Interview Gruber

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Burn-Out
...oder vielleicht doch nur müde?
Burn-Out ist ein Zustand ausgesprochener emotionaler
Erschöpfung mit reduzierter Leistungsfähigkeit. Die Symptome
sind dieselben wie bei einer Depression, aber für manche
klingt Burn-Out besser. Fälschlicherweise sehen es viele auch
folgendermaßen: Den Depressiven wird oft vorgeworfen, faul
zu sein. Lautet die Diagnose hingegen Burn-Out-Syndrom,
ernten die Betroffenen beinahe etwas wie Anerkennung.“ Nicht
Jeder muss ein Burn-Out erleiden und trotzdem kann es Jeden
und Jede treffen.
Dr. Andreas Gruber ist Facharzt für Psychiatrie in Dornbirn. Im
Interview erklärt er, warum Burn-Out seiner Meinung nach
weder Modeerscheinung noch Managerkrankheit ist, was man
unter Psychoedukation versteht und warum auch Mütter BurnOut gefährdet sein können.
Für viele ist Burn-Out lediglich eine „Modeerscheinung“. Sehen Sie das auch so?
Nein, ich würde eher sagen es ist ein Modebegriff. Beim Burn-Out bzw. beim Burn-Out-Syndrom
handelt es sich um eine Belastungsdepression. Es ist ein Zustand ausgesprochen emotionaler
Erschöpfung mit reduzierter Leistungsfähigkeit. Im Grunde ist es – wenn man so will - ein netterer
Begriff für eine Depression, denn die Symptome sind praktisch dieselben. In der Gesellschaft ist der
Begriff Depression – im Gegensatz zum Burn-Out-Syndrom - allerdings negativ besetzt. Den
Depressiven wird oft vorgeworfen unwillig, faul und disziplinlos zu sein, im Gegensatz zum Burn-Out,
das vermeintlich insbesondere tüchtige 24-Stunden-Manager trifft, praktisch als Folge ihres
unermüdlichen Einsatzes und des damit verbundenen Stresses.
Angenommen man fühlt sich ausgelaugt und ist sehr oft müde. Ab wann wird Müdigkeit zum
Burn-Out?
Die Grenzen sind sehr fließend und natürlich auch von Mensch zu Mensch verschieden. Je nach
persönlicher Belastbarkeit tritt ein Burn-Out früher oder später oder überhaupt nicht auf. Allerdings
kann man bei allen Patienten beobachten, dass sich die Symptome stufenweise und meist
schleichend entwickeln. Daher werden die Symptome anfangs sowohl vom Patienten als auch von
seiner Umwelt meist gar nicht wahrgenommen bzw. als Beginn einer Krankheit erkannt. Erst wenn
handfeste Symptome da sind, suchen diese Menschen Hilfe.
Und wie machen sich diese handfesten Symptome bemerkbar? Welche Warnsignale weisen
auf ein Burn-Out hin?
Die ersten Anzeichen sind meist Schlafstörungen, Schwächegefühle, Müdigkeit oder auch
Konzentrationsstörungen. Die Menschen haben dann oft keine Lust mehr zu arbeiten und bringen
auch weitaus weniger zustande. Das ist wiederum anstrengend, weil sie sich dann weniger erholen
können - ihre Arbeit lässt sie nicht mehr los und ihre Gedanken kreisen abends noch mehr im Kopf,
als dies zuvor schon der Fall war. Sie sind teils auch zynisch, innerlich angespannt, vielleicht sogar
aggressiv. Diese ersten Warnsignale treten sehr oft nach längeren Urlauben auf oder auch wenn sie
merken, dass ihnen das Wochenende nicht mehr die erhoffte Erholung bringt.
Warum?
Das ist eigentlich einfach zu erklären: Normalerweise werden Stresshormone in Gefahrensituationen
ausgeschüttet damit sich der Körper beispielsweise auf eine Flucht oder einen Überlebenskampf
einstellen kann. Unter erhöhten Stresshormonen ist eine – allerdings nur kurzfristige! – höhere
Leistung möglich. Wenn man während der Arbeit oder auch in der Freizeit unter anhaltendem Stress
steht, dann schüttet der Körper diese Hormone dauernd aus, wodurch man sozusagen andauernd in
einer erhöhten Leistungsbereitschaft „funktioniert“, allerdings erschöpfen sich hierbei die Nebennieren,
die diese Stresshormone erzeugen. Während des Urlaubs oder auch an den Wochenenden schaltet
man dann üblicherweise auf ein normales Tempo zurück und findet dadurch die nötige Erholung.
Menschen, die auf ein Burn-Out hinsteuern oder bereits eines haben, können sich aber in ihrer
Freizeit nicht mehr erholen, sie schaffen nichts mehr, sind zu müde, um ein Buch oder die Zeitung zu
lesen, etwas zu unternehmen und sich somit aktiv zu erholen, schauen beispielsweise nur noch fern
und ziehen sich zurück.
Aber ist das nicht auch eine Art der Erholung?
Sicherlich kann man hin und wieder ganz bewusst ein Wochenende auf der Couch verbringen. Aber
wenn man das nicht mehr selbst steuern kann und einem die Energie einfach fehlt, um Sport zu
betreiben oder soziale Kontakte zu pflegen, wenn man persönliche Bedürfnisse vernachlässigt und
sich mehr und mehr abschottet sowohl von Freunden, als auch von der Familie wird es kritisch.
Zeitgleich treten dann meist auch die ersten körperlichen Symptome, wie Muskelverspannungen,
Zähneknischen oder Spannungskopfschmerzen, auf. Viele sehen dann leider auch im Alkohol eine Art
„Spannungslöser“. Dieser funktioniert aber nur kurzfristig und das Problem ist, dass die Suchtgefahr in
diesem Stadium sehr groß ist, da der Körper den kurz wirksamen Spannungslöser in immer kürzeren
Abständen und immer höheren Mengen einfordert.
Wie geht es dann weiter? Beispielsweise, wenn ein Patient zu Ihnen kommt und berichtet, dass
er die soeben von Ihnen angesprochen Symptome bei sich bemerkt hat?
Ein ausführliches ärztlich-diagnostisches Gespräch gibt Anhaltspunkte für weiterführende
Untersuchungen, denn es gibt auch organische Krankheiten, die teils dieselben Symptome aufweisen.
Beispielsweise eine Störung der Schilddrüsenfunktion, des Eisen-, Vitamin B- oder
Folsäurestoffwechsels sind sehr oft mitverursachend für depressive oder sonstige psychische
Erkrankungen. Auch Autoimmunerkrankungen können mit psychischen Störungen beginnen.
Unter Umständen sind auch testpsychologische Untersuchungen notwendig, um beispielsweise
festzustellen ob es sich um den Beginn einer Demenz handelt. Wenn all diese Untersuchungen
negativ ausfallen, muss davon ausgegangen werden, dass es sich wirklich um ein Burn-Out-Syndrom
bzw. eine Depression handelt.
Nun ist es wichtig, dass die Patienten sich Gedanken darüber machen, wann alles angefangen hat,
denn oft kennen diese Leute die Gründe sogar. Diese Reflexion seitens des Patienten zusammen mit
den Symptomen ermöglicht es dann, das Stadium, in dem sich der Patient befindet, festzustellen. Je
nachdem werden dann die weiteren Schritte festgelegt. Bei schweren Fällen muss der Patient oft aus
dem Arbeitsprozess herausgenommen werden und benötigt neben der medikamentösen auch eine
psychotherapeutische Begleitung. Einige kommen auch um einen Krankenhausaufenthalt nicht
herum.
Und bei leichteren Fällen?
Nun, sofern man diese überhaupt frühzeitig erkennt, wird hier natürlich anders vorgegangen bzw.
kann hier oft schon eine Verhaltensänderung ausreichend sein. Das heißt, dass man beginnt darüber
nachzudenken: „Warum mach ich das?“ Oder: „Warum tue ich das mir und meinem Körper an?“ Es
wäre eventuell sogar ein Fehler, den Patienten aus dem Arbeitsprozess herauszunehmen. Für
manche ist Krankenstand nämlich nicht so gut, da die Gefahr der Isolation sehr groß ist und der
Arbeitsplatz als soziales Umfeld empfunden wird. Wie auch immer vorgegangen wird, hängt vom
jeweiligen Patienten und von der jeweiligen Situation ab. Das wird also sehr individuell und von Fall zu
Fall entschieden – selbstverständlich stets in Absprache mit dem Patienten.
Das Wichtigste ist, dass diese Menschen lernen abzuschalten und sich zu erholen, etwa auch durch
Entspannungsmethoden wie Autogenes Training, Yoga oder andere Methoden. Die im
Zusammenhang mit dem andauerndem „sich den Kopf zerbrechen“ auftretenden
Spannungskopfschmerzen sprechen auf Massagen gut an. Ziel muss jedoch immer sein, dem
Betroffenen Hilfsmittel in die Hand zu geben durch die er sich selbst helfen kann, sprich über
Psychoedukation einen Zugang zur Psychohygiene zu schaffen, und dadurch die psychosoziale
Gesundheit zu fördern.
Und wie schaut die psychotherapeutische Behandlung aus?
Es ist keine klassische Psychotherapie – zumindest nicht bei mir. Es ist vielmehr eine Kombination
aus medikamentöser Behandlung und einer so genannten Psychoedukation. Die Patienten müssen
geschult werden, auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten, sich und ihren Körper ernst zu nehmen und
wieder lernen sich zu entspannen. Medikamente sind hier eine unterstützende Komponente wenn
bereits schwerwiegende Symptome vorliegen.
Welche Menschen sind besonders gefährdet?
Meist sind es sehr geschätzte Mitarbeiter, die häufig Überstunden machen oder auch an den
Wochenenden arbeiten. Sie neigen oft zum Perfektionismus – fast schon zwanghaft. Das zeigt sich
beispielsweise darin, dass sie sich in Aufgaben vertiefen, dass sie zum Beispiel für ein Konzept oder
ein Projekt viele Stunden investieren und schlussendlich immer noch nicht ganz zufrieden sind wenn
sie es abgeschlossen haben. Diese Menschen nehmen die Arbeit also mit nach Hause und damit
meine ich, dass sie nicht abschalten können, ständig an die Arbeit denken und grübeln. Viele sind
zudem auch in Vereinen tätig, können auch hier nicht „Stopp“ sagen und verbrauchen so ihre Energie.
Natürlich ernten sie für ihr Engagement sehr viel Bewunderung. Leider kommt es dadurch aber auch
oft zu Eifersucht durch andere Mitarbeiter, die auch zu Mobbing Anlass geben können. Allerdings
hängt auch das von dem jeweiligen Menschen ab, denn der eine verträgt mehr, der andere weniger
Neid und Missgunst.
Es ist also doch eine „Managerkrankheit“?
Das würde ich nicht so eng sehen. Natürlich sind meistens Mitarbeiter betroffen, die sehr viel arbeiten,
und da Manager bzw. Mitarbeiter in Führungspositionen viel zu tun haben und auch viel
Verantwortung tragen, trifft es sehr oft diese Menschen. Sie brennen regelrecht vor Begeisterung für
eine Tätigkeit – daher kommt sehr wahrscheinlich auch die Bezeichnung „Burn-Out“: Zuerst muss
man brennen, um dann zu erlöschen. Teilweise unterschätzt wird beispielsweise auch die Belastung
aus prekären Arbeitsverhältnissen – Angst vor Kündigung, drohender Lohnverzicht, höhere
Anforderungen an die Flexibilität usw. – oder bei Arbeitslosigkeit ergibt.
Im Prinzip kann es aber Jeden und Jede treffen. Das heißt, auch Mütter sind „Manager“ – oft allein
erziehend und nebenher berufstätig. Mütter haben sehr oft mit einer Doppelbelastung zu kämpfen und
keine Zeit für sich selber. Man kann niemanden ausschließen, denn im Großen und Ganzen kommt es
immer auf den jeweiligen Menschen selber an. Wie belastbar man ist, wie gut bzw. wie schlecht man
abschalten kann, wie sehr man von der Familie bzw. vom Partner unterstützt wird und so weiter. Es
spielen wirklich unzählige Dinge eine Rolle.
Kann man durch rechtzeitiges Gegensteuern ein Burn-Out verhindern?
Ja, denn je mehr man von dieser Krankheit weiß, desto besser kann sie frühzeitig erkannt und
entsprechend gegengesteuert werden. Daher ist es auch sehr wichtig, dass die Menschen über die
Krankheit aufgeklärt werden. Unter anderem sollte das durch den Arbeitgeber passieren.
Unternehmen sollten aber nicht nur in die Aufklärung investieren, sondern auch Schulungen für Ihre
Mitarbeiter und Führungskräfte organisieren: Die Mitarbeiter sollten Entspannungstechniken lernen,
aber auch Methoden, wie sie besser abschalten können. Ein einfacher Trick besteht beispielsweise
darin, am Abend, bevor man nach Hause geht, den Tag nochmals Revue passieren zu lassen, zu
reflektieren: „Was habe ich geschafft? Was ist sich heute nicht ausgegangen?“ Dann sollte man sich
einen Plan für den nächsten Tag aufstellen und diesen auch niederschreiben. Dabei ist es wichtig,
dass man nötige Pausen einberechnet und sich nicht zu viel vornimmt. Man sollte sich also fragen:
„Was kann ich morgen anders machen, damit ich glücklicher nach Hause gehe?“
Die Arbeitgeber können aber auch alleine dadurch ihre Mitarbeiter unterstützen, indem sie ein
angenehmes Arbeitsklima schaffen, stetige Feedbacks geben. Mitarbeiter müssen wissen, was sie tun
bzw. wie ihre Arbeit ankommt. Jeder braucht Rückmeldungen und zwar sowohl Lob, als auch
(konstruktive) Kritik.
Und was kann jeder Einzelne dafür tun, dass es gar nicht erst zu einem Burn-Out kommt?
Man sollte seine eigenen Bedürfnisse pflegen, den eigenen Körper wertschätzen. Die Zeit zuhause
sollte wirklich der Erholung dienen, daher sind Rituale, wie das Aufschreiben und Planen für den
nächsten Tag so wichtig. Dadurch nimmt man die Arbeit eher nicht mit nach Hause. Die Freizeit sollte
Abwechslung vom Alltag bringen beispielsweise indem man Zeit mit der Familie und Freunden
verbringt oder einen Spaziergang macht. Überhaupt ist Bewegung und Sport sehr gut. Das heißt nicht,
dass Sport das Allheilmittel ist, auch wenn viele ohne Sport überhaupt nicht leben können, aber es
zeigt sich immer wieder, dass der körperliche und geistige Ausgleich sehr positiv auf Jeden wirkt.
Merken Sie unter Ihren Patienten in den letzten Jahren einen Anstieg des Burn-Outs?
Eigentlich nicht. Das mag vielleicht aber auch daran liegen, dass es sich im Grunde ja um eine
Depression handelt und die hat es immer schon gegeben. Jeder Dritte macht einmal in seinem Leben
eine depressive Phase durch. Allerdings trauen sich viele depressive Menschen gar nicht zum
Psychiater. Schon jetzt sind über 40 Prozent der krankheitsbedingten Frühpensionen auf psychischen
Krankheiten zurückzuführen. Und ich kann mir vorstellen, dass es in den kommenden Monaten oder
Jahren zunehmen könnte – durch die derzeitige Wirtschaftslage steigt die Arbeitbelastung noch mehr
an. Dies gilt es meiner Meinung nach zu beachten, denn ein gesunder Mitarbeiter bringt dem
Unternehmen wesentlich mehr!
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