was wollen wir spielen

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WAS WOLLEN WIR SPIELEN
oder: Triumph des Brotes
Spiel in zehn Szenen
Von Martin Speck
Ort: Das Werner-Heisenberg Gymnasium zu Herne
Zeit: 1982/1983
PERSONEN:
a) Die Pädagogen
Hans-Jochen Ruhmesthäler, Ende 40, lehrt Literatur und Religion
Jörg Märzbusch, Mitte 30, lehrt Musik und Sozialwissenschaften
b) Die Schüler im Literaturkurs (alle 17-19)
Marcus Bex
Heinz Flemmig
Christine Seiler
Karl-Friederich Sabotnik
Stefan Matuszinski
Hubert Schmitz
Klaus Schleiminger
Astrid Redemann
Lars „Was“ Mallitza
Horst von Stahl
(im Original Statist 2)
Karin Flüstek
(im Original Statistin 1)
c) Die Orchestermusiker
Sandra Fröhlich, 15
Martin(a) Durchleuchter, 17
Matthias Hehring, 18
Uta Buchholz, 15
(im Original Statistin 3)
d) Sonstiges
Marco Rockmüller, 17, Schüler am Savanni-Gymnasium
Mandy Mallitza, 2 ½, Nichte von Lars
ein Kellner
weitere Statisten je nach Möglichkeit
All rights reserved
helisongs 1984/97
Vorwort zur Szene 1
Die dreiteilige Exposition startet mit der zweiten Unterrichtsstunde des Literaturkurses. Die Hauptdarsteller
hatten die allererste Stunde wegen einer Klassenfahrt nach Düsseldorf versäumt. (Düsseldorf-Fahrten ziehen sich
als running-gag durchs gesamte Theaterstück). Die handlungsarme Szene 1 stellt die meisten wichtigen Personen
vor: das blasiert-arrogante Muttersöhnchen Marcus Bex, der das Schultheater nur als Ort der Selbstdarstellung
benutzen möchte, den nihilistischen Heinz Flemmig, die bürgerliche Ausgeflippte Christine Seiler, in die
Marcus Bex immer noch heimlich verliebt ist, Stefan Matuszinski, der den mühsamen Weg vom
Mittelstufenrowdy zum Oberstufenschüler mit Mühe und Not geschafft hat - und als Staffage den Kursleiter
Hans-Jochen Ruhmesthäler, durch jahrelanges Lehrerdasein zum jovial-zynischen Alkoholiker
geworden, den Schleimer Klaus Schleiminger, den treudoofen Witzbold Hubert Schmitz, die Sabbeltante
Astrid Redemann sowie den „Mephisto“ Karl-Friedrich Sabotnik, dessen teuflisches Spiel aber erst – wie
die Idee dazu – in Szene 3 beginnt. Inhaltlich geht es um Bilder und Vorstellungen vom Theater, um
Diskussionen um der Diskussion willen und viele Insider-Anspielungen aus dem Schulbereich.
Die 1997 neu erstellten oder überarbeiteten Textpassagen sind kursiv gekennzeichnet. Neu sind die Figur Lars Mallitza als
schwerhöriger Tontechniker und die Benennung der Statistenrollen.
SZENE 1
Szenario: Ein Klassenraum
Personen: Haupt:
Hans-Jochen Ruhmesthäler, Marcus Bex, Heinz Flemmig, Stefan Matuszinski, Christine
Seiler, Hubert Schmitz, Lars „Was“ Mallitza
Statisten: Klaus Schleiminger, Karin Flüstek, Astrid Redemann, Karl-Friedrich Sabotnik,
Horst von Stahl (je nach Möglichkeit weitere Statisten)
Sprachgestus: Falls nicht anders erwähnt, naturalistisch
BEX:
Nein, nein, das ist es nicht...kann es nicht sein! Einen Literaturkurs an einer Schule anzubieten
ist schon eine Frechheit an und für sich. Theater und Schule haben nichts miteinander zu tun.
Rein gar nichts. In dieser vermoderten, staubigen Atmosphäre kann doch keine Kunst
gedeihen....Wißt ihr, ich kann mir schon genau vorstellen, wie das hier abgeht, jetzt, wo unsere
erste Stunde noch nicht einmal angefangen hat. Schaut euch doch nur mal den ergötzlichen
Namen unseres zukünftigen Pädagogen an! Der modert ja schon auf dem Papier:
Hans-Jochen Ruhmesthäler!
FLEMMIG:
(bayerisch) Wie hoast der ?!
MATUSZINSKI: Ruhmesthäler. Hab´ ihn ma´n halbes Jahr in Relli gehabt...mir is´ jetzt noch schlecht.
BEX:
Ach! Dürfte ich fragen, was du dann in diesem Kurs suchst ? Und was du willst ?
MATUSZINSKI:Fünf Punkte... und viel, viel schlafen... (legt sich auf einen Tisch) Gute Nacht, die Herren!
FLEMMIG:
(wie oben) ´luja sog ´ i !
SEILER:
(tritt zu den dreien, piekt BEX in die Seite) Na, du altes Ekel, auch hier ?! Ey, du hast doch
Musik, warum denn auch noch den Theaterkurs?
BEX:
(verlegen) Weiß nicht....noch nicht. Wenn´s mir nicht gefällt, kann ich ja immer noch gehen.
Die Punkte brauch´ ich jedenfalls nicht.
MATUSZINSKI:(im Liegen) Jeder braucht Punkte.
BEX:
Ich nicht.
SEILER:
Traumtänzer. (tanzt fort)
RUHMESTHÄLER tritt auf
2
Was wollen wir spielen
Szene 1
FLEMMIG:
(hanseatisch) Geht´s jez loos?
RUHMESTHÄLER:
Tach. (setzt sich, verschwindet mehr oder weniger hinter Papieren)
ALLE SCHÜLER:
(mehr oder weniger) Moin !
RUHMESTHÄLER:
Nu, mir scheint, auch die Damen und Herren, welche durch die Klassenfahrt nach
Düsseldorf um den Hochgenuß unserer allerersten Zusammenkunft gebracht wurden
geben uns heute die Ehre...darf ich mal sehen...
(MATUSZINSKI, BEX, FLEMMIG, REDEMANN und FLÜSTEK zeigen
auf. MATUSZINSKI hebt auch noch den Arm von MALLITZA hoch.)
...danke sehr. Zu Ihrer Information, wir haben letzten Dienstag unseren demokratischen Pflichten Genüge getan und einen Kursussprecher gewählt...und das ist
der allseits beliebte Herr Schmitz....
SCHMITZ:
(steht auf, winkt)
EINIGE:
(gröhlen) Höhöhöhö!
RUHMESTHÄLER:
...irgendwelche Einwände, danke. Hubert, kannst Dich wieder setzen, das Volk liegt
dir zu Füßen.
SCHMITZ:
(setzt sich)
RUHMESTHÄLER:
So, das war die Geschichte...was hatt´n wir denn dann verbrochen....Klaus, sach´ ma,
ich hab´ vergessen.
SCHLEIMINGER:
Äh, ja, sie, sie hatten uns gefragt, äh, ob wir schon einmal im Theater waren...
RUHMESTHÄLER:
...eine peinliche Befragung in der Tat. Liebe Ex-Düsseldorfer, ich möchte heuer dieses
Spielchen meinem angegriffenem Kreislauf ersparen, also: in medias res.
(schneller) Was wollt ihr hier machen ?
SCHMITZ:
(ruft) Ey, Heinz, die Gretchenrolle ist noch frei, hehehehe !
EINIGE:
(gröhlen) Höhöhöhö!
FLEMMIG:
(dreht sich um) Hoalts Maal, damischer Bua, damischer !
RUHMESTHÄLER:
Aha, den Herrn Flemmig haben wir hier. Heinz, was möchtest Du denn (.... )
übernehmen ?
(Keine Reaktion)
RUHMESTHÄLER:
Zur Information: Wir besitzen bis jetzt zwei potentielle Schauspieler, einen ebenso
Bühnenarbeiter und zwei aus der Gattung der „weiß nicht“.
FLEMMIG:
Weiß nicht.
RUHMESTHÄLER:
(verzieht das Gesicht) Mhm...
FLEMMIG:
Sach´ ich ihn´später.
RUHMESTHÄLER:
Dann Stefan Matuszinski bitte.
MATUSZINSKI:
Hier is´ doch auch richtiger Unterricht, oder...?
RUHMESTHÄLER:
Inwiefern ?
3
Was wollen wir spielen
Szene 1
MATUSZINSKI:
Ja, ich mein, ich kann ´n Referat machen, oder so. Ganz am Ende des Jahres, über das
Stück, oder so.
RUHMESTHÄLER:
Aha. (notiert) So, dann der Herr Bex....Ah, wir kennen uns doch ?
BEX:
Äh, nicht das ich wüßte, nein.
RUHMESTHÄLER:
Sie haben doch da mal etwas gesungen, warten Sie...(singt) „WHG, dieses WHG...“
EINIGE:
(lachen)
BEX:
Auffallend richtig...und darum würde ich gerne auch hier was mit Musik machen,
falls sowas vorkommt. Und natürlich würde ich auch gerne eine Rolle spielen.
SCHMITZ:
Du spielst überhaupt keine Rolle, hehehehe.
RUHMESTHÄLER:
Hubert, komm, is´gut jetzt. (notiert, murmelt:) ...was mit Musik....
Und Sie ?
FLÜSTEK:
Souffleuse.
RUHMESTHÄLER:
(zu MALLITZA) Und dieser nette Herr mit dem Kopfhörer ? (Keine Reaktion)
MATUSZINSKI:
Das ist Lars Mallitza. Aber alle nennen ihn nur Lars „Was“. Er hört etwas schwer.
BEX:
Aber er ist ein ausgezeichneter Toningenieur .
RUHMESTHÄLER:
Ist er das ? (laut) Herr Mallitza, würden sie gerne die Tontechnik übernehmen ?
MALLITZA:
(nimmt kurz die Kopfhörer ab) Was ?
RUHMESTHÄLER:
Scheint mir eine vortreffliche Wahl. Ein schwerhöriger Tonmann. (notiert)
SCHMITZ:
Und Stevie Wonder macht die Beleuchtung, hehehe...
RUHMESTHÄLER:
Herr Schmitz, zur Klärung, es heißt „Kursussprecher“, nicht etwa
„Kursushineinrufer“! (zu REDEMANN) Jetzt noch Frau Redemann, bitte.
REDEMANN:
Äh, Bühnenbild, ach quatsch, nein doch, Bühnenbild.
RUHMESTHÄLER:
(schreibt wieder) Schön. Dann hatte ich sie gebeten, sich zu Hause mal ein
Theaterstück zu überlegen, welches wir zur Aufführung bringen könnten. Ich
halte auch die vormals Düsseldorf-verhinderten Damen und Herren für intelligent
genug, hierbei extempore mitzuarbeiten.
SCHMITZ:
(meldet sich)
RUHMESTHÄLER:
Ja ?
SCHMITZ:
Ja, äh, Herr Rühmesthäler, sie haben in den letzten Jahren immer so alte Schinken
gespielt, wa ja auch teilweise ganz lustig so, aber sowas wie Ohnesorgtheater gefällt
den Leuten doch besser, nich ? Kennse doch, mit die Heidi Kabel und so...
RUHMESTHÄLER:
(lacht und druckst herum)
SCHMITZ:
Ja, wieso, is´ doch so...
RUHMESTHÄLER:
Klaus ?
4
Was wollen wir spielen
Szene 1
SCHLEIMINGER:
Ich hatte vorige Woche im Städtischen Schauspielhaus „Liebe leidet mit Lust“ von
Shakespeare gesehen. Das ist über dem Millowitsch-Niveau und kommt trotzdem
gut an...so etwas würde mir schon gefallen.
RUHMESTHÄLER:
(notiert) Gut. Noch was ?
SABOTNIK:
(ruft) Alle Macht den Räten !
MALITZA:
Was ?
FLEMMIG:
Von wem is´n das ?!
EINIGE:
(lachen)
RUHMESTHÄLER:
Marcus ?
BEX:
Ich bin dafür, selbst ein Stück zu schreiben. Erstens könnte man auch die Leute einspannen, denen das Schriftliche mehr liegt. Und in ein eigenes Stück kann man viel
mehr hineinlegen, was uns, uns ganz persönlich anne Nieren geht. Fernerhin kann man
alles integrieren, was die Schule so hat: Tanz, Orchester, Dias, Film...Songs...
FLEMMIG:
Tafelschwamm, Notenbuch, Feuermelder und Putzfrau.
ALLE:
(lachen)
MATUSZINSKI:
Und wer soll das schreiben ? Jeder ´n Satz ?!
RUHMESTHÄLER:
(notiert, murmelt:) ...was eigenes......Noch Vorschläge ? Bitte.
SABOTNIK:
Etwas von Brecht. Brecht ist gut. Ich habe jedwelches Stück von Brecht gelesen.
Brecht hat recht.
RUHMESTHÄLER:
So...hat er das. - Ja, bitte ?
VON STAHL:
Was Deutsches. Deutsche Kultur. Goethe, oder...oder, äh....äh...Goethe.
SABOTNIK:
Ist Brecht nicht deutsch ?!
VON STAHL:
Nein, ausse DDR.
SABOTNIK:
Idiot.
MALLITZA:
Was ?
SCHMITZ:
Ich find´, wir sollten mal darüber reden, warum wir nichts von Millowitsch oder so
spielen könnten. Das geht nicht in mein´ Schädel !
SABOTNIK:
Alles Volksverdummung.
FLÜSTEK:
Was, Volksverdummung, glaubst Du im Ernst, die Leute kommen zu unserer Aufführung um etwas zu lernen ? Die wollen dein komisches Gesicht sehen, sonst nichts !
REDEMANN:
Ja, genau, die kommen hierhin, wie sie auch zur Elternversammlung gehen, ach
quatsch, ja, doch, Elternversammlung gehen !
SCHLEIMINGER:
Das hieße also doch „Willi“ zu spielen, damit sie sich wie vorm Fernseher fühlen ?!
SCHMITZ:
Willi Shakespeare, wa Klaus ?
5
Was wollen wir spielen
Szene 1
(Von „Was Deutsches...“ an bilden sich Diskussionsgrüppchen, die zu murmeln anfangen, nach und nach
immer lauter. Der nun folgende Text wird stilisiert gegen den Geräuschpegel gesprochen oder gesungen.)
SABOTNIK:
FLEMMIG:
MATUSZINSKI:
SABOTNIK:
MALLITZA:
RUHMESTHÄLER:
Brecht hat Recht
Tafelschwamm, Notenbuch, Feuermelder, Putzfrau.
Jeder braucht Punkte.
Idiot.
Was?
(sowie weitere ähnliche Textfetzen. Dazu von Zeit zu Zeit:)
Noch was ? Noch Vorschläge ? Noch was ?
(BEX und SEILER werden irgendwie exponiert, während die anderen weiterdiskutieren, allerdings nun
stumm, nur die Bewegungen, auch Mundbewegungen bleiben. Der Geräuschpegel sollte bei den nun
folgenden Zeilen schon auf Null sein.)
BEX:
Du spielst auch, Christine ?
SEILER:
Keine Ahnung... Wenn´s mir Spaß macht, bestimmt...ansonsten...
BEX:
Wohnst Du eigentlich noch zuhause ?
SEILER:
Momentan noch, demnächst will ich aber bei einer Cousine von Marco einziehen.
Marco Rockmüller vom Savanni-Gymnasium... den kennste doch noch?
BEX:
(unwillig) Hör´ mir bloß auf mir dem! (spöttisch) Barocky!
SEILER:
Du, das ist ein ganz lieber Mensch, nur irgendwie so leicht kaputt, so in zwei Hälften
gespalten...
BEX:
Hattet... ihr nicht mal was miteinander?.
SEILER:
Sei nicht so neugierig...also, Marco´s eine Hälfte ist genau wie wir...im Verhalten,
mein´ ich jetzt, aber...wenn er spricht...total sein Alter...mit dem kann man sich so
herrlich über Erziehung streiten...sag´ mal, warum haben wir eigentlich seit
Ewigkeiten nicht mehr geredet ?
BEX:
Ähhh...wir haben uns doch...kaum gesehen, andere Kurse...und so...
SEILER:
Oft genug, um wenigstens mal „Hallo!“ zu sagen...Aber immer, wenn ich dich
gesehen habe, haste die „Ich kenn´ ja überhaupt keinen“ – Fläppe aufgezogen
und bist so (macht eine Geste) an mir vorbeigerauscht...!
BEX:
Na ja, wahrscheinlich...war ich...beschäftigt gewesen...
SEILER:
Ich glaube, wir haben noch viel zu lernen...Vielleicht war das Jahr Pause gar nicht
schlecht...
(Beide setzen sich wieder. An ihrer Stelle werden nun FLEMMIG und MATUSZINSKI exponiert)
MATUSZINSKI:
Booh, das Gelaber is´ total für´n Arsch, nachher setzt er uns sowieso was vor,
wart´s ab!
FLEMMIG:
Jo, jo, wird sein und soll sein.
MATUSZINSKI:
Hätte jetzt endlich mein WIWI-Referat machen können, aber nein, muß mir diesen
Kasperkopp anhören. Wenn ich bis Freitag das Referat nich hab´, hängt der Stein.
mich auf !
FLEMMIG:
Jo, jo, der Stein, der Stein wird´s schon ins Rollen bringen...
6
Was wollen wir spielen
Szene 1 / Szene 2
MATUSZINSKI:
Normalerweise ist das ganz easy beim Stein: Du knallst ihm ´n Stichwort hin, was
weiß ich, Dollarkurs oder Inflation, und er macht ein auf Alleinunterhalter, labert
die ganze Stunde. Aber einmal im Jahr musse wat tun, sonst hängste total durch.
FLEMMIG:
Jo, jo, jeder braucht Punkte.
MATUSZINSKI:
Ach, geh´ mir nicht auf´m Zeiger.
(Ende Verfremdung. Szenario wie zu Beginn.)
Nu, meine Damen und Herren, es war eine äußerst ertragreiche Diskussion –
zur nächsten Stunde lest ihr euch mal folgendes durch (zeigt auf einen Papierstapel)
und macht euch mal ein paar Gedanken dazu, denn das wird unser Stück.
Gleichzeitig könnten sich die potenten Schauspieler unter euch zusammensetzen und
die Szene 4 zu spielen versuchen. Klaus, teil´ ma aus.
(SCHLEIMINGER tut es)
Das war´s, angenehm´ Tach noch. (packt, geht ab)
RUHMESTHÄLER:
(Allgemeine Unruhe. Folgender Text im Abgehen)
SEILER:
Ey, was soll´n das ?!
MATUSZINSKI:
Was hab´ ich gesagt ??!
FLÜSTEK:
Ja, werd´ ich denn bescheuert ?
SCHMITZ:
Der hat se nicht mehr alle auf´m Zaun !
BEX:
So eine miese Verlade !
(Und ähnliche Ausdrücke)
Ende Szene 1
Vorwort zu Szene 2
Die Exposition des Stückes hat einen Wasserkopf: sowohl Personen als auch Handlung der Szene 2 sind durchaus verzichtbar. Lediglich Marcus Bex´ Intrigenspiel zum Schluß der Szene integriert/intrigiert dieselbe in den
dramaturgischen Fortgang. Sehen wir Szene 2 lediglich als Hommage an Schulorchester, Musik und MultiMedia auf Pennäler-Niveau: Den stets untergebutterten Theatermusikern wird hier endlich einmal eine Plattform
gegeben. Dafür, daß es nicht zu langweilig wird, sorgt in erster Linie Matthias Hehring, dessen Klamauk von
den trockenen Bemerkungen seines Pendants Martin(a) Durchleuchter konterkariert wird. Ansonsten: viele
Anspielungen, ein Irrgänger, die etwas andere Methodik des Jörg Märzbusch (vgl. Ruhmesthäler in Szene 1)
und ein halbwegs geglückter Schlußmonolog.
SZENE 2
Szenario: Wie vorher
Personen: Haupt:
Jörg Märzbusch, Sandra Fröhlich, Martin(a) Durchleuchter, Matthias Hehring.
Später Lars „Was“ Mallitza. Gegen Ende Marcus Bex.
Statisten: Uta Buchholz (im Original Statistin 3). Je nach Möglichkeit weitere Statisten
Sprachgestus:
Bis auf Hehring und den ersten Text von Märzbusch naturalistisch.
7
Was wollen wir spielen
Szene 2
(Die Musiker, die sich bei Szenenbeginn lose im Raum herumflegeln, nehmen bei MÄRZBUSCHS
Auftritt eine stramme, geordnete Aufstellung ein. MÄRZBUSCH spricht zunächst übertrieben feierlich,
ernst, streng, man muß merken, daß es nur Ironie ist.)
MÄRZBUSCH:
Ja, meine Damen und Herren, ich begrüße Euch recht herzlich zu unserer neuen...
Saison, muß man ja fast schon sagen,...wie schon im letzten, vorletzten und drittletzten Jahr so soll auch diesmal unser vielgerühmtes Schulorchester zur Verschönerung und Abrundung der Theatervorstellung des hiesigen Literaturkurses beitragen
und den Ruhm unserer Schule mehren. Ich möchte der Hoffnung Ausdruck verleihen,
daß erneut die fruchtbare Zusammenarbeit viele schöne künstlerische Blüten hervorbringt. Im übrigen verweise ich auf meine Ansprachen im letzten, vorletzten und
drittletzten Jahre. Ich sehe viele vertraute Gesichter, möchte mich aber trotzdem
vorstellen: Märzbusch mein Name, Jörg Märzbusch.
(Die Haltung der Musiker bricht zusammen. Lachen. Märzbusch von nun an normal, mit einer Portion
Kollegialität.)
MÄRZBUSCH:
Ich glaub´, großartig diskutieren, ob wir teilnehmen, brauchen wir wohl nicht mehr...
immerhin ist unsere Mitwirkung beim Theater fast schon so eine Institution wie die
Musikklausur geworden...
(Einige stöhnen)
FRÖHLICH:
Herr Märzbusch, ich möchte wohl noch mal drüber reden! Soll´n wir nicht lieber
wieder so´n eigenes Konzert machen? Beim Theater hört uns doch keiner zu!
BUCHHOLZ:
Mit wem denn, du Nase ?! Kuck dich doch mal um!
MÄRZBUSCH:
Sie hat leider recht, Sandra, zu viele Musiker sind abgegangen. Oder abgegangen
worden. Ein Konzert wie das im letzten Jahr wird es wohl auf absehbare Zeit nicht
mehr geben... schade eigentlich. Nun, das ist unser Problem, die Abgänge, die Rücktritte...eine kontinuierliche Arbeit ist so gut wie unmöglich. Was allerdings möglich
wäre: eine Darbietung im kammermusikalischen Rahmen. Vor entsprechendem
Publikum.
EINIGE:
Nöh !
MÄRZBUSCH:
Hast Du denn inhaltliche Einwände gegen die Theatermusik?
FRÖHLICH:
Steht die denn schon fest?
MÄRZBUSCH:
Ich meinte nicht die Musik selbst, sondern unsere Beteiligung am Theater.
FRÖHLICH:
Ach so. Ja, wir als Musiker werden immer untergebuttert, und...und diese Schauspieler können uns auch nicht ausstehen! Immer sagen sie, es klingt falsch, zu laut,
und ob man das Ganze nicht ohne Musik machen kann!
MÄRZBUSCH:
Laß sie reden, Sandra. Herr Ruhmesthäler weiß ganz genau, was er an uns hat, sonst
würde er uns nicht immer wieder fragen, oder? Genau wie die Tanzgruppe von Frau
Salzig. Die Gesamtwirkung....
HEHRING:
Gesamteinwirkung, genau! Multi-Media, weißt Du? Die Musiker spielen immer genau
das, was keiner erwartet, verstehste, den absolut totalen V-Effekt, das bringt den
Super-Power! Siehst du, wenn die Schauspieler so über die Bühne gehen (er tut es)
und ihre Sprüchlein sagen, was, was tun dann die Musiker ? Hä ?? Sie sitzen total
gelangweilt herum (er macht es vor) , vielleicht ´ne Zigarette an, einer am pennen,
verstehste mich. Das ist der totale Kontrast, die Super-Spitzen-Show, hehe.
8
Was wollen wir spielen
Szene 2
DURCHLEUCHTER:
Ist es nicht vielmehr die, äh, Integration von Bühne und Musik beim Gesamteindruck?
MÄRZBUSCH:
Ja, das würde ich allerdings auch sagen!
HEHRING:
Die Integration, genau, es ist die Integration! Wenn nach der Szene die Musik kommt,
alle am klatschen (er klatscht:) ba, ba, ba, ba, ...dann...integriert sich die Musik über
das Klatschen mit den Theater, verstehste. Und wenn die Schauspieler...
DURCHLEUCHTER:
Hehring, hör´ auf zu lullen.
HEHRING:
(grinst verlegen) Ehe...he...
(MALLITZA tritt ohne anzuklopfen ein, mit Kopfhörer, setzt sich ohne zu schauen auf einen leeren Platz.
Erblickt dann MÄRZBUSCH, schaut sich verwundert um. Nimmt den Hörer ab.)
MALLITZA:
Oh...ist jetzt nicht Physik ?
DURCHLEUCHTER:
Die sind heute, äh, in Düsseldorf, Lars !
MALLITZA:
Warum sagt einem das denn keiner. (Kopfhörer auf, geht ab.)
MÄRZBUSCH:
Vielleicht können wir durch ein besonderes, ausgewähltes Musikprogramm die Aufmerksamkeit ein wenig auf uns lenken. Was wollen wir spielen? Das Theaterstück in
diesem Jahr heißt „Triumph des Brotes“ von Eugéne Cheaucescu. Es gehört in den
Bereich des absurden Theaters, das heißt: viel Klamauk, unzusammenhängende Sätze
und man kann es beim besten Willen nicht verstehen.
DURCHLEUCHTER:
Zu Deutsch, so wie die, äh, Musikstunden, bei einem gewissen Herrn, äh, Märzbusch.
EINIGE:
(lachen)
MÄRZBUSCH:
(lacht) Noch verrückter, Martin(a), noch verrückter.
FRÖHLICH:
Halt, stop, moment mal, wieso steht das Stück denn schon fest? Ich hab´ gehört,
die diskutieren noch drüber?!
MÄRZBUSCH:
Stimmt. Richtig.
FRÖHLICH:
Ja, wieso....
MÄRZBUSCH:
Weißt du, Sandra, bei Herrn Ruhmesthäler wird nicht etwa diskutiert, um eine Entscheidung zu treffen, es geht um etwas Höheres: Diskussion um der Diskussion
willen!
DURCHLEUCHTER:
Man lernt, äh, diskutieren.
FRÖHLICH:
Find´ ich beknackt. Echt beknackt.
HEHRING:
Weißt du, das ist was Höheres, das lernt man erst in der...
DURCHLEUCHTER:
...in der deformierten Oberstufe...und jetzt halt´s Maul, Hehring. (zu FRÖHLICH:)
Der schafft es noch, daß du abgehst, mit seinem Gequatsche. (zu MÄRZBUSCH:)
Ähm, ich melde mich mit einem, äh, konstruktiven Vorschlag: Zu „Triumph des
Brotes“ paßt die, äh, Brotkantate von Händel...damit hätten wir dann gleich den
klassischen Bereich, äh, abgedeckt.
FRÖHLICH:
Warum muß man immer alle Bereiche abdecken?
9
Was wollen wir spielen
Szene 2
DURCHLEUCHTER:
Sonst kriegst Du die Abiturzulassung nicht, Sandy.
MÄRZBUSCH:
Mhm, Martin(a), falls du in der Klausur vor vier Wochen, die ich übrigens schon aus
meinem Auto in mein Zimmer getragen habe...(Applaus)...danke, falls Du da Händel
ebenfalls dem klassischen Bereich zugeordnet haben solltest, sehe ich für deine ganz
persönliche Abiturzulassung schwarz...! Sei´s drum, also etwas aus der Brotkantate.
Und was gibt´s als Aufstrich?
HEHRING:
Immerhin steht Händel den Klassikern näher als zum Beispiel Bach, er wollte nämlich
den gleichen Spitzenstoff wie Haydn, die Schöpfung, kennste, nich? Die wollte
Haydn...nein, Händel, verstehste mich, bearbeiten...und über diesen Super-Stoff eben
stehen sie sich...
DURCHLEUCHTER:
(zum Publikum) Matthias Hehring! Du schaffst es glatt mit der Fülle deiner Worte ein
ganzes Theater zu leeren!
FRÖHLICH:
Ich wüßte da eine modernere Nummer: Von der Gruppe U.B. 50. Bread, Bread,
Wine.
DURCHLEUCHTER:
Ist das etwas, äh, Religiöses?
FRÖHLICH:
Nein, eher etwas, äh, Reggae-öses.
HEHRING:
Franz Schubett. Der Tod und das Brötchen.
MÄRZBUSCH:
Du meinst, das Brot und das Mädchen? Schon notiert, beides.
DURCHLEUCHTER:
Und dazu, äh, spielen wir noch ´ne alte Nummer: Aquarius.
FRÖHLICH:
Was hat das mit Brot zu tun?
DURCHLEUCHTER:
Nicht das allergeringste. Aber...das brauchen wir nicht mehr zu üben!
MÄRZBUSCH:
Sehr schön. Na, da hätten wir doch schon ein attraktives Programm erstellt. Ich werde
über die Woche Notenauszüge besorgen...bei diesem Bread and Wine mußt du mir
allerdings ein wenig helfen, Sandra.
FRÖHLICH:
Na klar. Ich find´ das übrigens gut, so ein Programm gemacht zu haben, wo uns keiner
mehr reinredet.
(Es klopft)
MÄRZBUSCH:
Also, dann bis Montag, und versucht mal, eure Kollegen auch noch...
(es klopft, er stutzt) äh, anzusprechen...heute ist kein Physik, Lars!
BEX:
(tritt auf)
MÄRZBUSCH:
Ach, Marcus, komm´ rein, wir planen gerade die Bühnenmusik.
BEX:
Genau deswegen bin ich hier. Denn ich habe ein paar Liedchen zum Theaterstück
geschrieben.
(Unwilliges Murmeln)
MÄRZBUSCH:
Eigene Songs? So wie das WHG-Lied?
BEX:
Äh...so ungefähr...ja. (schaut FRÖHLICH fasziniert an)
MÄRZBUSCH:
Fein, fein...hast Du schon Aufzeichnungen?
10
Was wollen wir spielen
Szene 3
BEX:
Nur im Kopf. Notenschreiben ist nicht so meine Stärke. Am liebsten würde ich es
ganz alleine machen, ohne Orchester.
MÄRZBUSCH:
Das wird kaum möglich sein. Über das Schreiben der Stimmen allerdings können
wir mal reden....Donnerstag, 4. Stunde?
BEX:
Warten Sie...nein. Der Deutschkurs fährt nach Düsseldorf.
MÄRZBUSCH:
Freitag nach der sechsten?
BEX:
Ähh...ja...ja...geht. Ausnahmsweise.
MÄRZBUSCH:
Okay, Freunde, ich muß jetzt dringend in den Unterricht, also tschüß.
(MÄRZBUSCH ab. Folgender Text der Musiker im Abgehen)
BUCHHOLZ:
Ich will den Quatsch nicht spielen!
DURCHLEUCHTER :
So eine, äh, Scheiße.
(Und ähnliche Bemerkungen. Alle ab bis auf BEX.)
BEX:
Da gehen sie hin, die enttäuschten Seelen...so, sie wollen den Quatsch nicht spielen...
nun, es wird ihnen nichts anderes übrigbleiben. Märzbusch wird sich hüten, meine
Lieder abzulehnen, weiß er doch genau, welchen Stellenwert kreative Schüler in der
Chefetage haben...leider gehört auch dieses Panikorchester dazu. Hüten wird er sich,
auch wenn er selbst die Drecksarbeit machen muß...zwanzig verschiedene Stimmen
für durch und durch unfähige Geräuschemacher zu schreiben...Na, mir bleibt das
Vergnügen und der Auftritt...ein Künstler arbeitet nicht, er läßt arbeiten!
(deklamiert:) Wer Tag für Tag / Und Jahr um Jahr /
Nichts tut, als Noten aufzuschreiben /
Wird schwerlich ein berühmter Star /
Er wird viel eher...Lehrer bleiben! (geht ab)
Ende Szene 2
Vorwort zu Szene 3
Nach Beendigung der 2. Szene stand das Stück vor einer entscheidenden Frage: Entweder es geht Szene
für Szene so weiter, was für ein abendfüllendes Theaterstück substanziell nicht ausreicht, oder es entwickelt
sich eine Crisis, die dramaturgische Möglichkeiten schafft. Ich entschied mich für letztere Lösung. Da
„Triumph“ ohne Vorkonzeption geschrieben wurde, galt es, aus dem Bisherigen irgendetwas – möglichst
absurdes- abzuleiten. So wurde die Mephisto-Figur des Karl-Friederich Sabotnik geschaffen, der bis dahin nur
Statist in Szene 1 war (als einer von zwei politisch extremen Schülern, die ursprünglich im Verlaufe des Stückes
lediglich witzige Wortgefechte hätten liefern sollen), ein linkischer Linker, die Inkarnation der Indoktrination,
dessen Vornamen von Karl Marx und Friederich Engels stammen und dessen Hausname Programm ist.
Dieser Sabotnik versucht die Aufführung des Theaterstücks mit allen Mitteln zu verhindern, da für ihn nur
Brecht wahres Theater ist, und alles andere Opium für´s Volk. In Szene 3 versucht er, einige Schüler auf
seine Seite zu ziehen, (b)recht clever, wie man sehen wird. Zwei interessante Aspekte am Rande: 13 Jahre OstWest-Problematik in unserer damaligen Schulkarriere haben hier, gerade was Verkürzung und Verspottung
sozialistischen Gedankengutes angeht, ihre Spuren hinterlassen - daß auch die BRD Propaganda betrieb, wurde
oft erst später klar. Ja, und dann die Sabotage: Bei einigen „echten“ Theateraufführungen an unserer Schule
konnte man durchaus den Eindruck haben, ein Sabotnik triebe sein Unwesen: Bühnenbilder wackelten,
Mikrophone fielen aus, auch Lampen, Musikinstrumente waren zerlegt, Perücken fielen zu Boden, Schauspieler
rannten mit Bierdosen über die Bühne....hatte der ganze Wahnsinn am Ende doch System?!
11
Was wollen wir spielen
Szene 3
SZENE 3
Szenario: Wie vorher
Personen: Haupt:
Karl-Friederich Sabotnik, Christine Seiler, Heinz Flemmig, Stefan Matuszinski,
Hubert Schmitz
Statisten: Keine
Sprachgestus: Zum Teil naturalistisch, zum Teil absurd
SABOTNIK:
Genossen!
FLEMMIG:
Gesundheit!
SABOTNIK:
Ge...äh, Leute, die Zeit ist eilend. Ich fasse kurz, und zwar mich. Was ist euer Wissen
von mir?
FLEMMIG:
Nix.
MATUSZINSKI:
Du planst doch irgendwas, oder?
SEILER:
Komm, schieß´ los, ich hasse Spannungsmomente im Theater.
SABOTNIK:
Mein Name ist Karl-Friederich Sabotnik. Ich bin Partisan, und zwar des revolutionären Unterkommandos Brecht, abgekürzt R.U.B.. Unser Ziel ist die
Vernichtung jedwelchen Illusionstheathers, insbesondere der ridicülen Hyperkultur
jedwelcher Schulbühne.
FLEMMIG:
Ach so.
MATUSZINKI:
Was ham wir damit zu tun?
SABOTNIK:
Ich habe euch beordert und zu Stillschweigen verpflichtet um teilhaben zu lassen
jedwelchen von euch...und zwar an meinem großen Werk: Zerschlagung des
Theaterkurses hier am Werner-Heisenberg-Gymnasium.
SEILER:
Aber...warum nur?
SABOTNIK:
Es ist ein jämmerliches Vitrinentheater, eine Prestigebühne und...es ist illusionierend.
Brecht hat recht. So unsere Parole. Theater soll sein mehr als ein Darstellungsort für
jedwelche Bildungsbourgeausie, mehr als ein Platz des Tummelns für Schüler, welche
seibernd, Eltern, welche geifernd und Lehrer, welche schlafend. Mehr als...
SEILER:
Aber ist das nicht gerade desillusionierend?
SABOTNIK:
Darüber steht dir kein Urteil zu, Genossin! (vertraulich) „Desillusionierend“ ist ungleich „episch“. Ich wählte Euch aus. Ein jedwelcher ist qualifiziert, zu helfen, und
zwar mir. Ich der Kopf, ihr meine Glieder...
FLEMMIG:
Is´ das auch von Brecht?
SABOTNIK:
Hubert, du bist ein Dabei-Seiender, gehe ich Brecht?
SCHMITZ:
Wieso gerade ich, so´n Quatsch, ich will doch bloß...
SABOTNIK:
...Spaß. Spaß willst du, nicht wahr, daß die Leute seien Lachende, und zwar kräftig?
12
Was wollen wir spielen
Szene 3
SCHMITZ:
Ja, schon, aber du willst doch...
SABOTNIK:
Ich garantiere, und zwar dir: Jedwelche Person wird seien lachend wie nie zuvor.
(beiseite) Und zum letzten Mal.
SCHMITZ:
Versteh´ nicht ganz, wie soll´n das geh´n?
SABOTNIK:
Du hast Phantasie, mein Junge? Wir wollen jedwelche V-Effekte, und zwar
schmuggeln in die Illusion...so ist die Protzbühne am Ende eine fallende und zwar
durch edle Waffe. Also: Du gehst zu den Aktivniks und läßt die Inszenierung sein
...abwechselnd: Das Bühnenbild soll sein ein wackelndes, Mikrofone können sein
ausfallend, auch Lampen, es können laufen Leute und zwar mit Bierdosen und zwar
über die Bühne...Musiker sollen finden ihre Instrumentniks, und zwar zerlegt...
Perücken sollen sein rutschend und fallend und zwar zu Boden. Du hast Phantasie,
mein Junge!
SCHMITZ:
Ja, das ist gut, darüber lachen die Leute doch am meisten! Ich würde sagen, ich
bin dabei, das heißt, wenn....
SABOTNIK:
Gut, gut. Entferne nun. Und zwar dich. Jedwelche Destruktionen von mir.
SCHMITZ:
Ja, äh...aber...
SABOTNIK:
Geh!
SCHMITZ:
(ab)
SABOTNIK:
Heinz, du bist ein Desinteressierter am Theaterkurs?
FLEMMIG:
Woas bin i?
SABOTNIK:
Keinen...wie sagt man...Bock auf Unterricht?
FLEMMIG:
Jo, jo, kein Bock, kein Bock.
SABOTNIK:
Kein...Bock zu spielen?
FLEMMIG:
Nö, kein Bock.
SABOTNIK:
Kein...Bock zu sein Bühnenbildner?
FLEMMIG:
Null Bock...Sabocknik.
SABOTNIK:
Mein Lieber, hier bietet sich jedwelche Chance umzuwandeln...und zwar deinen
chronischen Frustnik in Produktivität, mitmachend bei uns.
FLEMMIG:
Woas is?
SABOTNIK:
Du gehst zu den Schauspielern. Deine träge Art wird sein Bremse jedwelcher Entwicklung, welche illusionsdynamisch.
FLEMMIG:
Nö, geh´ ich nich.
SABOTNIK:
Du brauchst auch gar nicht mehr selbst zu gehen, mit mir bereits besorgend das.
Ruhmesthäler ist ein Zählender, und zwar auf Dich, da ich mir habe erlaubt, dich
anzupreisen, und zwar als wandlungsfähiger, einfühlsamer Akteur, befähigt jedwelcher Rolle. Verschleiert sei dies durch Schüchternheit unter deiner rauhen
Oberfläche. ....Du kannst gehen!
13
Was wollen wir spielen
Szene 3
FLEMMIG:
Arschgesicht. (geht ab)
SABOTNIK:
Ich bin ein Kommender, Christine. (kurze Pause) Und zwar nun zu dir.
SEILER:
Nein, nein, Herr Karl-Friederich. So billig bin ich nicht zu angeln. Wohl war es schon
clever von dir angelegt, die Leute gemäß ihrer Eigenart anzupacken...Hubert und sein
Klamauk, Heinz unser Hobbydadaist...
SABOTNIK:
Nihilist.
SEILER:
...von mir aus auch das. Und nun? Wie willst du denn die liebe Christine ködern?
(kurze Pause) Vielleicht ist es auch Dir zu Ohren gekommen, daß ich nur tue, was
mir Spaß macht...was ich machen will?
SABOTNIK:
Gewiß.
FLEMMIG:
(aus dem Off) Gebiß.
SEILER:
Ah, capito, genau... so willst Du es angehen? Na, da bin ich aber gespannt, wie du mir
Spaß an deinem kranken Hirngespinst vermitteln willst! Vielleicht auch mit platten
Gags? Oder Intrigen? – Um dir die Arbeit abzunehmen, Kalle, laß es. Ich habe weder
Interesse an Sabotage, noch macht es mir Spaß. Gar nicht und in keinster Weise! –
Nun, Meister, das war´s dann wohl, oder?
SABOTNIK:
Ja, das war es dann. Du kannst gehen.
SEILER:
(geht, aber nicht ganz ab)
SABOTNIK:
Vertan, die Chance einzudämmen, und zwar selbstherrliche Entscheidungen...
schade, schade...
SEILER:
Was...meinst du damit?
SABOTNIK:
Nichts. Schade nur, das auch zukünftig entschieden wird diktatorisch jedwelches
Problem und zwar von Ruhmesthäler. (beiseite) Hilf, Berthold!
SEILER:
(sinnierend) Wie... kommst du darauf, daß mich das interessieren könnte?
SABOTNIK:
Mein liebes Kind, seien wir nicht uns etwas Vormachende. Verfolgt habe ich mit
Interesse wie es getroffen hat, und zwar dich, als Ruhmesthäler nach der Diskussion
über das Stück ankam, und zwar mit einem längst fertigen Plan. Du bist nicht gewesen
verärgert wie jedwelcher andere, du warst getroffen tief. Deine Mentalität der Lust
und Laune, das bist nicht du. Das schiebst du nur vor, vorspielend so etwas wie
Freiheit, Ungezwungenheit und Erwachsensein. Sitzend tiefer ist deine
leidenschaftliche Demokratiebesessenheit, fast religiös hängend am Konsens.
Und so warst du verletzt tief. Ich...bin ein Gebender. Und zwar dir die Möglichkeit,
zu missionieren. Und das weißt du.
SEILER:
Sabotnik, du fängst an, mir unheimlich zu werden.
SABOTNIK:
Nicht unheimlich genug zu verleugnen deine wirklichen Interessen.
SEILER:
Ich...muß darüber nachdenken.
SABOTNIK:
Ich bin ein Rechnender. Und zwar mit dir.
SEILER:
(langsam ab. Kurze Pause.)
14
Was wollen wir spielen
Szene 3 / Szene 4
MATUSZINSKI:
Mir liegt nichts am intellektuellen Geschwafel. Ich bin gerne bereit, mitzumachen,
wenn du mir etwas Vernünftiges, Handfestes bietest. Mit 12 Punkten beim Stein
wär´ ich schon zufrieden, aber das überfordert dich wohl?!
SABOTNIK:
Keinesfalls, ist aber zu kompliziert.
MATUSZINSKI:
Deine Beziehungen scheinen umfangreich zu sein...und deine Ideen? Hast du
vielleicht auch noch das Pik As im Ärmel? Es schellt gleich, die Pause ist zu Ende!
SABOTNIK:
(zieht drei Hundertmarkscheine aus dem Ärmel) Nochmal soviel, wenn alles
vorbei ist.
MATUSZINSKI:
Hah, begnadet! (nimmt das Geld) Auf das Naheliegendste komme ich wieder nicht.
Ich stehe Ihnen zu Diensten! (salutiert)
SABOTNIK:
(deutet ihm zu verschwinden)
MATUSZINSKI:
(geht ab. Im Abgehen:) Intelligentes Köpfchen....und Händchen!
SABOTNIK:
Sie sind mich intelligent nennende. Sie sind mich unheimlich findende...all das trifft
nicht, und zwar den Kern, ist nicht genug stark. Nein, ein Genie bin ich...man wird es
wissen, wenn alles gelaufen ist. Mein Beispiel wird machen Schule...jedwelche Schule
wird befreit...Der Niedergang der Schule wird sein mein Aufgang in der R.U.B....
Oh, Berthold, Berthold, wir beide sind es schaffende...unser Erfolg, unser Applaus...
meiner kommt jetzt schon! (Er geht ab.)
Ende Szene 3
Ende der Exposition
Vorwort zu Szene 4
Diese Szene leitet den Mittelteil des Stückes ein. Der Klassenraum wird erstmalig verlassen, die „Bretter, die die
Welt bedeuten“ erstmalig betreten. Wir erleben unsere Theatertruppe bei frühen Proben, lernen unterschiedliche
Möglichkeiten kennen, einen Text zu interpretieren (tonlos, einschläfernd, hysterisch, pseudoaktuell und
angemessen), erfahren etwas über die „Ruhmesthäler-Variante“ und bestaunen den unaufhaltsamen Aufstieg des
Heinz Flemmig vom Nihilisten zum Illusionisten. Der benutzte Textausschnitt ist natürlich eine Parodie von
Ionesco´s „Triumph des Todes“.
SZENE 4
Szenario: Darstellung eine „Bühne in der Bühne“, außerhalb davon der Unterrichtsraum
Personen: Haupt:
Hans-Jochen Ruhmesthäler, Marcus Bex, Christine Seiler, Heinz Flemmig,
Stefan Matuszinski
Statisten: Klaus Schleiminger, Lars „Was“ Mallitza
Sprachgestus: Zunehmend theatralischer
a) DIE SOFTWARE
(Das ist der „Text im Text“, der von den Schauspielern rezitiert wird. In den folgenden Bühnenanweisungen
als „TEXT 1“ bezeichnet.)
15
Was wollen wir spielen
Szene 4
Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen! Seit einiger Zeit hat sich ein unbekanntes Übel in unserer
Stadt verbreitet. Es ist kein Atomkrieg, es geschehen keine Morde, wir leben normal, ruhig, viele
von uns beinahe glücklich. Plötzlich, ohne erkennbare Ursache und ohne das sonstige
Nahrungsmittel betroffen wären, fangen Brote an, aus den Läden, den Bäckereien, den
Supermärkten und den Privatwohnungen zu verschwinden. Verschwinden einfach, können Sie
sich das vorstellen? Und der Gipfel ist: es sind nicht vereinzelte Fälle...hier ein Brot, da ein
Brot...damit könnte man sich schlimmstenfalls abfinden. Nein, es werden immer und immer mehr,
respektive weniger. Eine geometrische Reduktion des Brotes! Es handelt sich, sagen die Händler,
die Bäcker, die Ernährungswissenschaftler, die Lebensmittelchemiker, um eine Erscheinung, die
zyklisch wiederkehrt, selten, aber zyklisch, und die man seit ein paar Jahrhunderten in diesem
Weltteil nicht mehr gekannt hat.
b) DIE HARDWARE (der eigentliche Spieltext)
(Die Schüler sitzen auf der Außenbühne locker um RUHMESTHÄLER herum. Nur MALLITZA
bastelt im Hintergrund mit Kabeln, Lautsprechern, Mikrophonen etc. herum, ohne seinen Kopfhörer
abzunehmen.)
RUHMESTHÄLER:
Nu, meine Damen und Herren, wir haben die vertrauten Gefilde der WHGKlassenräume verlassen, um uns in ein Abenteuer dramaturgischster Art zu stürzen.
Diese merk- und denkwürdige Umgebung hier wird in Fachkreisen auch „Bühne“
genannt – und wir haben nun die folgenschwere Aufgabe übernommen, das leere
Nichts mit hehrer Kunst zu füllen...ach, eh´ ich´s vergesse, nächste Woche muß
leider ausfallen, da ich zur Tagung in Düsseldorf bin. – Nu, in freier Entscheidung
und möglicherweise in einem Anfall geistesabwesender Leichtsinnigkeit habt ihr euch
als „Schauspieler“ gemeldet....dann macht ma. Weiß übrigens jemand, wo die anderen
sind? Da soll eine Fahrt von den Erziehungswissenschaftlern sein....
SCHLEIMINGER:
Ja, nach Düsseldorf!
RUHMESTHÄLER:
...hab´ ich mir fast gedacht. Ich habe Euch in weiser Voraussicht mit Texten ausgestattet...nehmen wir zunächst das Blatt mit der großen „2“ zur Hand...für mathemathisch Interessierte, die „2“ steht für Szene 2. Szene 2, Seite 17, haben wir das?
Stefan, lies ma an.
MATUSZINSKI:
Äh...Szene 2. Ein Beamter tritt auf....
RUHMESTHÄLER:
...das braucht nicht unbedingt mitgelesen zu werden....
MATUSZINSKI:
Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen, Kopie der Stadtverwaltung Herne.
RUHMESTHÄLER:
Auch hier sehe ich keine hinreichende Notwendigkeit, diese Zeile zu sprechen,
sie ist sowohl hinsichtlich der Dramaturgie als auch der Charakterisierung vorliegender Figur relativ funktionslos.
BEX:
Könnte man sie nicht als Hinweis auf sein Amt sehen, ich meine, als Beamter?
Oder wäre das zu platt?
EINIGE:
(lachen)
RUHMESTHÄLER:
Im Sinne des geistigen Schöpfers wäre das durchaus zu überlegen...nur das Wörtchen
„Herne“ läuft dem zuwider. Wir verfahren also wie folgt – und hier stelle ich euch ein
in der Bearbeitung üppiger Textvorlagen revolutionär-radikales Verfahren vor: Das
Streichen. In Fachkreisen auch „Ruhmesthäler-Variante“ genannt...wir streichen also
diese Zeile, tausende werden folgen.- Nu, ich sehe aber zu meinem Erfreuen, daß ihr
die richtige Seite aufgeschlagen habt. Somit wäre das erste schwerwiegende Problem
bereits überwunden...und da ihr auch sonst, wie man so schön sagt „gut drauf“ seit,
bitte ich Euch nun, diese Rede des Beamten auf genau dieser Bühne einmal vorzutragen. Wer fängt an ?
16
Was wollen wir spielen
Szene 3
(Murmeln, keine Reaktion)
RUHMESTHÄLER:
...ich danke Euch für die überwältigende Resonanz. Klaus, mach ma.
SCHLEIMINGER:
Ich ? Na gut. (tritt auf die Spielbühne, hält sich den Zettel nah vors Gesicht,
liest TEXT 1 ab, völlig tonlos bzw. auf einer Tonhöhe. Der Effekt kann durch
Pausen an den falschen Stellen noch gesteigert werden. Währenddessen hält
RUHMESTHÄLER sich die Hände vor Gesicht und Ohren, die anderen
schwanken zwischen Einschlafen und müdem Lächeln. Nur MALLITZA
applaudiert nach Ende des Vortrages begeistert.)
RUHMESTHÄLER:
Ja...das war ja schon recht gut so, du hast Talent, mein Junge. Hmm...weiß vielleicht
einer der Herrschaften wie man die Ansprache etwas...ähm... anders gestalten könnte?
MATUSZINSKI:
Also, ich finde, man sollte die ganze Sache mit ´n bißchen mehr Betonung bringen,
sonst schlafen die Leute ja ein.
EINER:
(gähnt)
RUHMESTHÄLER:
Ja. Ja. Mach ma.
MATUSZINSKI:
(tritt wie zuvor SCHLEIMINGER auf die Bühne, trägt TEXT 1 wie ein Pastor
oder Märchenerzähler vor, schön langsam, dabei macht er stereotype Auf- und
Abwärtsbewegungen (belehrend) mit den Händen. Reaktionen wie oben.)
SEILER:
Stefan, ich denk´ die Leute sollen NICHT einschlafen! Man muß doch die Situation
´rüberbringen, man muß die Aufregung des Mannes spüren...die Zuschauer reizen!
RUHMESTHÄLER:
Ich bin sicher, die Reize des Fräulein Seiler werden uns Männern Aufregung vermitteln. Also bitte.
SEILER:
(tritt auf wie vorher, spricht TEXT 1 fürchterlich überzogen hektisch, wild
gestikulierend, hysterisch, mit Textänderungen wie folgt:)
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger. Mitbürger, Kollegen, Freunde, Genossen!
Seit einiger Zeit hat sich ein unbekanntes Übel in unserer Stadt verbreitet. Jawohl,
in unserer Stadt. Verbreitet! Ein Übel!! Es ist kein Atomkrieg, es geschehen keine
Morde, nein, das ist es nicht, nein, nein, wir leben normal, ruhig, viele von uns
beinahe glücklich. Plötzlich, ohne erkennbare Ursache und ohne daß sonstige
Nahrungsmittel betroffen wären, fangen Brote an, aus den Läden zu verschwinden.
Verschwinden einfach so, können Sie sich das vorstellen? Ich frage: können Sie sich
das vorstellen??! Verschwinden! Einfach so! (schreit) KÖNNEN SIE SICH DAS
VORSTELLEN ?!?
MALLITZA:
Was ?
SEILER:
Und der Gi...Gi...Gipfel ist, es sind nicht vereinzelte Fälle, hier ein Brot, da ein Brot,
damit könnte man sich schlimmstenfalls abfinden. Nein, es werden immer mehr,
immer mehr und immer mehr und immer immer mehr! Respektive weniger. Eine
geometrische Reduktion des Brotes. Es handelt sich, sagen die Händler. Die Bäcker!
Die Ernährungswissenschaftler!! Ja, meine Damen und Herren, selbst die Le-bensmit-tel-che-mi-ker, um eine Erscheinung, die zyklisch wiederkehrt, selten, aber
zyklisch, und die man seit ein paar Jahrhunderten in diesem Weltteil
nicht...mehr...gekannt...hat... (Mit Entsetzen auf dem Gesicht zurück zur
Außenbühne).
RUHMESTHÄLER:
In der Tat dürften die Leute bei dieser Art des Vortrages- der Exclamation- nicht
einschlafen. Sie wird in Fachkreisen auch Brechstange genannt...ein zweites
Problem wäre somit gelöst.
17
Was wollen wir spielen
Szene 4
BEX:
(meldet sich)
RUHMESTHÄLER:
Bitte.
BEX:
Diesen Text versteht doch kein Mensch. Man müßte ganz anders formulieren, nicht
wahr? Aktualisieren.
RUHMESTHÄLER:
Oh, bitte, bitte. Vorhang auf zum aktuellen Akt.
BEX:
(tritt auf wie vorher) Also, wie das schon anfängt: Liebe Mitbürger und Mitbürgerrinnen...Wie wär´s denn mit „Ey, Leute, paßt ma auf. Da is ´ne große Scheiße Ambach
bei uns im Nest. Nö, kein A-Fall, keine Mafia, eigentlich alles ganz cool&happy.“
Tja...jetzt wird´s schwer...(liest) „Plötzlich, ohne erkennbare Ursache...“ na ja, sagen
wir mal „Kein Schwein weiß, warum...“ „...fangen Brote an, aus den Läden zu verschwinden....usw. usw....“ also: „Kein Schwein weiß, warum, da gibt´s kein Brot
mehr zu fassen, auch nicht bei Karstadt.“ (liest) „Verschwinden einfach, können Sie
sich das vorstellen...“ äähh...“Einfach fort, check´se dat?“ Weiter: „Und der Gipfel
ist...“ „und das Obergeilste ist...“...na, den Rest streich´ ich jetzt mal bis: „...eine
geometrische Reduktion des Brotes...“...tja...tja...hmmm...
RUHMESTHÄLER:
Na, jetzt bin ich aber gespannt!
BEX:
„...eine geometrische Reduktion des Brotes“....ich hab´s: Das Brot tickt im Dreieck!
RUHMESTHÄLER:
Echt obergeil.
BEX:
(im Zurückgehen) Dann hätten wir´s ja fast...für Lebensmittelchemiker und Ernährungswissenschaftler sagen wir mal Fressalienakademiker und Giftmischer.
(setzt sich)
RUHMESTHÄLER:
Vielen Dank für die furchtbaren, pardon, fruchtbaren Anregungen. Überhaupt war
es ein ertragreicher Nachmittag. Ich hätte allerdings zum Schluß gerne noch mal den
Herrn Flemmig gehört...mir sind da ja wahre Wunderdinge zu Ohren gekommen.
(lauter) Hallo Heinz! Guten Morgen.
FLEMMIG:
Jo, jo, woas is?
SCHLEIMINGER:
(zischelt) Du sollst spielen!
FLEMMIG:
Nö, kein Bock.
RUHMESTHÄLER:
Also bitte. Jeder braucht Punkte.
BEX:
(beiseite) Ich nicht. (lacht leise)
FLEMMIG:
(erhebt sich mühsam)
MATUSZINSKI:
Oh, Gott, nein...bitte nicht!
SEILER:
Um die Katastrophe komplett zu machen? Tu´s nicht!
BEX:
Mir wird übel. Übel!
SCHLEIMINGER:
Wenigstens sind wir dann nicht mehr die Schlechtesten!
SEILER:
(zu den anderen Schülern) Ruhmesthäler springt bestimmt gleich aus dem Fenster,
oder er gibt den Kurs auf...
18
Was wollen wir spielen
Szene 5
BEX:
...und verkauft Reformschriften in Bayern! (freundlich zu SEILER, die wirft ihm
ein Küßchen zu.)
FLEMMIG:
(inzwischen auf der Spielbühne, trägt TEXT 1 sauber, mit richtigen Betonungen
und exakten Gesten vor, alles so perfekt wie möglich. Währenddessen hellt sich
RUHMESTHÄLERS Gesicht auf, die anderen stehen auf und staunen
ungläubig.)
RUHMESTHÄLER:
Bravo! (Er applaudiert. Vorhang fällt.)
Ende Szene 4
Vorwort zur Szene 5
Die Dinge gehen unaufhaltsam unterhaltsam ihren Gang: Waren es die Schauspieler, die in Szene 4 die
Spielbühne „verunstalteten“, so sind es hier nun die Bühnenbildner und ihre kleinen und großen Probleme.
Astrid Redemann – eine Art weibliches Pendant zu Matthias Hehring- hat hier ihren eloquenten Fast-SoloAuftritt, Realität und Fiktion vermischen sich im Verschwinden des Brotes von Hubert Schmitz - und über
allem schwebt Karl-Friedrich Sabotnik und sein Gefährdungspotential. Wie effektiv planwirtschaftliche
Sabotage ablaufen kann, davon überzeugen uns Schmitz und Sabotnik als Don Quixote und Sancho Pansa im
Kampf gegen die Mühlen der Bühnenkonstruktionen. Und zu allem Überfluß hat Marcus Bex sein Lied fertig....
SZENE 5
Szenario: Wie vorher
Personen: Haupt:
Hubert Schmitz, Karl-Friederich Sabotnik, Marcus Bex, Hans-Jochen Ruhmesthäler
Statisten: Astrid Redemann
Sprachgestus: Vermischt
REDEMANN und SCHMITZ treten auf, sie einen Handwerkskoffer in der Hand, er Unmengen von Holz,
Pappe, einen Kleistereimer usw.
REDEMANN:
Also, nein, die Geschichte glaubt mir doch keiner, dieser Ruhmesthäler, ach quatsch,
ja doch, Ruhmesthäler, der, der treibt mich an den Rand des Wahnsinns, find´se nicht
auch ?
SCHMITZ:
Mhm. (Sichtlich uninteressiert, werkelt die ganze Zeit mit dem Material herum)
REDEMANN:
Ich also hin zu ihm, hier, Herr Ruhmesthäler, bitte, mein Entwurf...eine komplette
Stadt mit Mauern, Straßen, Häusern usw. usw., ich richtig stolz gewesen, kann man
ja verstehen, also, was soll ich sagen, er schielt nur kurz hin, kuckt gar nicht richtig
drauf – und sagt dann gelangweilt, sagt er: Liebe Astrid, wir wollen hier den Eindruck
einer Stadt vermitteln, ach quatsch, ja doch, den Eindruck vermitteln hat er gesagt...
wir wollen nicht etwa eine Stadt bauen, sacht er, der hat doch wohl ´ne Latte !?!
SCHMITZ:
Tja...ich weiß nich....(fängt an, herumzusuchen)
REDEMANN:
Ich noch versucht, zu retten, was zu retten ist...hier, wie gefällt Ihnen die Kirche, die
Grünanlage....ganz toll, wunderschön...hat er gesagt, ich mich schon gefreut, daß die
Arbeit nicht ganz umsonst gewesen war, da...da meint diese Neurosenkiste weiter:
Liebes Kind, wir brauchen kein Abbild der Wirklichkeit, sondern vielmehr...warte
mal, was hat er gesagt....irgendwas mit „teil“ oder so...nein, ich weiß, er meinte: Wir
brauchen Ersatzstücke! Ersatzstücke, der brauch´ doch ein Ersatzgehirn! Ersatzstücke!
Weißt du, was das sein soll ?
SCHMITZ:
Hat jemand meine Stulle gesehen ?
19
Was wollen wir spielen
Szene 5
REDEMANN:
Wie bitte, was ist los ?
SCHMITZ:
Dat gibbet nicht...mein Brot is´ weg. Einfach verschwunden.
REDEMANN:
Ach, das kann sich doch nicht in Luft auflösen! ...Ist ja unheimlich, beinahe wie in
unserem Stück...
SCHMITZ:
Jedenfalls kann ich ungestärkt nicht arbeiten. Ich geh´ eben zum Bäcker. (geht)
REDEMANN:
Warte, warte...ich komm´ mit!
SCHMITZ:
(beiseite) Das muß nicht sein!
REDEMANN:
(im Abgehen mit SCHMITZ) Also, ich wieder nach Hause gefahren mir dem ganzen
Modell und den Papieren, Häuser, Straßen usw. usw....ach Quatsch, nein doch....
SCHMITZ:
(parallel dazu) Ja, ja. Mhm. Tja. Hm. (beide ab)
(SABOTNIK tritt auf, mit SCHMITZ` Butterbrot in der Hand, essend, daher am Anfang etwas
undeutlich, aber verständlich sprechend)
SABOTNIK:
Eigentum ist Diebstahl. Diebstahl (macht entsprechende Geste) ist Eigentum (ißt
wieder). (Erblickt diverse Holzstücke auf der Bühne) Nun denn, ich werde jedwelchen Leuten vom Bühnenbild vermitteln, und zwar einen Vorgeschmack, welcher
flüchtig, ob der Dinge, die da drohen. (Ergreift Hammer und Nägel und beginnt,
die Holzstücke kreuz und quer zusammenzunageln.) Nicht ist es überaus originell,
aber theatralisch gesehen eine erste Anspielung, und zwar auf Sabotage. (zum Takt
des Hämmerns:) Tak...tak...tik....Zermürbungstaktik! Tak...tak...tik...Umsturztaktik!
Tak...tak...tik....Guerillataktik! Tak...tak...tik....(schlägt sich auf den Daumen, verzieht das Gesicht)...jetzt wird der Finger dick! ....Nun, jedwelche großen Männer
mußten einhämmern dem Volk ihre Ideen, und zwar unter Schmerzen! Man wird noch
von mir hören. (er geht ab)
(BEX und RUHMESTHÄLER treten auf)
RUHMESTHÄLER:
Verehrter Meister, sage mir, was dir die Muse mitgeteilt,
ist es ein, zwei, drei oder mehrgeteilt,
hat es Form, hat es Format ?
Ist es Fug´, ist es Kantat´?
Meister, zeig´ dein´ Genius, eingehaucht per Musenkuß,
und weile nicht, nein, habe Eil´,
ich bin, so sagt man, völlig geil!
BEX:
(hat inzwischen ein Beil aus dem Werkzeugkoffer genommen, betrachtet es
schicksalsschwer)
Was woll´n die bloß mit einem Beil?
Ist´s nicht ein Zeichen für Gefahr,
und bringt es nicht vielmehr sogar
Verderben über´s Menschgeschlecht?
Auf diesem Beil steht: Berthold Brecht!
RUHMESTHÄLER:
Bravo! Das nenne ich Symbole interpretieren. Auch der Dümmste dürfte gemerkt
haben, daß ein Wink mit dem Beil den mit dem Zaunpfahl an Effizienz noch
übertrifft.
BEX:
Nun, mein Lied, um zur Sache zu kommen, ist intellektueller. Es verbindet, darf ich
mich rühmen, die Essenz eines gesamten mittelmäßigen Theaterstückes mit chronistischem Textstil und chronistischem Sound.
20
Was wollen wir spielen
Szene 5 / Szene 6
RUHMESTHÄLER:
Was bitte ist „chronistisch“?
BEX:
Das Gegenteil von anachronistisch.
RUHMESTHÄLER:
Ich habe Fräulein Anna Chron bisher für die werte Schwester der Dame Maria Chron
gehalten. Eine geborene Asbach.
BEX:
Mein Leid, pardon, Lied, ist kurz, aber prägnant. Genial. Ich präsentiere: (singt zum
Instrument oder Playback) „Ich. Und das Brot. Das Brot. Und ich. Wir beide. Für
immer. Zusammen. Das Brot und ich das Brot und ich das Brot und ich das Brot und
ich. Ich. Und das Brot. Wir beide. Für immer. Zusammen.“
RUHMESTHÄLER:
Nicht übel, nur...wir brauchen am Übergang zwischen vierter und fünfter Szene –
der Liebesszene – etwas, hm, lyrischeres, romantisches...melancholisches. Kurz, wir
müssen irgendwie eine Dreierbeziehung ausdrücken.
BEX:
Kein Problem. Meine Fähigkeit zur spontanen Textänderung wird auch mit einer
Dreierbeziehung spielend fertig. (Er singt wie vorher) „Ich. Und du. Das Brot dazu.
Wir drei. Für immer. Zusammen. Ich und du, das sind schon zwei, das Brot dabei, ja
das macht drei! Ich. Und du. Das Brot. Zusammen.“
RUHMESTHÄLER:
Ich bin entgeistert, pardon, begeistert. Wir telefonieren morgen. (geht)
BEX:
Morgen geht nicht, bin in Düsseldorf. Der Musikkurs....
RUHMESTHÄLER:
Ja, ja...(beide ab)
(SCHMITZ tritt wieder auf.)
SCHMITZ:
Booh, zehn Minuten mit der Töle schlaucht einen mehr als ´ne Doppelstunde Mathe
beim dicken Kraputz! (Erblickt die zusammengenagelten Holzstücke) Na, mit´m
Hammer kannse wenigstens umgeh´n. (grinst) Nun, um unserem Genossen Sabotnik
zu zeigen, daß ich die Arbeit ernst nehme, will ich meiner speziellen Freundin einen
ersten flüchtigen Vorgeschmack geben, und zwar auf die Dinge, die da drohen.
(ergreift eine Zange und löst die Holzstücke wieder, zieht die Nägel heraus)
Es ist zwar nicht besonders originell, aber gibt theatralisch gesehen einen Eindruck
davon, wie erfolgreich Sabotage bei uns abläuft. (Zum Arbeitstakt:) Na...Na...Nagel
raus....macht der Mühe den Garaus. Na...Na...Nagel weg...ist der destruktive Zweck.
Na...Na...Nagel fort, bringt bestimmt Entsetzen dort (zeigt hinter die Bühne). Pack...
den...Nagel...jetzt...(kneift sich in den Finger, schmerzverzerrt:) mein Nagel ist nun
leicht verletzt....! Nun, immer waren es die ausführenden Hände, die besonders
leiden mußten, wenn große Köpfe Ideen hatten...(er geht ab).
Ende Szene 5
Vorwort zu Szene 6
Gegen Ende der Szene 5 stellte der Autor einen akuten Mangel an Handlung fest. Das Stück war ja auch formal
als Workshop über die Kunst des Theaterspielens angelegt, jede Szene sollte andere stilistische Möglichkeiten
anreißen, von Shakespeare über Oscar Wilde, Hendrik Ibsen bis Millowitsch und Becket...meist kam jedoch nur
Speck heraus - und eben ein Defizit an Handlungselementen. Um in dieser Hinsicht wieder einigermaßen ins Lot
zu kommen, wurde die Szene 6 fast schon überfrachtet mit Komplotten, Intrigen und dramaturgischen
Weichenstellungen. Wie in einer Revue treffen sich Pärchen im Café, sprechen miteinander, gehen wieder
auseinander. Und die Gespräche haben Konsequenzen....Aber eins nach dem anderen:
Während im Hintergrund Jörg Märzbusch auf seinen Kollegen Hans-Jochen Ruhmesthäler wartet, treffen
sich als erstes Paar Karl-Friedrich Sabotnik und sein Getreuer Hubert Schmitz, beide mit deutlich sichtbaren
Blessuren aus der vorangegangenen Szene. Schmitz wiederum wurde von Stefan Matuszinski ins Café zum
Gespräch bestellt. Schmitz „petzt“ Sabotnik den drohenden Ausstieg Matuszinskis aus der Sabotnik21
Was wollen wir spielen
Szene 6
Sekte. Beim folgenden Treffen des Pärchens Matuszinski – Schmitz (belauscht von Sabotnik und in der neuen
Fassung aufgelockert von Lars „Was“ Mallitza und dessen kleiner Nichte Mandy) wird der Ausstieg zur
Gewißheit, da Matuszinski bereits „geläutert“ verändert erscheint (vom 5-Punkte-Typen zum Vermittler edler
B(r)otschaften). Sabotnik zeigt sich unbeeindruckt, sinnt aber auf Rache. Es folgt das Pärchen
Ruhmesthäler – Märzbusch (natürlich belauscht von Sabotnik). Märzbusch bringt seinem Kollegen und
Saufkumpanen Ruhmesthäler die Hiobsbotschaft, daß auf Anordnung des Chefs des Werner-HeisenbergGymnasiums, für den eigenständige Schülerkreativität das Höchste der Gefühle ist, Marcus Bex nun doch seine
Songs ohne Orchester aufführen soll. Bex selbst weiß es noch nicht und glaubt auch nicht mehr daran. Sabotnik
sieht eine Chance zur Rache und bestellt Bex telefonisch ins Café. Zur Überbrückung der Zeit folgt das Pärchen
Sandra Fröhlich – Uta Buchholz mit einem für die Handlung irrelevanten Dialog, der lt. Bühnenanweisung
auch ausgetauscht werden kann. In der neuen Fassung kommt es dann zunächst zum „Hahnenkampf“ zwischen
Bex und Marco Rockmüller, dessen alter ego vom „Savanni“-Gymnasium. Nach Beendigung versucht
Sabotnik, wissend, daß Bex und Matuszinski früher eng befreundet waren, irgendetwas über letzteren
herauszufinden. Bex verplappert prompt auch eine frühe Schandtat von Matuszinski. Der rachedürstende
Sabotnik stiftet Bex dazu an, Matuszinski bei der Schulleitung anzuzeigen, und bietet als Gegenleistung an, die
(längst schon genehmigte) Solo-Darbietung von Bex zu ermöglichen. Bex ist unschlüssig, aber die Eitelkeit
siegt....Puh! Um dieses ganze schwülstige Schülertheater aufzulockern, stört der Kellner die Handlung mit ultraplatten Kalauern. Marcel Arm-Radetzky, ein berühmter Kritiker, lispelte einst: „Der Schlüssel zum Verständnis
von „Trrrriumph des Brrrotes“ liegt einzig in der Perrrson des Kellners!“ Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
SZENE 6
Szenario: Teil eines Café-Restaurants. 3 Tische sichtbar.
Personen: Haupt:
Jörg Märzbusch, Hans-Jochen Ruhmesthäler, Hubert Schmitz, Stefan Matuszinski,
Karl-Friedrich Sabotnik, Marcus Bex, Sandra Fröhlich, Marco Rockmüller
Statisten: Uta Buchholz, Lars „Was“ Mallitza, Mandy Mallitza, ein Kellner
Sprachgestus: Bis auf Mauszinski und Sabotnik naturalistisch-absurd
(offengestanden kann ich heute, 1997, diese Kategorien nicht mehr nachvollziehen!)
(An einem der Tische sitzt bei Szenenbeginn MÄRZBUSCH und ißt ein Kotelett. Es treten von
verschiedenen Seiten auf: SABOTNIK und SCHMITZ, beide mit bandagiertem Daumen. Stehen sich
gegenüber, mustern die Bandagen des jeweils anderen.)
SCHMITZ:
Alte Kriegsverletzung.
SABOTNIK:
Freund! Gefährte meines Leidens! (umarmt ihn) Wollen wir austauschen etwaige
Fronterfahrungen? Ich werde sein ein Beginnender: Habe jedwelchen Leuten vom
Bühnenbild konstruiert, und zwar einen hölzernen Störfaktor.
SCHMITZ:
(lacht) Ich auch.
SABOTNIK:
...und habe dabei Anspruch nehmen müssen von Werkzeug.
SCHMITZ:
(lacht) Ja, Ja!
SABOTNIK:
...habe jedwelche erreichbaren Holzstücke zusammengefügt, und zwar zu einer
abstrusen Konstruktion....wie war das?
SCHMITZ:
(lacht) Ha, ha, gut...eine nicht zu überbietende Idee, wirklich genial...ha...ha...
(stutzt)....äh, wie war das??
SABOTNIK:
Nun, ich habe Werkstoffe, welche noch nicht gebraucht, verfremdet.
SCHMITZ:
(schaut verständnislos)
SABOTNIK:
Zusammengenagelt, du verstehst ? (macht entsprechende Geste)
22
Was wollen wir spielen
Szene 6
SCHMITZ:
(schaut doof)
SABOTNIK:
Jetzt aber, werter Freund, sei mir ein Sagender, wer Dich verwundet.
SCHMITZ:
Äähh ...is´ halb so wichtig, wirklich.
SABOTNIK:
Ich verstehe, mein Treuester. Dir ist es unmöglich, deine noch ach so wild aufgewühlte Seele zu befreien, und zwar von den Schreckensbildern, die dich bewegen...
Sei es, wie es sei, ich bin ein Stolzer. Und zwar auf Dich, auf einen guten Freund,
seiend fähig und tapfer und Kamerad, nicht seiend wie jedwelcher Matuszinski,
jener polnische Deserteur....wann sein Erscheinen ?
SCHMITZ:
(beiseite) Puuh! (zu SABOTNIK) Äh, er müßte jeden Moment da sein.
SABOTNIK:
Und du bist sicher, er will uns betrügen hinterlistig ? Fahnenflucht ?
SCHMITZ:
Sieht fast so aus. Seltsamerweise scheint ihm das Theaterspielen plötzlich Spaß zu
machen. Ausgerechnet ihm!
SABOTNIK:
(kalt) Jedwelchem Winzling steigt es zu Kopf, stehend erstmalig auf der Bühne.
Dort sein Kommen! Ich werde euch hier (2.Tisch) hören zu, du sitzend drüben
(3. Tisch), sprechend normal ganz.
(Sie setzen sich wie beschrieben. SABOTNIK verschanzt sich hinter einer russischen Zeitung.)
MATUSZINSKI:
Hallöchen.
SCHMITZ:
Tach.
MATUSZINSKI:
Und, wie is´ so?
SCHMITZ:
Man haut sich so durch. (Pause) Was gibt´s?
MATUSZINSKI:
Wie, was gibts.
SCHMITZ:
Du wolltest doch was von mir, oder?
MATUSZINSKI:
Tja...also...ich weiß nicht, wie ich anfangen soll....
KELLNER:
(tritt hinzu) Pils und ´n Alt?
SCHMITZ:
Guter Anfang!
(KELLNER schreibt, geht zu SABOTNIK und nimmt dort die Bestellung auf.)
MATUSZINSKI:
Also, kurz gesagt, ich will....möchte dich bitten, beim Auftritt, also bei meinem
Auftritt, ähh...keinen Mist mit dem Bühnenbild zu veranstalten.
SCHMITZ:
Ach, tatsächlich? Was ist denn das für ´ne großartige Rolle?
MATUSZINSKI:
Paß auf. (steht auf, rezitiert) „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, hört mich an!
Wir werden nicht länger klagen und jammern...wir werden handeln. Meine Parteifreunde und ich sind nicht länger bereit, uns der Knechtschaft des Brotes zu beugen!
Die Brote verschwinden? Sollen sie nur! Ich werde euch in eine brotlose, aber
glückliche Zukunft führen. Und darum: Nieder mit den Bäckern! Sollten einige unter
euch Bäcker sein, werden sie selbstverständlich weiterbeschäftigt, falls sie für mich
stimmen!“ (setzt sich wieder) Nun...was sagst Du ?
SCHMITZ:
Albernes Politituttifrutti.
23
Was wollen wir spielen
Szene 6
MATUSZINSKI:
Eben. Eben! Und so plastisch vermittelt, daß es der Dümmste schnallt. Ich möchte,
daß das rüberkommt! Ich möchte das vermitteln.
SCHMITZ:
Ach wirklich ?
MATUSZINSKI:
Darum bitte ich dich, in diesen Szenen – es sind doch nur zwei – dich mit den Gags
zurückzuhalten, damit...die Botschaft nicht untergeht. Ich möchte, daß die Menschen
durch mich klug werden. Lernen.
SCHMITZ:
Sach ma, hast du nicht mehr alle stramm? Oder biste verknallt, oder was? Du glaubst
doch wohl nicht im Ernst, daß die Leute auch nur eine Sekunde über den Quatsch
nachdenken?
MATUSZINSKI:
Egal. Ich hör´ auf, Sabotnik zu unterstüzen.
SCHMITZ:
Aha! Da liegt die Katze begraben! Und...was meinst du, wird er dazu sagen?
MATUSZINSKI:
Er wird es nicht erfahren. Wenn die anderen genug Mist machen, falle ich nicht auf.
Wenn er es allerdings spitzkriegen würde, ich glaube, er würde russisch fluchen, hehe.
SABOTNIK:
(senkt die Zeitung) Rabotnik! Prawda! Gorbatschow! (verschwindet wieder hinter
der Zeitung)
SCHMITZ:
Wenn die anderen genug Mist machen, kommt deine „Botschaft“ auch nicht an.
Empfänger unbekannt verzogen. Also, warum steigst Du aus?
MATUSZINSKI:
Schön. Als Schauspieler krieg´ ich mehr Punkte.
SCHMITZ:
Ha, ha, das ist der alte Matuszinski! So kenn´ wa ihn! Wußt´ ich doch. (stutzt) Wenn
die Aufführung läuft, sind die Punkte längst geschrieben....Ich frage also, warum?!
MATUSZINSKI:
Ach, Scheiße, Mensch...ich kann dir das nicht erklären. Es ist....es ist...
KELLNER:
(bringt Pils und Alt) Bitte sehr, die Herren.
SCHMITZ:
Dank.
MATUSZINSKI:
Ich hab´ mich so daran gewöhnt, an die Proben und alles. Mit den Leuten zusammensein...zu merken, wie man in die verschiedenen Rollen steigt, wie man besser wird...
so ein Gefühl eben...ach, du verstehst mich nicht!
SCHMITZ:
Doch, doch...du meinst das Proben als Frauenersatz mit der Aufführung als Orgasmus.
MATUSZINSKI:
Wenn...du das so primitiv ausdrücken willst, bitte.
SCHMITZ:
Nicht primitiv. Hochwissenschaftlich. Psychoanalyse.
MATUSZINSKI:
Tust du mir jetzt den Gefallen?
SCHMITZ:
Bei deinen Auftritten kein Chaos? Meinetwegen.
MATUSZINSKI:
Nein, äh...na ja...
SCHMITZ:
Ach, du meinst, überhaupt? Ich soll auch aussteigen, oder was? Und die anderen?
MATUSZINSKI:
Die sind zu abgezockt. Aus eigenem Antrieb – nie.
SCHMITZ:
Du warst mal der Abgezockteste von allen.
24
Was wollen wir spielen
MATUSZINSKI:
Szene 6
Je abgezockter der Mensch sich gibt, desto verletzlicher ist er vielleicht...
(MALLITZA erscheint, mit Kopfhörer und einem Buggy, in dem seine Nichte MANDY sitzt, welche
permanent laut heult. Davon unbeeindruckt blickt er suchend durchs Café und auf seine Uhr.)
SCHMITZ:
(gegen Mandy´s Lärmpegel) Das ist die Kurze von seiner Schwester.
MATUSZINSKI:
(laut) Was ?
MALLITZA:
Ja ?
SCHMITZ:
„Was“, das nervt ! Stell´ das aus.
MALLITZA:
(legt den Walkman ab, nimmt das Kind auf den Arm) Meine Schwester wollte Punkt
halb vier hier sein, die Mandy abholen. Jetzt ist viertel vor. Typisch Frau.
SCHMITZ:
„Was“, wir ham Winterzeit. Seit Sonntag. Es ist viertel vor drei.
MALLITZA:
So ? Wieso sagt einem das keiner ? (Mandy zurück in den Buggy, die schreit wieder,
beide ab.)
SCHMITZ:
Seine Schwester war erst fünfzehn, als das passierte. Wahrscheinlich hatte ihr
auch keiner gesagt, wie das geht.
MATUSZINSKI:
Süßes Kind....(trinkt nervös) Also, was ist jetzt.
SCHMITZ:
Ob ich aussteige, oder was ? Nee, tut mir leid, ich hab´ keine Glückszustände
kennengelernt. Holz tragen, Kleister rühren, mit einer häßlichen Nervensäge
zusammen...nee. Keine Chance. Ich will mein´ Spaß.
MATUSZINSKI:
(verzweifelt) Dann...dann....werd´ ich es erzählen! Ruhmesthäler. Allen.
SCHMITZ:
Ach du meine Güte! Und wer soll dir das glauben? Diese Geschichte? Revolutionäres
Unterkommando Brecht...so´n Quatsch nimmt dir keiner ab! So´n Unfug kommt
höchstens in mittelmäßigen Theaterstücken vor. Alle werden dich für verrückt
erklären. Der Kreis hat sich geschlossen! Überleg´ es Dir!
MATUSZINSKI:
Es ...gibt nichts zu überlegen. (trinkt aus)
SCHMITZ:
Wenn....Sabotnik es doch erfährt....
MATUSZINSKI:
Du wirst ihm doch nichts sagen?!
SCHMITZ:
Ich? Kein Wort! Und...du?
MATUSZINSKI:
(lacht) Ich müßte ja schon schön blöd sein, wenn ich ihm alles selbst erzählte...Nein,
Sabotnik vertraut mir. (geht ab)
SABOTNIK:
Vertraunik ist gut. Kontrollnik ist besser.
SCHMITZ:
(zu Sabotnik) Was wirst du tun?
SABOTNIK:
Nichts. Wer seien will ein Gehender, soll gehen. Ich bin nicht tragend nach.
SCHMITZ:
Zahlen!
KELLNER:
(kommt) Ein Alt, ein Pils....fünf sechzig bitte.
SCHMITZ:
Stimmt so.
25
Was wollen wir spielen
Szene 6
KELLNER:
Danke sehr, der Herr, auf Wiedersehen, der Herr ! (Räumt Gläser und MALLITZA´s
Walkman ab.)
SCHMITZ:
(im Abgehen zu SABOTNIK) Wir sehen uns nächste Woche in Düsseldorf ?
SABOTNIK:
Gewiß. (SCHMITZ ab)
KELLNER:
(zu SABOTNIK) Darf es noch etwas sein ?
SABOTNIK:
Wodka ! (KELLNER ab)
(RUHMESTHÄLER tritt auf, bemerkt SABOTNIK aber nicht, sondern setzt sich zu MÄRZBUSCH.)
RUHMESTHÄLER:
Jörg, tut mir leid, ich bin spät, aber auf den Straßen herrscht wieder Sodingen und
Gomorrha. Und zur Sicherung meiner Existenz bremse ich auch für Kinder.
MÄRZBUSCH:
Ja, das sind sie....Paß auf, Jochen, Marcus Bex rennt mir pausenlos die Tür ein mit
seinem...Song, ...ich habe nun Arrangements geschrieben, fünf verschiedene, aber...
es klingt einfach nicht. Meine Schüler haben erst recht keine Freude an dem Stück.
RUHMESTHÄLER:
Soll´n wir es streichen ?
MÄRZBUSCH:
Tja...wäre wohl das Beste...aber, es ist eine eigenständige kreative Leistung eines
Schülers...klugerweise hat Bex auch schon den Chef verständigt, und du kannst dir
sicher lebhaft vorstellen, wie der Alte darauf reagiert hat.
RUHMESTHÄLER:
(lacht) Allerdings.
KELLNER:
(kommt) Bitte sehr ?
RUHMESTHÄLER:
Ähh...ich hätte gern einen Kognak und...Jörg, trinkste auch noch was ?
MÄRZBUSCH:
Ein Täßchen Kaffe, ich muß noch fahren.
KELLNER:
Sehr wohl. (ab)
MÄRZBUSCH:
Marcus hatte mir anfangs mal den Vorschlag unterbreitet, alleine zum Playback zu
singen. Ich hatte ihm seinerzeit gesagt, das ginge nicht....nun scheint es allerdings
die letzte Möglichkeit zu sein....
RUHMESTHÄLER:
(lacht, verdreht die Augen) Konserve !
KELLNER:
(kommt mit dem Gewünschten)
MÄRZBUSCH:
Oh, das ging aber schnell !
KELLNER:
Sehr wohl, die Herrschaften wünschen ja auch gleich zu gehen.
MÄRZBUSCH:
Woher wissen Sie das ?!
KELLNER:
Ich habe im Textbuch nachgeschaut. (ab)
MÄRZBUSCH:
Paßt es denn in deine Inszenierung, Jochen ?
RUHMESTHÄLER:
(seufzt) Jaja, ich werde das irgendwie hintüfteln...(lacht) Playback !
MÄRZBUSCH:
Ich sag´s ihm dann übermorgen. Der kann sich freuen, ich hatte ihm schlußendlich
versichert, das käme auf keinen Fall in Frage.
26
Was wollen wir spielen
RUHMESTHÄLER:
Szene 6
Übermorgen wird er schlauer sein.
(ROCKMÜLLER tritt auf und setzt sich an den freien Tisch. Fängt an, (Musik-)Noten zu schreiben)
SABOTNIK:
Oberst !
KELLNER:
(KELLNER kommt, hat MALLITZA´S Kopfhörer auf.) Bitte ?!
SABOTNIK:
Ich würde telefonieren, gerne.
KELLNER:
Gewiß, hier links, zweite Tür.
SABOTNIK:
Links, zweite Tür ist befindlich: eine Toilette.
KELLNER:
Pardon ?
SABOTNIK:
Ich wollte: TE-LE-FO-NIE-REN !!
KELLNER:
Oh, bitte vielmals um Entschuldigung, hier rechts, dritte Tür natürlich.
(SABOTNIK ab, KELLNER nimmt ROCKMÜLLERS Bestellung auf, legt dort
MALLITZA´s Walkman ab.)
SABOTNIK:
(im Vorbeigehen zu RUHMESTHÄLER) Guten Tag.
RUHMESTHÄLER:
(fixiert ihn) Tach.
MÄRZBUSCH:
Vorhin waren noch mehr von deinen Schülern da. Das sind doch wirklich engagierte
Leute. Selbst im Café lernen sie ihre Texte auswendig.
RUHMESTHÄLER:
Der hier bestimmt nicht. Er gehört zu den unauffälligsten Figuren im Kurs. Völlig
bedeutungslos.....Soll´n wir aufbrechen ?
MÄRZBUSCH:
Zahlen !
KELLNER:
Zahlen die Herrschaften getrennt ?
MÄRZBUSCH:
Nein, alles zusammen, bitte.
KELLNER:
Sehr wohl...ein Kaffe, ein Kognak, ein Kotelett (kritzelt auf seinen Block) ....
Einunddreißig fünfzig, bitte. (reicht MÄRZBUSCH die Rechnung)
MÄRZBUSCH:
(tippt auf die Rechnung) Kotelett bitte mit zwei „t“.
KELLNER:
Sehr wohl....Kotelett mit zwei Tee, sechsunddreißig fünfzig.
MÄRZBUSCH und RUHMESTHÄLER schauen sich verständnislos an.
MÄRZBUSCH:
Bitte. (zahlt)
KELLNER:
Vielen Dank, beehren Sie uns bald wieder.
MÄRZBUSCH und RUHMESTHÄLER brechen auf.
MÄRZBUSCH:
Soll ich dich ´n Stückchen mitnehmen ?
RUHMESTHÄLER:
(leicht besoffen) Nein, nein...ich bin ja auch mit´m Wagen.
MÄRZBUSCH:
Ach klar, ja. (beide ab)
27
Was wollen wir spielen
Szene 6
(Die nun folgende Mini-Sequenz von SANDRA FRÖHLICH und UTA BUCHHOLZ kann auch durch
schul- bzw. tagespolitische Aktualitäten ersetzt werden. Davon unberührt bleibt auf jeden Fall das
Wiedererscheinen von SABOTNIK. )
FRÖHLICH und BUCHHOLZ treten auf, setzen sich an den von den Lehrern verlassenen Tisch.
BUCHHOLZ:
Kannst du deine Stimme schon auswendig ?
FRÖHLICH:
Auswendig ?!?
BUCHHOLZ:
Jaa ! Märzbusch hat gesagt, Ruhmesthäler hat gesagt, wir müssen das auswendig
spielen !
FRÖHLICH:
Sag´ mir sofort, daß das nicht wahr ist !
BUCHHOLZ:
Schön wär´s...Kuck mal, da sitzt Marco Rockmüller, der vom Savanni !
FRÖHLICH:
(schwärmerisch) Der ist soo süß ! Und der singt ganz toll.
BUCHHOLZ:
Ihh! Den würd´ ich nicht mal mit der Kneifzange anpacken.
(säuselt) Hallo Barocky, die Sandy ist ganz heiß auf dich...
FRÖHLICH:
(hält ihr den Mund zu) Ey, hör´ auf...! (Beide gibbeln)
SABOTNIK:
(kommt zurück, wie vorher) Raskolnikow ! Hilf, Berthold !
KELLNER:
(zu den Mädchen) Bitte sehr, die Damen ?
FRÖHLICH:
Zwei Asbach-Cola.
KELLNER:
Tja...Sind die Damen denn schon 18 ?
FRÖHLICH:
Die Damen geben gutes Trinkgeld.
KELLNER:
Sehr wohl. (geht zu SABOTNIK) Noch einen Wodka, der Herr ?
SABOTNIK:
(militärisch knapp) Ja.
FRÖHLICH:
Wenn mein Alter das sehen könnte, gäb´s wieder Zoff.
BUCHHOLZ:
Wieso ? Alle trinken das !
FRÖHLICH:
Das ist es ja ! ...Ich hatte mir doch die Haare so gemacht (deutet es an), weißt du...
BUCHHOLZ:
...ja....
FRÖHLICH:
...und mein Daddy: Bist Du verrückt ? Wie kann man denn so ´rumlaufen ?!
Ich: Aber die anderen haben doch.... –Was die anderen haben, interessiert mich
nicht !!....aber als ich mit der Lateinarbeit nach Hause kam....hier, Papa, ´ne Vier plus
....-Was haben die Anderen ? Was, will ich wissen !
FRÖHLICH:
Ja, das sind sie....
BEX tritt gutgelaunt auf, erblickt SABOTNIK, dann ROCKMÜLLER. Seine Miene verfinstert sich
BEX:
(zu SABOTNIK) Momentchen, Sabotnik, ich muß mal eben was erledigen.
(zum KELLNER) Günna, ´n großes ! (setzt sich provozierend zu ROCKMÜLLER.)
Ah, Barocky, na, küßt die Muse wieder nicht ?
ROCKMÜLLER:
Bex ! Bex löscht Pennerdurst. Lange nicht gesehen.
28
Was wollen wir spielen
Szene 6
BEX:
Ist der arme Marco Polo mal wieder solo ? Kein Duettchen mehr im Bettchen
mit Christinchen ? Ohhh....
ROCKMÜLLER:
Und Bex will jetzt Sex mit meiner Ex ? Tja...einmal zweite Geige, immer zweite
Geige...
BEX:
Zweite Geige ? Du brauchst gleich erste Hilfe, Rockmüller!
(MALLITZA und seine Nichte treten wie zuvor auf. Die Kleine lächelt jeden an, außer SABOTNIK.)
FRÖHLICH macht Faxen mit ihr. KELLNER bringt BEX ein riesiges Pils.)
FRÖHLICH:
Ohhh...ist die süß....Kannst Du denn schon sprechen ?
MANDY MALLITZA:
(kräht) Was ?
BEX:
Hübsch...wirklich hübsch. Wirklich hübsch.
ROCKMÜLLER:
Aha, Bex steht jetzt auf Kindersex.
BEX:
Die Sandra Fröhlich, du Arschgeige, nicht das lag !
ROCKMÜLLER:
Die kleine Blonde ? Bißchen wenig dran.
BEX:
Alles, was ein Bex braucht. Aber Barocky steht ja mehr auf die barocke Form.
ROCKMÜLLER:
Barocke Formaldehyd.
BEX:
Barocke Formaldehyttenstadt.
ROCKMÜLLER:
Barocke Formaldehyttenstadtus quo.
BEX:
Barocke Formaldehyttenstadtus quoalabär.
ROCKMÜLLER:
Barocke Formaldehyttenstadtus quoalabärt kempfert.
MALLITZA:
Ach, da ist das Ding ! (greift zu seinem Walkman, stößt dabei an ROCKMÜLLERS
Teetasse, deren Inhalt sich über dessen Hose ergießt.) Oh, ´tschuldigung.
BEX:
(bekommt einen Lachanfall)
ROCKMÜLLER:
(springt auf) So ein Vollidiot ! Kuck mal, wie ich jetzt ausseh´!
BEX:
(lacht) Gräßlich, Barocky..tja....und irgendwie... ästhetisch völlig unausgewogen.
(schüttet ihm auch noch sein Bier über den Kopf) ....Viel besser jetzt. Ciao, du alter
Saitenquäler. (flüchtet zu SABOTNIKS Tisch)
ROCKMÜLLER:
(will hinterher, wird aber von MALLITZA daran gehindert.)
MALLITZA:
Ober ! Der Herr möchte zahlen.
KELLNER:
Zahlen ? Kann er haben: 1,8,14,23,25,38 und die Zusatzzahl ist 11.
(Keine Reaktion) Äh...ein Tee, ein Pils, ein Aufnehmer... 8 Mark 80.
ROCKMÜLLER:
(zahlt, innerlich kochend, geht ab. Zu BEX:) Wir sehen uns wieder !
BEX:
Du mich auch !....
(MALLITZA setzt sich mit der Kleinen an den leeren Tisch. Kopfhörer auf.)
29
Was wollen wir spielen
BEX:

Szene 6
(ruft zu ihm hinüber) Coole Sache, „Was“ ! So, jetzt geht´s mir wieder besser. –
Ach, Sabotnik, hallo erstmal.
SABOTNIK:
(unbeeindruckt kühl) Guten Tag.
BEX:
Dein Anruf kam eigentlich etwas ungelegen, ich hatte vorhin eine wichtige...äh,
angeregte „Besprechung“....mit Christine. (grinst machohaft)
SABOTNIK:
Ich fasse kurz. Und zwar mich. Du kennst Matuszinski, Stefan ?
BEX:
Ja sicher. Schon Urzeiten.
SABOTNIK:
Du bist sein....Freund ?
BEX:
Freunde gibt´s nicht mehr....aber gut, meinetwegen.
SABOTNIK:
Wie...ist er in der Schule ?
BEX:
Ach du meine Güte ! (lacht) Nun, es grenzt an Zauberei, wie er es bis hierhin geschafft hat....Manche Menschen sind mit einer Glückshaut geboren, einem speziellen
Charisma. Stefan gehört dazu. Andere müssen sich alles, äh, erarbeiten. Und werden
es trotzdem schaffen. (lächelt)
SABOTNIK:
Er hat es nicht verdient ?
BEX:
Verdient ? (lacht) Keine Rede ! Was wir in der 9c für´n Mist verzapft haben, oh oh...
Und Stefan immer an vorderster Front dabei....Wenn ich daran denke, die Sache mit
...der... Schwimmhalle...
(FRÖHLICH und BUCHHOLZ verlassen angesäuselt und gibbelnd ihren Tisch. BEX schaut FRÖHLICH
fasziniert hinterher.)
SABOTNIK:
Schwimmhalle...du...meinst doch...sicherlich...(beiseite) Hilf, Berthold !
BEX:
Ja, mit den Scheiben, die er eingeworfen hat. Zehntausend Mark Schaden...aber es ist
nie rausgekommen... Glückshaut !
SABOTNIK:
War...das...nicht.....Flemmig...?
BEX:
Ach, Flemmig, so´n Quatsch...Ich war dabei, du weißt doch, Matu war völligstens
knülle gewesen als er....sach mal, was soll der Unfug eigentlich ?! Damals warst Du
noch gar nicht auf unserer Schule !
SABOTNIK:
Lassen wir das, und zwar sein. Was macht dein, äh, Song ?
BEX:
Mein Song ? Was weiß ich...das Orchester wird ihn wohl spielen...(schüttelt sich)
Schrecklich !
SABOTNIK:
Schrecklich ! Du solltest es aufführen alleine. So wie jedwelcher Marco Rockmüller.
Nur viel professioneller. Absoluter.
BEX:
(begeistert) Wollt´ ich ja auch. Alles selber einspielen, auf Band, und dazu dann
singen. Die einzig authentische Kunstform. Aber...das ist schon vor Monaten
gestorben. Aussichtslos.
SABNOTNIK:
Man...müßte es beleben wieder. Ich könnte ein Helfer sein. Und zwar dir.
BEX:
Du ? Blödsinn. Widersinnig.
30
Was wollen wir spielen
Szene 6 / Szene 7
SABOTNIK:
Gegen einen kleinen... Gefallen.
BEX:
Aussichtslos.
SABOTNIK:
Du würdest sein mein Zeuge. Eine kleine Aussage: Matuszinski und die Schwimmhalle.
BEX:
Stefan verraten ? Warum ? Die Sache ist fast vier Jahre her...das dürfte doch keinen
mehr interessieren...oder ?
SABOTNIK:
Dann kann ihm ja nichts mehr geschehen. Übermorgen wird jedwelcher Herr Märzbusch dir mitteilend sein, zu verfahren, und zwar nach deinem Belieben. Allein. Wie
Rockmüller. Nur besser. Und anschließend wirst Du mir sein ein Begleiter, und
zwar zum Herrn Chef.
BEX:
Unfug. Absurd ! Wie willst du, gerade du, das schaffen ?
SABOTNIK:
Ich kann. Ist unser Pakt ein gültiger ? (hält BEX die Hand hin)
BEX:
(zögerlich)...ach was...geht ja sowieso nicht...geht ja nicht...(schlägt ein) Die Wette
halte ich. Topp !
SABOTNIK:
Und Schlag auf Schlag. (Vorhang)
(Ende Szene 6)
Vorwort zu Szene 7
Nach dem vorangegangenen Handlungsschub darf nun wieder nach Herzenslust „geschwafelt“ werden:
Diametral zu Szene 3 erfolgt hier die Lossagung der Protagonisten von den Ideen SABOTNIKS.
Dazu „fallen die Masken“ im Theater des Lebens – vor allem BEX bekommt bei diesem Psycho-Striptease
ordentlich sein Fett weg. Als Ober-Analytiker entpuppt sich ausgerechnet Mr. „Null-Bock“ HEINZ
FLEMMIG. So bekommt SABOTNIK einen Gegenspieler, der ihm gedanklich und rhetorisch gewachsen,
wenn nicht überlegen ist...der Showdown kann beginnen ! (Notiz am Rande: „Intellektueller Höhepunkt des
Stückes“ war im Original-Manuskript übrigens mit nur einem „l“ geschrieben, gut ,daß MÄRZBUSCH das
nicht gesehen hat...)
SZENE 7
Szenario: Darstellung einer „Bühne in der Bühne“ (wie in Szenen 4 und 5)
Personen: Haupt:
Hans-Jochen Ruhmesthäler, Marcus Bex, Christine Seiler, Heinz Flemmig,
Hubert Schmitz
Statisten: Keine
Sprachgestus: Hochwissenschaftlich. Intellektueller Höhepunkt des Stücks (klopf klopf...staub)
a)
DIE SOFTWARE
In den folgenden Bühnenanweisungen als „TEXT 2“ bezeichnet (vgl. Szene 4).
Frau:
Mann:
Frau:
Mann:
Ich kann nichts dafür, das ich Angst habe.
Sei jetzt brav. Sei ruhig.
Nein, ich kann nicht hierbleiben....Gehen wir ein bißchen aus.
Ruh´ dich ein wenig aus. Ich helfe dir. So ist´s recht...Ich bin doch bei dir.
Gib mir die Hand.
Frau: Ich fühle, wie ich schwach werde...Das Brot...Brot...
Mann: Gib dir Mühe, Liebste. Ich drücke dich fest an mich...ich halte dich. Nichts kann
dich aus meinen Armen reißen.
31
Was wollen wir spielen
b)
Szene 7
DIE HARDWARE (der eigentliche Spieltext)
(SEILER und BEX proben TEXT 2 auf der Innenbühne. SCHMITZ werkelt irgendwo am Bühnenbild
herum. Die anderen auf der Außenbühne.
BEX spielt seine Rolle in einer Macho-Art, macht sich aber eher lächerlich dabei.)
SEILER:
(läßt den Zettel sinken) Marcus, hör´ doch einmal mit diesem Chauvi-Gehabe auf!
Das paßt nicht zu dir. Spiel´ einfach nur so, wie du bist!
BEX:
(arrogant) Tut mir leid, das kann ich mit meiner künstlerischen Auffassung von der
Rolle nicht verbinden.
SEILER:
Dann laß´ es. (Setzt sich auf die andere Seite, während BEX arrogant
stehenbleibt.)
RUHMESTHÄLER:
Och, Kinders, tragt eure Ehestreits doch zuhause aus.
BEX:
Herr Ruhmesthäler! Beim besten Willen kann ich nicht, ästhetisch gesehen,....
RUHMESTHÄLER:
(laut) Wir haben jetzt Probe ! Halt den Mund jetzt. (beruhigt sich wieder)
Heinz, mach bitte mit der Christine weiter. (zu BEX) Und du schaust dir das an!
Ich muß jetzt weg. (ärgerlich ab)
(SEILER und FLEMMIG spielen TEXT 2 angemessen einfühlsam. BEX verharrt schmollend weiter.)
SEILER:
Armer Marcus ! Er bräuchte doch nur so spielen, wie er jenseits dieser Künstlerfassade ist, diesem intellektuellen Snobismus....
FLEMMIG:
Subtil ? Phantasievoll ? Kindhaft...und sogar etwas tolpatschig ?
SEILER:
(überrascht) Ja, so könnte man es durchaus nennen.
FLEMMIG:
Du schaust weit, Christine, aber nicht weit genug... Denn unter diesem „Wie er ist“
befinden sich noch weitere Schichten ! Unser verehrter Künstler ist dort allerdings
gar nicht so hübsch anzusehen. Intrigant. Schmarotzend. Na, und dahinter verbirgt
sich endlich und letztlich seine Triebhaftigkeit und ihr Scheitern. Ja, Christine, er
spielt tatsächlich so, „wie er ist“: triebhaft chauvinistisch. Durch die verschiedenen
Masken, oder besser: verschiedenen Rollen modifiziert, bleibt allerdings nicht viel
mehr als ein lächerliches Zerrbild übrig.
SEILER:
(schluckt) Du meinst....also...Du, ich glaube, ich habe heute viel gelernt. Und
jedenfalls war ich schon auf dem richtigen Weg – von einer Maske hatte ich ihn
schon entblättert, nicht ?
FLEMMIG:
Nur wärst du für immer dabei stehengeblieben. Denn du schälst dir deine „Kerne“
ausschließlich aus der Physiognomie...aus der Art, wie jemand geht, schließt du auf
innere Bewegungen, um es einmal plump zu sagen. Das ist deine ganze analytische
Herrlichkeit.
BEX:
Das ist nicht fair...das ist nicht fair, uns so an die Grenzen des Ichs zu bringen, jenem
gefährlichen Punkt der völligen Selbst-Unwertempfindung....das Nichts....Und ausgerechntet du, der du nie mehr als „Nö, kein Bock“ und „´luja sog i“ gebellt hast,
der du jahrelang die Inkarnation des Auslassungszeichen warst !
FLEMMIG:
Es war notwendig...es stehen nämlich Entscheidungen an, zu deren Zweck ich euch
derart präparieren mußte. Ich selbst habe den, wie du es nennst, Ich-Verlust schon vor
langer Zeit schmerzhaft durchgemacht, und mich so entschieden: Wenn schon nur
durch Rollen existieren, dann wenigstens durch interessante, eindeutige, Modell
stehende. Ich zeige der Gesellschaft, was es sonst so konzentriert nicht gibt: Mister
32
Was wollen wir spielen
Szene 7
FLEMMIG (Fortsetz.):
Null-Bock-Generation. Eine Figur, die alle Klischees in sich vereinigt. Amüsant,
nicht wahr ?
SCHMITZ:
(aus dem Hintergrund) Hab´ ich es denn nur mit Bekloppten zu tun ?!
FLEMMIG:
Soll ich dich auch noch demaskieren ? Es gilt, reinen Tisch zu machen !
SCHMITZ:
Wenn schon reiner Tisch, dann sollte auch ma über Mattu geredet werden. Warum ist
er wohl seit 6 Wochen nicht mehr aufzutreiben ? Was glaubt ihr ?!
SEILER:
Er soll krank sein...oder so...
SCHMITZ:
Oder so ?! Er ist von der Schule geflogen ! Und darf so ganz nebenbei etwas über
zwölftausend Mark Schadenersatz latzen, und das alles nur, weil der saubere Herr Bex
die drei Jahre alte Story mit der Schwimmhalle wieder aufgewärmt hat. Versteht ihr ?
Verpfiffen hat er ihn, ihr Psychos!
SEILER:
Pfui Teufel !
BEX:
Verdammt, Leute, versteht mich doch ! Sabotnik hat mich übers Ohr gehauen, dieser
Verbrecher. Er... hat mir tolle Versprechungen gemacht, und... und ich war so
überrascht...Klar, es hätte mich auch gefreut, wenn Stefan ´n kleinen Rüffel gekriegt
hätte, er hat ja sonst immer nur Glück, aber so was, das, das wollte ich nicht, wirklich.
Versteht mich ! Chris !
SEILER:
Geh weg von mir !
BEX:
Aber...ich bin wohl nicht der einzige hier, der mit Sabotnik krumme Sachen treibt!
FLEMMIG:
Du weißt Bescheid ?
BEX:
(triumphierend) Also doch! Ich hab´ mich mit Mattu ausgesprochen, über unser
Verhältnis, Neid, die Petzerei, alles. Ich glaub´, er hat mir vergeben. Und ich weiß
alles über euch ! Allerdings bin ich scheinbar auch der einzige, der ihm das glaubt,
na ja, bis gerade hatte ich auch noch so meine Zweifel... - Sabotnik hat mir eine große,
eigene Aufführung angeboten, wenn ich bei euch mitmache. Ich habe zum Schein
angenommen, einen auf „hörig“ gemacht. Dachte mir, es ihm so vielleicht heimzahlen
zu können....aber jetzt, da ihr tatsächlich seinen Schwachsinn mitmacht...( zu
SEILER) Sabotage ! Pfui Teufel !
SEILER:
(wendet sich ab) Was sollen wir bloß tun ?
FLEMMIG:
Die Zeit für Entscheidungen ist gekommen. Hört mich an. Eine unbedachte Zusage
bindet uns an Sabotnik...Panik und Unruhe sollten wir stiften. Wir sind alle Gefangene
unser leichtfertig unreflektierten Wünsche und Anliegen. (zu SEILER) Da war der
Streit um den rechten Weg zur Demokratie. Du beklagtest mangelndes
Mitspracherecht – wir hätten gemeinschaftlich über die Auswahl einen Theaterstückes
abstimmen sollen. Was wäre dabei herausgekommen ? Wie viele Tage wären uns
verlorengegangen...für Proben, für die Erfahrungen, die wir gemacht, und die keiner
von uns missen möchte ? Wir säßen gar am Ende immer noch und diskutierten ! Nein,
nicht ein bestimmtes Stück bietet uns das Wesentliche, nur die Art, es zu behandeln.
Und ist es denn demokratisch, wenn eine kleine Gruppe, ja, ein Mann, die Wünsche
aller zerstört ? Zweitens. (zu BEX) Da war der Drang zur Selbstdarstellung. Jemand,
der seine eigenen Ideen dem Gesamtfundus überstülpen wollte. Was ist dabei
herausgekommen ? Da muß jemand für Vergehen büßen, über die die wohlmeinende
Schicksalsmacht längst den Schweigemantel gebreitet hatte. Und letztlich gehen die
durchgesetzten Ideen unter im Chaos der allgemeinen Sabotage, und der Vertreter und
Schöpfer dieser Ideen leidet mehr, als hätte er sie nie ins Spiel gebracht. Drittens. (zu
33
Was wollen wir spielen
Szene 7 / Szene 8
FLEMMIG (Fortsetz.):
SCHMITZ) Da war jemand, der wollte seinen Spaß um jeden Preis. Nicht nur für
sich, sondern für die Zuschauer. Wie edel von ihm. Was kommt dabei heraus ? Je
länger man Lacher vorbereitet, desto lächerlicher werden sie. Längst wurde der Spaß
zur Langeweile, längst erwuchs die Erkenntnis des eigenen Rückzugs in eine seichte
Welt, deren Tyrann der Humor ist. Auch bleibt dem Publikum nach verschwindenden
Momenten der Lachlust doch nur verständnislose Betroffenheit, die in dir selbst zum
Entsetzen gerinnen könnte! (zu allen) Freunde vom Theaterorden ! Ich, ich allein bin
berufen, Sabotnik gegenüberzutreten. Nur ich kann es mit ihm aufnehmen. Und wir
alle werden dem schlauen Teufel Einhalt gebieten kraft unserer Erkenntnis !
BEX:
Ich bin bereit !
SEILER:
Koste es, was es wolle, ich mache mit.
SCHMITZ:
Mattu wollte auch aussteigen...Nein, ich habe Angst. Ich kann nicht. Er wird auch
mich vernichten. Ich habe zuviel Dreck am Stecken.
BEX:
Feigling !
FLEMMIG:
Es bestünde keine Gefahr, wenn wir Sabotnik weiterhin Nachfolge leisten, sein Ziel
letztlich erfüllen...und gleichzeitig unseren eigenen Entschluß realisieren. Das hieße,
zwei einander aufhebende Ergebnisse in Einklang zu bringen...das sich Negierende zu
verbinden...
SEILER:
Zu spielen und gleichzeitig nicht zu spielen...
FLEMMIG.
Ich allein kann das Paradoxon aufheben. Darum habe ich meine Fassade
abgestreift...und so werde ich Sabotnik besiegen. Die Zeit ist eilend...ich werde ein
Konzept erstellen und euch in Kenntnis davon setzen. Wir werden es schaffen !
(VORHANG)
Ende Szene 7
Vorwort zu Szene 8
Und wieder eine Variante aus der großen weiten Welt des Theaters: In dieser Traumszene erscheinen
FLEMMIG Verbündete, Gegenspieler und weitere bekannte Figuren als Schattengeister; persongewordene Gedanken und Reflektionen umtanzen ihn beim vergeblichen Versuch, SABOTNIKS Plan zu
konterkarieren. Ein Moment der Ruhe, heiter-besinnlich, paraphrasierend, musikunterstützt... und – vielleicht
zum erstenmal überhaupt: spielerisch. Und dann ist der Traum aus – und auch der große Denker FLEMMIG
scheint versagt zu haben, alles scheint verloren. Doch ein dummer Zufall macht wieder Hoffnung...
SZENE 8
Szenario: Gespenstischer Raum. Diffuses Licht. Später normal.
Personen: Haupt:
Marcus Bex, Christine Seiler, Heinz Flemmig, Hubert Schmitz, Stefan Matuszinski,
Hans-Jochen-Ruhmesthäler, Jörg Märzbusch, Karl-Friederich Sabotnik, Lars „Was“
Mallitza
Statisten: Sandra Fröhlich, Matthias Hehring, Martin(a) Durchleuchter, Uta Buchholz
Sprachgestus: Theaterlyrik. Später wie Szene 7
(Bei Szenenbeginn sitzt HEINZ FLEMMIG zusammengekauert in der Bühnenmitte. Dann tritt BEX auf,
in einem weißen Gewand. BEX tanzt spukhaft über die Bühne, um FLEMMIG herum, nimmt schließlich
eine Position ein. Folgender Text kann auch gesungen werden:)
34
Was wollen wir spielen
Szene 8
BEX:
Verbohrt und verstiegen / In meine Kunstideen /
Es schafft mir Vergnügen / das And´re nicht zu seh´n /
Ich bin soweit, ich bin bereit, die Umkehr kommt zur letzten Zeit /
um schließlich zu siegen / um endlich zu versteh´n.
MATUSZINSKI:
(genau wie BEX)
Verkauft und verraten / ein Stigma eingebrannt /
hinaus aus dem Garten / und kriminell genannt /
Das Nichts erfühlen, und dennoch spielen, und anderen Erfolg erzielen /
das lernen zu warten / wird letztlich mir bekannt.
SCHMITZ:
(genau wie die beiden)
Da, seht die armen Sünderlein / Wie sie beichten und bereu´n /
die Fehler tausendfach erwähnen / Mir kommen gleich die Rührungstränen !
Die Zeit ist falsch für viel Emphase / es drohet drohend Sabotage !
BEX:
Pfui, welch ein Reim !
SCHMITZ:
Und dennoch wahr: es drohet drohend die Gefahr !
MATUSZINSKI:
Pfui, das Adverb !
SCHMITZ:
Ist etwas herb: es drohet freundlich die Gefahr !
BEX:
Sympathisant.
SCHMITZ:
Total verkannt.
MATUSZINSKI:
Die Angst wohl mehr ?
SCHMITZ:
Das trifft´s schon eher: es drohet ängstlich die Gefahr !
BEX:
Ich geb´ es auf.
SCHMITZ und
MATUSZINSKI:
Hinauf ! Hinauf ! (Alle drei flattern umher)
SCHMITZ:
Ich geb´ ein´ aus !
BEX und
MATUSZINSKI:
Hinaus ! Hinaus ! (Alle drei flattern ab)
FLEMMIG:
(erhebt sich) Nein ! Oh nein ! Ich schaffe es nicht. Es geht nicht. (sinkt wieder in
sich zusammen)
(SEILER und MALLITZA treten auf, gleichfalls in weißen Gewändern, MALLITZA mit einem riesengroßen
stilisierten Kopfhörer.)
SEILER:
Seit willkommen, seit bereit / Wir führen Euch durch Raum und Zeit /
vom Strahlenfluß zum Farbenstrom / Ins Bildermeer der Traumvision...
Gedanken reisen endlos weit / Durch Zukunft und Vergangenheit /
Bewußtsein, Ahnung und Erkenntnis / Zu Toleranz und Selbstverständnis.
Wir sind die Diener und die Meister / Herr deines Geistes und der Geister
von Psyche und Gedankenwelt / die dich bestimmt, lenkt und erhält...
Drum seit willkommen, seit bereit / Die Worte geben Sicherheit
die Elemente zu versteh´n / mit and´ren Augen neu zu seh´n.
Ein Kosmos voller Licht und Dunkel / Mit Liebe voll und Haß /
Wohlan, so laßt uns spielen / Die Frage ist nur....
35
Was wollen wir spielen
Szene 8
MALLITZA:
Was ? (beide ab)
FLEMMIG:
(wie zuvor) Oh nein ! Nein !
(RUHMESTHÄLER und MÄRZBUSCH treten auf, ebenfalls in weißen Gewändern, aber insgesamt
würdiger.)
MÄRZBUSCH:
MÄRZBUSCH:
(Fortsetzung)
RUHMESTHÄLER:
Verehrter Freund, so sage mir / Warum wir spielen, und wofür /
Jahrein, jahraus nur Ärger und Angst / Erreichst du wirklich, was du erlangst ?
Entbehrungsreich ist uns´re Planung / dafür gibt´s viel Kritik und Mahnung
von jedem kranken Hirngespinst / erreichst du wirklich, was du ersinnst ?
Es bleibt von uns´rem Ölbildnis – bemalt mit herrlichster Natur- /
entweder eine Halbwildnis, oder – was schlimmer – die Kultur !
Verehrter Freund, wo ist der Sinn ?
Die Antwort, sie reicht längst nicht hin...
Statt große Worte auszutauschen / laßt uns den Flötenspielern lauschen /
Der Sinn, beim Namen nicht zu nennen, läßt sich durch die Musik erkennen...
(Die MUSIKER ziehen – ebenfalls in Weiß – spielend auf. Musik.)
FRÖHLICH:
Ohne herkömmliche Grenzen /
HEHRING:
Machen wir Musik /
BUCHHOLZ:
Mal fughiert, mal Bass-Sequenzen /
DURCHLEUCHTER:
Mal Beatles, mal antik /
ALLE VIER MUSIKER: (zum Publikum) Werfen Sie Ihre Vorurteile fort /
Kritik erst nach dem Schlußakkord ! (Alle ab, bis auf FLEMMIG)
FLEMMIG:
(wie zuvor) Nein ! Oh nein ! (sinkt zusammen)
(SABOTNIK zieht auf, auch in Weiß, aber mit militärischem Stechschritt.)
SABOTNIK:
Ihr glaubt, ich werde auch sein ein Schwinger, und zwar von großen Worten. Ihr
täuscht euch. Brecht hat recht. Und ich werde siegen. Schluß. Aus. (ab)
FLEMMIG:
Oh, oh ! Wir sind verloren ! Entsetzen !
(Bühne wird schlagartig hell. BEX, SEILER und SCHMITZ treten wieder – normal gekleidet – auf.
Sekundenlanges Schweigen.)
BEX:
Nun ?
FLEMMIG:
Freunde....ich habe versagt. Nichts und niemand kann diesen Teufel überwinden, er ist
einfach viel zu gerissen. Wir werden in den sauren Apfel beißen müssen.
BEX:
Was hattest du eigentlich vor ?
FLEMMIG:
Mein Plan war es, eine Inszenierung zu entwerfen, die einerseits unseren Vorstellungen entspricht, Sabotnik aber gleichzeitig episch vorkommt. Voller Zuversicht
ging ich ans Werk und hatte nach überraschend kurzer Zeit ein Modell erstellt...ich
sage euch... Sabotnik wäre begeistert gewesen...und auch das Publikum hätte „sein“
Stück gesehen.
BEX:
Und ?!
36
Was wollen wir spielen
Szene 8 / Szene 9
FLEMMIG:
Die Sache scheitert am Wesentlichsten. Unsere eigenen Ideen hätten wir unterdrücken
müssen. Wir verstellten uns wiederum, zögen ein aufgeblasenes Konstrukt durch –
nichts, wohinter wir stehen könnten. Wahrscheinlich hat Sabotnik sich das Ganze mit
satanischer Schläue schon vorweg überlegt....Himmel, macht dieser Mensch denn nie
Fehler ?
BEX:
Egal. Wir werden – ungeachtet der Konsequenzen – so spielen, wie wir es für richtig
halten. Ich bin grimmig entschlossen.
SCHMITZ:
Nö, ich mach´ da nicht mit. Ich hab´ mindestens soviel Scheiße verzapft wie Mattu.
Wenn das rauskommt, bin ich tot.
BEX:
Du bist ein Arschloch.
SCHMITZ:
Verdammt, ich laß´ mir doch drei Monate vor´m Abi nichts mehr anbrennen !
BEX:
Ich werde dir das Maul stopfen ! (Sie führen eine stilisierte Prügelei vor.)
FLEMMIG:
(zum Publikum, auf die Prügelnden weisend) Das Ergebnis von 13 Jahren humanistischer Bildung. (zu SEILER) Sabotnik wird drohend über der Aufführung
schweben....über unserer Aufführung.
SEILER:
(lacht laut auf) Und dabei wird er sie noch nicht einmal sehen !
BEX:
(hört plötzlich auf zu prügeln) Was war das ?!
SEILER:
Ja, er hat mir gesagt, er fährt schon am Donnerstag zu seinen Big Bossen nach Düsseldorf, um ihnen einen vorläufigen Abschlußbericht über die WHG-Aktion zu geben.
Donnerstag abend.
BEX:
(sinnierend) Das...war sein Fehler.
SCHMITZ:
Donnerstag ? Einen Tag vor der Premiere ?!
SEILER:
Ja, gewiß. Donnerstag abend. Wahrscheinlich weiß er nicht einmal, wann die Premiere
ist.
FLEMMIG:
Auffallend korrekt...Für ihn ist die Aktion bereits beendet. Er interessiert sich nur für
Dinge, die ihn unmittelbar betreffen. Solche Nichtigkeiten wie die Aufführungstermine gehören nicht dazu.
BEX:
Wäre es nicht viel besser für ihn, wenn er authentisch von der „Katastrophe“ berichten
könnte ? Mit Photos, meinetwegen ?
SEILER:
Natürlich... das würde ihm gefallen.
BEX:
Er soll seine Aufführung haben. Am Donnerstag.
SCHMITZ:
Am Donnerstag ist Generalprobe !
BEX:
Ganz genau. Leute, paßt auf. Du, Christine, kriegst raus, wann dieses Schwein genau
fährt. Exakte Uhrzeit. Für ´ne Viertelstunde vorher lädst du ihn zur Generalprobe ein,
sozusagen auf dem Weg zum Bahnhof. Er soll ´ne Kamera mitbringen. Wir werden
Ruhmesthäler für diese Zeit irgendwie weglocken. Und dann kriegt Sabotnik seine
Aufführung. Wir werden die Sau steigen lassen. Soviel Chaos wie möglich. Er wird
Fragen stellen ? Soll er nur. Widersprüche sind im Sinne Brechts, Verfremdung heißt,
Fragen aufwerfen ! Beispiel: Er hat Plakate gesehen, die den Premierentermin mit
Freitag angeben ? Die sind natürlich von uns gefälscht. Die Musiker spielen richtig ?
Nun, bei unseren Musikern dürfte es uns keinerlei Schwierigkeiten machen, ihn davon
37
Was wollen wir spielen
BEX (Fortsetzung):
Szene 9
zu überzeugen, es wäre falsch. Das meint man ohnehin ja immer. Leute, glaubt mir,
wenn wir nur mit dem nötigen Selbstvertrauen ans Werk gehen, gibt es nichts, was wir
ihm nicht erklären könnten. Nach der Viertelstunde dann reist er ab...und kassiert
Prügel !
(Stille.)
FLEMMIG:
Diese Idee ist derart spontan, absurd und lächerlich.....daß wir es versuchen sollten!
(VORHANG)
Ende Szene 8
Vorwort zu Szene 9
Das „Endspiel“ steigt – und lebt von der Spannung, ob SABOTNIK die Täuschung merkt oder nicht. Nebenbei
erleben wir the dark side of HANS-JOCHEN RUHMESTHÄLER, MARCUS BEX spielt uns noch einmal
das wunderbare Lied vom Brot, wir stellen eine gewisse Parallelität zur Szene 1 fest und stolpern uns dann durch
Lärm, Chaos und Klamauk zum guten Schluß. Fast.
SZENE 9
Szenario: Bühne wie in Szene 4 f.
Personen: Haupt:
Marcus Bex, Christine Seiler, Heinz Flemmig, Hubert Schmitz, Stefan Matuszinski,
Hans-Jochen-Ruhmesthäler, Jörg Märzbusch, Karl-Friederich Sabotnik, Astrid Redemann,
Klaus Schleiminger
Statisten: Sandra Fröhlich, Matthias Hehring, Martin(a) Durchleuchter, Uta Buchholz, der Kellner,
Marco Rockmüller, Lars „Was“ Mallitza & Mandy, Horst v. Stahl, Karin Flüstek
Sprachgestus: Naturalistisch und verrückt.
(Bei Szenenbeginn befinden sich alle Personen außer SABOTNIK, ROCKMÜLLER und dem KELLNER
auf der Bühne. Musik. RUHMESTHÄLER geht nervös auf und ab.)
RUHMESTHÄLER:
Schluß ! Aus ! Nein, das ist doch jämmerlich. Könnt ihr nicht an der richtigen Stelle
einsetzen ? Herrgott nochmal, wir haben Generalprobe ! Märzbusch ! Bring´ deinen
Leuten doch mal die Flötentöne bei !
MÄRZBUSCH:
Also, bitte noch einmal. Zwo, Drei.....
RUHMESTHÄLER:
Nein ! Nein !! Nicht nochmal. Weiter !
(Vom Tonband schellt ein uraltes, leierndes Telefon)
BEX:
(schreit) Jetzt noch nicht, Lars ! (Band stoppt abrupt)
SCHLEIMINGER:
(betritt die Innenbühne) Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen. Seit einiger Zeit hat
sich ein unbekanntes Übel in unserer Stadt verbreitet....
RUHMESTHÄLER:
Ooh ! Oh! Was war das denn ?! Junge, sprich deutlich ! Mikro lauter. Mehr Licht !
MALLITZA:
(aus dem Hintergrund) Was ?
VON STAHL:
Licht, jawoll, zu Befehl. (es wird gleißend hell.)
SCHLEIMINGER:
...es ist kein Atomkrieg, es geschehen keine Morde...
38
Was wollen wir spielen
Szene 9
RUHMESTHÄLER:
Gleich geschieht einer ! Jodel doch nicht so ! Tiefer die Stimme. Und was soll denn
diese Bewegung ? Spiel vernünftig, verdammt noch mal. Und von Stahl, zum
Kuckuck nochmal, weniger Licht !
VON STAHL:
Weniger Licht, jawoll, zu Befehl. (Stockfinster.)
REDEMANN:
Hilfe, ich bin blind, ach quatsch, nein doch, blind !
SCHMITZ:
Du bist blond. Und nimm die Finger da weg, Astrid, das ist kein Schraubenzieher !
SCHLEIMINGER:
Äh, Herr Ruhmesthäler, soll ich...ich...(Licht geht - wie zu Beginn- recht dunkel an)
RUHMESTHÄLER:
(schreit) Spiel jetzt !!
(Das Telefon vom Band beginnt wieder zu schellen.)
RUHMESTHÄLER:
MALLITZA ! ICH SCHMEISS DICH RAUS !
MALLITZA:
Aus ? (Telefon stoppt. MANDY beginnt zu weinen.)
SCHLEIMINGER:
Plötzlich, ohne erkennbare Ursache und ohne das sonstige Nahrungsmittel betroffen
wären, fangen Brote an, äh...fangen an...
FLÜSTEK:
(flüstert) ...aus den Läden, den Bäckereien...den Supermärkten...
RUHMESTHÄLER:
(überschreit sie) Ja, schlafen denn die Souffleusen ?! Text ! Text !! Oh, oh, das gibt
´ne Katastrophe.
SCHLEIMINGER:
Seien Sie doch mal leise, sonst kann ich die überhaupt nicht mehr verstehen !
BEX:
(zu SEILER) Es ist soweit. (zu MALLITZA) Lars ! Was !! Das Telefon !!!
(Nichts passiert)
SEILER:
Äh...Herr Ruhmesthäler....(wartet und wartet) Telefon für Sie...oder so...
RUHMESTHÄLER:
Ich glaub´, es hakt aus. Wir haben Generalprobe ! Will nicht gestört werden. Nicht.
Von niemanden.
SEILER:
Aaaaber...es ist...bestimmt wieder das Krankenhaus ! Ihrer Mutter geht´s doch nicht
gut, oder so...
RUHMESTHÄLER:
(schreit) Und wenn es der Pfarrer höchstpersönlich ist, wir haben Generalprobe !
SCHMITZ:
Herr Ruhmesthäler ! Herr Ruhmesthäler ! Sie müssen sofort kommen, in den
Schminkräumen herrscht Sturmflut ! Wasserrohrbruch, oder so.
RUHMESTHÄLER:
Jetzt reicht´s mir aber ! Soll sich doch der Hausmeister drum kümmern. Soll er drin
ersaufen ! Weiter im Text ! Noch ein Wort, und es passiert was !
MATUSZINSKI:
Scheiße, Mensch, Sabotnik kommt schon....
FLEMMIG:
Jetzt ist alles aus. Aus und vorbei.
BEX:
Äh, Herr Ruhmesthäler, da...unten hat jemand...zwei Flaschen Cognac für Sie
hingestellt....
RUHMESTHÄLER:
(geht mit einer drohenden Gebärde auf BEX zu, als wolle er ihn erschlagen,
klopft ihm dann aber freundschaftlich auf die Schulter) Kinders, macht ma eben
ohne mich weiter, ich glaub´, ich muß ma dringend weg. Jörg, kommse mit ?
39
Was wollen wir spielen
MÄRZBUSCH:
Szene 9
Klar, immer. (beide ab)
(SABOTNIK tritt mit einem uralten, großen Photoapparat auf, gefolgt von ROCKMÜLLER.)
BEX:
(zu MATUSZINSKI) Es geht los. (zu SEILER) Was will Barocky denn hier ?
SEILER:
Soviel Chaos wie möglich, oder ? (lacht) Der ist das Publikum !
MATUSZINSKI:
(tritt auf die Innenbühne) Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen. Genossen und
Genossinnen, hört mich auf, ich bin zu. Seit einiger Zeit hat sich ein unbekanntes
Übel in der Kulturszene verbreitet: das Illusionstheater. Und darum: Berthold Brecht
lebe hoch. Er lebe hoch !
BEX, FLEMMIG,
SEILER, SCHMITZ:
Hoch ! Hoch ! Hoch ! Musik, bitte. (mit MATUSZINSKI ab auf die Außenbühne)
HEHRING:
Verrückt geworden ? Wir können jetzt doch nicht einsetzen ! (Angeregte Diskussion
unter den Musikern)
SABOTNIK:
Nicht schlecht. Ich spreche euch aus, und zwar meine Zustimmung. Warum aber spielt
dieser da noch mit ? (zeigt auf MATUSZINSKI)
MATUSZINSKI:
(verzückt) Berthold erschien mir im Traum...Und der Chef gab mir eine
Sondergenehmigung.
SABOTNIK:
(mißtrauisch) So, wirklich ? ...Ich sehe ...kaum Publikum. Was soll das.
BEX:
Nun, äh...ähh...wir halten sie schon an der Kasse auf. Die Eintrittskarten seien falsche.
Sabotage, du verstehst ?
SABOTNIK:
Hervorragende Idee. Wirklich ausgezeichnet. Aber...merken davon jedwelche andere
Darsteller nichts ?
SEILER:
Nein, nein, der Zuschauerraum ist doch abgedunkelt. Sie merken es nicht.
SABOTNIK:
Wirklich nicht ? Das kann ich mir nicht stellen, und zwar vor, denn selbst bei...
BEX:
Paß auf jetzt ! Es geht weiter ! (imitiert RUHMESTHÄLER) Mehr Licht !
VON STAHL:
Licht, zu Befehl, jawoll. (es wird wieder gleißend hell)
(SEILER und FLEMMIG treten auf die Innenbühne)
FLEMMIG:
Gib dir Mühe, Liebste. Nichts kann dich aus meinen Armen reißen. Also...zur Sache,
Schätzchen.
SEILER:
Ahh...(Sie umarmen sich leidenschaftlich, wälzen sich über den Bühnenboden.)
SABOTNIK:
(photographiert ständig) Ha ! Das ist ein Richtiges, und zwar für jedwelche prüden
Bildungsbürger. Schade nur, daß diese nicht sind anwesend. Wann sind sie
eingelassen werdende ?
BEX:
Bald, bald...(tritt vor:) Los, Playback ab, „Was“ !
(Das Telefon schellt wieder.)
BEX:
(singt) Wunderbar...Malliza....und jetzt bitte das Tralala ! (Musikplayback startet,
BEX singt: Ich. Und das Brot. Das Brot. Und ich. Wir beide.
Für immer. So episch. Das Brot ist schlecht und Brecht hat recht, das Brot ist
schlecht und Brecht hat recht. Ich. Und der Brecht. Mir is´ schlecht. Für immer.
40
Was wollen wir spielen
Szene 9 / Szene 10
ROCKMÜLLER:
(betritt die Bühne mit einem Eimer Wasser, singt zum gleichen Playback:
Ich. Und der Bex. Und. Der Komplex. Wer von. Uns beiden. Singt besser.
Der Bex wird naß und ich hab´ Spaß, der Bex wird naß und ich hab´ Spaß.
Ich. Und der Bex. Der Komplex. Der Eimer. (schüttet den Eimer über BEX
aus, der verfolgt ihn fluchend über die Bühne.)
REDEMANN:
Sowas Beklopptes habe ich noch nie erlebt, ach quatsch, nein, doch, noch nie erlebt.
Ich geh´ nach Hause. (zu SCHLEIMINGER) Und du...kommst jetzt mit. Irrenhaus.
(halb umarmt sie ihn, halb zerrt sie ihn von der Bühne)
SCHLEIMINGER:
Aber...aber...nein...was denkst du dir...ich bin doch kein Junge für eine Nacht...Hilfe !
(beide ab)
SCHMITZ:
Wir werden uns nicht länger der Tyrannei des Bühnenbildes beugen !
FLEMMIG:
Nieder mit dem Bühnenbild !
BEX, FLEMMIG,
MATUSZINSKI,
SEILER, SCHMITZ,
SABOTNIK:
Nieder mit dem Bühnenbild ! Jaa !!
(Das Bühnenbild fällt unter größtmöglicher Geräuschentwicklung um. Das ist das Startzeichen zum
Finale: Alle Aktiven tanzen und stürmen wirr über die Bühne, Musik spielt zusammenhanglos, entfesselte Partystimmung, dazwischen der Kellner mit seinem Tablett. Dabei können Textfetzen aus Szene 1
gerufen oder gesungen werden, wie: „Brecht hat recht“, „Jeder braucht Punkte“, „Notenbuch, Tafelschwamm, Feuermelder und Putzfrau“ u. ähnl. Passagen. Stroboskoplicht geht an und aus, das Telefon
klingelt, die Kleine weint. Das Ganze mindestens 3 Minuten.)
VORHANG.
Ende Szene 9
Vorwort zu Szene 10
Die letzten Minuten vor der Premiere...I can´t help it – ich mag dieses kleine Anhängsel, diesen ruhigen
Orgelpunkt nach dem gerade erlebten Finale furioso. Eineinhalb Liebende, die aus dem Purgatorium
„Theaterkurs“ als verständige junge Erwachsenen herausgetreten sind, die der Zukunft letztlich getrost ins
Auge sehen, und Aufgaben miteinander meistern können, wissend, daß ihre Wege sich bald trennen...
mental...sentimental...Zillertal. Deutungen und Analogien dieser Szene darf jeder für sich herausarbeiten, politisch, religiös oder sexuell, wie Matthias Hehring, pardon , Martin Mehring immer zu sagen
pflegte...
Haben wir gelernt ? Ich glaube nicht.
Haben wir geschmunzelt ? Ich denke schon.
SZENE 10 (Quasi-Epilog)
Szenario: Unbestimmter Raum. Keine Dekoration. Halbdunkel.
Personen: Haupt:
Marcus Bex und Christine Seiler
Statisten: Keine
Sprachgestus: Theatralisch
STILLE.
41
Was wollen wir spielen
Szene 10
SEILER:
Wie lange noch ?
BEX:
Sechs Minuten, vielleicht vier...
SEILER:
Marcus, ich halt´ das nicht aus. Die Aufregung gestern...und heute, heute ist alles viel
schlimmer. Anders. ....Meine Nerven...Weißt Du, was mit Sabotnik geschehen ist ?
BEX:
Nein.
SEILER:
Seine Führer wußten natürlich, daß jetzt erst Premiere ist. Er stand schon an der Wand
und sollte erschossen werden, da kam in letzter Sekunde eine Direktive von ganz
oben: „Im Rahmen der ideologischen Reinigung ist ab sofort folgendes allein gültige
Wahrheit: Brecht ist ein Verräter. Einzig sozialistisch ist das Illusionstheater.
Jedwelcher theoretischer Überbau folgt in Kürze.“...Nun, Sabotnik wurde befördert,
mit Orden dekoriert und als Held gefeiert, weil er „...im Augenblick größter
Verdunkelung einen klaren Blick behalten und die Sabotage sabotiert hat.“
BEX:
Woher weißt du das alles ?
SEILER:
Vielleicht...weiß ich es gar nicht. Vielleicht erfinde ich es nur, um mich abzulenken...
Lampenfieber....früher habe ich es für ein Zeichen der Schwäche gehalten...Ich bin
schwach. Sehr schwach. Es ist alles...alles wie blockiert. Ich glaube, ich werde kein
...Wort herausbringen...weg, alles weg...
BEX:
Gib mir deine Hand. Wir werden gut sein.
SEILER:
Bitte, sag´ mir etwas aus deinem Text. Den letzten Satz.
BEX:
(überlegt kurz, deklamiert) „Denn alles, was wir Zugewinn nennen, ist immer auch
mit einem Verlust behaftet. Einem Verlust des Reichs der Unannehmlichkeiten,
welche uns vor dem Zugewinn begleiteten...“
Ja, Christine, wenn der Vorhang sich gleich für uns öffnet, beginnt nicht etwas...es
endet. Etwas...ist dann vorbei....
(Hinter der Bühne spielt eine Flöte ein kurzes Thema.)
SEILER:
Haben wir gelernt ?
BEX:
Vielleicht...
SEILER:
Wir werden auseinandergehen...Uns verlieren, in der Anonymität...
Da ! Der Vorhang ! Halte mich fest.
(VORHANG beginnt sich zu schließen.)
BEX:
Ich halte dich. Wir...wir werden gut sein.
SEILER:
Ja.....es ist gut.
(VORHANG ganz zu. Flöte spielt noch einmal obiges Thema.)
Ende Szene 10
FINE
42
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