Sterbehilfe in Europa 1 In der Bundesrepublik ist Sterbehilfe nicht Gegenstand expliziter gesetzlicher Regelungen. Im konkreten Fall wird geprüft, ob die den Fremdtötungsparagraphen §211 (Mord), §§212 und 213 (Totschlag) und §216 (Tötung auf Verlangen) zugrundeliegenden Tatbestände erfüllt sind. Der Suizid ist nach deutschem Recht kein Straftatbestand, somit bleibt auch die Beihilfe zum Suizid unter bestimmten Umständen straflos. In den Grundsätzen der Bundesärztekammer heißt es jedoch, dass lebensverlängernde Maßnahmen entsprechend dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten abgebrochen oder ihre Anwendung unterlassen werden kann, »wenn sie nur den Todeseintritt verzögern und die Krankheit in ihrem Verlauf nicht mehr aufgehalten werden kann«. In der Schweiz ist Sterbehilfe ähnlich wie in der BRD nicht explizit durch Gesetz geregelt. Die aktive Sterbehilfe, also die gezielte Tötung eines Menschen zur Verkürzung seines Leidens, ist jedoch nach Artikeln 111 (vorsätzliche Tötung), 113 (Totschlag) und 114 (Tötung auf Verlangen) des StGB strafbar. Der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen in aussichtslosen Fällen ist wie in Deutschland zulässig. In den Niederlanden trat am 1.4.2002 das »Gesetz zur Überprüfung bei Lebensbeendigung auf Verlangen und bei der Hilfe bei der Selbsttötung« in Kraft. Es sieht Änderungen des StGB dahingehend vor, dass die in Artikel 293 (Tötung auf Verlangen) und 294 Absatz 2 (Beihilfe zum Selbstmord) beschriebenen Tatbestände nicht als strafbar gelten, wenn sie von einem Arzt begangen werden, der dabei besondere Sorgfaltskriterien beachtet. Dazu gehört, dass der Arzt zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Patient freiwillig und nach reiflicher Überlegung um Sterbehilfe gebeten hat zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Zustand des Patienten aussichtslos und sein Leiden unerträglich war den Patienten über seinen Zustand und dessen Aussichten informiert hat mit dem Patienten zu der Überzeugung gelangt ist, dass es in dem Stadium keine angemessene andere Lösung gab mindestens einen anderen unabhängigen Arzt hinzugezogen hat, der den Patienten gesehen und sein schriftliches Urteil über die in den genannten Punkten bezeichneten Sorgfaltskriterien abgegeben hat und die Lebensbeendigung medizinisch sorgfältig ausgeführt hat. Spezielle Regelungen gelten für Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, ihren Willen zu äußern, für Patienten zwischen 16 und 18 Jahren sowie zwischen 12 und 16 Jahren. Der Arzt muss sein Vorgehen dem zuständigen Leichenbeschauer melden und einen Bericht vorlegen. Dieser wird von einer Kontrollkommission geprüft, deren Zusammensetzung und Kompetenz durch Gesetz geregelt ist. In Belgien wurde am 16. Mai 2002 ein »Gesetz zur Euthanasie« verabschiedet. Danach ist die Tötung auf Verlangen durch einen Arzt unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Voraussetzung ist, dass der Patient volljährig oder, falls minderjährig, mit hinsichtlich dieser Frage vergleichbarem Rechtsstatus ausgestattet ist (»mineur émancipé«), im Moment seines Verlangens zurechnungsfähig ist und sein Wunsch freiwillig, überlegt und ohne äußeren Druck formuliert wurde. Der Patient muss sich in einer medizinisch ausweglosen Situation befinden, in der ein für ihn anhaltendes, unerträgliches physisches oder psychisches Leid besteht, das durch einen Unfall oder eine schwere und unheilbare Krankheit verursacht ist und nicht gelindert werden kann. Die Rechtmäßigkeit der ärztlichen Tötung auf Verlangen wird dabei an die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens gebunden. So muss der Arzt den Patienten über dessen Gesundheitszustand und Lebenserwartung sowie über therapeutische und palliative Möglichkeiten informiert haben und mit diesem meinsamen Überzeugung gelangt sein, dass es in dieser Situation keine andere »vernünftige Lösung« (»solution raisonnable«) für den Patienten gibt. Der Arzt hat sich in mehreren, über eine angemessene Periode hinweg geführten Gesprächen mit dem Patienten der Dauerhaftigkeit seines physischen oder psychischen Leids sowie seines Sterbewunsches zu versichern. Hinsichtlich der 2 Frage, ob ein anhaltendes, unerträgliches und nicht zu linderndes physisches oder psychisches Leid vorliegt, ist ein zweiter, unabhängiger und in der betreffenden Pathologie kompetenter Arzt zu konsultieren. Der Sterbewunsch des Patienten muss vom Patienten selbst schriftlich aufgesetzt und unterschrieben sein. Ist er dazu nicht in der Lage, kann der Wunsch durch eine Person seiner Wahl, die kein materielles Interesse am Tod des Patienten hat, im Beisein des Arztes niedergelegt werden. Ist nicht zu erwarten, dass der Tod des Patienten in absehbarer Zeit eintreten würde, muss mindestens ein Monat zwischen dem schriftlich gefassten Sterbewunsch und der Tötung auf Verlangen vergangen sein. Jeder Volljährige oder Minderjährige mit hinsichtlich dieser Frage vergleichbarem Rechtsstatus (»mineur émancipé«) kann für den Fall, dass er nicht mehr seinen Willen äußern kann, vorsorglich eine Willenserklärung abgeben, dass ein Arzt an ihm »eine Euthanasie praktiziert«, wenn er an einer schweren und unheilbaren Beeinträchtigung infolge eines Unfalls oder einer Erkrankung leidet, bewusstlos ist und die Situation nach aktuellem Stand der Wissenschaft irreversibel ist. In der Willenserklärung können in einer Präferenzordnung eine oder mehrere Vertrauenspersonen benannt werden, die in die Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens einzubinden sind. Im Fall der andauernden physischen Unfähigkeit, selbst eine solche Willenserklärung zu verfassen, kann diese von einer vom Betroffenen gewählten Person aufgesetzt werden, die kein materielles Interesse am Tod des Patienten hat. Ein Arzt, der im Falle eines schwer, unheilbar und irreversibel Kranken, der bewusstlos ist, auf der Grundlage einer solchen Willenserklärung »eine Euthanasie praktiziert«, handelt auch hier rechtmäßig, sofern er bestimmte Verfahrensregeln einhält. Zu diesen zählt, dass er zur Einschätzung der medizinischen Situation einen zweiten Arzt und zur Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens die in der Willenserklärung genannten Personen konsultiert hat. Jede praktizierte Tötung auf Verlangen ist von einer einzurichtenden »Föderalen Kontrollund Evaluations-Kommission« registrieren und bewerten zu lassen. Diese hat zu beurteilen, ob die Bedingungen und die jeweils vorgesehenen Verfahrensregeln für eine legale Tötung auf Verlangen erfüllt sind. Kommt eine Zweidrittelmehrheit der 16-köpfigen Kommission (8 Mediziner, 4 Juristen und 4 unmittelbar mit der Problematik unheilbar Kranker befasste Personen) zu dem Schluss, dass diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, ist der Fall an den zuständigen Staatsanwalt weiterzuleiten. Aus: Report Psychologie 11-12/2002 Diesen Text finden Sie auch im Internet unter der Adresse www.BDP-Verband.org/bdp/idp/2002-4/01.shtml ______________________________________________________________________________________ HERAUSGEBER: BERUFSVERBAND DEUTSCHER PSYCHOLOGINNEN UND PSYCHOLOGEN e.V. 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