Finnland Info 73 21. Januar 07 Enttäuschte Erwartung „Es sind eher die kleinen Dinge und grundsätzlichen Einstellungen der Menschen, die den anscheinend großen Unterschied machen." _______________________________________________________________ Anmerkung H.Joss: Es sind diese grundsätzlichen Einstellungen der Erwachsenen den Heranwachsenden gegenüber, welche ein Kernelement des finnischen Bildungssystems ausmachen. Und diese Einstellungsänderungen, welche den Finnen in den letzten zwanzig bis dreissig Jahren gelungen sind, bereiten uns im deutschsprachigen Raum extreme Schwierigkeiten. Ich denke an die „Schule für alle“, die unserer Leistungsschule, die Gewinnerinnen und Verliererinnen schafft, diametral entgegengesetzt ist, an eine Volksschule ohne Selektion, bilden doch Selektion und Segregation das Fundament unseres vierteiligen Schulsystems.(Kleinklasse, Real-Sekundar-und gymn.Klassen). an den finnischen Grundsatz „es darf kein Kind auf der Strecke bleiben“. an den Grundsatz: ‚Ein Kind darf nie beschämt werden’. Benoten beinhaltet beurteilen, vergleichen, beschämen, beinhaltet Ranglisten. Frage: Wer ist die Beste, der Beste? Wer sind die Verlierenden? ___________________________________________________________________ Erfolg mit Geduld, Freundlichkeit, Respekt Rheine - Fünf Wochen lang verbrachte die Lehramtsstudentin Sarah Schröer aus Rheine mit ihrer Kommilitonin Jennifer Räker in Finnland. Dort erlebten sie das Schulwesen des bei der Pisa-Studie so gelobten Landes aus erster Hand. Für unsere Zeitung fasste Sarah Schröer ihre Eindrücke zusammen: www.hansjoss.ch 1 "Wir reisten in den kleinen Ort Seinäjoki im Südwesten des Landes. Schon lange war dieses Praktikum in einer Grundschule geplant. Wohnen durften wir kostenlos in dem großen Gartenhaus eines Lehrerehepaars. Für uns war Finnland das Bildungswunderland. Unsere Erwartungen waren hoch angesetzt. Wir hatten eine Schule vor Augen, in der es keinen Frontalunterricht gibt, die Schüler selbstständiger als in Deutschland an verschiedenen Projekten arbeiten und die Lehrer als Berater und Unterstützer in den Hintergrund treten. Enttäuschte Erwartung Wir erwarteten Klassen, in denen behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam unterrichtet werden. Und wir erwarteten eine Schule, in der es keine strengen 45 Minutentakte gibt und die Schüler bis in den späten Nachmittag hinein in der Schule betreut werden. Schon nach den ersten paar Tagen war uns klar, dass die oben genannten Dinge nicht die waren, warum Finnland fast ungeschlagen alle anderen Länder im internationalen Vergleich links liegen ließ. Wir fanden fast ausschließlich Frontalunterricht vor, Schulstunden, die 45 Minuten lang waren, unterschiedliche Klassen für behinderte und nicht behinderte Kinder und eine Schule, deren Unterrichtszeit maximal bis 14 Uhr ging - es sei denn, Schüler nahmen an speziellem Sprach- oder Musikunterricht oder freiwilligen Clubs teil. Auf der einen Seite waren wir zunächst enttäuscht. Auf der anderen Seite machte uns diese Erkenntnis neugierig. Wir fragten uns, was in Finnland anders oder besser läuft. Am Ende war uns klar, welche Faktoren u.a. für das erfolgreiche Bildungssystem stehen könnten. Darunter fällt die bessere finanzielle Unterstützung durch den Staat. Das macht sich unter anderem bemerkbar durch das kostenlose Schulmaterial und das Mittagsmenü für alle Schüler. Weitere Tatsachen für das erfolgreiche Bildungssystem könnten das bessere Ansehen des Lehrerberufs in der Gesellschaft, das einheitliche Schulsystem (Gesamtschulen bis zur neunten Klasse) und die frühe Förderung der Kinder in verschiedensten Problembereichen sein. Vor allem im vorschulischen Bereich wird in Finnland eine Menge getan. Fast jedes Kind geht ein Jahr in die Vorschule, in der Sprachbehinderungen, psychische oder soziale Probleme oder andere Behinderungen früh festgestellt und entsprechend gefördert werden. Sehr beeindruckt hat uns ebenso die Disziplin, die die Schüler im Unterricht an den Tag legten. Insgesamt schienen die finnischen Lehrer und Lehrerinnen entspannter zu sein als die deutschen Kollegen. Hin und wieder verzichtete man auch auf weitere Aufgaben im Englisch- oder Mathebuch und der Lehrer las stattdessen ein paar Seiten aus dem neuen Harry Potter vor. Eine gute Mischung aus Gelassenheit, Geduld, Freundlichkeit und Respekt machten die meisten Lehrer und Lehrerinnen aus. www.hansjoss.ch 2 Das Fazit Es ist uns klar geworden, dass sich die Schulen in Finnland nicht so sehr von den deutschen Schulen unterscheiden, wie es viele glauben. Es sind eher die kleinen Dinge und grundsätzlichen Einstellungen der Menschen, die den anscheinend großen Unterschied machen." Aus: 17. Januar 2007 | Quelle: Münstersche Zeitung Anmerkung H. Joss: Was die beiden Studierenden nicht erwähnen: Das ausgebaute Stützsystem, welches die Lehrpersonen bei ihrer Arbeit entlastet: Gesundheitsschwester, Psychologe, Sozialarbeiter, Heilpädagoge, Logopäden. Treten mit Lernenden Schwierigkeiten auf im Unterricht, arbeiten Fachleute gezielt mit diesen Schülerinnen und Schülern. Ziel: diese möglichst rasch in die Klasse zu integrieren. Dieses Team trifft sich regelmässig und bespricht die Fortschritte der einzelnen Schülerinnen und Schüler. Gemäss den Grundsätzen: Kein Kind darf auf der Strecke bleiben. Jedes Kind ist wichtig. Grundsätze, welche das selektive/separative Schulsystem nicht kennt in dieser Konsequenz. Mit den entsprechenden Stigmatisierungen und Entmutigungen. Beispiel: Illettrismus.www.boggsen.ch www.hansjoss.ch 3