Prof. Dr. Seppo Hentilä 25 Jahre seit dem Mauerfall – zur Bewältigung der grossen Wende im Herzen Europas Goethe-Institut, Helsinki am 10.11.2014 Unser Stichtag ist der 9. November Die Mauer ist an dem Tag gefallen, aber das ist noch nicht Genug Dramatische Ereignisse am 9. November in der deutschen Geschichte: • 1848: Hinrichtung von Robert Blum • 1918: Novemberrevolution; der Kaiser dankt ab, Deutschland wird Republik • 1923: Hitlers Bierstubenputsch in München • 1938: Reichskristallnacht • 1948: Berlins Oberbürgermeister Ernst Reuters berühmte Rede vor den Reichstagsruinen während der Berlin-Blockade • 1969: Tupamaros-Berlin setzt eine Bombe in einer Synagoge • 1974: RAF-Terrorist Holger Meins stirbt nach 58 Tagen von Hungerstreik Die westliche Seite der Mauer Zum Vortrag: Zwei Themen im Mittelpunkt Erstens: Bewältigung der DDR-Vergangenheit in Berlin – augensichtlich und im Strassenbild Zweitens: Die finnische Sicht zur Einigung Deutschlands und ihre Auswirkungen zu den deutschfinnischen Beziehungen nach 1989 Die Vorgeschichte und die Ursachen des Mauerfalls will ich nicht wiederholen; die Ossi – Wessi Problematik auch nicht Zur Geschichtsbewältigung der DDR-Zeit in Berlin ----- abgerissen, umbenannt (einige Beispiele) • Denkmäler • Gebäuden • Strassennamen betrifft nicht nur die Geschichte der DDR, sondern auch die kommunistische Bewegung und die Verbindung der DDR zur Sowjetunion • • • • • • Babelsberger Platz (1907–1910) Bülowplatz (1910–1933) Horst-Wessel-Platz (1933–1945) Liebknechtplatz (1945–1947) Luxemburgplatz (1947–1969) Rosa-Luxemburg-Platz (seit 1969) Das Berliner Stadtschloss Palast der Republik, geöffnet 1976, abgerissen 2006 Die Baustelle des Stadtschlosses mit dem Informationszentrum ”Humboldtbox” Lenin abgerissen, Marx und Engels behalten Lenin-Denkmal in Friedrichshain, errichtet 1968 (Hans Hanselmann) abgerissen 1991 Errichtet 1986 (Ludwig Engelhardt Ernst Thälmann-Denkmal in Prenzlauer Berg, erhalten trotz des Widerstandes Errichtet 1986, geplant von L. J. Kerbel Marx, Engels, Karl Liebkbecht, Rosa Luxemburg und Ernst Thälmann sind Persönlichkeiten der deutschen Geschichte, die Vertreter der DDR-Führung nicht Otto-Grotewohl-Strasse --Wilhelmstrasse Hermann-Matern-Strasse --Luisenstrasse Zwei Mauerdenkmäler: Die Versöhnungskirche in der Bernauer Strasse und die East Side Gallery am Spreeufer in Friedrichshain Im Frühjahr 1990 ein Teilstück der Mauere von 118 Künstlern aus 21 Ländern auf einer Länge von 1316 Metern bemalt. Die Versöhnungskapelle, aufgebaut 2000 Der ”Living Levels”-Streit um die East Side Gallery 2013 N. E. Bersarin Sowjetischer Stadtkommandant von Berlin 1945 Ehrenbürger von Ostberlin 1975 Aberkannt 1992 Anerkannt 2003 Bersarinplatz Zu den Auswirkungen des Mauerfalls auf die deutschfinnischen Beziehungen Die Teilung Deutschlands in zwei Staaten 1949 hat Finnland verhindert, die Beziehungen zu Deutschland zu normalisieren Finnland konnte erst im Januar 1973 volle diplomatische Beziehungen zu beiden deutschen Staaten aufnehmen – Der Grund: die Unvereinbarkeit der sog. Deutschlandartikel des finnisch-sowjetischen Beistandpakts vom April 1948 und der sog. HallsteinDoktrin der Bundesrepublik vom September 1955 Andererseits, auch ohne diplomatischen Beziehungen, konnte Finnland als neutrales Land mit den beiden deutschen Staaten einen breiten kulturellen und wirtschaftlichen Austausch ausüben Unter den europäischen Ländern ist Finnland dadurch bekannt, dass seine Haltung zu Deutschland traditionell sehr freundlich gewesen ist, auch nach 1945, als der Ruf der Deutschen wegen den Verbrechen des Nationalsozialismus zerschlagen worden war Es ist nicht nur wegen Luther und Hanse so, oder nicht nur wegen der jahrhundertelangen kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen über die Ostsee, und auch nicht wegen der Gemeinsamkeiten der politischen und gesellschaftlichen Wertvorstellungen in beiden Ländern, sondern wegen der historischen Erfahrung Als am 9. Nov. 1989 die Mauer fiel und der Untergang der DDR danach so gut wie sicher aussah, hat die öffentliche Meinung in Finnland der Entwicklung in Deutschland mit gemischten Gefühlen gefolgt Die Gefühle waren nicht wegen dem Ende der DDR gemischt, sondern wegen der möglichen Reaktion der UdSSR Die Stimmung in den Medien war erleichtert und mit gewisser Nachweisheit gefärbt: ‘Ätsch, wir haben schon immer gewusst, dass das kommunistische System bald seinen Untergang erleben wird!’ Und: ‘Was haben wir eigentlich damit zu tun? Überhaupt nichts!’ Die finnischen Medien waren nur fast ausschließlich an den Verbrechen des DDR-Regimes interessiert, aber das Schicksal der Bürger der DDR und die Folgen der sog. Abwicklung der DDR haben nur ganz selten Rubrik erreicht. Die Schwierigkeiten zwischen den Wessis und den Ossis sind natürlich ein Thema für sich auch bei uns geworden ‘Was ist los, wie können die Ossis noch so unzufrieden sein? Warum ist die Unterstützung der Linken so hoch im Osten Deutschlands. Den Ossis geht doch hundertmal besser als allen anderen ehemaligen Kommunisten in Osteuropa?“ In den auβenpolitischen Krisen zwischen Finnland und der Sowjetunion, sowohl in der sog. Nachtfrostkrise 1958/59 als auch in der sog. Notenkrise 1961, spielte die gleichzeitige Spannung in der deutschen Frage, die beiden Berliner Krisen, auf jeden Fall eine Rolle im Hintergrund In seiner Deutschlandpolitik war Finnland jahrzehntelang zwischen dem FSB-Pakt und der Hallstein-Doktrin steckengeblieben Das Ende des Kalten Krieges und die Einheit Deutschlands öffneten für Finnland eine Chance, sich von den Fesseln der Begrenzungen seiner Näutralität zu befreien Den Startschuss gab der Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland, der sog. 2 + 4 Vertrag, der am 12.9.1990 in Moskau unterzeichnet wurde Weil Deutschlands volle Souverenität nun von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges anerkannt worden war, erklärte Finnlands Staatspräsident Mauno Koivisto am 21.9.1990, dass sowohl die Artikel des Pariser Friedensvertrags, die die Stärke der finnischen Streitkräfte begrenzten, als auch die sog. Deutschland-Artikel des FSB-Paktes ihre Bedeutung verloren hatten, und deswegen kündige Finnland sie einseitig Präsident Koivisto hatte sein Manöver ”Operation Pax” genannt; seiner Meinung nach hatte auch Finnland jetzt den endgültigen Friedensvertrag schliessen können. Staatspräsident Mauno Koivisto (geb. 1923), im Amt 1982 - 1994 Natürlich hatte die finnische Regierung diesen Zug sorgfältig vorbereitet und die zwei wichtigsten Parteien des Pariser Friedensvertrtags, die Sowjetunion und Grossbritannien, zumindest im Prinzip gleichzeitig informiert In Moskau weckte der finnische Vorschlag keine Einwände; in London sachlich auch keine, aber das Vorgehen der Finnen protestierten die Engländer heftig; sie hatten nämlich von der Operation zuerst von einem hohen sowjetischen Diplomat erfahren; in der Tat hatte Koivisto selbst den Plan in einer Begegnung mit Gorbatschow geleckt Als diplomatisches Manöver war die Operation Pax jedoch überraschend – und noch mehr, weil Präsident Koivistos Aussenpolitik sonst äusserst vorsichtig gewesen war Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!