DER GOLDNE TOPF RAUMKONZEPT Vigilie 1.1 Beginn im Schlosshof (Marktszene) Vigilie 1.2-2.2 Auf der Ringmauer vor dem Schlossportal (Am Elbufer) Vigilie 2.3-6 Im Gewölbekeller (Lindhorsts Villa – Weinkeller – Im Haus Paulmanns – Im Haus der Alten Pause Vigilie 7 Im Schlosshof (Am Kreuzweg) Vigilien 8-12 Im Gewölbekeller Musik: Im Schlosshof: Keyboard, Flöte, Cello; CD-Player für Audios Im Gewölbekeller: E-Piano, Querflöte, Cello, Gesang (Sopran) Tonanlage (2 Satelliten) für einige Musik- und Geräusch-Einspielungen Videos: Nur im Gewölbekeller, Mittelprojektion (Aufprojektion) und 2 symmetrische Seitenprojektionen (Rückprojektionen). Licht: Komplexes Lichtdesign für den Gewölbekeller; Effektstrahler für Schlosshof (Aufstellung: Fensternischen Nordflügel und überdachte Freitreppe)und Vorhof. ERSTE VIGILIE 1.1 VOR DEM SCHWARZEN TOR Spielort: Im Schlosshof vor dem Kellereingang Die Zuschauer stehen im Kreis (notfalls mit Regenschirmen); das Äpfelweib preist in der Mitte an zwei Biertischen seine Äpfel an, der Student Anselmus rennt sie über den Haufen und flüchtet dann durch das Schlossportal ins Freie.. Musik 01: Straßenmusikanten spielen und singen Schuberts „Frühlingstraum“: „Ich träumte von Lieb um Liebe, von einer schönen Maid, von Herzen und von Küssen, von Wonne und Seligkeit…“ Das Äpfelweib: Kauft Äpfel! Frisch vom Baum gepflückte, gut gelagerte, grüne, gelbe, blutrot geäderte… Greift nur zu! Über Rosen könnt ihr dichten – in die Äpfel müsst ihr beißen! Musik 02.1: E.T.A.Hoffmann, Scherzo aus dem Klaviertrio (Anfang) (Anselmus rennt dazu das Äpfelweib über den Haufen) Das Äpfelweib: Meine süßen Äpfelchen! Meine lieben Kinder! Anselmus: Es tut mir Leid – nehmt aus meinem Beutel, was billig ist! (sie ergreift gierig den Geldbeutel, er entkommt durch das Eingangstor) Musik 02.2 E.T.A. Hoffmann, Scherzo aus dem Klaviertrio (Fortsetzung) Das Äpfelweib: (kreischt ihm hinterher, sobald die Musik leiser wird) Ja, renne – renne nur zu, Satanskind – ins Kristall bald dein Fall – ins Kristall! (Zwei verwahrloste Jugendliche kommentieren den Vorfall, sich über das Geländer der Freitreppe herab beugend) Der Sekretär: Der arme junge Herr! Ei! – über das verdammte Weib! Der Spottvogel: So ein hübscher Junge! Trotz seiner Kleidung, die freilich außerhalb aller Mode liegt! Der Sekretär: Ein vertrackter Fall! Wir sollten uns seiner annehmen! Begleiten wir den ungestümen jungen Herrn durch das Tor hinaus ans Elbufer, bevor ein neues Unglück passiert…. Musik 02.3: E.T.A. Hoffmann, Ende des 1. Teils des Scherzos + Trios + Schlusstakt Scherzo 2. 1.2 AM ELBUFER Auf der Ringmauer vor dem Schlosstor. Die Fahnenmasten sind zu Märchenbäumen (Holunder) umgewandelt. Links ein stilisierter Schiffsbug (Schräges Podest 100x50 cm mit nach vorne verlängertem Eisengeländer. Der Clochard und Anselmus sitzen in der Mitte der Mauer, rechts beim Holunderbaum lümmeln sich 2 Obdachlose (Lisa und Niklas) die aus großen Plastiktüten die Requisiten für ihren späteren Auftritt als Abendwind und Sonnenstrahl heraus kramen. Niklas betätigt auch den CD-Player, aus dem später die psychedelische Musik erklingt. Der Clochard: Du bist wohl auch so einer, der zu allem möglichen Kreuz und Elend geboren ist. Anselmus: Dass ich niemals Bohnenkönig geworden, dass ich im Paar und Unpaar immer falsch geraten, dass mein Butterbrot immer auf die fette Seite gefallen, von all diesem Jammer will ich gar nicht reden. Der Clochard: Auch wenn du dem Satan zum Trotz doch noch Student geworden bin, so wirst du ewig ein Kümmeltürke sein und bleiben! (Sie rauchen zusammen den mit Hanf versetzten „Sanitätsknaster“) Anselmus: Ziehe ich wohl je einen neuen Rock an, ohne gleich das erste Mal einen Talgfleck hineinzubringen oder mir an einem übel eingeschlagenen Nagel ein verwünschtes Loch hineinzureißen? Der Clochard: Das kenn ich! Grüßt unsereins wohl je einen Herrn Hofrat oder eine Dame, ohne den Hut von uns zu schleudern oder gar auf dem glatten Boden auszugleiten und schändlich umzustülpen? Anselmus: Bin ich denn ein einziges Mal ins Kollegium, oder wo man mich sonst hinbeschieden, zu rechter Zeit gekommen? Was half es, dass ich eine halbe Stunde vorher ausging und mich vor die Tür hinstellte, den Drücker in der Hand, denn sowie ich mit dem Glockenschlag aufdrücken wollte, goss mir der Satan ein Waschbecken über den Kopf, oder ließ mich mit einem Heraustretenden zusammenrennen, dass ich in tausend Händel verwickelt wurde und darüber alles versäumte! - Der Clochard: Ja, ja! Wo seid ihr hin, ihr seligen Träume künftigen Glücks… Unsereins wird es nie bis zum geheimen Sekretär bringen! Anselmus: Nur noch heute! Ich wollte den lieben Himmelfahrtstag recht in der Gemütlichkeit feiern, ich wollte ordentlich was draufgehen lassen. Ich hätte ebensogut wie jeder andere Gast in Linkes Bad stolz rufen können: „Kellner – eine Flasche Doppelbier – aber vom besten, bitte ich!“ Ich hätte bis spät abends sitzen können… Der Clochard: Stell dir vor, Bruder: ganz nahe bei dieser oder jener Gesellschaft herrlich geputzter schöner Mädchen… Anselmus: Ich weiß es schon, der Mut wäre mir gekommen, ich wär ein ganz anderer Mensch geworden… Der Clochard: (spielt ein Mädchen) „Ach, mein junger Herr, was ist denn das für eine hübsche Musik, was das Kurorchester da spielt?“ Anselmus: Nun wäre ich mit leichtem Anstand aufgesprungen, ohne mein Glas umzuwerfen oder über die Bank zu stolpern; mich in gebeugter Stellung elegant anderthalb Schritt vorwärts bewegend (er tut es), hätte ich gesagt: „Erlauben Sie, Mademoiselle, Ihnen zu dienen, es ist die Ouvertüre aus ‚Donauweibchen‘.“ Hätte mir das ein Mensch in der Welt übel deuten können? – Nein! Sage ich, die Mädchen hätten sich so schalkhaft lächelnd angesehen, wie es wohl zu geschehen pflegt, wenn ich mich ermutige, zu zeigen, dass ich mich auch wohl auf den leichten Weltton verstehe und mit Damen umzugehen weiß. Aber da führt mich der Satan in den verwünschten Äpfelkorb, und nun muss ich in der Einsamkeit meinen Sanitätsknaster rauchen - - Musik 03 Audio Glasharmonika 1 (2:00) Während Anselmus rauchend in Träume versinkt, flüstert es aus dem Gezweig... Der Abendwind / Die Schlange / Der Sonnenstrahl: Zwischen durch – zwischen ein – zwischen meinen Zweigen, zwischen schwellenden Blüten, schwinge, schlängle, schlinge dich nun – Schwesterlein – Schwesterlein – schwinge dich im Schimmer – schnell, schnell herauf – schnell wieder herab – Abendsonne schießt schon Strahlen, zischelt der Abendwind – raschelt der Tau – Blüten singen – rührst du dein Zünglein, singst du mit Blüten und Zweigen – Sterne bald glänzen – musst wieder herab – zwischen durch, zwischen ein – schlängle, schlinge, schwing dich, lieb Schwesterlein. Anselmus: Der Abendwind! Wie er heute doch mit ordentlich verständlichen Worten flüstert! (er blickt hoch, wo im Gezweig Lichter funkeln und blitzen) Wie die Abendsonne im Holunderbusch spielt! (Da blickt er in „ein Paar herrliche dunkelblaue Augen“, so dass „ein nie gekanntes Gefühl der höchsten Seligkeit und des tiefsten Schmerzes seine Brust zersprengen will“) Wer – wer bist du? Die Schlange Serpentina: Du kennst mich – wäre ich dir sonst erschienen? (Unter ihrer Berührung fällt der Student in Trance – es mag ein Rausch unter der Wirkung des „Sanitätsknasters“ sein) Oh! Du glaubtest auf mich verzichten zu können, weil sich in dir das Denken entzündet hat! – Du hofftest dem Geist um so näher zu sein, je sorgfältiger du das verwarfst, was sich anfassen lässt – Der Sekretär: Student du! Du brauchst Öl für deine Glieder – Blut für deine Adern – Wasser für deine Seele. Alle abstrakte Kenntnis ist welkes Sein – denn, um die Welt zu begreifen, genügt das Wissen nicht: man muss sehen, berühren, im Einklang mit ihr leben. Die Schlange Serpentina: Du lagst im Schatten des Lebensbaums, sein Duft umfloss dich, aber du verstandest ihn nicht. Der Duft ist seine Sprache, wenn ihn die Liebe entzündet. Der Abendwind: (Lässt Seifenblasen in den Abendhimmel steigen) Ich umspielte deine Schläfe, aber du verstandest mich nicht, der Hauch ist meine Sprache, wenn ihn die Liebe entzündet. Der Sonnenstrahl: (breitet seinen Strahlenkranz vor dem Abendhimmel aus) Ich umgoss dich mit glühendem Gold, aber du verstandest mich nicht. Glut ist meine Sprache, wenn sie die Liebe entzündet. Der Clochard (später Archivarius Lindhorst): (er verscheucht die Traumgestalten) Hei, hei, was ist das hier für ein Gemunkel und Geflüster? – Das wird ein Nachspiel haben, Herr Sekretarius! Hei, hei, genug gesonnt, genug gesungen – hei, hei, durch Busch und Gras – durch Gras und Strom! – hei – hei – her-u-u-unter – her-u-u-unter! Nach Hause! (die Erscheinung verschwindet) ZWEITE VIGILIE 2.1 Am Elbufer Schauplatz unverändert Anselmus: (aus der Trance erwachend, den Stamm des Holunderbaums umarmend) Oh, nur noch einmal blinket und leuchtet, ihr lieblichen goldenen Schlänglein, nur noch einmal lasst eure Glockenstimmchen hören! Die Stadtstreicherin: Der feine Pinkel ist wohl nicht recht bei Troste! Anselmus: Oh, nur noch einmal blickt mich an, ihr holdseligen blauen Augen, nur noch einmal, ich muss ja sonst vergehen in Schmerz und heißer Sehnsucht! Die Stadtstreicherin (Spottvogel): (ihm den fallen gelassenen Tabaksbeutel und die Pfeife reichend) Lamentier der Herr nicht so schrecklich in den Abendhimmel. Und geh' er den braven Leuten da unten nicht auf die Nerven, wenn Ihm sonst nichts fehlt, als dass er zu viel ins Gläschen geguckt – geh er fein ordentlich nach Hause und leg er sich aufs Ohr! Anselmus: Ach – wie ist das mir peinlich. Ich hasse doch die Selbstredner! Hat der Satan wieder aus mir geschwatzt? Der Stadtstreicher (Sekretär): So,so – das ist dem Herrn Studiosus also peinlich! Nun, nun, lass es der Herr nur gut sein, so was geschieht dem Besten, und am lieben Himmelfahrtstag kann man wohl in der Freude seines Herzens ein Schlückchen über den Durst tun. Das passiert auch wohl einem Mann Gottes - der Herr ist ja doch wohl ein Kandidat der Theologie. – Aber wenn es der Herr erlaubt, nehm ich mir eine Prise von seinem Tabak, meiner ist da droben ausgegangen. Anselmus: Bitte sehr, Allerwertester! Aber Sie irren sich in mir: Für einen am Himmelfahrtstage betrunkenen Candidatus theologiae gehalten zu werden, ist mir ganz unerträglich! Gott befohlen! (er springt von der Mauer herunter) 2.2 Auf dem Wasser (im Boot) Der Konrektor Paulmann: Herr Anselmus, so kommen Sie doch zu uns, wir warten hier am Wasser! Veronika: Fahren Sie doch mit uns über die Elbe und bleiben Sie bei uns zum Abendbrot! Anselmus: (Er geht zu ihnen hinüber) Sehr gerne, Verehrter Herr Konrektor. Guten Abend, Herr Registrator Heerbrand! Ach liebes Fräulein Veronika – Sie wissen ja gar nicht, welch bösem Verhängnis Sie mich damit entreißen… Mu 04: Audio: Feuerwerk Lichteffekte werden vom Effektscheinwerfer auf das Torhaus projiziert, evtl. Tischfeuerwerk im Boot, von Registrator Heerbrand für Veronika veranstaltet. Veronika: Ach schau doch, Papa! Als ob die Sterne zerspringen, tausend knisternde Strahlen und Flammen um sich sprühend! Anselmus: (ins Wasser starrend) Ach, seid ihr es denn wieder, ihr goldenen Schlänglein. Singt nur, singt! In eurem Gesang erscheinen ja wieder die holden lieblichen dunkelblauen Augen – ach, seid ihr denn unter den Fluten? (Er will sich aus dem Boot stürzen, Heerbrand hält ihn fest) Registrator Heerbrand: Herr Anselmus, sind Sie des Teufels? Reißen Sie sich gefälligst zusammen! Haben Sie dergleichen Anfälle öfter? Konrektor Paulmann: Um Himmels Willen, wie ist Ihnen nur, Herr Anselmus? Anselmus: Ach verehrter Herr Konrektor – ich kenne mich ja selbst nicht mehr. Wenn ich in die goldenen Lichter im Fluss schau, da zieht es mir so krampfhaft die Brust zusammen. Und lispelt und wispert es nicht im Wasser: „Anselmus! Anselmus! Siehst du nicht, wie wir vor dir herziehen? Schwesterlein blickt dich wohl an – glaube – glaube – glaube an uns!“ Konrektor Paulmann: Ei, ei, Herr Anselmus! Ich habe Sie immer für einen soliden jungen Mann gehalten, aber träumen – mit hellen offenen Augen träumen, und dann mit einem Male ins Wasser springen wollen, das – verzeihen Sie mir, können nur Wahnwitzige oder Narren! Veronika: Aber, lieber Vater! Es muss dem Herrn Anselmus doch was Besonderes begegnet sein, und er glaubt vielleicht nur, dass er gewacht habe, unerachtet er unter dem Holunderbaum wirklich geschlafen hat, und da mag ihm allerlei närrisches Zeig vorgekommen sein, was ihn jetzt noch umtreibt. Registrator Heerbrand: Und, teuerste Mademoiselle, werter Konrektor, sollte man denn nicht auch wachend in einen gewissen träumerischen Zustand versinken können? So ist mir in der Tat selbst einmal nachmittags beim Kaffee in einem solchen Hinbrüten, dem eigentlichen Moment körperlicher und geistiger Verdauung, die Lage eines verlorenen Aktenstücks wie durch Inspiration eingefallen, und nur noch gestern tanzte auf gleiche Weise eine herrliche Zahlenkolonne vor meinen hellen offenen Augen umher. Konrektor Paulmann: Ach, geehrtester Registrator, Sie haben schon immer so einen Hang zur Poesie hehabt, und da verfällt man leicht in das Phantastische und Romanhafte! Musik 05: Flöte (+ Klavier): Schubert, Des Baches Wiegenlied (1. Strophe, 2:20) Anselmus: Gute Ruh, gute Ruh! Tu die Augen zu! Wandrer du müde, du bist zu Haus… Veronika: Die Treu ist hier, sollst liegen bei mir! Bis das Meer will trinken Die Bächlein aus. Registrator Heerbrand: Werte Mademoiselle, Sie haben eine Stimme wie eine Kristallglocke! Anselmus: Das nun wohl doch nicht! Kristallglocken tönen in Holunderbäumen – so wunderbar so wunderbar! Veronika: Was reden Sie denn da wieder, bester Herr Anselmus! Konrektor Paulmann: Man hat wohl Beispiele, dass einem empfindsamen Menschen oft gewisse Phantasmata aufstoßen, das ist aber körperliche Krankheit und es helfen Blutegel, die man am besten dem Hintern appliziert, um den Blutandrang abzusaugen! Aber, wollen Sie nicht, geehrter Herr Registrator, unserem Freund Anselmus selbst – nun, wovon wir vorher sprachen - - - das mag sein aufgereiztes Gemüt wieder fest in unserer Wirklichkeit verankern. Registrator Heerbrand: Mit tausend Freuden! Es ist hier am Orte ein alter, wunderlicher, merkwürdiger Mann. Man sagt, er treibe allerlei geheime Wissenschaften. Da es nun aber dergleichen eigentlich nicht gibt, so halte ich ihn eher für einen forschenden Antiquar, auch mag er sich wohl nebenbei als experimentierender Chemiker betätigen. Ich meine aber niemand anderen als unseren geheimen Archivarius Lindhorst. Konrektor Paulmann: Er lebt, wie Sie wissen, einsam in seinem entlegenen Hause, und wenn ihn der Dienst nicht beschäftigt, findet man ihn in seiner Bibliothek oder in seinem chemischen Laboratorium, wo er aber niemanden hinein lässt. Er besitzt außer vielen seltenen Büchern eine Anzahl zum Teil arabischer, koptischer und gar in sonderbaren Zeichen geschriebenen Manuskripte, die keiner bekannten Sprache angehören. Registrator Heerbrand: Diese will er auf geschickte Weise kopieren lassen, und es bedarf dazu eines Mannes, der sich darauf versteht, mit der Feder zu zeichnen. Er bezahlt außer dem freien Tisch während der Arbeit jeden Tag einen Speziestaler und verspricht noch ein ansehnliches Geschenk, wenn die Abschrift glücklich beendet ist. Da er schon mit ein paar jungen Leuten vergeblich den Versuch gemacht hat, hat er sich endlich an mich gewandt, ihm einen geschickten Zeichner zuzuweisen. Veronika: Da haben der Herr Registrator und Papa an Sie gedacht, lieber Herr Anselmus, denn wir wissen, dass sie sowohl sehr sauber schreiben als auch mit Feder und Tusche zierlich und rein zeichnen. Registrator Heerbrand: Kurzum: Wollen Sie in dieser schlechten Zeit und bis zu einer etwaigen Anstellung den Speziestaler täglich verdienen, so bemühen Sie sich morgen Punkt zwölf zu dem Herrn Archivarius! Anselmus: Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll, Herr Registrator. Ist es doch meine wahre Passion, mit mühsamem kalligraphischem Aufwand abzuschreiben! Keine Sorge, ich werde mich schon am frühen Morgen fertig machen, um ja beim zwölften Glockenschlag an Ort und Stelle zu sein! Erlauben Sie mir deshalb, nach Hause zu gehen, um meine Schreibutensilien in Ordnung zu bringen. (ab – im Keller legt er sich vor der Projektionsfläche zum Schlafen nieder) Konrektor Paulmann: Aber hüten Sie sich ja vor einem Tintenflecken; fällt er auf das Original, so ist der Herr Archivarius im Stande, Sie zum Fenster hinauszuwerfen, denn er ist ein sehr zorniger Mann! (ab mit Paulmann und Veronika) Der Autor: In dieser Nacht sah der Student Anselmus nichts als goldene Taler und hörte ihren lieblichen Klang. Wer mag es dem Armen versagen, der um so manche Hoffnung durch ein launisches Missgeschick betrogen wurde? Wenn Sie an seinem weiteren Schicksal Anteil nehmen wollen, folgen sie mir in den Gewölbekeller zu Lindhorsts abgelegener Villa… 2.3 VOR DER VILLA LINDHORSTS Videoprojektion 01: Der Traum des Anselmus von den Speziestalern Musik 06: E.T.A.Hoffmann, Klaviertrio, Adagio (bearbeitet für Klavier und Flöte, Cello; 1:46) Anselmus: (HB vor der Projektionfläche, steht auf) Hier! (er schlägt auf die leere Tasche) Hier drinnen werden bald die Speziestaler erklingen! (E knüpft sich die Halsbinde um) Habe ich nicht meine Stifte sorgfältig gespitzt, meine besten Rabenfedern zusammengesucht und die kostbare chinesische Tusche ausgewählt – besser kann kein Archivarius seine Materialien erfinden. Und sitzt die Halsbinde nicht gleich beim ersten Umknüpfen, wie sie soll? Keine Naht ist geplatzt, keine Masche zerrissen! Videoprojektion 02: Vor der Tür Die Projektion zeigt den Türklopfer. Mut, Anselmus, dies ist dein Glückstag! (Er trinkt sich Mut an, dann fasst er den Türklopfer. Als Anselmus nach ihm greift, verzerrt er sich in der Projektion zum grinsenden Gesicht des Äpfelweibs. Psychedelisches Farbenspiel mit sich windenden Schlangen. Musik 07: Metamorphose des Türklopfers I (Audio-Collage 0:38) Skrjabin, „Alla marcia“ (aus der Sonate 9 „Messe noire“) + Schrille Flötenskalen Anselmus bricht zusammen - gleichzeitig tritt das Äpfelweib zu ihm – wirft den Umhang ab – steht nun im silberpaillettenbesetzten Schlauchkleid da und umwindet den Studenten mit ihrer Riesenschlange: Das Äpfelweib: Du Narre – Narre – Narre – warte – warte! Warum warst du durchs schwarze Tor hinaus gerannt! Du Narre! Anselmus: Töte mich! Töte mich! (Er fällt ohnmächtig zu Boden – das Schlangenweib entfernt sich) Konrektor Paulmann: Was treiben Sie denn um des Himmels Willen wieder für tolles Zeug, lieber Herr Anselmus! Der Registrator Heerbrand: In diesem Zustand können Sie unmöglich dem Herrn Archivarius unter die Augen treten. Anselmus: Nie, niemals mehr werde ich diesen vermaledeiten Türklopfer anfassen. Man mag von mir denken, was man will - Sie mögen mich für einen Narren halten oder nicht – genug! – An dem Türklopfer grinste mir das vermaledeite Gesicht der Hexe vom schwarzen Tor entgegen. Was nachher mit mir geschah, davon will ich lieber gar nicht reden. Aber wäre ich aus meiner Ohnmacht erwacht und hätte statt in Ihre himmelblauen Augen, liebes Fräulein Veroniksa, in die Fratze des verwünschten Äpfelweibs geschaut – dann hätte mich augenblicklich der Schlag getroffen oder ich wäre schnurstracks in den Wahnsinn gestürzt Der Registrator Heerbrand: Fassen Sie sich doch, werter Herr Anselmus. Uns wird eine schickliche Gelegenheit einfallen, Sie mit dem Herrn Archivarius bekannt zu machen. Konrektor Paulmann: Sie verdienen Gottes Lohn, werter Registrator, wenn Sie den jungen Menschen wieder zur Vernunft bringen! Musik 08: Moderne Pop-Musik (Audio, 1:14) Die Zuhörer der 3. Vigilie tanzen auf die Bühne. Veronika: Gottes Lohn, Papa! Obgleich der Herr Anselmus auch ganz ohne Vernunft ein recht artiger junger Mann ist! – (Ihm nachblickend, während er, von dem Registrator abgeführt wird) Mein Lieber! DRITTE VIGILIE Von seinem Sekretär und 2 Studenten (= Spottvögel) begleitet, betritt Lindhorst, durch die Zuschauer gehend, die rechte Bühne (RB); auf der linken Bühne (LB) sitzen Veronika, Heerbrand und Paulmann Der Sekretär: (schlägt mit dem Stock auf das Podest, ruft laut) Silentium! Videoprojektion 03 (nur im Gewölbekeller): Der Mythos Musik 09 Audio: Meeresrauschen, dann (live?) der geheimnisvolle Anfang von Bruckners 9. Symphonie (1:05), der den Anfang der Schöpfung gestaltet. (Themenschöpfung durch Aufspaltung) und die Schlusstakte der 7. Symphonie, 1.Satz (0:58). Lindhorst beginnt die Erzählung von dem auf der rechten Mittelbühne stehenden Achteckpodest herab. Lindhorst: Der Geist schaute auf das Wasser, da bewegte es sich und brauste in schäumenden Wogen und stürzte sich donnernd in die Abgründe, die ihre schwarzen Rachen aufsperrte, es gierig zu verschlingen. Wie triumphierende Sieger hoben die Granitfelsen ihre zackig gekrönten Häupter empor, das Tal schützend, bis es die Sonne in ihren mütterlichen Schoß nahm und es umfassend mit ihren Strahlen wie mit glühenden Armen pflegte und wärmte. Da erwachten tausend Keime, die unter dem öden Sande geschlummert, aus dem tiefen Schlaf und streckten ihre grünen Blättlein und Halme zum Angesicht der Mutter hinauf. Und wie lächelnde Kinder in grüner Wiege ruhten in den Blüten und Knospen Blümlein, bis auch sie, von der Mutter geweckt, erwachten und sich schmückten mit den Lichtern, die die Mutter ihnen zur Freude auf tausendfache Weise bunt gefärbt hatte. Aber in der Mitte des Tals war ein schwarzer Hügel, der hob sich auf und nieder wie die Brust des Menschen, wenn glühende Sehnsucht sie schwellt. – Aus den Abgründen rollten die Dünste empor und, sich zusammenballend in gewaltige Massen, strebten sie, das Angesicht der Mutter feindlich zu verhüllen; die rief aber den Sturm herbei, der fuhr zerstäubend unter sie, und als der reine Strahl wieder den schwarzen Hügel berührte, da brach im Übermaß des Entzückens eine herrliche Feuerlilie hervor, die schönen Blätter wie holdselige Lippen öffnend, der Mutter süße Küsse zu empfangen. Ende der Filmsequenz 03 und der Musik 09 Der Registrator hat mit Anselmus und Konrektor Paulmann das Kafeehaus – die Bühne betreten. Die Fortsetzung der Erzählung wird von drei Schauspielern (als Feuerlilie – Der Held Phosphorus – der Drachen) auf der Hinterbühne gestaltet. Nun schritt ein glänzendes Leuchten in das Tal; Ihr Stichwort, Herr Sekretarius! Es war der Jüngling Phosphorus, den sah die Feuerlilie und flehte, von heißer, sehnsüchtiger Liebe befangen: Die Feuerlilie (Cynthia): „Sei doch mein ewiglich, du schöner Jüngling! Denn ich liebe dich, wenn du mich verlässest.“ Phosphorus (Niklas): „Ich will dein sein, du schöne Blume, aber dann wirst du wie ein entartet Kind Vater und Mutter verlassen, du wirst deine Gespielen nicht mehr kennen, du wirst größer und mächtiger sein wollen als alles, was sich jetzt als deinesgleichen mit dir freut. Die Sehnsucht, die jetzt dein ganzes Wesen wohltätig erwärmt, wird, in hundert Strahlen zerspaltet, dich quälen und martern, denn der Sinn wird die Sinne gebären, und die höchste Wonne, die der Funken entzündet, den ich in dich hineinwerfe, ist der hoffnungslose Schmerz, in dem du untergehst, um aufs neue fremdartig emporzukeimen. – Dieser Funke ist der Gedanke!“ Die Feuerlilie: „Ach, kann ich denn nicht in der Glut, wie sie jetzt in mir brennt, dein sein? Kann ich dich denn mehr lieben als jetzt, und kann ich dich denn schauen wie jetzt, wenn du mich vernichtest?“ Lindhorst: Da küsste sie der Jüngling Phosphorus, und wie vom Lichte durchstrahlt loderte sie auf in Flammen, aus denen ein frendes Wesen hervorbrach, das, schnell dem Tale entfliehend, im unendlichen Raum herumschwärmte, sich nicht kümmernd um die Gespielen der Jugend und um den geliebten Jüngling. Der aber klagte um die verlorene Geliebte, denn auch ihn brachte ja nur die unendliche Liebe zu der schönen Lilie in das einsame Tal, und die Granitfelsen neigten ihre Häupter teilnehmend vor dem Jammer des Jünglings. Aber einer öffnete seinen Schoß, und es kam ein schwarzer geflügelter Drache rauschend herausgeflattert. Der Drache (Jutta): „Meine Brüder, die Metalle schlafen da drinnen, aber ich bin stets munter und wach und will dir:helfen.“ Lindhorst: Sich auf und nieder schwingend erhaschte endlich der Drache das Wesen, das der Lilie entsprossen war, trug es auf den Hügel und umschloss es mit seinem Fittich; da war es wieder die Lilie, aber der bleibende Gedanke zerriss ihr Innerstes, und die Liebe zu dem Jüngling Phosphorus war ein schneidender Jammer, vor dem, von giftigen Dünsten angehaucht, die Blumen, die sonst sich ihres Blicks erfreut hatten, verwelkten und starben. (Er nimmt einen langen Schluck aus der Feuerzangenbowle) Der Jüngling Phosphorus aber legte eine glänzende Rüstung an, die in tausendfarbigen Strahlen spielte, und kämpfte mit dem Drachen, der mit seinem schwarzen Fittich an den Panzer schlug, dass er hell erklang; und von dem mächtigen Klange lebten die Blumen wieder auf und umflatterten wie bunte Vögel den Drachen, dessen Kräfte schwanden und der besiegt sich in der Tiefe der Erde verbarg. (schmunzelnd) Ende gut, alles gut: Die Lilie war befreit, der Jüngling Phosphorus umschlang sie voll glühenden Verlangens himmlischer Liebe, und im hochjubelnden Hymnus huldigten ihr die Blumen, die Vögel, ja selbst die hohen Granitfelsen als der Königin des Tals. Heerbrand: Erlauben Sie, werter Herr Archivarius, das ist esoterischer Schwulst. Paulmann: Wir hatten Sie doch gebeten, Sie sollten, wie Sie es sonst wohl zu tun pflegen, uns etwas aus Ihrem höchst merkwürdigen Leben, etwa von Ihren Reiseabenteuern, und zwar etwas Wahrhaftiges erzählen! Lindhorst: Nun was denn! Was ich soeben erzählt habe, ist das Wahrhaftigste, was ich euch auftischen kann, ihr guten Leute, und gehört in gewisser Weise auch zu meinem Leben. Denn ich stamme aus eben jenem Taler her, und die Feuerlilie, die dort zuletzt als Königin herrschte, ist meine Ur-ur-ur-großmutter, weshalb ich denn auch eigentlich ein Prinz bin. (Alle lachen) Ja, lacht nur recht herzlich. Euch mag wohl das, was ich freilich nur in ganz dürftigen Zügen erzählt habe, unsinnig und toll vorkommen. Aber es ist dessen unerachtet nichts weniger als ungereimt oder auch nur allegorisch gemeint, sondern buchstäblich wahr. Hätte ich aber gewusst, dass euch die herrliche Liebesgeschichte, der ich meine Entstehung zu verdanken habe, so wenig gefallen würde, so hätte ich euch lieber manches Neue mitgeteilt, das mir mein Bruder beim gestrigen Besuch mitbrachte. (Er setzt sich zum Autor und trinkt mit ihm Punsch) Veronika: Ei, wie das? Haben Sie denn einen Bruder, Herr Archivarius? Paulmann: Wo ist er denn? Heerbrand: Wo lebt er denn? Veronika: Steht er auch in königlichen Diensten? Heerbrand: Oder ist er vielleicht ein privatisierender Gelehrter? Lindhorsts Sekretär: Nichts von alledem. Er hat sich auf die schlechte Seite gelegt und ist unter die Drachen gegangen. Heerbrand: Wie beliebten Sie doch zu sagen, wertester Herr, unter die Drachen? Alle: (erstaunt) Unter die Drachen? Lindhorsts Sekretär: Ja, unter die Drachen. Eigentlich geschah es aus Verzweiflung. Sie wissen, meine Herren, dass sein Vater selig vor ganz kurzer Zeit starb, es sind nur höchstens 385 Jahre her, weshalb der Herr Archivarius auch noch Trauer trägt; der hatte ihm, dem Liebling, einen prächtigen Onyx vermacht, den durchaus sein Bruder haben wollte. Sie zankten sich bei der Leiche ihres Vaters darüber auf eine ungebührliche Weise, bis der Selige, der die Geduld verlor, aufsprang und den bösen Bruder die Treppe hinunterwarf. Lindhorst: Das wurmte meinen Bruder, so dass er stehenden Fußes unter die Drachen ging. Jetzt aber Gott befohlen, meine Herren! (er setzt den Hut auf und will weggehen, Heerbrand hält ihn auf) Heerbrand: Geschätztester Herr geheimer Archivarius, hier ist der Student Anselmus, der, ungemein geschickt im Schönschreiben und Zeichnen, Ihre seltenen Manuskripte kopieren will. Lindhorst: Das ist mir ganz ungemein lieb. (ab) Heerbrand: Das ist ja ein ganz wunderlicher alter Mann! Anselmus: Warum mussten Sie ihm auch den Weg vertreten, da er es doch so eilig hatte? – Nein, nein. Er ist ein lieber Mann, im Grunde genommen, der Herr geheime Archivarius Lindhorst, und erstaunlich liberal – nur kurios in absonderlichen Redensarten – allein, was schadet das mir? – Morgen gehe ich hin, Punkt zwölf Uhr, und setzten sich hundert bronzierte Äpfelweiber dagegen. Heerbrand: (hat sich seine Pfeife gestopft) Können Sie mir Ihr Feuerzeug leihen, Herr Anselmus? Lindhorsts Sekretär: Was Feuerzeug! Hier ist Feuer, so viel Sie wollen! (Er schnippt aus den Fingern große Funken) Passen Sie auf Ihren Überrock auf! (Ab) Veronika: Sehen Sie das chemische Kunststückchen! Der Herr Archivarius leitet wohl einen Magischen Zirkel! VIERTE VIGILIE Der Autor sitzt noch immer in der „Weinstube“ (RB). Die Szene danach spielt auf der Hinterbühne (HB). Der Autor: (zum Publikum) Wohl darf ich geradezu euch selbst, großgünstige Zuschauer, fragen, ob ihr in eurem Leben nicht Stunden, ja Tage und Wochen hattet, in denen euch all euer gewöhnliches Tun und Treiben ein recht quälendes Missbehagen erregte und in denen euch alles, was euch sonst recht wichtig und wert war, in Sinn und Gedanken zu tragen, euch nun läppisch und nichtswürdig erschien? (Sind nicht Burn-out und Depressionen die Seuchen eurer gegenwärtigen Zeit?) (zu einem einzelnen Zuschauer) Du wusstest dann selbst nicht, was du tun und wohin du dich wenden solltest. Anselmus: Es muss doch irgendwo und zu irgendeiner Zeit ein hoher, den sattsam bekannten Kreis alles irdischen Genusses überschreitender Wunsch erfüllt werden – eine Sehnsucht, die der Geist wie ein streng gehaltenes furchtsames Kind gar nicht auszusprechen wagt! Der Sekretär: Und in dieser Sehnsucht nach dem unbekannten Etwas, das ihn überall, wo er ging und stand, wie ein duftiger Traum mit durchsichtigen, vor dem schärferen Blick zerfließenden Gestalten umschwebte, verstummte er für alles, was ihn hier umgab. Anselmus: Alles, was die Menschen auf allerlei Weise im bunten Gewühl durcheinander treiben, erregt mir keinen Schmerz und keine Freude. Ich gehöre wohl nicht mehr dieser Welt an. Der Autor: Ist euch, verehrte Zuschauer, jemals so zu Mut gewesen, so kennt ihr selbst aus eigener Erfahrung den Zustand, in dem sich der Student Anselmus befand. Überhaupt wünschte ich, es wäre mir schon jetzt gelungen, dir, geneigtem Publikum, den Studenten Anselmus recht lebhaft vor Augen zu bringen. Denn in der Tat, ich habe in den Nachtwachen, die ich dazu verwende, seine höchst sonderbare Geschichte auf die Bühne zu bringen, noch so viel Wunderliches zu berichten, das wie eine spukhafte Erscheinung das alltägliche Leben ganz gewöhnlicher Menschen ins Blaue hinausrückt, so dass mir angst und bang wird, du werdest am Ende weder an den Studenten Anselmus noch an den Archivarius Lindhorst glauben; ja du wirst gar einige ungerechte Zweifel gegen den Konrektor Paulmann und den Registrator Heerbrand hegen, unerachtet wenigstens die letztgenannten achtbaren Männer noch jetzt in Dresden umherwandeln. Ach, versuche doch, geneigtes Publikum, in dem feenhaften Reich voll herrlicher Wunder, das uns der Geist so oft, wenigstens im Träume aufschließt, versuche es mutig, die bekannten Gestalten, wie sie täglich um dich herumwandeln, wiederzuerkennen. Du wirst dann glauben, dass dir jenes herrliche Reich viel näher liegt, als du sonst wohl meintest, welches ich dir jetzt recht herzlich wünsche und dir in der seltsamen Geschichte des Studenten Anselmus anzudeuten strebe… Videoprojektion 04: Der Holunderbaum – die Vision Serpentinas im Smaragdring – der Geier Anselmus: (Mit dem Holunderzweig auftretend) Ach, nur noch einmal schlängle und schlinge und winde dich, du holdes grünes Schlänglein, in den Zweigen, dass ich dich schauen mag. – Nur noch einmal blicke mich an mit deinen holdseligen blauen Augen! Ach ich liebe dich ja bis zum Tod und muss nun in Trauer und Schmerz vergehen, wenn du nicht wiederkommst! Lindhorsts Sekretär: Hei, hei – was klagt und winselt denn da? – Hei, hei, das ist ja der Herr Anselmus, der die Manuskripte des Herrn Archivarius kopieren will! Was wollen Sie denn von diesem Holunderbaum, und warum sind Sie denn nicht zu uns gekommen, um Ihre Arbeit anzufangen? (zu Anselmus) Anselmus: Sie mögen mich nun für wahnsinnig halten oder nicht, werte Frau Sekretaria, aber zwischen diesen Blättern erblickte ich am Himmelfahrtstag die goldgrüne Schlange – und sie sprach zu mir in herrlichen Kristalltönen – und soll ich nicht vor Liebe und Sehnsucht sterben, so muss ich an diese Geliebte meiner Seele glauben, unerachtet ich an Ihrem Lächeln, liebe Frau Sekretaria, wahrnehme, dass Sie eben diese Schlangen nur für ein Erzeugnis meiner erhitzten, überspannten Einbildungskraft halten. Lindhorsts Sekretär: Mitnichten, die goldgrünen Schlangen, die Sie, Herr Anselmus, in dem Holunderbusch gesehen, waren nun eben die drei Töchter des Herrn Archivarius, und dass Sie sich in die blauen Augen der jüngsten, Serpentina genannt, gar sehr verliebt haben, das ist wohl nun klar. Schauen Sie in dieses Spielzeug, das der Herr Archivarius in Bälde auf den Markt bringen wird, werter Herr Anselmus, Sie können darüber, was Sie erblicken, eine wahre Freude haben! Musik 10: (Audio) Die Kristallglocken (0:28) (Aus dem Display des Tablets blickt ihn Serpentina mit ihren blauen Augen an) Serpentina: Kennst du mich denn? Glaubst du denn an mich, Anselmus? – Nur in dem Glauben ist die Liebe – kannst du denn lieben? Anselmus: Serpentina! Serpentina! (Die Sekretärin wischt mit der Hand über das Display – Projektion und Musik erlöschen) Lindhorsts Sekretär: Genug für heute! Übrigens können Sie ja, wenn Sie sich entschließen sollten, bei uns zu arbeiten, die Mädels oft genug sehen. Aber Sie kommen ja gar nicht zu mir, unerachtet mir der Registrator Heerbrand versicherte, Sie würden sich nächstens einfinden, und wir deshalb mehrere Tage vergebens gewartet habe. Anselmus: Ach, das verdammte Äpfelweib vom Schwarzen Tor … Lindhorsts Sekretär: Ich weiß, es ist eine fatale Kreatur, die meinem Herrn allerhand Possen spielt. Und dass sie sich hat bronzieren lassen, um als Türklopfer die ihm angenehmen Besuche zu verscheuchen, das ist in der Tat sehr arg und nicht zu leiden. Wollten Sie doch, werter Herr Anselmus, wenn Sie morgen um zwölf Uhr zu uns kommen und wieder etwas von diesem Angrinsen und Anschnarren vermerken, ihr gefälligst etwas von diesem Likör auf die Nase tröpfeln, dann wird sich sogleich alles geben. Und nun Adieu, lieber Herr Anselmus! Ich gehe etwas rasch, deswegen will ich Ihnen nicht zumuten, mit mir nach der Stadt zurückzukehren. („Da treibt der Wind die Schöße ihres Überrocks auseinander, dass sie wie ein paar große Flügel in den Lüften flattern…“; und in der Projektion fliegt nun ein riesiger Papagei mit krächzendem Geschrei in die untergehende Sonne) Musik 11: Flugmusik aus der „Wolfsschlucht“ (KH 17, 0:28) Anselmus: Ist das eine Sinnestäuschung oder ist die Frau Sekretaria doch selbst in Person davongeflogen? Wie all die fremden Gestalten aus einer fernen wundervollen Welt, die ich sonst nur in Träumen schaute, jetzt in mein waches Leben geschritten sind und ihr Spiel mit mir treiben! Wäre es nicht ein rechtes Unglück, wenn mir jetzt der Konrektor Paulmann oder der Registrator Heerbrand begegneten? Ach, wann werde ich in dein holdseliges Auge blicken – liebe, liebe Serpentina. (ab) Konrektor Paulmann: Das ist ein schnöder unchristlicher Name. Sehen Sie sich vor! FÜNFTE VIGILIE 5.1 DIE KAFFEESTUNDE Familie Paulmann spaziert mit ihren Freunden zur linken Bühne. Veronika richtet das Achteckpodest in der Mitte als Kaffeetisch her. Auf die rechte Bühne (RB) schleicht sich das Äpfelweib. Konrektor Paulmann: Mit dem Anselmus ist nun einmal in der Welt nichts anzufangen. Alle meine guten Lehren, alle meine Ermahnungen sind fruchtlos. Er will sich ja in gar nichts schicken, unerachtet er die besten Schulzeugnisse besitzt, die denn doch die Grundlage von allem sind. Registrator Heerbrand: Lassen Sie dem Anselmus doch nur Raum und Zeit, wertester Konrektor! Das ist ein kurioses Subjekt, aber es steckt so viel in ihm, und wenn ich sage viel, so heißt das: ein geheimer Sekretär oder wohl gar ein Hofrat. Konrektor Paulmann: Hof – Registrator Heerbrand: Still! Ich weiß, was ich weiß. Schon seit zwei Tagen sitzt er bei dem Archivarius Lindhorst und kopiert, und der Archivarius sagte gestern Abend im Kaffeehaus zu mir: Sie haben mir da einen wackeren Mann empfohlen, Verehrter, aus dem wird was – und nun bedenken Sie doch des Archivarii Konnexionen – still – still – sprechen wir uns übers Jahr! (Er verabschiedet sich) Habe die Ehre, Herr Konrektor. Veronika: Hab ich’s denn nicht schon immer gewusst, dass der Herr Anselmus ein recht gescheiter, liebenswürdiger junger Mann ist, aus dem noch was Großes wird? Wenn ich nur wüsste, ob er mir wirklich gut ist! Ach Liebe– kannst du dir das vorstellen? Ich als Frau Hofrätin? Fräulein Oster: (kleidet Veronika ein) Steht dir dieser todschicke Hut, dieser neue türkische Schal nicht vortrefflich? Wie die Elegants von der Straße zu dir heraufschielen: „Es ist doch eine göttliche Frau, die Frau Hofrätin! Wie ihr das Spitzenhäubchen so allerliebst steht!“ „Wie – die Geheime Rätin Ypsilon lässt anfragen, ob es der Frau Hofrätin gefällig sei, heute ins Linkische Bad zu fahren? – Viele Empfehlungen, Verehrteste, es tut ihr unendlich Leid, aber sie ist schon engagiert bei der Präsidentin TZ! Veronika: Ach mein lieber Mann! Wie du mich verwöhnst! (Sie fasst an ihre Ohren) Ach, welch niedliche Ohrringe! (Sie beschaut sich entzückt im Spiegel) Liebster Anselmus, du bist mein Held! Das Äpfelweib: (hat sich in die Weinstube geschlichen) In Kristall bald sein Fall! In Kristall! Konrektor Paulmann: (aus seiner Lektüre auffahrend) Nun, was soll das – man hat hier ja Anfälle wie der Anselmus! (Er lässt vor Schreck das Buch fallen, der leibhaftige Anselmus tritt ein) Anselmus: Verzeihen Sie, verehrter Herr Konrektor, und Sie, liebes Fräulein Veronika, dass ich Sie die letzten Tage so vernachlässigt habe. Mir sind aber durch meine Anstellung beim Herrn Archivarius ganz andere Tendenzen meines Lebens klar geworden, ja, ganz herrliche Aussichten haben sich vor mir geöffnet, von denen ich Ihnen bei Gelegenheit erzählen werde. Jetzt aber muss ich schon wieder an die Arbeit, der Herr Archivarius duldet keine Verspätung. (ab) Konrektor Paulmann: Das war ja schon ganz der Hofrat! Veronika: Und er hat mir die Hand geküsst, ohne dabei auszugleiten oder mir auf den Fuß zu treten wie sonst! Und hat er mir nicht einen recht zärtlichen Blick zugeworfen – er ist mir wohl in der Tat recht gut! Das Äpfelweib:: Nimmermehr! Nimmermehr wird der Anselmus Hofrat und dein Mann. Er liebt dich ja nicht, unerachtet du blaue Augen hast und einen schlanken Wuchs und eine feine Hand! Veronika: (Sie lässt die Kaffeekanne und die Teller fallen) Ach, es ist ja wahr, er liebt mich nicht, und ich werde nimmer-mehr Frau Hofrätin! Konrektor Paulmann: Romanenstreiche! Romanenstreiche! (wütend mit Hut und Stock ab) Veronika: Gott behüte – das fehlte noch. Das Äpfelweib: Nimmermehr! Nimmermehr wird der Anselmus dein Mann! Veronika: Ach Angelika, Seelenschwesterchen, hörst du denn nichts? Siehst du denn nichts, Schwesterchen? Der Anselmus wird nimmermehr mein! Frl. Oster: Was ist dir denn heute, liebe Veronika? Du wirfst ja alles durcheinander, dass es klippert und klappert. Es ist wohl besser, wenn ich jetzt gehe. Wenn du aber Gewissheit haben willst, musst du zur alten Rauerin gehen. Ja. Meine Liebe, es gibt Leute, die haben das zweite Gesicht! Hat sie mir nicht, als ich von meinem lieben Viktor lange Zeit keine Nachricht erhielt, gesagt, dass nur eine Verwundung ihn hindere, mir zu schreiben? Heute Abend aber erhalte er die bestimmte Weisung vom General, sich zu Hause ganz heilen zu lassen. Er reise gewiss morgen ab, um herzukommen, und indem er in dem Wagen steigen will, wird er seine Ernennung zum Rittmeister erfahren! Lach mich nicht aus, liebe Freundin. Veronika: Wie könnte ich! Würde dann nicht mir zur Strafe gleich das hässliche graue Gesicht dort aus dem Spiegel wieder hervorgucken? Habe ich nicht gerade erlebt, wie geheimnisvolle Dinge sichtbarlich und handgreiflich in mein Leben treten? Musik 12: Schumann,Fantasie C-Dur op. 17, Anfang 3. Satz (0:53 , 4:23-5:16 + Anfangstakte) Frl. Oster: Wenn du mich nach Hause begleitest, kannst du gleich einen Abstecher zu ihr in die Straße vorm Seetor machen. Heute ist Mittwoch, und da ist die gute Frau die ganze Nacht hindurch bis Sonnenaufgang anzutreffen. Du musst aber allein kommen! Veronika geht von LB nach HB, geht dort pantomimisch während der Übergangsmusik. Videoprojektion 05: Hexenküche (Flammen, Rauchschwaden, Lichtblitze) 5.2 IM HEXENHAUS Veronika: (ruft nach Abbruch der Musik in den leeren Raum) Frau Rauerin! Frau Rauerin! Es scheint, die Frau Rauerin ist nicht zu Hause? Die Meerkatze: (springt auf die Bühne) Beim Schmause – aus dem Haus – zum Schornstein hinaus! (Sie veranstaltet kindisch ein Feuerwerk) Willst jetzt wohl wissen, wie lang sie pflegt zu schwärmen? - Ja nun: Solang wir uns die Pfoten wärmen! Komm her zu dem Topf! Du alberner Tropf! Hast Angst vor dem Topf! Hast Angst vor dem Kessel? Die Rauerin: (sie taucht einen großen Wedel in den kupfernen Kessel und besprengt damit die Tiere) Still da, ihr Gesindel! Ach, sieh da, Töchterlein, bist schon hier? Komm herein – herein! Ich weiß wohl, was du bei mir willst, mein Töchterchen. Was gilt es: Du möchtest erfahren, ob du den Hofrat Anselmus heiraten wirst, wenn er Hofrat worden. Veronika: Aber woher um Gottes Willen - Die Rauerin: Ach du Dummerchen, ich war doch die Kaffeekanne, die du beim Picknick hast fallen lassen! Ich rate dir aber: Lass ab, lass ab vom Anselmus. Das ist ein garstiger Mensch. Der hat meinen Söhnlein ins Gesicht getreten, den süßen Äpfelchen mit den roten Backen, die, wenn die Leute sie gekauft haben, wieder aus ihren Taschen in meinen Korb zurückrollen! Er hält’s mit dem Alten, er hat mir vorgestern den verdammten Auripigment ins Gesicht gegossen, dass ich darüber fast erblindet bin. Siehst du die hässlichen Brandflecken? Ach Töchterchen, lass ab von ihm, lass ab! Er liebt dich nicht, er liebt die goldgrüne Schlange und niemals wird er Hofrat werden! Niemals! Veronika: Alte! Ich habe von Eurer Gabe, in die Zukunft zu blicken, gehört. Wenn Ihr mich aber mit Euren tollen, unsinnigen Verleumdungen des guten Anselmus nur necken wollt, mag ich von euch weiter nichts erfahren. Ihr seid ein missgünstiges altes Weib. Gute Nacht! Ende Video 05 Die Rauerin: (fällt auf die Knie und hält sie fest) Veronikchen, kennst du denn die alte Liese nicht mehr, die dich so oft auf den Armen getragen und gepflegt und gehätschelt hat? (Sie wirft ihr Kapuzen-Übergewand ab und steht nun als ehrbare alte Amme mit großblumichter Jacke und Spitzenhäubchen da und nimmt Veronika in die Arme) Es mag dir alles, was ich gesagt habe, wohl recht toll vorkommen. Aber der gute Anselmus hat mir wirklich viel zu Leide getan, doch wider seinen Willen. Er ist dem Archivarius Lindhorst in die Hände gefallen, und der will ihn nun mit seiner Tochter verkuppeln. Der Archivarius ist mein größter Feind, und ich könnte dir allerlei schlimme Dinge von ihm sagen. Ich merke nun wohl, dass du den Anselmus recht lieb hast, und ich will dir mit Kräften beistehen, dass du mit ihm recht glücklich werden und fein ins Ehebett kommen sollst, ganz wie du es wünschest. Veronika: Aber sage Sie mir um des Himmels Willen, Liese, wie bist du… Die Rauerin: Still, Kind – still! Ich bin das worden, was ich bin, weil ich es werden musste. Ist der Archivarius der weise Mann, so bin ich doch die weise Frau. Und ich kenne das Mittel, das den Anselmus von seiner törichten Liebe zur grünen Schlange heilt und ihn als den liebenswürdigsten Hofrat dir in die Arme führt. Aber du musst mir dabei tatkräftig helfen! Veronika: Sag es nur gerade heraus, gute Liese! Ich will ja alles tun, denn ich liebe den Anselmus sehr! Die Rauerin: Ich kenne dich ja als beherztes Kind. Vergebens habe ich dich mit dem Wauwau in den Schlaf treiben wollen, denn gerade alsdann öffnetest du die Augen, um den Wauwau zu sehen. Nun also! Ist’s dir ernst mit deiner Liebe, musst du in der künftigen Tag- und Nachtgleiche nachts um elf Uhr aus dem Haus des Vaters schleichen und zu mir ans Seetor kommen. Ich werde dann mit dir bis zum Kreuzweg gehen, der unfern das offene Feld durchschneidet, und alles Wunderliche, das dann geschehen wird, darf dich nicht anfechten! Und nun, Töchterchen, gute Nacht, der Papa wartet schon mit der Suppe. Veronika: Du hast Recht, gute Liese. Der Anselmus ist in wunderliche Bande verstrickt. Aber ich erlöse ihn daraus und nenne ihn mein immerdar und ewiglich, mein ist und bleibt er, der Hofrat Anselmus! (alle ab) SECHSTE VIGILIE Auf der Hinterbühne Musik 13 : Schumann, Fantasie C-Dur, op. 17, Schlusstakte (1:10) Videoprojektion 06.1: Die Verwandlung des Türklopfers Auf der Projektionsbühne steht Anselmus vor dem projizierten Eingang in die Villa des Archivarius. Als sich der bronzene Türklopfer wieder zu der Fratze des Äpfelweibs verzerrt, spritzt er das Goldwasser auf das Gesicht, das sich sogleich in den Türklopfer zurückverwandelt. Lindhorst: Da sind Sie ja, Herr Anselmus. Nun, es freut mich, dass Sie endlich Wort halten. Kommen Sie mir nur nach, denn ich muss Sie ja wohl gleich ins Laboratorium führen. Videoprojektion 06.2: Der Gang durch Lindhorsts Reich Musik 14: Glasharmonika Im Gewölbekeller gehen die beiden auf der Hinterbühne pantomimisch nun durch die in der Projektion immer neue sich öffnenden Türen, durch immer neue seltsame Räume - da bleibt Anselmus wie festgebannt stehen. Von allen Seiten fängt es an zu zwitschern und flöten, zu kichern und lachen. Der Spottvogel: Herr Studiosus! Herr Studiosus! Wo kommen Sie denn her? Warum haben Sie sich denn so schön geputzt, Herr Studiosus? Und wo haben Sie den aus aller Mode liegenden Frack erstanden? – Wollen Sie mit uns plappern, wie die Großmutter das Ei mit dem Steiß zerdrückte und der Papa einen Fleck auf seine Sonntagsweste bekam? Sie sehen recht possierlich aus in der gläsernen Perücke und den postpapiernen Stulpenstiefeln! Lindhorst: Wie gefällt Ihnen denn mein kleiner Hausgarten? Anselmus: Ach Gott, über alle Maßen schön ist es hier. Aber der bunte Vogel da mokiert sich über meine Wenigkeit gar sehr! Lindhorst: Was ist denn das hier auch für ein dummes Gewäsch! Der bebrillte Papagei (Lindhorsts Sekretär): Nehmen Sie es nicht übel, Herr Archivarius, meine mutwilligen Mädels sind wieder einmal recht ausgelassen, aber der Herr Studiosus ist selbst daran schuld, denn – Lindhorst: Still da! Ich kenne die kleinen Schlampen. Aber Er sollte sie besser in Zucht halten, mein Freund! – Gehen wir weiter, Herr Anselmus. In der Mitte des nächsten Raumes „ruht auf drei aus dunkler Bronze gegossenen Löwen eine Porphyrplatte, auf welcher ein einfacher goldener Topf steht, von dem Anselmus das Auge nicht abwenden kann“. Zoom auf die goldene Wölbung des Krugs. In den Lichtreflexen erblickt man das goldgrüne Schlänglein. Musik 15: Skrjabin, Quasi niente, Anfang (1:13) Anselmus: Serpentina! Serpentina! Ende Video 06 Lindhorst: Was meinen Sie, werter Herr Anselmus?`- Ich glaube, Sie belieben meine Tochter zu rufen, die ist aber ganz auf der anderen Seite meines Hauses in ihrem Zimmer, und hat soeben Klavierstunde. Kommen Sie nur weiter! Dies ist vorderhand Ihr Arbeitszimmer. Ob Sie künftig auch in dem blauen Bibliothekssaal, in dem Sie so plötzlich meiner Tochter Namen riefen, arbeiten werden, weiß ich noch nicht. Aber nun wünsche ich mich erst von Ihrer Fähigkeit zu überzeugen, die Ihnen zugedachte Arbeit wirklich meinem Wunsch und Bedürfnis gemäß auszuführen. Anselmus: Darf ich Ihnen diese Kostproben meiner kalligraphischen Kunst vorlegen? Video 07: Die Schrift (1) Musik 16: Audio Glasharmonika (Lindhorst mustert sie mit ironischem Lächeln) - - Der Herr Archivarius scheinen mit meinen geringen Talenten nicht ganz zufrieden? Der bebrillte Papagei (Lindhorsts Sekretär): Lieber Herr Anselmus, Sie haben für die Kunst des Schönschreibens wirklich treffliche Anlagen, aber vorderhand, sehe ich wohl, muss der Herr Archivarius mehr auf Ihren Fleiß, auf Ihren guten Willen rechnen als auf Ihre Fertigkeit. Und dann ist Ihre Tusche auch nicht haltbar! Sehen Sie doch selbst… (Er spritzt mit den Fingern Wasser auf das Blatt – die Schrift verschwindet spurlos) Lindhorst: Lassen Sie sich das nicht anfechten, verehrter Herr Anselmus! Was Sie bisher nicht vollbringen konnten, wird sich hier bei mir vielleicht besser fügen. (Er gibt ihm ein neues Blatt, eine neue Feder und Tusche) Ohne dies finden Sie hier ein besseres Material, als Ihnen sonst wohl zu Gebote stand. Fangen Sie nur getrost an! (Anselmus beginnt zu schreiben) Serpentina: Ich bin dir nahe – nahe – nahe! Ich helfe dir – sei mutig – sei standhaft – lieber Ansemus! Spottvogel: Dann bricht die neue Welt herein / Und verdunkelt den hellsten Sonnenschein. Sekretär: Man sieht dann aus bemoosten Trümmern / Eine wunderseltsame Zukunft schimmern, Spottvogel: Und was vordem alltäglich war, / Scheint jetzt so fremd und wunderbar: Serpentina: Der Liebe Reich ist aufgetan, / Die Fabel fängt zu spinnen an. Spottvogel: Das Urspiel jeder Natur beginnt, / Auf kräftige Worte jeder sinnt! Serpentina: Und so das große Weltgemüt / Überall sich regt und unendlich blüht. Sekretär: Alles muss ineinander greifen, / Eins durch das andre gedeihn und reifen; Spottvogel: Jedes in allen dar sich stellt, / Indem es sich mit ihnen vermischt / Und gierig in ihre Tiefen fällt, Sein eigentümliches Wesen erfrischet / Und tausend neue Gedanken erhält. Serpentina: Die Welt wird Traum - Der Traum wird Welt! Da schlägt es sechs Uhr, der Archivar tritt zu ihm, nimmt das Blatt, liest es. Und er scheint nicht mehr derselbe – von der Hinterbühne (lichtumflossen in der Projektion) spricht er feierlich: Der Geisterfürst: Junger Mensch! Ich habe, noch ehe du ahntest, all die geheimen Beziehungen erkannt, die dich an mein Liebstes, Heiligstes fesseln! Trage sie recht treulich im Herzen, sie, die dich liebt, und du wirst die herrlichen Wunder des goldnen Topfes schauen. Gehab dich wohl. (Ende Videoprojektion 07) Der bebrillte Papagei (Lindhorsts Sekretär): Wollen Sie sich jetzt gütigst entfernen, Herr Anselmus? Der Archivarius Lindhorst erwartet Sie morgen um zwölf Uhr wieder hier. Das Honorar für heute steckt bereits in Ihrer rechten Westentasche. (Er stößt ihn unsanft von der Bühne hinunter) Anselmus; (im Fortgehen) Was nun aus all dem werden soll, weiß ich nicht. Aber auch wenn mich hier nur ein toller Wahn und Spuk umfängt, so lebt und webt doch in meinem Innern die geheimnisvolle Serpentina, und ich will, ehe ich von ihr lasse, lieber untergehen, ganz und gar. Denn ich weiß doch, dass der Gedanke in mir ewig ist, und kein feindliches Prinzip kann ihn vernichten. Aber ist der Gedanke denn etwas anderes als – Serpentinas Liebe? Musik 17: Schlusstakte des Trauermarsches von Skrjabin. (0:03) PAUSE SIEBENTE VIGILIE Im Schlosshof. Die Zuschauer stehen im Kreis um die beiden Biertische in der Mitte, auf dem die unruhig schlafende, von Alpträumen gepeinigte Veronika liegt. Musik 18: Anfang der Sonate 9 von Skrjabin („Messe noire“ 0:58) Effektscheinwerfer werfen Lichtreflexe auf die riesigen weißen Laken von Veronikas Hochbett. Die Meerkatze schleppt zum Anfang der „Schwarzen Messe“ den Kupferkessel herbei und stellt ihn zwischen Veronikas Beine, beugt sich dann über die Träumende. Der Autor: (Während die Alte im Topf rührt, umkreisen die Meerkatzen mit leuchtenden Schwänzen den Kessel) Ich wollte, dass du, günstiger Zuschauer, am dreiundzwanzigsten September auf der Reise nach Dresden begriffen gewesen wärest. Vergebens suchte man, als der späte Abend hereinbrach, dich auf der letzten Station aufzuhalten. Der freundliche Wirt stellte dir vor, es stürme und regne doch gar zu sehr, und überhaupt sei es auch nicht geheuer, in der Äquinoktialnacht so ins Dunkle hinein-zufahren, aber du achtest dessen nicht, indem du ganz richtig annahmst: Ich zahle dem Postillon einen ganzen Taler Trinkgeld und bin spätestens um ein Uhr in Dresden, wo mich im Goldenen Engel ein gut zugerichtetes Abendessen und ein weiches Bett erwarten. Wie du nun so in der Finsternis dahinfährst, siehst du plötzlich in der Ferne ein ganz seltsames flackerndes Leuchten. Näher gekommen, erblickst du einen Feuerreif, in dessen Mitte bei einem Kessel, aus dem dicker Qualm und blitzende rote Strahlen und Funken emporschießen, zwei Gestalten sitzen. Veronika: Gerade durch das Feuer geht der Weg, aber die Pferde prusten und stampfen und bäumen sich auf – der Postillon flucht und betet – und peitscht auf die Pferde hinein – sie gehen nicht von der Stelle. – Unwillkürlich springst du aus dem Wagen und rennst einige Schritte vorwärts. Rette mich! Die Meerkatze: Macht es dich an, das schlanke, holde Mädchen, das im weißen dünnen Nachtgewand bei dem Kessel kniet? Der Sturm hat die Flechten aufgelöst, und das lange kastanienbraune Haar flattert frei in den Lüften. Dein Blick kann nicht loskommen von dem im höllischen Treiben befangenen Mädchen, und der elektrische Schlag, der durch alle deine Fibern und Nerven zitterte, entzündet mit der Schnelligkeit des Blitzes in dir den mutigen Gedanken, Trotz zu bieten den geheimnisvollen Mächten des Feuerkreises. Du glaubst wohl gar, du selbst seist der Schutzengel, zu dem das zum Tode geängstigte Mädchen fleht, ja, als müsstest du nur gleich dein Taschenpistol hervorziehen und die Alte ohne weiteres totschießen. Ha, weder du, günstiger Zuschauer, noch sonst jemand, fuhr oder ging aber am dreinundzwanzigsten September in der stürmischen, den Hexenkünsten günstigen Nacht des Weges, und Veronika musste ausharren am Kessel in tödlicher Angst, bis das Werk der Vollendung nahe… Musik 19.1: Alla Marcia-Episode aus der Sonate 9 von Skrjabin („Messe noire“, 0:06) Die Alte: Veronika, mein Kind! Mein Liebchen! Schau hinein in den Grund! – Was siehst du denn, was siehst du denn im tiefen Grund? Veronika: Ach! Der Anselmus! Der Anselmus! Die Alte: (zur Meerkatze) Rasch, Fridolin. Mach den Hahn auf, dass das glühende Metall zischend und prasselnd die Form füllt! Meerkatze: Ha! Vollendet ist das Werk ! Die Alte: Dank dir, mein guter Junge! Hast Wache gehalten. Meerkatze: Da kommt er - über dir! Musik 19.2: Höhepunkt und Schluss der Sonate 9 von Skrjabin („Messe noire“, 1:16) Die Alte: Beiß ihn tot – beiß ihn tot! (Ein Wesen mit einem ungeheuren Flügel flattert über die Projektion, die erlischt) Lindhorst: (Durch den Zuschauerraum) Hei, hei, ihr Gesindel! Nun ist’s aus – fort nach Haus! (Nach dem Höhepunkt der Musik liegt Veronika stöhnend da, Paulmann und Heerbrand treten besorgt zu ihr) Heerbrand: Aber sagen Sie nur, liebes Fräulein Veronika, was ist Ihnen denn? Da liegen Sie wie in der Fieberhitze besinnungslos da und stöhnen und ächzen, dass uns angst und bange wird. Ihr Vater ist ihretwegen nicht in die Klasse gegangen und wird gleich mit dem Doktor hereinkommen. Veronika: So war denn wohl alles, was ich Furchtbares erlebt habe, nur ein ängstlicher Traum, der mich gequält hat? Und das ewige Denken an den Anselmus und an die wunderliche alte Frau, die sich für die gute Liese ausgab, haben mich ganz krank gemacht. Heerbrand: (Hat den Mantel Veronikas geholt) Aber sehen Sie nur, Liebe, wie es Ihrem Mantel ergangen ist. Da hat der Sturm in der Nacht das Fenster aufgerissen und den Stuhl, auf dem der Mantel lag, umgeworfen. Da hat es nun wohl herein geregnet, denn der Mantel ist ganz durchnässt. Veronika: Also doch! Doch nicht nur geträumt! Ach! Was drückt mir da so hart gegen die Brust? (Sie zieht unter ihrer Bettdecke einen Metallspiegel hervor) Ein Spiegel! Das muss ein Geschenk der wunderlichen Alten sein! (Sie blickt hinein) Ach Herr Anselmus, wie emsig Sie schreiben! Schauen Sie doch einmal um sich, ich bin ja da! Wie? Was fragen Sie da, lieber Herr Anselmus? Warum ich beliebe, mich zuweilen als Schlänglein zu gebärden? Lassen Sie doch diese Scherze. Sie machen mir Angst! (Inzwischen sind Konrektor Paulmann und Registrator Heerbrand zu ihr getreten) Konrektor Paulmann: Ruhig, meine Kleine! Es wird alles wieder gut! Träume sind Schäume! Registrator Heerbrand: Ach Veronika – da soll einer daraus klug werden – was fehlt ihr denn eigentlich? Konrektor Paulmann: Weibergeschichten, Herr Registrator. Das Fräulein hat wohl zuviel Märchen gelesen. Wird sich aber alles mit der Zeit wieder einrenken. Wird sich alles finden… Gott befohlen! (Heerbrand ab, Paulmann und Veronika bleiben auf der Mittelbühne) ACHTE VIGILIE Musik 20: Anfang Sonate 7 von Skrjabin („Messe blanche“, 0:21) Videoprojektion 08: Im Haus des Archivars – der seltsame Stein Der Autor: Der Student Anselmus hatte nun schon mehrere Tage bei dem Archivarius Lindhorst gearbeitet. Jede Not, jede kleinliche Sorge seiner dürftigen Existenz war ihm aus Sinn und Gedanken entschwunden, und in dem neuen Leben, das ihm wie im hellen Sonnenglanze aufgegangen, begriff er alle Wunder einer höheren Existenz, die ihn sonst mit Staunen, ja mit Grauen erfüllt hatte. (Der Archivarius führt Anselmus wieder durch die Räume seiner Villa in die blaue Palmbaumbibliothek) Lindhorsts Sekretär: Lieber Herr Anselmus, Sie haben sich durch Ihre Arbeit das Zutrauen des Herrn Archivarius erworben. Das Wichtigste bleibt aber noch zu tun übrig, und das ist das Abschreiben oder vielmehr Nachmalen gewisser in besonderen Zeichen geschriebener Werke, die nur hier an Ort und Stelle kopiert werden können. Sie werden daher künftig hier arbeiten, aber ich muss Ihnen die größte Aufmerksamkeit und Vorsicht empfehlen: ein falscher Strich, oder, was der Himmel verhüten möge, ein Tintenfleck auf das Original gespritzt, stürzt Sie ins Unglück. (Er gibt ihm ein Blatt) Anselmus: Großer Gott! Wieviel Pünktchen, Striche und Züge und Schnörkel! Bald scheinen sie Pflanzen, bald Moose, bald Tiergestalten darzustellen – wie soll ich dieses wunderbare Manuskript nachmalen! Lindhorsts Sekretär: Nur Mut gefasst, junger Mensch! Glaube, hoffe, liebe! (Er verschwindet) Anselmus: In Gottes Namen! (Während er zu Kristallklängen zu schreiben beginnt) „Von der Vermählung des Salamanders und der grünen Schlange“ – was für eine seltsame Erzählung! Serpentina: (Sie ist hinter ihn getreten) Lieber Anselmus! Ich weiß wohl, dass das Unbekannte und Wunderbare, womit mein Vater oft nur zum Spiel seiner Laune dich umfangen hat, dich oft befremdet, ja Grausen und Entsetzen in dir erregt hat. Doch jetzt will ich dir, mein lieber Anselmus, aus tiefem Gemüt, aus tiefer Seele zu erzählen, was es mit meinem Vater und mit mir für eine Bewandtnis hat. Anselmus: Ach verlass mich nie, holde Serpentina, nur du bist mein Leben. Serpentina: Heute nicht eher, als bis ich alles erzählt habe, was du in deiner Liebe zu mir begreifen kannst. In uralter Zeit herrschte in dem Wunderlande Atlantis der mächtige Geisterfürst Phosphorus, dem die Elementargeister dienten. Einst ging der Salamander, den er vor allen liebte (es war mein Vater), in dem prächtigen Garten, den des Phosphorus Mutter mit ihren schönsten Gaben auf das Herrlichste geschmückt hatte, umher und hörte, wie eine hohe Lilie in leisen Tönen sang. Er trat hinzu, und von seinem glühenden Hauch berührt, erschloss die Lilie ihre Blätter, und er erblickte der Lilie Tochter, die grüne Schlange, welche in dem Blütenkelch schlummerte. Da wurde der Salamander von heißer Liebe zu der schönen Schlange ergriffen. Doch als er sie voll glühenden Verlangens in die Arme schloss, zerfiel sie in Asche, und ein geflügeltes Wesen, aus der Asche geboren, rauschte fort durch die Lüfte. Da ergriff den Salamander der Wahnsinn der Verzweiflung, und er rannte, Feuer und Flam-men sprühend, durch den Garten und verheerte ihn in wilder Wut. Der hocherzürnte Geisterfürst erfasste im Grimm den Salamander und sprach: Anselmus: (im Schreiben Serpentinas Erzählung weiterführend) „Ausgeraset hat dein Feuer – erloschen sind deine Flammen, erblindet deine Strahlen – sinke hinab zu den Erdgeistern, die mögen dich necken und höhnen und gefangen halten. In der unglücklichen Zeit aber, wenn die Sprache der Natur dem entarteten Geschlecht der Menschen nicht mehr verständlich sein wird, wenn, ihrem harmonischen Kreis entrückt, nur ein unendliches Sehnen ihm die dunkle Kunde von dem wundervollen Reich geben wird, das er sonst bewohnen durfte, als noch Glaube und Liebe in seinem Gemüt wohnten – in dieser unglücklichen Zeit entzündet sich der Feuerstoff aufs Neue. Doch nur zum Menschen keimt er empor und muss, ganz eingehend in das dürftige Leben, dessen Bedrängnisse ertragen. In einem Lilienbusch findet er dann die grüne Schlange wieder, und die Frucht seiner Vermählung mit ihr sind drei Töchter, die den Menschen in der Gestalt der Mutter erscheinen. Zur Frühlingszeit sollen sie sich in den dunklen Holunderbusch hängen und ihre lieblichen Kristallstimmen ertönen lassen. Findet sich dann in der dürftigen, armseligen Zeit der Verstockung ein Jüngling, der ihren Gesang vernimmt, ja blickt ihn eines der Schlänglein mit ihren holdseligen Augen an, entzündet der Blick in ihm die Ahnung des fernen, wunderbaren Landes, zu dem er sich mutig emporschwingen kann, wenn er die Bürde des Gemeinen abgeworfen hat. Und mein Gärtner wird dem Paar einen goldnen Topf zum Geschenk machen. In seinem Glanz soll sich unser wundervolles Reich, wie es jetzt im Einklang mit der ganzen Natur besteht, in blendendem Widerschein abspiegeln. Aus seinem Innern aber wird im Augenblick der Vermählung eine Feuerlilie entsprießen, deren ewige Blüte den bewährt befundenen Jüngling süß duftend umfängt. Bald wird er dann ihre Sprache, die Wunder unseres Reiches verstehen und selbst mit der Geliebten in Atlantis wohnen. Anselmus schläft in den Armen Serpentinas ein. Musik 21: Skrjabin, Quasi niente (1:54) Serpentina: Du weiß nun wohl, lieber Anselmus, dass mein Vater eben der Salamander ist, von dem ich dir erzählt habe. Er musste, seiner höheren Natur unerachtet, sich den kleinlichsten Bedrängnissen des gemeinen Lebens unterwerfen, und daher kommt wohl oft die schadenfrohe Laune, mit der er manche neckt. Ach, lieber Anselmus, du verstandest ja unter dem Holunderbusch meinen Gesang – meinen Blick – du liebst die grüne Schlange, du glaubst an mich. – Aber nicht verhehlen will ich dir, dass im grässlichen Kampf mit den Salamandern und Erdgeistern sich der schwarze Drache loswand uznd durch die Lüfte davonbrauste. Phosphorus hält ihn zwar wieder in Banden, aber aus den schwarzen Federn, die im Kampf auf die Erde stäubten, keimten feindliche Geister empor. Jenes Weib, das dir so feindlich gesinnt ist und das nach dem Besitz des goldnen Topfes strebt, hat ihr Dasein der Liebe einer solchen Feder zu einer Runkelrübe zu verdanken. Alle die feindlichen Prinzipien, die in schädlichen Kräutern und giftigen Tieren wohnen, sammelt sie und erregt, sie mischend in günstiger Konstellation, manchen bösen Spuk, der des Menschen Sinne mit Grauen und Entsetzen umfängt und der dämonischen Macht des Drachens unterwirft. Nimm dich vor der Alten in Acht, lieber Anselmus, sie ist dir feind, weil dein kindlich frommes Gemüt schon manchen ihrer bösen Zauber vernichtet hat. Halte treu – treu – zu mir – bald bist du am Ziel! (Sie verschwindet) Anselmus: (erwachend) Wie sollte ich denn nur von dir lassen können, wie sollte ich dich nicht ewig lieben! (Es schlägt sechs Uhr, er fährt zusammen) Mein Gott, ich habe ja noch nicht das Mindeste kopiert – was wird der strenge Herr Archivarius – (Er blickt auf das Blatt) Wie – da steht sie ja vollständig und reinlich geschrieben, die ganze Erzählung Serpentinas von der Liebe des Salamanders zur grünen Schlange! (Indessen ist der Archivar hinter ihn getreten und nimmt ihm das Blatt ab) Lindhorsts Sekretär: (lächelnd) Das dacht‘ ich wohl! – Nun, hier ist der wohlverdiente Speziestaler, Herr Anselmus, jetzt können Sie getrost nach dem Linkischen Bade gehen und ein Glas Punsch trinken. Ende Videoprojektion 08 NEUNTE VIGILIE Auf LB Konrektor Paulmann: (fängt Anselmus ab) Ei! Ei! Wertester Herr Anselmus! – Amice! – Amice! Wo um des Himmels Willen stecken Sie denn? Sie lassen sich ja gar nicht mehr sehen – wissen Sie wohl, dass sich Veronika recht sehnt, wieder einmal mit Ihnen zu singen? – Nun kommen Sie nur, Sie wollen ja doch zu mir! Anselmus: In der Tat, war es mir doch, als habe mich eine geheime magische Gewalt weg vom Linkischen Bad hierher vor das Pirnaer Tor gezogen! Konrektor Paulmann. Schau, Veronika, wen ich dir da mitbringe! - Nun, warum so geputzt, hat man denn Besuch erwartet? Veronika: Ach – der Herr Anselmus hat uns also doch nicht vergessen… Freilich verkehrt er ja jetzt in höheren Kreisen … (Sie schaut in ihren Metallspiegel, Anselmus schaut ihr über die Schulter, dann fängt er an zu lachen) Sie machen sich doch nur lustig über uns. Anselmus: Mitnichten, liebes Fräulein Veronika, muss ich doch nur über mich selbst lachen. Hatte ich mir doch eingebildet, in eine kleine Schlange verliebt zu sein, und einen wohlbestellten Archivar habe ich wahrhaftig für einen Salamander gehalten… Dabei ist die Gestalt, welche mir gestern in dem blauen Zinmmer erschienen ist, in Wahrheit das Fräulein Veronika gewesen, an das ich während meiner mühsamen Arbeit die ganze Zeit wohl denken musste… Veronika: Ach du Lieber! Du Guter! Und willst du mich denn wirklich heiraten, wenn du Hofrat geworden bist? Anselmus: Allerdings! Konrektor Paulmann: Nun, wertester Herr Anselmus, lasse ich Sie heute nicht mehr fort. Veronika, bring uns doch jetzt den köstlichen Punsch, den du gemeinsam mit dem Registrator Heerbrand, in der Küche zubereitet hast! Anselmus: O ich Glücklicher! Was ich gestern nur träumte, wird mir heute wirklich und in der Tat zuteil! Konrektor Paulmann: Und so können Sie Veronika den ganzen Abend schauen und wohl manchen verstohlenen Blick, manchen zärtlichen Händedruck erhalten, ja wohl am Ende gar einen Kuss erobern… Anselmus: Ach Serpentina! Veronika! Registrator Heerbrand: (Die Punschterrine hereintragend) Ein wunderlicher alter Mann, aus dem niemand klug wird, bleibt doch der Archivarius Lindhorst. Nun, er soll leben! Stoßen Sie an, Herr Anselmus! Anselmus: Das kommt daher, verehrungswürdiger Herr Registrator, weil der Herr Archivarius Lindhorst eigentlich ein Salamander ist, der den Garten des Geisterfürsten Phosphorus im Zorn verwüstete, weil ihm die grüne Schlange davongeflogen. Paulmann: Was Sie nicht sagen! Anselmus: Deshalb muss er nun königlicher Archivarius sein und hier in Dresden mit seinen drei Töchtern wirtschaften, die aber weiter nichts sind als kleine goldgrüne Schlänglein, die sich in Holunderbüschen sonnen, verführerisch singen und die jungen Leute verlocken wie die Sirenen. Paulmann: Herr Anselmus, rappelt’s Ihnen im Kopf? Was um des Himmels Willen schwatzen Sie für ungewaschenes Zeug? Heerbrand: Er hat Recht, der Kerl, der Archivarius, ist ein verfluchter Salamander, der mit den Fingern feurige Schnippchen schlägt, die einem Löcher in den Überrock brennen wie feuriger Schwamm. – Ja, ja, du hast Recht, Brüderchen Anselmus, und wer es nicht glaubt, ist mein Feind. (Er schlägt mit der Faust auf den Tisch, dass die Gläser klirren) Paulmann: Registrator – sind Sie rasend? – Herr Studiosus – Herr Studiosus, was richten Sie denn nun wieder an? Anselmus: Ach verehrter Herr Konrektor, Sie sind auch weiter nichts als ein Vogel – ein Schuhu, der die Toupets frisiert! Paulmann: Was? – Ich ein Vogel – ein Schuhu – ein Frisör? Herr, Sie sind toll – toll! Heerbrand: Aber die Alte kommt ihm über den Hals. Anselmus: Ja, die Alte ist mächtig, unerachtet sie nur von niederer Herkunft, denn ihr Papa ist nichts als ein lumpichter Flederwisch und ihre Mama eine schnöde Runkelrübe, aber ihre meiste Kraft verdankt sie allerlei feindlichen Kreaturen – giftigen Kanaillen, von denen sie umgeben. Veronika: Das ist eine abscheuliche Verleumdung! Die alte Liese ist eine weise Frau, und der Meerkater keine feindliche Kreatur, sondern ein gebildeter junger Mann von feinen Sitten. Heerbrand: Kann der Salamander fressen, ohne sich den Bart zu versengen und elendiglich draufzugehn? Anselmus: Nein, nein! Nun und nimmermehr wird er das können; und die grüne Schlange liebt mich, denn ich bin ein kindliches Gemüt und habe Serpentinas Augen geschaut. Veronika: Die wird der Kater auskratzen. Paulmann: Salamander – Salamander bezwingt sie alle – alle! Aber bin ich in einem Tollhaus? Bin ich selbst toll? Was schwatze ich denn für wahnwitziges Zeug? – Ja, wir sind alle toll! (Er springt auf, reißt die Perücke vom Kopf, schleudert sie gegen die Decke, dass die ganze Luft von ihrem Puder stäubt) Musik 22: „Alla marcia“ aus der Sonate 9 von Skrjabin (0:06) Heerbrand und Anselmus: (Die Gläser gegen die Wände schleudernd) Vivat Salamander – pereat – pereat die Alte – zerbrecht den Metallspiegel – hackt dem Kater die Augen aus! - Vöglein, Vöglein aus den Lüften – Eheu – Eheu – Evoe – Salamander! Der bebrillte Papagei: Ei, schönen guten Abend, hier finde ich ja wohl den Studiosus Herrn Anselmus? Gehorsamste Empfehlung von Herrn Archivarius Lindhorst, und er habe heute vergebens auf den Herrn Anselmus gewartet. Aber morgen lasse er schönstens bitten, ja nicht die gewohnte Stunde zu versäumen. Anselmus: Gewiss doch, Herr Sekretarius. Es soll nicht mehr vorkommen. Veronika: Gute Nacht, mein lieber Freund. Aber hüten Sie sich nur vor neuen Einbildungen, wenn Sie wieder bei dem Archivarius arbeiten! Denken Sie immer an mich, lieber Freund. Anselmus: An Sie und Ihre dunkelblauen Augen, liebes Fräulein Veronika! Ihnen allein habe ich es zu verdanken, dass ich von meinen albernen Wahnvorstellungen zurückgekommen bin. Wahrhaftig, mir ging es nicht besser als jenem Kranken, der die Stube nicht verließ, aus Furcht, als Gerstenkorn von den Hühnern gefressen zu werden. Aber, sowie ich Hofrat geworden bin, heiraten wir ohne weiteres und sind glücklich! (Er geht mit dem Sekretär weg und arbeitet an seinem Stehpult) Musik 23: Skrjabin, Prelude op. 74, Nr. 4 (Schluss, 0:13) + Prelude op. 74, Nr.2 (1:32) Serpentina: (irrt klagend durch das Gewölbe) Des Nachts auf meinem Lager suchte ich ihn, der mich liebt. Ich suchte ihn und fand ihn nicht. Aufstehen will ich, die Stadt durchstreifen, die Gassen und Plätze, ihn suchen, der in mir seine Seele liebt. (zu den Zuschauern) Habt ihr ihn gesehen?Ich will ihn packen und nicht mehr loslassen, bis ich ihn ins Haus der toten Mutter bringe, in die Kammer derer, die mich geboren hat.Nordwind, erwache! Südwind, herbei! Durchweht meinen Garten, lasst strömen die Balsamdüfte! Ich bin eine Blume auf den Wiesen des Scharon, eine Lilie der Täler! Mein Geliebter komme in seinen Garten und esse von den köstlichen Früchten.Sind meine Brüste nicht zwei Kitzlein, die unter Lilien weiden? Pst – stört die Liebe nicht auf, weckt sie nicht, bis es ihr selber gefällt. Anselmua: Träume sind doch nur Schäume! Wie hat mir das alles nur so seltsam und wundervoll vorkommen können! Sehe ich doch nichts als gewöhnliche Topfpflanzen, allerlei Geranien und Myrtenstöcke. Und das blaue Zimmer ist auch nur ein gewöhnlicher, nur sehr geschmacklos eingerichteter Raum! Lindhorsts Sekretär: Nun, wie hat Ihnen gestern der Punsch geschmeckt, werter Anselmus? Anselmus: Ach, gewiss haben Sie dem Herrn Archivarius alles weiter – aber was fasle ich denn da schon wieder… Lindhorsts Sekretär: Ich dem Herrn Archivarius? Mitnichten, er war ja selbst in der Gesellschaft zugegen. Haben Sie ihn denn nicht gesehen? Aber bei dem tollen Unwesen, das ihr getrieben habt, wäre er beinahe hart beschädigt worden; denn er saß eben in dem Augenblick noch in der Terrine, als der Registrator Heerbrand danach griff, um sie gegen die Decke zu schleudern, und musste sich schnell in des Konrektors Pfeifenkopf retirieren. Nun Adieu, Herr Anselmus! (Ruine: Er gibt Anselmus einen Stein in dier Hand) Seien Sie fleißig, auch für den gestrigen versäumten Tag zahlt der Herr Archivarius den Speziestaler, da Sie bisher so wacker gearbeitet. Anselmus: Wie kann ein Mensch nur so wirres Zeug reden! Videoprojektion 09: In Lindhorsts Reich 2 – das Pergament – die Explosion – die Kristallgläser (In der Projektion erscheint das zu kopierende Manuskript) Großer Gott, was soll ich denn hier kopieren? Dieses Pergament ist doch nur ein bunt geäderter Marmor oder ein mit Moos und Flechten durchsprenkelter Stein! Ans Werk, Anselmus, wie willst du sonst Hofrat werden? Serpentina: Weh! Fangt uns die Füchse, die kleinen Schreiber verwüsten den Weinberg, unsere blühenden Rebenweh! Musik 24: Skrjabin, Prélude op.74,3 „Allegro dramatico” in 2 Fragmenten (0:06 + 0:12) Audio: Explosion In diesem Augenblick fällt aus seiner Feder ein Klecks auf das Pergament, das zischend in Flammen aufgeht; Lichtblitz – Explosionsgeräusch – Blackout. Ende Videoprojektion 09 Da eilt der Sekretär herbei und steckt ihn in eine Zwangsjacke. Der Sekretär: (kreischen) Jetzt dein Fall ins Kristall! ZEHNTE VIGILIE / ELFTE VIGILIE 10.1 IM KRISTALL Musik 25: E.T.A.Hoffmann, Miserere (Anfang, 0:42) Der Autor: (halb gelähmt auf RB) Mit Recht darf ich zweifeln, dass du, günstiger Zuschauer, jemals in einer gläsernen Flasche verschlossen gewesen sein solltest, es sei denn, dass ein lebendiger neckhafter Traum dich einmal mit solchem feeischen Unwesen befangen hätte. War das der Fall, so wirst du das Elend des armen Studenten Anselmus recht lebhaft fühlen. Hast du aber auch dergleichen nie geträumt, so schließt dich deine rege Phantasie mir und dem Anselmus zu Gefallen wohl auf einige Augenblicke in das Kristall ein. Videoprojektion 10: Im Glas Musik 26: Audio – Glasharmonika + Dröhnen Du bist von blendendem Glanz dicht umflossen, alle Gegenstände rings umher er-scheinen dir von strahlenden Regenbogenfarben erleuchtet und umgeben – alles zittert und wankt und dröhnt im Schimmer – du schwimmst regungs- und bewegungslos wie in einem festgefrorenen Äther, der dich einpresst, so dass der Geist vergebens dem toten Körper gebietet. Immer gewichtiger drückt die zentnerschwere Last deine Brust – immer mehr zehrt jeder Atemzug die Lüftchen weg, die im engen Raum noch auf- und niederwallten – deine Pulsadern schwellen auf, und von grässlicher Angst durchschnitten zuckt jeder Nerv im Todeskampfe blutend. Habe Mitleid, günstiger Zuschauer, mit dem Studenten Anselmus. Er konnte kein Glied regen, aber seine Gedanken schlugen an das Glas, ihn im misstönenden Klange betäubend, und er vernahm statt der Worte, die der Geist sonst aus seinem Innern gesprochen, nur das dumpfe Brausen des Wahnsinns. Da schrie er auf in Verzweiflung: Anselmus: O Serpentina – Serpentina, rette mich vor dieser Höllenqual! Ach, bin ich denn nicht an meinem Elende lediglich selbst schuld? Habe ich nicht den Glauben verloren und mit ihm alles, alles, was mich beglücken sollte? Musik 27: E.T.A.Hoffmann, Satz 6 aus dem Miserere-Psalm (Fragment 1, 0:54): Averte faciem tuam a peccatis meis – Wende dein Antlitz ab von meiner Sünde. Der Autor: Ja ja, die alte Erzählung von Paradies und Sündenfall ist doch kein orientalischer Schwulst! Ist der Mensch doch als einziges Lebewesen geschlagen mit den Gedanken des Paradieses und also einer Erlösung! Er hat nicht zu denken begonnen, als er aus dem Paradies vertrieben wurde, sondern als er zu denken begann, schuf er sich auf der Stelle die furchtbar-selige Idee des Paradieses, mit der er fortan lebt wie mit einem faulenden Apfel in seinem bürgerlichen Käferpanzer. Jeder trägt das anders aus, aber keiner kann einen Tag verbringen oder eine Nacht durchträumen, ohne dass die Idee der Erlösung in irgendeiner Form über ihn kommt und ihn sein Harren und Warten spüren lässt auf den großen Übertritt! Musik 28: E.T.A.Hoffmann, Satz 6 aus dem Miserere-Psalm (Fragment 2, 1:15) 11.1 BÜRGERLICHE AUFERSTEHUNG (Einschub aus der Elften Vigilie) Die Bürger erheben sich auf LB aus den Scherben ihrer Punschorgie. Konrektor Paulmann: Aber sagen Sie mir nur, wertester Registrator, wie uns der vermaledeite Punsch so in den Kopf steigen und zu allerlei Allotria treiben konnte? Registrator Heerbrand: Ach, wertester Konrektor, nicht der Punsch, den Mamsell Veronika köstlich bereitet, nein – sondern lediglich der verdammte Student ist an all dem Unwesen schuld. Merken Sie denn nicht, dass er schon längst verrückt ist? Aber wissen Sie denn nicht auch, dass der Wahnsinn ansteckend ist? Vor-züglich, wenn man ein Gläschen getrunken, da gerät man leicht in die Tollheit und manövriert un-willkürlich nach den andern und bricht aus in die Exercitia, die der verrückte Flügelmann vormacht. Glauben Sie denn, Konrektor, dass mir noch jetzt ganz schwindlig ist, wenn ich an den grauen Papagei denke? Konrektor Paulmann: Ach was, Possen! Das war ja der alte Assistent des Archivarius, der einen grauen Mantel umgenommen und den Studenten Anselmus suchte. Registrator Heerbrand: Nun, mag das so sein, aber Konrektor, Konrektor! Nicht ohne Ursache bin ich gestern zu Ihnen und dem lieben Fräulein Veronika gekommen – aber der Student Anselmus hat mir alles verdorben. – Sie wissen ja nicht – oh Konrektor! Oh Konrektor! (Er umarmt ihn, drückt ihm feurig die Hand und eilt davon) Konrektor Paulmann: Der Anselmus soll mir nicht mehr über die Schwelle, denn ich sehe wohl, dass er mit seinem verstockten inneren Wahnsinn die besten Leute um ihr bisschen Vernunft bringt. Der Registrator ist nun auch geliefert. Also, hebe dich weg, Satanas! Fort mit dem Anselmus! (zu Veronika) Dich hat der Anselmus auch auf der Seele. Aber es ist gut, dass er sich jetzt nicht mehr sehen lässt, ich weiß, dass er sich vor mir fürchtet! Veronika: Ach, kann denn der Anselmus herkommen? Der ist längst ja in die gläserne Flasche eingesperrt. Konrektor Paulmann: Ach Gott – jetzt faselst auch du schon wie der Registrator, es wird bald auch bei dir zum Ausbruch kommen. Aber der Doktor wird uns schon ein Mittel gegen diese Verirrungen verschreiben. (beide ab) – Ach, du verdammter, abscheulicher Anselmus! 10.2 IM IRRENHAUS - DER ENDKAMPF - DIE MYSTISCHE HOCHZEIT Auf HB (Anselmus) und LB (Paulmann, Heerbrand und Veronika als Irre 1-3). Musik 29 : E.T.A. Hoffmanns Harfenquintett, Adagio (Anfang, 1:20) Videoprojektion 11: Im Glas – Treiben in der Einkaufsmeile Anselmus: Ach Serpentina, du wirst wohl nimmer mein werden, für mich ist der goldne Topf verloren, ich darf seine Wunder nimmermehr schauen. Ach, nur ein einziges Mal möchte ich dich sehen, deine Stimme hören, Serpentina! Da treten die Vertreter des Bürgertums in Irren-Zwangsjacken, Masken tragend, auf. Irre 1: Ich weiß gar nicht, was Sie wollen, Herr Studiosus, warum lamentieren Sie so über alle Maßen? Anselmus: Ach, meine Gefährten im Unglück! Wie ist es Ihnen denn möglich, so gelassen, ja vergnügt zu sein, wie ich es an Ihren heiteren Mienen bemerke? Sie sitzen ja ebensogut eingesperrt in gläserne Behältnisse wie ich, und können sich nicht regen und bewegen, ja nicht einmal etwas Vernünftiges denken, ohne dass ein Mordslärm entsteht mit Klingeln und Schellen und ohne dass es Ihnen im Kopfe ganz schrecklich saust und braust. Aber Sie glauben gewiss nicht an den Salamander und an die grüne Schlange. Irrer 2 : Sie faseln wohl, mein Herr Studiosus. Nie haben wir uns besser befunden als jetzt. Denn die Speziestaler, welche auch ich von dem tollen Archivarius erhielt für allerlei konfuse Abschriften, hat meine Karriere befördert: Ich brauche jetzt keine absonderlichen Bücher mehr zu lesen, nach Büroschluss gehe ich jetzt alle Tage ins Linkische Bad, lass mir das Doppelbier wohl schmecken, sehen auch wohl einem hübschen Mädchen in die Augen und singe seelenvergnügt die neuesten Schlager. Irrer 3: Sie haben ganz Recht! Auch ich bin mit Speziestalern reichlich versehen und gehe nun abends seelenvergnügt zum Stammtisch, statt mir wirre Theatervorstellungen anzutun. Anselmus: Aber meine besten, wertesten Herren! Spüren Sie denn nicht, dass Sie alle samt und sonders in gläsernen Flaschen sitzen und sich nicht regen und bewegen, geschweige denn umher spazieren können? Die Irren: Der Studiosus ist toll! Er bildet sich wahrhaftig ein, in einem Glas zu sitzen, und steht doch auf der Elbbrücke und sieht gerade hinein ins Wasser. Gehen wir nur weiter. (In der Projektion erlöschen sie) Ende Videoprojektion 11 Anselmus: Die schauten wohl niemals die holde Serpentina, sie wissen nicht, was Freiheit und Leben in Glauben und Liebe ist. Deshalb spüren sie nicht den Druck des Gefängnisses, in das sie der Salamander bannte in ihrer Torheit, ihres gemeinen Sinnes wegen. Aber ich Unglücklicher werde vergehen in Schmach und Elend, wenn sie, die ich so unaussprechlich liebe, mich nicht rettet. Videoprojektion 12: Musik 30: Im Glas der Gang Vrenis über das Schneefeld E.T.A. Hoffmann, Sacrificium (aus „Miserere“, 1. Teil, 2:00): „Ein zerbrochener Geist ist ein Gott wohlgefälliges Opfer“ Während des Gesangs gehen die Irren ihren automatisierten Verrichtungen nach. Serpentinas Stimme: Anselmus! – Glaube, liebe, hoffe! Ende Videoprojektion 12 Da stürmt die Alte mit ihren Meerkatzen zur RB. Die Alte: Ei, ei, Kindchen! – Musst du nun ausharren? – Ins Kristall war dein Fall! Anselmus: Höhne und spotte nur, du bist schuld an allem! Aber der Salamander wird dich treffen, du schnöde Runkelrüber! Die Alte: Ho, ho! Nur nicht so stolz! Aber dennoch bin ich dir gut, du armer Schelm, weil du sonst ein artiger Mensch warst, und mein Töchterchen hat dich auch von Herzen lieb. Aus dem Kristall kommst du aber nun einmal nicht, wenn ich dir nicht helfe! Meine Kätzchen werden zu dir hinaufklettern und dich hinunterstoßen, dann purzelst du herunter in meine große Schürze, und ich trage dich flugs zur Mamsell Veronika, die musst du heiraten, wenn du Hofrat worden. Anselmus: Lass ab von mir, Satansgeburt. Ich liebe ewiglich nur Serpentina, ich will nie Hofrat werden, nie die Veronika schauen, die mich durch dich zum Bösen verlockt. Kann die grüne Schlange nicht mein werden, so will ich untergehen in Sehnsucht und Schmerz. – Hebe dich weg, du schnöder Wechselbalg! Die Alte: So sitz denn und verdirb! - Aber nun ist’s Zeit, ans Werk zu gehen! (Sie wirft die Kleider ab und „steht da in ekelhafter Nacktheit“. In diesem Augenblick kommen die Meerkatzen mit dem goldnen Topf hereingesprungen, zu der Alten auf RB) Musik 31: Skrjabin, Ende 7. Sonate (0:50) Der bebrillte Papagei: (zur HB) Rette – rette – Raub! – Raub! Die Alte: Glück auf! Söhnlein, frisch drauf - töte jetzt die grüne Schlange! (Die Meerkatzen springen zur HB; da tritt Lindhorst vor die Projektion. Video 13: Der Endkampf - Lindhorsts Sieg (Erdklumpen und Feuerlilien) Lindhorst: Hei, hei – was für ein Gesindel, Hexenwerk! (Mit den Spottvögeln, die ein großes Tuch mitführen, auf das Podest vor der Projektionswand) Die Alte: (wirft Erdklumpen aus dem Topf gegen die Projektionswand, die sich darauf in leuchtende Feuerlilienblüten verwandeln, die den Archivarius umstrahlen) Zisch aus! Zisch aus! (Die Spottvögel werfen das Tuch über die Alte) Stimme Serpentinas: Gerettet! Gerettet! Die Alte verkrallt sich wütend in die Tücher, Lindhorst wickelt sie darin ein; der Papagei kommt mit den toten Meerkatzen (als Masken) auf die Bühne. Der bebrillte Papagei: Verehrter Herr Archivarius, hier bringe ich den überwundenen Feind! (Ende Musik) Ende Videoprojektion 13 Lindhorst: Vortrefflich, mein Lieber! Hier liegt auch meine überwundene Feindin. (Er holt die Runkelrübe darunter hervor und überreicht sie feierlich) Besorgen Sie nun gütigst nunmehr das Übrige und entsorgen Sie die Runkelrübe auf dem Kompost – sie wird einen vortrefflichen Dünger für unsere Lilien abgeben. – (er wendet sich an Anselmus) Lieber Anselmus, nicht du, sondern nur ein feindliches Prinzip, das zerstörend in dein Inneres zu dringen und dich mit dir selbst zu entzweien trachtete, war schuld an deinem Unglauben. Du hast aber in deiner Seelennot deine Treue bewährt, sei frei und glücklich. (Er befreit den Studenten aus der Zwangsjacke) 11.2 DIE HOCHZEIT DER KLEINBÜRGER LB: Registrator Heerbrand erscheint mit einem großen Blumenstrauß im Haus Paulmanns. Heerbrand: Heute, an dem Namenstage Ihrer lieben, verehrten Mamsell Tochter Veronika will ich Ihnen die freudige Nachricht mitteilen, dass ich Hofrat worden, über welche Standeserhöhung ich Ihnen hiermit das Patent cum nomine et sigilio principis überreichen darf. Paulmann: Ach, ach! Herr Registr – Herr Hofrat Heerbrand, wollte ich sagen! Heerbrand: Aber Sie, verehrter Konrektor, Sie können erst mein Glück vollenden. (zu Veronika) Schon längst habe ich Sie, Mamsell Veronika, im stillen geliebt und kann mich manchen freundlichen Blicks rühmen, den Sie mir zugeworfen und der mir deutlich gezeigt, dass Sie mir wohl nicht abhold sein dürften! Darf ich Ihnen als Zeichen meiner Zuneigung dieses kleine Präsent überreichen? (er übergibt ihr ein Schächtelchen; dann zu Paulmann) Ich, der Hofrat Heerbrand, bitte um die Hand Ihrer liebenswürdigen Demoiselle Tochter Veronika, die ich, haben Sie nichts dagegen, in kurzer Zeit heimzuführen gedenke. Paulmann: Ei – ei – ei – ei – Herr – Registr – Herr Hofrat, wer hätte das gedacht? – Nun, wenn Veronika Sie in der Tat liebt, ich meines Teils habe nichts dagegen. Vielleicht ist ja ihre jetzige Schwermut nur eine versteckte Verliebtheit in Sie, verehrter Hofrat, man kennt ja die Weiberpossen! Veronika: (entzückt) Ei, mein Gott! Das sind ja dieselben Ohrgehänge, die ich schon vor mehreren Wochen heimlich trug und mich daran ergötzte! Heerbrand: Wie ist denn das möglich, da ich dieses Geschmeide erst seit einer Stunde in der Schlossgasse für schmähliches Geld erkauft habe? Veronika: Ach Herr Hofrat, das wusste ich doch längst, dass Sie mich heiraten wollen. – Nun, es sei! Gestehen muss ich freilich, dass ich den Anselmus von Herzen geliebt habe. Aber er wollte ja partout nicht Hofrat werden, und beim Kampf der alten Liese gegen den Salamander ist mir mein Zauberspiegel entzwei gebrochen. Hier, nehmen Sie, lieber Hofrat, die Scherben und werfen Sie sie heute Nacht um zwölf Uhr vom Kreuz auf der Elbbrücke in den Strom. Ich schwöre allen Satanskünsten ab und gönne dem Anselmus herzlich sein Glück, da er nunmehr mit der grünen Schlange verbunden ist, die doch viel schöner und reicher ist als ich. Aber Sie, geliebter Hofrat, will Ich als eine rechtschaffene Frau lieben und verehren. Paulmann: Ach Gott! Sie ist wahnsinnig! Sie kann nimmermehr Hofrätin werden! Heerbrand: Mitnichten! Ich weiß wohl, dass Mamsell Veronika einige Neigung für den vertrackten Anselmus gehegt hat. Was sie aber von dem Sieg des Salamanders und von der Verbindung des Anselmus mit der grünen Schlange gesprochen hat, ist wohl nur eine poetische Allegorie – gleichsam ein Gedicht, worin sie den gänzlichen Abschied von dem Studenten besungen. Veronika: Halten Sie das, wofür Sie wollen, bester Hofrat! Vielleicht für einen recht albernen Traum… Heerbrand: Keineswegs tue ich das, denn ich weiß ja wohl, dass der Anselmus auch von geheimen Mächten - Paulmann: Halt, um Gottes Willen, halt! Haben wir uns denn etwa wieder übernommen im verdammten Punsch, oder wirkt des Anselmi Wahnsinn auf uns? Herr Hofrat, was sprechen Sie denn auch wieder für Zeug? - Ich will indes glauben, dass es die Liebe ist, die Euch in dem Gehirn spukt, das gibt sich aber bald in der Ehe, sonst wäre mit bange, dass auch Sie in einigen Wahnsinn verfallen, verehrungswürdiger Hofrat, und ich würde dann Sorge tragen wegen der Nachkommenschaft, die das Übel der Eltern vererben könnte. – Nun, ich gebe meinen väterlichen Segen zu der fröhlichen Verbindung und erlaube, dass ihr euch als Braut und Bräutigam küsset. Musik 32: Skrjabin, Alla marcia (Der Registrator verabschiedet sich mit einer knappen Verbeugung und geht ins „Büro“, Veronika setzt sich auf den Stuhl, beide beginnen mechanisch ihre Verrichtungen) ZWÖFTE VIGILIE Der Autor: Wie fühlte ich recht in der Tiefe des Gemüts die hohe Seligkeit des Studenten Anselmus, der, mit der lieblichen Serpentina innigst verbunden, nun nach dem geheimnisvollen, wunderbaren Reich gezo- gen war, das er für die Heimat erkannte, nach der sich seine von seltsamen Ahnungen erfüllte Brust schon so lange gesehnt. Aber vergebens blieb alles Streben, dir, günstiger Zuschauer, all die Herrlichkeiten, von denen der Anselmus umgeben, auch nur einigermaßen in theatralischen Szenen anzudeuten. Mit Widerwillen gewahre ich die Mattigkeit jedes Ausdrucks. Ich fühle mich befangen in den Armseligkeiten des kleinlichen Alltagslebens, ich liege da wie ein Träumender, kurz, ich bin jetzt in jenen Zustand geraten, den ich dir, günstiger Zuschauer, in der Vierten Vigilie vor Augen gestellt habe. Wenn ich die elf Vigilien, die ich glücklich zustande gebracht habe, durchlaufe, macht es mich traurig, dass es mir wohl niemals vergönnt sein wird, die Zwölfte als Schluss-Stein hinzuzufügen. Denn sooft ich zur Nachtzeit, schlaflos vor Schmerzen, versucht habe, das Werk zu vollenden, war es mir, als hielten mir recht tückische Geister (es mögen wohl Verwandte, vielleicht Kusins der getöteten Hexe sein) ein glänzend poliertes Metall vor, in dem ich mein Ich erblickte, blass, übernächtig und melancholisch, wie der Registrator Heerbrand nach dem Punschrausch. Da warf ich denn die Feder hin und schloss die Augen, um wenigstens von dem glücklichen Anselmus und der holden Serpentina zu träumen. Er schläft ein zu Musik 33 a – Glasharmonikamusik Der bebrillte Papagei: (Ist hinter ihn getreten und hält ihn in ihren Armen) Euer Wohlgeboren haben, wie uns bekannt worden, die seltsamen Schicksale des vormaligen Studenten, jetzigen Dichters Anselmus in elf Vigilien beschrieben und quälen sich jetzt sehr ab, in der zwölften und letzten Vigilie einiges von seinem glücklichen Leben in Atlantis zu sagen, wohin er mit seiner holden Serpentina auf das hübsche Rittergut gezogen, welches der Herr Archivarius dort besitzt. Unerachtet all der Unannehmlichkeiten, die ihm die Veröffentlichung seiner Familiengeschichte im amtlichen wie im privaten Verkehr zuziehen mögen, will Der Herr Archivarius Eure Wohlgeboren doch in der Vollendung des Werks behilflich sein, da darin viel Gutes von seiner lieben, nunmehr glücklich verheirateten Tochter enthalten. (Er weckt den Autor) Wollen Sie daher die zwölfte Vigilie schreiben, so lassen Sie sich von uns Ihre verdammten fünf Treppen hinuntertragen! Spottvogel: (Hilft ihm in den Rollstuhl) Verlassen Sie Ihr Stübchen und lassen Sie sich zum Herrn Archivarius bringen. Im blauen Palmbaumzimmer, das Ihnen schon bekannt, finden Sie die gehörigen Schreibmaterialien, und Sie können dann mit wenigen Worten den Lesern kundtun, was Sie geschaut. Der bebrillte Papagei: (vertraulich) Der schlaue Alte! Wohl schöpft er aus der Veröffentlichung seiner geheimen Existenz die Hoffnung, desto eher seine beiden noch übrigen Töchter an den Mann zu bringen. Denn vielleicht (zu den Zuschauern) fällt doch ein Funke in dieses oder jenes Jünglings Brust, der die Sehnsucht nach der grünen Schlange entzündet, welche er dann in dem Holunderbusch am Himmelfahrtstag sucht und findet. Es schlägt elf Uhr, er lässt sich auf der Hinterbühne absetzen, wo ihn Lindhorst erwartet. Die Spottvögel bringen die große Punschterrine und zünden den Alkohol an (in der Projektion flammt er gewaltig auf). Lindhorst: Nun, das ist mir lieb, Hochverehrter, dass Sie meine guten Absichten nicht verkennen. Hier bringe ich Ihnen das Lieblingsgetränk Ihres Freundes, des Kapellmeisters Kreisler. Es ist angezündeter Arrak, in den ich einigen Zucker geworfen. Nippen Sie was Weniges davon, ich will gleich meinen Schlafrock abwerfen und, zu meiner Lust und um, während Sie hier sitzen und schauen und schreiben, Ihre werte Gesellschaft zu genießen, in dem Pokale auf und nieder steigen. (Er geht zur Projektionswand, legt den Schlafrock ab und verschmilzt nun im weißen Morph-Anzug mit der Projektion) Videoprojektion 14: Atlantis im Pokal (in ihr erscheint das schäumende Innere des Pokals, in dem Lindhorst herumschwimmt) Der Autor: Wie es Ihnen gefälliig ist, verehrter Herr Archivarius. Aber wenn ich nun von dem Getränk genießen will, werden Sie nicht – Lindhorst: (prustend) Tragen Sie um mich keine Sorge, mein Bester! In dem Augenblick, da der Autor den Pokal an die Lippen setzt, beginnt der Schluss des paradiesischen Schubert-Adagios. Musik 33: Franz Schubert, Quintett c-dur, Adagio (Schluss, 3:04) Anselmus und Serpentina gehen vor der Projektion langsam aufeinander zu. Anselmus: Der Tauben weißeste flog auf: Ich darf dich lieben! Im leisen Fenster schwankt die leise Tür. Der stille Baum trat in die helle Stube. Du bist so nah, als weiltest du nicht hier. Serpentina: Aus meiner Hand nimmst du die große Blume: sie ist nicht weiß, nicht rot, nicht blau – doch nimmst du sie. Wo sie nie war, da wird sie immer bleiben. Wir waren nie, so bleiben wir bei ihr. Der Autor: Serpentina – der Glaube an dich, die Liebe hat dem Anselmus das Innerste der Natur erschlossen! Sie brachte ihm die Lilie – sie ist die Erkenntnis des heiligen Einklangs aller Wesen, und in dieser Erkenntnis lebt er nun in höchster Seligkeit immerdar. (Mit dem letzten Akkord erlischt die Projektion, im kalten Licht eines Scheinwerfers liegt der Autor auf seinem Krankenlager. Langsam hebt er den Kopf und durchblättert die von ihm im Traum geschriebene Zwölfte Vigilie, deren Anfang projiziert erscheint) Ach, glücklicher Anselmus, du hast die Bürde des alltäglichen Lebens abgeworfen, du rührst in der Liebe zu Serpentina rüstig die Schwingen und lebst nun in Wonne und Freude auf deinem Rittergut in Atlantis! – Aber ich Armer! – Bald, ja in wenigen Minuten bin ich selbst aus diesem Saal versetzt in mein Dachstübchen, und die Armseligkeiten des bedürftigen Lebens befangen meinen Sinn, und mein Blick ist von tausend Unheil wie von dickem Nebel umhüllt, dass ich wohl niermals die Lilie schauen werde. Lindhorst: Still, still, Verehrter, klagen Sie nicht so! – Waren Sie nicht soeben selbst in Atlantis, das schon im Abglanz des geheimnisvollen Punktes Omega leuchtet, auf den wir hinsteuern? Und haben Sie denn nicht auch dort wenigstens einen artigen Meierhof als poetisches Besitztum Ihres inneren Sinns? – Ist denn überhaupt des Anselmus Seligkeit etwas anderes als das Leben in der Poesie, der sich der heilige Einklang (die Synthese) aller Wesen als tiefstes Geheimnis der Natur offenbart? Nach einem letzten Aufseufzen der Streicher verklingt Schuberts Vision des Paradieses. Ende Videoprojektion 14