Michael Habecker Ken Wilber: Grundlagenkonzepte Die vier Quadranten aus: Ken Wilber, Eine kurze Geschichte des Kosmos, Fischer 1997, S. 106 Bei seiner Suche nach einer Gesamtschau "des Ganzen", nach einem Modell, welches all das, was Wissenschaft im weitesten Sinn (Natur- Geistes- und angewandte Religionswissenschaft) im Laufe der Menschheitsgeschichte an Kenntnissen angehäuft hat, aufnehmen und ordnen kann, fand Ken Wilber eine verblüffend einfache Darstellung, das Modell der vier Quadranten. Wie er auf dieses Modell gekommen ist beschreibt er in Eine kurze Geschichte des Kosmos (Fischer 1997, S. 104f): "...wenn Sie sich die verschiedenen Theoretiker des »neuen Paradigmas« ansehen, von den Holisten über die Ökofeministinnen und die Tiefenökologen bis zu den Systemdenkern, dann stellen Sie fest, dass sie alle verschiedene Formen von Holarchien, von Hierarchien anbieten. Selbst die antihierarchischen Ökophilosophen bieten ihre eigene Hierarchie an, meist etwa in der Form: Atome sind Teile von Molekülen, diese Teile von Zellen, diese Teile von individuellen Organismen, diese von Familien, diese von Kulturen und diese schließlich Teil der ganzen Biosphäre. Dies ist ihre grundlegende Hierarchie, ihre grundlegende Holarchie, und bis auf eine gewisse Unklarheit, was genau mit »Biosphäre« gemeint sein soll, ist dies eine recht treffende Holarchie. Ebenso propagieren orthodoxe Forscher ihre Hierarchien. Man findet Hierarchien in der ethischen Entwicklung, in der Ichentwicklung, in der kognitiven Entwicklung, in den Selbstbedürfnissen, in Abwehrmechanismen und so weiter. Auch diese sind wohl weitgehend zutreffend. Weiterhin findet man Entwicklungsholarchien in allen möglichen Denksystemen vom Marxismus über den Strukturalismus und die Linguistik bis zur Computerprogrammierung - es ist endlos. Mit anderen Worten: Ob dies erkannt wird oder nicht, die meisten Landkarten der Welt, die bisher vorgelegt wurden, sind in der Tat holarchisch, und zwar aus dem einfachen Grund, dass Holarchien unvermeidlich sind (weil Holons unvermeidlich sind) [Zum Begriff der Holons siehe Grundlagenkonzepte: Holons]. Es gibt buchstäblich Hunderte und Aberhunderte solcher holarchischer Landkarten aus der ganzen Welt, aus Ost und West, Nord und Süd, alte und neue, und viele dieser Landkarten berücksichtigen auch den Kartographen. Ich habe also irgendwann einmal begonnen, alle diese holarchischen Landkarten, herkömmliche und neuzeitliche, östliche und westliche, vormoderne, moderne und postmoderne, von der Systemtheorie bis zur Großen Kette des Seins, von den buddhistischen Vijnanas bis zu Piaget, Marx, Kohlberg, den vedantischen Koshas, Loevinger, Maslow, Lenski, Kabbala und so weiter in Listen zusammenzufassen. Ich hatte buchstäblich Hunderte von solchen Landkarten, und sie bedeckten bei mir den ganzen Fußboden. Zuerst dachte ich, dass sich alle diese Landkarten gewissermaßen auf dasselbe Gebiet bezögen. Ich glaubte, dass sie verschiedene Versionen einer letztlich ähnlichen Holarchie darstellten. Es gab einfach zu viele Ähnlichkeiten und Überschneidungen. Ich hoffte, durch Vergleichen und Gegenüberstellen die eine und grundlegende Holarchie finden zu können, die sie alle auf ihre eigene Weise abzubilden versuchten. Je länger ich dies versuchte, desto deutlicher wurde, dass dies nicht gelingen konnte. All diese verschiedenen Holarchien besaßen gewisse unleugbare Ähnlichkeiten, unterschieden sich aber auch in einer grundlegenden Weise. Nur: welcher Art diese Unterschiede genau waren, war einfach nicht zu erkennen. Besonders verwirrend war, dass bei einigen dieser holarchischen Landkarten die Holons mit fortschreitender Entwicklung größer wurden, bei anderen dagegen kleiner (ich hatte damals noch nicht erkannt, dass Evolution mehr Tiefe und weniger Spanne erzeugt). Es war ein großes Durcheinander, und mehrmals war ich nahe daran, den ganzen Kram hinzuwerfen, weil diese Untersuchungen einfach zu nichts führten. Aber irgendwann dämmerte mir, dass es sich letztlich um vier verschiedene Typen von Holarchien, von holistischen Abläufen handelte. Ich glaube in der Tat nicht, dass dies schon einmal jemandem aufgefallen ist - vielleicht weil es so unglaublich einfach ist. Mir jedenfalls war es neu. Als ich alle diese Holarchien in diese vier Gruppen einordnete, was dann keine Schwierigkeit mehr war, wurde mir sofort klar, dass jede Holarchie in jeder Gruppe sich in der Tat mit demselben Gebiet befasst, während es insgesamt gewissermaßen vier verschiedene Gebiete gibt [die vier Quadranten]... Die Frage war dann, in welchem Zusammenhang diese vier Typen von Holarchien stehen. Es konnten ja nicht völlig verschiedene holistische Abläufe sein. Sie mussten irgendwo gemeinsame Berührungspunkte haben. Schließlich entdeckte ich, dass diese vier Quadranten eine unglaublich einfache Grundlage haben. Diese Vier Typen von Holarchien haben einfach mit der Innenseite und der Außenseite eines Holons in seiner individuellen und kollektiven Form zu tun - und damit hat man die vier Quadranten. Innen und außen, Singular und Plural - zwei der einfachsten Unterscheidungen, die man treffen kann! Und diese ganz einfachen Merkmale, die in allen Holons vorhanden sind, liefern diese Vier Quadranten, wie ich jedenfalls meine. Alle diese vier Holarchien betreffen reale Aspekte von realen Holons, weshalb diese Vier Typen von Holarchien spontan und unvermeidlich auf den verschiedenen Landkarten in der ganzen Welt erscheinen. Diese vier Ecken des Kosmos sind offensichtlich sehr grundlegende Wirklichkeiten." Das 4-Quadranten Modell von Ken Wilber Der obere linke Quadrant beinhaltet die innerlich-individuellen Aspekte des Bewusstseins, wie sie von der Entwicklungspsychologie studiert werden, sowohl in ihren konventionellen wie auch in ihren kontemplativen Erscheinungsformen. Der obere rechte Quadrant beinhaltet die äusserlich-individuellen Aspekte des menschlichen Bewusstseins, wie sie von der Anatomie, Neurologie, den kognitiven und behavioristischen Wissenschaften studiert werden. Der untere linke Quadrant beinhaltet die innerlich-kollektiven Aspekte des menschlichen Bewusstseins, wie sie von den Kulturwissenschaften studiert werden: kulturelle Psychologie und Antropologie. Der untere rechte Quadrant beinhaltet die äusserlich-kollektiven Aspekte des menschlichen Bewusstseins, wie sie von der Soziologie studiert werden. Die westliche Kultur tendiert zu einer Überbetonung der rechtsseitigen Quadranten (Gehirnforschung, Soziologie), und negiert die linksseitigen Quadranten (Introspektion, menschliche Kultur, Innerlichkeit, Tiefe, Werte, Qualität). Dies bezeichnet Ken Wilber als "Flachland". Das integrale Modell des Bewusstseins bringt unter Hinweis auf die Bedeutung der linksseitigen Quadranten diese Einseitigkeit wieder ins Gleichgewicht. Alle Quadranten interagieren und entwickeln sich miteinander ("tetra-Evolution"). Eine gegebene Stufe individueller Entwicklung (z.B. die des abstrakten Denkens) findet ihren Niederschlag in einer Stufe neurologischer Entwicklung (z.B. dem Neokortex), einer Stufe kultureller Entwicklung (z.B. der "vernünftigen" Gesellschaft) und einer Stufe der sozialen Entwicklung (z.B. Industrialisierung). Jeder Quadrant beinhaltet Ebenen/Stufen. Die Kombination der Quadranten mit den Ebenen gibt den "alle Quadranten, alle Ebenen" Ansatz der Integralen Philosophie.