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04.12.06, 00:00
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Aus FOCUS Nr. 49 (2006)
PSYCHOLOGIE
Das erschöpfte Ich
Immer mehr Deutsche fragen sich: Bin ich bloß gestresst – oder habe ich BURN-OUT?
Experten entwickeln ein hilfreiches neues Verständnis des Phänomens „Ausgebranntsein"
Von FOCUS-Redakteur Frank Gerbert
Peter Neumann ist nun schon seit fünf Wochen in der Klinik. „Am Anfang hätte ich über
meinen Fall noch nicht reden können, aber jetzt kann ich es, und es tut mir gut.“ Der 44jährige Anlageberater sitzt neben der 29-jährigen Susanne Schwab (beide Namen sind
geändert) in einem Gesprächsraum der Roseneck-Klinik in Prien am Chiemsee.
„Ich bekam am Tag 120 E-Mails – ich sollte immer sofort reagieren. Gleichzeitig musste ich
Präsentationen vorbereiten, über 500 Makler ausbilden und die Regionaldirektoren beraten.
So war das nicht vorgesehen, man hat mich bei der Einstellung reingelegt.“ Doch Neumann,
Führungskraft bei einem Finanzdienstleister im nördlichen Deutschland, gab nicht auf. Hatte
er früher, als selbstständiger Anlageberater, nicht auch mächtig rangeklotzt? Außerdem
musste er sein Haus abbezahlen.
„Ich habe mich schlafen gelegt und bin nachts um zwei wieder aufgewacht. Ich bekam nach
und nach Verspannungen, Nackenschmerzen, Rückenschmerzen, Magenschmerzen. Ich
konnte den Druck nicht mehr aushalten. Ich wurde so aggressiv, dass ich meine Frau
geschlagen habe.“
Susanne Schwabs Geschichte klingt kaum erfreulicher. Sie ist Angestellte einer
Immobilienfirma in einer süddeutschen Großstadt und hat Hunderte von Wohnungen zu
verwalten: Abnahmen bei Mieterwechsel, Kautionsabrechnungen, Entgegennahme von
Beschwerden, Durchsetzung von Mieterhöhungen – viel Ärger, wenig Freude. „Ich hab von
früh um sechs bis abends um acht gearbeitet und immer noch mehr Objekte dazubekommen.
Als ich mich beschwerte, sagte mir mein Chef: ,Ich möchte das nicht hören.“
Schuften, bis der Arzt kommt. Bald litt die junge Frau unter Erschöpfung,
Konzentrationsschwäche, Rückenschmerzen, Schlafproblemen. Sie zog sich zurück, ging
abends nicht mehr aus, verließ auch an den Wochenenden kaum noch die Wohnung.
Neumann wie Schwab hatten sich ärztlich behandeln und phasenweise krankschreiben lassen;
nach längeren Wartezeiten durften sie ihren Aufenthalt in der renommierten
psychosomatischen Fachklinik in Oberbayern antreten und gehören nun einer gemeinsamen
Therapiegruppe an.
„Etwa ein Drittel unserer Patienten ist mit einer Symptomatik hier, die man landläufig Burnout-Syndrom nennt“, sagt Oberarzt Andreas Hillert. Sein Fachkollege Manfred Sigwart von
der Habichtswald-Klinik in Kassel schätzt den Wert dort auf „ein Drittel bis die Hälfte, ihr
Anteil hat zugenommen“. Immer Jüngere seien betroffen: „Als Patienten haben wir Lehrer,
Ärzte, Psychotherapeuten, Priester, Rechtsanwälte, Richter, Leute aus der Werbebranche.“
Brennt die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts aus? Es scheint so, auch wenn man die
wachsende Zahl von Prominenten betrachtet, die tatsächlich oder angeblich zu Burn-outOpfern wurden (siehe Beispiele oben).
Weit über 100 Bücher zum Thema sind hierzulande lieferbar, darunter „Essen und Trinken
gegen den Burn-out“ sowie „Homöopathie für die Seele“. Suchmaschinen finden „Burn-out“
auf deutschen Web-Seiten rund 1,5 Millionen Mal: Kliniken, Psychotherapeuten und Coachs
preisen sich an, aber auch von sibirischem Ginseng und „Vitalpilzen“ ist angeblich Hilfe zu
erwarten.
Nicht zuletzt legen Statistiken nahe, dass Burn-out um sich greift. Ein Drittel der deutschen
Lehrer soll daran leiden; nur noch etwa jeder Zehnte dieses Berufsstands erreicht die
Altersgrenze, rund 50 Prozent der Frühpensionierten zeigen Ausbrenn-Symptome. 40 bis 60
Prozent der Pflegekräfte in Kliniken und sozialen Einrichtungen, das ergaben Befragungen,
sollen betroffen sein. Der Frauenanteil liegt jeweils etwas höher als der von Männern.
Seit Beginn der 1990er-Jahre hat sich der Anteil der Krankschreibungen auf Grund
psychischer Leiden, wozu die Burn-out-Symptome gezählt werden, in etwa verdreifacht
(siehe Grafik vorige Seite). Noch 1993 wurde nur jede sechste vorzeitige Verrentung mit
einer seelischen Erkrankung begründet, im Jahr 2004 war es schon jede dritte.
Stellt sich indes die Frage, was Burn-out denn nun wirklich ist. Kann man schon davon
sprechen, wenn man, wie Jürgen Klinsmann, eine herbe Enttäuschung erlebt, weil ein
angestrebtes Ziel verpasst wurde? Handelt es sich um Burn-out, wenn man ein paar Monate
lang die Arbeitsfreude verliert, wie es Tim Mälzer passiert ist? Oder muss dazu eine tiefe
seelische Krise kommen, wie sie die Radfahrerin Hanka Kupfernagel erlebt hat (siehe
Interview rechts)?
Über Burn-out forschen seit drei Jahrzehnten unzählige Psychologen – mit durchwachsenem
Erfolg. Schon die Anfänge des Begriffs sind kurios.
Afrikanische Lektion. Offenbar war es der große britische Schriftsteller Graham Greene, der
„Ausbrennen“ erstmals psychologisch verwendet hat, im 1961 veröffentlichten Roman „A
Burnt-Out Case“ („Ein ausgebrannter Fall“). Darin geht es um einen erfolgreichen
Architekten und Frauenhelden, der sich am Ende fühlt. Durch freiwillige Arbeit auf einer
afrikanischen Leprastation findet er wieder Sinn im Leben, wird jedoch tragischerweise –
nach einem Missverständnis – von einem eifersüchtigen Ehemann erschossen.
1974 kam Burn-out endlich zu akademischen Ehren, dank Herbert J. Freudenberger (1926-
1999), einem gebürtigen Frankfurter, der vor den Nazis nach New York geflohen war und
dort Psychoanalytiker wurde. Abends arbeitete er zusätzlich und ehrenamtlich in einer „Free
Clinic“ im Stadtteil Harlem, wo er versuchte, Junkies und Prostituierten zu helfen. Die
Arbeitsüberlastung – und wohl auch die mäßigen Erfolge – führten ihn in eine schwere Krise,
die er als „Burn-out“ in einem Buch beschrieb.
Freudenberger ging unwissenschaftlich vor, traf aber einen Nerv, und in kurzer Zeit machte
der Begriff Karriere. Noch heute ist Freudenbergers Beschreibung der Symptome in vielen
Publikationen zu finden:
Zunächst großer Ehrgeiz bei Verfolgung eines Ziels, die eigenen Bedürfnisse werden
vernachlässigt.
Misserfolge werden verdrängt, die Anstrengungen weiter vermehrt. Folge: Überarbeitung,
Erschöpfung, reduzierte Leistungsfähigkeit.
Innere Verhärtung, Intoleranz. Plötzlich distanziert man sich von den Menschen, für deren
Wohl man arbeitet, beginnt sie sogar zu hassen, wird einzelgängerisch.
Probleme im Privatleben, Sinnkrise, eventuell auch Suizidneigung.
Bald stellte man fest, dass zum Krankheitsbild auch verschiedenste psychosomatische
Beschwerden gehören können (vgl. Grafik rechts oben). Der Umkehrschluss ist natürlich
nicht zulässig – wer Rückenschmerzen oder Tinnitus hat, ist nicht deshalb gleich ausgebrannt.
Zunächst galt Burn-out nur als Geißel der sozialen Berufe: bei Lehrern, die von aufsässigen
Schülern in die Verzweiflung getrieben werden, Priestern, die in leeren Kirchen predigen,
Krankenpflegern, denen ihre Schützlinge immer gleichgültiger werden und die sie – in
Einzelfällen – sogar umbringen. Inzwischen finden sich Burn-out-Fälle auch in der freien
Wirtschaft zuhauf.
Eine Frage des Typs? Doch nicht alle Menschen, die unter schwierigen Bedingungen arbeiten,
sind gleichermaßen betroffen. Was unterscheidet den Ausbrenner vom Resistenten, war schon
bald eines der zentralen Themen der Forschung. Man wurde fündig: Gefährdet sind vor allem
die (allzu) Ehrgeizigen, die Idealisten, die Perfektionisten, die Einzelgänger, außerdem die
Dünnhäutigen, Sensiblen.
Als Schutz vor dem Ausbrennen gilt vor allem eine gute Work-Life-Balance. Wer seinen
Selbstwert ganz aus dem Job bezieht, gerät durch einen Misserfolg viel leichter aus dem
Gleichgewicht als jemand, der sich nach Feierabend in die Gesellschaft eines netten Partners,
lieber Kinder und guter Freunde zurückziehen kann.
Die Vorstellung, Beruf und Karriere seien das Wichtigste im Leben, ist eine historisch eher
neue Erscheinung und beruht wohl auf der protestantisch-calvinistischen Ethik. Nur in der
modernen westlichen Kultur lebt man, um zu arbeiten – außerhalb von ihr war (und ist) es
meist umgekehrt.
Nicht nur individuelle Züge spielen eine Rolle. Matthias Burisch, Psychologe an der Uni
Hamburg und führender deutscher Experte für Burn-out, unterscheidet zwei Extremtypen,
zwischen denen viele Mischungen auftreten können: „Im ersten Fall beruht Burn-out zu 100
Prozent auf der persönlichen Disposition und braucht keinen besonderen Anlass. Im anderen
Fall ist Burn-out allein durch äußere Umstände veranlasst: ein neuer, unangenehmer Chef,
oder der Betrieb geht Pleite, Sie haben eine Familie zu versorgen, und es gibt weit und breit
keinen anderen Job.“
So gesehen, kann die Zunahme des Phänomens schon allein von der Lage auf dem
Arbeitsmarkt herrühren: Weil Wechseln so schwierig geworden ist, sitzen viele Arbeitnehmer
unglücklich in der Falle.
Unter Fachleuten gilt freilich als ausgemacht, dass auch der Rationalisierungsdruck infolge
Globalisierung und Shareholder-Ansprüchen für das wachsende Ausmaß von Burn-out
mitverantwortlich ist. „Immer weniger Mitarbeiter sollen immer mehr leisten“, beklagt
beispielsweise Andreas Hillert und stellt polemisch die Gleichung auf: „Leistungssteigerung
mal Flexibilität minus Sicherheit ist gleich Burn-out.“
Manchmal erwischt es sogar diejenigen, welche den Lauf der Dinge vorantreiben. Unter
seinen Patienten, so der Klinikarzt Hillert, habe er Menschen angetroffen, „die schon
Hunderte ihrer Kollegen erfolgreich wegrationalisiert haben“.
Vor kurzem wurde jedoch ein ganz neuer Burn-out-Kandidat aufs Feld der Diskussion
gezerrt.
„Ist die Burn-out-Forschung ausgebrannt?“, fragte die streitbare Ulmer Ethnologin Ina Rösing
in einer kritischen Analyse. Und Andreas Hillert sowie sein Priener Kollege Michael Marwitz
wollen sogar das B-Wort selbst in die Frühpension schicken.
Alles Burn-out, oder was? Hillert und Marwitz weisen zunächst einmal auf neuere Befunde
hin, die dem klassischen Verständnis widersprechen.
Burn-out-Phänomene können nicht nur bei Über-, sondern auch bei Unterforderung auftreten.
Nicht nur hochleistungswillige, sondern auch unauffällige Zeitgenossen brennen aus.
Viele Betroffene lassen – entgegen der Definition Freudenbergers – Zynismus und
Aggressivität vermissen und sind nur depressiv.
Der Begriff wird mehr und mehr auch außerhalb des Arbeitslebens verwendet. Selbst
überforderte Schüler und frustrierte Hausfrauen bezeichnen sich mittlerweile als ausgebrannt.
Wo ist die Grenze?
Seelische Krisen, die Burn-out ähnlich sind, hat es schon in früheren Zeiten gegeben; sie
kommen auch heute noch unter anderen Namen in anderen Kulturen vor.
Hillert und Marwitz ziehen daraus radikale Konsequenzen (siehe auch Interview S. 142):
Es gebe ein weites Feld von psychischen Störungen, in denen Demotivation, Stress, Angst
und Depression eine Rolle spielten. Burn-out sei darin nicht klar abzugrenzen, deshalb solle
man auf den Begriff ganz verzichten.
Der Mythos vom „Ausgebranntsein“ beschönige bloß die Tatsache, dass es sich um eine echte
Erkrankung handle. Er führe zudem sachlich in die Irre und erschwere die Therapie.
Verschiedenen depressiven Krisen liegen offenbar ähnliche Vorgänge im Gehirn zu Grunde.
Der Freiburger Universitätsarzt und Psychiater Joachim Bauer (der sich allerdings nicht zu
den „Burn-out-Rebellen“ zählt) skizziert den biochemischen Mechanismus: „Motivationsund Stresssysteme unseres Gehirns gleichen einer Waage. Botenstoffe, die freigesetzt werden,
wenn die Motivationssysteme aktiv sind, beruhigen das Stresssystem. Wenn die Motivation
sinkt, weil Beachtung und Anerkennung ausbleiben, steigt die Stressanfälligkeit.“ Das
steigere das Risiko für körperliche und psychische Erkrankungen.
Bauer: „Eine häufige typische Folge nach einem Zusammenbruch der Motivationssysteme bei
gleichzeitiger Aktivierung der Stressbiologie ist die Depression.“
Die Waage kippt. Der Medizinsoziologe Johannes Siegrist beschreibt in seinem „Modell der
beruflichen Gratifikationskrise“ ähnliche Zusammenhänge. Hoher Stress ist nur bei hoher
Motivation auszuhalten. Erhält der Arbeitende aber keinerlei Anerkennung mehr (gleich ob
als Gehaltserhöhung, Aufstieg, Lob des Chefs, Respekt der Kunden oder Erfolg des
Produkts), erlebt er die tägliche Belastung als Überforderung und stürzt ab in depressive
Zustände.
Das heißt: Individuelle Resistenz spielt zwar eine Rolle, doch im Prinzip kann bei jedem
Menschen unbewältigbarer Stress in eine Depression umkippen. Vermeintlich Hartgesottene
sollten nicht allzu sehr über „Weicheier“ spotten – wann auch eine feste Schale platzt, ist nur
eine Frage des Drucks.
Betroffenen müsste es letztlich egal sein, welchen Namen ihr Leiden trägt: Burn-out,
Schaffenskrise, Sinnkrise, Midlife-Crisis, Depression. Wichtig ist es, das Anfangsstadium zu
erkennen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen, zum Beispiel durch vorbeugende Aktivitäten.
Spätestens wenn der Gang zur Arbeit Angst und Widerwillen auslöst sowie erste Fehltage
hinzukommen, ist es aber Zeit, ärztliche oder psychotherapeutische Hilfe zu suchen.
Peter Neumann, Patient in der Priener Roseneck-Klinik, hat sich indes nicht getraut, am
Arbeitsplatz das Schreckenswort Depression fallen zu lassen: „Da wäre mein Job als
Führungskraft in Gefahr gewesen. In der Firma habe ich gesagt, ich hätte Burn-out plus
Magenprobleme.“ Er habe nun gelernt, sich zu entspannen, dank des „hervorragenden
Essens“ drei Kilo zugenommen und sei dabei, seine „Glaubenssätze“ zu ändern: „Zum
Beispiel den, dass ich nie nein sage, wenn man etwas von mir verlangt.“
Mitpatientin Susanne Schwab nimmt immer noch Medikamente gegen ihre Depression. Aber
auch die Therapiesitzungen haben ihr geholfen: „Vor dem Klinikaufenthalt habe ich mich fast
jeden Tag nach dem Sinn des Lebens gefragt. Jetzt habe ich schon so viel Positives
mitbekommen, dass ich den erkennen kann.“
Burn-out-Klinikpatienten seien oft so hoch zur Genesung motiviert, dass sich sogar alte
Muster durchzusetzen drohten, beklagt Manfred Sigwart, Arzt in der Kasseler HabichtswaldKlinik: „Es besteht die Gefahr, dass sie sozusagen von Entspannung zu Entspannung hetzen.
Aber wir achten darauf, dass sie sich nicht überfordern.“
Abgestürzter Adler
Sven Hannawald – Alter: 32
Das deutsche „Jahrhunderttalent“ im Skispringen erlitt nach einer erfolglosen Saison im
Frühjahr 2004 einen Burn-out mit Klinikaufenthalt und beendete später seine Karriere. Der
Ex-Sportler ist berufslos und sucht noch nach einer neuen Aufgabe.
AUSGEBRANNT?
Probleme mit dem Feuer
Eminem – Alter: 34
Der US-Rap-Star sagte Mitte 2005eine Europa-Tournee ab. Offizielle Begründung:
Erschöpfung. Zudem machten Gerüchte über Burn-out die Runde. Offenbar wegen
Schlafmittelabhängigkeit besuchte er auch eine Entzugsklinik.
Freudlose Fron
Ottmar Hitzfeld – Alter: 57
Er gewann als Fußballtrainer zweimal die Champions League, konnte sich aber über Siege
nicht mehr freuen und nachts nicht mehr richtig schlafen. Inzwischen hält er Vorträge über
Burn-out-Vermeidung.
Der Herd blieb kalt
Tim Mälzer – Alter: 35
Der resolut wirkende Fernsehkoch litt im Sommer unter einem Tief. Er sei durch die
Arbeitsbelastung „total ausgebrannt“ gewesen. Er nahm eine Auszeit und ließ sich von einem
Coach über Zeitmanagement beraten.
Parteichef für 146 Tage
Matthias Platzeck – Alter: 52
Als Hoffnungsträger der SPD zum Vorsitzenden gewählt, erlitt er im Amt Hörstürze sowie
einen Nerven- und Kreislaufkollaps und trat zurück. Zu den Hintergründen seiner Krise hat er
sich bislang nicht geäußert.
Großes Ziel verpasst
Jürgen Klinsmann – Alter: 42
„Ich habe das Gefühl, innen einfach ausgebrannt zu sein“, sagte er als Begründung für den
Rückzug als Fußball-Bundestrainer. Nach der WM-Niederlage gegen Italien (Foto) war das
DFB-Team nur Dritter geworden.
Burn-out – ja, nein, ein bisschen?
Diverse Online-Selbsttests sind im Internet zu finden. Die Ergebnisse sind immer mit
Vorsicht zu genießen und können die ärztliche Diagnose nicht ersetzen. Zwei Tests der
besseren Sorte:
FOCUS Online:
www.focus.de/burnout
Vom Burn-out-Experten Matthias Burisch verfasst:
www.swissburnout.ch/selftest/index.php
Modeleiden mit einer gewissen Sogwirkung
Die „Popularität“ des Ausbrennens trägt offenbar stark zur Verbreitung der Selbstdiagnose
Burn-out bei.
Relativität: Krankheiten und ihre Namen sind Moden unterworfen. Burn-out-ähnliche
Beschwerden wurden Anfang des 20. Jahrhunderts als Neurasthenie bezeichnet, später als
„Managerkrankheit“.
Kehrseite: Die Ärzte Andreas Hillert und Michael Marwitz weisen darauf hin, dass vor allem
solche Menschen über Burn-out klagen, die das Leiden kennen und es sich „leisten können“.
Arbeiter zum Beispiel klagten trotz ähnlicher Belastung nicht über „Ausbrennen“. Sozial gut
eingebundene Lehrer strebten (entgegen der Burn-out-Theorie) häufiger in die
Frühpensionierung als isolierte – offenbar weil sie mit ihrem Ruhestand mehr anfangen
können.
Simulanten? Dass sich unter Burnout-Patienten auch Menschen be-finden, die vor allem die
Frührente anstreben, wird von Praktikern in den Kliniken eingeräumt. Es gibt allerdings keine
klare Möglichkeit, diese zu identifizieren. Auch handele es sich meist nicht um Simulanten im
strengen Sinn, sondern um Personen, die sich in die Burn-out-Symptome gewissermaßen
fallen lassen. Freilich habe die Konjunktur des Begriffs auch positive Folgen: Die Leute
ließen sich früher behandeln und hätten dadurch bessere Heilungschancen.
Burn-out in Kunst und Kultur
Burn-out in der Bibel Nach diversen Großtaten verfiel der Prophet Elias in eine depressive
Müdigkeit, erholte sich aber wieder
KOMÖDIE Ausgebrannter Mafia-Boss zwingt Psychoanalytiker, ihn zu therapieren („Reine
Nervensache“, 1999, mit Robert De Niro, links)
Krise in Lübeck Thomas Buddenbrook (Hansjörg Felmy, rechts) verliert die Freude an der
Arbeit (Thomas Manns Roman, verfilmt 1959)
Ursachen suchen, Verhalten ändern
Wenn sich die Krise vertieft, hilft meist nur noch Psychotherapie. Überblick über die
Varianten
Psychotherapie Zur Inanspruchnahme auf Kassenbasis muss ein Arzt oder approbierter
Psychotherapeut eine seelische Erkrankung attestiert haben. Burn-out ist keine zulässige
Diagnose; oft wird eine „depressive Episode“ bescheinigt. Von der Einschätzung des Arztes
(und dem Willen des Patienten) hängt es ab, ob die Behandlung ambulant oder stationär, also
in einer Klinik, erfolgt. Bei Depressionen kann auch der Einsatz von Medikamenten sinnvoll
sein.
Alternative Heilverfahren sind aus wissenschaftlicher Sicht meist fragwürdig; die Bezahlung
wird auch in der Regel nicht von den Kassen übernommen. Letzteres gilt auch für Coaching,
das zur Vorbeugung taugt, aber nicht zur Behandlung.
Tiefenpsychologie Eine der beiden Haupttherapierichtungen; heute meist eine modernisierte,
komprimierte Variante von Sigmund Freuds Psychoanalyse. Durch Rückgriff auf frühere
Erlebnisse sollen krank machende Muster und ihre Ursachen identifiziert werden; das
Erkennen derselben bringt (im Idealfall) eine Besserung.
Verhaltenstherapie Im Gespräch werden die wunden Punkte herausgearbeitet. Dann versucht
man gemeinsam, alter-native Verhaltensmöglichkeiten zu finden und sie einzuüben. Dazu
gehören meist auch Maßnahmen zur besseren Stressbewältigung.
Beide Methoden werden heute oft nicht mehr streng getrennt. Bei der stationären Behandlung
finden sie häufig in Form von Gruppentherapie statt. Vorteilhaft ist dabei die gegenseitige
Unterstützung der Patienten.
Andere Therapien Ergänzend werden in den Kliniken manchmal auch Gestalt-, Körper- und
Kunsttherapien eingesetzt, um besseren Zugang zu den Emotionen der Patienten zu finden.
Erfolg? Bei den meisten Betroffenen tritt eine Besserung des Zustands ein. Trotzdem kommt
es im Anschluss an die Therapie häufig zum Stellen- oder Berufswechsel, bisweilen auch zur
Frühverrentung oder Frühpensionierung. Schon jede dritte vorzeitige Verrentung wird mit
einem psychischen Leiden begründet.
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