Das Modell Finnland: modern und moderat

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Das Modell Finnland: modern und moderat
In vielerlei Hinsicht mögen Finnland und die Finnen etwas Besonderes sein, nicht
selten beneidet und bewundert. Die rohstoffarme Randlage im Nordosten Europas,
der zähe Überlebenskampf gegen einen nicht immer leicht zu ertragenden
russischen Machtanspruch sowie eine in sich geschlossene, oft als unzugänglich
empfundene Kultur haben einen zähen Menschenschlag geformt, der viel leistet und
wenig Aufhebens macht. Nüchternheit und Pragmatismus prägen den Alltag ebenso
wie den politischen Betrieb; wenn ein Ziel als erstrebenswert erkannt worden ist, wird
es auch erreicht.
NORDISCHES KONSENSPRINZIP
Finnland ist, neben der Schweiz, in Europa wohl das Paradebeispiel einer
Konsensdemokratie. Aber die Finnen kommen ohne institutionalisierte Mechanismen
aus. Eine Zauberformel zur Teilung der Macht brauchen sie nicht, ebenso können sie
auf eine zweite Parlamentskammer verzichten. Die Sache läuft viel einfacher: Drei
etwa gleich grosse Parteien, zwei bürgerliche und eine gemässigt linke, dominieren
in der nationalen Politik. Hinzu kommt noch die kleine schwedische Volkspartei als
bürgerliches Korrektiv, mit dem nicht zuletzt auch die Achtung vor der grössten nicht
finnischen Bevölkerungsminderheit ausgedrückt wird. Von den drei grossen Parteien
koalieren jeweils zwei, denen sich die Volkspartei anschliesst. Und so wird Finnland
dann wieder für vier Jahre regiert. In der Regel sehr gut.
Nach den jüngsten Wahlen deutet nichts darauf hin, dass dieser Konsens nicht
erneut funktionieren wird. Der bisherige Regierungschef, Matti Vanhanen, wird im
Amt bleiben, weil seine agrarische Zentrumspartei einen hauchdünnen Vorsprung vor
der konservativen Sammlungspartei hat retten können. Vermutlich werden die beiden
Parteien im Parlament nur gerade durch einen einzigen Sitz getrennt sein. Dies
würde rein rechnerisch für eine Zweier-Koalition reichen. Zusammen mit der
schwedischen Volkspartei ist somit einmal mehr eine höchst stabile Regierung
vorprogrammiert.
ALLE KÖNNEN MIT ALLEN
Vanhanen, ein Archetyp finnisch-korrekter Sprödheit, könnte freilich auch weiterhin
mit den Sozialdemokraten regieren, die von den drei Grossen am meisten Stimmen
verloren haben. Aber eben: Auch dieser Verlust ist mit rund drei Prozentpunkten sehr
relativ. Rein arithmetisch würde sich bei einer Neuauflage dieser Kombination im
Reichstag nämlich kaum etwas ändern. Die Konservativen, die am meisten zulegt
haben und nun in die Regierung drängen, könnten das nicht verhindern. So oder so
hätte Finnland eine beneidenswerte Stabilität. Also wird die grosse Spannung der
kommenden Tage darin bestehen, abzuwarten, ob Vanhanen wirklich ein MitteRechts-Kabinett anstrebt oder aber bei den Sozialdemokraten bleibt. Immerhin würde
ein Ausscheiden der Letzteren bedeuten, dass sie erstmals seit 1962 nicht mehr an
der Macht beteiligt wären.
Natürlich hat auch Finnland schon turbulentere Zeiten erlebt. Die Jahre nach dem
Zusammenbruch der Sowjetunion, in deren Schatten der finnische
Bewegungsspielraum jahrzehntelang stark eingeengt war, erzwangen tiefgreifende
soziale und wirtschaftliche Reformen. Diese waren für viele Finnen mit grossen
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Opfern verbunden. Aber von dieser Gewaltkur profitiert das Land jetzt. Finnland hat
das höchste Wirtschaftswachstum aller Euro-Länder, eine der niedrigsten
Arbeitslosenquoten und ein beneidenswertes Steueraufkommen. Und auch in der
Aussenpolitik gibt es kaum umstrittene Themen. Dies sind die Säulen, auf denen die
politische Stabilität ruht, woraus sich alle vier Jahre wieder ein neuer Konsens
herleiten lässt. So wird gute Politik gemacht. Fast ist man geneigt, von modellhaften
Verhältnissen zu sprechen.
de.
NZZ online, 20.3.07
Hervorhebung H.J.
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