erst spät mit der erhöhten Überwachung der Bestände halt angefangen haben. Bei denen gab’s mal im Jahr 2005 oder auch 2006 leichte Ausreißer nach oben, aber auch diese Probleme sind denk ich inzwischen im Griff, so dass man sagen kann also BSE ist unter Kontrolle und das europaweit. – BSE 2 – Sprecherin Dass es auch heute noch BSE-Fälle gibt, hängt vor allem mit der langen Inkubationszeit der Krankheit zusammen. Die infizierten Tiere erkranken meist erst nach 18 Monaten, manche sogar erst mehrere Jahre nach der Ansteckung. Deshalb tritt BSE vereinzelt auch heute noch bei Rindern auf, und zwar vor allem bei Tieren, die schon vor dem endgültigen Verfütterungsverbot für Tiermehl geboren wurden, das nun schon seit rund sieben Jahren gilt. Es gibt aber auch vereinzelte BSEkranke Tiere, die erst nach dem Verfütterungsverbot für Tiermehl geboren wurden. Den BSE-Forscher Martin Groschup verwundert das allerdings nicht. O-Ton 2 Angesichts dieser riesigen Epidemie kann es gut sein, dass hier halt auch Fehler bei der Durchsetzung des Verfütterungsverbots und noch irgendwo Säcke mit infektiösem Tiermehl zu diesen Infektionen geführt haben. Sprecherin Viele Forscher nehmen an, dass der Verzehr von BSE-infizierten Rinderprodukten beim Menschen eine neue Variante der CreutzfeldtJacob-Krankheit auslösen kann. Bisher sind in Großbritannien mehr als 150 Menschen an dieser neuen Creutzfeldt-Jacob-Variante erkrankt, und auch in mehreren anderen Ländern gab es vereinzelte Fälle. In Deutschland ist die neue Creutzfeldt-Jacob-Variante bisher noch nicht entdeckt worden. Um das Risiko für den Konsumenten so gering wie möglich zu halten, müssen in Europa daher seit Jahren Gehirn, Rückenmark und andere so genannte "Risikomaterialien" nach dem Schlachten der Rinder entfernt werden. Weiterhin werden in Deutschland alle verstorbenen Rinder, die über 24 Monate alt sind, einem BSE-Test unterzogen, und alle gesund geschlachteten Rinder, die älter als 30 Monate sind, ebenfalls. Nun gibt es bei jeder Infektion bekanntlich einen Erreger im Körper der Erkrankten, der die Krankheit auslöst. Bei BSE sehen diese Erreger aber anders aus als z.B. bei einem Grippeerkrankung. – BSE 3 – O-Ton 3 BSE-Prionen sind eine ganz neue Klasse von Infektionserregern, es handelt sich hierbei weder um ein Bakterium noch um einen Virus, sondern, diese Viren und Bakterien, die haben ja immer Nukleinsäure, immer genetische Substanz, hier bei den Prionen handelt es sich dagegen ausschließlich, nach der jetzigen Denkart um Eiweiße, um fehlgefaltete Eiweiße, die so ne Art autokatalytische Wirkung haben und die können wieder neue Eiweiße fehlfalten und das macht dann krank. Ein ähnliches Prinzip gibt es hier auch bei Alzheimer oder bei Parkinson, also das sind sogenannte protein misfolding diseases. Die Prionen, BSE-Prionen, haben ne ganz große Besonderheit, wie auch die analoge Krankheit beim Schaf, sie sind übertragbar, d.h. also, man kann von einem Tier auf das andere, durch Gabe von Flüssigkeiten, von Gehirnmaterial, kann man die Erkrankung halt weitergeben und das ist bisher für Alzheimer und Parkinson und so weiter halt noch nicht gezeigt. Sprecherin Die Erreger von BSE sind also Eiweiße, genannt Prionen, die sich gewissermaßen verformt haben. Diese krankmachenden Prionen werden über die Nahrung aufgenommen und wandern im Körper der Tiere vom Darm bis ins Hirn. Schon lange ist nachgewiesen, dass die Rinder die BSE-Erreger über verseuchtes Tiermehl aufnehmen können, aber bisher war nicht genau bekannt über welches Organ die Erreger vom Magen-Darm-Trakt der Tiere ins Gehirn aufsteigen. Die Forscher des Friedrich-Löffler-Instituts haben daher vor vier Jahren auf der Ostsee-Insel Riems ein Experiment begonnen, um Antworten auf diese Frage zu finden. Sie haben Rinder einer Testherde mit BSE-infizierten Fleischprodukten gefüttert und auf diese Weise mit der Krankheit angesteckt. Alle vier Monate wurden vier Tiere aus dieser Testherde herausgenommen, getötet und genau untersucht. Über 140 Proben wurden jedes mal aus verschiedenen Organen entnommen und analysiert. Seit kurzem erst, nach vier Jahren Forschung, können die Wissenschaftler den Weg der BSE-Erreger vom Darm bis ins Hirn der Rinder nachvollziehen. O-Ton 4 Bei einem Tier, welches 24 Monate nach der Infektion war, sind wir das erste Mal fündig geworden und haben Prionen außerhalb des Magen- – BSE 4 – Darm-Traktes gefunden. Vorher kann man die natürlich schon im Magen-Darm-Trakt finden aber die Erreger müssen ja von dort ins Gehirn kommen, und das erste Mal nach 24 Monaten haben wir schließlich solche Prionen dann im Gehirn gesehen... Sprecherin ... wo sie sich ablagern und Klumpen bilden. Das zerstört die Nervenzellen, bis sich im späten Stadium der Krankheit das Hirn schwammartig auflöst. Tiere, die an der unheilbaren Krankheit leiden, werden oft extrem aggressiv und zeigen starke Bewegungsstörungen, die letztlich zum Tod führen. Manche Forscher haben vermutet, dass sich die BSE-Erreger im Tierkörper über das Lymphsystem ausbreiten könnten. Das Lymphsystem ist ein Teil des Immunsystems. Es durchzieht – vergleichbar dem Blutsystem – den gesamten Körper und wäre daher zur Verbreitung von Erregern durchaus geeignet. Die Ergebnisse der Studie des Friedrich-Löffler-Instituts zeigen jedoch, dass die Erreger für ihren Aufstieg vom Darm zum Hirn weder das Blutsystem noch das Lymphsystem nutzen, sondern die Nervenbahnen. O-Ton 5 BSE-Prionen werden über das Futter aufgenommen, gelangen in den Darm, werden dort im Darm dann resorbiert, vermehren sich dann initial, wahrscheinlich in den sogenannten Peyerschen Platten, das sind lymphatische Organe, Lymphknoten im Darm, und zwar im unteren Dünndarmbereich. Die Erreger gelangen von dort direkt dann schon in das enterische Nervensystem, das ist ein Nervensystem, mit dem der Darm seine Bewegungen koordiniert und diese Prionen die dann dort schon drin sind, steigen dann weiter auf über das vegetative Nervensystem in das zentrale Nervensystem ins Gehirn... Sprecherin ... wo sie dann ihre Endstation erreicht haben. Das vegetative Nervensystem regelt lebenswichtige Körperfunktionen, wie Herzschlag, Atmung und Blutdruck. Zum vegetativen Nervensystem gehört auch das eben erwähnte enterische Nervensystem, das die Darmfunktion regelt und außerdem auch die Funktion anderer Hohlorgane wie Herz, Magen und Blase beeinflusst. Eine große Rolle für die Weiterleitung der BSE- – BSE 5 – Erreger spielt auch der Vagus-Nerv. Das ist der 10. Hirnnerv, und dieser Vagus-Nerv verläuft vom Hirn bis hinab in den Darm – eine Art Vorfahrtstraße für die krankmachenden Prionen. Aber auch andere Nervenbahnen zwischen Darm und Gehirn sind betroffen. Was die Prionen gefährlich macht, ist ihre räumliche Struktur, die anders ist, als die Struktur gesunder Prionen. Gesunde Prionen sehen – bildhaft gesprochen – wie lange Ketten aus, die zudem gewunden sind wie eine Spirale. Krankmachende Prionen hingegen sind gefaltet wie ein zusammengelegter chinesischer Fächer, also sehr kompakt. Diese Strukturveränderung, die Umformung der Prionen von einer so genannten Helix in eine so genannte Faltblattstruktur bewirkt, dass diese Eiweiße sich zu Klumpen zusammenlagern. O-Ton 6 Prionen sind ja krankhaft veränderte und zwar krankhaft gefaltete, normale Proteine des Körpers und die sitzen auf allen Nervenoberflächen, überall wo ne Nervenmembran ist, sitzen solche Prionenproteine drauf, sodass es sehr, sehr gut sein kann, das an einer Stelle ein so falsch gefaltetes Prionenprotein den Anfang gibt, den Startschuss sozusagen gibt, und dann wie ein Dominoeffekt dann diese Infektion über den ganzen Körper hinweg läuft bis hin zum Gehirn. Sprecherin Die Forscher wissen nun also, dass die gefalteten, krankmachenden Prionen benachbarte, noch spiralförmige Prionen so beeinflussen können, dass eine Spirale nach der anderen fehlgefaltet wird, und dass so eine Infektionskette vom Darm bis ins Hirn entsteht. Diesen Erregerweg genau zu kennen, hilft nun auch, besser einschätzen zu können, welche Teile des Rindfleischs als Risikomaterial einzustufen sind und nicht gegessen werden sollten. Martin Groschup und sein Team haben auf der Ostsee-Insel Riems also etwas wirklich Wichtiges erforscht, was zuvor nicht ausreichend untersucht worden war. Sie sind die ersten, die mithilfe ihrer umfangreichen Studie den Erregerweg im Rind exakt nachvollziehen konnten. In Großbritannien hatte die Seuche zwar ihren Ursprung, und – BSE 6 – dort hat sie auch am schlimmsten gewütet. 99 Prozent der gemeldeten BSE-Fälle zwischen 1986 und 2004 kamen von dort. Dennoch konnten die Briten bis heute in keiner Studie den genauen Erregerweg vom Darm zum Hirn beschreiben. O-Ton 7 Bei den Rindern ist eigentlich relativ wenig untersucht worden bisher, es gab eine ähnliche Studie, Pathogenesestudie im Vereinigten Königreich mit einem entsprechend, fast identischen Aufbau, nur mit einem kleinen Unterschied, dass die Proben, die wir jetzt genommen haben, dass die im Vereinigten Königreich nie entnommen wurden. Und bei der britischen Studie bleibt da einfach nur ein schwarzes Loch zwischen dem Darm und dem zentralen Nervensystem... Sprecherin ... und insofern ist die Erkenntnis ganz neu, dass sich die Erreger über das vegetative Nervensystem der Tiere ausbreiten. Manche Wissenschaftler gehen davon aus, dass die neue Variante der Creutzfeldt-Jacob-Krankheit durch dieselben Erreger ausgelöst wird wie BSE, also durch fehlgefaltete Eiweiße. Patienten, die an CreutzfeldtJacob leiden, verlieren zunächst langsam, später aber immer schneller ihre geistigen Fähigkeiten. Sie zeigen unter anderem BewegungsStörungen, Veränderungen der Persönlichkeit und Gedächtnisverlust. Häufig führt die Krankheit schon nach einem halben Jahr zum Tod. Bei der neuen Variante von Creutzfeldt-Jacob, die vermutlich durch BSEErreger ausgelöst werden kann, verläuft die Erkrankung langsamer, auch sind die Patienten im Durchschnitt viel jünger als die Patienten der altbekannten Variante. Bei der Creutzfeldt-Jacob-Krankheit breiten sich die Erreger im Körper der Patienten allerdings über andere Wege aus, als die BSE-Erreger bei Rindern. O-Ton 8 Beim Menschen ist es so, dass bestimmte Formen über die Nerven alleine nur zu wandern scheinen, während bei der neuen Variante und das ist die Form, die durch BSE ausgelöst wird, erstaunlicher Weise anders als beim Rind auch die lymphatischen Organe sehr, sehr stark betroffen sind, sodass wir bei der neuen Variante auch ne Blutbeteiligung z. B. haben... – BSE 7 – Sprecherin ... und das ist eine wichtige Information, um vermeiden zu können, dass Blutkonserven mit erregerhaltigem Blut in Verkehr kommen. Die Forscher des Friedrich-Löffler-Instituts testen zur Zeit an Mäusen chemische Substanzen, die die Vermehrung der Prionen im Körper hemmen sollen. Ein allerdings noch sehr fernes Ziel ist schließlich die verbesserte Behandlung von anderen Proteinmissfaltungskrankheiten, wie Alzheimer und Parkinson.